BGH: Eltern müssen Namen der rechtsverletzenden Kinder nennen

In Filesharingfällen besteht zunächst die Vermutung, dass der Anschlussinhaber zugleich auch Verletzer der fremden Urheberrechte ist. Es ist Aufgabe des Anschlussinhabers im Rahmen de sekundären Darlegungslast, diese Vermutung zu erschüttern.

In einem typischen Filesharingfall hatte der Anschlussinhaber mitgeteilt, dass ein volljähriges Kind die Verletzung begangen habe, ohne aber den Namen zu nennen. Der Beklagte berief sich auf den grundrechtlichen Schutz der Familie, teilte aber zugleich mit, den Verletzer zu kennen.

Das reichte dem BGH nicht aus, der auch die Eigentumsrechte der Rechteinhaber berücksichtigte, sodass es bei der Haftung des Anschlussinhabers verblieb.

Jens Ferner weist zutreffend darauf hin, dass sich aus den Entscheidungsgründen noch weitere wichtige Erkenntnisse ergeben könnten, die zum Stand der Veröffentlichung dieses Beitrages noch nicht vorlagen.

Praxistipp:
Der Praxistipp ergibt sich aus der Quintessenz des Urteils: Kennt der Anschlussinhaber den Täter namentlich, muss dieser auch angegeben werden. Nachforschungen auf fremdem PCs z.B. sind nicht vom Anschlussinhaber geschuldet. Anschlussinhaber sollten möglichst wenig zur Sachverhaltsaufklärung unternehmen. Beckmann und Norda kommentieren den Fall zutreffend: „Leider ist der Anschlussinhaber im vorliegenden Fall bei der Abwehr der Ansprüche nicht sonderlich geschickt vorgegangen.“
Aufgrund der höchstrichterlichen Klärung dieser Fallgestaltung, dürfte es in Zukunft nur noch in wenigen Fällen zu einer identischen Konstellation kommen, da das Aufklärungsinteresse des kundigen Anschlussinhabers gegen null tendieren dürfte.
BGH , Urteil vom 30.03.2017 – I ZR 19/16

BVerfG zur Auslegung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung

Im Verfahren nach billigem Ermessen hat das Gericht auf Antrag einer Partei gemäß § 495a S. 2 ZPO eine mündliche Verhandlung durchzuführen. In dem vom BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde zu beurteilenden amtsgerichtlichen Verfahren hat  der Kläger unter anderem geschrieben, dass er „einer Entscheidung durch Aktenlage nicht zustimmen wird“. Das Amtsgericht hat die Klage ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen. Hierbei hat das Amtsgericht nach Auffassung des BVerfG gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) verstoßen (Beschl. v. 02.03.2017 – 2 BvR 977/16). Der Kläger habe durch seinen in der Klageschrift enthaltenen Hinweis, einer Entscheidung nach Aktenlage nicht zuzustimmen, erkennbar die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt. Gemäß § 495a Satz 2 ZPO habe das Amtsgericht daher mündlich verhandeln müssen. Dem stünde nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer für die umstrittene Behauptung zunächst keinen Beweis angeboten hatte. Das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stünde nicht unter Praktikabilitätsvorbehalt.

Keine Erstattung der nach der Kostengrundentscheidung entstandenen Terminsgebühr

Die Kostengrundentscheidung in einem Beschluss über den Erlass einer einstweiligen Verfügung erfasst das einstweilige Verfügungsverfahren lediglich bis zum Erlass dieses Beschlusses. Entsteht die Terminsgebühr nach Erlass dieses Beschlusses durch außergerichtliche Besprechungen i.S.v. Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG, kann sie der vorangegangenen Kostengrundentscheidung nicht mehr zugeordnet werden. Die Termingsgebühr ist also nicht auf der Grundlage dieser Kostenentscheidung gegen den Gegner festsetzungsfähig. So hat es der BGH entschieden (Beschl. v. 07.02.2017 – VI ZB 43/16).

Der BGH wendet sich also nicht gegen die Entstehung der Terminsgebühr. Die Terminsgebühr hat der Mandant dem Anwalt zu vergüten. Der Mandant erhält die Terminsgebühr lediglich nicht vom Gegner erstattet. Hätte ein Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung vorgelegen, hätte die Terminsgebühr von einer nachfolgenden Kostengrundentscheidung über die „weiteren Kosten“ des einstweiligen Verfügungsverfahrens erfasst sein können.

Montagsblog: Neues vom BGH

Reichweite einer Kostenvereinbarung in einem Prozessvergleich
Beschluss vom 14. Februar 2017  – VI ZB 24/16

Dass eine Vereinbarung über „die Kosten des Rechtsstreits“ unter Umständen nicht für alle erstattungsfähigen Kosten gilt, zeigt eine Entscheidung des VI. Zivilsenats.

Die Klägerinnen hatten die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen Das LG hatte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dagegen hatten sich die Beklagten erfolglos mit Berufung und Revision zur Wehr gesetzt. Im Betragsverfahren schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, in dem die Klägerinnen ein Viertel und die Beklagten drei Viertel der „Kosten des Rechtsstreits“ übernahmen. Das LG setzte die Kosten der Berufungs- und der Revisionsinstanz dennoch in voller Höhe gegen die Beklagten fest. Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Beklagten zurück. Er tritt den Vorinstanzen darin bei, dass die Kostenvereinbarung der Parteien die im Berufungs- und Revisionsrechtzug entstandenen Kosten nicht erfasst, weil diese Kosten schon vor Abschluss des Vergleichs gemäß § 97 Abs. 1 ZPO in vollem Umfang den Beklagten auferlegt worden und diese Entscheidungen rechtskräftig waren. Er stützt dies auf den Rechtsgedanken des § 97 Abs. 1 ZPO, auf den Umstand, dass die Auslegungsregel in § 98 Satz 2 ZPO, wonach im Falle eines Vergleichs im Zweifel von einer Kostenaufhebung auszugehen ist, nicht für Kosten gilt, über die bereits rechtskräftig entschieden wurde, und auf den Grundsatz, wonach der Wille, auf einen bereits entstandenen Anspruch zu verzichten, unmissverständlich zum Ausdruck kommen muss.

Praxistipp: Um Zweifel über eine Einbeziehung der Kosten aus abgeschlossenen Rechtsmittelverfahren auszuschließen, müssen diese  in der Kostenvereinbarung ausdrücklich erwähnt werden.

Reichweite einer Kostengrundentscheidung
Beschluss vom 7. Februar 2017  – VI ZB 43/16

In einem kurze Zeit zuvor ergangenen Beschluss befasst sich der VI. Zivilsenat mit der Frage, in welchem Umfang eine Anwaltsgebühr, die durch eine auf Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung entstanden ist, im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigungsfähig ist.

Das LG hatte gegen den Antragsgegner im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung erlassen und ihm 91% der Kosten des Verfügungsverfahrens auferlegt. Nach Zustellung des Beschlusses führten die Verfahrensbevollmächtigten der Parteien zwei Telefongespräche, in deren Gefolge der Antragsgegner eine Abschlusserklärung abgab. Im Kostenfestsetzungsverfahren machte die Antragstellerin unter anderem eine Terminsgebühr für die telefonischen Besprechungen geltend. Das LG setzte die Kosten antragsgemäß fest. Das OLG reduzierte die festgesetzten Kosten um die anteilige Terminsgebühr.

Der BGH weist Rechtsbeschwerde zurück. Mit dem OLG sieht er die Terminsgebühr als nicht von der Kostengrundentscheidung gedeckt an. Dabei lässt er offen, ob die Telefongespräche nur auf die Vermeidung eines Hauptsacheverfahren oder – zumindest auch – auf eine Erledigung des Verfügungsverfahrens gerichtet waren. Der Einbeziehung steht jedenfalls entgegen, dass eine Kostengrundentscheidung nur solche Kosten erfasst, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses bereits entstanden sind. Daran fehlt es im Streitfall, weil die Telefongespräche erst nach Erlass der einstweiligen Verfügung geführt wurden und danach keine weitere Kostengrundentscheidung ergangen ist.

Praxistipp: Wenn der Antragsgegner wegen der beanstandeten Handlung zum Schadensersatz verpflichtet ist, können die Kosten zum erstattungsfähigen Schaden gehören.

BGH stellt praktisch kaum noch Anforderungen an die Unterschrift unter einem Schriftsatz

Wann ist eine (angebliche) Unterschrift tatsächlich als solche anzuerkennen? Zwischen den Tatsacheninstanzen und dem BGH kommt es bei dieser Frage immer wieder zu Streitigkeiten. Dabei stellen die Tatsacheninstanzen auch hier in aller Regel strengere Anforderungen als der BGH.

In dem Verfahren VI ZB 16/16, MDR 2017, 227 ging es – wieder einmal – um die Zulässigkeit einer Berufung. Die Unterschrift des Rechtsanwaltes bestand aus einem in die Länge gezogenen, nach oben offenen Halbkreis mit nach innen weisenden kurzen Schnörkeln. Selbst der BGH konstatiert in seinem Beschluss vom 29.11.2016, dass diese „Unterschrift“ sehr einfach strukturiert ist und offenbar – wie sich aus anderen im Laufe des Verfahrens geleisteten Unterschriften ergab – einem starken Abschleifungsprozess unterlegen war. Gleichwohl sei sie ausreichend individuell und ließe sich als Wiedergabe eines Namen erkennen. Ein solcher vereinfachter und eigentlich nicht lesbarer Namenszug kann als Unterschrift ausreichen, wenn der Unterzeichner auch sonst gleich oder ähnlich unterzeichnet. Für entscheidend hält der BGH in diesem Zusammenhang, dass keine Zweifel an der Urheberschaft des Unterzeichners bestanden, und zwar weil unter der Unterschrift die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens nebst der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt stand und weil der Rechtsanwalt eben schon zuvor in der nunmehr beanstandeten Weise unterschrieben hatte. Dies bedeutet also in letzter Konsequenz: Der Unterzeichner bestimmt selbst, welche Anforderungen für seine Unterschrift ausreichend sind – ein doch etwas merkwürdiges Ergebnis.

Als Nebenaspekt der Entscheidung ist noch erwähnenswert: Die Frage, ob die Unterschrift in der Berufungsschrift ausreichend ist, wird von dem Revisionsgericht von Amts wegen unabhängig von der Auffassung des Berufungsgerichts in eigener Verantwortung geprüft, da die Zulässigkeit der Berufung Zulässigkeitsvoraussetzung für das weitere Verfahren und damit auch die Revision ist. Der Beschluss des Berufungsgerichts, worin ein vorsichtshalber gestellter Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen worden war, wird durch die Aufhebung des die Berufung verwerfenden Beschlusses gegenstandslos, so dass darüber gar nicht mehr zu entscheiden ist.

Unabhängig davon, drängen sich folgende Überlegungen auf: Entscheidungen zur Frage, welche Anforderungen an eine Unterschrift zu stellen sind, werden seit Jahren ständig veröffentlicht. Es ist daher eigentlich kaum zu glauben, dass es noch Rechtsanwälte gibt, die das Risiko eingehen, hier wegen einer „Nicht-Unterschrift“ einen Prozess zu verlieren, was nicht nur gegenüber der Mandantschaft mehr als peinlich ist. Jeder Rechtsanwalt tut daher gut daran, sich von vornherein eine Unterschrift zuzulegen, die gar nicht erst irgendwelche Zweifel aufkommen lässt und Nebenkriegsschauplätze eröffnet, auf die man getrost verzichten kann.

Dies gilt übrigens genauso für Richter! Fehlt es bei einem Urteil an der wirksamen Unterschrift, fangen z.B. Fristen aller Art (z.B. die Berufungs- und die Einspruchsfrist) gar nicht an zu laufen. Auch als Richter kann man daher viel Ärger bekommen, wenn die eigene Unterschrift nicht als ausreichend angesehen wird.

Daher spricht  wohl nichts gegen eine deutliche, gut lesbare Unterschrift, die aus Sicherheitsgründen allerdings nicht derjenigen entsprechen sollte, die bei eigenen Bankgeschäften benutzt wird.

 

 

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Berufungsbegründung per Telefax
Beschluss vom 26. Januar 2017  – I ZB 43/16

Grenzen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht bei der Einreichung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax zeigt der I. Zivilsenat auf.

Der Prozessbevollmächtigte der in erster Instanz unterlegenen Beklagten hatte am letzten Tag der Frist von 23:28 Uhr an mehrfach vergeblich versucht, die sieben Seiten umfassende Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Alle Sendeversuche brachen mit der Meldung „Übertragungsfehler“ ab. Eine nachträgliche Überprüfung ergab, dass es beim Faxgerät des Berufungsgerichts am besagten Tag mehrfach zu vergleichbaren Übermittlungsfehlern gekommen war. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag dennoch als unbegründet zurück. Es bejahte ein Verschulden, weil die Möglichkeit bestanden habe, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln, dessen Nummer auf den Internetseiten des Gerichts veröffentlicht war.

Der BGH hebt die Entscheidung des OLG auf und gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax am letzten Tag der Frist kein Verschulden begründet, sofern ein ausreichender Zeitpuffer eingeplant wird, um eine vorübergehende Belegung des Anschlusses zu kompensieren. Diese Anforderung war für die Übersendung von sieben Seiten um 23:28 Uhr gewahrt. Aufgrund der vom OLG getroffenen Feststellungen war ferner davon auszugehen, dass die Übermittlung aufgrund eines technischen Fehlers am Empfangsgerät gescheitert ist. Bei dieser Ausgangslage brauchte sich der Anwalt entgegen der Auffassung des OLGs nicht auf das Wagnis einzulassen, den Schriftsatz an den Telefaxanschluss des Pressesprechers zu übermitteln. Dessen Nummer war zwar auf den Internetseiten des OLG veröffentlicht. Daraus ging aber nicht hervor, dass der Anschluss zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen dient.

Praxistipp: Wenn das zuständige Gericht einen bestimmten Faxanschluss ausdrücklich zur Entgegennahme von fristgebundenen Schriftsätzen benannt hat, ist die Übermittlung an einen anderen, nicht für diesen Zweck eingerichteten Anschluss nicht ohne weiteres zur Fristwahrung geeignet – selbst dann, wenn sie innerhalb der maßgeblichen Frist erfolgt.

Formwahrung durch gerichtlich festgestellten Vergleich
Beschluss vom 1. Februar 2017  – XII ZB 71/16

Die seit langem umstrittene Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellter Vergleich entsprechend § 127a BGB zur Wahrung der notariellen Form geeignet ist, bejaht der XII. Zivilsenat in einer ausführlich begründeten Entscheidung.

In einem Scheidungsverfahren hatten die Beteiligten einen vom Gericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich geschlossen, der unter anderem einen gegenseitigen Verzicht auf Zugewinn und Unterhalt enthielt. Später focht der Antragsteller den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an und begehrte im Wege der Stufenklage Auskunft und Zugewinnausgleich. Das Begehren blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde zurück. Er teilt die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Vergleich dem in § 1410 BGB vorgesehenen  Erfordernis der notariellen Beurkundung genügt. § 127a BGB, wonach ein gerichtlich protokollierter Vergleich die notarielle Beurkundung ersetzt, ist für Vergleiche, deren Zustandekommen das Gericht durch Beschluss gemäß § 278 Abs. 6 ZPO feststellt, zwar nicht unmittelbar anwendbar. Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten aber eine analoge Anwendung, und zwar unabhängig davon, ob der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts oder aufgrund übereinstimmender Schriftsätze der Beteiligten zustande gekommen ist.

Praxistipp: Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob ein nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich zur Formwahrung auch dann geeignet ist, wenn das Gesetz die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile vorschreibt, wie etwa in § 925 BGB für eine Auflassung.

Montagsblog: Neues vom BGH

Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Beweislastumkehr für Schadensursachen im Verantwortungsbereich des Schuldners
Urteil vom 12. Januar 2017 – III ZR 4/16

Eine allgemeine Frage der Beweislastverteilung behandelt der III. Zivilsenat im Zusammenhang mit einem Pferdepensionsvertrag.

Die Klägerin hatte ein vierjähriges Pferd bei dem Reitstall des Beklagten in Vollberitt gegeben. Nach einigen Monaten erlitt das Tier eine schwere Verletzung, als es beim Freilauf unter Aufsicht einer Praktikantin mit dem Kopf gegen eine Stahlstütze stieß. Die auf Schadensersatz gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er allerdings der Ansicht, dass der Schwerpunkt des Vertrags nicht im Verwahrungsrecht, sondern im Dienstvertragsrecht liegt, weil die Ausbildung des Pferdes im Streitfall deutlich im Vordergrund stand. Deshalb obliegt es grundsätzlich der Klägerin, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu beweisen. Im Streitfall tritt aber eine Beweislastumkehr ein, weil der Schaden im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten entstanden ist und die ungewöhnlichen Umstände, unter denen es zu dem Schaden kam, auf einen Pflichtenverstoß hindeuten.

Praxistipp: Um die Beweislastumkehr zu erreichen, muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, weshalb die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Schuldners hervorgegangen ist und weshalb ein ungewöhnlicher Kausalverlauf vorliegt.

Handlungsort bei unerlaubter Kapitalanlagevermittlung
Urteil vom 18. Oktober 2016 – VI ZR 618/15

Mit der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den in der Schweiz wohnhaften Beklagten als Alleinaktionär und Vorstand einer in Liechtenstein ansässigen Aktiengesellschaft wegen unerlaubter Erbringung von Finanzdienstleistungen in Anspruch. Die als Finanzdienstleister fungierende Aktiengesellschaft hatte in Deutschland kein Büro und keine festen Angestellten. Als Vermittler war ein in Deutschland ansässiger Versicherungsmakler aufgetreten. Der Vertragsschluss fand in der Schweiz statt. Das LG wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an und verwies die Sache in die erste Instanz zurück.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Mit dem OLG kommt er zu dem Ergebnis, dass kein inländischer Erfolgsort vorliegt, weil der Vertragsschluss in der Schweiz erfolgte und die Anlagesumme von einem Schweizer Konto des Klägers überwiesen wurde. Abweichend vom OLG verneint der BGH auch einen inländischen Handlungsort. Die Handlungen des in Deutschland aufgetretenen Vermittlers können dem Beklagten nicht zuständigkeitsbegründend zugerechnet werden. Wenn ein Schaden von mehreren Personen verursacht wurde, dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nur diejenigen Personen im Inland verklagt werden, die dort selbst tätig geworden sind.

Praxistipp: Ein die Zuständigkeit begründender Erfolgsort liegt schon dann vor, der Anlagebetrag von einem deutschen Konto überwiesen wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Ablehnung eines Sachverständigen wegen vorheriger Tätigkeit als Privatgutachter oder Schlichter
Beschluss vom 13. Dezember 2016 – VI ZB 1/16
Beschluss vom 10. Januar 2017 – VI ZB 31/16

Mit den Voraussetzungen für die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen befasst sich der VI. Zivilsenat in zwei kurz aufeinander ergangenen und zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichten Beschlüssen.

Im ersten Fall hatte der in einem selbständigen Beweisverfahren vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige den Antragsteller bereits in einem vorangegangenen Verfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer begutachtet. Im zweiten Fall, in dem es um eine nach Auffassung des Klägers schon ihrer Bauart nach fehlerhafte Hüftprothese ging, hatte der vom Gericht bestellte Sachverständige anlässlich eines Rechtsstreits des Beklagten mit einem anderen Kläger im Auftrag des Beklagten ein Privatgutachten gestellt, das sich nach dem Vortrag des Klägers mit einer Hüftprothese desselben Typs befasste. In beiden Fällen hielten LG und OLG das Ablehnungsgesuch des Antragstellers bzw. Klägers für unbegründet.

Der BGH hebt beide Beschwerdeentscheidungen auf.

Im ersten Fall hält er das Ablehnungsgesuch schon deshalb gemäß § 41 Nr. 8 ZPO für begründet, weil das Verfahren vor der Landesärztekammer der außergerichtlichen Konfliktbeilegung diente. Diese Vorschrift ist kraft der Verweisung in § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch für Sachverständige anwendbar. Für eine teleologische Reduktion besteht kein Anlass, auch wenn dem Gesetzgeber der Zusammenhang zwischen den beiden Vorschriften nicht vor Augen gestanden haben mag. § 41 Nr. 8 ZPO soll eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre im außergerichtlichen Verfahren gewährleisten. Dieses Ziel wäre gefährdet, wenn ein Beteiligter befürchten müsste, dass der Sachverständige seine in diesem Verfahren gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse ins spätere gerichtliche Verfahren transportiert.

Im zweiten Fall verweist der BGH die Sache an das OLG zurück. Wenn ein gerichtlicher Sachverständiger in derselben Sache bereits ein Privatgutachten für eine Prozesspartei oder deren Versicherer erstellt hat, besteht regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO. Dasselbe gilt, wenn der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet. Entgegen der Auffassung des OLG besteht in solchen Fällen auch dann ein Ablehnungsgrund, wenn auf dem betroffenen Sachgebiet nur wenige qualifizierte Sachverständige zur Verfügung stehen. Das OLG wird deshalb nach Zurückverweisung zu klären haben, ob das Privatgutachten tatsächlich eine Hüftprothese desselben oder zumindest eines vergleichbaren Typs betraf.

Praxistipp: Gemäß § 406 Abs. 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch gegen einen gerichtlichen Sachverständigen innerhalb von zwei Wochen nach Ernennung anzubringen. Ein späteres Gesuch ist nur zulässig, wenn der Antragsteller ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.

Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall auf der Autobahn
Urteil vom 13. Dezember 2016 – VI ZR 32/16

Mit den Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin fuhr mit ihrem Motorrad auf der Autobahn auf einen Kastenwagen auf. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte der Kastenwagen auf der Überholspur plötzlich stark abgebremst und war dann ruckartig auf die rechte Fahrspur gewechselt, auf der die Klägerin fuhr. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Klägerin spricht, weil diese auf das andere Fahrzeug aufgefahren ist. Dieser Anscheinsbeweis wäre zwar erschüttert, wenn der Unfallgegner kurz zuvor die Spur gewechselt hätte. Die Beweislast für diesen Umstand liegt aber bei der Klägerin. Im Streitfall vermochte das OLG nach Beweisaufnahme einen Spurwechsel nicht festzustellen. Deshalb ist der Anscheinsbeweis nicht erschüttert.

Praxistipp: Angesichts der aufgezeigten Beweislastverteilung sollte die Partei, zu deren Ungunsten ein Anscheinsbeweis in Betracht kommt, darauf achten, schon denjenigen Tatsachenbehauptungen, die einen typischen Geschehensablauf nahelegen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten.

Vom „Zer-entscheiden“ von neuen Gesetzen

Im Rahmen eines Rechtsstreites wegen Schadensersatzes aufgrund eines angeblich nur vorgeschobenen Eigenbedarfs hat der BGH (Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, MDR 2017, 21) – obwohl im Rahmen dieser Entscheidung eigentlich gar nicht unbedingt veranlasst (!) – folgende Ausführungen vorgelegt:

„Für das weitere Berufungsverfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen im Hinblick auf die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts und auf die Darlegungslast des Vermieters bei einem im Anschluss an den Auszug des Mieters nicht verwirklichten Eigenbedarf:

  1. Die bisherigen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Umfang seiner Prüfungskompetenz lassen besorgen, dass es verkannt hat, dass diese nicht – wie die revisionsrechtliche Prüfung – auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt ist. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidung des Einzelfalles besteht (…). Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, anders als das Berufungsgericht offenbar gemeint hat, auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (…). Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es somit zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (…). Hält es das Berufungsgericht – wie hier – für denkbar, dass die von der Berufung aufgeworfenen Fragen zu einer anderen Würdigung führen können, besteht Anlass für die Überlegung, ob für die andere Würdigung zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht und deshalb Anlass zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht.“

Mit diesem Begründungsmuster lässt sich praktisch jede Entscheidung eines Berufungsgerichts – entsprechenden Vortrag durch den Revisionsanwalt unterstellt – unproblematisch aufheben. Jede Beweisaufnahme ist notwendig immer nur eine Momentaufnahme. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einer Wiederholung etwas anderes herauskommt, besteht immer. Dies liegt – wie es so schön heißt – in der Natur der Sache.

Diese Sichtweise ist ein gutes Beispiel dafür, wie es der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer wieder gelingt, echte Reformen im Sande verlaufen zu lassen. Mit der einschränkenden Prüfungskompetenz durch die Berufungsgerichte wird es in einigen Jahre voraussichtlich genauso ergehen, wie mit der Zurückweisung des verspäteten Vorbringens heute: Der Gesetzgeber hatte diese Vorschriften seinerzeit vor Jahrzehnten mit Bedacht eingeführt, um die Prozesse zu beschleunigen. Das Ergebnis nach mehreren Jahren und unzähligen Entscheidungen des BGH sowie des BVerfG: Eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist faktisch nicht mehr möglich. Eine Zurückweisung findet in der Praxis demgemäß überwiegend auch gar nicht mehr statt. Die Prognose: In spätestens zehn Jahren werden die Berufungsgerichte vom BGH, vor allem von dem Mietsenat, dazu verpflichtet werden, alle Beweisaufnahmen erster Instanz zu wiederholen. Man weiß ja schließlich nie …

So werden sinnvolle Reformversuche durch die höchstrichterliche Rechtsprechung immer wieder aufs Neue „zer-entschieden“. Der Gesetzgeber kann machen, was er will. Es bleibt im Laufe der Zeit alles beim Alten.