BGH: Verpflichtung zur Terminsvertretung

Die beklagte Rechtsanwaltskammer nahm die Zulassung des klagenden Rechtsanwalts zurück. Dagegen ging dieser vor. Da in der Sache wohl wenig zu erreichen war, hatten der Rechtsanwalt und sein Prozessbevollmächtigter offensichtlich versucht, durch das Geltendmachen von Terminsverlegungsgründen, vor allem (Vor)Erkrankungen etc., den Anwaltsgerichtshof zu Verfahrensfehlern zu zwingen, um diese anschließend in der Berufungsinstanz vor dem BGH geltend machen zu können.

In der Berufungsinstanz vor dem BGH wurden dann diese angeblichen Verfahrensfehler auch gerügt. Der BGH ging dem Kläger jedoch nicht „auf den Leim“, sondern ließ die Berufung nicht zu. In diesem Zusammenhang hat der BGH (Beschl. v. 12.9.2022 – AnwZ (Brfg) 10/22) einige wichtige Grundsätze aufgestellt, die für die Behandlung derartiger Sachverhalte wichtig sind.

Im Einzelnen: Selbst eine schwere Vorerkrankung gebietet – auch im Rahmen der Corona-Virus-Pandemie – nicht ohne weiteres die Verlegung eines Termins, sondern stellt lediglich einen Umstand dar, der bei der Abwägung, ob ein erheblicher Grund (§ 227 ZPO) vorliegt, zu berücksichtigen ist. Gegen eine Verlegung sprechen zum Beispiel Maßnahmen, die das Gericht ergriffen hat, um die Verfahrensbeteiligten zu schützen. Genauso wie bei einer längeren Erkrankung muss ein Prozessbevollmächtigter, der davon ausgeht, Termine wegen eines Erkrankungsrisikos nicht wahrnehmen zu können, im Übrigen notfalls einen Unterbevollmächtigten,z.B. einen Kanzleikollegen, bestellen, vor allem dann, wenn die Sache nicht sehr komplex ist und eine Vertretung ohne weiteres möglich ist. Die Ablehnung der Durchführung einer Videoverhandlung ist nicht anfechtbar und kann demgemäß auch nicht in der nächsten Instanz gerügt werden. Zwar hätte der entsprechende Antrag von dem Gericht und nicht von der Vorsitzenden alleine beschieden werden müssen (§ 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies ist jedoch im Endeffekt unschädlich, da lediglich eine willkürliche Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften relevant ist und die Vorsitzende die einschlägige Regelung schlichtweg versehentlich übersehen hatte.

Natürlich wurde – nach der Ablehnung der Terminsverlegung – gleichfalls noch ein Befangenheitsantrag gestellt. Auch die Bestätigung der Zurückweisung desselben durch den BGH ist durchaus lesenswert.

Wer also häufiger mit Menschen zu hat, die einen Zivilprozess durch Terminsverlegungsanträge und Befangenheitsanträge verzögern wollen, sollte diese (recht lange!) Entscheidung einmal in Ruhe lesen.

Blog powered by Zöller: Augen auf beim beA-Versand

Es kommt immer wieder vor, dass ein fristgebundener Schriftsatz versehentlich an ein anderes als das zuständige Gericht gesandt wird, z.B. an das Ausgangs- statt an das Rechtsmittelgericht. Wenn das nicht noch rechtzeitig bemerkt und korrigiert wird, ist die Frist versäumt – in der Regel unrettbar, denn eine Wiedereinsetzung scheitert oft am Vorwurf mangelhafter Ausgangskontrolle. Einen Rettungsring hat die Rechtsprechung aber geschaffen: Wenn der Schriftsatz so frühzeitig bei dem unzuständigen Gericht einging, dass mit seiner Weiterleitung an das zuständige im üblichen Geschäftsgang gerechnet werden konnte, verneinte sie die Kausalität des Verschuldens und gewährte die Wiedereinsetzung (s. Zöller/Greger, § 233 ZPO Rn. 21).

Da Anwälte ihre Schriftsätze jetzt auf elektronischem Weg, in der Regel übers beA, übermitteln müssen, stellt sich die Frage nach Rettungsring oder Ertrinkungstod in neuem Gewand. Unverändert bleibt es zwar dabei, dass der Schriftsatz nur bei dem Gericht eingeht, an dessen elektronisches Postfach er gesandt wurde. Da hilft es auch nichts, so hat der BGH gerade entschieden, dass die Postfächer vom selben Dienstleister betrieben werden, denn es ist durch separate Posteingangsschnittstellen sichergestellt, dass die Elektronik jedes Gerichts nur auf die an dieses adressierten Nachrichten zugreifen kann (BGH, Beschl. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22; Kurzbeitrag ZIP 2022, R4).

Aber wie sieht es jetzt mit der Weiterleitung ans zuständige Gericht aus? Einen „üblichen Geschäftsgang“ gibt es derzeit nicht. Bei einem voll auf E-Akte umgestellten Gericht mag man an eine rasche Weiterleitung auf elektronischem Weg denken können, jedenfalls bei Dokumenten mit qualifizierter Signatur. Wo die elektronischen Schriftsätze erst noch ausgedruckt werden müssen, geht dagegen nicht nur Zeit verloren, sondern es ist auch fraglich, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder als Fax oder dann doch wieder als PDF ans zuständige, möglicherweise voll elektronische Gericht weiterzuleiten ist. Bacher hält die Papierform für möglich, bezweifelt aber selbst, ob die Rechtsprechung dem folgen wird (Bacher, MDR 2022, 1441, 1443); das OLG Bamberg hat schon anders entschieden (MDR 2022, 1048).  Der BGH brauchte sich dazu im vorgenannten Beschluss nicht zu äußern, denn der Schriftsatz war erst einen Tag vor Fristablauf eingereicht worden – und das erschien ihm selbst im elektronischen Zeitalter zu kurz.

Nun bietet der elektronische Rechtsverkehr allerdings noch eine Chance, versehentliche Falschadressierungen unschädlich zu machen. Nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhält der Einsender nämlich eine automatische Eingangsbestätigung. Aus dieser ist auch zu ersehen, welches Gericht den Eingang bestätigt. Daraus hat der BGH im besagten Beschluss abgeleitet, dass der versendende Rechtsanwalt überprüfen (lassen) muss, ob der Schriftsatz bei dem Gericht eingegangen ist, bei dem er eingehen sollte (sonst kann er ihn nochmals richtig versenden).

Möglicherweise hat sich die aus den Urzeiten der Papierkommunikation stammende Weiterleitungsrechtsprechung damit ohnehin erledigt. Beim Versand übers beA hilft dann nur noch eins: Augen auf!

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen nach einer gemäß § 264 ZPO privilegierten Antragsänderung im Berufungsverfahren.

Präklusion von Vorbringen nach privilegierter Antragsänderung
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21

Der I. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 264, § 533 und § 531 Abs. 2 ZPO.

Die ursprüngliche Klägerin nahm das beklagte Logistikunternehmen wegen Beschädigung von zwei nach Russland versandten Maschinen auf Schadensersatz in Höhe von rund 149.000 Euro in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich.

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Rechtsstreit auf und beantragte, die Beklagte zur Zahlung an den Haftpflichtversicherer zu verurteilen. Er machte geltend, der Versicherer habe den Schaden nach Klageerhebung schon in erster Instanz reguliert, weshalb der Klageanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf diesen übergegangen sei. Zudem habe die Klägerin die Forderung im Rahmen der Regulierung an den Versicherer abgetreten. Die Beklagte bestritt den Vortrag zu Regulierung und Abtretung.

Das OLG wies die Klage ab.

Die dagegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters bleibt ohne Erfolg.

Der BGH legt ausführlich dar, dass der Insolvenzverwalter zur Klage befugt ist. Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Klägervortrag blieb die ursprüngliche Klägerin gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Geltendmachung des Anspruchs befugt, weil dieser erst nach Rechtshängigkeit auf den Haftpflichtversicherer übergegangen ist. Der Insolvenzverwalter darf den Prozess um diese Forderung jedenfalls deshalb aufnehmen, weil die Versicherungsnehmerin gemäß § 86 Abs. 2 VVG bei der Durchsetzung einer auf den Versicherer übergegangenen Forderung soweit erforderlich mitwirken muss und die Verletzung dieser Pflicht zu einer Belastung der Masse mit Schadensersatzforderungen führen kann.

Der Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig, weil es sich um eine Anpassung an spätere Veränderungen im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO handelt.

Das OLG hat die Klage aber zu Recht als unbegründet angesehen, weil der der behauptete und bestrittene Anspruchsübergang auf den Haftpflichtversicherer kraft Gesetzes oder Abtretung nicht bewiesen ist und die diesbezüglichen Beweisanträge des Klägers gemäß § 531 Abs. 2 ZPO der Präklusion unterliegen. Diese Vorschrift gilt auch für Angriffsmittel, die der Begründung eines nach § 264 ZPO in zulässiger Weise geänderten Antrags dienen.

Praxistipp: Bestreitet der Beklagte den vom Kläger behaupteten Anspruchsübergang auf einen Dritten, sollte der Kläger zumindest hilfsweise auf Zahlung an sich selbst klagen.

OLG Frankfurt a. M.: Verzögerungsgebühr wegen Nichttragens einer Maske

Das OLG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 27.9.2022 – 7 WF 116/22) hatte über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 32 FamGKG bei Zuwiderhandlung und Terminsvertagung zu entscheiden.

Im Rahmen einer Sitzung des Familiengerichts ordnete der Richter am Amtsgericht an, dass die Beteiligten eine Maske zu tragen haben. Eine Rechtsanwältin war dazu nicht bereit. Der Richter bestimmte daher einen neuen Termin. Das Gericht legte der Partei gemäß § 32 S. 1 FamGKG eine Verzögerungsgebühr auf. Dagegen richtet sich die unbefristete Beschwerde der Partei nach § 60 FamGKG, die allerdings erfolglos bleibt.

Gemäß § 176 Abs. 1 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Eine Maskenanordnung fällt darunter, da eine Infektion der Beteiligten mit dem Corona-Virus verhindert werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auch gegenüber den Prozessvertretern möglich. Die erfolgte Anordnung ist von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt. Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG liegt darin nicht. Die Befugnis des § 176 Abs. 1 GVG ist von dem Hausrecht unabhängig. Der Umstand, dass andere Richter abweichende oder gar keine Anordnung treffen, macht die vorliegende Anordnung der Richterin weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass eine Maske dazu geeignet ist, die weitere Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Selbst wenn der Rechtsanwältin die Verzögerung vorzuwerfen ist, so ist die Gebühr gleichwohl gegen die Partei festzusetzen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 FamGKG ergibt. Die Rechtsanwältin wird diese Gebühr jedoch der Partei erstatten müssen, da sie diese Rechtsprechung kennen musste und gehalten ist, die Festsetzung derartiger Gebühren gegen die Partei von vornherein zu verhindern, um unnötige finanzielle Belastung der Mandantschaft zu vermeiden. Als Anspruchsgrundlage dürfte § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mandatsvertrag  heranzuziehen sein.

Blog powered by Zöller: Fußangeln beim beA

Sieht man von gelegentlichen technischen Pannen ab, hat sich die Übermittlung von Anwaltsschriftsätzen an die Gerichte über das besondere elektronische Anwaltspostfach gut eingespielt. Der Nutzer muss aber auch umsichtig mitspielen, so z.B. beim Signieren des Schriftstücks.

Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO genügt bei der Nutzung des beA die einfache Signatur, d.h. die Namensangabe der verantwortenden Person. Diese ist aber auch erforderlich. Es genügt nicht, den Schriftsatz – wie zu früheren Zeiten – mit der Angabe „Rechtsanwalt“ und einer unleserlichen (eingescannten) Unterschrift zu versehen. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf Rückschlüsse auf den Unterzeichner ziehen lassen (z.B. weil dort nur ein Rechtsanwalt oder nur eine Rechtsanwältin aufgeführt ist), liegt keine wirksame Einreichung des Schriftsatzes vor (so BGH v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22, MDR 2022, 1362). Das BAG hat zwar kurz zuvor entschieden, dass bei einem Rechtsanwalt, der im Briefkopf als Einzelanwalt ausgewiesen wird, regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ für die einfache Signierung ausreicht (BAG v. 25.8.2022 – 2 AZN 234/22, NJW 2022, 3028). Ob sich diese Auffassung durchsetzt, ist aber ungewiss. Man sollte nicht darauf vertrauen und vorsichtshalber den Namen angeben oder eine Unterschrift einscannen. Aber auch dabei ist Vorsicht geboten: Die Unterschrift muss leserlich sein, d.h. auch ohne Sonderwissen den Namen des Urhebers erkennen lassen (BSG v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21 B, NJW 2022, 1334).

Vorsicht ist ferner am Platze, wenn man sich des für eine Berufsausübungsgesellschaft eingerichteten beA bedient (was seit August dieses Jahres möglich ist; s. Zöller § 130a ZPO Rn. 11a). Die BRAK hat mitgeteilt, dass es aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz derzeit nicht möglich ist, die Identität der Person zu übermitteln, die im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am Gesellschafts-beA angemeldet war. Das Gericht kann daher nicht feststellen, ob die den Schriftsatz verantwortende Person mit der ihn versendenden Person identisch ist.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen BRAK und Deutscher Anwaltverein, Schriftsätze, die aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft eingereicht werden sollen, qualifiziert elektronisch zu signieren oder zumindest darauf zu achten, dass der verantwortende Rechtsanwalt sich selbst am Kanzlei-beA anmeldet und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lasse sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

 


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Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Möglichkeit einer Erledigungserklärung nach Erfüllung der Forderung im Mahnverfahren.

Erledigungserklärung nach Zahlung im Mahnverfahren
BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 93/22

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit den Möglichkeiten des Gläubigers, eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erlangen, nachdem der Schuldner die geltend gemachte Forderung nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt hat.

Die Klägerin hat für die beiden Beklagten Entwässerungsarbeiten durchgeführt. Die nach Anrechnung von Abschlagszahlungen in Rechnung gestellte restliche Vergütung von rund 2.000 Euro haben die Beklagten trotz mehrfacher Mahnungen nicht bezahlt. Gegen ihr zugestellte Mahnbescheide legten die Beklagten zunächst Widerspruch ein. Zwei Tage später zahlten sie den geltend gemachten Betrag. Eine Woche später gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnbescheid bezeichnete Prozessgericht ab. Dieses verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an ein anderes AG. Dort beantragte die Klägerin die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, und hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagten die Kosten der Rechtsverfolgung als Gesamtschuldner zu erstatten haben. Die Anträge blieben in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Erledigungserklärung der Klägerin ist zulässig, weil die Beklagten die geltend gemachte Forderung nach Rechtshängigkeit erfüllt haben. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, weil sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Zahlung der Beklagten ist nach dem danach maßgeblichen Datum erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bedarf § 696 Abs. 3 ZPO in diesem Zusammenhang keiner einschränkenden Auslegung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in § 696 Abs. 3 ZPO vorgesehene Rückwirkungsfiktion dazu führt, dass das Prozessgericht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch dann zuständig bleibt, wenn der Streitwert nach Zustellung des Mahnbescheids und vor Abgabe des Verfahrens unter die maßgebliche Schwelle absinkt. Selbst wenn § 696 Abs. 3 ZPO insoweit einschränkend auszulegen wäre, steht dies der Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen.

Praxistipp: Damit die Rückwirkungsfiktion greifen kann, muss der Gläubiger die Gebühr für die Abgabe an das Streitgericht spätestens zwei Wochen nach Anforderung bezahlen. Alternativ dazu kann er in solchen Fällen den Mahnantrag bezüglich der Hauptforderung zurücknehmen und vor dem Prozessgericht eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO beantragen.

OLG Düsseldorf: Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren

Es besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Hauptsache nicht vorweggenommen werden soll. Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz sowie zu weiteren interessanten Fragen in diesem Zusammenhang hat sich das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 20.10.2022 – 26 W 6/22) geäußert.

Die Parteien sind durch einen Energielieferungs-Vertrag verbunden. Die Antragstellerin beantragt, die von der Antragsgegnerin vorgenommene Preiserhöhung für unwirksam zu erklären. Nachdem das LG den Antrag zurückgewiesen hatte, legte die Antragstellerin direkt beim OLG sofortige Beschwerde ein.

Das OLG weist die Beschwerde direkt zurück, und zwar ohne die Sache an das LG zum Treffen einer Abhilfeentscheidung zurückzugeben. Wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine sofortige Beschwerde direkt bei dem Beschwerdegericht eingelegt wird, muss das Ausgangsgericht nämlich nicht zwingend über die Abhilfe entscheiden.

In der Sache selbst bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nur zulässig, wenn ein Unterbleiben einer Entscheidung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schäden führt und kein entsprechender Nachteil beim Gegner eintreten würde. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Vorliegend ging es jedoch nur um finanzielle Belange. Eine Einstellung der Weiterbelieferung mit Energie stand nicht zur Diskussion. Eine wirkliche Notlage hatte die Antragstellerin allerdings nicht dargelegt. Hierfür hätte sie im Einzelnen auf ihre finanziellen Verhältnisse eingehen müssen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Preiserhöhung voraussichtlich unwirksam war, weil sie den Voraussetzungen des § 41 Abs. 5 S. 2 EnWG nicht entsprach.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderweit anhängigen Rechtsstreits.

Vorgreiflichkeit bei Streit um vormerkungsgesicherten Anspruch
BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – V ZB 22/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO und der Reichweite der Rechtskraft.

Die Klägerin hat im Jahr 2018 ein Grundstück erworben. Noch vor ihrer Eintragung als Eigentümerin wurde zugunsten der beiden Beklagten aufgrund einer einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Einräumung eines Nießbrauchs am Grundstück eingetragen. Die Klägerin klagt vor dem AG auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Sie macht geltend, sie habe das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben; zudem bestehe der gesicherte Anspruch nicht.

In einem parallel geführten Rechtstreit vor dem LG klagen die hiesigen Beklagten gegen den früheren Eigentümer des Grundstücks auf Zustimmung zur Eintragung des Nießbrauchs. Das AG hat das Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits ausgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das AG zurück.

Die Voraussetzungen des § 148 Abs- 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem LG für das vorliegende Verfahren nicht vorgreiflich ist. Die vom LG zu entscheidende Frage, ob der gegen den früheren Eigentümer gerichtete Anspruch auf Einräumung eines Nießbrauchs besteht, ist im vorliegenden Rechtsstreit zwar entscheidungserheblich. Eine Entscheidung des LG über diese Frage ist aber nur für die Parteien jenes Prozesses bindend, also für die hiesigen Beklagten und den früheren Eigentümer des Grundstücks, nicht aber für die hiesige Klägerin.

Eine Aussetzung allein aus Gründen der Prozessökonomie ist nach § 148 Abs. 1 ZPO nicht zulässig.

Praxistipp: Für den Erwerber könnte es sich in solchen Situationen empfehlen, dem früheren Eigentümer dem Streit zu verkünden, um zumindest die Regressmöglichkeit für den Fall abzusichern, dass die Vormerkung gelöscht, der Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs aber bejaht wird.

Blog powered by Zöller: Video erobert die Justiz

„Hören Sie mich?“ Diese für Videokonferenzen typische Frage wird bald auch in Gerichtsverhandlungen häufiger zu vernehmen sein. Der Grund: Einem soeben veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten des Bundesjustizministeriums zufolge soll künftig wesentlich häufiger per „Bild- und Tonübertragung“ (§ 128a ZPO) verhandelt werden.

  • Bisher konnte das Gericht den Beteiligten nur gestatten, sich per Video zu einer im Gerichtssaal stattfindenden Verhandlung zuzuschalten; künftig soll der Vorsitzende anordnen können, dass die ganze Verhandlung virtuell stattfindet.
  • Bisher konnte ein Beteiligter trotz der Gestattung persönlich zur Verhandlung seiner Sache erscheinen; künftig bedarf er hierfür einer Ausnahmebewilligung.

Und wenn beide Parteien virtuell verhandeln wollen, kann der Vorsitzende dies dem Entwurf zufolge nur mit guten Gründen ablehnen. Weil der Entwurf hiergegen die sofortige Beschwerde zulässt, kann dem Gericht eine virtuelle Verhandlung auch von oben auferlegt werden. Laut Entwurfsbegründung darf die Ablehnung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht mit der Bedienung der Videokonferenztechnik nicht vertraut ist oder die Technik als störend empfindet. Es wird also unabdingbar sein, die Richterinnen und Richter in der durchaus anspruchsvollen Moderation von Videokonferenzen fortzubilden.


 

 

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Nach dem Entwurf kann der Vorsitzende künftig auch vom Büro oder von Zuhause aus die Verhandlung leiten. Die weiteren Mitglieder des Spruchkörpers bekommen einen gesonderten Zugang, sodass Gerichtsverhandlungen mehr einem Video-Chat ähneln, bei dem Richter, Rechtsanwälte, Parteien, Dolmetscher, ggf. auch Sachverständige und Zeugen nur noch als Kacheln auf dem Monitor erscheinen, eventuell mit einer bunten Vielfalt von virtuellen oder realen Hintergründen und sehr unterschiedlicher Bild- und Tonqualität. Die gesetzlich gebotene Öffentlichkeit dieser Veranstaltung soll dadurch hergestellt werden, dass sie in einen allgemein zugänglichen Raum des Gerichts übertragen wird. Den beim TV-Publikum so beliebten Gerichtsshows wird also ein ganz neues Format hinzugesellt – noch dazu mit realen Fällen. Wie dieses Reality-TV – insbesondere bei größeren Gerichten – organisatorisch bewältigt werden soll, überlässt der Entwurf den Gerichtsverwaltungen. Eine Monitorwand mit Kopfhörern dürfte kaum eine angemessene Lösung sein.

Auch zur Urteilsberatung müssen sich die Richter künftig nicht mehr in nüchternen Diensträumen zusammensetzen. Möglicherweise fällt die Rechtsfindung ja von der heimischen Couch aus leichter –  vorausgesetzt, dass Mitbewohner zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses ferngehalten werden (auch das steht sinngemäß in dem Entwurf). Ob die Diskussion mit dem Monitorbild dieselbe Qualität hat wie der Diskurs in Rede und Widerrede, darf freilich bezweifelt werden. Auch könnte das kollegiale Klima darunter leiden, dass die Kammer- oder Senatsmitglieder sich auf die Form der Beratung einigen müssen und hierbei die Abwägung zwischen Bequemlichkeit und Gründlichkeit unterschiedlich ausfallen kann.

Die öffentliche mündliche Verhandlung mag in manchem Standardfall als unnötige Formalität erscheinen – dann sollte auf sie aber, was § 128 Abs. 2 ZPO ja ermöglicht, ganz verzichtet werden. Erscheint mündliches Verhandeln geboten, sollte auf elektronische Medien nur dann zurückgegriffen werden, wenn dies nach richterlichem Ermessen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten ist. Kein Prozessbeteiligter sollte zu dieser Form der Kommunikation gezwungen, wo sie sachgerecht ist, ein dem Rechtsprechungsvorgang angemessener Rahmen gewahrt werden. Vermehrt sollte die Videotechnik aber bei der informellen Kommunikation zwischen Gericht und Parteivertretern außerhalb der mündlichen Verhandlung zum Einsatz kommen, etwa um Verfahrensmodalitäten abzusprechen oder rechtliche Hinweise zu geben. Durch solche Verfahrenskonferenzen oder Erörterungstermine (s. dazu Zöller § 273 Rn 15) können echte Verfahrenserleichterungen herbeigeführt werden. Eine zu weitgehende Virtualisierung der Rechtsprechung ginge hingegen zu Lasten ihrer Qualität und ihrer Reputation (dazu Zöller § 128a Rn 1 m.w.N.).

 


Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.


 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch eines rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Anwalt auf Ersatz angefallener Kosten wegen unzureichender Beratung.

Kostenschaden auch bei Rechtsschutzversicherung
BGH, Urteil vom 29. September 2022 – IX ZR 204/21

Der IX. Zivilsenat wendet die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Kostenschaden eines rechtschutzversicherten Mandanten an.

Der beklagte Rechtsanwalt erwirkte im Jahr 2009 im Auftrag des Klägers ein Versäumnisurteil über einen Betrag von 30.000 Euro nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber einer Bank als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür beim Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage einzuholen. Nach Erteilung der Deckungszusage erwirkte der Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Nach dessen Zustellung erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zum Schuldner bestehe nicht mehr. Eine vom Beklagten gegen die Bank erhobene Klage auf Auskunft und Zahlung blieb erfolglos.

Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten Ersatz der für die Rechtsverfolgung gegen die Bank angefallenen Kosten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG kann ein ersatzfähiger Schaden nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger rechtsschutzversichert war und das Vorgehen gegen die Bank von einer Deckungszusage abhängig gemacht hat. Der gegen den Rechtsschutzversicherer gerichtete Anspruch auf Kostenbefreiung dient nicht der Verhinderung eines Schadens, sondern dessen Übernahme durch den Versicherer.

Praxistipp: Soweit der Rechtsschutzversicherer die Kosten bereits gezahlt hat, geht der Ersatzanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf ihn über. Insoweit kann der Mandant den Anspruch gegen seinen Anwalt nur noch dann geltend machen, wenn er ihn sich vom Versicherer abtreten lässt.