Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Bestimmung des Streitgegenstands und die Wirkungen einer unzulässigen Urteilsergänzung geht es in dieser Woche.

Schadensersatz wegen Planungsmängeln
Urteil vom 21. Februar 2019 – VII ZR 105/18

Mit einem gründlich misslungenen Versuch, ein Versehen durch ein „Ergänzungsurteil“ zu korrigieren, befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte den beklagten Ingenieur mit Planungsleistungen für eine Tiefgarage beauftragt. Nach Fertigstellung des Gebäudes erwies sich die Bodenplatte als undicht. Die Klägerin warf dem Beklagten einen Planungsfehler vor und verlangte von ihm Ersatz der voraussichtlich anfallenden Kosten für den Austausch der Bodenplatte in Höhe von 532.000 Euro. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Klägerin könne aufgrund des festgestellten Planungsmangels einen Vorschuss auf die erforderlichen Aufwendungen zur Beseitigung des Mangels verlangen. Dagegen wandten sich der Beklagte mit der Berufung und die Klägerin mit der Anschlussberufung. Auf Antrag der Klägerin erließ das LG später ein „Ergänzungsurteil“, in dem es ausführte, der zugesprochene Betrag stehe der Klägerin als Schadensersatz zu. Die Beklagte legte gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel ein. Das OLG wies die Berufung als unbegründet zurück und verwarf die Anschlussberufung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, aufgrund des nicht angefochtenen Ergänzungsurteils stehe bindend fest, dass die Klageforderung in vollem Umfang begründet sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG entfaltet das Ergänzungsurteil des LG keine Bindungswirkung, weil es ohne verfahrensrechtliche Grundlage ergangen ist. Für eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO war kein Raum, weil das LG bereits in seinem ursprünglichen Urteil vollständig über den Streitgegenstand entschieden hat. Die Klage betrifft einen Anspruch auf Schadensersatz, weil sie auf einen Planungsmangel gestützt ist und der Kläger nicht die Beseitigung dieses Mangels, sondern den Ersatz eines aus diesem resultierenden Folgeschadens begehrt. Das ursprüngliche Urteil des LG betrifft diesen Lebenssachverhalt, auch wenn es das Begehren rechtlich unzutreffend als Vorschussanspruch qualifiziert hat. Mit dieser Einordnung hat das LG dem Klagebegehren zwar nicht vollständig entsprochen, weil die Klägerin über erhaltene Vorschüsse später abrechnen muss. Auch insoweit ist das ursprüngliche Urteil aber nicht unvollständig, sondern inhaltlich unzutreffend. Das OLG wird sich deshalb nach Zurückverweisung mit der Begründetheit des Klagebegehrens zu befassen haben.

Praxistipp: Nach der neuen Rechtsprechung des BGH ist der Übergang von einer „echten“ Vorschussklage zu einer auf denselben Mangel gestützten Klage auf Schadensersatz gemäß § 264 Nr. 3 ZPO ebenfalls nicht als Klageänderung anzusehen (BGH, Urt. v. 22.2.2018 – VII ZR 46/17, Tz. 53 – BGHZ 218, 1 = MDR 2018, 465).

Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei allgemeine prozessrechtliche Fragen geht es in dieser Woche.

Drittwiderklage gegen den Zedenten
Urteil vom 11. Oktober 2018 – I ZR 114/17

Mit einer nicht alltäglichen Reaktion auf ein verbreitetes prozesstaktisches Mittel befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte auf Vermittlung des beklagten Versicherungsmaklers eine Hausratversicherung für eine von ihm und seiner Ehefrau genutzte Wohnung abgeschlossen. Einige Monate später wurden bei einem Einbruch in die Wohnung Wertsachen und Bargeld aus einem Tresor entwendet. Die Versicherung erstattete dem Kläger aufgrund einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen „Tresorklausel“ insgesamt nur 21.000 Euro. Der Kläger warf dem Beklagten unzureichende Beratung vor und klagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Erstattung des restlichen Schadens, den er mit rund 168.000 Euro bezifferte. Der Beklagte trat der Klage entgegen und beantragte im Wege der Drittwiderklage die Feststellung, dass auch der Ehefrau keine Ansprüche zustehen. Klage und Widerklage hatten in erster Instanz teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rund 114.000 Euro. Die Widerklage wies es als unbegründet ab, weil der Ehefrau aufgrund der wirksamen Abtretung an den Kläger keine Ansprüche mehr zustünden.

Die nur hinsichtlich der Drittwiderklage zugelassene Revision des Beklagten hat Erfolg. Der BGH spricht antragsgemäß die Feststellung aus, dass der Ehefrau über den dem Kläger zugesprochenen Betrag hinaus keine weitergehenden Ansprüche aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt zustehen. Mit dem OLG hält der BGH eine Drittwiderklage gegen den Zedenten einer eingeklagten Forderung für zulässig, weil eine dem Kläger negative Entscheidung nur dann zu Lasten des Zedenten Rechtskraftwirkung entfaltet, wenn die Abtretung wirksam war und nicht wirksam angefochten wird, und der Beklagte in der Regel nicht zuverlässig beurteilen kann, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Abweichend vom OLG ist ein solcher Widerklageantrag in der Regel dahin auszulegen, dass es nur um den Bestand der Forderung im Zeitpunkt der Abtretung geht. Die Entscheidung über die Drittwiderklage hat deshalb inhaltlich der Entscheidung über die Klage zu folgen. Die Drittwiderklage ist nur insoweit abzuweisen, als die Klage Erfolg hat. Soweit die Klage abgewiesen wird, ist hingegen die mit der Drittwiderklage begehrte Feststellung auszusprechen. Die Wirksamkeit der Abtretung ist hierbei grundsätzlich nur dann zu prüfen, wenn diese Frage auch für die Entscheidung über die Klage klärungsbedürftig ist. Letzteres war hier nicht der Fall, weil die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung nicht bestritten hat.

Praxistipp: Mit der vom BGH zugelassenen Drittwiderklage gegen den Zedenten kann der Beklagte den vom Kläger mit einer Abtretung häufig angestrebten Vorteil, nämlich die Möglichkeit, den Zedenten als Zeugen zu benennen, in praktisch allen Konstellationen zunichtemachen.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Beschluss vom 28. Februar 2019 – II ZR 16/18

Der III. Zivilsenat strebt eine Änderung der Rechtsprechung an.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten in Anspruch genommen. Nach Zahlung des Klagebetrags durch die Haftpflichtversicherung hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Der III. Zivilsenat des BGH will die Revision der Beklagten zurückweisen. Er sieht sich daran durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenats gehindert, der vor nicht allzu langer Zeit (Beschluss vom 21. Juni 2017 – XII ZB 231/17, Tz. 11 – MDR 2017, 1441) die gleiche Auffassung vertreten hat wie das LG im Streitfall. Der III. Zivilsenat hält demgegenüber die Auffassung des OLG für zutreffend, weil die Unzuständigkeit des AG im Zeitpunkt der Erledigung durch einen Verweisungsantrag behoben werden konnte und deshalb nicht zur Abweisung der Klage geführt hätte. Deshalb hat er beim XII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung festhält.

Praxistipp: Sollte der XII. Zivilsenat bei seiner Auffassung bleiben, wäre der Große Zivilsenat des BGH zur Entscheidung der Rechtsfrage berufen.

Zur Pfändbarkeit von Haustieren

Die im Auftrag der Stadt Ahlen vorgenommene Pfändung des Mopses Edda, u.a. wegen ausstehender Hundesteuer macht derzeit Schlagzeilen. Während Nutz- und Hilfstiere sehr umfassenden Pfändungsschutz nach § 811 ZPO genießen (dazu hier), gibt es für Haustiere in der Tat Ausnahmen:

  • 811c
    Unpfändbarkeit von Haustieren

(1) Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden, sind der Pfändung nicht unterworfen.

(2) Auf Antrag des Gläubigers lässt das Vollstreckungsgericht eine Pfändung wegen des hohen Wertes des Tieres zu, wenn die Unpfändbarkeit für den Gläubiger eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der Belange des Tierschutzes und der berechtigten Interessen des Schuldners nicht zu rechtfertigen ist.

 

Die Pfändung darf also nur durch ein Gericht und jedenfalls nur dann zugelassen werden, wenn das Tier einen hohen Wert hat. Tierschutz, Gläubiger- und Schuldnerinteresse sowie Wert des Tieres müssen zueinander in Relation gebracht werden – kommt es dabei durch die Unpfändbarkeit zu einer ungerechtfertigten Härte für den Gläubiger, ist nach § 811c Abs. 2 ZPO auch das Haustier pfändbar.

Es ging dem Gesetzgeber bei dieser erst 1990 eingeführten Regelung um die emotionale Beziehung zwischen Mensch und Haustier und um den Tierschutz. Die Ausnahme in Absatz 2 wollte lediglich die Folgen eines zu weitgehenden Pfändungsverbotes zu vermeiden (BT-Drucks. 11/5463, S. 7). Es war also nur an wenige Fälle gedacht, in denen der Schuldner das Pfändungsverbot letztlich bewusst ausnutzt. Ansonsten sollte es nach der Neuregelung (anders als in der Vorgängerregelung des § 811 Nr. 14 ZPO aF) gerade nicht mehr auf den Wert des Tieres ankommen. Ein Fall, in dem ein vorhandenes Affektionsinteresse des Schuldners hinter dem Zugriffsinteresse des Gläubigers zurücksteht, ist insofern kaum vorstellbar. Zu beachten sind außerdem die Belange des Tierschutzes, das heißt insbesondere die Folgen, die es für das Tier hat, aus seiner gewohnten Umgebung herausgenommen zu werden. „Die Tiere“ werden inzwischen auch durch das Grundgesetz ausdrücklich geschützt, Art. 20a GG. Mögen sie auch keine Grundrechtssubjekte sein, so ist doch erforderlich, dass eine Maßnahme des einfachen Rechts mit dem Tierschutzgedanken in Einklang steht. Es ist nicht vorstellbar, dass diese Voraussetzungen vorlagen, ja, dass sie bei einem sozialisierten Haushund – dessen Domestizierung bis zur Hochkultur des Mopses begann wahrscheinlich vor mehr als 100.000 Jahren – überhaupt vorliegen können. Ohne dass die Details der Abwägungsentscheidung im Falle des Mopses Edda näher bekannt sind, bedeutet das, dass seine Pfändung nach geltendem Recht rechtswidrig war.

Übrigens: Dass es sich um eine Pfändung durch die öffentliche Hand wegen einer Steuerforderung handelte, macht keinen entscheidenden Unterschied. Sowohl die Abgabenordnung (§ 295 AO) als auch die Verwaltungsvollstreckungsgesetze Bund/Land (§ 5 VwVG/§ 27 VwVG NRW) verweisen auf § 811 c ZPO. Nur dass eben an Stelle des Vollstreckungsgerichts die Vollstreckungsbehörde entscheidet – hier lag wohl das Problem. Es geht auch im Zwangsvollstreckungsrecht um Gesetzesinterpretation und nicht nur um -exekution.

Mops Edda hätte bei richtiger Gesetzesauslegung nicht gepfändet werden dürfen.

BGH: Kostenerstattung im Befangenheitsverfahren

Im Rahmen einer Erbstreitigkeit erstattete ein Sachverständiger ein Gutachten zur Testierfähigkeit der Erblasserin. Die Kläger lehnten den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Beklagten nahmen Stellung. Das LG wies den Befangenheitsantrag zurück. Die von den Klägern gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde wies das OLG zurück und legte den Klägern die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens auf.

Im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens bezüglich des anschließenden Kostenfestsetzungsverfahrens stellte sich jetzt die Frage, ob die Beklagten von den Klägern die ihnen im sofortigen Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten erstattet verlangen können. Dies ist nach Auffassung des BGH (Beschl. v. 7.11.2018 – IV ZB 13/18, MDR 2019, 189) der Fall.

Das Ablehnungsverfahren bezüglich Richter und Sachverständige gehört für den Rechtsanwalt gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG zur Instanz. Im sofortigen Beschwerdeverfahren entsteht jedoch eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG. Dies ist noch klar. Es wird allerdings darüber diskutiert, ob diese Gebühr zu den erstattungsfähigen notwendigen Kosten des Rechtsstreites zählt (§ 97, § 91 ZPO). Teilweise wird dies nur bejaht, wenn sich die Gegenpartei am sofortigen Beschwerdeverfahren auch tatsächlich beteiligt hatte. Der BGH geht hingegen – mit der h. M. – davon aus, dass grundsätzlich ein Erstattungsanspruch besteht. Für die Richterablehnung wurde dies bereits in einer Grundsatzentscheidung bejaht (Beschl. v. 6.4.2005 – V ZB 25/04, MDR 2005, 1016). Diese Entscheidung ist auf die hier vorliegende Fallgestaltung übertragbar. Das Befangenheitsverfahen berührt nicht nur die Interessen der ablehnenden Partei. Vielmehr kann auch der Gegner ein berechtigtes Interesse daran haben, dass die Feststellungen des Sachverständigen bestehen bleiben.

Der Umstand, dass bei einer erfolgreichen sofortigen Beschwerde umgekehrt kein Kostenerstattungsanspruch besteht, ändert daran nichts. Ob ein Rechtsanwalt die von ihm vertretene Partei darauf hinweisen muss, dass bei einer Vertretung im Rechtbeschwerdeverfahren gesonderte Gebühren entstehen (was wohl eher zu verneinen ist), ist eine Frage, die im hiesigen Zusammenhang der Kostenerstattung nicht relevant ist.

Der Anfall der Gebühr setzt im Übrigen lediglich eine Beauftragung für die Beschwerdeinstanz voraus. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Rechtsanwalt die Partei auch im Ausgangsverfahren vertritt. Die Entgegennahme der Beschwerdeschrift ist dabei ausreichend. Es ist nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt auch Stellung nimmt. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Rechtsanwalt nach der Entgegennahme der Beschwerdeschrift prüft, ob nunmehr etwas veranlasst werden muss, insbesondere ob eine Stellungnahme abgegeben werden muss oder nicht.

Für die Praxis ist diese Rechtsfrage nunmehr verbindlich entschieden: Die außergerichtlichen Kosten der Gegenpartei des erfolglosen Beschwerdeführers im Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen gemäß § 406 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen notwendigen Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 1 i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine besondere Form der Veräußerung einer Mietwohnung geht es in dieser Woche.

Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einer vermieteten Wohnung an den anderen Miteigentümer
Beschluss vom 9. Januar 2019 –VIII ZB 26/17

Mit einem besonderen Aspekt des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin und ihr Ehemann waren Miteigentümer eines Zweifamilienhauses. Eine der Wohnungen vermieteten sie an den Beklagten. Später übertrug der Ehemann seinen Miteigentumsanteil auf die Klägerin, die dadurch Alleineigentümerin wurde. Wiederum später kündigte die Klägerin, die die andere Wohnung in dem Haus bewohnt, den Mietvertrag gemäß § 573a BGB. Der Beklagte zog erst aus, nachdem die Klägerin auf Räumung geklagt hatte. Das AG legte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO dem Beklagten auf. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Der BGH legt die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auf. Die Kündigungserklärung hätte durch die Klägerin und deren Ehemann gemeinsam erfolgen müssen. Der Ehemann ist mit der Veräußerung des Miteigentumsanteils nicht aus dem Mietvertrag ausgeschieden. § 566 Abs. 1 BGB ist nicht unmittelbar anwendbar, weil die Mietsache nicht an einen Dritten veräußert wurde. Eine entsprechende Anwendung scheidet mangels vergleichbarer Interessenlage aus. § 566 Abs. 1 BGB dient dem Zweck, den Erwerber an das Mietverhältnis zu binden. Dieser Zweck ist nicht berührt, wenn der Erwerber bereits Partei des Mietvertrags ist.

Praxistipp: In der gegebenen Konstellation darf die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden, weil das Verfahren nach § 91 ZPO nicht dazu dient, grundsätzliche Fragen des materiellen Rechts zu klären. Die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Zulassung ist für den BGH aber bindend.

Höchstgerichte zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung – Schwerpunkt der neuen Ausgabe der „Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ)”

Höchstgerichten kommt eine kaum zu überschätzende Rolle zu, wenn es darum geht, Recht zu sprechen, fortzubilden, Rechtsfrieden zu schaffen und dadurch Rechtssicherheit und -klarheit zu bewahren oder überhaupt erst herzustellen. Die Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen reicht häufig über den Einzelfall hinaus – sie werden rechtsgebietsübergreifend in vielfältiger Weise rezipiert. „Höchstgerichte zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung“ war das Thema der 4. Tagung junger ProzessrechtswissenschaftlerInnen im September 2018 in Wien, deren Beiträge nun Eingang in die vorliegende „Wiener Ausgabe“ gefunden haben.

Die Abhandlungen gruppieren sich zum ersten auf europäischer Ebene: Die im Spannungsfeld zwischen EuGH und den nationalen Höchstgerichten – mit ihren je unterschiedlichen Ausgangspositionen und Interessenlagen – stattfindende unionsrechtliche Rechtsfortbildung sieht PD Dr. Attila Vincze im Wechselspiel zwischen Mythos und Realität. Dr. Sina Fontana stellt am Beispiel des europäischen Asylsystems methodische Erwägungen zur Doppelrolle des EuGH bei Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung an, mit der der EuGH sich zwischen rechtspolitischen Impulsen und Stärkung der Rechtsdogmatik bewege. Der europäischen Entwicklungen im kollektiven Rechtsschutz nehmen sich Lukas Klever und Sebastian Schwamberger an, die damit die Hoffnung auf ein europäisches kollektives Rechtsschutzinstrument und wirkungsvolle nationale Umsetzungen verbinden.

Eine zweite Gruppe an Beiträgen widmet sich dem Widerstreit um die Zulassung(-sbeschränkungen) an die Höchstgerichte: Ass.-Prof. Dr. Nina Marlene Schallmoser geht den Rechtsprechungslinien des österreichischen Obersten Gerichtshofs auf dem Weg zu einem ausdehnenden, in anderen Bereichen zugleich einschränkenden Verständnis des strafrechtlichen Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsrechts nach. Einen besonderen dieser Rechtsbehelfe, die „Wahrungsbeschwerde“, untersucht Dr. Martin Stricker auf seine Bedeutung für Einzelfallgerechtigkeit und Systembildung. Lukas Hussmann blickt in die Schweiz und findet am dortigen Bundesgericht Beispiele für gelebte Transparenz zivilgerichtlicher Entscheidungsfindung, die trotz Beratungsgeheimnis und (noch) ohne dissenting opinions erreicht wird. Der öffentlichen Wahrnehmung gerichtlicher Verhandlungen nimmt sich auch Christian Trentmann an, der die neuen gesetzlichen Vorschriften zur Medienöffentlichkeit an deutschen obersten Bundesgerichten einer Analyse und Kritik unterzieht. Möglichen tektonischen Verschiebungen im Gefüge des österreichischen Grundrechtsschutzes durch den Parteiantrag auf Normenkontrolle („Gesetzesbeschwerde“) zum Verfassungsgerichtshof spürt schließlich Lukas Reiter nach. Abschließend bietet Prof. Dr. Olaf Muthorst eine Literaturdokumentation aktueller Beiträge zum Verfahrensrecht.

Im Sommer 2019 wird das Folgeheft erscheinen und sich neben den Höchstgerichten und ihrer Rolle in der Rechtsordnung auch weiteren aktuellen Fragen des Zivil-, Verwaltungs- und Strafverfahrensrechts widmen. Die GVRZ ist als Online-Zeitschrift über das juris-Zusatzmodul Hochschulen verfügbar.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um den Verjährungsbeginn bei Dauerhandlungen geht es in dieser Woche.

Verjährung des Anspruchs auf Unterlassung vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache
Urteil vom 19. Dezember 2018 – XII ZR 5/18

Eine in Literatur und Instanzrechtsprechung umstrittene Frage entscheidet der XII. Zivilsenat.

Der Rechtsvorgänger des Klägers vermietete der Beklagten im Jahr 2010 zwei Stockwerke eines Gebäudes zum Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei. Die Beklagte nutzte ein Stockwerk von Beginn an als Wohnung. Nachdem der Kläger das Anwesen erworben hatte, beanstandete er die vertragswidrige Nutzung. Sein Angebot, den Mietvertrag zu ändern, lehne die Beklagte ab. Auf eine im Jahr 2016 erhobene Klage verbot das LG der Beklagten, das betreffende Stockwerk zu Wohnzwecken zu nutzen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Nutzung zu Wohnzwecken ist vertragswidrig und begründet nach erfolgter Abmahnung einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 541 BGB. Dieser verjährt zwar in der Regelfrist von drei Jahren. Entgegen einer in Instanzrechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung beginnt die Verjährung aber nicht zu laufen, solange die vertragswidrige Nutzung andauert. In gleichem Sinne hat der V. Zivilsenat bereits für einen Unterlassungsanspruch unter Wohnungseigentümern entschieden. Hinreichende Anhaltspunkte, aus denen sich eine Verwirkung des Anspruchs ergeben könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Praxistipp: Will der Mieter Verwirkung aufgrund getätigter Investitionen geltend machen, muss er Gegenstand, Zeitpunkt und Höhe der Investitionen konkret darlegen und aufzeigen, aufgrund welcher Umstände er auf eine Duldung der vertragswidrigen Nutzung vertrauen durfte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um einen speziellen Fall der Berufshaftung geht es in dieser Woche.

Hinweispflicht des Steuerberaters bei eigenem wirtschaftlichem Interesse
Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 176/16

Mit grundlegenden Fragen zur Haftung eines Steuerberaters befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die beiden beklagten Steuerberater hatten dem Kläger empfohlen, zur Steueroptimierung geschlossene Fonds zu zeichnen, und sich hierfür an eine Vermittlergesellschaft zu wenden. An dieser Gesellschaft waren die Beklagten mittelbar zu je einem Viertel beteiligt. Der Kläger zeichnete mehrere Schiffsfonds. Später nahm er die Beklagten wegen unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten überwiegend antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb zum größeren Teil ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Beklagten an das OLG zurück. Mit dem OLG ist der BGH allerdings der Auffassung, dass die Beklagten die ihnen als Steuerberater obliegenden Beratungspflichten verletzt haben. Ein Steuerberater ist zwar grundsätzlich auch dann nicht zur Beratung über nicht-steuerliche Aspekte verpflichtet, wenn er seinen Mandanten zum Zwecke einer steueroptimierenden Kapitalanlage an Dritte verweist. Er muss den Mandanten aber gegebenenfalls darüber informieren, dass für ihn mit der empfohlenen Kapitalanlage wirtschaftliche Vorteile verbunden sind. Anders als das OLG sieht der BGH die Beweislast dafür, dass die Kapitalanlage bei Erteilung des gebotenen Hinweises nicht erfolgt wäre, jedoch beim Kläger. Anders als in klassischen Fällen der Kapitalanlage verneint der BGH eine Umkehr der Beweislast, weil es  ungeachtet der besonderen Fallkonstellation um die Haftung eines Steuerberaters geht. Einen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers lehnt der BGH ebenfalls ab, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte.

Praxistipp: Ist der Schaden durch mehrere, in unterschiedlichen Jahren getroffene Investitionsentscheidungen verursacht, so läuft dennoch eine einheitliche Verjährungsfrist, wenn alle Investitionen allein auf der ursprünglichen Beratung beruhen. Anders ist es, wenn der Steuerberater jedes Jahr aufs Neue den gleichen Rat erteilt hat.

PKH-Bekanntmachung 2019 ist veröffentlicht

Das BMJV hat die neue PKH-Bekanntmachung 2019 bekannt gemacht. Dort sind die Freibeträge nach § 115 Abs. 1 ZPO im einzelnen betragsmäßig aufgeführt. Die Bekanntmachung ist im BGBl. 2018 I, S. 2707 veröffentlicht und ansteuerbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl118s2707.pdf%27%5D__1547022245219

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die rechtliche Einordnung eines durchaus verbreiteten Vertragstyps geht es im ersten Blog des Jahres 2019.

Vertrag über Anbringung von Werbung auf einem Kraftfahrzeug
Urteil vom 7. November 2018 – XII ZR 109/17

Mit der Abgrenzung zwischen Werk- und Mietvertrag befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Klägerin überlässt sozialen Institutionen unentgeltlich Kraftfahrzeuge zur Nutzung. Die Fahrzeuge sind mit Werbeflächen versehen, die die Klägerin interessierten Dritten gegen Entgelt zur Verfügung stellt. Der Beklagte hatte sich vertraglich verpflichtet, für die Überlassung einer solchen Werbefläche für fünf Jahre insgesamt 1.760 Euro netto zu zahlen. Die auf Zahlung dieser Vergütung gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Abweichend von den Vorinstanzen sieht er den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht als Werkvertrag an, sondern als Mietvertrag. Die wesentliche Verpflichtung der Klägerin erschöpft sich darin, dem Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Nutzung der Werbefläche im laufenden Geschäftsbetrieb der sozialen Institution für sich zu werben. Ein besonderer Erfolg, der zur Einordnung als Werkvertrag führen könnte, ist demgegenüber nicht vorgesehen.

Praxistipp: Verlängerungsklauseln in solchen Verträgen sind aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung in der Vergangenheit schon häufiger als unwirksam angesehen worden, vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.3.2018 – XII ZR 18/17.