OLG Brandenburg: Gehörsverletzung durch nur formelhaft begründete Nichtabhilfeentscheidung

Das OLG Brandenburg hat sich mit Beschl. v. 9.8.2018 – 13 WF 126/18, MDR 2018, 1272 mit der Aufhebung einer bewilligten Verfahrenskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in einer Familiensache beschäftigt. Nach Ablauf der Frist für die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO) gab der Antragsteller (endlich) die erforderliche Erklärung ab und legte den Vordruck nebst Anlagen vor. Das AG legte dies als sofortige Beschwerde gegen den Aufhebungsbeschluss aus. Gleichwohl half das AG der sofortigen Beschwerde nicht ab, sondern nahm „auf die weiterhin zutreffende Begründung der ursprünglichen Entscheidung“ Bezug und legte die Akte dem OLG vor. Das OLG hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies die Sache an das AG zurück.

Da die sofortige Beschwerde offensichtlich verspätet war, wäre sie von dem OLG an sich zu verwerfen gewesen (§ 572 Abs. 2 ZPO). Es war jedenfalls deswegen ausgeschlossen, die ursprüngliche Entscheidung des AG in der Sache abzuändern.

Andererseits kann das Amtsgericht selbst in einer solchen Fallkonstellation der Beschwerde durchaus noch abhelfen, obwohl die sofortige Beschwerde unzulässig ist (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies wird oftmals verkannt! Mit seiner lediglich formelhaften Begründung hatte das AG diese Entscheidungsmöglichkeit jedoch gar nicht erst gesehen, geschweige denn geprüft bzw. in Betracht gezogen. Das OLG sieht darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses und Zurückverweisung der Sache nötigt! Das Amtsgericht hat mit seiner „Entscheidung“ das Nichtabhilfeverfahren vollständig des eigentlichen Sinnes beraubt, weil es keine Prüfung vorgenommen hat, obwohl ausführlich vorgetragen worden war und das Gesetz eine Prüfung verlangt.

Das AG hat damit die Gelegenheit, die ursprünglich ergangene Entscheidung jetzt in der Sache zu überprüfen, obwohl eine sofortige Beschwerde unzulässig wäre. Hier versteckt sich eine Möglichkeit, wie man eine aufhebende PKH-Entscheidung nach langer Zeit noch rückgängig machen kann!

Die vorstehenden Grundsätze gelten natürlich auch dann, wenn die sofortige Beschwerde zulässig ist. Auch dann muss das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, tatsächlich prüfen, ob der Beschwerde abgeholfen werden kann. Ist neues Vorbringen erfolgt, darf nicht einfach auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen werden. Eine Nichtabhilfeentscheidung sollte daher grundsätzlich durch einen förmlichen Beschluss erfolgen, der den Parteien mitgeteilt wird und worin auf eventuelles neues Vorbringen eingegangen wird. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Akte mit einer Aufhebungsentscheidung zurückkommt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um ein immer wiederkehrendes und äußerst haftungsträchtiges Thema geht es in dieser Woche.

Zeitreserve bei Faxversand in letzter Minute
Beschluss vom 23. Oktober 2018 – III ZB 54/18

Mit den Anforderungen an den Versand von mehreren Schriftsätzen unmittelbar vor Fristablauf befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Fondsbeteiligung. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte fristgerecht Berufung ein. Die per Telefax übermittelte Berufungsbegründung ging wenige Minuten nach Ablauf der Frist beim OLG ein. In seinem Wiedereinsetzungsgesuch machte der Kläger geltend, sein Anwalt habe um 23:26 Uhr mit der Übertragung von drei jeweils vierzehn Seiten umfassenden Berufungsbegründungen begonnen. Der Faxanschluss des OLG sei aber bis 23:55 Uhr belegt gewesen. Deshalb hätten nur noch die Schriftsätze in den beiden Parallelsachen rechtzeitig übermittelt werden können, nicht aber der Schriftsatz des Klägers. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Anwalt des Klägers musste damit rechnen, dass der Telefaxanschluss des Gerichts kurz vor Mitternacht aufgrund von Sendeversuchen anderer Absender belegt sein könnte, und musste deshalb eine zusätzliche Zeitreserve einplanen. Diese beträgt bei einem einzelnen Schriftsatz in der Regel 20 Minuten. Sollen mehrere Schriftsätze übertragen werden, muss die Reserve angemessen erhöht werden, weil die Gefahr besteht, dass die Leitung nach jedem einzelnen Übermittlungsvorgang erneut durch Dritte belegt ist. Im Streitfall stand für die drei Schriftsätze insgesamt eine Zeitreserve von weniger als 30 Minuten zur Verfügung. Dies war nicht ausreichend.

Praxistipp: Bei Last-Minute-Einreichungen dürfte der Versand über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) mit deutlich geringeren Risiken verbunden sein als der Versand über das vermeintlich bewährte Telefax.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine allgemeine Frage, die bislang nicht höchstrichterlich entschieden war, geht es in dieser Woche.

Bindung des Rechtsnachfolgers an einen nach Rechtsübergang geschlossenen Vergleich
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 267/17

Mit den Wirkungen eines vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Prozessvergleichs befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte in einem Vorprozess seinen Nachbarn wegen der Blendwirkung einer Photovoltaikanlage in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich der Nachbar verpflichtete, bestimmte Teile der Anlage zu entfernen. Nachdem der Beklagte die Vollstreckung eingeleitet hatte, erhob die Ehefrau des Nachbarn Vollstreckungsgegenklage. Sie legte (erstmals) offen, dass ihr Ehemann das Eigentum an dem betroffenen Grundstück schon während des Vorprozesses im Wege der Schenkung auf sie übertragen hatte, und machte geltend, sie sei an den von ihrem Ehemann nach der Übereignung geschlossenen Vergleich nicht gebunden. Die Vollstreckungsgegenklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Er verweist auf frühere Rechtsprechung, wonach eine Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit in entsprechender Anwendung von § 265 ZPO auch dann keinen Einfluss auf den Rechtsstreit hat, wenn ein Grundstückseigentümer, der nach § 906 und § 1004 BGB wegen Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück in Anspruch genommen wird, das Eigentum nach Rechtshängigkeit auf einen Dritten überträgt. Aus § 265 ZPO ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass der Rechtsnachfolger auch an einen vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Vergleich gebunden ist, soweit dieser eine Rechtsfolge vorsieht, die auch das Ergebnis eines Urteils in dem anhängigen Rechtsstreit sein könnte. Eine in der Literatur (auch vom Montagsblogger) vertretene Gegenauffassung, wonach § 265 ZPO keine materiell-rechtlichen Wirkungen entfalten kann, lehnt er ab, weil ein Prozessvergleich eine Einheit bilde und das Gesetz dem Veräußerer eine umfassende gesetzliche Prozessstandschaft einräume. Den in § 325 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Vorbehalt zugunsten eines gutgläubigen Erwerbers hält der Senat nicht für einschlägig, weil dieser nur einen (doppelt gutgläubigen) Erwerb von einem Nichtberechtigten betreffe.

Praxistipp: Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sollte sich der Erwerber eines Grundstücks vergewissern, dass keine das Anwesen betreffenden Rechtsstreitigkeiten anhängig sind. Im Falle einer unrichtigen Auskunft ist er allerdings auch dann nicht vor einem Rechtsverlust geschützt; immerhin stehen ihm aber Ersatzansprüche gegen den Veräußerer zu.

Neue Senate für den BGH in Karlsruhe und Leipzig

Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll nach übereinstimmenden Presseberichten am 08.11.2018 der Einrichtung zweier neuer Senate für den BGH zugestimmt haben. Ein Zivilsenat soll nach Karlsruhe kommen und ein Strafsenat nach Leipzig. Auch wenn diese Maßnahme in der Politik übereinstimmend begrüßt wird, ist Kritik insofern laut geworden, als mit der Gleichzeitigkeit der Bildung eines neuen Strafsenats in Leipzig die Rutschklausel umgangen werde. Die Rutschklausel sieht vor, dass für jeden neuen Zivilsenat in Karlsruhe ein dort schon bestehender Strafsenat nach Leipzig verlegt wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um Hinweispflichten beim Verkauf einer Sozialwohnung geht es in dieser Woche.

Sozialbindung einer Wohnung als anzeigepflichtiger Rechtsmangel
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 165/17

Mit den Pflichten des Verkäufers einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte von der Beklagten eine Eigentumswohnung gekauft. Der Kaufvertrag enthielt einen umfassenden Haftungsausschluss für Sachmängel. Im Rechtsstreit verlangte der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags, weil ihn die Beklagte nicht darüber aufgeklärt habe, dass es sich um öffentlich geförderten Wohnraum handle und Mieter einen Berechtigungsschein benötigten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Sozialbindung einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung einen Rechtsmangel darstellt, und stellt klar, dass die Schuldrechtsmodernisierung hieran nichts geändert hat. Ob der im Kaufvertrag vereinbarte Haftungsausschluss für Sachmängel auch den im Streitfall vorliegenden Rechtsmangel umfasst, lässt der BGH mangels einschlägiger tatrichterlicher Feststellungen offen. Nach § 444 BGB kann sich die Beklagte auf den Haftungsausschluss jedenfalls nicht berufen, wenn sie die Sozialbindung arglistig verschwiegen hat. Entgegen der Auffassung des OLG ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der Käufer den Kaufvertrag auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung geschlossen hätte.

Praxistipp: Die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche unter Berufung auf die Unwirksamkeit eines Gewährleistungsausschlusses gemäß § 444 BGB unterliegt weniger strengen Voraussetzungen als die Anfechtung des Vertrags gemäß § 123 BGB. Deshalb sollten auch im Falle einer Anfechtung zumindest hilfsweise die vertraglichen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die formellen Voraussetzungen eines Beitritts als Streithelfer geht es in dieser Woche.

Beitritt als Streithelfer und Berufungskläger
Beschluss vom 13. September 2018 – I ZB 100/17

Mit den Anforderungen an die Darlegung eines eigenen Interesses des Streithelfers befasst sich der I. Zivilsenat.

Die klagende Haftpflichtversicherung begehrte von der beklagten Transportunternehmerin Schadensersatz, weil diese vereinbarungswidrig nicht die gesamte Fracht an den vorgesehenen Empfänger geliefert habe. Das LG wies die Klage ab. Dagegen legte ausschließlich die in erster Instanz nicht am Rechtsstreit beteiligte Empfängerin der Fracht Berufung ein; zugleich erklärte sie ihren zum Rechtsstreit als Streithelferin der Klägerin. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, weil die Berufungsklägerin nicht dargelegt habe, welches Interesse sie am Ausgang des Rechtsstreits habe.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Zu den formellen Voraussetzungen für einen wirksamen Beitritt als Streithelfer gehört zwar gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO die bestimmte Angabe des Interesses, das der Beitretende am Ausgang des Rechtsstreits hat. Nähere Ausführungen dazu sind aber entbehrlich, wenn sich ein hinreichendes Interesse bereits aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Als vorgesehene Empfängerin des Frachtguts ist die Berufungsklägerin ebenfalls Gläubigerin eventueller Ersatzansprüche gegen die Beklagte.

Praxistipp: Um unnötige Diskussionen zu vermeiden, ist es dennoch zweckmäßig, in dem Schriftsatz, mit dem der Beitritt erklärt wird, das Interesse des Beitretenden kurz darzulegen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten in der Berufungsinstanz geht es in dieser Woche.

Anwaltsbestellung nach Berufungsrücknahme
Beschluss vom 10. April 2018 – VI ZB 70/16

Der VI. Zivilsenat beurteilt die Erforderlichkeit von Anwaltskosten anhand des jeweiligen Kenntnisstands der Partei.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin hatte zunächst Berufung eingelegt, das Rechtsmittel aber rund eine Woche später wieder zurückgenommen. Einen Tag nach Zustellung der Rücknahmeerklärung ging beim Gericht ein Schriftsatz ein, in dem der Anwalt des Beklagten die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragte. Im Kostenfestsetzungsverfahren begehrte der Beklagte den Ansatz einer Verfahrensgebühr für die Berufungsinstanz. Das LG wies den Antrag zurück, das OLG gab ihm statt.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt erfolglos. Der BGH hält die Kosten für erforderlich im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO, weil der Anwalt des Beklagten seine Tätigkeit zu einem Zeitpunkt aufnahm, als er von der (bereits bei Gericht eingegangenen, aber noch nicht zugestellten) Rücknahme noch nichts wusste. In dieser Situation durfte der Beklagte die Beauftragung eines Anwalts (noch) für sachdienlich erachten. Dass die Tätigkeit aus „objektiver“ Sicht nicht notwendig war, steht dem nicht entgegen.

Praxistipp: Um unnötige Kosten zu vermeiden, bietet es sich an, den Gegner möglichst umgehend auf direktem Weg über die Rücknahme eines Rechtsmittels zu informieren.

Bezugnahme auf PKH-Unterlagen aus anderem Verfahren grundsätzlich unzulässig

Das OLG Karlsruhe (02.10.2018 – 18 WF 118/18) hat deutlich gemacht, dass eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – wie der Wortlaut des § 117 Abs. 2 ZPO zeige – grundsätzlich in jedem Verfahren selbständig vorzulegen sei. Nur so sei das Gericht in der Lage, über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe in diesem Verfahren – ohne von sich aus weitere, ihm zudem nicht obliegende, Nachforschungen anstellen zu müssen – zuverlässig entscheiden zu können. Dem Beteiligten, der die staatliche Leistung der Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nehmen wolle, sei es zumutbar, in jedem der von ihm eingeleiteten Verfahren die Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 und 4 ZPO zu erfüllen. Die Bezugnahme auf eine bereits vorgelegte Erklärung sei lediglich dann ausnahmsweise zuzulassen, wenn das Verlangen, eine weitere Erklärung vorzulegen, eine überflüssige Förmelei darstellen würde. Dies sei lediglich dann anzunehmen, wenn sich bei den Verfahrensakten bereits eine früher vorgelegte Erklärung aus der Vorinstanz befinde und außerdem zusätzlich zu der Bezugnahme erklärt werde, dass sich seitdem an den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe.

BGH: Aussetzung eines Zivilprozesses bei Verdacht einer Straftat

Eine Aussetzung gemäß § 149 ZPO kann für eine der Parteien sehr ärgerlich sein, vor allem für die Klägerseite, wenn diese auf eingeklagtes Geld angewiesen ist. Deshalb wird oftmals heftig über die Zulässigkeit einer solchen gestritten.

Dem BGH lag in einem Verfahren (Beschl. v. 24.4. 2018 – VI ZB 52/16) ein Fall zugrunde, in dem  der Kläger drei Beklagte wegen angeblichen Anlagebetruges in Anspruch nahm. Der Kläger behauptet u. a., die Beklagten hätten bereits fünf Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahre 2013 den Entschluss gefasst, sich über ein betrügerisches Schneeballsystem zu bereichern. Die Beklagten bestreiten dies. 2015 wurde gegen die Beklagten eine Anklage erhoben. Die Strafakte umfasst mehr als 80.000 Blätter, alleine die Verlesung der Anklageschrift dauerte mehrere Monate. Die Klage im Zivilprozess wurde danach erhoben. Der Kläger beantragte in der Folgezeit die Aussetzung des Prozesses, die Beklagten widersprachen.

Die Aussetzungsentscheidung der Tatsacheninstanzen hatte vor dem BGH bestand. Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO muss sich der Verdacht einer Straftat allerdings im Laufe eines Rechtsstreites ergeben. Hier bestand der Verdacht jedoch schon vor dem Rechtsstreit. Die entsprechende Formulierung in § 149 Abs. 1 ZPO ist jedoch nach h. M., der der BGH beitritt, so zu verstehen, dass es auf den naturgemäß erst mit dem Beginn des Zivilprozesses entstehenden Verdacht des Gerichts ankommt. Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit den § 149, § 411a, § 581 ZPO bewusste Verzahnungen von Zivil- und Strafprozess geschaffen. Daher ist, wiewohl Zivil- und Strafgerichte grundsätzlich nicht an die jeweils anderen Entscheidungen gebunden sind, eine Aussetzung bei Sachverhaltsidentität regelmäßig geboten und sinnvoll.

Auch die Jahresfrist des § 149 Abs. 2 S. 1 ZPO spielt letztlich keine Rolle. Zwar wird sich das Strafverfahren voraussichtlich länger hinziehen, jedoch kann die Aussetzung zur gegebenen Zeit neu geprüft werden, darüber hinaus liegen hier gewichtige Gründe vor, die ein längeres Abwarten rechtfertigen können.

Die vom Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfbaren Voraussetzungen der Aussetzung liegen daher vor. Die (Ermessens)Entscheidung, ob ausgesetzt wird, ist nur eingeschränkt prüfbar und ließ hier keine Rechtsfehler erkennen.

Eine Aussetzung eines Zivilverfahrens ist mithin auch schon dann möglich, wenn schon vor der Einleitung des Verfahrens der Verdacht einer Straftat bestand.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine häufig auftretende Frage, deren Beurteilung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, geht es in dieser Woche.

Prozessuale Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten
Beschluss vom 12. September 2018 – VII ZB 56/15

Der VII. Zivilsenat hält an den vom BGH entwickelten Grundsätzen zur Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten fest.

Die Klägerin hatte gegen den beklagten Wasserverband Ansprüche auf restlichen Werklohn aus einem Bauvorhaben in Höhe von über 460.000 Euro geltend gemacht. Zur Begründung ihrer Ansprüche hatte die Klägerin vorgerichtlich ein von ihr eingeholtes Privatgutachten und einen darauf gestützten Klageentwurf übersandt. Zur Vorbereitung eine Stellungnahme gab die Beklagte ihrerseits zwei Privatgutachten in Auftrag. Hierfür fielen Kosten in Höhe von rund 65.000 Euro an. Die später erhobene Klage blieb zum weitaus überwiegenden Teil erfolglos. Im Kostenfestsetzungsverfahren erkannte das LG die Gutachterkosten zuletzt als notwendig an. Die dagegen erhobene Beschwerde der Klägerin blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH verweist auf seine über Jahrzehnte hinweg entwickelte Rechtsprechung, wonach die Kosten eines vorprozessual eingeholten Privatgutachtens ausnahmsweise als notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind und eine wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Maßnahmen, die die Kosten ausgelöst haben, als sachdienlich ansehen durfte. Der vom OLG angedeuteten Kritik, das Kostenfestsetzungsverfahren sei als schematisiertes Massenverfahren für die Beurteilung dieser Fragen nicht ohne weiteres geeignet, tritt der BGH entgegen. Er hält die maßgeblichen Kriterien für hinreichend konkret und stellt klar, dass nur die Situation im Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen maßgeblich ist, nicht aber das Ergebnis oder die Qualität der Begutachtung oder der nachfolgende Prozessverlauf. Im Streitfall waren die Maßnahmen unmittelbar prozessbezogen, weil die Klägerin durch Übersendung eines Klageentwurfs ihre Klageabsicht hinreichend deutlich zu erkennen gegeben hatte. Die Beklagte durfte die Einholung eines Privatgutachtens als sachdienlich ansehen, weil eine Stellungnahme zu dem von der Klägerin eingeholten Gutachten Fachkenntnisse erforderte, über die die Beklagte nicht verfügte.

Praxistipp: Um den unmittelbaren Zusammenhang mit dem bevorstehenden Rechtsstreit belegen zu können, sollten die Umstände und der Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtenauftrags möglichst umfassend schriftlich dokumentiert werden.