BGH: Notwendiger Hinweis des Gerichts bei einer Wiedereinsetzung wegen plötzlicher Erkrankung der Rechtsanwältin

Der BGH hat sich mit Beschl. v. 6.9.2022 – VIII ZB 24/22, MDR 2022, 1363 mit den Pflichten des Rechtsmittelgerichts im Hinblick auf das Vorbringen zur Begründung eines auf eine unvorhergesehene Erkrankung des Rechtsanwalts gestützten Wiedereinsetzungsantrags befasst.

In dem Verfahren hat der Kläger behauptet und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, seine Anwältin sei am Tage des Ablaufes der Berufungsbegründungsfrist unvorhergesehen akut erkrankt (Fieber, starke Übelkeit, Erbrechen) und habe deshalb die Frist nicht wahren können. Die Beauftragung eines Vertreters sei genauso wenig zumutbar und möglich gewesen wie die Einholung der Zustimmung des Beklagtenvertreters zu einer erneuten Fristverlängerung. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Einholung einer Zustimmung des Beklagtenvertreters zur erneuten Verlängerung der Frist nicht möglich gewesen wäre. Die pauschale Behauptung, dies sei nicht zumutbar und möglich gewesen, sei nicht ausreichend.

Der BGH teilt diese Sichtweise nicht, sondern fordert von dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung der Sache, die unrichtigerweise unterblieben sei; gegebenenfalls durch Vernehmung der Anwältin. Das Berufungsgericht habe richtig angenommen, dass der Kläger eine in sich geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe noch nicht abgegeben habe. Im Kern sei das Vorbringen des Klägers allerdings nachvollziehbar. In einem solchen Fall wäre das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO dazu verpflichtet gewesen, den Kläger auf die Lücken im Vortrag hinzuweisen und entsprechenden Beweis anzutreten. Es handele sich hier mithin um erkennbar unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, die auch noch nach Fristablauf und noch mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden könnten.

Fazit: Die Entscheidung liegt ganz auf der Linie der sich immer weiter und mehr ausdehnenden Aufklärungs- und Hinweispflichten, die die Anwaltschaft zu einem immer unsorgfältigeren Verhalten ermutigen. Es dürfte doch auf der Hand liegen, dass in Fällen der plötzlichen Erkrankung näher ausgeführt werden muss, warum man nicht mehr den Gegner anrufen und um Zustimmung zur Fristverlängerung bitten konnte! Was liegt eigentlich näher?

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Diese Woche geht es um die Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot.

Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21

Der VII. Zivilsenat wendet den Allgemeinen Teil des BGB auf ein elektronisch übermitteltes Angebot an.

Die Klägerin hatte für die Beklagte Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten durchgeführt. Die Beklagte nahm Kürzungen an der Schlussrechnung vor und überwies den von ihr als noch offen ermittelten Betrag. Die Klägerin widersprach den Kürzungen und forderte die Beklagte schriftlich zur Zahlung eines weiteren Betrags von 14.347,23 Euro nebst Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro auf.

Rund zwei Wochen später bot die Beklagte eine Zahlung in der genannten Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Drei Tage danach teilte der Anwalt der Klägerin um 9:19 Uhr per E-Mail mit, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich noch auf 14.347,23 Euro. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner seien die geltend gemachten Anwaltskosten zahlbar und fällig. Rund eine halbe Stunde später teilte er in einer weiteren E-Mail mit, die Prüfung der Forderungshöhe sei noch nicht abgeschlossen; die vorangegangene E-Mail müsse daher unberücksichtigt bleiben.

Drei Tage darauf übersandte die Klägerin eine neue Schlussrechnung, die eine Restforderung von rund 22.000 Euro auswies. Die Beklagte überwies weitere vier Tage später – also eine Woche nach Erhalt der E-Mail – den zuvor mitgeteilten Betrag von 14.347,23 Euro.

Die Klage auf Zahlung der Differenz zu dem Restbetrag aus der neuen Schlussrechnung blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Zahlungen, weil durch ihre erste E-Mail und die Zahlung der Beklagten ein wirksamer Vergleich zustande gekommen ist.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die erste E-Mail ein Angebot zum Abschluss eines Vergleichs enthält. Diese Willenserklärung ist gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, als die Nachricht im elektronischen Postfach der Beklagten einging, weil die Beklagte hierdurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte und der Zeitpunkt des Eingangs innerhalb der üblichen Geschäftszeiten lag. Von diesem Zeitpunkt an war das Angebot gemäß § 145 BGB bindend – unabhängig davon, ob die Beklagte es bereits gelesen hatte. Der eine halbe Stunde später erklärte Widerruf war damit wirkungslos.

Die Beklagte durfte das nicht befristete Angebot gemäß § 147 Abs. 2 BGB bis zu dem Zeitpunkt annehmen, zu dem die Klägerin den Eingang einer Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten durfte. Dieser Zeitraum war im Zeitpunkt der Zahlung – eine Woche nach Eingang des Angebots – noch nicht verstrichen.

Praxistipp: Wer einen per E-Mail übermittelten Vorschlag zur gütlichen Einigung nicht als verbindliches Vergleichsangebot gewertet wissen will, muss unmissverständlich klarstellen, dass die Nachricht keine rechtsverbindliche Erklärung enthält.

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Diese Woche geht es um die richtige Antragsfassung bei einer Klage auf Berichtigung des Grundbuchs nach Eintragung eines unwirksamen Eigentümerwechsels und um die erforderliche Form einer Anschlussberufung.

Angabe des Berechtigten im Grundbuch
BGH, Beschluss vom 16. September 2022 – V ZR 151/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den formalen Anforderungen an einen Antrag auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung und an eine Anschlussberufung.

Der im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbene und von den jetzigen Kläger beerbte Erblasser verlangte die Rückübereignung eines von ihm an den Beklagten veräußerten Grundstücks wegen Geschäftsunfähigkeit bei Abschluss des Vertrags. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. In der Berufungsverhandlung änderten die Kläger auf gerichtlichen Hinweis ihren Antrag dahin, dass der Beklagte verurteilt wird, seine Löschung als Eigentümer zu bewilligen. Das OLG wies die Berufung des Beklagten mit dieser Maßgabe zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der neue Antrag der Kläger ist schon wegen eines Formmangels unzulässig. Da der Erblasser in erster Instanz vollständig obsiegt hatte, war eine Änderung des Klageantrags in zweiter Instanz nur im Rahmen einer Anschlussberufung zulässig. Eine Anschlussberufung ist im Streitfall zwar nicht an eine Frist gebunden, weil das OLG die für einen Fristbeginn erforderlichen Belehrungen nicht erteilt hat. Sie hätte aber durch einen Anwaltschriftsatz eingelegt werden müssen. Die Erklärung zu Protokoll reicht nicht aus. Dieser Mangel unterliegt nicht der Heilung nach § 295 ZPO.

Der in zweiter Instanz gestellte Antrag der Kläger ist darüber hinaus auch deshalb unzulässig, weil das Grundbuch stets Auskunft darüber geben muss, wer Inhaber eines dort eingetragenen Rechts ist. Die Kläger dürfen mithin nicht allein die Löschung des Beklagten als Eigentümer verlangen. Sie müssen vielmehr angeben, wer stattdessen als Eigentümer eingetragen werden soll. Das Berufungsgericht wird den Klägern nach Zurückverweisung Gelegenheit geben müssen, ihren Antrag entsprechend anzupassen.

Praxistipp: Eine Klage auf Rückabwicklung wegen Geschäftsunfähigkeit gerichtete sollte in erster Linie auf Grundbuchberichtigung und allenfalls hilfsweise auf Rückauflassung gerichtet werden.

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Diese Woche geht es erneut um die Anforderungen an einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Fehlende Versicherung an Eides Statt trotz Inbezugnahme
BGH, Beschluss vom 20. September 2022 – VI ZB 27/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Beklagte legte gegen eine ihr ungünstige Entscheidung des LG rechtzeitig Berufung ein. Die Berufungsbegründung ging erst einen Tag nach Ablauf der maßgeblichen Frist beim OLG ein. In ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand legte die Beklagte dar, der Schriftsatz sei aufgrund eines Kanzleiversehens zunächst an das LG versandt worden. Zur Glaubhaftmachung nahm sie auf eidesstattliche Versicherungen ihrer Prozessbevollmächtigten und deren Mitarbeiter Bezug. Ferner bot sie die informatorische Anhörung der Prozessbevollmächtigten an. Das OLG wies darauf hin, dass dem eingereichten Wiedereinsetzungsantrag keine Versicherungen am Eides Statt beigefügt waren. Einen Monat später wies es den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück. Einen Tag danach reichte die Beklagte eidesstattliche Versicherungen ein.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Beklagte hat den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund nicht rechtzeitig glaubhaft gemacht. Die angebotene informelle Anhörung der Prozessbevollmächtigten ist kein zulässiges Beweismittel. Eine Versicherung an Eides Statt wurde entgegen der Ankündigung im Wiedereinsetzungsantrag bis zur Entscheidung des OLG nicht eingereicht.

Das OLG war nicht gehalten, eine Frist zur Vorlage der fehlenden Erklärungen zu setzen. Jedenfalls nach dem gerichtlichen Hinweis war die Beklagte gehalten, diese auch ohne Fristsetzung unverzüglich einzureichen. Das OLG musste lediglich einen angemessenen Zeitraum abwarten, bevor es über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet. Die im Streitfall eingehaltene Wartefrist von einem Monat reichte hierzu aus.

Praxistipp: Will das Gericht einer rechtzeitig eingereichten Versicherung an Eides Statt keinen Glauben schenken, muss es der Partei Gelegenheit geben, den Erklärenden als Zeugen zu benennen.

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Diese Woche geht es erneut um die Anforderungen an einen elektronischen Schriftsatz.

Einfache Signatur eines elektronischen Schriftsatzes
BGH, Beschluss vom 20. September 2022 – XI ZB 14/22

Der XI. Zivilsenat befasst sich mit den anwaltlichen Prüfpflichten beim Versand eines Schriftsatzes über beA.

Die Klägerin nimmt die Beklagte nach der Zwangsversteigerung einer Immobilie auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Am letzten Tag der maßgeblichen Frist ging beim OLG eine Nachricht aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein, der kein PDF-Dokument beigefügt war. Erst am Tag darauf ging eine neue Nachricht ein mit der Berufungsbegründung als Anlage ein. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt erfolglos.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die ihm obliegenden Prüfungspflichten beim Versand der ersten Nachricht verletzt hat. Er hätte nicht nur prüfen müssen, ob die Nachricht beim OLG eingegangen ist, sondern auch, ob ihr die Berufungsbegründung als PDF-Dokument beigefügt ist. Hierzu hätte er sich zumindest darüber vergewissern müssen, dass der Dateiname des betreffenden Dokuments in der Eingangsbestätigung des Gerichts unter der Rubrik „Anhänge“ aufgeführt ist.

Praxistipp: Den Versand und die dabei vorzunehmenden Prüfungen darf der Anwalt auf eine sorgfältig ausgewählte und angeleitete Kanzleikraft übertragen. Er muss deren Tätigkeit jedoch durch Stichproben überprüfen. Ferner muss er jeden Schriftsatz vor dem Versand bzw. vor der Anbringung seiner elektronischen Signatur auf inhaltliche Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen.

Strukturierung des Parteivortrags – Brauchen wir mehr Einvernehmen zwischen Parteien und Gerichten?

Vor dem Hintergrund der künftigen Digitalisierung des Zivilprozesses wird aktuell besonders intensiv über die Strukturierung des Parteivortrags mittels eines so genannten elektronischen Basisdokuments diskutiert (vgl. dazu Zwickel, MDR 2021, 716 ff.). Kern der Idee ist, dass die beiden Parteien des Zivilprozesses ihren Tatsachenvortrag unter gemeinsamen Überschriften gegenüberstellen. Auf Gerichtsseite lässt sich daraus eine so genannte Relationstabelle erstellen, die das Auffinden streitiger bzw. unstreitiger Tatsachen erleichtert. Derartige Vorschläge in Richtung einer Vereinheitlichung von Parteischriftsätzen werden vor allem mit dem Einwand kritisiert, die Anwaltschaft sei kein Hilfsorgan der Justiz.

In Frankreich ist kürzlich der Abschlussbericht der vom französischen Staatspräsidenten initiierten so genannten Generalstände der Justiz (Etats généraux de la justice) erschienen. An den Etats généraux de la Justice haben nach Angaben des französischen Justizministeriums etwa 50.000 Personen (Bürger/-innen, Richter/-innen, Beamte/Beamtinnen, Wissenschaftler/-innen) teilgenommen. Der Bericht enthält auch Ideen zur Strukturierung der zivilprozessualen Schriftsätze, die als Schlüsselinstrument des künftigen, digitalen Zivilprozesses bezeichnet werden („Cet outil numérique sera, à l’avenir, l‘ une des clefs d’une procédure civile modernisée.“).

Drei Aspekte stechen in diesem Zusammenhang besonders hervor:

  • Die Vertretungen der Anwältinnen und Anwälte sollen, in Kooperation mit der Justiz, landesweit gültige Leitfäden (trames des écritures) für eine digitale Schriftsatzstruktur erarbeiten. Auf lokaler Ebene sollten diese ggf. auf bestimmte Streitgegenstände zugeschnittenen Schriftsatzmuster dann an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Rigide Rechtsregeln zur Stukturierung der Parteischriftsätze (Beschränkungen des Umfangs, etc.) werden von der Arbeitsgruppe explizit abgelehnt.
  • Zu Beginn eines zivilprozessualen Verfahrens soll neben einem rein formalen Termin ein zusätzlicher Termin für einen „nützlichen Dialog“ (dialogue utile) zur einvernehmlichen Gestaltung des Verfahrensablaufs etabliert werden. In diesem „Erörterungstermin“ kann dann auch eine Schriftsatzstruktur festgezurrt werden. Zudem soll sondiert werden, ob eine einvernehmliche Streitbeilegung in Betracht kommt. Neben der ihrer Bedeutung angemessenen Behandlung der jeweiligen Streitsache (prozessuales Verhältnismäßigkeitsprinzip) soll dadurch ein künftig in den Code de procédure civile aufzunehmendes Prinzip der Kooperation von Parteien und Gericht in die Praxis umgesetzt werden.
  • Zusätzlich zur Strukturierung des Parteivortrags sollen Überlegungen angestellt werden, welche Schriftsatzstruktur für eine Strukturierung zivilgerichtliche Urteile geeignet ist. Idealerweise sollen sich, so die Vorstellung der Arbeitsgruppe, Struktur der Parteischriftsätze und Urteilsstruktur vor dem Hintergrund von Open Data von Gerichtsentscheidungen, decken.

Besonders interessant ist an all diesen Vorschlägen, dass mit Frankreich nun ausgerechnet ein Land, in dem es schon sehr rigide zivilprozessuale Vorschriften für die Gestaltung von Schriftsätzen gibt (z.B. Art. 768 CPC), für die Feinstrukturierung des Prozessstoffs auf einvernehmlich erarbeitete Strukturen setzt.

Auch wenn sich diese französischen Vorschläge möglicherweise nicht (vollständig) für eine Übernahme in das deutsche Recht eignen, geben sie doch mehrere Denkanstöße für die deutsche Strukturierung des Prozessstoffs:

  1. Sollte das elektronische Basisdokument nicht in eine von Gericht und Parteien einvernehmlich erarbeitete Strukturierung des gesamten Verfahrensablaufs eingebettet werden?
  2. Kann die relativ grobe Struktur des elektronischen Basisdokuments, das derzeit letztlich nur Texte unterhalb von Überschriften einordnet, nicht durch zwischen Anwaltschaft und Gerichten ausgehandelte Strukturierungsleitfäden nach Art einer Formularsammlung für bestimmte Streitgegenstände verfeinert werden?
  3. Wäre nicht Parteien, Gericht und perspektivisch der Öffentlichkeit gleichermaßen gedient, wenn sich eine solche, auf Einvernehmen von Parteien und Gericht beruhende Struktur auch im Urteil niederschlagen würde?
  4. Bieten im Einvernehmen erarbeitete Strukturen nicht besondere Chancen auf einvernehmliche Streitbeilegung und damit entscheidende Verkürzungen der Verfahrensdauern?

Kurzgefasst: Fahren wir in Sachen Strukturierung des Prozessstoffs nicht mit einvernehmlich erarbeiteten Strukturen besser als mit zwingend (durch digitale Tools) vorgegebenen Strukturen?

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Diese Woche geht es um die Anforderungen an einen elektronischen Schriftsatz.

Einfache Signatur eines elektronischen Schriftsatzes
BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22
BAG, Beschluss vom 25. August 2022 – 2 AZN 234/22

Mit den Anforderungen aus § 130a Abs. 3 ZPO befassen sich der XII. Zivilsenat des BGH und der 2. Senat des BAG in zwei kurz nacheinander ergangenen Entscheidungen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde der Antragsgegner vom AG zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt. Seine Rechtsanwältin legte am letzten Tag der Frist mittels eines aus ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) versandten elektronischen Schriftsatzes Berufung ein. Der Schriftsatz war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der darin enthaltene Text schloss mit dem Wort „Rechtsanwältin“ – ohne Namensangabe. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners bleibt erfolglos.

Die Berufungsschrift genügt nicht den in § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG und § 130a Abs. 3 ZPO normierten Formerfordernissen. Nach der Ausnahmevorschrift in § 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO bedurfte der Schriftsatz zwar keiner qualifizierten elektronischen Signatur, weil der Versand aus beA gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO einen sicheren Übermittlungsweg darstellt. Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das Dokument in diesem Fall aber zumindest eine einfache elektronische Signatur enthalten. Dies erfordert nach Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Die bloße Angabe „Rechtsanwältin“ reicht hierfür nicht aus.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das OLG ebenfalls zutreffend versagt. Ein etwaiger Rechtsirrtum der Prozessbevollmächtigten beruhte auf Fahrlässigkeit. Der im elektronischen Prüfprotokoll enthaltene Vermerk „Sämtliche durchgeführten Prüfungen lieferten ein positives Ergebnis“ konnte schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in die Formwirksamkeit des Schriftsatzes begründen, weil das Protokoll zusätzlich auch den Vermerk „keine Signatur gefunden“ enthält.

In dem vom BAG entschiedenen Fall wandte sich die Beklagte mit einer als elektronisches Dokument eingereichten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde gegen die von den Vorinstanzen ausgesprochene Feststellung, dass eine von ihr gegenüber dem Kläger ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam ist. Die beiden elektronischen Schriftsätze wurden von einem im Briefkopf als solcher ausgewiesenen Einzelanwalt aus dem beA versandt. Ihr Text endet mit dem Wort „Rechtsanwalt“, ohne Namensangabe.

Das BAG sieht die Nichtzulassungsbeschwerde als formwirksam an.

Auch nach der Rechtsprechung des BAG ist zwar grundsätzlich die Angabe des Namens am Ende des Schriftsatzes erforderlich. In der Konstellation des Streitfalls war diese Angabe aber entbehrlich, weil ohne weiteres erkennbar ist, dass die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ den im Briefkopf ausgewiesenen Einzelanwalt bezeichnet.

Praxistipp: Eine qualifizierte Signatur ist nur dann entbehrlich, wenn der Anwalt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes angegeben ist, den Schriftsatz aus seinem beA heraus versendet. Nicht ausreichend ist es, wenn der Versand durch einen anderen Anwalt oder durch eine Hilfskraft erfolgt. Um daraus resultierende Risiken zu minimieren, sollte jeder elektronische Schriftsatz sowohl mit einer einfachen als auch mit einer qualifizierten Signatur versehen werden.

BGH: Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten

Im Rahmen eines „Diesel-Verfahrens“ ging es in der Revisionsinstanz zuletzt nur noch um die Frage, ob die unterlegene Beklagte auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers zu erstatten hat. Der BGH (Beschl. v. 23.6.2022 – VII ZR 294/21) fasst in dieser Entscheidung die Voraussetzungen dafür gut zusammen. Als Anspruchsgrundlage war hier – wie in der Hauptsache – auch § 826 BGB einschlägig.

Die allgemeinen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage bejaht der BGH: Da es sich um einen nicht einfach gelagerten Sachverhalt handelte, durfte der Kläger sich veranlasst sehen, sogleich einen Rechtsanwalt einzuschalten, ohne zunächst selbst bei der Beklagten vorstellig zu werden. Soweit die Beklagte behauptet hatte, den Klägervertretern sei aufgrund allgemeiner Berichterstattung ihre Rechtsansicht bekannt gewesen, dringt sie damit nicht durch. Eine von vornherein bestehende Zahlungsunwilligkeit, die tatsächlich die Einschaltung eines Rechtsanwaltes zum Versuch der vorprozessualen Regulierung ausscheidet, ist damit nicht in der erforderlichen Weise dargetan, zumal der Schädiger dafür die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Die entscheidende Frage war hier allerdings, ob – was für den Erstattungsanspruch Voraussetzung ist (!) – hier überhaupt von dem Kläger ein Mandat für die außergerichtliche Vertretung erteilt worden war. Ist nämlich das Mandat nur zur gerichtlichen Vertretung erteilt worden, gehört ein vorprozessuales Schreiben schon zu einer die Klage vorbereitenden Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG. Dann fällt nur die Verfahrensgebühr, jedoch keine Geschäftsgebühr an. Hier war es jedoch so, dass die Klägervertreter im vorprozessualen Anwaltsschreiben mitgeteilt hatten, sie würden dem Kläger zur Klage raten, wenn die Beklagte nicht zahlen werde. Der BGH sieht darin einen ausreichenden Vortrag für eine außergerichtliche Tätigkeit. Dabei weist der BGH erneut darauf hin, dass auch ein unter der aufschiebenden Bedingung der Erfolglosigkeit der vorprozessualen Regulierung erteilter Prozessauftrag ausreichend ist, um eine Geschäftsgebühr entstehen zu lassen.

Fazit: Mit dieser Sicht der Dinge hält der BGH die Pflicht zur Darlegung der Umstände innerhalb einer realistischen Grenze und vermeidet die unnötige Aufblähung des Prozessstoffes wegen einer Nebenforderung. In die Vorlagen für vorprozessuale Schreiben sollte in etwa folgende Formulierung aufgenommen werden: „Wenn Sie die Forderung nicht innerhalb von zwei Wochen gezahlt haben, werde ich der Mandantschaft dazu raten, gegen Sie eine entsprechende Klage einzureichen.“ Damit dürfte dann das Entstehen einer Geschäftsgebühr hinreichend dargelegt sein.

 

 

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Diese Woche geht es eine Frage zum Patentnichtigkeitsverfahren.

Patentnichtigkeitsklage nach Erlöschen des angegriffenen Schutzrechts
Urteil vom 21. Juli 2022 – X ZR 110/21

Mit einer besonderen Konstellation des Patentnichtigkeitsverfahrens befasst sich der X. Zivilsenat.

Der Beklagte war Inhaber eines deutschen Patents, das ein Verfahren zur embryonenerhaltenden Gewinnung pluripotenter embryonaler Stammzellen betraf. Der Kläger – ein eingetragener Verein – hat die Nichtigerklärung des Schutzrechts beantragt, weil dessen Gegenstand die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betreffe und deshalb gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG von der Patentierung ausgeschlossen sei. Der Beklagte hat erklärt, der Klage nicht zu widersprechen und auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Streitpatent gegenüber dem Kläger zu verzichten. Noch während des erstinstanzlichen Verfahrens ist das Patent wegen Nichtzahlung der fälligen Jahresgebühr erloschen. Das Bundespatentgericht hat die Klage daraufhin wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen.

Die Berufung des Klägers bleibt erfolglos.

Die nach § 81 PatG statthafte Nichtigkeitsklage gegen ein Patent ist zwar grundsätzlich als Popularklage ausgestaltet, die kein konkretes Rechtsschutzbedürfnis erfordert. Nach dem Erlöschen des angegriffenen Patents bleibt die Klage aber nur dann zulässig, wenn der Kläger ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis hat. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor. Der Kläger muss nicht befürchten, dass er wegen Verletzung des Patents während dessen Laufzeit in Anspruch genommen wird. Subjektive Rechte, die durch die Erteilung des Patents verletzt sein könnten, sind nicht ersichtlich. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts reicht nicht aus, um ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen. Auch aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich nicht das Gebot, den Rechtsweg allein im Interesse der Allgemeinheit zu eröffnen.

Praxistipp: Das Verbot der Patentierung der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken ist unionsrechtlich vorgegeben. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt es auch für technische Lehren, die zwar ihrerseits keinen Verstoß gegen dieses Verbot darstellen, einen solchen Verstoß aber voraussetzen. Für eine Lehre, die auf die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen beschränkt ist, die ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können, gilt das Verbot nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht.

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Diese Woche geht es um die Ermittlung ausländischen Rechts.

Keine Darlegungs- und Beweislast bezüglich ausländischer Rechtsnormen
Beschluss vom 24. August 2022 – XII ZB 268/19

Mit den Anforderungen aus § 293 ZPO befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines in den USA ergangenen Urteils über nachehelichen Unterhalt. Die Ehe der Beteiligten ist im Jahr 2014 durch ein Bezirksgericht des US-Bundesstaats Oregon geschieden worden. Der Antragstellerin wurde darin nachehelicher Unterhalt in Höhe von 4.000 US-Dollar pro Monat für die ersten vier Jahre und 3.000 US-Dollar pro Monat für die Zeit danach zugesprochen. Die Antragstellerin heiratete im Januar 2018 erneut. Das Bezirksgericht reduzierte daraufhin den Unterhaltsbetrag für die Zeit ab Mai 2018 auf 2.200 US-Dollar pro Monat. Das AG hat den Unterhaltstitel für die Zeit ab Mai 2018 antragsgemäß für vollstreckbar erklärt. Das OLG hat den Antrag hingegen zurückgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG darf der Antrag auf Vollstreckbarerklärung in der Beschwerdeinstanz nicht schon deshalb zurückgewiesen werden, weil die Antragstellerin keinen schriftlichen Nachweis über die Vollstreckbarkeit der Entscheidung vorgelegt hat. Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b des einschlägigen Haager Unterhaltsübereinkommens aus dem Jahr 2007 (HUÜ 2007) ist ein solches Schriftstück dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung zwar beizufügen. Sein Fehlen führt aber nur in der ersten Instanz zwingend zur Zurückweisung des Antrags. In diesem Stadium dürfen gemäß Art. 23 Abs. 4 Satz 2 HUÜ 2007 weder Antragsteller noch Antragsgegner Einwendungen vorbringen; das Gericht hat eine allein an formalen Kriterien ausgerichtete Prüfung vorzunehmen. Das Beschwerdeverfahren, in dem die Beteiligten weitergehende Einwendungen vorbringen können, richtet sich demgegenüber nach dem nationalen Recht. Im Verfahren vor einem deutschen Beschwerdegericht ist die in Rede stehende Bescheinigung deshalb entbehrlich, wenn die Vollstreckbarkeit auf andere Weise festgestellt werden kann.

Im Streitfall ist unstreitig, dass der für die Zeit ab Mai 2018 ergangene Unterhaltstitel rechtskräftig ist. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung wäre deshalb allenfalls dann unbegründet, wenn die Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen im Bundesstaat Oregon einer zusätzlichen Erklärung des Gerichts bedürfte. Dies ist eine Rechtsfrage, die das Gericht gemäß § 293 ZPO von Amts wegen zu klären hat. Die Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast sind insoweit nicht anwendbar. Das Berufungsgericht durfte den Antrag deshalb nicht mit der Begründung zurückweisen, die Antragstellerin habe keinen Nachweis über die Vollstreckbarkeit rechtskräftiger Urteile in Oregon vorgelegt.

Der BGH weist ergänzend darauf hin, dass der Antrag auch nicht wegen Verstoßes gegen den ordre public unbegründet sein dürfte. Nach deutschem Recht kommt nachehelicher Unterhalt nach einer Wiederverheiratung zwar nicht in Betracht. Diese Einschränkung ist aber nicht so wesentlich, dass eine auf abweichendem Auslandsrecht beruhende Entscheidung als nicht mehr hinnehmbar anzusehen wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Unterhaltsberechtigte ein gemeinsames minderjähriges Kind betreut.

Praxistipp: Die offizielle Liste der Vertragsstaaten des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 und des Zeitpunkts des jeweiligen Inkrafttretens ist abrufbar unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/status-table/?cid=131.