Montagsblog: Neues vom BGH

Mit der rechtlichen Qualifikation eines nicht alltäglichen Vertragstyps befasst sich der III. Zivilsenat

Laufzeit eines Fernüberwachungsvertrags
Urteil vom 15. März 2018 – III ZR 126/17

Der III. Zivilsenat hatte die Wirksamkeit einer AGB-Klausel zu beurteilen, die für einen Fernüberwachungsvertrag eine Laufzeit von sechs Jahren vorsah.

Die Beklagte schloss mit der Klägerin für zwei Geschäftsstandorte einen so genannten Fernüberwachungsvertrag. Zu den von der Klägerin zu erbringenden vertraglichen Leistungen gehörten Lieferung, Installation und Instandhaltung von Bewegungsmeldern, einer Alarmtaste und einem Bedienteil, die Bereithaltung einer permanent besetzten Notruf- und Serviceleitstelle und die Benachrichtigung der Beklagten oder der zuständigen öffentlichen Stellen im Falle eines Alarms. Das monatliche Entgelt betrug rund 300 Euro inklusive Umsatzsteuer. Für die Laufzeit sah das Vertragsformular Ankreuzfelder für 24, 36, 48, 60 und 72 Monate vor; im Streitfall war das Feld für 72 Monate angekreuzt. Einen Tag nach Vertragsschluss kündigte die Beklagte die Vereinbarung. Die Klägerin verlangte das vertraglich vorgesehene Entgelt für die gesamte Laufzeit von sechs Jahren, rund 21.000 Euro. Das LG und das OLG sprachen ihr nur einen Teil des Entgelts für den ersten Monat zu, rund 70 Euro.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er den Vertrag als Dienstvertrag an. Die Klägerin hat sich zwar auch zur Gebrauchsüberlassung der vor Ort zu installierenden Geräte verpflichtet. Der Schwerpunkt der geschuldeten Leistung liegt aber auf der Überwachung der Geschäftsräume. Die – ungeachtet der mit den Ankreuzfeldern eingeräumten Wahlmöglichkeit – als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehende Vereinbarung über die Laufzeit ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Im unternehmerischen Verkehr gilt zwar nicht die in § 390 Nr. 9 Buchst. a BGB vorgesehene Höchstgrenze von zwei Jahren. Eine Laufzeit von sechs Jahren führt in der hier zu beurteilenden Konstellation aber zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden. Den von der Klägerin erhobene Einwand, nur bei dieser Vertragsdauer könne sie wirtschaftlich arbeiten, sieht der BGH mit den Vorinstanzen als nicht begründet an, weil die Klägerin ihre Kalkulation nicht offengelegt hat. Nach der gesetzlichen Regelung (§ 621 Nr. 3 BGB) durfte die Beklagte den Vertrag bis zum 15. jedes Monats zum Ende des Kalendermonats kündigen.

Praxistipp: Für die Frage, welche Laufzeit noch als angemessen angesehen werden kann, ist auch von Bedeutung, ob der Verwender im Gegenzug für eine längerfristige Bindung einen günstigeren Preis einräumt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Mit einer nicht allzu häufig relevanten, aber durchaus bedeutsamen Frage des Verfahrensrechts befasst sich die Entscheidung aus dem „Ostermontags-Blog“. Frohe Ostern!

Beauftragung eines Richters in überbesetztem Spruchkörper
Beschluss vom 25. Januar 2018 – V ZB 191/17

Mit einer Detailfrage zur internen Geschäftsverteilung in einem überbesetzten Spruchkörper befasst sich der V. Zivilsenat in einer Zurückweisungshaftsache.

Der aus Marokko stammende Betroffene war beim Versuch der Einreise von Österreich nach Deutschland festgehalten worden Das AG ordnete Haft zur Sicherung der Zurückweisung an. Die Beschwerde blieb im Wesentlichen erfolglos.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde des (inzwischen nach Marokko zurückgewiesenen) Betroffenen zurück. Er sieht es nicht als verfahrensfehlerhaft an, dass die Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz durch einen beauftragten Richter vorgenommen wurde, der an der Beschwerdeentscheidung nicht mitgewirkt hat. Ein aus mehreren Richtern bestehender Spruchkörper darf zwar nur diejenigen Mitglieder gemäß § 375 ZPO (bei Vernehmung oder Anhörung einer Partei iVm § 451 ZPO, vgl. BGH, B. v. 21.1.2016 – X ZB 12/15 Rz. 9 – MDR 2016, 417) mit einer Beweisaufnahme beauftragen, die nach dem internen Geschäftsverteilungsplan zur Mitwirkung in dem betreffenden Verfahren vorgesehen sind. Maßgeblich dafür ist aber nicht der Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung, sondern der Zeitpunkt der Beauftragung. Im Streitfall war der mit der Anhörung betraute Richter im maßgeblichen Zeitpunkt noch für das Verfahren zuständig.

Praxistipp: Wenn im Anschluss an eine nach diesen Grundsätzen unzulässige Beweisaufnahme eine mündliche Verhandlung stattfindet, sollte der Fehler ausdrücklich gerügt werden, um einen Rügeverlust nach § 295 ZPO zu vermeiden.

BGH: Wertersatz bei Widerruf von Dienstleistungsverträgen muss nicht zeitanteilig berechnet werden

Auch Verträge, die die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand haben, sind (zum Beispiel im Fernsabsatz) widerruflich. § 357 Abs. 8 BGB gibt vor, wie dann vorzugehen ist:

Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch aus Satz 1 besteht nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ordnungsgemäß informiert hat. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht der Anspruch nach Satz 1 nur dann, wenn der Verbraucher sein Verlangen nach Satz 1 auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist der vereinbarte Gesamtpreis zu Grunde zu legen. Ist der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen.

Im Falle einer Online-Partnervermittlung berechnete diese den Wertersatz, indem Sie prüfte, wieviele Kontakte dem Kunden vermittelt wurden, dies mit der Anzahl der versprochenen Kontakte verglich und hiervon einen 25%igen Abzug vornahm. Beispiel:Im Rahmen einer sechsmonatigen Mitgliedschaft zum Preis von 269,40 Euro garantierte der Anbieter dem Kunden fünf Kontakte. Da dem Kunden zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits 13 Kontakte vermittelt wurden, sollte nach Ansicht des Anbieters ein Wertersatz in Höhe der 269,40 EUR abzgl. 25% erfolgen.

Gegen dieses Vorgehen wandte sich die Verbraucherzentrale Hamburg, deren Revision gegen die erfolglose Berufung vor dem OLG Hamburg ebenfalls fruchtlos blieb. Das OLG Hamburg hatte die Zulässigkeit dieses Vorgehens damit begründet, dass der Anlaufaufwand bei Dienstleistungen wie hier durch die Erstellung eines Nutzerprofils unverhältnismäßig höher ist, als der Aufwand während der weiteren Laufzeit. Der BGH erkläre:

Die Vorschriften des Artikel 14 Absatz 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher und des § 358 Abs. 8 BGB ergeben keinen Anhaltspunkt, dass die von der Klägerin verlangte ausschließlich zeitanteilige Abrechnung vorgegeben ist. Vernünftige Zweifel an der Würdigung durch das Berufungsgericht bestehen nicht.

Für Unternehmer ergibt sich hieraus der Praxistipp, in gleicher Weise vorzugehen, wie diese Online-Partnervermittlung: Niedrigschwellige (Mindest-)Leistungsversprechen, die möglichst sehr schnell erfüllt werden, erhöhen den erzielbaren Wertersatzanspruch.

BGH, Beschl. v. 30.11.2017, I ZR 47/17

 

PKH-Bekanntmachung 2018 veröffentlicht

Das BMJV hat die Freibeträge 2018 für die Prozesskostenhilfe bekanntgemacht (BGBl. 2017 I, 4012).

Die Freibeträge lauten:

  • EUR 219 für Parteien, die Einkommen aus Erwerbstätigkeit beziehen (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO),
  • EUR 481 für die Partei, ihren Ehegatten oder Lebenspartner (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a ZPO),
  • EUR 383 bzw. EUR 364 bzw. EUR 339 bzw. EUR 275 für jede weitere Person, der die Partei aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht Unterhalt gewährt, je nach Alter (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2b).

 

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Der Strom der Entscheidungen reißt auch zum Jahreswechsel nicht ab. Allen Blog-Lesern wünsche ich ein erfolgreiches neues Jahr 2018!

Haftung des Anwalts für versehentlich versandte Selbstanzeige
Beschluss vom 9. November 2017 – IX ZR 270/16

Der IX. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zum normativen Schadensbegriff bei der Anwaltshaftung aus.

Die Klägerin hatte über mehrere Jahre hinweg Zahlungen an ihren Lebensgefährten zu Unrecht als Betriebsausgaben verbucht. Nach dem Tod des Lebensgefährten beauftragte sie den beklagten Rechtsanwalt mit der Vorbereitung einer Selbstanzeige, deren Freigabe sie sich ausdrücklich vorbehielt. Wegen eines Kanzleiversehens wurde die Selbstanzeige ohne Zustimmung der Klägerin an das Finanzamt versandt. Dieses setzte zusätzliche Steuern in Höhe von rund 70.000 Euro fest. Ferner entstanden der Klägerin Steuerberaterkosten in Höhe von rund 3.500 Euro. Die auf Ersatz dieser Beträge gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der Beklagte hat allerdings seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt, indem er zugelassen hat, dass die Selbstanzeige ohne Freigabe seitens der Klägerin an das Finanzamt versandt wurde. Hierdurch wurde auch ein Schaden verursacht, weil die Klägerin Steuern und Steuerberaterkosten zahlen musste. Bei wertender Betrachtung ist dieser Schaden aber nicht ersatzfähig, weil die Steuernachzahlungen in Einklang mit dem materiellen Recht standen. Das Interesse der Beklagten, ihr die Vorteile der eingetretenen Steuerverkürzung zu erhalten, ist nicht schutzwürdig. Deshalb kann die Beklagte auch nicht Ersatz der im Zusammenhang mit der Nachzahlung entstandenen Beraterkosten verlangen.

Praxistipp: Ein rechtlicher Berater darf sich vertraglich verpflichten, seinen Mandanten vor den Folgen einer Steuerstraftat zu schützen. Er darf es aber nicht übernehmen, dem Mandanten die Früchte einer vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren.

Bürgschaft und Stillhalteabkommen
Urteil vom 28. November 2017 – XI ZR 211/16

Mit der Reichweite des Einwendungsdurchgriffs nach § 768 Abs. 1 BGB befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die klagende Bank hatte einem Unternehmen einen Kontokorrentkredit in Höhe von 4,6 Millionen Euro gewährt. Die Beklagte hatte dafür eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Insolvenz der Hauptschuldnerin schloss die Klägerin mit dieser und einem anderen Bürgen einen Vergleich, in dem sie sich unter anderem verpflichtete, die Darlehensforderung vorbehaltlich einer Zahlung von rund 400.000 Euro nicht mehr gegen die Hauptschuldnerin geltend zu machen. Ihre gegen die Beklagte gerichtete Klage auf Zahlung des restlichen Darlehensbetrags blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Aufgrund des mit der Hauptschuldnerin wirksam vereinbarten Stillhalteabkommens ist die Klägerin gemäß § 768 Abs. 1 BGB auch gegenüber der Beklagten an einer weiteren Geltendmachung der Darlehensforderung gehindert. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in dem Abkommen eine Inanspruchnahme des Bürgen ausdrücklich vorbehalten hat. Gläubiger und Hauptschuldner können die im Gesetz vorgesehene Akzessorietät der Bürgschaft nicht ohne Mitwirkung des Bürgen einschränken.

Praxistipp: In einer Bürgschaftsvereinbarung kann wirksam vorgesehen werden, dass der Bürge auch für Ansprüche haften soll, die der Gläubiger gegen den Hauptschuldner aus Rechtsgründen nicht durchsetzen kann.

Montagsblog: Neues vom BGH

Darlegung der Einkommensverhältnisse bei Pkh-Antrag
Beschluss vom 16. November 2017 – IX ZA 21/17

Mit den Anforderungen an die Darlegung der Einkommensverhältnisse durch einen nach eigenen Angaben einkommens- und vermögenslosen Antragsteller befasst sich IX. Zivilsenat.

Der Kläger, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren anhängig ist, wandte sich gegen die Feststellung von Forderungen der Beklagten zur Insolvenztabelle. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos. Beim BGH beantragte der Kläger – erstmals im Verlauf des Verfahrens – Prozesskostenhilfe, mit dem Ziel, die Berufungsentscheidung mit einer Nichtzulassungsbeschwerde anzufechten.

Der BGH lehnt den Antrag ab, weil der Kläger seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachvollziehbar dargelegt hat. Im amtlich vorgeschriebenen Formular hat der Kläger angegeben, er verfüge nicht über Einkommen oder Vermögen und nehme keine öffentlichen Hilfen in Anspruch; für seine Wohnung müsse er weder Miete noch Heizkosten zahlen. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger konkret darlegen müssen, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet, weshalb er keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, die ihm im Falle einer Freigabe durch den Insolvenzverwalter (§ 35 Abs. 2 InsO) ermöglichen würde, nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegendes Vermögen zu bilden, weshalb er eine Wohnung nutzen kann, ohne Miete und Heizkosten zu zahlen, und wie er die Prozesskosten für die beiden ersten Instanzen aufbringen konnte.

Praxistipp: Dient der Antrag auf Prozesskostenhilfe der Einlegung oder Begründung eines fristgebundenen Rechtsmittels, müssen die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb der dafür maßgeblichen Fristen eingereicht werden.

Kein Widerruf des Darlehenswiderrufs
Urteil vom 7. November 2017 – XI ZR 369/16

Eine Frage der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre behandelt der XI. Zivilsenat in einer Segelanweisung.

Der Kläger nahm die Beklagte nach Widerruf eines Darlehensvertrags unter anderem auf Rückzahlung von nicht geschuldeten Zinsleistungen in Anspruch. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Widerruf des Darlehens nicht schon deshalb rechtmissbräuchlich, weil er nicht durch den Schutzzweck des Widerrufsrechts – Schutz vor Übereilung – motiviert war, sondern durch das Absinken des allgemeinen Zinsniveaus. Das OLG wird deshalb nach Zurückverweisung der Sache anhand der in der neueren Rechtsprechung entwickelten Kriterien (BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211, 1213 Rz. 31 ff.) zu prüfen haben, ob das Widerrufsrecht verwirkt war oder ob dessen Geltendmachung als unzulässige Rechtsausübung anzusehen ist. Für das weitere Verfahren weist der BGH ergänzend darauf hin, dass ein nach Zugang des Widerrufs übersandtes Schreiben, in dem der Kläger von dieser Erklärung Abstand nahm, für die Entscheidung nicht erheblich ist, weil der Widerruf als Gestaltungsrecht nach Zugang der Widerrufserklärung nicht zurückgenommen oder widerrufen werden kann.

Praxistipp: Der Zugang der Widerrufserklärung sollte sorgfältig dokumentiert werden, etwa durch eine Versendung als Einwurf-Einschreiben.

BGH: Paypal-Käuferschutz schützt nicht vor Geltedmachung von Zahlungsansprüchen des Verkäufers

Der Zahlungsdienstleister PayPal wirbt vollmundig mit einem Käuferschutz, der dem Onlineshopper weitgehend Sorgenfreiheit suggeriert. Ganz so schön ist es aber nicht, wie der BGH nun festgestellt hat.

Wird aufgrund einer Entscheidung im Rahmen des Käuferschutzverfahrens der Kaufpreis zurückgebucht und dem Käufer wieder gutgeschrieben, so soll eine Abrede zwischen Käufer und Verkäufer für den Fall des Einsatzes von Paypal als Zahlungsmethode dafür sorgen, dass die betreffende Kaufpreisforderung wiederbegründet wird, wenn das PayPal-Konto des Verkäufers nach einem erfolgreichen Antrag des Käufers auf Käuferschutz rückbelastet wird. Diese „Krücke“ muss der BGH wählen, nachdem durch die zunächst erfolgte (vorbehaltslose) Kaufpreiszahlung Erfüllung eingetreten ist.

„Na und?“ mag man nun denken und darauf verweisen, dass der Verkäufer seinen Kaufpreiszahlungsanspruch nach üblichen zivilrechtlichen Regelungen erst einmal durchsetzen muss. Gerade aufgrund des größeren Schutzes, der für PayPal-Käufe besteht, ergibt sich aber eine Schutzlücke zwischen gesetzlichen Regelungen und der Abdeckung des PayPal-Käuferschutzes. Beispielsweise geht im C2C-Verkehr für versendete Güter die Gefahr des Untergangs mit Versendung der Sache über, § 447 Abs. 1 BGB. PayPal gibt Käuferschutzanträgen aber bereits regelmäßig dann statt, wenn der Versender keinen Versandnachweis vorweisen kann (z.B. bei einem Versand als einfaches Päckchen).

Spannend ist es, ob der BGH in einem obiter dictum vielleicht dazu Ausführungen macht, ob möglicherweise Ansprüche des Käufers gegen PayPal bestehen. Der Wortlaut der Regelungen zwischen Käufer und PayPal gibt dies nicht her. Die recht plakative Schilderung der käuferschützenden Funktionen könnte aber zumindest Sekundäransprüche gegen PayPal ermöglichen. Aufgrund der Rechtswahlklausel zu Gunsten nicht-deutschen Rechts, soweit möglich, ist ein Vorgehen gegen PayPal ein sicherlich nicht all zu attraktives Unterfangen. Zumindest lauterkeitsrechtlich dürfte PayPal jedoch am Zuge sein, die Außendarstellung an die deutlich weniger attraktive Rechtslage zeitnah anzupassen.

BGH Urteile vom 22. November 2017 – VIII ZR 83/16 und VIII ZR 213/16, Link zur Pressemitteilung

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Darlehenswiderruf per Telefax durch Stellvertreter
Urteil vom 10. Oktober 2017 – XI ZR 457/16

Eine allgemeine Frage zur Wirksamkeit einseitiger Rechtsgeschäfte beantwortet der XI. Zivilsenat.

Die Kläger hatten bei der Beklagten zwei Darlehen zur Finanzierung einer Immobilie aufgenommen. Sieben Jahre später erklärte ein für die Verbraucherzentrale tätiger Rechtsanwalt per Telefax den Widerruf der Verträge. Zusammen mit diesem Schreiben übermittelte er eine Einverständniserklärung, die in der für den Telefax-Versand verwendeten Originalvorlage von einem der beiden Kläger unterschrieben war. Sechs Tage später wies die Beklagte den Widerruf gemäß § 174 Abs. 1 BGB zurück, weil der Erklärung keine Originalvollmacht beigelegen habe. Einige Wochen später erklärte der Prozessbevollmächtigte erneut den Widerruf der Darlehensverträge, diesmal unter Vorlage einer Originalvollmacht. Die auf Feststellung des wirksamen Widerrufs gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG stellte fest, dass die Darlehensverträge durch die zweite Widerrufserklärung in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden seien.

Der BGH verweist die Sache auf die (nur) von der Beklagten eingelegte Revision an das OLG zurück. Im Anschluss an seine neuere Rechtsprechung hält er das Feststellungsbegehren für unzulässig, weil es den Klägern möglich und zumutbar war, die ihnen aufgrund des Widerrufs zustehenden Ansprüche im Wege der Zahlungsklage geltend zu machen. Ergänzend führt er aus, dass bereits die erste Widerrufserklärung wirksam war, weil die Beklagte diese Erklärung nicht unverzüglich zurückgewiesen hat. In einer Parenthese bringt der BGH schließlich zum Ausdruck, dass der Beklagten ein Recht zum unverzüglichen Widerruf gemäß § 174 Abs. 1 BGB zugestanden hatte, weil die Übermittlung einer Vollmacht per Telefax nicht als Vorlage einer Vollmachtsurkunde im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Letzteres ist auch Gegenstand des (einzigen) Leitzsatzes der Entscheidung.

Praxistipp: Eine im Namen des Mandanten abgegebene einseitige Willenserklärung, die an sich nicht formbedürftig ist, sollte wegen § 174 Abs. 1 BGB stets auf dem Postwege (unter Beifügung einer Originalvollmacht) übermittelt werden.

BGH: Künftig Wildwest-Methoden bei Privatverkäufen auf Onlineverkaufsplattformen?

Der BGH hat – bisher überwiegend unbeachtet – eine sehr bemerkenswerte Anleitung dafür aufgestellt, wie man Verkäufe auf Onlineplattformen als Verbraucher „frisieren“ kann.

Streitgegenständlich war der Verkauf eines PKW über die Plattform mobile.de. In der dortigen Anzeige wurden bestimmte Eigenschaften des zu verkaufenden PKW beschrieben. Diese fanden sich später nicht im abgeschlossen Kaufvertrag wieder, der jedoch einen umfassenden Gewährleistungsausschluss enthielt. Die anfangs auf der Plattform angepriesenen Eigenschaften wies das Fahrzeug dann tatsächlich auch nicht auf.

Der BGH ist der Ansicht, dass die vorherige öffentliche Äußerung keine Berücksichtigung bei dem Umfang des später vereinbarten Gewährleistungsausschluss finden soll:

Allein der Umstand, dass der Verkäufer im Vorfeld des Vertragsschlusses eine öffentliche Äußerung über eine bestimmte Eigenschaft der Sache im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB abgegeben hat, rechtfertigt es nicht, hieraus abzuleiten, dass sich ein umfassend vereinbarter Haftungsausschluss nicht auf die nach dieser Äußerung geschuldete Beschaffenheit erstreckt. Denn aus dem Empfängerhorizont eines verständigen und redlichen Käufers beansprucht ein im Kaufvertrag vereinbarter umfassender Haftungsausschluss Vorrang vor früher abgegebenen öffentlichen Äußerungen des Verkäufers nach § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB, die nicht einmal ansatzweise Erwähnung im Kaufvertrag gefunden haben. Maßgeblich ist der Wille der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Ist im Kaufvertrag ein umfassend formulierter Haftungsausschluss vereinbart worden, der keine Ausnahmen vorsieht und sich damit nach seinem Wortlaut auch auf die Gewährleistungsfälle des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB erstreckt, ist die im Vorfeld des Vertragsschlusses abgegebene öffentliche Äußerung des Verkäufers regelmäßig zeitlich und inhaltlich „überholt“

Anders als bei dem Zusammentreffen eines umfassenden Haftungsausschlusses und einer Beschaffenheitsvereinbarung geht es hierbei nicht darum, durch interessengerechte Auslegung einen Widerspruch zwischen zwei gleichrangigen (vertraglichen) Regelungen aufzulösen. Vielmehr besteht insoweit ein Stufenverhältnis zwischen der gesetzlich vorgesehenen, aber grundsätzlich abdingbaren Sachmängelhaftung wegen des Fehlens von in öffentlichen Äußerungen angegebenen Eigenschaften der Sache (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) und dem vereinbarten Haftungsausschluss. Daher rechtfertigt es die Abgabe einer solchen Äußerung allein nicht, einen umfassenden Haftungsausschluss einschränkend auszulegen. .

Lediglich eine kleine Tür hält der BGH für Sonderfälle offen:

Ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall eine abweichende Beurteilung angezeigt sein kann, etwa wenn der Käufer – nachweislich – dem Verkäufer bestimmte Anforderungen an den Kaufgegenstand als kaufentscheidend zur Kenntnis bringt und der Verkäufer hiergegen keine Einwände erhebt, kann dahin stehen. Häufig wird in diesen Fällen eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommen (vgl. zu den Anforderungen Senatsurteile vom 19. Dezember 2012 – VIII ZR 96/12, NJW 2013, 1074 Rn. 16; vom 29. Juni 2016 – VIII ZR 191/15, aaO; jeweils mwN), so dass es auf die Frage einer Sachmängelhaftung nach § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB dann ohnehin nicht ankommt (vgl. auch BT-Drucks. 14/6040 aaO).

Diese Entscheidung öffnet für – erfolgreiche – Enttäuschung der Käufererwartungen im C2C-Verkehr auf Onlineplattformen, auf denen nicht unmittelbar ein Kaufvertrag zustande kommt, Tür und Tor. Käufern ist dringend zu raten, die Beschaffenheit aus der Onlineanzeige auch zum Gegenstand des Vertrages zu machen. Der einfachste Weg dürfte es sein, eine Beschaffenheit gemäß der Beschreibung im Internetangebot zu vereinbaren und diese Beschreibung dem Kaufvertrag als Anlage beizufügen.

BGH, Urteil vom 27.09.2017 Az.: VIII ZR 271/16

 

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Grenzen der Rechtskraft
Urteil vom 30. Juni 2017 – V ZR 134/16

Mit grundlegenden Fragen zur Rechtskraft und zum Verhältnis zwischen Rücktritt und Schadensersatz bei Mängeln der Kaufsache befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte vom Kläger ein Wohnhaus gekauft. Später hatte er den Rücktritt vom Vertrag erklärt, weil für die Terrasse keine Baugenehmigung vorlag, und den Kläger in einem vorangegangenen Rechtsstreit erfolgreich auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz eines Teils seiner Aufwendungen in Anspruch genommen. Nunmehr verlangte der Kläger Nutzungsersatz für die gesamte Dauer des Besitzes. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Das OLG wies die Klage ab, soweit es um die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess geht.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision des Klägers an das OLG zurück. Entgegen der Vorinstanz kommt er zu dem Ergebnis, dass die Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess der Klageforderung nicht entgegensteht. Der Kläger wäre zwar an der Geltendmachung von Ansprüchen auf Nutzungsersatz gehindert, wenn diese im Vorprozess im Wege der Saldierung oder der Vorteilsausgleichung auf die dort eingeklagten Ansprüche hätten angerechnet werden müssen. Eine Saldierung findet aber nur bei der Rückabwicklung eines Vertrags nach Bereicherungsrecht statt, nicht bei der Rückabwicklung nach erklärtem Rücktritt. Eine Anrechnung im Wege der Vorteilsausgleichung war nach dem bis Ende 2001 geltenden Kaufrecht geboten, wenn der Käufer den so genannten großen Schadensersatz begehrte, den er nach altem Recht nur anstelle des Rücktritts geltend machen konnte. Nach dem neuen Schuldrecht kann der Käufer Rücktritt und Schadensersatz nebeneinander geltend machen. Daraus zieht der BGH nunmehr die Schlussfolgerung, dass sich der Käufer die von ihm erlangten Nutzungsvorteile nicht automatisch auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Hinsichtlich der Ansprüche des Verkäufers auf Nutzungsersatz hätte es im Vorprozess deshalb nur dann zur Rechtskraft kommen können, wenn diese Ansprüche im Wege der Widerklage oder Aufrechnung geltend gemacht worden wären und das Gericht über sie inhaltlich entschieden hätte.

Praxistipp: Um mögliche Verjährungsprobleme zu vermeiden, kann es sich dennoch anbieten, Ansprüche auf Nutzungsersatz bereits im ersten Prozess geltend zu machen.

Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung beim Werkvertrag
Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17

Mit der beiderseits interessengerechten Auslegung eines Werkvertrags befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Beklagte erwog, in der Produktionshalle einer Großbäckerei Malerarbeiten vornehmen zu lassen. Hierzu ließ er die Klägerin eine Probefläche mit der Farbe „schneeweiß“ streichen. Nach Besichtigung dieser Fläche beauftragte er die Klägerin mit dem Anstrich der Halle. Schon vor Fertigstellung der Arbeiten, die aufgrund von Differenzen für einige Monate unterbrochen wurden, beanstandete der Beklagte, die bereits bearbeiteten Flächen seien vergilbt und wiesen Flecken auf. Das LG wies die auf Zahlung des vereinbarten Werklohns gerichtete Klage als derzeit unbegründet ab. Das OLG erklärte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Abweichend von der Vorinstanz sieht er das Werk nicht schon deshalb als vertragsgerecht an, weil die eingesetzte Farbe für den Einsatz in einer Großbäckerei geeignet und eine dauerhafte Farbstabilität bei weißen Farbtönen in dieser Umgebung generell nicht realisierbar ist. Nach dem Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung ist der Werkvertrag zwischen den Parteien dahin auszulegen, dass der Beklagte mangels eines abweichenden Hinweises davon ausgehen durfte, die eingesetzte Farbe werde über längere Zeit hinweg farbstabil bleiben. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu klären haben, ob und in welcher Weise die Klägerin vor oder bei Vertragsschluss auf das Risiko des Vergilbens hingewiesen hat.

Praxistipp: Sofern die Möglichkeit besteht, sollte ein Mandant darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Erteilung und der Inhalt eines vor Vertragsschluss erteilten Hinweises möglichst deutlich dokumentiert werden sollte – am besten durch ausdrückliche Aufnahme in das schriftliche Vertragsangebot.

Nebenpflicht des Werkunternehmers zum Hinweis auf mögliche Folgekosten
Urteil vom 14. September 2017 – VII ZR 307/16

Einen weiteren Aspekt der Pflichten eines Werkunternehmers behandelt der VII. Zivilsenat in einer zwei Wochen später ergangenen Entscheidung.

Der Kläger suchte wegen atypischer Motorgeräusche an seinem Auto die Werkstatt der Beklagten auf. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt sechseinhalb Jahre alt und hatte eine Laufleistung von über 200.000 km. Die Beklagte stellte einen Defekt an den Einspritzdüsen fest. Der Kläger ließ diese für rund 1.700 Euro auswechseln. Dies führte nicht zur Beseitigung der atypischen Geräusche. In einem selbständigen Beweisverfahren stellte sich heraus, dass bereits bei Erteilung des Auftrags auch die Pleuellager des Motors beschädigt waren. Der Aufwand für deren Austausch überstieg den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Die auf Rückzahlung der gezahlten Reparaturkosten gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Mit den Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die Beklagte vor der Reparatur darauf hätte hinweisen müssen, dass weitere Motordefekte vorliegen können. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn die in Betracht kommenden anderen Ursachen zwar nicht häufig auftreten, aber auch nicht als völlig entfernte und deshalb vernachlässigenswerte Möglichkeit anzusehen sind. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hätte der Kläger den Reparaturauftrag im Falle eines pflichtgemäßen Hinweises nicht erteilt. Deshalb muss die Beklagte die Reparaturkosten zurückzahlen.

Praxistipp: Auch diese Entscheidung belegt, dass eine hinreichende Dokumentation bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Ausgang des Rechtsstreits von zentraler Bedeutung sein kann.