Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? – Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky

Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Bereich des Zivilprozessrechts?

Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. Hervorzuheben ist zunächst die „kleine ZPO-Reform“ aus dem Dezember 2019, die anlässlich des Auslaufens der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH auf den Weg gebracht wurde, aber inhaltlich ganz verschiedene Einzelfragen neu regelt.

In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments – und zwar nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert.

Neben diesen eher allgemeinen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021, das die Gerichtsvollziehertätigkeit betrifft, betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich noch eine ganze Zeit fortsetzen.

Peters: Sie haben darauf hingewiesen, dass es auch viele Rechtsänderungen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Zivilprozess gibt. Können Sie uns relevante Beispiele nennen?

Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 werden sich auch auf den Zivilprozess massiv auswirken. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht, dass diese über ein Kanzleipostfach kommunizieren. Hier sind etwa im Bereich der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts neue Antworten zu geben.

Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG völlig umgestaltet. Ab dem 1.1.2024 wird es eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts geben. Zwar werden dadurch einige Probleme bei der Parteibezeichnung der GbR im Zivilprozess gelöst, es stellen sich aber auch Folgefragen, z.B. hinsichtlich des Gerichtsstandes und im Vollstreckungsrecht.

Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts mit der Schaffung einer vollrechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zahlreiche neue prozessuale Probleme auf.

Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller alle zwei Jahre kurz vor dem Ende des jeweiligen Jahres erscheint. Dieser feste Rhythmus hat dazu geführt, dass die 34. Auflage Ende 2021 und damit nur wenige Monate nach dem Ende der 19. Wahlperiode des Bundestags in den Buchhandel kommt. Online gestellt wurde sie bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich darin einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzesbeschlüssen des Bundestags erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Beispielsweise hat das bereits erwähnte Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs erst am 17.9.2021 den Bundesrat passiert und wurde im Bundesgesetzblatt vom 11.10.2021 verkündet.

Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng mit begleitet haben, oftmals bereits seit den ersten Diskussionsentwürfen. Wir konnten so für unsere endgültigen Kommentierungen bereits auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen.

 Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller ganz konkret um?

Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. § 53 ZPO oder § 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte – natürlich übersichtlich angeordnet – im Werk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist immer besonders hervorgehoben, so dass sich der Leser leicht orientieren kann. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Dem Praktiker soll so eine fundierte Hilfestellung beim Umgang mit den Neuregelungen gegeben werden. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten.

Peters: Neben den vielen Gesetzesänderungen – wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist neben der Auswertung der Fachliteratur ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der Prozesskostenhilfe habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal ganz erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Sie sind bereits seit 2002 im § 128a ZPO geregelt, wurden aber bis zum Beginn der Pandemie nur selten durchgeführt. Die Nachfrage ist dann 2020 sprunghaft gestiegen. Damit sind auch neue Rechtsfragen virulent geworden. Welche Anforderungen sind an die Übertragung zu stellen? Was ist zur Wahrung der Öffentlichkeit erforderlich? Wie ist mit einem fehlenden Einverständnis der Parteien umzugehen? Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden.

Die Pandemie hat auch viele andere Aktualisierungen an unterschiedlichsten Stellen nötig gemacht. Sie hat Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Gerichtsorganisation, z.B. wie die Öffentlichkeit der Verhandlungen mit den AHA-Regeln in Einklang gebracht werden kann.

Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst?

Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Bereits in der letzten Auflage sind daher bei den ABC-Aufzählungen von Stichworten Randnummern eingefügt worden, die die Auffindbarkeit erleichtern. Durch noch einmal verbesserte Gliederungen in den Überschriften haben wir in der 34. Auflage versucht, die Lesbarkeit am Bildschirm weiter zu optimieren. Zudem enthält die elektronische Ausgabe flächendeckend bei allen Kommentierungen Inhaltsübersichten – in der Printauflage müssen wir aus Platzgründen darauf leider verzichten. Wir haben bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten.

Peters: Ich danke Ihnen sehr für diese informativen Ausführungen. Online ist der neue Zöller bereits verfügbar, im Print erscheint er am 1.12.2021. Weitere Informationen und eine Leseprobe mit Beispielen für die herausragende Aktualität finden Sie unter otto-schmidt.de/zpo34.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Möglichkeit zur Kündigung eines Wohnungsmietvertrags nach einer Zwangsversteigerung

Sonderkündigungsrecht nach Zwangsversteigerung einer Mietwohnung
Urteil vom 15. September 2021 – VIII ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen der gesetzlichen Regelung in § 57a ZVG und Kündigungsbeschränkungen im Mietvertrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte ist seit Mai 2005 Mieter einer Eigentumswohnung. Im Mietvertrag ist vereinbart, dass eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter ausgeschlossen ist. Im Oktober 2018 erwarben die Kläger die Wohnung durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Vier Tage später kündigten sie das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage war in den beiden ersten Instanzen erfolgreich.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Nach § 573d Abs. 1 BGB ist der Vermieter auch dann an die in § 573 und § 573a BGB normierten Beschränkungen gebunden, wenn ihm ein Recht zur außerordentlichen Kündigung mit der gesetzlichen Frist zusteht. Im Streitfall hängt die Wirksamkeit der Kündigung deshalb davon ab, ob der geltend gemachte Eigenbedarf tatsächlich besteht. Letzteres haben die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei bejaht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus § 573d BGB nicht, dass das Sonderkündigungsrecht aus § 57a ZVG durch Vereinbarungen zwischen dem (früheren) Vermieter und dem Mieter beschränkt werden kann. Nach § 566 Abs. 1 BGB tritt der Erwerber von vermietetem Wohnraum zwar grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten in den bestehenden Mietvertrag ein. Diese Regelung wird aber durch den Zuschlag als privatrechtsgestaltenden Hoheitsakt überlagert. Dessen Inhalt wird durch die Versteigerungsbedingungen bestimmt. Zu diesen gehört das in § 57a ZVG vorgesehene Sonderkündigungsrecht.

Praxistipp: Der Mieter kann im Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 59 Abs. 1 ZVG beantragen, die Versteigerung mit der Maßgabe durchzuführen, dass das Sonderkündigungsrecht ausgeschlossen ist. Er kann dieses Ziel aber nur dann erreichen, wenn alle anderen Beteiligten zustimmen oder wenn ein Zuschlag zu diesen Bedingungen die wirtschaftlich günstigste Lösung darstellt.

Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung

Am 7. Januar 2021 hat die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätige Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“  ihr 126-seitiges Diskussionspapier vorgelegt. Mit Vorschlägen wie z. B.

  • Schaffung eines bundesweit einheitlichen Justizportals mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten“,
  • Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens,
  • Möglichkeiten der (reinen) Videoverhandlung im Zivilprozess,
  • der Protokollierung per schriftlichem Wortprotokoll,
  • einem elektronischen Titelregister für die Zwangsvollstreckung und
  • der Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens durch ein sog. Basisdokument

enthält das Werk äußerst innovative Vorschläge für einen zukünftigen, digitalen Zivilprozess die mittlerweile auch schon bei vielen Gelegenheiten (Zivilrichtertag 2021, diverse Tagungen, usw.) diskutiert worden sind.

Einzelne Punkte aus dem Diskussionspapier sollen ggf. sogar schon mittelfristig in die Praxis umgesetzt werden. Für komplexere Themen wird vorgeschlagen, diese in sog. Reallaboren in kleinerem Umfang zu erproben. Vorher sollten die Überlegungen der Arbeitsgruppe um einige Fragen ergänzt werden, die den Rahmen eines digitalen Zivilprozesses der Zukunft abstecken könnten. Zwei Fragen stechen besonders hervor:

Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess?

Im Zuge einer Diskussion des digitalen Zivilprozesses stellt sich unweigerlich die Frage, welcher Grad an Technikeinsatz erstrebenswert ist. Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat bewusst technikoffen gearbeitet. Es ist richtig, dass nicht vorschnell eine bestimmte IT-Technik oder gar ein Anbieter ausgewählt wurden. Dies darf aber nicht bedeuten, die Digitalisierung des Zivilprozesses unter Ausblendung technischer Rahmenbedingungen zu denken. Das Dilemma zwischen juristischer Ebene und technischer Ebene zeigt sich besonders an der kontrovers ausgetragenen Diskussion über die Strukturierung von Schriftsätzen. Der Sachvortrag wird vielfach als zu unstrukturiert und oft zu wenige Wechselbezüge aufweisend bezeichnet („Die Parteien schreiben aneinander vorbei.“). Auf Basis des neuen § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist bereits heute in vielen Fällen eine Strukturierung des Parteivortrags denkbar (sh. dazu Zwickel, MDR 2021, 716-723). Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat darüber hinausgehend vorgeschlagen, dass die Parteien künftig in einem elektronischen Basisdokument (idealerweise auf dem Justiz-Server) ihren Tatsachenvortrag (eine Pflicht zu Rechtsausführungen soll nicht eingeführt werden!) kollaborativ in einer Relationstabelle gegenüberstellen sollen. Die Parteien sollen also an einem einzigen digitalen Dokument arbeiten, in dem sie den Vortrag anhand des Strukturierungskriteriums des Lebenssachverhalts selbst ordnen. Die Strukturierung findet zwar mit einem digitalen Tool, aber nach rein juristischen Vorgaben anhand der Chronologie des Lebenssachverhalts statt.
Möglicherweise decken sich solche juristischen Strukturen nicht mit den Strukturen, mit denen IT-Systeme arbeiten, so dass die IT mit der gewonnenen Struktur nicht weiterarbeiten kann. Techniken der digitalen Inhaltserschließung der Eingaben in das Basisdokument (von der automatischen Verlinkung von Treffern in juristischen Datenbanken bis hin zum digitalen Entscheidungsvorschlag) wären, bei einer zu wenig kleinteiligen Struktur wohl vielfach ausgeschlossen. Liegt nicht genau an dieser Stelle, d.h. bei der digitalen Erleichterung der richterlichen Arbeit auf dem Weg zum Urteil, der wahre Mehrwert einer digitalen Strukturierung des Parteivortrags? In anderen Bereichen/Rechtsordnungen ist diese Frage schon entschieden: Das ELSTER-System der Steuerverwaltung und Legal Tech-Anbieter schaffen es auf Basis der strukturierten Daten, IT auch im Prozess der (teil-)automatisierten juristischen Entscheidungsfindung einzusetzen.

Zu Möglichkeiten und Grenzen der analogen und digitalen Strukturierung und Abschichtung im zivilgerichtlichen Verfahren sh. ausführlich Zwickel, MDR 2021, 716-723.

In anderen Rechtsordnungen wie in der kanadischen Provinz British Columbia mit seinem Civil Resolution Tribunal ist das Verfahren selbst so strukturiert, dass es vollständig im digitalen Raum ablaufen kann und digitale Tools umfassend ausnutzt.

In China schließlich gibt es, ebenfalls auf Basis des Einsatzes strukturierter Daten, mit dem Internet Court in Hangzhou sogar maschinell entscheidende Internetgerichte (Automatisierung der Entscheidung selbst).

Wollen wir einen derart umfassenden Technikeinsatz auch für den Zivilprozess?

Es liegt auf der Hand, dass die Frage nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten ist, sondern einer sorgfältigen Abwägung auch unter Einbeziehung von Informatikern bedarf.

Digitale Kommunikation im Zivilprozess?

Eng in Zusammenhang mit der Frage nach der Reichweite des Technikeinsatzes steht die These, dass die Kommunikation im digitalen Raum „virtuell verengt“ (sh. Harnack, ZKM 2021, 14-18) und damit anders geartet ist als die herkömmliche Kommunikation im Gerichtssaal. Man wird daher nicht umhinkommen, über den juristischen Tellerrand zu blicken und Kommunikationspsychologen, Fachleute für IT-Sicherheit usw. zu hören, ehe man die mündliche Verhandlung im Zivilprozess auch nur teilweise durch digitale Videoverhandlungen ersetzt.

Niklas Luhmann soll geäußert haben „Die Rechtswissenschaft verhält sich zum Computer wie das Reh zum Auto. Manchmal kollidieren sie eben doch.“ Im Hinblick auf die Digitalisierung des Zivilprozesses scheint dies nicht zu gelten, ist doch die Wissenschaft gerne bereit, die von der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ ausgehende Aufforderung zum Diskurs aufzunehmen. So bilden die beiden oben angerissenen Fragen nach der Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess und der Kommunikation im digitalisierten Zivilverfahren mit der Digitalisierung der Zwangsvollstreckung die Leitmotive einer wissenschaftlichen Online-Tagung „Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 1./2. Juli 2021, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind.

Montagsblog: Neues vom BGH

Allmählich kehrt auch der Montagsblog in sein gewohntes Fahrwasser zurück.

Dauerhafte Verbindung eines Mobilheims mit einem Grundstück
Beschluss vom 21. November 2019 – V ZB 75/19

Mit der Ausnahmevorschrift in § 95 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beschwerdeführer betreiben die Zwangsversteigerung eines Grundstücks, auf dem sich zwei Mobilheime befinden, die die Beschwerdeführerin als damalige Grundstückeigentümerin vor rund 23 Jahren errichtet hat. Das AG ließ die Mobilheime bei der Festsetzung des Verkehrswerts unberücksichtigt, weil es sich nur um Scheinbestandteile im Sinne von § 95 BGB handle. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Bei der Festsetzung des Verkehrswerts gemäß § 74a Abs. 5 Satz 1 ZVG müssen wesentliche Bestandteile des Grundstücks im Sinne von § 94 BGB berücksichtigt werden. Im Streitfall dürfen die Mobilheime nicht schon wegen ihrer Beschaffenheit als Scheinbestandteile im Sinne von § 95 BGB angesehen werden. Für die Beurteilung der Frage, ob die Verbindung nur zu einem vorübergehenden Zweck erfolgte, ist vielmehr– entsprechend den allgemeinen Grundsätzen – der Wille desjenigen maßgeblich, der die Verbindung vornimmt. Wenn der Grundstückseigentümer selbst die Verbindung vornimmt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese dauerhaft erfolgt. Ein Wille, die Verbindung nur zu einem vorübergehenden Zweck vorzunehmen, ist nur dann zu bejahen, wenn hierfür objektive Anhaltspunkte vorliegen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus den tatsächlichen Feststellungen des LG nicht. Das LG wird diese Frage nach der Zurückverweisung zu klären haben. Ferner muss es prüfen, ob eine feste Verbindung zwischen den Mobilheimen und dem Grundstück geschaffen wurde. Hierfür sind ebenfalls die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls maßgeblich.

Praxistipp: Erfolgt die Verbindung durch einen Mieter, Pächter oder anderen nur schuldrechtlich zur Nutzung des Grundstücks Berechtigten, spricht eine Vermutung dafür, dass diese nur einem vorübergehenden Zweck dient.

Professor Udo Hintzen im Interview zu den Möglichkeiten der Beitreibung einer titulierten Forderung trotz vielfältigem Schuldnerschutz und Restschuldbefreiung

Ziel der Zwangsvollstreckung ist die Befriedigung des Gläubigers als Rechtserfolg. Die Wirklichkeit zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. Für eine effektive und zielgerichtete Vollstreckung sind vertiefte Kenntnisse in diversen Rechtsgebieten vonnöten, will man sich nicht nur auf die Pfändung von Arbeitseinkommen und Girokonten beschränken. Hierüber habe ich mit dem Autor des gerade in neuer Auflage erschienenen Buchs „Musteranträge für Pfändung und Überweisung“ Professor Udo Hintzen[1] gesprochen.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Was ist für einen Gläubiger die größte Herausforderung, will er seinen titulierten Anspruch zwangsweise durchsetzen?

Hintzen: Den Überblick zu gewinnen, welche Möglichkeiten es außer den in den amtlichen Formularen vorgesehenen „Klassikern“ wie Arbeitseinkommen, Arbeitslosengeld, Steuererstattungsanspruch, Lebensversicherung und Bausparvertrag noch gibt. Aber selbst bei diesen vorformulierten Ansprüchen kann es im Einzelfall Abweichungen geben, die dann extra im Anwendungsformular korrigiert werden sollten.

Forner: Muss ein Gläubiger denn die amtlichen Formulare benutzen, auch wenn er andere als die von Ihnen gerade genannten Ansprüche pfänden will?

Hintzen: Ja, muss er. Das Formular enthält einen „offenen“ Baustein; der Gläubiger muss dann – wie früher generell – den zu pfändenden Anspruch selbst formulieren. Allerdings würde der allgemeine Justizgewährungsanspruch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, wenn der gesetzlich geregelte Formularzwang so zu verstehen wäre, dass die Formulare ohne Einschränkung zu verwenden wären. Mit dem Formularzwang wird insbesondere eine Entlastung der Vollstreckungsgerichte bezweckt. Durch die Vereinheitlichung der Antragsformulare soll die Effizienz bei der Bearbeitung der Anträge bei Gericht gesteigert werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Umsetzung dieses in Anbetracht der Vielschichtigkeit der Forderungspfändung anspruchsvollen gesetzgeberischen Anliegens durch die verbindliche Vorgabe des Formulars den Anspruch des Rechtsuchenden auf effektiven Rechtsschutz unverhältnismäßig einschränkt. Daher gibt es trotz Formularzwangs immer die Möglichkeit, von den Vorgaben abzuweichen.

Forner: Wo können denn in einem Formular, das ja immerhin vom Gesetzgeber gesetzlich vorgeschrieben ist, Korrektur- bzw. Anpassungsmöglichkeiten überhaupt auftreten?

Hintzen: Die Ausfüllprobleme haben den BGH bereits kurz nach Einführung der Formulare beschäftigt. Mit seinem ersten Beschluss v. 13.2.2014  – VII ZB 39/13, MDR 2014, 495 hat der BGH das Formular in mehreren Punkten kritisiert und entschieden, dass ein Gläubiger vom Formularzwang entbunden ist, soweit das Formular unvollständig, unzutreffend, fehlerhaft oder missverständlich ist. In diesen Fällen kann der Gläubiger auch Streichungen, Berichtigungen oder Ergänzungen vornehmen oder das Formular insoweit nicht nutzen, sondern auf beigefügte Anlagen verweisen. Nicht zuletzt diese Entscheidung führte dann zur Änderungsverordnung vom 16.6.2014. Leider brachte diese VO außer der „SEPA-Umstellung“ keine Verbesserung, die Kernprobleme sind geblieben.

Forner: Wann benötigt ein Gläubiger neben den amtlichen Formularen, die ja textlich bereits die zu pfändenden Ansprüche genau bezeichnen, noch weitere Unterstützung, z.B. in Form eines Formularbuchs?

Hintzen: Ein Gläubiger sollte sich grundsätzlich nie auf vorgefertigte Texte verlassen. Insbesondere Rechtsanwälte sind ihren Mandanten gegenüber verpflichtet. Ob ein zu pfändender Anspruch im Einzelfall hinreichend bezeichnet und auch alle möglichen Nebenrechte mitgepfändet sind, entscheidet nicht der Gesetzgeber mit Textbausteinen, sondern der Gläubiger selbst ist gefragt und das Vollstreckungsgericht muss dann entscheiden, ob dem Pfändungsantrag stattgegeben wird oder nicht. Bei der Vielfalt der Pfändungsmöglichkeiten wird ein Gläubiger ohne ein Nachschlagewerk kaum auskommen können.

Forner: Ihr soeben erschienenes Buch mit mehr als 200 Musteranträgen zur Pfändung und Überweisung ist so ein Nachschlagewerk. Was erwartet den Nutzer hier an inhaltlichen Neuerungen?

Hintzen: Viele einzelne Gesetzesänderungen haben dazu geführt, dass man bei den einzelnen Anträgen genau hinsehen muss. Es fängt mit der neuen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung an, die zu beachten ist. In den individuellen Anträgen werden unterschiedliche Änderungen relevant, z.B. durch die Reform des Bauvertragsrechts, durch das Gesetz „Ehe für alle“ oder durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Grenzüberschreitend ist auch das neue EU-KontenpfändungsVO-Durchführungsgesetz und das Gesetz zum Internationalen Erbschein zu achten. Daneben gibt es viele kleine Details, die für den Antrag wichtig sind; beispielhaft erwähnt werden kann hier die Verschmelzung der PostbankAG mit der DB Privat- und Firmenkunden. Für den Vollstreckungsgläubiger ist es ja enorm wichtig, wer der richtige Drittschuldner ist.

Forner: Wichtig ist für den Vollstreckungsgläubiger auch, dass er alle Möglichkeiten ausschöpft. Können Sie einmal kurz ein Beispiel außerhalb der eingangs genannten Pfändungsmöglichkeiten nennen?

Hintzen: Viele Schuldner verfügen über Grundbesitz, sei es in Form eines Grundstücks oder einer Eigentumswohnung. Die Zwangsvollstreckung in Vermögensrechte, die sich aus dem Grundbuch ergeben bzw. sich auf das Grundstück beziehen, wird nur selten in Anspruch genommen. Der Grund liegt möglicherweise in den praktischen und rechtlichen Problemen, die aus der Verzahnung des allgemeinen Zwangsvollstreckungsrechts mit Fragen des materiellen und formellen Grundbuchrechts und nicht zuletzt mit dem Recht der Zwangsversteigerung resultieren. Diese äußerst komplexen Fragen sind nicht immer einfach und eindeutig zu beantworten. Die Rechtspfändung und mögliche Sicherung im Grundbuch bietet aber durchaus vielversprechende Realisierungschancen, die der Gläubiger nicht ungenutzt lassen sollte.

Ein weiteres Beispiel sind Pfändungsmöglichkeiten im Rahmen einer Erbfolge. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurde 2017 in Deutschland ein Vermögen von insgesamt etwa 97 Milliarden Euro vererbt und verschenkt. Der Betrag dürfte von Jahr zu Jahr steigen. Hinter diesem Betrag verbergen sich Häuser, Wohnungen, Wertpapiere und Bargeld. Pfändungsmöglichkeiten, die man nicht außer Acht lassen sollte.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

[1] Professor Udo Hintzen ist durch langjährige Tätigkeit als Rechtspfleger ausgewiesener Experte im Umgang mit Forderungspfändungen. Er lehrt an der HWR Berlin (u.a. mit Schwerpunkt Zwangsvollstreckungsrecht) und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Rpfleger“.

KG: Räumungsverfügung für gewerblich genutzte Räume

In einem Verfahren vor dem KG Berlin (Beschl. v. 9.5.2019 – 8 W 28/19) hatte die Antragstellerin an eine GmbH Gewerberäume vermietet. Die GmbH war rechtskräftig zur Herausgabe der Räume an die Antragstellerin verurteilt worden. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil stellte es sich heraus, dass die beiden Antragsgegner aufgrund eines Untermietvertrages mit der GmbH einen Teil der Räume nutzten. Daraufhin beantragte die Antragstellerin gegen die beiden Antragsgegner den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Räumung der von ihnen in Besitz gehaltenen Räume.

Das LG Berlin wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurück, da § 940a ZPO auf Gewerberaummietverhältnisse schon seinem Wortlaut nach nicht direkt und auch nicht analog anzuwenden sei. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Die Frage, ob diese Sicht der Dinge zutreffend ist oder nicht, ist in der Rechtsprechung umstritten. Zuletzt hatten das OLG München (Beschl. v. 12.12.2017 – 32 W 1939/17, MDR 2018, 427) und das OLG Dresden (Urt. v. 29.11.2017 – 5 U 1337/17, MDR 2018, 204; diese Entscheidung wurde bereits im Blog besprochen!) die Frage bejaht. Das KG war bisher anderer Auffassung. Die Einzelrichterin hat die Sache gemäß § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO auf den Senat übertragen, der die bisherige Rechtsprechung des KG ändert und sich nunmehr der Sichtweise des OLG München und OLG Dresden anschließt!

Das KG folgt der Auffassung, dass § 940a ZPO auf Gewerbemietverhältnisse weder direkt noch analog anzuwenden ist, da eine planwidrige Regelungslücke insoweit nicht besteht. Allerdings kann die Wertung, die § 940a ZPO enthält, auch im Rahmen des § 940 ZPO berücksichtigt werden. Damit wird auf diesem Umweg das zweifelsohne sachgerechte Ergebnis erzielt, das auch aus praktischen Gründen erforderlich ist.

Daher kann festgehalten werden: Eine Räumungsverfügung ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung der Vorschriften der § 940, § 940a ZPO auch für gewerblich genutzte Räume zulässig.

Fazit: Diese Entscheidung ist zu begrüßen. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass auch und erst recht im Bereich des gewerblichen Mietrechts versucht wird, eine Räumung mit allen Mitteln zu verhindern. Nachdem nunmehr auch das KG „eingeknickt“ ist, dürfte spätestens diese Entscheidung nunmehr für die Zukunft eine herrschende Meinung begründet haben.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Um ein immer wiederkehrendes und äußerst haftungsträchtiges Thema geht es in dieser Woche.

Zeitreserve bei Faxversand in letzter Minute
Beschluss vom 23. Oktober 2018 – III ZB 54/18

Mit den Anforderungen an den Versand von mehreren Schriftsätzen unmittelbar vor Fristablauf befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Fondsbeteiligung. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte fristgerecht Berufung ein. Die per Telefax übermittelte Berufungsbegründung ging wenige Minuten nach Ablauf der Frist beim OLG ein. In seinem Wiedereinsetzungsgesuch machte der Kläger geltend, sein Anwalt habe um 23:26 Uhr mit der Übertragung von drei jeweils vierzehn Seiten umfassenden Berufungsbegründungen begonnen. Der Faxanschluss des OLG sei aber bis 23:55 Uhr belegt gewesen. Deshalb hätten nur noch die Schriftsätze in den beiden Parallelsachen rechtzeitig übermittelt werden können, nicht aber der Schriftsatz des Klägers. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Anwalt des Klägers musste damit rechnen, dass der Telefaxanschluss des Gerichts kurz vor Mitternacht aufgrund von Sendeversuchen anderer Absender belegt sein könnte, und musste deshalb eine zusätzliche Zeitreserve einplanen. Diese beträgt bei einem einzelnen Schriftsatz in der Regel 20 Minuten. Sollen mehrere Schriftsätze übertragen werden, muss die Reserve angemessen erhöht werden, weil die Gefahr besteht, dass die Leitung nach jedem einzelnen Übermittlungsvorgang erneut durch Dritte belegt ist. Im Streitfall stand für die drei Schriftsätze insgesamt eine Zeitreserve von weniger als 30 Minuten zur Verfügung. Dies war nicht ausreichend.

Praxistipp: Bei Last-Minute-Einreichungen dürfte der Versand über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) mit deutlich geringeren Risiken verbunden sein als der Versand über das vermeintlich bewährte Telefax.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine allgemeine Frage, die bislang nicht höchstrichterlich entschieden war, geht es in dieser Woche.

Bindung des Rechtsnachfolgers an einen nach Rechtsübergang geschlossenen Vergleich
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 267/17

Mit den Wirkungen eines vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Prozessvergleichs befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte in einem Vorprozess seinen Nachbarn wegen der Blendwirkung einer Photovoltaikanlage in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich der Nachbar verpflichtete, bestimmte Teile der Anlage zu entfernen. Nachdem der Beklagte die Vollstreckung eingeleitet hatte, erhob die Ehefrau des Nachbarn Vollstreckungsgegenklage. Sie legte (erstmals) offen, dass ihr Ehemann das Eigentum an dem betroffenen Grundstück schon während des Vorprozesses im Wege der Schenkung auf sie übertragen hatte, und machte geltend, sie sei an den von ihrem Ehemann nach der Übereignung geschlossenen Vergleich nicht gebunden. Die Vollstreckungsgegenklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Er verweist auf frühere Rechtsprechung, wonach eine Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit in entsprechender Anwendung von § 265 ZPO auch dann keinen Einfluss auf den Rechtsstreit hat, wenn ein Grundstückseigentümer, der nach § 906 und § 1004 BGB wegen Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück in Anspruch genommen wird, das Eigentum nach Rechtshängigkeit auf einen Dritten überträgt. Aus § 265 ZPO ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass der Rechtsnachfolger auch an einen vom früheren Rechtsinhaber geschlossenen Vergleich gebunden ist, soweit dieser eine Rechtsfolge vorsieht, die auch das Ergebnis eines Urteils in dem anhängigen Rechtsstreit sein könnte. Eine in der Literatur (auch vom Montagsblogger) vertretene Gegenauffassung, wonach § 265 ZPO keine materiell-rechtlichen Wirkungen entfalten kann, lehnt er ab, weil ein Prozessvergleich eine Einheit bilde und das Gesetz dem Veräußerer eine umfassende gesetzliche Prozessstandschaft einräume. Den in § 325 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Vorbehalt zugunsten eines gutgläubigen Erwerbers hält der Senat nicht für einschlägig, weil dieser nur einen (doppelt gutgläubigen) Erwerb von einem Nichtberechtigten betreffe.

Praxistipp: Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sollte sich der Erwerber eines Grundstücks vergewissern, dass keine das Anwesen betreffenden Rechtsstreitigkeiten anhängig sind. Im Falle einer unrichtigen Auskunft ist er allerdings auch dann nicht vor einem Rechtsverlust geschützt; immerhin stehen ihm aber Ersatzansprüche gegen den Veräußerer zu.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die formellen Voraussetzungen eines Beitritts als Streithelfer geht es in dieser Woche.

Beitritt als Streithelfer und Berufungskläger
Beschluss vom 13. September 2018 – I ZB 100/17

Mit den Anforderungen an die Darlegung eines eigenen Interesses des Streithelfers befasst sich der I. Zivilsenat.

Die klagende Haftpflichtversicherung begehrte von der beklagten Transportunternehmerin Schadensersatz, weil diese vereinbarungswidrig nicht die gesamte Fracht an den vorgesehenen Empfänger geliefert habe. Das LG wies die Klage ab. Dagegen legte ausschließlich die in erster Instanz nicht am Rechtsstreit beteiligte Empfängerin der Fracht Berufung ein; zugleich erklärte sie ihren zum Rechtsstreit als Streithelferin der Klägerin. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, weil die Berufungsklägerin nicht dargelegt habe, welches Interesse sie am Ausgang des Rechtsstreits habe.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Zu den formellen Voraussetzungen für einen wirksamen Beitritt als Streithelfer gehört zwar gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO die bestimmte Angabe des Interesses, das der Beitretende am Ausgang des Rechtsstreits hat. Nähere Ausführungen dazu sind aber entbehrlich, wenn sich ein hinreichendes Interesse bereits aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Als vorgesehene Empfängerin des Frachtguts ist die Berufungsklägerin ebenfalls Gläubigerin eventueller Ersatzansprüche gegen die Beklagte.

Praxistipp: Um unnötige Diskussionen zu vermeiden, ist es dennoch zweckmäßig, in dem Schriftsatz, mit dem der Beitritt erklärt wird, das Interesse des Beitretenden kurz darzulegen.

BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung

Einer Entscheidung des BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung  (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

In einer vom LG erlassenen einstweiligen Verfügung wurde „einer Anzahl von 40 männlichen und weiblichen Personen, die sich als „Kulturkollektiv Arno-Nitzsche“ bezeichnen und sich zum Zeitpunkt der Zustellung“ auf einem näher bezeichneten Grundstück dauerhaft aufhalten (Schuldner) u. a. aufgegeben, das bezeichnete Grundstück zu räumen. Der Gerichtsvollzieher weigerte sich zu vollziehen, da die Schuldner – entgegen § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO – nicht hinreichend individualisierbar seien. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel (Erinnerung, sofortige Beschwerde, Rechtsbeschwerde) blieben alle erfolglos.

Die Regelung des § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO spricht ausdrücklich davon, dass der Schuldner namentlich bezeichnet werden muss. Dies war hier nicht der Fall. Auch aus einer Auslegung des Titels selbst – was ausreichend ist – konnten sich die Schuldner nicht mit erforderlichen Eindeutigkeit ergeben. Eine klare Abgrenzung wer zu diesem Kollektiv gehört und wie diese Personen von eventuellen Besuchern o. ä. abzugrenzen wären, ergab sich aus dem Titel nicht.

Auch Billigkeitserwägungen können es nicht rechtfertigen, von einer genauen Bezeichnung des Vollstreckungsschuldners abzusehen. Ein „Titel gegen Unbekannt“ oder „gegen den, den es angeht“ oder einen „lagebezogenen“ Titel kennt das geltende Recht nicht. Die Schaffung eines solchen Titels kann nicht durch die Rechtsprechung erfolgen, sondern ist dem Gesetzgeber vorbehalten.

Allerdings kann es nicht sein, dass der Gläubiger rechtlos gestellt wird. Dem Eigentümer eines besetzten Hauses muss es daher möglich sein, dessen Räumung zu erreichen. Dies sicherzustellen, ist dann aber die Aufgabe des Polizei- und Ordnungsrechtes. Liegt ein strafbarer Hausfriedensbruch vor, muss die zuständige Polizeibehörde auf Antrag auch zur Sicherung privater Rechte aktiv werden. Eine faktische Rechtsverweigerung liegt damit auch nicht vor.

Über die Rechtmäßigkeit des Titels hatte der BGH (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) nicht zu entscheiden. Aus den Ausführungen zur Zwangsvollstreckung folgt aber zwangsläufig, dass die einstweilige Verfügung so nicht hätte ergehen dürfen.

Hinweis: In derartigen Fällen empfiehlt es sich, unter Hinweis auf diese Entscheidung, direkt die Polizeibehörden einzuschalten. In der Praxis wird dies freilich nicht ganz so einfach sein, wie der BGH sich dies vorstellt, da man zu dieser Thematik auch aus öffentlich-rechtlicher Sicht einiges sagen könnte. Aber jedenfalls hat der BGH mit dieser Entscheidung den „schwarzen Peter“ zunächst einmal in das öffentliche Recht verschoben. Man darf gespannt sein, wie sich diese Materie weiter entwickeln wird, wenn die Verwaltungsgerichte erneut damit befasst werden.