Anwaltsblog: Keine Vorfrist für Rechtsmittelbegründung notiert – keine Wiedereinsetzung!

Wieder einmal musste der BGH feststellen, dass zu den notwendigen organisatorischen Vorkehrungen eines Anwaltsbüros die allgemeine Anordnung gehört, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren:

Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Februar 2022 zugestellte Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2022 hat ihr Prozessbevollmächtigter die Berufung begründet und zugleich Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Die Säumnis beruhe auf einem Versehen seiner Angestellten. Diese habe gemäß erteilter Weisung zwar die Berufungsfrist in den Fristenkalender eingetragen, allerdings aus im Nachhinein nicht mehr eruierbaren Gründen nicht auch die Berufungsbegründungsfrist, obwohl beide Fristen als „notiert“ und damit als im Fristenkalender eingetragen vermerkt worden seien. Der Posteingang sei über das beA erfolgt und somit von ihm direkt bearbeitet worden. Nach Kenntnisnahme des erstinstanzlichen Urteils seien durch ihn die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung notiert worden. Die Angestellte habe dann beide Fristen in den Fristenkalender eintragen sollen. Bei Einlegung der Berufung habe er sich noch einmal vergewissert, dass hinter beiden notierten Fristen ein Eintragungsvermerk aufgebracht worden sei. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass auch die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß eingetragen worden sei. Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler des Büropersonals hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet. So liegt es hier. Nach den zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Notierung von Vorfristen angeordnet hatte. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter diese Vorgaben bei der Organisation seiner Kanzlei eingehalten hatte.

(BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – VI ZB 53/22)

Fazit: Eine wirksame Fristenkontrolle erfordert die Notierung von Vorfristen. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein einer Prozesspartei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das arglistige Verschweigen eines Gebäudemangels.

Undichtes Terrassendach als Sachmangel
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2023 – V ZR 43/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit § 434 und § 444 BGB. 

Die Kläger erwarben im Jahr 2016 von den Beklagten ein Einfamilienhaus. Im Jahr 2017 beanstandeten die Kläger Wassereintritte im Bereich des Terrassendachs. Ein in einem selbständigen Beweisverfahren beauftragter Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, die Abdichtung des Terrassendachs zur Hauswand hin sei mangelhaft ausgeführt und die Dichtungsfolie des angrenzenden Hausdachs weise im Anschluss zum Traufbereich Risse auf. 

Die Kläger begehren Zahlung der vom Sachverständigen mit rund 32.000 Euro bezifferten Kosten für die Beseitigung der Schäden am Terrassendach und am Hausdach. Das LG sprach ihnen nur rund 10.000 Euro für die Reparatur des Terrassendachs zu und wies die Klage wegen der Kosten für die Reparatur des Hausdachs ab. Die Berufung der Kläger blieb im Wesentlichen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Kläger an das OLG zurück.

Wie das OLG zutreffend angenommen hat, stehen den Klägern aufgrund eines im Kaufvertrag vereinbarten Gewährleistungsverzichts gemäß § 444 BGB Ansprüche nur wegen solcher Sachmängel zu, die die Beklagten vor dem Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen haben. 

Entgegen der Auffassung des OLG ist im Streitfall unerheblich, ob den Beklagten bei Abschluss des Kaufvertrags bekannt war, dass die Dichtungsfolie des Hausdachs Risse aufweist. 

Ein Sachmangel besteht im Streitfall schon darin, dass es im Bereich des Terrassendachs wiederholt zu Wassereintritten kommt. Angesichts dessen haben die Beklagten schon deshalb arglistig gehandelt, weil es bereits zuvor zu Wassereintritten gekommen war (deren Ursache sie vergeblich zu ermitteln versucht hatten) und sie diese gegenüber den Klägern nicht offengelegt haben. Zu einer Offenlegung waren die Beklagten jedenfalls deshalb verpflichtet, wie die Terrassenüberdachung während der Kaufverhandlungen thematisiert worden war.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG noch Feststellungen zur Schadenshöhe zu treffen haben.

Praxistipp: Ob das Auftreten von Wasser in einem Gebäude einen Mangel oder nur ein auf einen möglichen Mangel hindeutendes Symptom darstellt, hängt vom Einzelfall ab.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die Qualifikation als Verbraucherbauvertrag.

Kein Verbraucherbauvertrag bei sukzessiver Beauftragung
BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 – VII ZR 25/23

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit den Tatbestandsvoraussetzungen von § 650i Abs. 1 BGB.

Die Beklagte ließ ein neues Bürogebäude errichten. Im Jahr 2017 beauftragte sie die Klägerin mit den Rohbauarbeiten. Im Laufe des Jahres 2018 erteilte sie der Klägerin sukzessive Aufträge für weitere Gewerke, unter anderem für Estrich-, Trockenbau- und Zimmererarbeiten.

Die Klägerin klagt auf Zahlung der Vergütung für die im Jahr 2018 beauftragten Leistungen und auf Stellung einer Sicherheit für diese Forderungen in Höhe von rund 140.000 Euro. Die Beklagte verlangt widerklagend die Erstattung bereits geleisteter Vergütung für die Rohbauarbeiten in Höhe von rund 70.000 Euro. Das LG hat der Klägerin durch Teilurteil eine Sicherheit von rund 14.000 Euro zugesprochen. Das OLG hat diesen Betrag auf rund 90.000 Euro erhöht.

Die Revision der Beklagten bleibt erfolglos.

Der auf § 650f BGB gestützte Anspruch auf Sicherheitsleistung ist nicht gemäß § 650f Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge sind nicht als Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i BGB zu qualifizieren.

Ein Verbraucherbauvertrag liegt nach § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB vor, wenn sich der Unternehmer zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet. Ein Auftrag für ein einzelnes Gewerk reicht hierfür nicht aus. Ebenfalls nicht ausreichend ist eine sukzessive Beauftragung mit mehreren Gewerken. Deshalb ist unerheblich, ob die von der Klägerin übernommenen Leistungen insgesamt den Bau eines neuen Gebäudes im Sinne des Gesetzes umfassen.

Praxistipp: Die Höhe der Sicherheitsleistung bestimmt sich nach der schlüssig vorgetragenen Höhe des Vergütungsanspruchs zuzüglich eines Aufschlags von 10 Prozent. Gegenansprüche des Bestellers sind nur zu berücksichtigen, soweit sie unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind.

BGH: Wirksamkeit einer Zustellung sowie zur Terminsverlegung wegen Krankheit

Im Rahmen eines Verfahrens wegen des Widerrufes ihrer Zulassung als Rechtsanwältin hatte die Klägerin in der Berufungsinstanz vor dem BGH versucht, die Wirksamkeit einer Zustellung in Frage zu stellen. Bei der Beurteilung dieser Frage führt der BGH (Beschl. v. 22.8.2023 – AnwZ (Brfg) 14/23) einiges zur Wirksamkeit einer Zustellung sowie zum Inhalt der Zustellungsurkunde aus, was über das konkrete Verfahren hinaus von allgemeinem Interesse ist:

In der Zustellungsurkunde selbst war beurkundet worden, dass der später angefochtene Bescheid der Klägerin persönlich unter ihrer Privatanschrift übergeben wurde. Allerdings war auf dem der Klägerin übergebenen Umschlag das Datum der Zustellung nicht vermerkt worden. Letztlich ist dies aber unschädlich. Der BGH hat zwar erst vor Kurzem entschieden, dass bei einer Ersatzzustellung durch Einwurf gemäß § 180 S. 3 ZPO das Datum der Zustellung zwingend zu vermerken ist. Wenn es fehlt, gilt das Schriftstück erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt. Dies ergibt sich aus § 180 S. 3 ZPO. Demgegenüber macht jedoch ein Verstoß gegen § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO die dort geregelte Zustellung gerade nicht unwirksam.

Das Fehlen des erwähnten Umstandes lässt darüber hinaus sogar die Beweiskraft der Zustellungsurkunde selbst unberührt! Die Klägerin musste daher hier gemäß § 418 Abs. 2 ZPO den Beweis für die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsache antreten und führen. Dies hatte die Klägerin versucht, der BGH hat jedoch alle insoweit aufgestellten Behauptungen zurückgewiesen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Vortrag, Postzustellungen seien bei ihr stets sehr unzuverlässig erfolgt, zur Widerlegung der Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht ausreicht, da sich aus dieser allgemeinen Behauptung keine Falschbeurkundung in einem konkreten Fall herleiten lassen kann. Auch mit der pauschalen Behauptung, ihr während des gesamten Tages anwesender Ehemann habe von der Zustellung nichts bemerkt, kann die Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht widerlegt werden. Eine Zustellung nimmt nur wenige Augenblicke in Anspruch und muss nicht zwangsläufig von jedem in der Wohnung Anwesenden bemerkt werden, zumal dieser während der Zustellung z. B. das Badezimmer benutzt haben könnte. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch, dass die Klägerin zum Zustellungszeitpunkt zwar krank, jedoch nicht bettlägerig war, mithin grundsätzlich dazu in der Lage war, eine Zustellung entgegenzunehmen.

Die Klägerin hatte darüber hinaus noch einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör gerügt, weil ihrem Terminsverlegungsantrag in der Vorinstanz nicht nachgekommen war. Insoweit weist der BGH darauf hin, dass bei einem Verlegungsantrag wegen Erkrankung die Gründe so anzugeben und durch Vorlage eines ärztlichen Attestes zu untermauern sind, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob eine Verhandlungsunfähigkeit vorliegt. Dies hatte die Klägerin hier versäumt.

Fazit: Wird bei der Zustellung durch Übergabe das Datum derselben nicht auf dem Umschlag vermerkt, lässt dies die Wirksamkeit der Zustellung unberührt.

Blog powered by Zöller: Bundesrat zieht Notbremse bei der Video-Novelle

Wie zu erwarten war, hat der Bundesrat das am 17. November 2023 vom Bundestag beschlossene „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ gestoppt und den Vermittlungsausschuss mit dem Auftrag zu einer grundlegenden Überarbeitung angerufen. Dadurch konnte verhindert werden, dass ein Gesetz – noch dazu schon am Tag nach seiner Verkündung – in Kraft tritt, welches gravierende Belastungen für die Ziviljustiz hervorgerufen hätte. Die Entscheidung darüber, ob in Präsenz oder per Video verhandelt wird, hätte nicht mehr im richterlichen Verfahrensermessen gestanden, sondern wäre zum Gegenstand von Anordnungen, Einsprüchen, Anträgen und Ablehnungsbeschlüssen geworden. Da die meisten Gerichte nicht über eine Videoausstattung verfügen, die den jüngst vom BFH aufgestellten Anforderungen genügt (s. MDR 2023, 1366; MDR 2023, 1570; auch bereits in der Online-Version des Zöller enthalten: Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 128a ZPO Rn 6.1) und die ordnungsgemäße Beteiligung der Öffentlichkeit sicherstellt, wären Rechtsmittel und Urteilsaufhebungen vorprogrammiert gewesen.

Zu Recht bekennt sich der Bundesrat in seinem Einberufungsbeschluss zu dem Ziel, die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu erleichtern. Das vom Bundestag hier praktizierte, alle Stellungnahmen aus der Praxis übergehende Hauruck-Verfahren hätte allerdings das Gegenteil erreicht.

Das nunmehr noch offene Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens wird in der soeben erschienenen 35. Auflage des ZÖLLER unverzüglich nach Verabschiedung und Inkrafttreten kommentiert – per Online-Aktualisierung, die jedem Bezieher des Kommentars zugänglich ist. Weitere Infos hier.

Anwaltsblog: Wird ein erster Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht begründet, darf der Rechtsanwalt nicht auf Bewilligung vertrauen!

Mit den Anforderungen an den ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte sich erneut der BGH zu befassen:

Der Beklagte hat gegen ein ihm am 22. Dezember 2022 zugestelltes Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter ohne Begründung beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat bis zum 22. März 2023 zu verlängern. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende den Beklagtenvertreter aufgefordert, seinen Fristverlängerungsantrag unverzüglich zu begründen. Versehentlich wurde am 22. Februar 2023 jedoch nur das Begleitschreiben ohne die Verfügung per beA übersandt. Nachdem in der Folgezeit keine Reaktion des Beklagten erfolgt war, hat der Vorsitzende des Berufungssenats den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Den darauf gestellten Wiedereinsetzungsantrag hat das OLG zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Denn die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ein Berufungsführer darf im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe gestützt wird. Das setzt die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung voraus, auch wenn an diese bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und beispielsweise der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten ausreicht, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Entspricht der Fristverlängerungsantrag diesen Anforderungen und darf der Prozessbevollmächtigte deshalb mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen, ist er nicht gehalten, sich vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht zu vergewissern, ob dem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde. Dagegen kann der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt. In einem solchen Fall muss der Prozessbevollmächtigte damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird. Die ihm nach diesen Maßgaben obliegenden Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht eingehalten. In dem Antrag vom 21. Februar 2023 sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Dem Schriftsatz ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Verlängerung begehrt worden ist. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern wäre gehalten gewesen, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde.

Das gilt auch, nachdem dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am letzten Tag der Frist, einen Tag nach Einreichung seines Antrags, ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts übersandt wurde, dem das darin in Bezug genommene Dokument nicht beigefügt war. Denn es war nicht ersichtlich, ob es sich dabei um einen Hinweis auf die fehlende Begründung, die Gewährung oder die Ablehnung der beantragten Fristverlängerung handelte.

(BGH, Beschluss vom 14. November 2023 – XI ZB 10/23)

 

Fazit: Der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers darf nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt. Der Hinweis auf Arbeitsüberlastung reicht zur Begründung aus (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16 –, MDR 2017, 895).

Anwaltsblog: Wann muss das Gericht im Anwaltsprozess einem Terminsverlegungsantrag entsprechen?

Terminsverlegungsanträge der Parteien gehören zu den lästigen Begleiterscheinungen von Zivilprozessen. Die Instanzgerichte geben oft solchen Anträgen vorschnell nach, auch ohne dem Prozessgegner rechtliches Gehör zu gewähren. Daher ist dem IX. Zivilsenat zu danken, dass er die Voraussetzungen für die „erheblichen Gründe“, die nach § 227 Abs. 1 ZPO für eine Terminsverlegung erforderlich sind, konturiert hat:

 

Das OLG hat am 17. August 2022 Termin zur Verhandlung über den Einspruch der Klägerin gegen ein Versäumnisurteil für den 25. Oktober 2022 bestimmt, Hinweise erteilt und der Klägerin Frist zur Stellungnahme gesetzt, die zweimal verlängert worden ist, zuletzt bis zum 10. Oktober 2022. Einen Antrag auf weitere Verlängerung und Terminsverlegung hat das OLG zurückgewiesen. In dem Termin ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erschienen, nicht aber der seinerzeit ebenfalls als Rechtsanwalt zugelassene Geschäftsführer der Klägerin. Der Prozessbevollmächtigte hat Vertagung beantragt und keine Sachanträge gestellt. Das OLG hat eine Vertagung abgelehnt und den Einspruch der Klägerin durch zweites Versäumnisurteil verworfen.

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Ein (zweites) Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch nicht statthaft ist, unterliegt der Revision insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine zulässige Revision setzt also die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden ist. Das Revisionsvorbringen der Klägerin ergibt nicht, dass sie den Termin vom 25. Oktober 2022 vor dem Berufungsgericht ohne Verschulden versäumt hat. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin zunächst angestrebte Verlegung des Termins und später für die beantragte Vertagung der Verhandlung im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung ihres Geschäftsführers hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint. Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Wenn eine Partei anwaltlich vertreten ist, zwingt die Erkrankung der Partei selbst – bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans – nicht zu einer Terminsverlegung, wenn und weil ihr Prozessbevollmächtigter zur Wahrnehmung des Termins zur Verfügung steht. Durch ihn kann die Partei ihre Rechte im Verfahren in der Regel angemessen und effektiv wahrnehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen, weshalb ihre persönliche Anwesenheit in der Verhandlung erforderlich ist. Hinreichend gewichtige Gründe ergeben sich nicht schon aus der Bedeutung, welche der Prozess für die Partei hat. Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich vertretenen Partei ist durch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht geschützt. Die Klägerin legt nicht schlüssig dar, dass eine Verlegung oder Vertagung deshalb geboten war, weil ihr Geschäftsführer gehindert war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Sie zeigt weder schlüssig auf, dass ihr Geschäftsführer ohne Verschulden am Erscheinen verhindert war, noch hat sie substantiiert dargelegt, dass seine Anwesenheit erforderlich war. Bereits eine seine Verhandlungsunfähigkeit begründende Erkrankung ihres Geschäftsführers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2022 hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt. Erscheint die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht, ist dies nicht schon durch eine Arbeitsunfähigkeit ausreichend entschuldigt. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei krankheitsbedingt verhandlungsunfähig ist. Das ärztliche Attest vom 18. Oktober 2022 ist nicht geeignet, das Ausbleiben des am Gerichtsort wohnhaften Geschäftsführers zu entschuldigen. Daraus ergibt sich allein, dass der Geschäftsführer aufgrund des am 2. Oktober 2022 erlittenen dreifachen Rippenbruchs wegen ausgeprägter Schmerzen und notwendiger regelmäßiger Schmerzmitteleinnahme bis 31. Oktober 2022 arbeitsunfähig ist; es ist nicht erkennbar, warum dies einer Teilnahme an der Verhandlung entgegensteht oder gar eine Verhandlungsunfähigkeit am 25. Oktober 2022 begründet. Jedenfalls ist damit der Glaubhaftmachung einer krankheitsbedingten Verhinderung des Geschäftsführers im Verhandlungstermin die Grundlage entzogen. Zudem hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, dass gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erforderten. Es fehlt es an substantiierten Vorbringen dazu, weswegen die Anwesenheit des Geschäftsführers im Termin unabdingbar gewesen sein soll. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, dass sie unverschuldet nicht in der Lage gewesen ist, die mündliche Verhandlung ausreichend vorzubereiten. Zwischen der Ladung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung lagen über zwei Monate. Das Berufungsgericht gab mit seiner Terminsverfügung vom 17. August 2022 konkrete Hinweise auf den Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin zeigt nicht auf, warum ihr Geschäftsführer nicht in der Lage gewesen ist, ihren mit der Sache ebenfalls seit langem befassten Prozessbevollmächtigten innerhalb dieses Zeitraums ausreichend zu instruieren. Dass der Geschäftsführer hierzu wegen der Folgen seines am 2. Oktober 2022 erlittenen Unfalls nicht, insbesondere nicht fernmündlich, in der Lage gewesen ist, ist nicht schlüssig dargelegt.

(BGH, Urteil vom 14. September 2023 – IX ZR 219/22)

 

Fazit: Die Erkrankung der anwaltlich vertretenen Partei selbst – bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans – zwingt nicht zu einer Terminsverlegung, wenn nicht gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen. Erscheint die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht, ist sie nicht schon durch eine Arbeitsunfähigkeit ausreichend entschuldigt. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei krankheitsbedingt verhandlungsunfähig ist.

BGH: Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht

Der BGH, Beschl. v. 12.9.2023 – VI ZB 72/22, MDR 2023, 1543 hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem der Beklagte vom AG erstinstanzlich zu einer Unterlassung verurteilt worden war. Er legte Berufung ein. Das LG setzte den Gebührenstreitwert für die zweite Instanz auf bis zu 300 Euro fest und verwarf die Berufung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro nicht überstieg und das AG die Berufung auch nicht zugelassen hatte. Dagegen richtete sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

Da das LG die Berufung verworfen hatte, ist die Rechtsbeschwerde grundsätzlich statthaft. Für ihre Zulässigkeit müssten die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 (hier Nr. 2 Alt. 2) ZPO vorliegen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vorliegend erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Beklagte hatte hier beanstandet, dass das LG als Berufungsgericht keine eigene Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen hatte.

Eine Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht selbst ist allerdings im Zivilprozess nicht vorgesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss das Berufungsgericht eine solche Prüfung gleichwohl dann nachholen, wenn das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen war, dass die Beschwer ohnehin 600 Euro übersteigt und deswegen seinerseits nicht geprüft hat, ob es die Berufung zulassen soll. Wurde eine solche Prüfung durch das Berufungsgericht versäumt, liegt eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der Berufung vor. Dies stellt dann wiederum einen Grund für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO wegen einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes jedoch nur dann dar, wenn ein Grund für die Zulassung der Berufung vorliegt.

Einen solchen Grund hatte der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde allerdings nicht geltend gemacht, sondern lediglich die unterlassene Prüfung durch das Berufungsgericht beanstandet. Für die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde reicht dies jedoch nicht. Damit kann auch dahingestellt bleiben, ob das erstinstanzliche Gericht von einer 600 Euro übersteigenden Beschwer ausgegangen war oder nicht. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde des Beklagten daher verworfen.

Fazit: Wer rügen möchte, das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob es die Berufung zulassen solle, muss gleichzeitig einen Zulassungsgrund für die Berufung darlegen.

 

Blog powered by Zöller: Wiedereinsetzung trotz Falschadressierung

Es sollte nicht passieren, geschieht aber immer wieder: Der Rechtsanwalt sendet eine Berufungsschrift über sein beA ans falsche Gericht, und zwar so spät, dass der Fehler nicht mehr korrigiert werden kann. Die Verwerfung der Berufung ist unumgänglich, eine Wiedereinsetzung erscheint wegen eindeutigen Anwaltsverschuldens ausgeschlossen. Doch es gibt eine Rettungschance, auf die der BGH im Beschluss v. 10.10.2023 – VIII ZB 60/22 hingewiesen hat (obwohl sie im dortigen Verfahren nicht genutzt wurde).

Denn nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhält der Absender eines elektronischen Schriftsatzes eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs. Wie der BGH bereits wiederholt entschieden hat, muss der Erhalt dieser Bestätigung überprüft und dabei auch kontrolliert werden, ob der richtige Schriftsatz übermittelt wurde und ob er beim richtigen Gericht eingegangen ist (näher dazu Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130a ZPO Rn. 24 und § 233 ZPO Rn. 23.15). Der Rechtsanwalt darf diese Prüfung seinem Personal überlassen, sofern er es entsprechend eingewiesen und überwacht hat. Hat er dies aber getan und wurde der Fehler trotzdem nicht erkannt, liegt ein Mitarbeiterverschulden vor, welches der Prozesspartei nicht zugerechnet werden kann und zugleich die Kausalität des ursprünglichen Anwaltsfehlers beseitigt. Wiedereinsetzung ist also möglich.

Es ist daher dringend angeraten, die Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO entsprechend geschultem Personal zu übertragen und mit dem Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen, dass dies geschehen ist.

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Hinweis: Die Entscheidung vom 10.10.2023 ist während der Drucklegung des neuen Zöller ergangen, wird aber schon jetzt – wie alle künftigen Entscheidungen von größerer Praxisbedeutung – in der Online-Version des Kommentars nachgewiesen.

Blog powered by Zöller: Die Last-Minute-Änderungen beim VDuG – oder: Wer Gutes will und Böses schafft?

Das VRUG wurde im Oktober verkündet (BGBl. 2023 I Nr. 272). Das darin enthaltene VDuG, mit dem erstmals auf Zahlung lautende (Abhilfe-)Klagen von Verbraucherschutzverbänden gegen Unternehmer eingeführt wurden, trat ohne weitere Vorbereitungszeit (am 13.10.2023) in Kraft. Das Gesetzgebungsverfahren war geprägt von Phasen ohne erkennbare Diskussionen – so zwischen dem im September 2022 bekannt gewordenen Referentenentwurf und dem sehr ähnlichen Regierungsentwurf vom 24.4.2023 (BT-Drucks. 20/6520) und den rasanten Änderungen im Rechtsausschuss des Bundestags am 5.7.2023 (BT-Drucks. 20/7631) mit der umgehenden Verabschiedung des Gesetzes am 7.7.2023 (BR-Drucks. 413/23). Eine erste Befassung mit dem fertigen Produkt zeigt, dass ein systematischer Abgleich mancher Last-Minute-Änderung mit dem Konzept des VDuG versäumt wurde. Dies soll anhand von einigen Beispielen aufgezeigt werden:

An- und Abmeldungen zum Klageregister können bis 3 Wochen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, in der der Verkündungstermin für das Urteil (§ 13 Abs. 4 VDuG) anberaumt wurde, erfolgen (§ 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG; dazu der neue Zöller/G. Vollkommer, § 46 VDuG Rn. 13). Die Länge des Zeitfensters für Anmeldungen war einer der großen politischen Streitpunkte. Der Rechtsausschuss öffnete dieses Fenster jetzt sehr weit. Was nicht gesehen wurde: Damit wird gleichzeitig der zeitliche Anwendungsbereich für den gerichtlich genehmigten Vergleich nach § 9 Abs. 1 Satz 1 VDuG empfindlich verengt, da ein solcher Vergleich erst nach Ablauf der Anmeldefrist geschlossen werden kann (§ 9 Abs. 1 Satz 2 VDuG). Ein Vergleich in einer frühen Phase des Verbandsprozesses, insbesondere zur Vermeidung einer kostspielen Beweisaufnahme, scheint damit ausgeschlossen zu sein. Die Auslegung kann hier Auswege aufzeigen (dazu näher Zöller/G. Vollkommer, § 9 VDuG Rn. 6), befriedigend ist dies jedoch nicht.

Warum die lange Anmeldefrist des § 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG auch an einem Sonn- und Feiertag endet (Zöller/G. Vollkommer, § 46 VDuG Rn. 13), wird nicht erklärt; die dies anordnende Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 2 VDuG lässt sich wohl nur mit der kurzen alten Anmeldefrist bei der ZPO-Musterfeststellungsklage vor dem ersten Termin (und so auch noch der Referentenentwurf) und einem dazu ergangenen (ungewollten) BGH-Beschluss erklären (BGH v. 31.3.2021 – IV AR(VZ) 6/20, MDR 2021, 701). Die rechtlichen Berater müssen diese fortgeschriebene Ausnahmeregelung jedoch künftig beachten.

Solange sich ein Verbraucher noch nicht nach § 46 VDuG angemeldet hat, kann er parallel zur Abhilfeklage selbst klagen. Erst wenn sich das Anmeldefenster schließt, muss er sich entscheiden, ob er die „Flucht in die Abhilfeklage“ antreten will. Denn im Falle der Anmeldung wird der Individualprozess (in den Tatsacheninstanzen, siehe Zöller/G. Vollkommer, § 11 VDuG Rn. 7) in den Fällen des § 11 Abs. 1 VDuG ausgesetzt; Klagen, die erst nach Bekanntmachung der Abhilfeklage erhoben wurden, werden (egal in welchem Rechtszug sie sich befinden) unzulässig (§ 11 Abs. 2 VDuG; Zöller/G. Vollkommer, § 11 VDuG Rn. 4). Diese Regelung des § 11 VDuG wurde von der Musterfeststellungsklage (§ 610 Abs. 3 ZPO aF, § 613 Abs. 2 ZPO aF) übernommen. Unter der Geltung der ZPO war ein Beitritt zur Verbandsklage zeitlich aber nur bis zum Beginn des Verbandsprozesses möglich (siehe oben) – jetzt ist dies genau umgekehrt: Die individuelle Klage kann ohne Anmeldedruck so lange verfolgt und betrieben werden, bis auch die VDuG-Klage irgendwann einmal entscheidungsreif ist. Die beschlossene lange Anmeldefrist führt mittelbar nicht unbedingt zu einer Entlastung der Gerichte (so die Hoffnung wegen der Verjährungshemmung), sondern könnte im Gegenteil zu einem mehrgleisigen Vorgehen (unter Einschaltung von Legal-Tech-Anbietern) anspornen – individuelle und kollektive Arten der Rechtsverfolgung stehen plötzlich weitgehend ungeregelt neben der Verbandsklage.

Eine Prozessfinanzierung wird in § 4 Abs. 2 VDuG unter engen Voraussetzungen erlaubt. Einem Dritten darf (nach der Beschlussfassung des Rechtsausschusses) auch ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von nicht mehr als 10 % versprochen werden. Es ist aber unklar, woher dieser Anteil bei einer Abhilfeklage für unbekannte Verbraucher (Abhilfe-Gruppenklage, siehe Zöller/G. Vollkommer, § 1 VDuG Rn. 16) kommen soll (Zöller/G. Vollkommer, § 4 VDuG Rn. 5, 6). Der kollektive Gesamtbetrag (§ 18 Abs. 2 VDuG) steht ausschließlich den angemeldeten Verbrauchern zu (BT-Drucks. 20/6520, 86 und BT-Drucks. 20/7631, 110); diese müssten sich also nachträglich bereit erklären, auf einen Teil ihres Anspruchs zugunsten des Prozessfinanzierers zu verzichten. So viel Edelmut ist kaum zu erwarten.

Große Probleme dürfte schließlich auch noch die mit dem VRUG erlassene hoch komplexe verjährungsrechtliche Übergangsregelung des Art. 229 § 65 EGBGB aufwerfen, die zusätzlich auch noch die nicht fristgerechte Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie zum 25.6.2023 regeln muss.

Ein Baumarkt wirbt mit dem Slogan „Es gibt immer was zu tun.“ – Dies gilt inzwischen immer mehr auch für neue Gesetze.

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Taufrisch ist das VDuG vollumfänglich in der Online-Version des Zöller kommentiert, die nicht nur reinen Datenbanknutzern, sondern auch allen Print-Käufern zur Verfügung steht (Zugangsdaten befinden sich im Print-Werk selbst). Schauen Sie doch mal rein!