Anwaltsblog 30/2024: Muss für das arglistige Verschweigen eines Mangels eine moralisch verwerfliche Gesinnung des Verkäufers nachgewiesen werden?

 

Ob ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB voraussetzt, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 212/23):

 

Die Kläger erwarben mit Vertrag vom 8. März 2019 von den Beklagten ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Die Beklagten hatten das Haus im März 2017 erworben und bis zum Verkauf an die Kläger selbst bewohnt. Nach Einholung eines Gutachtens eines Bausachverständigen erklärten die Kläger wegen mangelhafter Kellerabdichtung im August 2019 den Rücktritt vom Kaufvertrag und leiteten ein selbständiges Beweisverfahren ein. Das Landgericht hat die Klage, mit die Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen, abgewiesen; das OLG die Berufung zurückgewiesen. Die Kläger hätten ein arglistiges Verschweigen von Mängeln durch die Beklagten nicht bewiesen. Zwar seien die Kelleraußen- und -innenwände nach dem Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens messbar feucht. Das Landgericht habe aber nicht festgestellt, dass die Beklagten die Feuchtigkeitsbelastung erkennen konnten, während sie das Haus von März 2017 bis März 2019 bewohnten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen ergäben sich aus dem Berufungsvorbringen nicht. Die gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, dass die Frage, ob für die Beklagten Feuchtigkeitserscheinungen wahrnehmbar gewesen seien, nicht mit absoluter Sicherheit zu beantworten sei. Auch das von den Klägern eingeholte Privatgutachten enthalte dazu keine Ausführungen. Soweit die Kläger nunmehr rügten, der Privatsachverständige hätte als Zeuge vernommen werden müssen, sei dies verspätet. Die Rüge hätte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben werden müssen. Sie sei auch in der Sache nicht berechtigt. Der Privatsachverständige sei nicht als Zeuge dafür benannt worden, dass den Beklagten die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung bekannt gewesen sei und sie dies den Klägern arglistig verschwiegen hätten.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit der Verneinung der Sachmängelhaftung der Beklagten für die Feuchtigkeit der Kellerwände den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen tatrichterlichen Beweiswürdigung beruht oder Präklusionsvorschriften in offenkundig unrichtiger Weise angewandt werden. So verhält es sich hier, soweit das Berufungsgericht die auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützte Klage abgewiesen hat, ohne dem Beweisantrag der Kläger auf Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen nachzugehen. Die Kläger haben bereits in erster Instanz den von ihnen beauftragten Privatgutachter als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) dafür benannt, dass die Beklagten von den Feuchtigkeitserscheinungen gewusst und diese arglistig verschwiegen haben, da sie an den betroffenen Stellen unmittelbar vor dem Besichtigungstermin im Juni 2019 Maler- und Putzarbeiten ausgeführt haben. Die unterbliebene Beweisaufnahme haben die Kläger in der Berufungsbegründung und damit rechtzeitig gerügt.

Die Zurückweisung dieses Vorbringens als verspätet beruht auf einer offenkundig unrichtigen Anwendung der Präklusionsvorschriften. Die Kläger haben in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Vorbringen präzisiert und vorgetragen, dass der Privatsachverständige bei seiner Besichtigung am 28. Juni 2019 im Keller Schimmel- und Feuchtigkeitsbildung festgestellt habe, „es somit durch sachverständigen Zeugenbeweis festgestellt sei, dass knapp acht Wochen nach Einzug der Kläger Feuchtigkeit und Schimmelbildung in dem Keller, den die Beklagten vormals als Fitnessraum genutzt hätten“, vorhanden gewesen sei. Zudem habe der als Zeuge benannte Privatgutachter festgestellt, dass die Wände und die Decke neu gestrichen und lokal ausgebessert und die Wandoberflächen lokal ausgebessert und gespachtelt worden seien. Schließlich durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung des Privatsachverständigen als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) auch nicht mit der Begründung absehen, es sei plausibel und nicht zu widerlegen, dass die Beklagten die Immobilie im Frühjahr 2017 ohne erkennbare Feuchtigkeit übernommen hätten, weil die gerichtliche Sachverständige die Erkennbarkeit der Feuchteerscheinungen nicht mit absoluter Sicherheit habe feststellen können. Dies stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Das Berufungsgericht übersieht, dass es keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage ist, ob die Beklagten die Feuchtigkeit erkannt haben. Zu der Kenntnis der Beklagten von der Feuchtigkeit konnte die gerichtliche Sachverständige aus eigener Anschauung keine Feststellungen treffen. Darüber musste sich das Berufungsgericht auf der Grundlage des unter Beweis gestellten Vorbringens der Parteien eine Überzeugung bilden. Der Beweisantrag der Kläger zielt darauf, die Grundlage für eine dahingehende Überzeugungsbildung des Gerichts zu schaffen.

Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich. Nach § 444 BGB darf sich der Verkäufer auf einen in dem Kaufvertrag vereinbarten Haftungsausschluss nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen – zweckmäßigerweise im Beisein der gerichtlichen Sachverständigen – zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Wenn ein sachverständiger Zeuge bereits drei Monate nach Auszug der Beklagten eine erhebliche Feuchtigkeit der Kellerwände und einen Neuanstrich der betroffenen Stellen erkennt, kann dies Rückschlüsse auf eine erhebliche Feuchtigkeit auch in der Vergangenheit sowie eine Kenntnis der Beklagten und gegebenenfalls sogar eine bewusste Vertuschung der Schäden zulassen, zumal bereits die frühere Mieterin Feuchtigkeits- und Schimmelbildung an denselben Stellen bemerkt und diese zum Anlass für eine Mietminderung genommen haben soll.

 

Fazit: Arglist setzt nicht voraus, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt. Ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB ist bereits dann gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGH, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18 -, MDR 2019, 1376).

OLG Frankfurt am Main: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit

Mit dem Problem der Selbstwiderlegung der Dringlichkeit im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren hat sich das OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 28.6.2024 – 9 W 12/24) befasst.

Mit einem der (späteren) Antragstellerin am 19.4.2024 zugegangenen Schreiben vom 14.4.2024 untersagte die (spätere) Antragsgegnerin der Antragsstellerin, eine Verkehrsfläche zu betreten oder zu befahren. Daraufhin forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.4.2024 von der Antragsgegnerin Unterlassung und setzte eine Frist bis zum 8.5.2024. Die Frist verstrich ergebnislos. Mit Schriftsatz vom 25.5.2024, eingegangen am 28.5.2024, beantragte die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung.

Das LG wies den Antrag mangels Eilbedürftigkeit und damit mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes zurück. Die Antragstellerin habe insgesamt zu lange gewartet. Diese Auffassung teilt das OLG nicht.

Der Versuch der Antragstellerin, die Situation zunächst durch ein vorgerichtliches Schreiben zu befrieden, lässt die Dringlichkeit nicht entfallen. Hieraus allein kann nicht geschlossen werden, dass es der Antragstellerin nicht mehr eilig sei.

Allerdings gibt es im Wettbewerbsrecht eine – allerdings keinesfalls starre, sondern lediglich der Orientierung dienende – Sechswochenfrist zur Widerlegung der Dringlichkeit. Es ist jedoch bereits fraglich, ob diese Frist auch auf Besitzstörungen angewandt werden kann. Im Übrigen sind es vom 19.4. bis 28.5. keine sechs Wochen gewesen.

Das OLG hebt daher den Beschluss des LG auf. Eine eigene Entscheidung trifft es nicht, da das LG in Parallelverfahren bereits Termine bestimmt hatte, so dass eine Entscheidung in erster Instanz mit mündlicher Verhandlung zielführend erscheint.

Fazit: Diese Entscheidung ist zu begrüßen. In manchen Fällen wird sogar verlangt, dass der potenzielle Antragsgegner einer einstweiligen Verfügung zunächst vorgerichtlich angeschrieben wird, um überhaupt das Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu begründen. Von daher wäre es zweckwidrig, aus einer im Normalfall durchaus sinnvollen und zielführenden Maßnahme eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzuleiten.

Anwaltsblog 29/2024: Wann führen Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung zur Unwirksamkeit der Zustellung?

Der BGH hatte zu entscheiden, welche Auswirkungen Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung einer Entscheidung auf die Wirksamkeit der Zustellung haben (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – XII ZB 493/22):

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit einem am 7. März 2022 zugestellten Beschluss, der einen auf den 24. Februar 2022 lautenden Verkündungsvermerk trägt, zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs von 83.248,50 € verpflichtet. Auf Beanstandungen der Beteiligten über Unvollständigkeiten des Beschlusses hat das AG am 8. März 2022 darauf hingewiesen, dass den Beteiligten „versehentlich Ausfertigungen des am 24. Februar 2022 verkündeten Beschlusses übersandt“ worden seien, die – wahrscheinlich aufgrund von Formatierungsfehlern bei der Textverarbeitung – nicht mit dem Originalbeschluss in der Gerichtsakte übereinstimmten. Zugleich hat es die Beteiligten gebeten, die „übersandten Beschlüsse zurückzureichen“, damit die „Entscheidung (…) erneut zugestellt werden“ könne. Gegen den ihm am 24. März 2022 erneut zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 20. April 2022 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Das OLG hat die Beschwerde als verfristet verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das OLG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Die Monatsfrist des § 63 Abs. 1, 3 Satz 1 FamFG begann ohne Rücksicht auf die Mängel der Beschlussausfertigung bereits mit der am 7. März 2022 erfolgten Zustellung zu laufen. Bei Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter beglaubigter Abschrift kommt es für die Wirksamkeit der Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist entscheidend darauf an, ob die zugestellte beglaubigte Abschrift formell und inhaltlich geeignet war, den Beteiligten die Entschließung über die Notwendigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu ermöglichen. Der Zustellungsempfänger muss aus der beglaubigten Abschrift wenigstens den Inhalt der Urschrift und vor allem den Umfang seiner Beschwer und die tragenden Entscheidungsgründe erkennen können. Dies war hinsichtlich der am 7. März 2022 zugestellten beglaubigten Abschrift der Fall. Sowohl aus dem Tenor als auch aus den Gründen der Abschrift ergab sich seine Verpflichtung zur Zahlung eines Zugewinnausgleichsbetrags in Höhe von 83.248,50 € nebst Zinsen. Auch wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe unvollständig waren, ließen diese allein noch keine Zweifel am Umfang der Zahlungsverpflichtung aufkommen. Da die Zustellung am 7. März 2022 wirksam war, konnte die nochmalige Zustellung den Lauf der Frist nicht mehr beeinflussen. Denn das AG konnte durch die Veranlassung der erneuten Zustellung die Rechtswirkungen der bereits erfolgten Zustellung nicht mehr rückgängig machen.

Das OLG hätte jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist bewilligen müssen. Denn der Antragsgegner hat diese unverschuldet versäumt. Ein Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls nicht gegeben. Zwar ist die verspätete Einlegung des Rechtsmittels auf den Irrtum des Rechtsanwalts über die den Fristlauf auslösende Zustellung zurückzuführen. Dass dieser Irrtum auf der Mitteilung des Gerichts beruhte, entlastet den Rechtsanwalt noch nicht ohne Weiteres. Denn auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts darf er sich nicht ohne Weiteres verlassen, sondern ist verpflichtet, die sich bei der Verfahrensführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus. Anderes gilt indessen, wenn dem Rechtsanwalt vom Gericht gegebene Informationen sich auf gerichtsinterne Vorgänge beziehen und die Unrichtigkeit der Informationen mithin nicht ohne Weiteres zu erkennen ist. Erklärt etwa das Gericht die bereits erfolgte Zustellung für unwirksam und ist die Unrichtigkeit dieser Information für den Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres erkennbar, so trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden, wenn er davon ausgeht, dass erst die wiederholte Zustellung wirksam ist und den Lauf einer Frist auslöst. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Die Aufforderung, die zugestellte Ausfertigung zurückzusenden, erfolgte durch die zuständige Richterin. Zwar waren den Beteiligten Unvollständigkeiten aufgefallen, jedoch war damit dem Rechtsanwalt das konkrete Ausmaß der Abweichungen von der erlassenen Entscheidung nicht erkennbar. Aus diesem Grund konnte er auch nicht aus eigener Kenntnis von der Wirksamkeit der ersten Zustellung ausgehen. Zumal er die erhaltene Ausfertigung auf die Aufforderung des Gerichts zurückgegeben hatte, ist ihm nicht vorzuwerfen, dass er hinsichtlich des Laufs der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist die zweite Zustellung für maßgeblich gehalten hat.

Ob der Antragsgegner konkludent einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, kann offenbleiben. Denn bei der gegebenen Sachlage hätte das OLG ihm von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen müssen. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

 

Fazit: Veranlasst die Geschäftsstelle des Gerichts die nochmalige Zustellung eines Versäumnisurteils, weil sie irrig davon ausgeht, die bereits erfolgte Zustellung sei wegen fehlender Belehrung über den Einspruch unwirksam, so wird der bereits mit der ersten Zustellung ausgelöste Lauf der Einspruchsfrist davon nicht berührt. Den Rechtsanwalt, der sich wegen der wiederholten Zustellung beim Gericht nach dem Grund erkundigt und von der Geschäftsstelle die nicht näher erläuterte Auskunft erhält, die erste Zustellung sei unwirksam und könne als gegenstandslos betrachtet werden, trifft jedenfalls dann kein Verschulden, wenn die Auskunft nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Pflicht zu einer weiteren Nachfrage nach dem konkreten Grund der Unwirksamkeit trifft ihn nicht (BGH, Versäumnisurteil vom 15. Dezember 2010 – XII ZR 27/09 –, MDR 2011, 316).

Anwaltsblog 27/2024: Auch Gerichtssachverständige müssen ein elektronisches Postfach haben!

Mit der Frage, ob auch Gerichtssachverständige zu den „sonstige(n) in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte(n) Personen“ des § 173 Abs. 2 ZPO gehören, die einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen haben, hat sich erstmalig ein Oberlandesgericht befasst (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24):

 

Die vom Senat beauftragte Sachverständige ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken. Sie verfügt nicht über ein elektronisches Postfach, das die Zustellung von elektronischen Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 173 ZPO durch die Justiz gestattet. Der Senat gibt ihr durch Beschluss auf, ein elektronisches Postfach einzurichten, das für die elektronische Zustellung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg iSv. § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist. Die Anordnung des Senats beruht auf § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach haben u.a. sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Öffentlich bestellte und vereidigte (öbuv) Sachverständige gehören zu diesem Personenkreis.

Der Gesetzgeber hat die Beurteilung, ob Sachverständige zu dem Personenkreis der in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligten Personen zählen, den Gerichten überlassen. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt, hat er in dieser nur beispielhaft („nicht abschließend“) Personen, Vereinigungen und Organisationen angeführt, die unter dem Tatbestandsmerkmal zu fassen sind. Bei öbuv. Sachverständigen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung von einer erhöhten Zuverlässigkeit auszugehen. Wie sich aus § 36 Abs. 1 GewO ergibt, bestehen besonders hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Personen, die als Sachverständige öffentlich bestellt werden dürfen. Mit der öffentlichen Bestellung wird einem Sachverständigen u.a. die persönliche Integrität bestätigt. Zudem gewährleistet die Aufsicht der Bestellungskörperschaften, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen – wie bei anderen berufsständisch gebundenen Personen auch – fortwährend die notwendige Zuverlässigkeit für die Zustellung von gerichtlichen Dokumenten gesichert ist.

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind zudem in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligt. Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich unzweifelhaft, dass es zu einem wesentlichen Aufgabengebiet, also zum essentiellen Teil ihrer Profession zählt, an Gerichtsverfahren mitzuwirken. Es entspricht weiter auch Sinn und Zweck von § 173 Abs. 2 ZPO, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Verpflichtung einzubeziehen, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen. Die Regelung zielt darauf ab, Personen, Vereinigungen und Organisationen, die aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren, in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden. Das trifft auf öbuv. Sachverständige unzweifelhaft zu. Es gibt schließlich keine sonstigen Gründe, die durchgreifend gegen die Einbeziehung der öbuv. Sachverständigen in die unter § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Personengruppen sprechen. Den Sachverständigen stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um ein elektronisches Postfach einzurichten. Sie können das kostenlose „Mein Justizpostfach“ (MJP) nach dem OZG nutzen, das einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO eröffnet. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, das kostenpflichtige, aber dafür gegenüber dem MJP leistungsfähigere und nutzerfreundlichere besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) einzurichten, welches einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO begründet. Die mit der Einrichtung und dem Betrieb der vorgenannten Postfächer zusammenhängenden Aufwände sind mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit für Gerichte verbunden und stellen – wie für andere Berufsgruppen auch – keinen der Anwendung des § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstehenden Grund dar. Sie sind verursacht durch eine Veränderung der technischen Umwelt und daraus resultierenden gesetzgeberischen Vorgaben, die eine hinzunehmende Rahmenbedingung für die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen.

 

Fazit: Auch wenn die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung an die Sachverständige, ein elektronisches Postfach einzurichten, fraglich ist, geht der Beschluss in die richtige Richtung. Rechtsanwälte sind längst gewohnt, Akten elektronisch zu führen. Ihnen in Papierform übersandte Gutachten stellen in diesem System einen Fremdkörper dar. Wünschenswert wäre ferner, wenn die Justiz selbst die Anforderungen elektronischer Kommunikation erfüllen würde, die sie an Rechtsanwälte und nun auch an Sachverständige stellt.

Anwaltsblog 26/2024: Gestufte Fristenkontrolle vor Büroschluss notwendig!

Mit den Anforderungen an eine allabendlich durchzuführende Fristenkontrolle hatte sich erneut der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23):

 

Gegen ein am 2. Februar 2023 zugestelltes Urteil hat  der Kläger am 3. März 2023 Berufung eingelegt. Mit einem am 6. April 2023 beim OLG eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Im Büro seiner Prozessbevollmächtigten erfolgten Aktenführung und Fristenkontrolle ausschließlich elektronisch mittels eines eingeführten Rechtsanwaltsprogramms. Im Falle eines eingehenden Urteils erster Instanz notiere die zuständige Mitarbeiterin die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist nebst entsprechenden Vorfristen im elektronischen Fristenkalender. Diese Tätigkeit führten ausschließlich geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte aus, deren Arbeit regelmäßig stichprobenartig kontrolliert werde. Die dem jeweiligen Rechtsanwalt zugeordnete Rechtsanwaltsfachangestellte habe zudem die Aufgabe, täglich vor Büro- beziehungsweise Dienstschluss dessen Kalender auf offene Fristen zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf die offene Frist hinzuweisen. Das vorliegende Verfahren sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zum Ablauf der Vorfrist vorgelegt worden, der die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist geprüft habe. Eine Bearbeitung sei zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich gewesen. Am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist habe der Rechtsanwalt sich auf die Büroorganisation verlassen und die Fristen nicht selbst überprüft. Die Frist sei versäumt worden, weil ihn die zuständige Mitarbeiterin nicht auf die offene Berufungsbegründungsfrist hingewiesen habe. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Gemäß § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Nach § 85 Abs. 2 ZPO ist der Partei ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet gewesen ist. So liegt es hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten beruht. Der Kläger hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten über eine den Anforderungen genügende Ausgangskontrolle verfügt.

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb laufender Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck hat der Rechtsanwalt seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Im Rahmen dieser gestuften Ausgangskontrolle hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Ausgangskontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Der Abgleich mit dem Fristenkalender dient unter anderem der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben.

Gemessen daran hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seiner Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Nach seinem Vorbringen hatte die Kanzleimitarbeiterin im Rahmen der Fristenkontrolle täglich vor Büroschluss allein den Fristenkalender zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf offene Fristen hinzuweisen. Das genügt für eine ordnungsgemäße abendliche Ausgangskontrolle nicht. Die Kanzleiangestellte hätte auch bei ordnungsgemäßem Befolgen der Anordnung nicht nochmals, selbständig und abschließend kontrolliert, ob die fristgebundene Sache tatsächlich bearbeitet und ein fristwahrender Schriftsatz abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden ist. Die Anordnung einer solchen abendlichen Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle ist den Darlegungen des Klägers nicht zu entnehmen.Die fehlende Anordnung einer Ausgangskontrolle war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Im Rahmen einer nochmaligen, selbständigen und abschließenden Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle wäre die offene Berufungsbegründungsfrist im Terminkalender des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten aufgefallen. Darüber hinaus hätte die Ausgangskontrolle ergeben, dass die Sache noch nicht bearbeitet und die Berufungsbegründung oder ein Fristverlängerungsantrag weder abgesandt noch versandfertig gemacht worden war. Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der Beteiligten hätte in diesem Fall jedenfalls rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag an das Berufungsgericht übersandt werden können.

 

Fazit: Zu der einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse sicherstellenden Organisation der Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Der Sinn und Zweck der allabendlichen Ausgangskontrolle liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Daher ist ein Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2019 – VIII ZB 103/18 –, MDR 2020, 239).

BAG: Beiordnung eines Rechtsanwalts unter Ausklammerung des PKH-Überprüfungsverfahrens

Eine für die alltägliche Praxis sehr wichtige Entscheidung für das PKH-Verfahren hat das BAG (Beschl. v. 18.4.2024 – 4 AZB 22/23) getroffen. Ein Rechtsanwalt hatte seine Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe beantragt. Aus der vorgelegten Vollmacht ergab sich jedoch, dass in der Vollmacht das PKH-Überprüfungsverfahren ausgeklammert worden war. Aus diesem Grunde wurde die Beiordnung über alle drei Instanzen hinweg abgelehnt.

Der Hintergrund ist folgender: Wer PKH bewilligt erhalten hat, ist dazu verpflichtet, wesentliche Änderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse dem Gericht mitzuteilen (§ 120a ZPO). Dann muss die PKH-Partei gegebenenfalls, auch bei einer u. U. zunächst raten- und vermögensbeitragsfreien PKH, im Nachhinein doch noch zahlen. Über diese Fragen wird im PKH-Überprüfungsverfahren entschieden. Ein derartiges Verfahren ist für den Anwalt oft sehr lästig. Das Hauptsacheverfahren ist oft schon beendet. Es besteht oft kein Kontakt zu dem Mandanten mehr, der nicht mehr aufzufinden ist und auch nicht mehr an der Sache interessiert ist. Korrespondenz mit dem Mandanten und dem Gericht muss geführt werden. Eine gesonderte Honorierung erfolgt nicht, da dieses Verfahren zur Instanz gehört. Aus diesem Grunde sind Anwälte auf die Idee gekommen, das Überprüfungsverfahren aus der Vollmacht auszuklammern.

Wenn eine solche Vereinbarung getroffen wird, ist jedoch eine Beiordnung nicht möglich! Gemäß § 121 Abs. 1 ZPO muss der beizuordnende Rechtsanwalt zur Vertretung bereit sein. Das PKH-Überprüfungsverfahren gehört zur Instanz. Wenn der Anwalt diesbezüglich nicht vertreten will, ist er nicht zur Vertretung bereit, wie das Gesetz dies fordert. Dann kann er auch nicht beigeordnet werden. So das BAG.

Diese wichtige Entscheidung wird hinfort in allen Rechtswegen zu beachten sein!

Anwaltsblog 25/2024: Müssen Anwaltsschriftsätze das Aktenzeichen des Gerichts enthalten?

Erneut hatte sich der BGH mit der Frage befassen, ob fristgemäß einzureichende Anwaltsschriftsätze das (korrekte) Aktenzeichen des Gerichts aufweisen müssen (BGH, Beschluss vom 29.05.2024 – IV ZB 14/22):

Der Kläger hat gegen ein Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wurde beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführt. Auf Antrag des Klägers, der das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug, ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Februar 2022 verlängert worden. Am 21. Februar 2022 ist über das besondere elektronische Anwaltspostfach eine Berufungsbegründung eingereicht worden, die wiederum das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug und in die elektronische Akte des Verfahrens 20 U 231/21 eingeordnet wurde. Nach einem Hinweis des OLG, dass mangels Eingangs einer Berufungsbegründung die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig beabsichtigt sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14. März 2022, der erneut unter dem Aktenzeichen 20 U 231/21 eingereicht und in die Akte dieses Verfahrens eingeordnet wurde, auf die Übermittlung der Berufungsbegründung am 21. Februar 2022 hingewiesen. Das Berufungsgericht hat sodann die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen. Der am 21. Februar 2022 eingegangene Schriftsatz hat die Frist gewahrt. Die Angabe des falschen Aktenzeichens steht für sich genommen dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründung nicht entgegen. Das Gesetz schreibt in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO – die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind – die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Für den Eingang der Berufungsbegründung ist es dabei unerheblich, ob der Schriftsatz anhand des Aktenzeichens bereits innerhalb der Berufungsbegründungsfrist in die für diese Sache angelegte Akte eingeordnet wurde. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt.

Der Berufungsbegründung muss allerdings zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren sie eingereicht werden soll. Unrichtige Angaben schaden nur dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist. Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Rechtsmittelbegründung eingereicht wurde, ist diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren zuzuordnen. An diesen – auch für die elektronische Übermittlung geltenden – Grundsätzen gemessen war die Berufungsbegründung vom 21. Februar 2022 – auch wenn sie das falsche Aktenzeichen trägt – ohne Zweifel dem richtigen Berufungsverfahren zuzuordnen. Denn der Schriftsatz enthält das richtige Rubrum des Berufungsverfahrens sowie im Eingangssatz und im Antrag eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit der Berufung angefochtene – nach Gericht, Entscheidungsdatum und erstinstanzlichem Aktenzeichen zutreffend bezeichnete – Entscheidung.

Fazit: Dem fristgerechten Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht steht es nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz irrtümlich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen versehen ist. Allein entscheidend ist, dass er vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22 – MDR 2024, 592).

Anmerkung: Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig hat den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt. Der in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzten Partei verbleibt nur das zulässige Rechtsmittel, sofern die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (Rechtsbeschwerde). Der einfachere und kostengünstigere Weg der Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist nicht eröffnet, da diese subsidiären Charakter hat. Voraussetzung für die Gehörsrüge ist nach § 312a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist. Der Gesetzgeber sollte de lege ferenda dieses missliche Rechtsdefizit beenden, um eine schnelle und kostengünstige Reparatur der sog. Pannenfälle (G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 321a Rn. 8 mwN.) zu ermöglichen.

Montagspost: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit von Videoaufnahmen in einem Mietshaus.

Erstellung und Verwertung von Videoaufnahmen zu Beweiszwecken
BGH, Urteil vom 12. März 2024 – VI ZR 1370/20

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit Fragen der Datenschutz-Grundverordnung und der Zivilprozessordnung.

Die Klägerin, ein landeseigenes Wohnungsunternehmen, hat an die Beklagten seit dem Jahr 2007 zwei Wohnungen zur eigenen Nutzung vermietet. In den Jahren 2016 und 2017 erhielt die Klägerin von Dritten Mitteilungen, die auf eine unberechtigte Untervermietung hindeuteten. Die Klägerin mahnte die Beklagte deswegen mehrfach ab. Ende 2017 beauftragte sie eine Detektei. Diese überwachte rund einen Monat lang vom Treppenhaus aus den Eingangsbereich der Wohnungen mit versteckten Videokameras. Im Januar 2018 erklärte die Klägerin unter Berufung auf die von der Detektei gewonnenen Erkenntnisse die außerordentliche Kündigung der beiden Mietverhältnisse.

Das AG hat die Beklagten antragsgemäß zur Räumung verurteilt und deren Widerklage auf Zahlung einer Geldentschädigung abgewiesen. Das LG hat die Räumungsklage abgewiesen, einen Anspruch der Beklagten auf Geldentschädigung hingegen wie schon das AG verneint.

Die Revisionen beider Parteien bleiben erfolglos.

Das LG hat die Kündigung zu Recht als unwirksam angesehen. Die als Beweis für die behauptete Untervermietung angeführten Erkenntnisse aus der Videoüberwachung sind rechtswidrig erstellt worden und dürfen nicht verwertet werden.

Der BGH legt zunächst dar, dass die Videoaufnahmen nach der für den Streitfall noch maßgeblichen Regelung in § 4 Abs. 1 BDSG aF rechtswidrig waren. Die überwachten Treppenhausbereiche sind keine öffentlichen Räume iSv § 6b BDSG aF. Die Erlaubnistatbestände in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG aF sind jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil das Interesse der Beklagten und der anderen im Haus wohnenden Mieter an einer Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) und am Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Art. 7 GRCh) das Interesse der Detektei an der Erfüllung ihres Auftrags und das Interesse der Beklagten an der Aufdeckung mutmaßlicher Vertragsverstöße überwiegt. Maßgeblich dafür ist insbesondere, dass der Klägerin und der Detektei mildere Mittel zur Verfügung standen, etwa eine Scheinanmietung oder die Befragung von Nachbarn und anderen Dritten.

Der BGH legt sodann dar, dass die Frage, ob die Videoaufnahmen als Beweismittel im Zivilprozess verwertet werden dürfen, gemäß § 286 ZPO zu beurteilen ist. Im Ausgangspunkt sind zwar die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung maßgeblich. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 DSGVO enthält aber eine Öffnungsklausel, die den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Anwendung der Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die öffentliche Hand genauer festzulegen und zu konkretisieren. Zu diesen konkretisierenden Regelungen gehören § 286 und §§ 355 ff. ZPO.

Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist die Verwertung der rechtswidrig erstellten Videoaufnahmen im Streitfall jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Beklagten eine unbefugte Untervermietung bestreiten und eine Auswertung der Aufnahmen zum Zwecke der Würdigung, ob die darin dokumentierten – als solche unstreitigen – Vorgänge als Indiztatsachen den Schluss auf eine unbefugte Untervermietung zulassen, die Verletzung der grundrechtlich (Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) geschützten Interessen der Beklagten vertiefen und perpetuieren würde. Maßgeblich ist dafür insbesondere, dass die Klägerin keiner Beweisnot ausgesetzt ist, weil ihr mildere Mittel zur Verfügung stehen, um den Sachverhalt aufzuklären.

Ebenfalls zu Recht hat das LG einen Anspruch der Beklagten auf Geldentschädigung verneint. Es liegt zwar eine schwerwiegende Beeinträchtigung der räumlichen Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Der Eingriff trifft die Beklagten aber nicht im Kern ihrer Persönlichkeit. Zudem ist der Klägerin nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Praxistipp: Heimliche Videoaufnahmen sollten nur dann als Beweismittel angeboten werden, wenn andere zumutbare Wege der Beweisführung nicht zur Verfügung stehen.

Anwaltsblog 24/2024: Versäumung einer Rechtsmittelfrist bei unrichtiger Rechtsmittelbelehrung

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist (§ 233 Satz 2 ZPO). Mit dem beschränkten Anwendungsbereich dieser Vermutung im Anwaltsprozess hatte sich der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 28. März 2024 – AnwZ (Brfg) 3/24):

 

Der Kläger, der im Jahr 1999 auf seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet hatte, beantragte 2022 seine Wiederzulassung. Die Anwaltskammer lehnte den Antrag ab. Die daraufhin mit dem Ziel der Wiederzulassung erhobene Klage hat der Bayerische Anwaltsgerichtshof mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. Dezember 2023 zugestellten Urteil abgewiesen. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils lautet auszugsweise: „Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils […] beantragen […]. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.“ Mit am 8. Januar 2024 per Boten beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil beantragt.

Der BGH als Berufungsgericht verwirft den Antrag als unzulässig, weil der Kläger ihn nicht fristgemäß formgerecht gestellt hat. Nach § 112e Satz 2 BRAO iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1, § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen – wie der Antrag auf Zulassung der Berufung -, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dem genügte die Einreichung per Boten am 8. Januar 2024 nicht. Die Frist zur Beantragung der Zulassung der Berufung ist durch die Zustellung des vollständigen Urteils in Gang gesetzt worden. Dem Fristanlauf stand insbesondere nicht die vom Kläger gerügte Passage der Rechtsmittelbelehrung entgegen, wonach dem Zulassungsantrag vier Abschriften beigefügt werden sollen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist u.a. dann unrichtig, wenn sie einen nicht erforderlichen Zusatz enthält, der fehlerhaft oder irreführend ist und dadurch generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der vom Kläger gerügte Zusatz zum notwendigen Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung ist im Grundsatz dem § 81 Abs. 2 VwGO entnommen, nach dem der Klage und allen Schriftsätzen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden sollen. Der Zusatz ist zwar insofern unrichtig, als die Vorschrift im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument nach § 55a Abs. 5 Satz 3 VwGO keine Anwendung findet. Diese Unrichtigkeit ist aber ihrer Art nach nicht geeignet, die Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung zu erschweren. Der beanstandete Zusatz gibt die Beifügung von Abschriften nicht als Zwang aus, dessen Nichtbeachtung auf die formelle Wirksamkeit des Zulassungsantrags von Einfluss ist, sondern lediglich als dringende Bitte. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, wie der Zusatz irrige Vorstellungen über die formellen Voraussetzungen eines Antrags auf Zulassung der Berufung hervorrufen und dadurch die Rechtsmitteleinlegung erschweren könnte.

Dem Kläger war auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er nicht ohne Verschulden an der formwirksamen Einlegung des Zulassungsantrags gehindert war. Verschuldet ist eine Fristversäumung, wenn der Beteiligte nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist. Dabei steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleich. Nach diesen Maßstäben hat der Kläger die Fristversäumung verschuldet. Der Prozessvertreter des Klägers hätte wissen können und müssen, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung als elektronisches Dokument einzureichen ist. Die vom Kläger erfolglos gerügte Passage der Rechtsmittelbelehrung begründete bereits keinen Anlass, von der formgerechten Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung als elektronisches Dokument abzusehen.

Soweit sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers außerdem darauf beruft, die Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtshofs habe auf seine telefonische Rückfrage hin mitgeteilt, der Antrag könne dort abgegeben werden und seiner Bitte, den Empfang zu quittieren, könne ebenfalls nachgekommen werden, wären diese Umstände schon deshalb nicht geeignet, eine unrichtige Vorstellung über die an die Form der Rechtsmitteleinlegung zu stellenden Anforderungen hervorzurufen, weil mit dem behaupteten bloßen Einverständnis mit der vom Prozessvertreter gewünschten Form der Schriftsatzeinreichung keine Aussage über etwaige Formerfordernisse getroffen wurde. Selbst wenn man das Einverständnis der Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtshofs mit der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gewünschten Vorgehensweise bei der Schriftsatzeinreichung als Auskunft verstehen wollte, dass diese Form der Einreichung keinen Bedenken begegne, wäre diese Auskunft erkennbar fehlerhaft. Denn sie stünde in offenkundigem Widerspruch zur Gesetzeslage. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte sich deshalb nicht darauf verlassen dürfen.

 

Fazit: Nach § 233 Satz 2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens zwar vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Dabei darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Die Fristversäumung ist mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (BGH, Beschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 256/20 –, MDR 2021, 252).

Blog powered by Zöller: Der moderne Zivilprozess kommt näher

Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des staatlichen Sektors weit hinterher, und für die Justiz gilt dies in besonderem Maße. Sich aus den verkrusteten Strukturen der Reichsjustizgesetze des vorvorigen Jahrhunderts zu lösen, fällt offenbar schwer. Doch jetzt scheint die Rechtspolitik die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und den Zivilprozess für zeitgemäße Verfahrensweisen öffnen zu wollen.

Dass es nicht in jedem Fall erforderlich ist, Parteien, Rechtsanwälte und Beweispersonen zu einer Sitzung im Gerichtssaal zusammenzurufen, sondern dass mit Einsatz elektronischer Übertragungstechnik auch per Video verhandelt werden kann, hat sich in einer Novellierung des § 128a ZPO niedergeschlagen, die nach einem Umweg über den Vermittlungsausschuss soeben das parlamentarische Verfahren durchlaufen hat und am Tag nach der Verkündung im BGBl. in Kraft treten wird. Sie bietet, anders als der ursprüngliche Gesetzesbeschluss, die Grundlage für ein flexibles und praktikables, auf die konkreten Gegebenheiten abgestelltes Verfahrensmanagement des Gerichts und ermöglicht eine vollvirtuelle Verhandlung nur im Rahmen von landesrechtlich zugelassenen Modellversuchen; ein Videostreaming von Gerichtsverhandlungen, wie es der Bundestag zunächst zulassen wollte, ist ausgeschlossen. Die neue Gesetzesfassung ist hier abrufbar und wird in Kürze in der Online-Version des ZÖLLER, auch für alle Bezieher der gedruckten Ausgabe kostenfrei zugänglich, kommentiert.

Einen viel größeren Schritt in die Zukunft unternimmt aber das Bundesministerium der Justiz (BMJ) mit dem soeben veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. Mit diesem Gesetz sollen die Länder ermächtigt werden, an bestimmten Amtsgerichten für Zahlungsklagen bis zu 5.000 Euro ein vereinfachtes, digital unterstütztes Verfahren anzubieten. Die Klage kann dort auf einem sicheren Übermittlungsweg, persönlich oder mit anwaltlicher Vertretung, in digitaler Form eingereicht werden. Die Vorschriften über frühen ersten Termin oder schriftliches Vorverfahren gelten dann nicht. Das Gericht entscheidet vielmehr, ob eine mündliche Verhandlung überhaupt geboten ist und führt diese, einschließlich einer etwaigen Beweisaufnahme, im Regelfall mittels Video oder einer anderen Übertragungstechnik durch. Ansonsten wird der Prozess über eine elektronische Kommunikationsplattform abgewickelt, die auch zur Bereitstellung oder gemeinschaftlichen Bearbeitung elektronischer Dokumente durch die Verfahrensbeteiligten und das Gericht genutzt werden kann. Das Gericht soll anordnen können, dass die Parteien ihren Vortrag demjenigen der anderen Partei in digitaler Form gegenüberstellen und dass sie ergänzenden oder erläuternden Vortrag dem jeweiligen Streitstoff zuordnen. Die Verkündung von Urteilen oder Beschlüssen wird durch deren Zustellung ersetzt. Der Erprobungszeitraum ist auf zehn Jahre angesetzt. Es ist aber zu hoffen, dass eine begleitende Evaluierung stattfindet, die es ermöglicht, das Verfahren zu perfektionieren und möglichst bald in den Regelbetrieb zu überführen. Über die weitere Entwicklung wird im ZÖLLER-Blog fortlaufend unterrichtet werden.

Der größte Fortschritt ist aber von der vom BMJ auf Antrag der Justizministerkonferenz eingesetzten Reformkommission zu erwarten, die den Zivilprozess in seiner Gesamtheit mit einem interdisziplinären Ansatz grundlegend neu denken soll. Schon Ende des Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen. Auch hierüber wird selbstverständlich hier berichtet.