Verbände oder Anwälte – wer klagt besser?

Obwohl der Referentenentwurf des BMJV für eine Musterfeststellungsklage noch „geheim“ ist, hat sich der Deutsche Anwaltverein in der letzten Woche in einer Stellungnahme dazu positioniert: Stellungnahme 14/17 DAV. Grundsätzlich begrüßt der DAV das Vorhaben, bemängelt aber, dass nur Verbänden, insbesondere Verbraucherorganisationen und Industrie- und Handelskammern, ein Klagerecht zustehen soll. Die Anwälte würden dadurch benachteiligt.

In der Tat soll die Klage wohl getreu der deutschen Tradition als Verbandsklage konzipiert werden. Nähere Details sind noch nicht öffentlich bekannt. Die derzeit muntere Aktivität von inländischen und ausländischen Kanzleien, Prozesse in der „Abgasaffäre“ zu bewerben, zu sammeln und vorzufinanzieren zeigt jedenfalls ein gewisses strukturelles Defizit unseres Zivilprozesses. Wir haben in Deutschland für die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen kaum Klageinstrumente. Vor allem fehlt es an Möglichkeiten zur effektiven Bündelung individueller Ansprüche auf Kompensation.

Der Vorteil der Geltendmachung durch Verbände besteht immerhin darin, dass dann kein individueller Musterkläger mit den Mühen und dem Aufwand eines Musterverfahrens belastet wird, obwohl es doch letztlich um überindividuelle Interessen geht. Dennoch sollten mit Blick auf Massenschäden auch ad hoc (durch Anwälte) gebildete Interessengemeinschaften als Musterkläger zugelassen werden. Zudem sollte dem einzelnen Geschädigten auch ohne eigene Klage eine verjährungshemmende Registrierung möglich sein und eine Bindungswirkung des Musterentscheids zu Gute kommen.

Der problematische Aspekt der geplanten Musterfeststellungsklage ist insofern ein ganz anderer und weiterer: Wie kommt der einzelne Verbraucher an sein Geld? Eine Musterfeststellungsklage verschafft dem einzelnen Geschädigten keinen Titel gegen den Beklagten. Es muss eine individuelle Leistungsklage nachfolgen. Warum nicht auch hier gesetzgeberisch Hilfe leisten, etwa durch eine anschließende vergleichsweise Bereinigung von Gesamtschadensereignissen oder eine anschließende kollektive Titulierung von Leistungsansprüchen?

Montagsblog: Neues vom BGH

Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

BGH: Wann sind Entgelte für Papierrechnungen wirksam in AGB vereinbar?

Nun hat es der BGH erneut bestätigt, dies zudem mit einem sehr erfreulichen Ergebnis für Verbraucher:

Anders als noch die Vorinstanz, geht der BGH davon aus, dass eine Papierrechnung auch dann nicht berechnet werden darf, wenn der abgeschlossene Vertrag einen Internetanschluss beinhaltet (Argument der Vorinstanz sinngemäß: Dann kann der Kunde die Rechnung einfach selbst abrufen). Der BGH ist vielmehr der Ansicht, dass die Rechnung immer dann kostenfrei in Papierform zur Verfügung zu stellen ist, wenn das jeweilige Produkt auch über andere Wege, als per Internet abgeschlossen werden kann und verweist dabei auf die frühere Entscheidung.

Die Beklagte wendet sich mit ihrem Angebot, wie in der mündlichen Verhandlung des Senats noch einmal verdeutlicht wurde, nicht ausschließlich an Kunden, die mit ihr die Verträge auf elektronischem Weg über das Internet abschließen. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die Beklagte davon ausgehen, die gegenüber allen ihren Vertragspartnern bestehende Pflicht zur Rechnungserteilung vollständig und umfassend durch Bereitstellung der Rechnung in ihrem Internetkundenportal zu erfüllen (zu Bedenken dagegen, Rechnungen lediglich zum Abruf über ein Internetportal bereit zu halten, siehe Senatsurteil vom 16. Juli 2009 – III ZR 299/08, NJW 2009, 3227 Rn. 14 mwN).

Da die Beklagte aber nicht allein diesen Kundenkreis bedient, kann sie ihrem Geschäftsbetrieb nicht die Erwartung zugrunde legen, dass ihre Vertragspartner  praktisch  ausnahmslos  über  einen  Internetzugang  verfügen und in der Lage sind, die ihnen erteilten Rechnungen elektronisch aufzurufen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass die allgemeine Verbreitung der Internetnutzung seit der Senatsentscheidung vom 16. Juli 2009 (aaO Rn. 21) weiter zugenommen haben mag, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Abwicklung des privaten Rechtsverkehrs über dieses Medium bereits zum allgemeinen Standard erstarkt ist. Angesichts dessen ist (auch) die Erteilung einer Rechnung in Papierform weiterhin eine Vertragspflicht der Beklagten, für die sie kein gesondertes Entgelt verlangen darf.

(BGH Urteil vom 9.10.2014 – Az.: III ZR 32/14)

 

 

Praxistipp:
Unternehmer sollten Internet-only-Produkte mit gesonderten Preislisten schaffen, die die Papierrechnung kostenpflichtig ausgestalten. Verbraucher sollten, sofern gewünscht, bei Waren und Dienstleistungen, die auch offline (und sei es per Post) bezogen werden können, auf eine kostenfreie Papierrechnung bestehen.

 

(BGH, Beschluss vom 19.01.2017 – Az.: III ZR 296/16)

Montagsblog: Neues vom BGH

Gewährleistungsrechte vor Abnahme des Werks
Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 301/13

Eine sehr umstrittene Frage beantwortet der VII. Zivilsenat in drei für BGHZ bestimmten Entscheidungen (VII ZR 301/13, VII ZR 193/15 und VII ZR 235/15), von denen die erste jetzt zugänglich ist.

Der später verstorbene Schwiegersohn des Klägers hatte die Beklagte mit Fassadenarbeiten an zwei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden betraut. Nach Fertigstellung verweigerte der Besteller die Abnahme mit der Begründung, das zum Anstrich verwendete Material entspreche nicht den vertraglichen Anforderungen. Ein selbständiges Beweisverfahren bestätigte den erhobenen Vorwurf. Die daraufhin erhobene Klage auf Zahlung eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er entscheidet, dass die in § 634 BGB vorgesehenen Gewährleistungsrechte grundsätzlich erst mit Abnahme des Werks entstehen, und zwar auch dann, wenn der Besteller die Abnahme nach Fertigstellung des Werks in Hinblick auf Mängel zu Recht verweigert. Vor der Abnahme kann der Besteller nach allgemeinen Regeln die mängelfreie Herstellung des Werks und nach Maßgabe von § 280 und § 281 BGB Schadensersatz verlangen. Gewährleistungsrechte darf er nur dann geltend machen, wenn der Vertrag in ein Abrechnungsschuldverhältnis übergegangen ist. Letzteres setzt voraus, dass der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung oder Minderung des Werklohns verlangt oder wenn er zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen. Das bloße Verlangen eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung reicht dafür nicht aus.

Praxistipp: Trotz der aufgezeigten Beschränkungen ist es für einen Besteller, der einen der Abnahme entgegenstehenden Werkmangel rechtzeitig erkannt hat, in der Regel vorteilhaft, die Abnahme zu verweigern.

Doppelte (qualifizierte) Schriftformklausel und Schriftformheilungsklausel in langfristigem Gewerbemietvertrag
Beschluss vom 25. Januar 2017 – XII ZR 69/16

Mit den Konsequenzen des Formerfordernisses aus § 550 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Parteien stritten über die vorzeitige Kündigung eines auf zwei Jahre fest abgeschlossenen Mietvertrags über Gewerberäume. Der ursprüngliche Mietvertrag war vom früheren Eigentümer mit einem anderen Mieter auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Als Nutzungszweck waren darin Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren vereinbart worden. Wenig später hatten sich die Vertragsparteien formlos darauf geeinigt, dass der Mieter auch einen Getränkehandel betreiben darf. Nach einiger Zeit trat der Beklagte, der ebenfalls einen Getränkehandel betrieb, anstelle des ersten Mieters in das Mietverhältnis ein. Nach der Veräußerung des Anwesens an die Klägerin vereinbarte diese mit dem neuen Mieter in einem schriftlichen Nachtrag eine feste Laufzeit bis 31.12.2016. Wenig später kündigte sie den Mietvertrag fristlos und hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg, vor dem OLG allerdings nur aufgrund der ordentlichen Kündigung.

Der BGH, der gemäß § 91a ZPO nur noch über die Kosten zu entscheiden hatte, tritt dem OLG in Ergebnis und Begründung bei. Die vereinbarte Befristung genügt nicht dem Formerfordernis des § 550 BGB, weil die von den Parteien geschlossene Nachtragsvereinbarung und der darin in Bezug genommene ursprüngliche Mietvertrag nicht den gesamten Inhalt des Mietverhältnisses wiedergeben. Die zwischen dem früheren Vermieter und dem früheren Mieter getroffene Vereinbarung über die Änderung des Nutzungszwecks hätte ebenfalls schriftlich geschlossen werden müssen. Der BGH sieht die formlose Änderungsvereinbarung als wirksam an, obwohl der ursprüngliche Mietvertrag eine „doppelte“ Schriftformklausel enthält, wonach jede Vertragsänderung der Schriftform bedarf und dies auch für eine Änderung der Schriftformklausel gilt. Der BGH lässt offen, ob eine solche Vereinbarung in AGB wirksam getroffen werden kann, und sieht eine nicht dem Formerfordernis genügende Vertragsänderung jedenfalls aufgrund des Vorrangs von Individualabreden als wirksam an. Im Ergebnis ebenfalls wirkungslos blieb eine im ursprünglichen Vertrag daneben enthaltene Klausel, wonach die Vertragsparteien jederzeit verpflichtet sind, alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB gerecht zu werden. Eine solche Heilungsklausel darf nach Sinn und Zweck des § 550 BGB jedenfalls nicht einem Vermieter entgegengehalten werden, der als Erwerber des Grundstücks in einen bestehenden Mietvertrag eingetreten ist. Dies gilt auch dann, wenn er die längere Laufzeit selbst vereinbart hat.

Praxistipp: Um Zweifel an der Wirksamkeit zu vermeiden, sollte eine Laufzeitverlängerung nicht durch Bezugnahme auf den früheren Vertrag, sondern durch vollständige Neubeurkundung des gesamten Vertragsverhältnisses erfolgen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Beweislastumkehr für Schadensursachen im Verantwortungsbereich des Schuldners
Urteil vom 12. Januar 2017 – III ZR 4/16

Eine allgemeine Frage der Beweislastverteilung behandelt der III. Zivilsenat im Zusammenhang mit einem Pferdepensionsvertrag.

Die Klägerin hatte ein vierjähriges Pferd bei dem Reitstall des Beklagten in Vollberitt gegeben. Nach einigen Monaten erlitt das Tier eine schwere Verletzung, als es beim Freilauf unter Aufsicht einer Praktikantin mit dem Kopf gegen eine Stahlstütze stieß. Die auf Schadensersatz gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er allerdings der Ansicht, dass der Schwerpunkt des Vertrags nicht im Verwahrungsrecht, sondern im Dienstvertragsrecht liegt, weil die Ausbildung des Pferdes im Streitfall deutlich im Vordergrund stand. Deshalb obliegt es grundsätzlich der Klägerin, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu beweisen. Im Streitfall tritt aber eine Beweislastumkehr ein, weil der Schaden im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten entstanden ist und die ungewöhnlichen Umstände, unter denen es zu dem Schaden kam, auf einen Pflichtenverstoß hindeuten.

Praxistipp: Um die Beweislastumkehr zu erreichen, muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, weshalb die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Schuldners hervorgegangen ist und weshalb ein ungewöhnlicher Kausalverlauf vorliegt.

Handlungsort bei unerlaubter Kapitalanlagevermittlung
Urteil vom 18. Oktober 2016 – VI ZR 618/15

Mit der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den in der Schweiz wohnhaften Beklagten als Alleinaktionär und Vorstand einer in Liechtenstein ansässigen Aktiengesellschaft wegen unerlaubter Erbringung von Finanzdienstleistungen in Anspruch. Die als Finanzdienstleister fungierende Aktiengesellschaft hatte in Deutschland kein Büro und keine festen Angestellten. Als Vermittler war ein in Deutschland ansässiger Versicherungsmakler aufgetreten. Der Vertragsschluss fand in der Schweiz statt. Das LG wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an und verwies die Sache in die erste Instanz zurück.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Mit dem OLG kommt er zu dem Ergebnis, dass kein inländischer Erfolgsort vorliegt, weil der Vertragsschluss in der Schweiz erfolgte und die Anlagesumme von einem Schweizer Konto des Klägers überwiesen wurde. Abweichend vom OLG verneint der BGH auch einen inländischen Handlungsort. Die Handlungen des in Deutschland aufgetretenen Vermittlers können dem Beklagten nicht zuständigkeitsbegründend zugerechnet werden. Wenn ein Schaden von mehreren Personen verursacht wurde, dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nur diejenigen Personen im Inland verklagt werden, die dort selbst tätig geworden sind.

Praxistipp: Ein die Zuständigkeit begründender Erfolgsort liegt schon dann vor, der Anlagebetrag von einem deutschen Konto überwiesen wird.

LG Essen: Routerzwang auch Bestandskunden aufgehoben

Das Gesetz mit dem sperrigen Namen Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) brachte im Januar 2016 eine Neuerung auf den – in diese Hinsicht verkrusteten – deutschen Markt der Internetzugangsanbieter: Die bis dahin weit verbreitete Praxis des Routerzwangs wurde untersagt, dem Teilnehmer die Wahl des Endgerätes gestattet mit einem Recht auf Zugang zu den erforderlichen Zugangsdaten, die bis dahin oft in den Endgeräten vor einem Zugriff Dritter „versteckt“ wurden:

§ 11 Abs. 3 FTEG lautet:

Die Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze und die Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten dürfen den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen an das öffentliche Telekommunikationsnetz nicht verweigern, wenn die Telekommunikationsendeinrichtungen die grundlegenden Anforderungen nach § 3 Absatz 1 erfüllen. Sie können dem Teilnehmer Telekommunikationsendeinrichtungen überlassen, dürfen aber deren Anschluss und Nutzung nicht zwingend vorschreiben. Notwendige Zugangsdaten und Informationen für den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen und die Nutzung der Telekommunikationsdienste haben sie dem Teilnehmer in Textform, unaufgefordert und kostenfrei bei Vertragsschluss zur Verfügung zu stellen.

Ein Teilnehmer wollte nun im vergangenen Jahr von diesem Recht Gebrauch machen und forderte die Zugangsdaten von seinem Internetprovider heraus, der dies mit Verweis auf die Bestandskundeneigenschaft verweigerte. Aus dem Wortlaut der Norm („bei Vertragsschluss“) bezöge sich diese Verpflichtung nur auf Neukunden. Hiergegen wandte sich die Verbraucherzentrale NRW mit Erfolg vor dem LG Essen. Die Regelung sei vom Wortlaut her (eher fraglich), aber auch von dem europarechtlichen Hintergrund so auszulegen, dass sie auch Bestandskunden eine freie Endgerätewahl ermöglich soll.

 

LG Essen Urteil vom 23.09.2016 Az.: 45 O 56/16

Montagsblog: Neues vom BGH

Ablehnung eines Sachverständigen wegen vorheriger Tätigkeit als Privatgutachter oder Schlichter
Beschluss vom 13. Dezember 2016 – VI ZB 1/16
Beschluss vom 10. Januar 2017 – VI ZB 31/16

Mit den Voraussetzungen für die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen befasst sich der VI. Zivilsenat in zwei kurz aufeinander ergangenen und zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichten Beschlüssen.

Im ersten Fall hatte der in einem selbständigen Beweisverfahren vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige den Antragsteller bereits in einem vorangegangenen Verfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer begutachtet. Im zweiten Fall, in dem es um eine nach Auffassung des Klägers schon ihrer Bauart nach fehlerhafte Hüftprothese ging, hatte der vom Gericht bestellte Sachverständige anlässlich eines Rechtsstreits des Beklagten mit einem anderen Kläger im Auftrag des Beklagten ein Privatgutachten gestellt, das sich nach dem Vortrag des Klägers mit einer Hüftprothese desselben Typs befasste. In beiden Fällen hielten LG und OLG das Ablehnungsgesuch des Antragstellers bzw. Klägers für unbegründet.

Der BGH hebt beide Beschwerdeentscheidungen auf.

Im ersten Fall hält er das Ablehnungsgesuch schon deshalb gemäß § 41 Nr. 8 ZPO für begründet, weil das Verfahren vor der Landesärztekammer der außergerichtlichen Konfliktbeilegung diente. Diese Vorschrift ist kraft der Verweisung in § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch für Sachverständige anwendbar. Für eine teleologische Reduktion besteht kein Anlass, auch wenn dem Gesetzgeber der Zusammenhang zwischen den beiden Vorschriften nicht vor Augen gestanden haben mag. § 41 Nr. 8 ZPO soll eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre im außergerichtlichen Verfahren gewährleisten. Dieses Ziel wäre gefährdet, wenn ein Beteiligter befürchten müsste, dass der Sachverständige seine in diesem Verfahren gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse ins spätere gerichtliche Verfahren transportiert.

Im zweiten Fall verweist der BGH die Sache an das OLG zurück. Wenn ein gerichtlicher Sachverständiger in derselben Sache bereits ein Privatgutachten für eine Prozesspartei oder deren Versicherer erstellt hat, besteht regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO. Dasselbe gilt, wenn der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet. Entgegen der Auffassung des OLG besteht in solchen Fällen auch dann ein Ablehnungsgrund, wenn auf dem betroffenen Sachgebiet nur wenige qualifizierte Sachverständige zur Verfügung stehen. Das OLG wird deshalb nach Zurückverweisung zu klären haben, ob das Privatgutachten tatsächlich eine Hüftprothese desselben oder zumindest eines vergleichbaren Typs betraf.

Praxistipp: Gemäß § 406 Abs. 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch gegen einen gerichtlichen Sachverständigen innerhalb von zwei Wochen nach Ernennung anzubringen. Ein späteres Gesuch ist nur zulässig, wenn der Antragsteller ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.

Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall auf der Autobahn
Urteil vom 13. Dezember 2016 – VI ZR 32/16

Mit den Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin fuhr mit ihrem Motorrad auf der Autobahn auf einen Kastenwagen auf. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte der Kastenwagen auf der Überholspur plötzlich stark abgebremst und war dann ruckartig auf die rechte Fahrspur gewechselt, auf der die Klägerin fuhr. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Klägerin spricht, weil diese auf das andere Fahrzeug aufgefahren ist. Dieser Anscheinsbeweis wäre zwar erschüttert, wenn der Unfallgegner kurz zuvor die Spur gewechselt hätte. Die Beweislast für diesen Umstand liegt aber bei der Klägerin. Im Streitfall vermochte das OLG nach Beweisaufnahme einen Spurwechsel nicht festzustellen. Deshalb ist der Anscheinsbeweis nicht erschüttert.

Praxistipp: Angesichts der aufgezeigten Beweislastverteilung sollte die Partei, zu deren Ungunsten ein Anscheinsbeweis in Betracht kommt, darauf achten, schon denjenigen Tatsachenbehauptungen, die einen typischen Geschehensablauf nahelegen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten.

BGH: Unterlassung im Wettbewerbsrecht kann Rückruf von Produkten erfordern

Ein Unterlassen umfasst nicht nur das schlichte Nichttun. Wie weit aber Handlungspflichten reichen können, war im Lauterkeitsrecht nach der Rechtsprechung nicht klar, wobei durch eine jüngere BGH-Entscheidung der Umfang der möglichen Handlungspflichten erweitert wird.

Der BGH führt aus:

Ist der Unterlassungsschuldner danach zur Vornahme von Handlungen verpflichtet, kann dies, wie das Beschwerdegericht mit Recht angenommen hat, die Verpflichtung umfassen, auf Dritte einzuwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (vgl. BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel). Er ist verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist (BGH, GRUR 2015, 258 Rn. 70 – CT-Paradies). Danach muss ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dassbereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden[…].

Praxistipp

Dem Unterlassungsgläubiger ist daher nach Zustellung eines Unterlassungstitels (oder Zustandekommen einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung) dazu zu raten, sofort auch an seine Abnehmer heranzutreten, um Produkte zurückzurufen. Dies sollte unbedingt auch gewissenhaft dokumentiert werden. Gelingt ein vollständiger Produktrückruf trotz ausreichender Bemühungen nicht, dürfte die Festsetzung eines Ordnungsgeldes oder die Fälligstellung einer Vertragsstrafe am fehlenden Verschulden scheitern. Vor Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung sollten, wenn dem Schuldner durch ein unbefristetes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstünden und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung der Wettbewerbswidrigkeit nicht unzumutbar beeinträchtigt werden,mit dem Unterlassungsgläubiger auch die Möglichkeiten einer angemessenen Aufbrauchfrist erörtert werden.

BGH Beschluss vom 29.09.2017 I ZB 34/15

Montagsblog: Neues vom BGH

Verjährungshemmung bei Wiederaufnahme von eingeschlafenen Verhandlungen
Urteil vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 58/16

Mit zahlreichen Detailfragen zur Auswirkung von Verhandlungen auf den Lauf der Verjährungsfrist befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der Kläger war in einem vorangegangenen Rechtsstreit wegen fehlerhafter Architektenleistungen in Anspruch genommen worden. Auf Empfehlung seiner Haftpflichtversicherung hatte er den Beklagten als Prozessbevollmächtigten bestellt. Der Prozess ging für den Kläger verloren. Noch im Laufe des Rechtsstreits hatte die Versicherung dem Kläger den Haftpflichtschutz entzogen, weil der Beklagte sie nicht über den Verlauf des Prozesses informiert hatte. Der Kläger nahm den Beklagten wegen des Verlusts des Versicherungsschutzes auf Schadensersatz in Anspruch. LG und OLG sahen die Ersatzansprüche als verjährt an.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Revision des Klägers zurück. Mit dem Berufungsgericht ist er der Auffassung, dass die Verjährung durch Verhandlungen der Parteien in den Jahren 2010, 2012 und 2014 insgesamt nur für wenige Monate gehemmt wurde und der Ersatzanspruch deshalb bei Klageerhebung bereits verjährt war. Die Verhandlungen waren in allen drei Fällen nach kurzer Zeit wieder eingeschlafen. Die Verjährung begann deshalb jeweils wieder in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem spätestens mit einer Fortsetzung der Verhandlungen zu rechnen war. Mit der erneuten Aufnahme der Verhandlungen wurde die Verjährung zwar jeweils von neuem gehemmt. Diese Rechtsfolge trat aber nicht rückwirkend ein, sondern nur mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Verhandlungsaufnahme.

Praxistipp: Bei Verhandlungen mit dem Schuldner sollte durch kurze Wiedervorlagefristen laufend überwacht werden, ob der Schuldner noch zeitnah reagiert. Wenn keine Reaktion mehr erfolgt, muss die Verjährung erforderlichenfalls umgehend durch gerichtliche Geltendmachung gehemmt werden.

Objektiver Umfang der Rechtskraftswirkung
Beschluss vom 22. September 2016 – V ZR 4/16

Mit dem objektiven Umfang der Rechtskraftwirkung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger verkauften den Beklagten unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung eine gebrauchte Eigentumswohnung. Die Beklagten rügten nach dem Einzug eine Schimmelbelastung und fochten den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an. In einem vorangegangenen Rechtsstreit hatten die Kläger die erste Kaufpreisrate eingeklagt und die Beklagten im Wege der Widerklage Ersatz von Gutachter-, Notar- und Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Dieser Rechtsstreit ging zugunsten der Kläger aus. Nunmehr verlangten die Kläger Ersatz von Verzugsschäden und die Beklagten im Wege der Widerklage Schadensersatz wegen der Unbewohnbarkeit der Wohnung. Klage und Widerklage blieben in der ersten Instanz erfolglos. Das OLG wies die (nur von den Beklagten eingelegte) Berufung zurück.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG steht die Rechtskraft des ersten Urteils der erneuten Widerklage nicht entgegen. Beide Widerklagen sind zwar auf die Behauptung gestützt, die Kläger hätten den behaupteten Schimmelbefall arglistig verschwiegen. Die Rechtskraft des Urteils aus dem früheren Rechtsstreit ergreift aber nur die Entscheidung über die dort geltend gemachten Schadensersatzansprüche, nicht hingegen die Entscheidung über die dafür relevante Vorfrage, ob die Kläger eine arglistige Täuschung begangen haben. Die Beklagten sind deshalb nicht gehindert, anderweitige Schadensersatzansprüche geltend zu machen, auch wenn deren Bestand von derselben Vorfrage abhängt.

Praxistipp: Der (Wider-)Beklagte kann die Geltendmachung von weiteren Ansprüchen aufgrund desselben Sachverhalts verhindern, indem er widerklagend die Feststellung beantragt, dass dem (Wider-)Kläger aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts auch keine weitergehenden Ansprüche zustehen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Normativer Schaden bei Ergebnisbeteiligung eines Arbeitnehmers
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 40/16

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistung eines Dritten an den Geschädigten dem Schädiger nicht zugutekommen soll, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen der Beklagte einzustehen hat, verletzt. Die Klägerin begehrte anteiligen Ersatz für ausgezahlte Ergebnisbeteiligung, die dem Arbeitnehmer für das betreffende Jahr unabhängig von dessen Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand. AG und LG hielten den Anspruch für unbegründet, weil die erbrachte Leistung nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Prämie mit ausschließlichem Treuecharakter anzusehen sei und deshalb nicht vom Entgeltfortzahlungsgesetz erfasst werde.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er lässt offen, ob die erbrachte Leistung unter das Entgeltfortzahlungsgesetz fällt. Das Klagebegehren ist schon deshalb schlüssig, weil der geschädigte Arbeitnehmer seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat und weil der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Ergebnisbeteiligung trotz seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand, nach dem normativen Schadensbegriff nicht dem Beklagten zugutekommen darf. Ausschlaggebend ist insoweit nicht die Anwendbarkeit des Entgeltfortzahlungsgesetzes, sondern der Umstand, dass die Ergebnisbeteiligung ungeachtet ihres Charakters als Treueprämie jedenfalls auch der Vergütung der Arbeitsleistung im Kalenderjahr des Unfalls diente und die betriebliche Regelung, wonach die Leistung auch im Falle vorübergehender Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zu erbringen ist, nicht den Schutz des Schädigers bezweckt.

Praxistipp: Wenn nicht völlig zweifelsfrei ist, dass der Ersatzanspruch schon kraft Gesetzes (§ 6 EFZG) übergegangen ist, sollte sich der Arbeitgeber spätestens vor Klageerhebung vorsorglich die Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers abtreten lassen.

Keine Anordnung der Urkundenvorlegung im selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 29. November 2016 – VIII ZB 23/16

Mit der Anwendbarkeit von § 142 Abs. 1 ZPO im selbständigen Beweisverfahren befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Eine Patientin leitete im Anschluss an eine Operation ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Krankenhausbetreiberin ein, um zu klären, ob eine eingetretene Entzündung durch einen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht wurde. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, er benötige die zum Zeitpunkt der Operation gültigen Vorschriften der Antragsgegnerin zur Aufbereitung des Instrumentariums. Das LG lehnte den Antrag, diese Unterlagen gemäß § 142 ZPO beizuziehen, ab. Das OLG wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das OLG vermag dessen Statthaftigkeit nicht zu begründen, weil bereits die Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung unzulässig war. Ein Antrag auf Erlass einer Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO ist kein Gesuch im Sinne von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, weil eine solche Anordnung von Amts wegen ergehen kann. Ergänzend führt der BGH aus, dieses Ergebnis sei aus zwei weiteren Gründen sachgerecht: Zum einem sei eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer solchen Anordnung auch in einem Hauptsacheverfahren nicht zulässig. Zum anderen sei eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO in einem selbständigen Beweisverfahren ohnehin nicht statthaft. Im Hauptsacheverfahren dürfe eine solche Anordnung nur bei schlüssigem, auf konkrete Tatsachen bezogenem Parteivortrag ergehen. Im selbständigen Beweisverfahren dürfe eine Schlüssigkeitsprüfung aber nicht erfolgen. Deshalb sei eine Entscheidung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht möglich. Damit ist die Rechtsfrage, zu deren Klärung das OLG unzulässigerweise die Rechtsbeschwerde zugelassen hatte, letztendlich doch beantwortet.

Praxistipp: Wenn sich der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren weigert, vom Sachverständigen benötigte Unterlagen vorzulegen, und der Antragsteller dennoch nicht sofort ein Hauptsacheverfahren wegen des zu sichernden Anspruchs einleiten will, kommt als Alternative in Betracht, den Antragsgegner auf Herausgabe der Unterlagen zu verklagen. Dies setzt allerdings einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch voraus.