Anwaltsblog 4/2025: Anwaltshaftung wegen voreiliger Vertragsbeendigung!

In einem Anwaltshaftungsprozess hatte der BGH zu entscheiden, ob das rechtliche Gehör einer Partei verletzt ist, wenn das Gericht deren Vortrag in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich berücksichtigt hat (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2024 – IX ZR 28/23):

 

Die Klägerin hatte ein Haus unter Gewährleistungsausschluss zu einem Kaufpreis von 230.000 € erworben. Ein halbes Jahr später beauftragte sie die beklagte Rechtsanwältin mit der Beratung und Vertretung gegenüber dem Verkäufer wegen Gewährleistungsansprüchen. Mit Schreiben vom 1. Juli 2014 erklärte die Beklagte namens der Klägerin gegenüber dem Verkäufer wegen 17 arglistig verschwiegener Mängel, u.a. wegen eindringender Feuchtigkeit, „Anfechtung und Rücktritt vom Vertrag“. In einem sodann eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren stellte der Sachverständige Feuchtigkeitsschäden fest und schätzte den Aufwand für die erforderliche Erneuerung der Ringdrainage, der Abdichtung der Bodenplatte und der Sanierung der Klinkerfensterbänke auf 27.013 € brutto. Nicht Gegenstand des Sachverständigengutachtens war die weitere Behauptung der Klägerin, die Heizungsanlage funktioniere kaum oder gar nicht, was dem Verkäufer als langjährigem Nutzer des Kaufobjekts bekannt gewesen sei. Der Kostenaufwand für eine Reparatur betrage 11.219,82 €.

Bei anschließenden Vergleichsverhandlungen zeigte sich der Verkäufer allein zu einer Rückabwicklung bereit, da ein Rücktritt vom Rücktritt nicht möglich sei. Die Klägerin behauptet, sie habe eine Rückabwicklung des Vertrags nicht gewollt. Ihr Ziel sei gewesen, das Haus zu behalten und die Kosten für eine Beseitigung der Mängel zu erlangen. Infolge der Erklärung der Beklagten vom 1. Juli 2014 könne sie diese vom Verkäufer nicht mehr verlangen. Sie begehrt die Zahlung von 27.013 € nebst Zinsen sowie u.a. die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden. Die Klage blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos.

Das angegriffene Berufungsurteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise, soweit der Feststellungsantrag abgewiesen wurde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör  ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dabei ist aber grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor. Das Berufungsgericht befasst sich in seinen Entscheidungsgründen nicht mit dem Aspekt der mangelnden Funktionstauglichkeit der Heizung. Dieser Aspekt stellte – neben der Frage der ordnungsgemäßen Abdichtung der erworbenen Immobilie – bereits erstinstanzlich einen zentralen Angriffspunkt der Klägerin dar. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihn ausdrücklich aufrechterhalten. Auch seinem Gewicht nach ist der Mangel von hervorgehobener Bedeutung, da die veranschlagten Mängelbeseitigungskosten 11.219,92 € betragen. Die Beweisaufnahme und -würdigung befasst sich mit der Heizung jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, dass ihre Leckage eine mögliche Ursache der im Keller befindlichen Feuchtigkeit bildete. Nicht nachgegangen ist das Berufungsgericht der unter Beweis gestellten Behauptung, die Heizung schließe einen ordnungsgemäßen Heizbetrieb in den Wintermonaten aus, weil sie entweder gar nicht oder unter voller Leistung laufe und eine Regulierung kaum oder gar nicht möglich sei, dies könne dem Verkäufer während dessen jahrelanger Eigennutzung der Immobilie nicht entgangen sein. Auch in der Würdigung der Aussage des Verkäufers findet sich keine Auseinandersetzung mit Funktionsmängeln der Heizung, während sich das Berufungsgericht mit den Angaben des Verkäufers zu den sonstigen behaupteten Mängeln detailliert auseinandersetzt.

Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte gegenüber der Klägerin ihre Beratungspflichten verletzt hat. Revisionsrechtlich ist daher zu unterstellen, dass die Beklagte „Anfechtung und Rücktritt“ erklärte, ohne dass die Klägerin hinreichend über die Rechtsfolgen der Gestaltungserklärung unterrichtet worden war, ferner, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Beratung gegen eine Ausübung der Gestaltungsrechte entschieden hätte. Hat die Beklagte wegen arglistig verschwiegener Mängel wirksam Anfechtung oder Rücktritt erklärt, kann die Klägerin vom Verkäufer nicht mehr die Kosten für eine Mängelbeseitigung verlangen. Unterstellt, der Vorwurf arglistiger Täuschung greift durch, war die Klägerin berechtigt, den Vertrag anzufechten (§ 123 Abs. 1 BGB) oder den Rücktritt zu erklären (§ 437 Nr. 2, § 434 BGB), ohne dass es insoweit einer Nachfrist bedurfte; ein arglistig verschwiegener, die Funktion der Heizung beeinträchtigender Mangel ist erheblich. Unabhängig davon, ob die Erklärung als Anfechtung oder Rücktritt auszulegen ist, hat sich die Klägerin mit der Erklärung von Anfechtung beziehungsweise Rücktritt unwiderruflich gegen ein Festhalten am Kaufvertrag entschieden. Nachbesserung und Schadensersatz, der auf Erstattung der notwendigen Kosten für eine Beseitigung der Mängel gerichtet ist, kann sie daher vom Verkäufer nicht mehr verlangen. Im Falle der Anfechtung ergibt sich dies daraus, dass durch sie das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Im Falle des Rücktritts wird das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346 Abs. 1 BGB umgewandelt. Das schließt den Fortbestand von (Nach-)Erfüllungsansprüchen und damit auch den Anspruch auf kleinen Schadensersatz aus.

Im Wege des Schadensersatzes ist die Klägerin so zu stellen, wie sie ohne Pflichtverletzung der Klägerin stünde. Ohne Pflichtverletzung hätte sie gegen den Verkäufer Ansprüche auf Nachbesserung oder entsprechenden Schadensersatz geltend machen können. Tatsächlich kann sie solche Ansprüche nicht geltend machen. Für den Verlust der Ansprüche auf Erstattung der Kosten der Mängelbeseitigung gegen den Verkäufer haftet die Beklagte aus § 280 Abs. 1 BGB.

 

Fazit: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verkehrsunfällen.

Anscheinsbeweis bei berührungslosem Unfall mit einem Motorradfahrer
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2024 – VI ZR 18/24

Der VI. Zivilsenat präzisiert die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweises bei Auffahrunfällen und ähnlichen Situationen.

Die Beklagte wollte mit ihrem Pkw in einer leichten Rechtskurve an einem stehenden Müllfahrzeug vorbeifahren und wechselte deshalb auf die Gegenfahrbahn. Ein ihr dort entgegenkommender Pkw bremste stark ab, um eine Kollision zu vermeiden. Der Kläger, der mit seinem Motorrad hinter diesem Pkw fuhr, machte eine Vollbremsung und geriet dabei ins Rutschen. Er stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Zu einer Kollision mit dem vorausfahrenden Pkw kam es nicht.

Das LG hat die auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat festgestellt, dass die Beklagte zum Schadensersatz auf der Grundlage einer Haftungsquote von 40 % verpflichtet ist.

Sowohl die Revision des Klägers als auch die Anschlussrevision der Beklagten haben Erfolg und führen zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Schaden beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten entstanden ist. Der dafür erforderliche Zusammenhang ist auch ohne Kollision der Fahrzeuge gegeben, wenn das Fahrverhalten eines Fahrers über dessen bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die Beklagte durch das Wechseln auf die Gegenfahrbahn die Reaktion der beiden ihr entgegenkommenden Fahrer beeinflusst hat. Dieser Zusammenhang besteht auch dann, wenn der Kläger oder der vor ihm fahrende Pkw-Fahrer eine unnötige Paník- oder Schreckbremsung durchgeführt haben.

Ebenfalls zu Recht ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfall für den Kläger kein unabwendbares Ereignis darstellte. Ein Idealfahrer, der weiß, dass sein Motorrad kein Antiblockiersystem hat, hätte von vornherein den Abstand zum Vorausfahrenden und die Geschwindigkeit so bemessen, dass er selbst bei einem plötzlichen scharfen Bremsen des Vorausfahrenden noch kontrolliert bremsen kann.

Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge hat das OLG jedoch zu Unrecht einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers bejaht. Der Grundsatz, wonach bei einem Auffahrunfall ein Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Verhalten des Auffahrenden spricht, kann allerdings auch dann angreifen, wenn ein Motorradfahrer, der hinter einem stark abbremsenden Pkw fährt, stürzt und es nur durch Zufall nicht zu einer Kollision kommt. Im Streitfall beruht die Feststellung des OLG, eine Kollision habe lediglich von einem Zufall abgehangen, jedoch auf einer widersprüchlichen Würdigung der Angaben des vom LG bestellten gerichtlichen Sachverständigen.

Zu Unrecht hat das OLG auch ein Verschulden der Beklagten bejaht. Nachdem das LG aufgrund der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt war, ein Verschulden der Beklagten sei nicht festzustellen, durfte das OLG nicht ohne erneute Beweisaufnahme zu einer anderen Beurteilung gelangen.

Praxistipp: Zur Erschütterung eines Anscheinsbeweises genügt es, Umstände vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt.

Anwaltsblog 51/2024: Haftung des Autowaschanlagenbetreibers für abgerissenen serienmäßigen Heckspoiler

Mit der Haftung des Betreibers einer Autowaschanlage für die Beschädigung eines mit einem serienmäßigen Heckspoiler ausgestatteten Fahrzeugs hatte sich der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24):

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs in Autowaschanlage der Beklagten, einer sog. Portalwaschanlage. In der Waschanlage weist ein Schild darauf hin, dass „die Haftung des Anlagenbetreibers (…) insbesondere dann (entfällt), wenn ein Schaden durch nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder durch nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler, Antenne, Zierleisten o.ä.) sowie dadurch verursachte Lackkratzer verursacht worden ist, außer den Waschanlagenbetreiber oder sein Personal trifft grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz.“ Der Kläger fuhr Ende Juli 2021 mit seinem Pkw der Marke Land Rover, das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattet ist, in die Waschanlage ein, stellte das Fahrzeug ordnungsgemäß ab, verließ die Waschhalle und startete den Waschvorgang. Während des Waschvorgangs wurde der Heckspoiler abgerissen, wodurch Schäden am Heck des Fahrzeugs entstanden. Wegen dieses Vorfalls verlangt der Kläger von der Beklagten u.a. Schadensersatz insgesamt 3.219,31 €.

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass es sich bei dem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs um einen Werkvertrag handelt und sich aus einem solchen Vertrag als Nebenpflicht die Schutzpflicht des Anlagenbetreibers ergibt, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren. Ferner ist davon auszugehen, dass Verkehrssicherungspflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses zugleich Vertragspflichten sind und die auf den Werkvertrag bezogene Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers nicht weiter geht als die werkvertragliche Schutzpflicht des Unternehmers. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten verneint. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage – etwa durch den Betrieb einer Waschanlage – schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Der Betreiber einer Waschanlage hat dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge seiner Kunden nicht beschädigt werden. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht.

Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass der Betreiber einer Waschanlage im Grundsatz nur bei Vorliegen einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung für Fahrzeugschäden während des Waschvorgangs haftet. Eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Beklagte ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – widerleglich – zu vermuten, weil die Schadensursache allein aus ihrem Obhuts- und Gefahrenbereich herrührt. Grundsätzlich trägt der Gläubiger die Beweislast dafür, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung den Schaden verursacht hat. Diese Grundsätze finden auch bei der Verletzung einer Schutzpflicht Anwendung, so dass es – ohne Vorliegen besonderer Umstände – nicht genügt, dass der Gläubiger lediglich nachweist, dass ihm im Zusammenhang mit der Durchführung eines Vertrags ein Schaden entstanden ist. In Abweichung von dieser regelmäßigen Beweislastverteilung hat sich der Schädiger – über den Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus – nicht nur hinsichtlich seines Verschuldens zu entlasten, sondern er muss auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Obhuts- und Gefahrenbereich liegen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts liegt die Ursache für die Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs allein im Obhuts- und Gefahrenbereich der Beklagten. Nach dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen kam es zu der Schädigung, weil die Waschanlage konstruktionsbedingt nicht für das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattete Fahrzeug des Klägers geeignet war. Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug wie dasjenige des Klägers mit einer serienmäßigen Ausstattung wie dem betroffenen Heckspoiler konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Waschanlagenbetreibers. Der Kläger, dem mit seinem marktgängigen, serienmäßig ausgestatteten und in ordnungsgemäßem Zustand befindlichen Fahrzeug von der Beklagten als Betreiberin die Nutzung der Waschanlage eröffnet wurde, konnte berechtigt darauf vertrauen, dass sein Fahrzeug so, wie es ist, also mitsamt den serienmäßig außen angebrachten Teilen, unbeschädigt aus dem Waschvorgang hervorgehen werde. Dieses Vertrauen war insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung gerechtfertigt, weil nur der Anlagenbetreiber Schadensprävention betreiben kann, wohingegen der Kunde regelmäßig sein Fahrzeug der Obhut des Betreibers überantwortet, ohne die weiteren Vorgänge selbst beeinflussen zu können. Anders als der Betreiber, der es in der Hand hat, bestimmte Fahrzeugmodelle, die er für schadensanfällig hält, von der Benutzung seiner Anlage auszuschließen und dadurch das Risiko einer Beschädigung zu verringern, ist es dem Kunden regelmäßig nicht möglich, solche Waschanlagen von vornherein zu identifizieren und zu meiden, die konstruktionsbedingt nicht geeignet sind, sein Fahrzeug ohne ein erhöhtes Schadensrisiko zu reinigen.

 

Fazit: Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug mit einer serienmäßigen Ausstattung konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Waschanlagenbetreibers. Daher hat sich der Schädiger – über den Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus – nicht nur hinsichtlich seines Verschuldens zu entlasten, sondern er muss auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2004 – X ZR 133/03 –, MDR 2005, 617).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die formellen Anforderungen an einen Pflichtteilsverzicht.

Keine Vertretung des Erblassers bei Pflichtteilsverzicht
BGH, Urteil vom 20. November 2024 – IV ZR 263/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit den Folgen eines Verstoßes gegen § 2347 Satz 1 BGB.

Die Klägerin nimmt den beklagten Notar wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch.

Der verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer eines Hofs im Sinne der Höfeordnung. Im Dezember 2005 setzte er die Klägerin als Hofes- und Alleinerbin ein. Im Februar 2006 beurkundete der Beklagte einen Vertrag, in dem die Schwester der Klägerin gegenüber dem Vater auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und gegenüber der Klägerin und dem Vater auf die Geltendmachung von Abfindungsansprüchen aus § 12 der Höfeordnung verzichtete. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klägerin gegenüber ihrer Schwester zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 30.000 Euro. Der Erblasser war bei der Beurkundung durch eine Mitarbeiterin des Beklagten vollmachtlos vertreten. Er genehmigte die Vereinbarung später mit einer vom Beklagten beglaubigten Unterschrift.

Nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2020 machte die Schwester der Klägerin Pflichtteilsansprüche geltend. Die Klägerin begehrt deshalb die Feststellung, dass der Beklagte den Schaden zu ersetzen hat, dass die beurkundeten Verzichtserklärungen unwirksam sind.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die begehrte Feststellung ausgesprochen.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass der Beklagte seine Amtspflichten verletzt hat, weil er die Regelung in § 2347 Satz 1 BGB (damals noch: § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.) übersehen hat, wonach der Erblasser einen Vertrag über den Verzicht auf ein gesetzliches Erbrecht oder einen Pflichtteil nur persönlich schließen kann. Der Beklagte hätte darauf hinwirken müssen, dass der Erblasser persönlich an der Beurkundung des Vertrags teilnimmt oder dass die beiden Töchter ein notarielles Angebot unter Abwesenden abgeben, das der Vater durch notarielle Erklärung annimmt. Diese Amtspflicht bestand auch gegenüber der Klägerin, weil diese von dem Pflichtteilsverzicht begünstigt war.

Zu Recht hat das OLG einen Schaden der Klägerin bejaht, für den sie nicht anderweitig Ersatz erlangen kann.

Der entgegen § 2347 Satz 1 BGB durch eine Vertreterin des Erblassers geschlossene Vertrag konnte durch die Genehmigung des Erblassers nicht wirksam werden. Ob sich aus dem Vertrag zumindest eine Pflicht zum Verzicht auf das Pflichtteilsrecht ergibt, bedarf keiner Entscheidung, weil eine Erfüllung dieser Pflicht nur vor dem Tod des Vaters möglich war.

Eine ergänzende Auslegung des Vertrags dahin, dass sich die Schwester der Klägerin dieser gegenüber verpflichtet hat, nach dem Erbfall keine Pflichtteilsansprüche geltend zu machen (was nach § 311b Abs. 5 BGB zulässig wäre), scheidet aus, weil der Verzicht auf den Pflichtteil nur gegenüber dem Vater erklärt wurde.

Der Verzicht auf Ansprüche aus der Höfeordnung ist ebenfalls unwirksam, weil der vereinbarte Abfindungsanspruch sowohl diesen Verzicht als auch den Pflichtteilsverzicht abgelten sollte und die beiden Verzichtserklärungen deshalb in untrennbarem Zusammenhang stehen.

Der Ersatzanspruch ist nicht verjährt. Er ist erst mit dem Erbfall entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt der relevante Vermögensschaden eintrat, nämlich der Anfall eines um den Pflichtteilsanspruch geminderten Erbschaft.

Praxistipp: Eine Erklärung durch den Erblasser persönlich schreibt das Gesetz auch für Testamente (§ 2064 BGB) sowie für Erbverträge (§ 2274 BGB) und deren Aufhebung (§ 2290 Abs. 2 BGB) vor.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

Anwaltsblog 39/2024: Rechtsanwälte müssen immer den sichersten Weg wählen!

Welche Verpflichtungen den Rechtsanwalt treffen, wenn unklar ist, ob die Zustimmung zum Ruhen eines Verfahrens nach sechs Monaten die Hemmungswirkung einer Klage beendet (§ 204 Abs. 2 BGB), hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden (BGH, Urteil vom 19. September 2024 – IX ZR 130/23):

Der Kläger nimmt die Beklagten als seine früheren Rechtsanwälte auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie nicht verhindert hätten, dass der ihm gegen seine frühere Ehefrau zustehende Zugewinnausgleichsanspruch verjährt sei. Die Ehefrau des Klägers nahm diesen vor dem Familiengericht Mannheim auf Zugewinn in Anspruch. Der Kläger erhob darauf ebenfalls eine auf Ausgleich des Zugewinns gerichtete Klage vor dem Familiengericht Delmenhorst. Dieses schlug den Parteien das Ruhen des Verfahrens vor; der Ausgang des Verfahrens in Mannheim solle abgewartet werden. Die Beklagten beantragten das Ruhen des Verfahrens; die Ehefrau des Klägers stimmte zu. Nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Klägers in dem in Mannheim betriebenen Verfahren riefen die Beklagten das Verfahren in Delmenhorst wieder auf. Das Familiengericht Delmenhorst wies die Klage ab, weil im Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens bereits Verjährung eingetreten gewesen sei. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten hätten erkennen müssen, dass das Ruhen des Verfahrens die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zur Folge haben würde. Das OLG hat seine Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Entgegen der Annahme des OLG haben die Beklagten die ihnen aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsvertrags obliegende Pflicht verletzt, den sichersten Weg zu wählen, die Rechte des Klägers zu sichern und geltend zu machen. Denn sie haben ihn weder über die mit einem Ruhen des Verfahrens verbundenen Risiken für ein Ende der Hemmung der Verjährung aufgeklärt noch Maßnahmen aufgezeigt oder ergriffen, um erhebliche Unsicherheiten über die drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu vermeiden. Die Beklagten haben das ruhend gestellte Verfahren über den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers nicht vor dem Ablauf der in § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB geregelten Frist von sechs Monaten wieder aufgerufen und auch nicht mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung getroffen.

Der Rechtsanwalt muss seinem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, hat er diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu begründeten Zweifeln Anlass, so muss der Rechtsanwalt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt.

Die Beklagten waren beauftragt, den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers geltend zu machen. Sie waren dabei auch verpflichtet, vermeidbare Nachteile für den Kläger als ihren Mandanten zu verhindern. Sie hatten deshalb dessen Anspruch vor der Verjährung zu sichern. Diese Pflicht haben sie schuldhaft verletzt. Sie haben keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um eine drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers rechtssicher auszuschließen. Die maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist des § 1378 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. begann am 22. Juli 2004 mit der Kenntnis des Klägers von der Rechtskraft des Scheidungsurteils zu laufen. Durch die am 31. Mai 2007 erhobene Klage wurde die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Die Hemmung endete gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren in Stillstand, weil es die Parteien nicht betreiben, so tritt gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens. Mit Beschluss vom 14. Januar 2007 wurde das Ruhen des Verfahrens vor dem Familiengericht Delmenhorst angeordnet; das Verfahren geriet hierdurch in Stillstand (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dann mussten die Beklagten Rechnung stellen, dass im Regelfall die Hemmung der Verjährung des Anspruchs des Klägers sechs Monate später mit Ablauf des 14. Juli 2007 endete. Die zwischenzeitlich gehemmte Verjährung wäre dann wieder in Lauf gesetzt worden. Unter diesen Voraussetzungen wäre die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers bereits eingetreten gewesen, als die Beklagten im November 2007 das Verfahren wieder aufriefen. Denn zu diesem Zeitpunkt wären die von der dreijährigen Verjährungsfrist vor Eintritt der Hemmung noch verbliebenen 52 Tage abgelaufen gewesen. Den Beklagten musste einerseits bekannt sein, dass nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete. Andererseits mussten sie wissen, dass gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens tritt, wenn das Verfahren in Stillstand gerät, weil die Parteien es nicht betreiben. Die Beklagten durften nicht außer Acht lassen, dass die Rechtsprechung bereits im Jahr 2007 das Ruhen des Verfahrens als Stillstand iSd. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. einordnete und auch in den zur Zeit der rechtlichen Beratung gängigen Kommentaren auf dieses Problem hingewiesen wurde.

Der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten steht nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund iSd. § 204 Abs. 2 BGB für das Untätigbleiben der Beklagten zu 2 bestand. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges“ hatten die Beklagten im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers jedenfalls sicher verhindert hätte. Demgemäß ist die Frage, ob im Streitfall ein triftiger Grund bestand, das Verfahren nicht zu betreiben, von drei Gerichten verneint, von dem Berufungsgericht jedoch bejaht worden. Bereits die unterschiedliche Beurteilung dieser Frage durch die Gerichte deutet darauf hin, dass die Beklagten insoweit nicht den sichersten Weg eingeschlagen haben. Die Beklagten hatten den Kläger über die Maßnahmen aufzuklären, die den Eintritt der Verjährung des Anspruchs zu verhindern vermochten. Auch hätten sie dem Kläger aufzeigen müssen, dass trotz der Anregung des Gerichts von einer entsprechenden Antragstellung abgesehen werden konnte. Sie hätte den Kläger auf die mit der Durchführung des Verfahrens verbundenen Risiken, insbesondere die dadurch anfallenden Kosten hinweisen müssen. Ferner hätten die Beklagten dem Kläger auch vorschlagen können, mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung zu treffen. Soweit die Ehefrau des Klägers zu einer Vereinbarung nicht bereit gewesen wäre, hätten die Beklagten dem Kläger die dann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu verhindern, darstellen müssen.

 

Fazit: Der Rechtsanwalt hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu ernstlich begründeten Zweifeln Anlass, so muss er auch in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt (BGH Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, MDR 2005, 435).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweiskraft einer notariellen Urkunde.

Beweiskraft einer notariellen Urkunde
BGH, Beschluss vom 28. August 2024 – XII ZR 62/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von § 415 ZPO.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Verletzung von Pflichten als Betreuer in Anspruch.

Der Beklagte war von September 2015 bis Februar 2016 als vorläufiger Betreuer und von März 2016 bis März 2017 als Betreuer für seine im Jahr 1935 geborene und im Laufe des Rechtsstreits verstorbene Großmutter (nachfolgend: Erblasserin) eingesetzt. Am 30. Dezember 2015 veräußerte er die Wohnung der Erblasserin in einem notariell beurkundeten Kaufvertrag für 120.000 Euro an eine Bekannte seiner Mutter. Nach dem Kaufvertrag hat die Erblasserin alle mit dem Vertrag verbundenen Kosten und die Grunderwerbsteuer zu tragen.

Das Betreuungsgericht teilte dem Beklagten mit Verfügung vom 31. März 2016 mit, gegen die Veräußerung der Wohnung bestünden im Grundsatz keine Bedenken. Die Angemessenheit des Kaufpreises sei aber durch ein Gutachten eines vereidigten Sachverständigen zu belegen. Die vom Beklagten vorgelegte Wertermittlung durch einen Immobilienmakler reiche nicht aus.

Daraufhin genehmigte die (unstreitig geschäftsfähige) Erblasserin den Kaufvertrag am 5. April 2016 in einer notariellen Urkunde. Diese Urkunde enthält unter anderem die Erklärung, der Notar habe der Erblasserin den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrages erklärt und insbesondere darauf hingewiesen, dass der vereinbarte Kaufpreis 120.000 Euro beträgt und dass dieser Betrag einer gutachterlichen Stellungnahme des Maklers H. entspricht.

Seit März 2017 war die Erblasserin durch einen Berufsbetreuer vertreten. Dieser machte geltend, der Marktwert der Wohnung sei bedeutend höher gewesen, und nahm den Beklagten im Namen der Erblasserin auf Schadensersatz in Höhe von rund 58.000 Euro in Anspruch. Seit dem Tod der Erblasserin verfolgt deren Erbe – ein Cousin des Beklagten – den Anspruch weiter.

Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass die notarielle Urkunde vom 5. April 2016 gemäß § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis dafür erbringt, dass die beurkundete Erklärung abgegeben worden ist. Ebenfalls zutreffend hat das OLG angenommen, dass der Kläger – der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt – weder behauptet noch unter Beweis gestellt hat, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist.

Das OLG hat aber verkannt, dass sich die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht auf die inhaltliche Richtigkeit der abgegebenen Erklärung erstreckt.

Im Streitfall ist durch die Urkunde nur bewiesen, dass die Erblasserin den Kaufvertrag genehmigt und bestätigt hat, dass ihr der Notar den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrags erklärt hat. Ob diese Bestätigung inhaltlich zutrifft, hat der Tatrichter hingegen auf der Grundlage von § 286 ZPO zu beurteilen.

Deshalb hätte das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nachgehen müssen, der Notar habe die Erblasserin nicht darauf hingewiesen, dass die Übernahme aller Kosten und Steuern durch den Veräußerer unüblich ist und dass hinsichtlich des Werts der Wohnung nur die Stellungnahme eines Maklers, nicht aber ein Wertgutachten eines Sachverständigen vorliege.

Dieses Vorbringen ist erheblich. Ein Betreuer muss vor dem Verkauf eines Grundstücks grundsätzlich ein Verkehrswertgutachten einholen. Diese Pflicht besteht nicht, wenn der Betreute sein Einverständnis mit der abweichenden Verfahrensweise erklärt. Auf ein solches Einverständnis kann sich der Betreuer aber nicht berufen, wenn er die Betreute nicht hinreichend über den Inhalt und die Bedeutung des Geschäfts aufgeklärt hat.

Praxistipp: Auch wenn die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht greift, kann die Darlegungs- und Beweislast bei der Partei liegen, die die Richtigkeit der Urkunde angreift. So muss im Streitfall der Kläger darlegen und beweisen, dass der Beklagte die ihm gegenüber der Erblasserin obliegende Aufklärungspflicht verletzt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die ersatzfähigen Behandlungskosten eines gesetzlich versicherten Geschädigten.

Darlegungslast für Behandlungskosten
BGH, Urteil vom 9. Juli 2024 – VI ZR 252/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich erneut mit einer Schnittstelle zwischen Zivil- und Sozialrecht.

Die klagende Krankenkasse verlangt vom beklagten Haftpflichtversicherer Erstattung von Behandlungskosten eines Versicherten, der bei einem Motorradunfall schwer verletzt worden ist. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach und die Schwere der erlittenen Verletzungen stehen außer Streit. Die Klägerin hat für die Behandlung in einem Universitätsklinikum rund 58.000 Euro bezahlt und für die Behandlung in einem Rehabilitationszentrum rund 36.000 Euro. Die Beklagte hat den Erstattungsanspruch in Höhe von rund 49.000 Euro anerkannt. Eine weitere Kostenerstattung lehnt sie ab, weil die von der Klägerin vorgelegten Abrechnungsdaten und Berichte der Krankenhäuser nach ihrer Auffassung nicht die Prüfung ermöglichen, ob die aufgewendeten Kosten erforderlich waren.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des nicht anerkannten Restbetrags von rund 45.000 Euro verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG sind die geltend gemachten Kosten nicht schon deshalb ersatzfähig, weil die Klägerin nach sozialrechtlichen Vorschriften zur Zahlung der abgerechneten Beträge an die Krankenhäuser verpflichtet ist. Die Klägerin kann lediglich Ersatzansprüche des Geschädigten geltend machen, die gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangen sind. Der Übergang des Anspruchs auf die Klägerin ändert nichts daran, dass nur derjenige Schaden zu ersetzen ist, der dem Geschädigten entstanden ist.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die Regelung in § 118 SGB X, wonach eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über Grund oder Höhe einer dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung für die Zivilgerichte grundsätzlich bindend ist, in diesem Zusammenhang weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Für die Höhe des Klageanspruchs ist nicht maßgeblich, in welchem Umfang die Klägerin gegenüber ihrem Versicherten zur Leistung verpflichtet ist, sondern nur, welche Behandlungskosten für den Geschädigten erforderlich waren.

Der Übergang des Ersatzanspruchs auf den Sozialversicherungsträger darf auch nicht zu einer Änderung der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Schädigers führen. Die Klägerin muss die Erforderlichkeit der geltend gemachten Behandlungskosten deshalb in gleicher Weise darlegen und unter Beweis stellen, wie dies der Geschädigte selbst tun müsste.

Deshalb sind die von der Klägerin vorgelegten Abrechnungsunterlagen der Krankenhäuser (so genannte Grouper-Ausdrucke) zur Darlegung der Schadenshöhe nicht ausreichend. Diese Unterlagen ermöglichen allenfalls eine beschränkte Überprüfung darauf, ob die abgerechneten Kosten erforderlich waren. Die sozialrechtlichen Vorschriften, nach denen die Vorlage solcher Unterlagen eine Zahlungspflicht der Krankenkassen begründet, entfalten im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem keine Wirkung. Wegen ihres beschränkten Inhalts können sie allenfalls einen Anhaltspunkt für die Erforderlichkeit der Kosten begründen, nicht aber ein starkes Indiz oder gar eine Vermutung.

Der Grundsatz, wonach der Schädiger das so genannte Werkstattrisiko trägt, ist in der Konstellation des Streitfalls nicht anwendbar. Er greift nicht, wenn der Geschädigte seinen Ersatzanspruch an die Werkstatt abtritt. Für den gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 116 SGB X gilt nichts anderes.

Praxistipp: Nach § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Krankenhäuser verpflichtet, der Krankenkasse die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, mitzuteilen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Krankheit die Folge eines Unfalls ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und privater Tätigkeit eines Durchgangsarztes.

Erstversorgung durch den Durchgangsarzt
BGH, Urteil vom 30. Juli 2024 – VI ZR 115/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Abgrenzung zwischen Erstversorgung und weiterer Heilbehandlung.

Die damals achtjährige Klägerin wurde am 20.6.2012 nach einem Sturz auf dem Schulhof am späten Nachmittag in die Klinik der Beklagten eingewiesen. Nach einer Röntgenuntersuchung wurde eine Fraktur des rechten Unterarms mit Fehlstellung diagnostiziert. Gegen 17 Uhr fand ein Aufklärungsgespräch mit der Klägerin und deren Mutter statt. Um 20 Uhr wurde die Narkose eingeleitet. Bei der anschließenden Operation wurde ein die Wachstumsfuge kreuzender Draht (ein Kirschner-Draht) zur Fixierung und Stabilisierung eingebracht. Um 22:45 Uhr wurde die Klägerin auf die Normalstation verlegt.

Die Klägerin begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen einer dauerhaften Beeinträchtigung im Bereich des rechten Handgelenks. Sie stützt ihre Ansprüche auf fehlende medizinische Indikation, unvollständige Aufklärung und Fehler bei der Durchführung des Eingriffs. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil eine wirksame Einwilligung vorliege und ein Behandlungsfehler nicht bewiesen sei. Das OLG wies die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen fehlender Passivlegitimation zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass ein Durchgangsarzt – zu dessen Aufgaben die Erstversorgung und die Entscheidung über die Art der Heilbehandlung gehören – in Ausübung eines öffentlichen Amts handelt. Für Fehler, die ihm dabei unterlaufen, haftet allein der Unfallversicherungsträger, für den er tätig ist.

Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zu den hoheitlichen Tätigkeiten auch die Untersuchungen und die Diagnosestellung zum Zwecke der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung gehören. Dasselbe gilt für die Erstversorgung durch den Durchgangsarzt.

Entgegen der Auffassung des OLG gehört die im Streitfall durchgeführte Operation jedoch nicht zur Erstversorgung.

Nach § 9 des auf der Grundlage von § 34 Abs. 3 SGB VII geschlossenen Vertrages Ärzte/Unfallversicherungsträger umfasst die Erstversorgung die ärztlichen Leistungen, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten. Dazu gehören etwa Wundversorgung, Verbände und Injektionen. Solche Maßnahmen finden regelmäßig vor der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung statt.

Nach diesen Kriterien gehört die im Streitfall durchgeführte Operation bereits zur besonderen (unfallmedizinischen) Heilbehandlung im Sinne von § 11 des Vertrags. Sie wird im Durchgangsarztbericht zwar als Notoperation bezeichnet. Der zeitliche Verlauf nach Einweisung der Klägerin belegt aber, dass sie nicht sofort erforderlich war und dass insbesondere keine Notwendigkeit bestand, sie noch vor der Entscheidung über die weitere Heilbehandlung durchzuführen.

Dass die Operation im Bericht unter der Rubrik „Erstversorgung“ aufgeführt ist, vermag nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen. Dem Durchgangsarztbericht kann bei der Abgrenzung der einzelnen Phasen zwar Bedeutung zukommen. Die Zuordnung von Maßnahmen zu den einzelnen Kategorien liegt aber nicht im Belieben des Durchgangsarztes. Im Streitfall ist die im Bericht vorgenommene Einordnung aufgrund der objektiven Umstände nicht vertretbar.

Das OLG wird deshalb nach der Zurückverweisung prüfen müssen, ob das LG einen haftungsbegründenden Tatbestand zu Recht verneint hat.

Praxistipp: Wenn unklar ist, ob eine hoheitliche oder eine private Tätigkeit vorliegt, sollte dem als Schuldner in Betracht kommenden Unfallversicherungsträger vorsorglich der Streit verkündet werden, um eine Verjährung zu vermeiden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Reichweite der Gefährdungshaftung eines Tierhalters.

Spezifische Tiergefahren trotz Leitung des Tieres durch den Menschen
BGH, Urteil vom 11. Juni 2024 – VI ZR 381/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich noch eine spezifische oder typische Tiergefahr verwirklicht.

Die klagende Krankenversicherung nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Schäden in Anspruch, die eine Versicherungsnehmerin bei einem Unfall mit einem Hund erlitten hat.

Die Tochter des Beklagten ging im Jahr 2020 mit dessen Hund spazieren. Dort traf sie die Versicherungsnehmerin, die ebenfalls mit ihrem Hund unterwegs war. Auf einem hoch mit Gras bewachsenen Feld liefen beide Hunde zu einem Mäuseloch. Der Hund des Beklagten zog dabei seine Schleppleine hinter sich her. Als der Hund des Beklagten auf ein Kommando der Tochter zurücklief, zog sich die Leine nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Geschehen um das Bein der Versicherungsnehmerin fest, weil diese unbemerkt in eine Schlinge geraten war. Die Versicherungsnehmerin wurde umgerissen und erlitt einen Schienbeinbruch.

Die Klage auf Ersatz der Behandlungskosten in Höhe von knapp 12.000 Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Wie die die Vorinstanzen in Ansatz zutreffend angenommen haben, setzt die Haftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB voraus, dass sich eine spezifische oder typische Gefahr des Tieres verwirklicht hat, dessen Halter in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr besteht darin, dass der Halter seine Umwelt mit einem lebenden Organismus konfrontiert, dessen Eigenschaften und Verhalten er wegen der tierischen Eigenwilligkeit nicht in vollem Umfang kontrollieren kann. Hieran fehlt es, wenn keine eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat sich in dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt eine spezifische Tiergefahr verwirklicht.

Im Einzelfall kann die Haftung zwar ausgeschlossen sein, wenn das Tier der Leitung eines Menschen folgt. Dieser Ausnahmetatbestand greift aber nicht, wenn das durch menschliche Leitung ausgelöste Verhalten seinerseits nicht vollständig kontrollierbar ist. Im Streitfall ist der Hund des Beklagten zwar einem Kommando der Tochter gefolgt. Die dadurch ausgelöste Bewegung stand aber nicht unter der Leitung eines Menschen.

Das Berufungsgericht wird nach der Zurückverweisung Feststellungen dazu zu treffen haben, ob sich der Unfall tatsächlich so zugetragen hat, wie die Klägerin dies geltend macht.

Praxistipp: Wenn der Schaden durch ein Verhalten eines vom Geschädigten gehaltenen Tieres mitverursacht worden ist, muss sich der Geschädigte die von diesem Tier ausgehende Gefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen.