Jetzt auch amtlich – Der Vorschlag eines Omnibus-Rechtsaktes der Europäischen Kommission

Bereits in der Budapester Erklärung zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit vom 8.11.2024 und im Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union hatte die Kommission „revolutionäre Vereinfachungen“ des mittlerweile umfänglichen supranationalen Pflichtenhefts im Nachhaltigkeitsbereich und einen entsprechenden Omnibus-Rechtsakt (in deutscher Diktion ein Artikelgesetz) angekündigt (s. im Einzelnen Jaspers, Blog-Beitrag v. 3.2.2025, WRBLOG0002027). Nachdem bereits seit Mitte Februar inoffizielle Auszüge aus den Vorschlägen kursierten, hat die Kommission diese termingerecht am 26.2.2025 offiziell vorgelegt (vgl. EU-Kommission, Vereinfacht Vorschriften für Nachhaltigkeitsberichterstattung und EU-Investitionen: mehr als 6 Mrd. EUR an Entlastung beim Verwaltungsaufwand angestrebt, PM v. 26.2.2025).

Bevor im Folgenden ausgewählte Inhalte skizziert werden, empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die einzelnen Bestandteile der Vorschläge zu verschaffen. In einer ersten Grobgliederung sind „Omnibus I“ und „Omnibus II“ zu unterscheiden, die aber ihrerseits jeweils nur Sammelbegriffe für eine Reihe von Änderungsrichtlinien sind. Während der Omnibus I die aus Sicht des Gesellschafts- bzw. Unternehmensrechts zentralen Änderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD und des supranationalen Lieferkettenregimes der CS3D sowie eine Anpassung der Mechanik des CO2-Grenzausgleichs beinhaltet, sieht der Omnibus II eine Stärkung des europäischen Investitionsfonds InvestEU vor. Im Einzelnen können die folgenden Bestandteile unterschieden werden:

Omnibus I bestehend aus:

  • COM 2025 (80) – Änderungs-RL zur Änderung des (gestaffelten) Inkrafttretens von (i) CSRD EU 2022/2464 als Änderungs-RL zu Abschlussprüfer-VO EU 537/2014 und Bilanz-Richtlinie EU 2013/34 und (ii) Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD / CS3D) (EU) 2024/1760;
  • COM 2025 (81) – Änderungs-RL zur Änderung materieller Bestimmungen der CSRD EU 2022/2464 und der CSDDD;
  • Staff Working Document zu den beiden Änderungs-RL gemäß COM (2025) 80 und COM (2025) 81, in dem Kalkül und Inhalte der vorgeschlagenen Änderungen eingehender erläutert werden;
  • in COM 2025 (80) und COM 2025 (81) implizit enthaltenen materiellen Änderungen der Taxonomie-VO, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass das Taxonomie-Reporting gemäß Art. 8 Taxonomie-VO seine Adressaten mittels Verweises auf Art. 19a, 29a Bilanz-RL bestimmt;
  • Vorschlägen und Konsultationsdokumentation zur Verschlankung der auf Grundlage der Taxonomie-VO erlassenen Delegierten Verordnungen, die zur Kommentierung durch die Bereichsöffentlichkeit bis zum 26.3.2026 auf dem Have your say“-Portal zur Verfügung stehen;
  • COM (2025) 87 – Änderungen der CBAM-Verordnung, insbesondere hinsichtlich Anwendungsbereich und Berichtspflichten (VO (EU) 2023/956 v. 10.5.2023 zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems); und
  • COM (2025) 87 – Anlagen zur vorgeschlagenen Änderung der CBAM-VO durch COM (2025) 87 (enthaltend die Berechnungsformel zur dynamisierten Bestimmung des Anwendungsbereichs der CBAM-VO)

Omnibus II – bestehend aus:

  • COM (2025) 84 – Änderungs-RL zur Erhöhung der Effizienz des EU-Investitionsvehikels InvestEU und zur Vereinfachung der zugehörigen Berichtspflichten durch Änderung von: 1. Verordnung (EU) 2021/523 (VO zur Einrichtung des Programms „InvestEU“); 2. Verordnung (EU) 2015/1017 (VO über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen, die europäische Plattform für Investitionsberatung und das europäische Investitionsvorhabenportal); und 3. Verordnung (EU) 2021/695 (VO zur Einrichtung von „Horizont Europa“, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, sowie über dessen Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse).
  • Staff Working Document zu COM (2025) 87 mit Erläuterung der beabsichtigten Änderungen der supranationalen Förderlandschaft.

Zusätzlich hat die Kommission Q&As zu Omnibus I und Omnibus II veröffentlicht.

Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD

Einen ersten Schwerpunkt setzen die Omnibus-Vorschläge im Bereich der nichtfinanziellen bzw. Nachhaltigkeitsberichterstattung, u.a. auf nachfolgende Themenfelder:

  • Beschränkung des Anwendungsbereichs des obligatorischen Sustainability Reporting: Berichtspflichtig sollen künftig allein große Unternehmen sein, die im Jahresdurschnitt mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Als große Unternehmen i.d.S. sind entsprechend der allgemeinen handelsbilanziellen Terminologie Unternehmen anzusehen, die entweder Umsatzerlöse von EUR 50 Mio. oder aber eine Bilanzsumme von 25 Mio. EUR ausweisen (vgl. § 267 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 HGB).
    Die in der dritten Welle vorgesehene größenunabhängige Erfassung aller „börsennotierten“ Gesellschaften, also solcher Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt in der EU oder dem EWG zugelassen sind, soll zur Gänze entfallen.
    Nach den Schätzungen der Kommission würden mit dieser Neuvermessung des Anwendungsbereichs 80 % der bisher von der CSRD erfassten Unternehmen von der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung befreit.
  • Schaffung eines freiwilligen Berichtsstandards: Quasi als Ausgleich für die erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht der Omnibus die Schaffung eines am Proportionalitätsprinzip ausgerichteten und am Vorbild des VSME orientierten freiwilligen Standards vor, der eine Aufwertung durch offizielle Annahme mittels delegierter Verordnung erfahren soll (Art. 29ca Bilanz-RL-E).
    Zusätzlich soll der freiwillige Berichtsstandard bei der Eindämmung des trickle-down bzw. Kaskadeneffekts in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten helfen. CS3D-pflichtige Unternehmen sollen im Rahmen der Kartierung der Wertschöpfungskette (value chain mapping) von Nicht-CSRD-Unternehmen nur die nach dem geplanten freiwilligen Berichtsformat (Art. 29ca Bilanz-RL-E) vorgesehenen Informationen anfordern dürfen (Art. 19a Abs. 3, 29a Abs. 3 Bilanz-RL-E), womit ein Rahmen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit entsprechender informationsbegehren geschaffen wird.
  • Verzicht auf sektorspezifische Berichtsstandards: Die für 2026 avisierte Ergänzung der sog. sektoragnostischen ESRS, d.h. der unabhängig von Branche und Sektor des berichtenden Unternehmens geltenden Berichtsvorgaben, um kumulativ zu beachtende sektorspezifische Unterberichtsstandards (Art. 29b Abs. 3 UAbs. 2 ii) Bilanz-RL) soll vollständig entfallen.
  • Beschränkung der Prüfungsintensität der Nachhaltigkeitsprüfung: Die in Art. 26a Abs. 3 Abschlussprüfer-RL vorgesehene schrittweise Schärfung der Intensität der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, mit der über das Zwischenstadium der limited assurance ein dem der Finanzberichterstattung vergleichbares Konfidenzniveau (reasonable assurance) erreicht werden soll, wird von festen Umsetzungsdaten befreit und im Übrigen weitgehend dem Ermessen der Kommission überantwortet.

Taxonomie-VO

  • Einschränkung des Anwendungsbereichs der Berichtspflichten zur Taxonomie-Vereinbarkeit: Die kumulativ zum CSRD-Reporting zu erfüllenden Berichtspflichten gemäß Art. 8 Taxonomie-VO, nach denen anhand bestimmter KPI der Anteil nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten am Gesamtgeschäft zu melden ist, gelten für sämtliche CSRD-pflichtigen Unternehmen, entsprechend würde ihr Anwendungsbereich parallel zu dem der Nachhaltigkeitsberichterstattung signifikant eingeschränkt.
  • Vorschläge für eine Änderung der Delegierten Verordnungen zur Taxonomie-VO (Offenlegung, Klima, Umwelt) werden bis zum 26.3.2026 der Bereichsöffentlichkeit zur Kommentierung auf dem „Have your say“-Portal zur Verfügung gestellt und auf dieser Grundlage finale Vorschläge erarbeitet.
  • Die CSRD soll um ein optionales Taxonomie-Reporting unter weiteren Voraussetzungen ergänzt werden (Art. 19b, 29aa Bilanz-RL-E), womit die Schwächen des binären Ansatzes der Taxonomie-VO ausgeglichen werden sollen.
  • Überarbeitung des „Do Not Significant Harm“-Kriteriums. Die Qualifizierung als nachhaltig i.S.v. Art. 3 Taxonomie-VO scheitert in der Praxis häufig am Tatbestandsmerkmal des Do Not Significant Harm (DNSH), wofür unter anderem auch Komplexität und Auslegungsunsicherheiten als Ursachen benannt werden. Die Vorschläge sehen diesbezüglich vor, dass die aufwändige Prüfung des DNSH-Kriteriums nur noch dann erforderlich sein soll, wenn die entsprechenden Wirtschaftsaktivitäten mindestens 10 % der taxonomierelevanten Key Performance Indicators (Umsatz, CapEx, OpEx) repräsentieren.
  • Anpassung des Green Asset Ratio (GAR): Die methodisch fundierte und seit Langem erhobene Kritik am zentralen Leistungsindikator für den Finanzsektor, die darauf fußt, dass Zähler und Nenner der GAR unterschiedliche Bezugsgrößen besitzen, wird aufgegriffen.

Supranationales Lieferkettenregime gemäß CS3D

Als bemerkenswert wird man es bezeichnen dürfen, dass der Omnibus I auch für das europäische Lieferkettenregime nach der Richtlinie (EU) 2024/1760 noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten zum 26.7.2026 eine Reihe nicht unerheblicher Änderungen vorschlägt. Hervorzuheben sind insoweit:

  • Keine unbefristete Aussetzung der CS3D: Festzuhalten ist vorab, dass die durchaus auch von prominenter Seite erhobene Forderung nach einer unbefristeten Aussetzung der CS3D abgelehnt wird, die Kommission bekräftigt damit ihr grundsätzliches Bekenntnis zu dem umstrittenen Rechtsakt.
  • Verlängerung der Umsetzungsfrist: Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Frist zur Umsetzung der CS3D in nationales Recht wird um ein Jahr auf den 26.7.2027 verlängert, womit den betroffenen Unternehmen etwas mehr Zeit eingeräumt wird, allfällige Vorbereitungsmaßnahmen umzusetzen. Unterstützung erfahren sie dabei auch insoweit, als die Herausgabe allgemeiner Due-Diligence-Leitlinien für die Kernpflichten der CS3D auf den 26.7.2026 vorverlagert werden soll (Art. 19 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Abs. 3 CSDDD-E).
  • Überarbeitung des CS3D-Pflichtenhefts: Im Zentrum der Omnibus-Vorschläge für die CS3D stehen entlastende Straffungen des Pflichtenhefts für die Wertschöpfungskette, u.a.:
  • Hinsichtlich der Due-Diligence-Pflichten in der Wertschöpfungskette wird eine partielle Vollharmonisierung angeordnet, auch ein gold plating seitens der Mitgliedstaaten wird für Teile der Richtlinie ausdrücklich für unzulässig erklärt (Art. 4 CSDDD-E);
  • Die Due-Diligence-Pflichten werden grundsätzlich auf- wie abwärts auf die nächste Vertriebs- bzw. Wertschöpfungsstufe, also unmittelbare Lieferanten bzw. Abnehmer begrenzt, mittelbare Lieferanten und Abnehmer sind nur (i) bei begründeten Verdachtsmomenten (plausible information that suggests that adverse impacts at the level of the operations have arisen or may arise) und dann, (ii) wenn die Mittelbarkeit einer Geschäftsbeziehung Ergebnis eines Gestaltungsmissbrauchs ist (an artificial arrangement that does not reflect economic reality), einer eingehenden Prüfung zu unterziehen (Art. 8 Abs. 2 lit. b) CSDDD-E);
  • Parallel zum value chain cap der CSRD wird das Recht, gegenüber KMU mit weniger als 500 Arbeitnehmern Informationen zu verlangen, auf die Gegenstände des freiwilligen Reportings begrenzt, allerdings gilt diese Grenze nicht absolut, sondern darf bzw. muss bei begründetem Verdacht überschritten werden (Art. 8 Abs. 5 CSDDD-E),
  • Die Verpflichtung, zwingend eine Geschäftsbeziehung vollständig zu beenden, wird aufgehoben, bestehen bleiben hingegen das temporäre Verbot einer Ausdehnung einer inkriminierten Lieferkettengeschäftsbeziehung bzw. deren zeitweise Aussetzung (Art. 10 Abs. 6 CSDDD-E),
  • Die anlassunabhängige Risikobewertung von Lieferanten und Abnehmern soll nur noch in einem Turnus von fünf Jahren und nicht mehr jährlich erforderlich sein, soweit nicht im Einzelfall anlassbezogen ein Ad-Hoc-Assessment erforderlich ist (Art. 15 CSDDD-E).

Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten

Auch die Rechtsfolgenseite von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten soll neu geordnet werden:

  • Die auch im Rahmen der parlamentarischen Diskussion des LkSG hoch umstrittene Anordnung einer zwingenden zivilrechtlichen Haftung (Art. 29 Abs. 1 CSDDD) soll ersatzlos gestrichen werden.
  • Demgegenüber entspricht Art. 29 Abs. 1 CSDDD-E weitgehend dem aktuellen Art. 29 Abs. 2 CSDDD und ordnet unter Berücksichtigung der in Aussicht genommenen Streichung der zwingenden zivilrechtlichen Haftung an, dass – soweit eine Haftung nach nationalem Recht besteht – diese grundsätzlich volle Entschädigung erlauben muss, ohne allerdings gleichzeitig den Geschädigten zu überkompensieren, womit letztlich ein Verbot pönaler Elemente bei der Schadensbemessung festgesetzt wird.
  • Das aktuell bestehende Verbandsklagerecht nach Art. 29 Abs. 3 lit. 3 CSDDD soll gleichfalls ersatzlos gestrichen werden.

Verzicht auf ein Sonderrechtsregime für Finanzunternehmen

  • Die Ermächtigung zugunsten der Kommission, den Besonderheiten des Geschäftsmodells von Finanzunternehmen und ihrer Sonderrolle in der Wertschöpfungskette (keine eigentliche Wertschöpfungsstufe, Vermögensverwaltung mit Portfoliounternehmen etc.) durch ein Sonderrechtsregime Rechnung zu tragen (Art. 36 CSDDD), soll gestrichen werden.

Einschränkung des obligatorischen Stakeholder-Dialogs

  • Schon im Grundsätzlichen einigermaßen fragwürdig verpflichtet die CS3D Unternehmen zu einem obligatorischen Dialog mit Stakeholdern/Interessenträgern (Art. 13 Abs. 1 CSDDD), wobei der Kreis der Stakeholder extrem weit gefasst ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. n CSDDD). Die Omnibus-Vorschläge halten am Instrument des Stakeholder-Dialogs fest, sehen aber zumindest richtige und wohl auch praktisch zwingend erforderliche Beschränkungen des Kreises der gesprächsberechtigten Institutionen und Akteure vor. Eine Konsultationspflicht soll nur noch gegenüber relevanten Stakeholdern bestehen, deren Interessen unmittelbar betroffen sein müssen.

Anpassungen des CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM/Carbon Border Adjustment Mechanism)

  • Der Anwendungsbereich des zum Schutz der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung bzw. zur Verhinderung von Regulierungsarbitrage, insbesondere in Form der sog. Carbon Leakage, etablierten CO2-Grenzausgleichs wird durch Einführung einer dynamischen Formel zur Bestimmung der erfassten Importeure bzw. Einführer signifikant eingeschränkt.
  • Nach Art. 2 Abs. 3a CBAM-VO-E i.V.m. Anlage VII werden die betroffenen Einführer nur noch mittelbar und im Zeitablauf dynamisch bestimmt. Die optisch ansprechend formulierte Formel kann dahingehend zusammengefasst werden, dass so viele Einführer erfasst werden, dass mindestens 99 % der importierten CO2-Emissionen erfasst sind, also das Verhältnis aus erfassten importierten Emissionen und importierten Gesamtemissionen mindestens 99 % beträgt. Diese direkte Ansteuerung der Zielgröße ist einerseits theoretisch überzeugend, wird allerdings erst noch in der Praxis zu beweisen haben, ob sie nicht mit erheblichen Planungsunwägbarkeiten für Einführer verbunden ist.
  • Neben dieser grundsätzlichen Änderung der Grenzausgleichsmechanik sehen die Vorschläge zudem eine Reihe von Vereinfachungen des Verfahrens sowie hinsichtlich der bestehenden Berichtspflichten vor.
  • Verschärfte Missbrauchsbekämpfung: Während die Omnibus-Vorschläge rechtstreuen Einführern durch erhebliche Erleichterungen entgegenkommen, soll gleichzeitig die Effektivität des Grenzausgleiches durch verstärkte Bemühungen im Kampf gegen Missbrauch und Umgehungen abgesichert werden.

Schaffung zusätzlicher Investitionskapazitäten durch Stärkung des InvestEU (Omnibus II)

  • Neben den vorstehenden marktordnungsrechtlichen Maßnahmen enthalten die Omnibus-Vorschläge auch eher dem Bereich der Industriepolitik zuzurechnende Vorschläge in Gestalt einer Stärkung des Investitionsfonds InvestEU.
  • Vereinfacht sollen Erträge bzw. Rückflüsse aus älteren Investitionsinstrumenten der Europäischen Union dem aktuell zentralen Investitionsfonds InvestEU gemäß Verordnung (EU) 2021/523 zur Verfügung gestellt werden, um die Ausreichung weiterer direkter europäischer Investitionshilfen sowie von Garantien durch InvestEU zu ermöglichen. Die Kommission erhofft sich durch die Aufstockung der Finanzmittel von InvestEU ein zusätzliches Gesamtinvestitionsvolumen (unter Berücksichtigung der Beiträge von Privatrechtsakteuren) von 50 Mrd. EUR.

Ausblick

Entgegen dem in der Rezeption, aber auch der Begleitkommunikation der Kommission hervorgerufenen Eindruck wird man sich zunächst in Erinnerung zu rufen haben, dass es sich bei Omnibus I und II bisher um bloße Gesetzesinitiativen der Kommission handelt, die den regelmäßig steinigen Weg durch Trilog mit Rat und vor allem Parlament noch vor sich haben. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die CSRD. So bleibt zunächst die Pflicht zur Umsetzung der CSRD für den deutschen Gesetzgeber bestehen. Auch Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der lex lata, nicht aber den der Bilanz-RL in der Fassung des Omnibus I fallen würden, können gegenwärtig (noch) nicht mit Sicherheit darauf vertrauen, durch schnelle Umsetzung keiner CSRD-Berichterstattung zu unterliegen.

Insgesamt gehen die Ideen der Kommission nach hier vertretener Ansicht in die richtige Richtung, auch wenn die euphemistische Kommunikation der Kommission nicht zu verdecken mag, dass Gegenstand des Omnibusses in weiten Teilen die Rücknahme von Rechtsakten ist, die erst unlängst, teilweise erst in 2024 beschlossen worden sind. Die doch recht hektisch eingeführte und umfassende angelegte Nachhaltigkeitsregulierung hat bereits jetzt eine kaum beherrschbare Komplexität erreicht; allein die Kenntnis des einschlägigen Normenbestandes dürfte nur noch von Experten leistbar sein. Als Manko wird man es allerdings bezeichnen dürfen, dass sich der Omnibus stark auf das Instrument der Einschränkung des Anwendungsbereichs zurückzieht. Man vermisst eine stringente Nachschärfung des Rechtsregimes für die betroffenen Unternehmen, die am Paradigma der decision usefulness orientiert wäre. Allerdings durfte man dies auch kaum erwarten, wird man im Omnibus doch vor allem auch eine kurzfristige Reaktion auf die (späte) Erkenntnis sehen müssen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union erheblich zurückgegangen ist und man deshalb – auch aus psychologischen Motiven – kurzfristig ein deutliches Signal setzen wollte.

Hauptversammlungssaison 2025: Was erwartet uns?

Vor wenigen Tagen ist im Verlag Dr. Otto Schmidt das Handbuch börsennotierte AG in brandaktueller 6. Auflage erschienen. Über die Datenbanken des Verlags und von juris ist das Handbuch elektronisch bereits verfügbar. In der kommenden Woche soll es dann auch als gedrucktes Werk ausgeliefert werden. Ich freue mich, dass ich dazu abermals das Kapitel zur Hauptversammlung beisteuern konnte – einschließlich zweier gänzlich neuer Abschnitte speziell zur virtuellen HV (§ 38 und § 39). Aber auch in unzähligen anderen Punkten hat das eingespielte Team aus Verlag, Herausgebern und Autoren das renommierte Werk auf den aktuellen Stand gebracht. Wichtige Stichworte sind etwa die Börsenmantel-AG, die Wiedereinführung der Mehrstimmrechte, die Reform des Kapitalerhöhungsrechts, der EU Listing Act, die CSRD und die CSDDD.

Dabei könnte das Timing kaum besser sein – denn die HV-Saison 2025 hat just in diesen Tagen begonnen. Mit Siemens, TUI und thyssenkrupp haben erste Schwergewichte (mit abweichendem Geschäftsjahr) ihre ordentlichen Hauptversammlungen 2025 bereits hinter sich gebracht. Der Höhepunkt der Saison liegt wie immer im Mai. Dann hält bekanntlich der Großteil der DAX-, MDAX- und SDAX-Gesellschaften (mit regulärem Geschäftsjahr) seine Aktionärstreffen ab. Die rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.

Was erwartet uns nun in der HV-Saison 2025?

Präsenz oder virtuell?

Die Frage des HV-Formats spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle:

Erstens geht es darum, welches Format die Unternehmen in der soeben eingeläuteten HV-Saison 2025 nutzen. Das ist noch nicht in jedem Fall absehbar. Der Rückblick auf die Jahre 2023 und 2024 zeigt, dass im DAX mit einem Verhältnis von 3:1 das virtuelle Format dominierte. Im MDAX hingegen hielten sich physische und virtuelle Veranstaltungen in beiden Jahren die Waage. Und im SDAX sowie außerhalb der wesentlichen DAX-Indizes überwog sehr klar: das Präsenzformat. Daraus lässt sich ableiten, dass in erster Linie sehr große deutsche Börsenunternehmen das virtuelle Format schätzen und nutzen – namentlich aufgrund der Kostenvorteile, der besseren Planbarkeit und der potenziell größeren Reichweite. Mittelgroße und kleinere Aktiengesellschaften, mit oder auch ohne Listing, stellen hingegen oftmals andere Erwägungen in den Vordergrund. Diese Interessenlage und damit auch das empirische Gesamtbild dürften sich in der Saison 2025 nicht grundlegend verschieben. Einige Unternehmen werden zwar das Versammlungsformat wechseln: So möchten etwa SAP und BASF nach zwei Jahren der Präsenz erstmals das neue virtuelle Format testen. Umgekehrt plant beispielsweise die Deutsche Börse erstmals seit der Pandemie wieder ein physisches Aktionärstreffen. Solche Wechsel in beide Richtungen gab es aber auch schon im Vorjahr. Auf das Gesamtbild hatten sie keine spürbaren Auswirkungen.

Zweitens steht, ähnlich wie in den Vorjahren, auch das „Wie“ beider Formate in Rede. Im Präsenzformat geht es dabei um freiwillige digitale Zusatzangebote für die Aktionäre. Zu denken ist etwa an eine Übertragung der Veranstaltung im Internet oder in einem zugangsgeschützten HV-Portal. Ferner an eine elektronische Briefwahl bis in die HV hinein – ähnlich wie im virtuellen Format. SAP hat hier in den vergangenen beiden Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen. Andere könnten sich in diesem Jahr daran orientieren. Für das virtuelle Format gibt es hingegen nur wenige echte Stellschrauben. Im Kern dreht sich hier alles um die Modalitäten des Fragerechts. Viele Aktionäre erwarten einen Live-Austausch mit dem Management. Das gilt auch für ihre Fragen und deren Beantwortung. Die allermeisten Unternehmen haben sich hierauf schon in den Vorjahren eingestellt. Das Gegenmodell, also das Einsammeln aller Fragen im Vorfeld der HV, nutzten hingegen nur wenige Gesellschaften. Dies im Übrigen mit stetig abschmelzender Tendenz. Die Deutsche Bank hat jüngst angekündigt, für ihre virtuelle HV 2025 nunmehr ebenfalls auf Live-Fragen umzustellen. Damit dürfte das „Fragenvorfeld“ sich für die aktienrechtliche Praxis erledigt haben. Es war stets aktionärsfreundlich gemeint. Bei Aktionärsschützern und in der Presse kam es aber leider niemals gut an.

Schließlich und drittens: Nahezu alle börsennotierten Gesellschaften müssen die Aktionäre in der Saison 2025 um eine neue Ermächtigung ersuchen, ihre HV bei Bedarf auch künftig rein digital abzuhalten. Hintergrund ist, dass die Notstandsgesetze der Coronazeit im Jahr 2022 ausgelaufen sind und der Gesetzgeber mit dem VHVG 2022 für das virtuelle Format einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Seither steht das virtuelle Format nicht mehr kraft Gesetzes zur Verfügung. Vielmehr muss die jeweilige Satzung eine HV im Internet, ohne physische Anwesenheit der Aktionäre, selbst vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen. Beides geht nur befristet auf maximal fünf Jahre – ähnlich wie beim genehmigten Kapital. Abweichend davon wurden die Ermächtigungen im Jahr 2023 aber zumeist nur für zwei Jahre vorgeschlagen und beschlossen – denn so forderten es mächtige Stimmrechtsberater, Investoren und Aktionärsschützer.

Deren Anforderungen haben sich seither eher noch verschärft. Es bleibt darum dabei, dass bei breitem Streubesitz eine Laufzeit der Ermächtigung von mehr als zwei Jahren kaum durchsetzbar sein wird – und entsprechend moderat fallen auch die diesjährigen Beschlussvorschläge aus. Schwer könnte sich auch tun, wer seit dem Ende der Coronapandemie ausnahmslos das virtuelle Format genutzt hat und daran in absehbarer Zukunft auch nichts ändern möchte. Dann kann sich im Aktionärskreis erheblicher Widerstand formieren. Erste Beispiele aus diesem Jahr belegen dies eindrucksvoll: So haben bei Siemens und TUI die Beschlussvorschläge für eine neue Ermächtigung die erforderliche (allerdings jeweils auch qualifizierte) Mehrheit verfehlt. Beide Unternehmen müssen demnach im kommenden Jahr in Präsenz tagen. Anders hingegen bei thyssenkrupp: Eine Präsenzversammlung im vergangenen Jahr sicherte hier die notwendige Unterstützung der Stimmrechtsberater und Investoren. Ähnlich dürfte es sich bei Infineon verhalten. Dort hat das Management für das kommende Jahr 2026 eine Präsenzversammlung in Aussicht gestellt. Auf diese Weise ließ sich ein positives Votum des einflussreichen Stimmrechtsberaters ISS erreichen. Die eigentliche HV steht bei Infineon allerdings noch bevor.

Say on Pay

Viele Unternehmen müssen im Jahr 2025 überdies den Say on Pay einholen. Gemeint sind damit die Beschlüsse der HV sowohl über das Vorstandsvergütungssystem als auch über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder. Denn hierfür sieht das Gesetz eine Vorlage wenigstens im vierjährigen Turnus vor. Zuvor ist es erforderlich, das bestehende System sorgsam auf Überarbeitungsbedarf zu überprüfen. Zwar hat sich der gesetzliche Rahmen in den vergangenen Jahren kaum verändert. Gleiches gilt für die flankierenden Empfehlungen im Corporate Governance Kodex. Die Erwartungen der Investoren und Stimmrechtsberater sind jedoch erheblich gestiegen. Von besonderer Bedeutung ist es, das Vergütungssystem für den Vorstand überzeugend auf die Strategie des Unternehmens abzustimmen – und mit der Strategie wiederum muss, je nach Aktionärskreis, der Spagat zwischen unterschiedlichen und teilweise sogar gegensätzlichen Investorenerwartungen gelingen. Das gilt vor allem in puncto ESG. Aus europäischer Sicht ist der Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten weiterhin, wenn nicht sogar mehr denn je eine wichtige Richtschnur. Demgegenüber gerät er in den USA als strategisches Ziel zunehmend unter Druck. Der jüngst vermeldete Ausstieg zahlreicher US-Unternehmen, US-Banken und US-Investoren aus Klimaallianzen macht dieses Dilemma besonders sichtbar.

Say on Climate

Aus demselben Grund dürfte der sogenannte Say on Climate in der HV-Saison 2025 allenfalls eine Nebenrolle spielen. Es besteht keine gesetzliche Pflicht, die Aktionäre über die Klima- und Umweltpolitik des Unternehmens abstimmen zu lassen. Folgerichtig können die Aktionäre einen solchen Beschlusspunkt auch nicht rechtsverbindlich verlangen. Zwei deutsche Börsenunternehmen, die Alzchem Group und die GEA Group, haben in den Jahren 2023 bzw. 2024 auf freiwilliger Basis ein Aktionärsvotum hierzu eingeholt – und dies auch mit großem Erfolg. Andere Unternehmen zeigen sich in diesem Punkt allerdings zurückhaltend. Das galt schon vor den US-Wahlen im November 2024. Jedoch wird die Zurückhaltung durch deren Ergebnis sowie den dadurch massiv beschleunigten „ESG-Backlash“ noch verstärkt. Die gute Nachricht ist aber: Auch auf Investorenseite spürt man aktuell offenbar kein echtes Bedürfnis nach einem Say on Climate. Der Beschlusspunkt wird also kaum einmal offensiv eingefordert, schon wegen der hohen Komplexität des Themas sowie auch deshalb, weil das bloße Prozedere einer Aktionärskonsultation für sich genommen keinerlei klima- oder umweltschützende Wirkung versprechen dürfte.

Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers

Die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht ist überfällig. Eigentlich hätte sie bis Mitte des Jahres 2024 stattfinden müssen. Gleichwohl haben mehrere Unternehmen schon im vergangenen Jahr – sei es auch nur vorsorglich – ihre HV einen Prüfer für den erwarteten Nachhaltigkeitsbericht 2024 wählen lassen. Zu nennen sind aus dem DAX40 namentlich Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Post, E.ON, Fresenius, MTU Aero Engines, Münchener Rück, SAP und Symrise. Demgegenüber setzte die Mehrheit der Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Hoffnung noch in eine gesetzgeberische Übergangslösung. Diese ist aber nunmehr – ebenso wie die Umsetzung der CSRD insgesamt – auf unabsehbare Zeit vertagt. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission kürzlich unter dem Stichwort „Omnibus“ eine Konsolidierung und Komprimierung der CSRD, der CSDDD, der Taxonomie-VO sowie weiterer „grüner“ Regelwerke in Aussicht gestellt hat. Gleichwohl dürfte die Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers auch in der Saison 2025 auf zahlreichen Tagesordnungsordnungen stehen – vermutlich sogar noch öfter als im Jahr 2024. Infineon jedenfalls verfährt so, ebenso wie zuvor schon Siemens, TUI, thyssenkrupp und thyssenkrupp nucera. So lassen sich die Weichen für den Nachhaltigkeitsbericht 2025 zumindest in diesem Punkt frühzeitig stellen.

Nachhaltigkeitsbericht 2024

Davon unabhängig stellt sich die Frage, wie die Unternehmen für ihr jüngst abgelaufenes Geschäftsjahr 2024 über Nachhaltigkeit berichten werden, nachdem die Umsetzung der CSRD weiter auf sich warten lässt. Die CSRD als solche hat als europäische Richtlinie keine unmittelbare Wirkung für oder gegen die Unternehmen. Fakt ist aber, dass börsennotierte Unternehmen bereits seit vielen Monaten, wenn nicht sogar deutlich länger, ihren Nachhaltigkeitsbericht 2024 in mühevoller Detailarbeit vorbereitet haben. Die Texte sind auf dem Papier und wollen verwendet werden. Eine denkbare Lösung ist es, den vorbereiteten Nachhaltigkeitsbericht (auch) als nicht-finanziellen Bericht im Sinne der CSR-Richtlinie 2014 und des CSR-RL-UmsG 2017 zu etikettieren und zu veröffentlichen – mit den neuen ESRS als Referenzrahmenwerk. Zahlreiche Unternehmen entscheiden sich für diesen Weg, auch um hierauf im kommenden Jahr wieder aufsetzen zu können. Demgegenüber erwägen andere, es für 2024 bei einem „klassischen“ nicht-finanziellen Bericht schlankeren Zuschnitts bewenden zu lassen. Beide Wege sind rechtlich und unternehmenspolitisch vertretbar. Eine einheitliche Praxis wird erst das CSRD-UmsG herbeiführen – wenn und sobald es denn kommt.

Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind günstig – Der Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit der EU

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die EU-Kommission am 29.1.2025 eine Strategieanpassung in dem Format eines Fünfjahresplans vorgelegt, der insbesondere auf eine Änderung der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO abzielt. Der Beitrag stellt die Kommissionsvorschläge dar und geht dabei auch auf die Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts ein.

Hintergrund: Letta- und Draghi-Report

Bestimmten bis in die jüngste Vergangenheit Green Deal und im Unternehmensrecht insbesondere die Sustainable Finance-Strategie der EU praktisch ausschließlich oder weitgehend die Brüsseler Agenda, hat spätestens in Reaktion auf die Ergebnisse des Letta-Berichts (Letta, Much more than a market) sowie des Draghi-Reports (Draghi, The future of European competitiveness), die jeweils den massiven und konstanten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten und China quasi offiziell bestätigen, ein Umdenken eingesetzt.

Bereits in der Budapester Erklärung vom 8.11.2024 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und die Kommission eine umfassende Rekalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU durch einen den Green Deal ergänzenden „New Deal“ zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit angekündigt. Unmittelbare Relevanz aus Sicht des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts hat dabei die als kurzfristig umzusetzende Maßnahme vorgestellte „Einleitung eines revolutionären Vereinfachungsprozesses, der für einen klaren, einfachen, und intelligenten Regelungsunternehmen für Unternehmen sorgt und den Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand, insbesondere für KMU, drastisch verringert.“ Den Umfang der Reduzierung der von Unternehmen zu beachtenden Berichtspflichten taxiert die Budapester Erklärung auf mindestens 25 Prozent, wobei auch und insbesondere die Berichtspflichten nach Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) und des Nukleus des europäischen Nachhaltigkeitsrechts, der Taxonomie-VO, Gegenstände der beabsichtigten Vereinfachungen bilden sollen.

Der Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die Kommission nunmehr die in Budapest angekündigte Strategieanpassung in dem – etwas gewöhnungsbedürftigen – Format eines Fünf-Jahresplans vorgelegt (EU-Kommission, A Competitiveness Compass for the EU v. 29.1.2025, COM (2025) 30 final). Auf einer Meta-Ebene identifiziert der Kompass zunächst die notwendigen Bedingungen (transformational imperatives to strengthen competitiveness) für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der EU (Innovationskraft, Versöhnung von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit, „de-risking“) und die dazu erforderlichen Einzelschritte (flagship actions). Flankiert werden diese übergeordneten Ziele und das zu ihrer Verwirklichung vorgesehene Maßnahmenbündel durch sog. horizontale Ermöglicher von Wettbewerbsfähigkeit (horizontal enablers of competitiveness), u.a. die signifikante Reduktion der bestehenden Regulierungsdichte. Zu letzterem zählt auch der bereits in der Budapester Erklärung in Aussicht gestellte Omnibus-Rechtsakt zur Verschlankung der voluminösen und voraussetzungsvollen Pflichten der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO. Hinzu tritt eine Modifikation des Anwendungsbereichs von CSRD und CS3D durch Schaffung einer neuen Größenklasse für Unternehmen, sog. „kleine mittelgroße Unternehmen“ (small mid-caps), die gleichfalls dem Ziel verpflichtet ist, die Bürokratiekosten für als small-mid caps zu qualifizierende Unternehmen zu senken. Der Vorschlag für den Omnibus-Rechtsakt soll bereits im Februar 2025 vorgelegt werden.

Konkretisierung der Zielvorgaben

Auch wenn der Kompass im Übrigen grundsätzlich noch keine Details offenbart, lassen sich aus den Verlautbarungen anlässlich und im Nachgang der Budapester Erklärung vorsichtige Rückschlüsse auf voraussichtliche oder doch zumindest mögliche Inhalte ziehen. Besondere Bedeutung besitzt insoweit u.a. die praktisch zeitgleich mit dem Kompass publik gewordene Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts (Note des autorités Francaises – Propositions des mesures pour l’agenda européen de simplification réglementaire et administrative, 20.1.2025 (NAF)). Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil man konstatieren dürfen wird, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Frankreich die Rolle der Leitjurisdiktion für die EU-Gesetzgebung übernommen hat und zudem Eingabe und Kompass ersichtlich im Wissen umeinander entstanden sein dürften. Im Folgenden werden einige der unternehmensrechtlich zentralen Positionen von Kompass und NAF vorgestellt.

Small mid-cap / enterprise de taille intermédiare – Neue Größenklasse für Unternehmen i.S.d. § 267 HGB

Kompass und NAF stimmen zunächst in der Empfehlung einer zusätzlichen Größenkategorie im europäischen Unternehmensrecht überein, wobei die NAF über das Strategiepapier der Kommission hinausgehend auch die empfohlenen Qualifikationsmerkmale benennt. Grenzwerte für das Vorliegen eines small mid-cap bzw. enterprise de taille intermédiare (ETI) sollen danach sein: (1) Umsatzerlöse von nicht mehr als 1,5 Milliarden Euro, (2) Bilanzsumme von nicht mehr als 2 Milliarden Euro und (3) im Jahresdurchschnitt zwischen 250 und 500 Arbeitnehmer. ETI nach dem französischen Vorschlag wären entsprechend zwischen mittelgroßen (§ 267 Abs. 2 HGB) und großen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) anzusiedeln. Gleiches dürfte auch für die small-mid caps des Kompasses gelten, auch wenn die Namensgebung (small mid-cap) selbst eine Verortung als kleine mittelgroße Kapitalgesellschaft, also zwischen § 267 Abs. 1 und Abs. 2 HGB zuließe.

CS3D – (Moratorium und) Revision

Besonders bemerkenswert ist, dass Frankreich, also der Mitgliedstaat, der mit der Verabschiedung des Loi de Vigilance (Loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre) einen wesentlichen Impuls für das europäische Lieferkettenregime gesetzt hat, sich bezüglich der CS3D in einem ersten Schritt für eine Verschiebung des Inkrafttretens auf unbestimmte Zeit ausspricht. Das damit gewonnene Zeitfenster soll insbesondere dazu genutzt werden, um die folgenden als notwendig erachteten Korrekturen umzusetzen: (1) Klarstellung, dass die durch die Kommission zu erlassenden Mustervertragsklauseln und Leitlinien dem Umstand Rechnung zu tragen haben, dass Sorgfaltspflichten in der Lieferkette reine Prozesspflichten sind, (2) Neuvermessung von Anwendungsbereich und gestaffeltem Inkrafttreten der CS3D – auch unter Berücksichtigung der neuen Größenklasse der „small mid-caps“, (3) Harmonisierung der Überwachung der CS3D, etwa durch Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsbehörde, die primär eine beratende und vermittelnde Funktion haben soll, (4) Ergänzung eines ausdrücklichen Konzernprivilegs, wonach die Konzernspitze die CS3D-Pflichten gruppenweit mit entlastender Wirkung für ihre Töchter wahrnehmen kann, sowie (5) die Streichung von Art. 36 Abs. 1 CS3D, d.h. Verzicht auf ein Sonder-Lieferkettenregime für den Finanzsektor. Sowohl NAF als auch Kompass stellen zudem wirksame Vorkehrungen gegen den sog. „trickle-down“-Effekt in Aussicht; mit trickle-down wird dabei der Umstand beschrieben, dass Unternehmen, die nicht vom Anwendungsbereich der CS3D erfasst werden, faktisch die Sorgfaltspflichten der CS3D beachten müssen, weil sie ihnen von verhandlungsstarken Zulieferern oder Abnehmern vertraglich auferlegt werden. Ob sich die Kommission für den weitreichenden Vorschlag einer zeitlich unbegrenzten Aussetzung der CS3D offen zeigt, wird man mit einem Fragezeichen versehen müssen. Trotz aller Kritik haben die EU-Institutionen die CS3D durchgängig als Leuchtturmprojekt beworben, zudem wird die Haltung des EP, das hinsichtlich der Lieferkettenverantwortung von Unternehmen noch deutlich weitergehende Vorstellungen hat, zu berücksichtigen sein. Einigungsfähig erscheinen demgegenüber u.a. vorsichtige Korrekturen zur Verhinderung des Trickle-Down-Effekts, da es der Logik des gestuften Anwendungsbereichs der CS3D entspricht, dass kleinere Unternehmen nicht (der vollen Last) der CS3D-Sorgfaltspflichten ausgesetzt werden.

CSRD

Voraussichtlich mit wesentlichen Modifikationen wird für den Bereich der CSRD zu rechnen sein. Im Zentrum dürfte dabei weniger die Richtlinie selbst als vielmehr die überaus breit geratene Ausformung der Berichtspflichten durch EFRAG stehen. Die NAF, die insoweit nicht weit von den Überlegungen der Kommission entfernt sein sollte, spricht sich bei grundsätzlicher Unterstützung für die CSRD für die folgenden Modifikationen aus: (1) erhebliche Reduzierung der berichtspflichtigen Datenpunkte und Fokussierung auf klimarelevante Aspekte, (2) Übernahme der Kategorie der small mid-caps in die CSRD mit einem proportional gestalteten Reporting-Programm, (3) Einschränkung der Berichtspflichten in der Lieferkette auch und gerade für große Unternehmen, um den Trickle-down-Effekt (s.o.) zu verhindern sowie (4) die Neuformulierung des ESRS E1 Abs. 1, um klarzustellen, dass die Offenlegungspflichten für sich keine Verpflichtung begründen, einen mit dem Pariser Klimaabkommen zu vereinbarenden Emissionsreduktionsplan aufzustellen.

Taxonomie

Vereinfachungen werden zudem von Kompass wie auch NAF für die Taxonomie-VO erwogen, die als Referenzsystem der Sustainable Finance-Regulierung der EU verbindlich festlegt, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig qualifiziert werden kann (vgl. Art. 1 Abs. 1 EU/2019/2088). Abzuwarten bleibt, an welchen Stellen diesbezüglich angesetzt wird, krankt die Taxonomie-VO doch an einer Reihe von nicht zuletzt technischen Schwächen (vgl. Ekkenga/Posch, WM 2021, 205). Große Erwartungen sind diesbezüglich allerdings kaum gerechtfertigt, findet doch der Umfang der Taxonomie seine Ursache letztlich in dem gesetzgeberischen Ziel, jede denkbare Erscheinungsform wirtschaftlichen Handels individuell unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu klassifizieren.

Fazit

Die Sentenz aus den Seneca zugeschriebenen Epistulae morales aufgreifend wird man im Strategiepapier einen ersten Schritt zur notwendigen Kalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU sehen dürfen. Aufgenommen wird damit die nicht unberechtigte verbreitete und wachsende Kritik in Wirtschaft und Wissenschaft an Frequenz, Procedere und Regulierungstiefe der Brüsseler Gesetzgebung (gegen einen Revisionsprozess bzw. eine Verwässerung von CSRD und CS3D haben sich allerdings u.a. Ferrero, Nestlé und Unilever positioniert). Auch der grünen Transformation verpflichtete Regeln und Maßnahmen binden Ressourcen, ziehen Allokationseffekte nach sich und sind deshalb einem Test auf Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit zu unterziehen. Dass muss gerade im Politikfeld nachhaltiger Wirtschaft gelten. Die Vieldeutigkeit und Komplexität von Begriffen wie „grün“ oder „nachhaltig“ implizieren bereits für sich ausladende Regelwerke (Taxonomie-VO), so dass eine Konzentration auf Wesentliches von zentraler Bedeutung ist. Als echtes Manko wird man deshalb das Fehlen eines umfassenden Bekenntnisses zu einem reduzierten Regelungsumfang und -tempo bezeichnen müssen. Im Gegenteil stellt der Kompass eine Vielzahl weiterer Verordnungen und Richtlinien in Aussicht. Dass selbst das grundsätzlich regulierungsfreudige Frankreich (planification) einen harten Stopp, sollte auch in Brüssel aufhorchen lassen. Jenseits echter geopolitischer Notwendigkeiten sollte tunlichst ein Rückfall in die wenig erfolgreichen Phasen aktiver Industriepolitik mittels immer kleinteiligerer Regulierung vermieden werden.

Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts durch die HV 2024 vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes? (Teil 2 – Deep Dive)

In einem Blog-Beitrag v. 13.2.2024 haben sich die Autoren zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts durch die HV 2024 vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes geäußert. In diesem Beitrag gehen die Autoren noch näher auf die Entscheidungsgrundlage und -möglichkeiten der betroffenen Unternehmen ein – insbesondere warum der „Vorratsbeschluss“ das Mittel der Wahl sein kann.

Nichtstun und hoffen oder Vorratsbeschluss? – das ist die Frage, die sich derzeit zahlreiche große börsennotierte Unternehmen im Hinblick auf ihre diesjährige Hauptversammlung stellen. Große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, die in den nächsten Wochen – und damit noch vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens und Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes – ihre Hauptversammlung einberufen werden, stehen vor der Frage, ob sie die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts noch auf die Tagesordnung ihrer Hauptversammlung setzen oder später eine entsprechende gerichtliche Bestellung beantragen sollten (siehe hierzu den Blog-Beitrag v. 13.2.2024).

1. Die Krux und die Vertrauensfrage für Unternehmen

Die Krux für die betroffenen Unternehmen ist wie folgt:

  • Wenn die Hauptversammlung keinen (Vorrats-)Beschluss über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts fasst und der Gesetzgeber keine taugliche Übergangsregelung schafft, dann müsste der Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts gerichtlich bestellt werden. Ein solcher Antrag könnte – de lege lata und so wie es auch die derzeitige unveröffentlichte Fassung des Referentenentwurfs des CSRD-Umsetzungsgesetzes vorsieht – erst nach dem Ablauf des Geschäftsjahres 2024 gestellt werden (vgl. § 318 Abs. 4 HGB, § 324d HGB-E) und es wäre möglich, dass das Gericht sehr spät etwa erst im März 2025 hierüber entscheidet und ggf. sogar nicht dem Kandidatenvorschlag des Vorstands folgt, sondern einen anderen WP oder eine andere WPG zum Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts bestellt. Da der (Konzern-)Nachhaltigkeitsbericht Bestandteil des (Konzern-)Lageberichts sein wird, bestünde auch das Risiko, dass die Rechnungslegungsunterlagen nicht mehr innerhalb der 90-Tagesfrist (vgl. Empfehlung F.2 DCGK) offengelegt werden können und ggf. sogar die 4-Monatsfrist zur Übermittlung an das Unternehmensregister (vgl. § 325 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 1a HGB) nicht eingehalten werden kann.
  • Bei einem Vorratsbeschluss der Hauptversammlung über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts wäre hingegen – wie bei allen HV-Beschlüssen – nicht ausgeschlossen, dass ein Aktionär diesen mit einer Nichtigkeits- und/oder Anfechtungsklage angreift. Bei der im Blog-Beitrag v. 13.2.2024 vorgeschlagenen Ausgestaltung des Hauptversammlungsbeschusses dürften allerdings sowohl das Risiko einer solchen Klageerhebung als auch die Erfolgsaussichten einer Beschlussmängelklage sehr gering sein. Sollte tatsächlich eine Beschlussmängelklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss erhoben werden, dann wäre zudem nach der Gerichtspraxis und der h.M. eine gerichtliche Bestellung des Prüfers während der anhängigen Beschlussmängelklage möglich. Eine solche (absichernde) gerichtliche Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts könnte sich aber auch erübrigen, falls der Gesetzgeber (noch) eine Übergangsregelung vorsehen sollte, wonach der Abschlussprüfer als der Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts für das Geschäftsjahr 2024 gilt, soweit die Hauptversammlung bei diesem Bestellungsbeschluss nichts Abweichendes beschließt. Sollte eine dann noch anhängige Beschlussmängelklage wider (jegliches) Erwarten durchgreifen und den Hauptversammlungsbeschluss rückwirkend beseitigen, so hätte dies (wenn überhaupt) wohl nur geringe Folgen für die Reputation der Gesellschaft, da der Vorratsbeschluss und die Bestellung eines Nachhaltigkeitsprüfers im wohlverstandenen Unternehmensinteresse und ganz im Sinne der Aktionärsdemokratie erfolgten. Und schließlich bestünde zudem die Möglichkeit, den Tagesordnungspunkt betreffend die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts bis zum Beginn der Hauptversammlung noch abzusetzen, wenn das Gesetzgebungsverfahren eine Übergangsregelung erwarten lässt, die eine entsprechende Beschlussfassung der Hauptversammlung obsolet werden ließe. Mit einem Vorratsbeschluss auf der Tagesordnung würde die Gesellschaft also auch Zeit gewinnen, um dann hoffentlich in der komfortableren Situation zu sein, nicht blind auf eine taugliche Übergangsregelung des Gesetzgebers zu hoffen.

Wie sich betroffene Unternehmen entscheiden, ist daher letzten Endes auch eine gewisse Frage des Vertrauens in die Arbeit des Gesetzgebers und der Registergerichte, nämlich zum einen ob der Gesetzgeber eine taugliche Übergangsregelung für die (erstmalige) Bestellung des Prüfers in Bezug auf den Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2024 schafft und, falls nicht, ob das jeweils zuständige Registergericht den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts zügig und gemäß dem Antrag des Vorstands bestellt. Bei Zweifeln und entsprechender Folgenabschätzung kann auch ein sorgfältig zu gestaltender Vorratsbeschluss das Mittel der Wahl sein (siehe hierzu den Formulierungsvorschlag im Blog-Beitrag v. 13.2.2024) – zumal man sich anderenfalls ggf. der Frage von Aktionären, Stimmrechtsberatern und institutionellen Investoren stellen muss, warum man die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts gerade nicht auf die Tagesordnung gesetzt hat und nicht die Aktionäre hierüber entscheiden lässt.

2. Warum der „Vorratsbeschluss“ das Mittel der Wahl sein kann

Die Nichtigkeitsgründe für Hauptversammlungsbeschlüsse sind im Interesse der Rechtssicherheit im Gesetz abschließend geregelt (vgl. § 241 AktG: „nur dann nichtig, wenn“). Ungeschriebene Nichtigkeitsgründe gibt es nicht (Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 241 AktG Rz. 10). Die Nichtigkeitsfolge ist damit im Beschlussmängelrecht die Ausnahme.

Gemäß § 241 Nr. 3 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nur dann nichtig, wenn er mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. Der Tatbestand des § 241 Nr. 3 AktG ist von einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt und es gibt insbesondere keine allgemein akzeptierte Definition dessen, was das „Wesen der Aktiengesellschaft“ ausmacht (vgl. Austmann in MünchHdb/AG, 5. Aufl. 2020, § 42 Rz. 12). Der BGH spricht von den „Grundprinzipien des Aktienrechts“, ohne allerdings erkennen zu lassen, welche der drei Tatbestandsvarianten des § 241 Nr. 3 AktG er dabei im Blick hat (BGH. 20.9.2004 – II ZR 288/02, NJW 2004, 3561, 3562 = AG 2004, 673). Nach dem OLG München liegt ein Verstoß gegen das Wesen der AG vor, „wenn gegen einen fundamentalen Grundsatz des aktuell geltenden Aktienrechts verstoßen wird, der nicht bereits durch eine speziellere Regelung geschützt bzw. sanktioniert wird und dieser Verstoß auch unter Berücksichtigung der Wertung des Gesetzgebers, wonach die Nichtigkeit die Ausnahme eines Rechtsverstoßes darstellt, die Nichtigkeit nach sich ziehen soll“ (OLG München v. 14.11.2012 – 7 AktG 2/12, NZG 2013, 459, 461 = AG 2013, 173).

Nichtig wegen Verstoßes gegen das Wesen der Aktiengesellschaft sind nach h.M. kompetenzüberschreitende Hauptversammlungsbeschlüsse, die in die Zuständigkeit eines anderen Gesellschaftsorgans eingreifen (vgl. Englisch in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 241 AktG Rz. 66: „Angelegenheit ausschließlich der Kompetenz eines anderen Organs zugeordnet“; Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 241 AktG Rz. 16: „Verletzung der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen den Organen“; Drescher in BeckOGK/AktG, Stand: 1.10.2023, § 241 AktG Rz. 238: „Beschluss fällt in die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Organs“; Koch, ZHR 182 [2018], 378, 389 f.: „Kompetenzverletzungen zu Lasten anderer Gesellschaftsorgane“; hingegen weniger deutlich, aber i.E. auch Koch, 17. Aufl. 2023, § 241 AktG Rz. 17; Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 62).

Unseres Erachtens greift ein Beschluss der Hauptversammlung über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes nicht in die Kompetenz eines anderen Gesellschaftsorgans ein. Der Aufsichtsrat ist weder nach derzeitiger Rechtslage noch nach Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes dafür zuständig, den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts zu bestellen. De lege lata ist der Aufsichtsrat zwar befugt, eine (freiwillige) externe inhaltliche Überprüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung i.S.d. §§ 289b, 315b HGB zu beauftragen (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 4 AktG) – eine Befugnis, über die der Aufsichtsrat im Übrigen (nur) verfügt, weil der von der Hauptversammlung zu bestellende Abschlussprüfer keine (verpflichtende) inhaltliche Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung vornimmt (vgl. § 317 Abs. 2 Satz 4 HGB). Um den Prüfer der nichtfinanziellen Berichterstattung geht es aber vorliegend nicht, sondern um den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts im Sinne der CSRD, für den die CSRD eine externe Prüfung durch den Abschlussprüfer oder – nach Wahlmöglichkeit des jeweiligen Mitgliedstaats – einen anderen (Abschluss-)Prüfer oder einen sog. unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen vorsieht.

Wenn man die Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses – abseits eines Eingriffs in die Kompetenz eines anderen Gesellschaftsorgans – allein damit begründen wollte, dass die Hauptversammlung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (noch) nicht über die Kompetenz zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts verfügt, weil sie ihr im Gesetz (bislang) nicht (ausdrücklich) zugeordnet ist (vgl. § 119 Abs. 1 AktG), wäre dies wegen des Ausnahmecharakters der Nichtigkeit sehr fraglich und unseres Erachtens nicht ausreichend.

Damit käme allenfalls eine Anfechtungsklage wegen vermeintlicher Unzuständigkeit der Hauptversammlung für die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes infrage.

Dagegen könnte allerdings argumentiert werden, dass die für die Bestellung des Abschlussprüfers zuständige Hauptversammlung (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 5 AktG) erst recht auch für die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts zuständig sein muss (argumentum a maiore ad minus). Denn wenn die Hauptversammlung bereits für die Bestellung des Abschlussprüfers zuständig ist und der Abschlussprüfer auch den Lagebericht prüfen muss (vgl. § 316 Abs. 1 HGB), der zukünftig um den Nachhaltigkeitsbericht als weiteren prüfungspflichtigen Gegenstand zu erweitern ist, dann muss – in dem (starren) Organisationsgefüge bestehend aus Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung – dieser Hauptversammlungsbefugnis auch die Kompetenz zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts immanent sein.

Darüber hinaus kann das Risiko einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage dadurch minimiert werden, dass der Hauptversammlungsbeschluss über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts (i) mit Wirkung zum Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes gefasst wird und (ii) seine Durchführung nur für den Fall angeordnet wird, dass ein für das Geschäftsjahr 2024 zu erstellender Nachhaltigkeitsbericht extern durch einen von der Hauptversammlung zu bestellenden Prüfer zu prüfen ist (siehe hierzu den Formulierungsvorschlag im Blog-Beitrag v. 13.2.2024).

Der Beschluss wird also nur wirksam, wenn das CSRD-Umsetzungsgesetz in Kraft tritt und die entsprechende Bestellungskompetenz der Hauptversammlung ausdrücklich zuweist; ansonsten entfaltet der Beschluss keinerlei Rechtswirkungen. Eine Kompetenzüberschreitung durch die Hauptversammlung wäre daher unseres Erachtens fernliegend. Zudem ist mit einer solchen Ausgestaltung des Beschlusses auch dessen Vereinbarkeit mit der Rechtslage nach dem CSRD-Umsetzungsgesetz sichergestellt.

Darüber hinaus kann der Beschluss während der Schwebezeit bis zum Eintritt der Wirksamkeitsvoraussetzung auch nicht mit einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage angegriffen werden (Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 16; Austmann in MünchHdb/AG, 5. Aufl. 2020, § 42 Rz. 13).

Die „grüne“ Taxonomie: Komplex, weitreichend und in stetiger Weiterentwicklung

Seit dem Inkrafttreten der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 im Juli 2020 (s. Reich, AG 2020, R236; Wollenhaupt/Zeibig, DB 2021, Beilage 02 zum Heft 20, S. 42) beginnt sich die Sprache im Umfang mit Nachhaltigkeit in Finanzprodukten und vor allem bei der Bewertung von Anlagezielen und Investmentstrategien zu wandeln. Wurden nachhaltige Finanzprodukte bis vor kurzem ausschließlich mit individuell festgelegten ökologischen und sozialen Merkmalen konzipiert, müssen sich zukünftig Unternehmen des Kapitalmarktes, Finanzproduktanbieter und Kapitalgeber/Investoren den neuen Begriffen wie „ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten“, „Do no significant harm“, „soziale Mindestkriterien“, „taxonomie-fähig“ und „taxonomie-konform“ auseinandersetzen.

Die Einstufung einer Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig ist u.a. die Grundlage für zukünftige Transparenzanforderungen, die sich zum einen aus der Taxonomie-Verordnung selbst, zum anderen aus Rechtsakten, die sich wiederum auf die Taxonomie-Verordnung beziehen, ergeben. Zu nennen sind hier als Beispiele die Offenlegungs-Verordnung (EU) 2019/2088 (hierzu etwa Reich, AG 2021, R100; Reich, AG 2022, R4; Wollenhaupt/Zeibig, DB 2021, Beilage 02 zum Heft 20, S. 42), der Entwurf der Corporate Sustainability Reporting Directive (s. Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, DB 2021, 2301; Hommelhoff, DB 2021, 2437; Scheffler, AG 2021, R167) oder die Änderungen zu MiFID II (vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2021/1253; dazu Hanke, ZIP 2022, 62; Reich, AG 2022, R24; s. ferner Delegierte Richtlinie (EU) 2021/1269).

Durch die Taxonomie-Verordnung werden die Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, festlegt. Über weitere delegierte Rechtsakte sollen die sog. technischen Bewertungskriterien definiert werden. Seit 9.12.2021 liegen diese für die Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ vor (vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139; dazu Reich, AG 2021, R235; Reich, AG 2022, R41 und ein Beitrag im Gesellschaftsrechts-Blog).

Die Europäische Kommission hat bislang nicht für jede Wirtschaftstätigkeit technische Bewertungskriterien festgelegt. Sie fokussiert sich zunächst darauf, nur die Wirtschaftstätigkeiten zu berücksichtigen, welche eine besondere Relevanz für das Ziel haben, die europäischen CO2-Emissionen zu reduzieren. So kommt es, dass auf der einen Seite energieintensive Branchen wie die Stahl- und Aluminiumerzeugung und auf der anderen Seite Branchen wie die Land- und Forstwirtschaft im „Katalog“ zur Einstufung der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten enthalten sind (Überblick bei Reich, AG 2022, R41, R42 f.). Die technischen Bewertungskriterien für die beiden oben genannten Umweltziele sind bereits zum 1.1.2022 anzuwenden.

Für das Jahr 2022 werden von der Europäischen Kommission die Entwürfe für die technischen Bewertungskriterien der anderen vier Umweltziele – a) nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, b) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, c) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und d) der Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme – erwartet. Diese sollen dann ab dem 1.1.2023 zur Anwendung kommen.

Neben dem hier beschriebenen und vielfach als „Green Taxonomy“ bezeichneten Klassifikationssystem befindet sich auch eine „Social Taxonomy“ in der Entwicklung. Die von der Europäischen Kommission eingesetzte Expertengruppe „Platform on Sustainable Finance“ erarbeitete 2021 einen ersten Entwurf, der zur Konsultation gestellt wurde (vgl. dazu Reich, AG 2021, R328). Die eingegangenen Rückmeldungen wurden bewertet, so dass ein Abschlussbericht zur Ausgestaltung der Social Taxonomy in absehbarer Zeit erwartet werden kann. Mit ihr sollen Kriterien festgelegt werden, mit denen Investoren in die Lage versetzt werden sollen, Kapital in sozial nachhaltige Investitionen zu lenken.

In der AG berichten wir regelmäßig über den aktuellen Stand zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeits-Taxonomie und über Sustainable Finance-Aktivitäten (s. etwa Reich, AG 2021, R179; Reich, AG 2021, R219; Reich, AG 2021, R265 und den Beitrag im Gesellschaftsrechts-Blog). Einen aufschlussreichen Überblick über ESG-Themen finden Sie auch in der Beilage 02 zum DB-Heft 20/2021.

Say on Climate

ESG als globaler Trend

Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).

All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?

Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen

Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.

Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen

Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.

A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.

Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage,  inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.

Sustainable Finance: Die nachhaltige Transformation der Finanzwirtschaft und des Kapitalmarkes

Sustainable Finance, Nachhaltigkeit, Klimarisiken – Begriffe, die zunehmend in den Wortschatz der Akteure in der Finanzwirtschaft und am Kapitalmarkt übergehen. Dennoch bleiben vor dem Hintergrund der nicht immer in Einklang miteinander verlaufenden nationalen wie europäischen Regulierungsvorhaben und Nachhaltigkeitsbestrebungen viele Fragen für die Umsetzung neuer Anforderungen offen. Auch deshalb ist Sustainable Finance ein Themenkomplex, der in Bezug auf die Regulierung einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und Konkretisierung ausgesetzt ist.

Bereits 2018 formulierte die Europäische Kommission mit ihrem „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ die drei Ziele: (1) Kapitalströme hin zu nachhaltigeren Investitionen lenken zu wollen, (2) Nachhaltigkeitsaspekte stärker im Risikomanagement zu verankern und (3) Transparenz und Langfristigkeit zu fördern. Seitdem sind diverse Legislativvorschläge veröffentlicht, Konsultationen durchgeführt und Änderungen diskutiert und manche sogar schon verabschiedet worden.

Im April 2021 stellte die Europäische Kommission ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket vor. Unter dem Titel „EU Sustainable Finance April package“ wurden regulatorische Vorschläge gebündelt, die drei Bereiche umfassen:

  1. die delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie (EU Taxonomy Climate Delegated Act),
  2. den Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Proposal for a Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – dazu Scheffler, AG 2021, R167) sowie
  3. sechs delegierte Änderungsakte zu den treuhänderischen Pflichten, zu Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Finanzprodukten sowie zur Anlage- und Versicherungsberatung.

Nur knapp zwei Wochen später veröffentlichte die Bundesregierung ihre Deutsche Sustainable Finance-Strategie. Die als „wegweisende Strategie für nachhaltige Finanzierung“ beschriebene Strategie geht auf die Empfehlungen des Sustainable Finance-Beirates zurück, der Ende Februar 2021 konkrete Vorschläge und Ideen an die Bundesregierung adressierte. Der Report des Beirates „Shifting the Trillions – Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ umfasste 31 Empfehlungen, die nun in die Sustainable Finance-Strategie der Bundesregierung eingeflossen sind.

Mit der Deutschen Sustainable Finance-Strategie nimmt die Bundesregierung die europäischen Bestrebungen auf und lenkt so ihren Fokus darauf, mit der Umsetzung der Strategie die notwendigen Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit mobilisieren zu können und Klimarisiken für das Finanzsystem zu adressieren. Als Rahmen für die Strategie wurden fünf Ziele definiert:

  1. Sustainable Finance weltweit und europäisch voranbringen;
  2. Chancen ergreifen, Transformation finanzieren, Nachhaltigkeitswirkung verankern;
  3. Risikomanagement der Finanzindustrie gezielt verbessern und Finanzmarktstabilität gewährleisten;
  4. Finanzstandort Deutschland stärken und Expertise ausbauen;
  5. Bund als Vorbild für Sustainable Finance im Finanzsystem etablieren.

Die in der Sustainable Finance-Strategie formulierten 26 Maßnahmen erstrecken sich beispielsweise auf die Umschichtung der Kapitalanlagen des Bundes hin zu nachhaltigeren Anlageformen, auf eine Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte oder auf umfassendere Berichtspflichten für Unternehmen. 25 der insgesamt 26 Maßnahmen sollen kurz- und mittelfristig umgesetzt werden. Der enge Zeitplan unterstreicht den Ehrgeiz der Bundesregierung, mit dieser Strategie ihren Beitrag für einen sozial-ökologischen Wirtschaftsumbau zu leisten. Denn die Europäische Kommission schätzt den notwendigen Investitionsbedarf allein in diesem Jahrzehnt in Europa auf rund 350 Mrd. € pro Jahr.

Die umfassende Auseinandersetzung der Autorin mit den Inhalten des „EU Sustainable Finance April package“ sowie der Deutschen Sustainable Finance-Strategie erfolgt in den kommenden AG-Heften.

Corona-Krise – Auswirkungen auf Jahresabschluss und Lagebericht

Viele börsennotierte Unternehmen haben ihren Jahresabschluss zum 31.12.2019 bereits im Februar 2020 aufgestellt und die Prüfung ist beendet. In diesem Fällen schlagen sich die Folgen des Coronavirus meist nur in einer kurzen Bemerkung im Chancen- und Risikobericht nieder. Anders ist dies bei der mittelständischen GmbH, bei der die Erstellung und Prüfung des Jahresabschlusses aktuell meist noch nicht abgeschlossen ist und somit in eine Zeit fällt, in der die massiven wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie deutlich werden. Daher stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich für den Jahresabschluss zum 31.12.2019 oder gar bei vom Kalenderjahr abweichendem Geschäftsjahr bspw. auf den 31.3.2020 ergeben.

  1. Wertbegründendes oder wertaufhellendes Ereignis

Für den Jahresabschluss gilt grds. das Stichtagsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Bei der Frage, ob ein Vermögensgegenstand in der Bilanz auszuweisen ist und zu welchem Wert er anzusetzen ist, sind alle Umstände zu berücksichtigen, die am Bilanzstichtag objektiv gegeben sind. Umstände, die erst nach dem Abschlussstichtag eintreten, sind bei der Bilanzierung oder Bewertung nicht zu berücksichtigen (wertbeeinflussende Tatsachen). Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass zwar erste Infektionen in China bereits 2019 bestanden, aber erst der sprunghafte Anstieg der Ausweitung der Infektion ab Januar 2020 zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hat und damit das Auftreten des Coronavirus als weltweite Gefahr wertbegründend einzustufen ist und dementsprechend die bilanziellen Konsequenzen im Jahresabschluss zum 31.12.2019 noch nicht zu ziehen sind.

  1. Grundsatz der Unternehmensfortführung

Allerdings erlangt die Bilanzierungsgrundregel, wonach der Jahresabschluss grds. unter Annahme der Fortführung des Unternehmens (Going-Concern-Konzept) aufzustellen ist, besondere Beachtung. Dies insbesondere, weil bei dieser Prüfung wertbegründende Ereignisse nach dem Stichtag bis zur Feststellung des Jahresabschlusses, die zu einem Wegfall der Fortführungsannahme führen, auf den Jahresabschluss zurück zu beziehen sind – Durchbrechung des Stichtagsprinzips. Dieser über den Bilanzstichtag hinausgehende Betrachtungszeitraum muss in der aktuellen Lage Anlass sein, die Frage, ob die Going-Concern-Annahme aufrechterhalten werden kann, sehr sorgfältig abzuwägen und dies entsprechend zu dokumentieren, denn alleine die behördlichen Einschränkungen für manche Branchen oder die Nichterreichbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von Absatzmärkten müssen als Indizien für eine mögliche Durchbrechung der Fortführungsprognose gewertet werden. Insoweit muss in bestimmten Branchen aktuell davon ausgegangen werden, dass nicht nur allgemeine Unternehmensrisiken bestehen, sondern dies bestandsgefährdende Ausmaße annimmt. Dies erfordert dann zwingend die Erstellung einer Fortführungsprognose.

Bei prüfungspflichtigen Unternehmen ist die Anwendbarkeit der Going-Concern-Prämisse Prüfungsgegenstand. Insofern muss in Zweifelsfällen die Unternehmensführung ausreichende Nachweise für die der Aufstellung des Jahresabschlusses zu Grunde gelegte Annahme beibringen.

Im Mittelpunkt steht eine detaillierte Liquiditätsvorschau auf Basis einer Unternehmensplanung, insbesondere in Gestalt einer Produktions-/Absatzplanung. Umfang und Tiefe der Fortführungsprognose wird durch Umfang und Komplexität der Geschäftstätigkeit und die bestehenden Risiken im konkreten Fall bestimmt. Dabei sind in der aktuellen Situation insbesondere zu berücksichtigen:

  • Rahmenbedingungen der Bundesländer hinsichtlich der Einschränkungen beruflicher Betätigungen in Form von angeordneten Betriebsschließungen oder besonderen Hygienemaßnahmen;
  • Einschränkungen hinsichtlich ausländischer Beschaffungs- oder Absatzmärkte;
  • bereits zugesagte oder zumindest ausreichend sichere Hilfen des Staates;
  • Maßnahmen zur Reduktion von Kosten, wie Kurzarbeit, wegfallende Aufwendungen, Abreden mit Vermietern über die Herabsetzung oder Stundung von Mietzahlungen oder bspw. Abreden mit Banken über die Stundung von Kreditraten;
  • Maßnahmen zur Sicherung der Tätigkeit, wie vermehrter Onlinehandel, Home-Office der Mitarbeiter und Vorbereitung auf die Phase, in der unter hygienischen Auflagen Tätigkeiten wieder aufgenommen werden dürfen;
  • zu berücksichtigen sind die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020 (hierzu Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633; Thole, ZIP 2020, 650);
  • einer besonders sorgfältigen Erstellung der Fortführungsprognose bedarf es dann, wenn das Unternehmen bereits vor der Corona-Pandemie wirtschaftliche Schwierigkeiten hatte.

Zu Ansatz und Bewertung bei Abkehr von der Going-Concern-Prämisse, siehe auch Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 4571, 4630, 4661.

  1. Berichtspflichten im Anhang

Bestehen wesentliche Unsicherheiten, die Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können, und werden diese nicht spätestens bis zum Zeitpunkt der Beendigung der Aufstellung des Abschlusses ausgeräumt, so erfordert dies eine Angabe im Anhang (hierzu IDW PS 270 n.F. Rz. 9).

Des Weiteren ergibt sich regelmäßig eine Berichtspflicht im Rahmen der Nachtragsberichterstattung im Anhang. Hierzu Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 2328.

M.E. besteht in der aktuellen Wirtschaftslage eine Erläuterungspflicht im Anhang für nahezu alle Unternehmen, insbesondere wenn Produktionsausfälle bestehen oder die Tätigkeit aufgrund behördlicher Auflagen aktuell nicht ausgeübt werden kann. Dies gilt erstrecht dann, wenn vorstehende Aspekte zusammen treffen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens bereits vor der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Aufgrund der Breitenwirkung der aktuellen wirtschaftlichen Krise ist m.E. auch im Falle der Nichtbetroffenheit des Unternehmens eine aussagekräftige Negativanzeige angezeigt. Art und Umfang der Angabepflicht sind dann unternehmensindividuell zu prüfen.

  1. Auch bei Einstufung der Corona-Pandemie als wertbegründendes Ereignis können sich bilanzielle Auswirkungen ergeben

Auch kann selbst dann, wenn sich durch die Corona-Pandemie auf Grund einer Einstufung als wertbegründendes Ereignis noch keine unmittelbaren bilanziellen Auswirkungen auf den Jahresabschluss zum 31.12.2019 ergeben, dies zum Anlass genommen werden, den Ermessensspielraum bei Ansatz und Bewertung hin zu einer vorsichtigen Bilanzierung zu nutzen, um Vorsorge für die in 2020 eintretenden Belastungen zu treffen. Insoweit erlangt die Bilanzpolitik im Jahresabschluss zum 31.12.2019 eine besondere Rolle.

  1. Lagebericht

Die aktuellen Entwicklungen müssen sich regelmäßig in der Risikoberichterstattung des Lageberichts niederschlagen. Im Einzelfall können die aktuellen Rahmenbedingungen natürlich auch Chancen bringen, die dargestellt werden müssen. So bspw. bei einem Medizintechnikunternehmen oder einem Onlineversand.

Auch ist die Prognoseberichterstattung (voraussichtliche Entwicklung der Kapitalgesellschaft mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken) an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die aktuell bestehende große Unsicherheit ist ggf. über verschiedene Zukunftsszenarien abzubilden.

Siehe zu alledem in Kürze auch Schiffers in GmbHR 10/2020.

Mehr zum Autor: WP/StB Prof. Dr. Joachim Schiffers ist Partner der Warth & Klein Grant Thornton AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Zu aktuellen Hilfestellung rund um die Thematik „Corona-Krise“: https://www.wkgt.com/themen/