Anwaltsblog 35/2024: Nichtigkeit eines Immoblienkaufvertrages bei nicht beurkundeter Vorauszahlungsabrede?

Die Nichtigkeit eines Teils eines Vertrags führt im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 139 BGB). Der BGH hatte zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen diese Vermutung widerlegt ist, wenn Parteien eines Grundstückskaufvertrages eine formunwirksame Vorauszahlungsabrede getroffen haben (BGH, Urteil vom 14. Juni 2024 – V ZR 8/23):

 

Der verstorbene Vater der Beklagten (Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. 975) vom 23. März 2017 zu einem Kaufpreis von 40.000 € einen hälftigen Grundstücksmiteigentumsanteil an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Dieser überwies am 6. April 2017 an den Erblasser 70.000 € unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie am 15. Mai 2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „Restzahlung 975/23.3.2017“. Der Kaufvertrag wurde vollzogen. Am 8. November 2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen notariellen Kaufvertrag über die – weitere – Miteigentumshälfte des Erblassers zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Anschließend übertrug die GmbH ihren von dem Erblasser erworbenen Miteigentumsanteil auf den Kläger.

Der auf Übertragung des verbliebenen (zweiten) Miteigentumsanteils gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Das OLG hat sie abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils. Der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 sei formunwirksam und damit nichtig. Soweit der Kläger behaupte, die mittels der beiden Überweisungen geleistete Gesamtzahlung von 80.000 € hätte in Höhe von 40.000 € vereinbarungsgemäß auf den Kaufpreis aus dem erst nachfolgend geschlossenen Kaufvertrag vom 8. November 2018 verrechnet werden sollen, handele es sich um eine beurkundungsbedürftige Vorauszahlungsabrede, die mangels Beurkundung nichtig sei. Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB ziehe die Nichtigkeit dieses Vertragsteils die Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages nach sich.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils kann sich aus dem Kaufvertrag vom 8. November 2018 über den zweiten Miteigentumsanteil ergeben; dass dieser Vertrag insgesamt unwirksam ist, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht. Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 125 Satz 1 BGB nichtig wäre, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung ist beurkundungsbedürftig. Die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung unterliegt dem Beurkundungszwang, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher – ohne eine dahingehende Vereinbarung – nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Danach wäre die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und – mangels Beurkundung – nichtig.

Damit steht aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Zwar ist dies nach der Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein. Das kommt auch hier in Betracht. Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag. Denn dann kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt. Entscheidend ist danach der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht bestehende Schuld; dagegen kann nicht verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages beweist. Weist der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung nach, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Daran gemessen ist es möglich, dass der Kläger die Vermutung der Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages vom 8. November 2018 durch einen entsprechenden Zahlungsnachweis widerlegen kann. Ein Beleg der Kaufpreiszahlung ergibt sich allerdings nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen. Hier fehlt es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise beziehen sich ausdrücklich auf den Kaufvertrag vom 23. März 2017 über den ersten Miteigentumsanteil. Diese Belege enthalten damit auch aus Sicht des Klägers keine Tilgungsbestimmung, die sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den zweiten Miteigentumsanteil bezieht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber die als „Immobilien-Übergabeprotokoll“ bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15. Mai 2017 aus Sicht des Klägers geeignet sein, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für den zweiten Miteigentumsanteil nachzuweisen. Darin haben die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 € als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung die Echtheit des „Immobilien-Übergabeprotokolls“ zu klären haben und auf dieser Grundlage würdigen müssen, ob der Kläger aus seiner Sicht davon ausgehen konnte, dass er die Zahlung auf die noch nicht bestehende Forderung nachweisen kann.

 

Fazit: Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist bereits dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag (BGH, Urteil vom 17. März 2000 – V ZR 362/98 –, MDR 2000, 874). Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Verteilung der Darlegungslast zwischen dem Besteller eines Werks und einem für die Erstattung von Vorauszahlungen haftenden Bürgen.

Darlegungslast nach Kündigung eines Pauschalpreisvertrags über Werkleistungen
BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 – VII ZR 127/23

Der VII. Zivilsenat bestätigt seine Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Darlegung eines Saldoüberschusses und ergänzt sie für den Fall, dass anstelle des Werkunternehmers ein Bürge am Prozess beteiligt ist.

Die Beklagte hatte mit einem inzwischen insolventen Bauunternehmen im Februar 2017 einen Generalunternehmervertrag über die schlüsselfertige Erstellung eines Lebensmittelmarkt für einen Pauschalpreis geschlossen. Der Vertrag sah unter anderem eine Vorauszahlung in Höhe von 400.000 Euro vor. Für Ansprüche auf Rückgewähr dieser Zahlung übernahm die Klägerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft auf erstes Anfordern.

Die Beklagte erbrachte die vereinbarte Vorauszahlung. Nach der Insolvenz der Werkunternehmerin erwirkte sie gegen die Klägerin ein Urteil auf Zahlung der gesamten Bürgschaftssumme. Die Klägerin klagte in einem Folgeprozess erfolgreich auf Rückzahlung eines Teilbetrags von rund 90.000 Euro. Den restlichen Betrag von rund 310.000 Euro verlangt sie im vorliegenden Rechtsstreit zurück.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass in einem Rechtsstreit über die Rückforderung einer aufgrund einer Bürgschaft auf erstes Anfordern erbrachten Zahlung dieselbe Darlegungs- und Beweislast gilt wie in einem Rechtsstreit über die Geltendmachung einer gewöhnlichen Bürgschaftsforderung. Im Streitfall trägt deshalb grundsätzlich die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ihr ein Anspruch auf Erstattung der an das Bauunternehmen geleisteten Vorauszahlung zustand.

Ebenfalls zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Besteller in solchen Fällen darlegen muss, in welcher Höhe der erbrachten Vorauszahlung ein endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers gegenübersteht. Bei einem Pauschalpreisvertrag muss der Besteller hierzu vortragen, welche Leistungen der Unternehmer erbracht hat und welche Vergütung dafür anzusetzen ist. Die hierfür maßgeblichen Preise müssen aus der dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation abgeleitet werden.

Enthält der Pauschalvertrag kein Preisverzeichnis und ist dem Besteller die zugrundeliegende Kalkulation auch nicht aus anderer Quelle bekannt, liegt es jedoch am Unternehmer, zur Kalkulation vorzutragen.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen gelten diese Grundsätze uneingeschränkt auch im Rechtsstreit zwischen dem Besteller und einem Bürgen. Wenn der Besteller die Kalkulation nicht kennt, liegt es deshalb am Bürgen, die betreffenden Informationen beim Unternehmer einzuholen. Das diesbezügliche Risiko kann er nicht auf den Besteller abwälzen.

Praxistipp: Eine vorangegangene Teilklage (hier: auf Rückzahlung von 90.000 Euro) steht einer nachfolgenden Klage auf Zahlung des Restbetrags (hier: rund 310.000 Euro) grundsätzlich nicht entgegen – es sei denn, der Restanspruch ist verjährt.

BGH: Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz

Gegen die Beklagten waren zunächst Vollstreckungsbescheide ergangen. Nach Einsprüchen erschienen die Beklagten im Termin vor dem LG nicht. Deswegen erging ein zweites Versäumnisurteil. Dagegen legten die Beklagten Berufung ein und beantragten, die Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden nach den §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO einzustellen. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Das OLG wies außerdem darauf hin, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren wolle. Alsdann wurde die Berufung durch einen entsprechenden Beschluss zurückgewiesen. Nach dem Tenor des Berufungsurteils hatten die Beklagten die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Beklagten legten beim BGH eine Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragten die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO.

719 Abs. 2 ZPO ist auch auf die vorliegende Fallkonstellation anzuwenden (§ 522 Abs. 3 ZPO). Notwendig für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO ist ein unersetzlicher Nachteil im Sinne dieser Vorschrift. Ein Nachteil, den der Schuldner vermeiden kann, ist nicht unersetzlich. Deshalb kann sich ein Schuldner auf § 719 Abs. 2 ZPO nicht mehr beziehen, wenn er zuvor keinen Antrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, ist eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur möglich, wenn dem Schuldner die Antragstellung nach § 712 nicht möglich oder nicht zumutbar war. Grundsätzlich ist der Antrag nach § 712 allerdings ein Sachantrag, der nach § 297 ZPO in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss. Eine solche fand hier gar nicht statt. Nachdem das OLG jedoch angekündigt hatte, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, war klar, dass eine mündliche Verhandlung nicht mehr stattfinden wird. In einem solchen Fall kann der Antrag auch schriftsätzlich wirksam gestellt werden. Warum die Beklagten einen solchen Antrag gleichwohl nicht gestellt haben, ist unerfindlich.

Der BGH (Beschl. v. 14.8.2024 – IX ZR 52/24) weist damit den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden sowie dem Urteil des OLG folglich zurück. Der Kläger kann somit die Zwangsvollstreckung betreiben, ohne Sicherheit leisten zu müssen.

Die Vorschrift des § 712 ZPO darf in der Berufungsinstanz nicht übersehen werden! Unabhängig davon ist jedoch davon auszugehen, dass es vorliegend nur um die Verzögerung der Zwangsvollstreckung mit allen erdenklichen Mitteln ging.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Reichweite der Gefährdungshaftung eines Tierhalters.

Spezifische Tiergefahren trotz Leitung des Tieres durch den Menschen
BGH, Urteil vom 11. Juni 2024 – VI ZR 381/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich noch eine spezifische oder typische Tiergefahr verwirklicht.

Die klagende Krankenversicherung nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Schäden in Anspruch, die eine Versicherungsnehmerin bei einem Unfall mit einem Hund erlitten hat.

Die Tochter des Beklagten ging im Jahr 2020 mit dessen Hund spazieren. Dort traf sie die Versicherungsnehmerin, die ebenfalls mit ihrem Hund unterwegs war. Auf einem hoch mit Gras bewachsenen Feld liefen beide Hunde zu einem Mäuseloch. Der Hund des Beklagten zog dabei seine Schleppleine hinter sich her. Als der Hund des Beklagten auf ein Kommando der Tochter zurücklief, zog sich die Leine nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Geschehen um das Bein der Versicherungsnehmerin fest, weil diese unbemerkt in eine Schlinge geraten war. Die Versicherungsnehmerin wurde umgerissen und erlitt einen Schienbeinbruch.

Die Klage auf Ersatz der Behandlungskosten in Höhe von knapp 12.000 Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Wie die die Vorinstanzen in Ansatz zutreffend angenommen haben, setzt die Haftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB voraus, dass sich eine spezifische oder typische Gefahr des Tieres verwirklicht hat, dessen Halter in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr besteht darin, dass der Halter seine Umwelt mit einem lebenden Organismus konfrontiert, dessen Eigenschaften und Verhalten er wegen der tierischen Eigenwilligkeit nicht in vollem Umfang kontrollieren kann. Hieran fehlt es, wenn keine eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat sich in dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt eine spezifische Tiergefahr verwirklicht.

Im Einzelfall kann die Haftung zwar ausgeschlossen sein, wenn das Tier der Leitung eines Menschen folgt. Dieser Ausnahmetatbestand greift aber nicht, wenn das durch menschliche Leitung ausgelöste Verhalten seinerseits nicht vollständig kontrollierbar ist. Im Streitfall ist der Hund des Beklagten zwar einem Kommando der Tochter gefolgt. Die dadurch ausgelöste Bewegung stand aber nicht unter der Leitung eines Menschen.

Das Berufungsgericht wird nach der Zurückverweisung Feststellungen dazu zu treffen haben, ob sich der Unfall tatsächlich so zugetragen hat, wie die Klägerin dies geltend macht.

Praxistipp: Wenn der Schaden durch ein Verhalten eines vom Geschädigten gehaltenen Tieres mitverursacht worden ist, muss sich der Geschädigte die von diesem Tier ausgehende Gefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen.

Anwaltsblog 34/2024: Einsatz vollmachtloser Vertreter bei Beurkundungen

Nach § 17a Abs. 2a Nr. 1 BeurkG soll der Notar bei Verbraucherverträgen darauf hinwirken, dass die rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Verbrauchers von diesem persönlich oder durch eine Vertrauensperson vor dem Notar abgegeben werden. Ob es damit vereinbar ist, wenn bei Verträgen unter Beteiligung von Kommunen für diese auf deren Wunsch Mitarbeiter des Notars als vollmachtlose Vertreter auftreten, hatte der Notarsenat des BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2024 – NotSt (Brfg) 3/23):

 

Eine Anwaltsnotarin in Rheine beurkundete von Oktober 2019 bis Mai 2021 fünf Grundstückskaufverträge, bei denen für die Stadt Rheine als Verkäuferin jeweils eine Mitarbeiterin der Notarin als vollmachtlose Vertreterin auftrat. Im Dezember 2020 beurkundete sie einen Kaufvertrag über Teileigentum, wobei für die Stadt Rheine als Käuferin eine Mitarbeiterin der Klägerin als vollmachtlose Vertreterin auftrat. Die Stadt Rheine hatte zuvor jeweils um diese Verfahrensweise gebeten. In allen Fällen lag vor der Beurkundung mindestens ein Vertragsentwurf vor. Der Landgerichtspräsident  leitete ein Disziplinarverfahren ein, mit dem er der Notarin vorwarf, durch den systematischen Einsatz eines vollmachtlosen Vertreters auf Seiten der Stadt Rheine gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Gestaltung des Beurkundungsverfahrens (§ 17 Abs. 1 BeurkG, § 14 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BNotO) verstoßen zu haben, und verhängte eine Geldbuße. Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage der Notarin hatte Erfolg. Nach Auffassung des OLG verstieß der jeweilige Einsatz einer Mitarbeiterin als vollmachtlose Vertreterin der Stadt Rheine nicht gegen die Amtspflichten eines Notars.

Der Antrag des Landgerichtspräsidenten auf Zulassung der Berufung wird vom BGH, der in Disziplinarsachen gegen Notare Berufungsinstanz ist, abgelehnt. Der Notar hat nicht eine Partei zu vertreten, sondern die Beteiligten unabhängig und unparteiisch zu betreuen (§ 14 Abs. 1 BNotO). Er hat jedes Verhalten zu vermeiden, das den Anschein eines Verstoßes gegen seine Amtspflichten erzeugt, insbesondere durch den Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit (§ 14 Abs. 3 BNotO). Im Beurkundungsverfahren soll der Notar den Willen der Beteiligten erforschen, den Sachverhalt klären, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts belehren und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Niederschrift wiedergeben. Dabei soll er darauf achten, dass Irrtümer und Zweifel vermieden sowie unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden (§ 17 Abs. 1 BeurkG). Das Beurkundungsverfahren ist entsprechend zu gestalten, weshalb der Notar bei Verbraucherverträgen darauf hinwirken soll, dass die rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Verbrauchers von diesem persönlich oder durch eine Vertrauensperson vor dem Notar abgegeben werden.

Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das OLG die von der Notarin in sechs Fällen vorgenommene Beurkundung unter Einsatz einer eigenen Mitarbeiterin als vollmachtloser Vertreterin der Stadt Rheine nicht als Dienstvergehen gewertet hat. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei den Verträgen die Stadt, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, beteiligt war. Gegen die ihr gegenüber der Stadt Rheine obliegende Schutzpflicht hat die Notarin nicht verstoßen. Die Stadt hat ihre vollmachtlose Vertretung durch einen Mitarbeiter der Klägerin selbst beantragt und im Vorfeld des Beurkundungstermins jeweils einen Vertragsentwurf zur Prüfung erhalten. Im Unterschied zum schutzbedürftigen Verbraucher ist sie als geschäftserfahrene Kommune in der Regel nicht belehrungsbedürftig.

Anders als der Landgerichtspräsident meint, hat die Notarin nicht dadurch den Anschein der Abhängigkeit von oder der Parteilichkeit zugunsten der Stadt Rheine erweckt, dass sie dieser planmäßig ihre eigenen Mitarbeiter als vollmachtlose Vertreter zur Verfügung gestellt und damit eine kostenlose Serviceleistung erbracht habe. Dieser Vorwurf erscheint angesichts der absoluten Zahl der fraglichen Beurkundungsvorgänge – sechs über einen Zeitraum von rund 18 Monaten – fernliegend. Im Übrigen hatte die Stadt die Bestimmung des beurkundenden Notars in allen Fällen ihren Vertragspartnern überlassen, so dass die Beauftragung der Klägerin nicht etwa von einem durch eine „kostenlose Serviceleistung“ erkauften Wohlwollen der Stadt, sondern von der Auswahlentscheidung von deren Vertragspartnern abhing.

 

Anmerkung: Bei Mitarbeitern des Urkundsnotars handelt es nicht um Vertrauenspersonen von Verbrauchern iSd. § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 Fall 2 BeurkG. Vertrauensperson kann nur sein, wer als Interessenvertreter des Verbrauchers handelt. Deshalb kommt ein zur Neutralität Verpflichteter nicht als Vertrauensperson in Betracht. Der Zweck des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 BeurkG steht daher der Annahme entgegen, Mitarbeiter des Notars könnten Vertrauenspersonen eines Urkundsbeteiligten sein.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirksamkeit einer Ausschlussklausel in einem Krankenversicherungsvertrag.

Intransparenz einer Ausschlussklausel in der Auslandsreisekrankenversicherung
BGH, Urteil vom 10. Juli 2024 – IV ZR 129/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer Klausel, die den Versicherungsschutz bei einem vorher bekannten medizinischen Zustand ausschließt, und mit der Umrechnung von Aufwendungen, die in einer ausländischen Währung getätigt worden sind.

Ein Versicherter unterhielt bei der Klägerin eine Auslandskrankenschutzversicherung. Als Inhaber einer Miles & More Kreditkarte war er bei der Beklagten gegen dasselbe Risiko versichert. Im November 2018 flog der Versicherte, bei dem ein Diabetes Mellitus Typ 2 besteht, von Frankfurt nach Miami. Anfang Dezember wurde er in Florida stationär behandelt. Die Klägerin zahlte hierfür rund 34.000 Euro. Hierin sind Zahlungen in Höhe von rund 3.400 US-Dollar an einen als Provider bezeichneten Dienstleister enthalten, der die Abrechnung mit dem Krankenhaus übernommen hat. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die hälftige Erstattung der getätigten Aufwendungen. Die Beklagte beruft sich auf eine Klausel in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die eine Leistungspflicht bei einem im Zeitpunkt des Kreditkartenantrags oder der Reisebuchung bereits bekannten medizinischen Zustand ausschließen.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, bestätigt dessen Entscheidung der Sache nach aber zum überwiegenden Teil.

Die Klägerin kann die Beklagte nach Maßgabe von § 78 Abs. 2 VVG auf Innenausgleich in Anspruch nehmen, weil beide Versicherungen dasselbe Risiko abdecken. Beide Versicherungsverträge schließen die Eintrittspflicht zwar für den Fall aus, dass ein anderer Versicherer leistungspflichtig ist. Diese widerstreitenden Subsidiaritätsklauseln sind aber so auszulegen, dass sie sich gegenseitig aufheben.

Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner den Eintritt eines Versicherungsfalls bejaht. Eine unvorhergesehene Erkrankung im Sinne des dafür maßgeblichen Tatbestands in Nr. 1.4.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen liegt auch dann vor, wenn eine bereits vorhandene Erkrankung nicht vorhergesehene Folgewirkungen zeitigt. Im Streitfall ist der Zustand, der die Behandlung erforderlich gemacht hat, zwar durch den Diabetes Mellitus verursacht worden. Diese Entgleisung ist aber keine vorhergesehene Folge.

Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Ausschlussklausel für einen bereits bestehenden medizinischen Zustand in Nr. 1.6.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen wegen Intransparenz unwirksam ist. Die Klausel definiert nicht verständlich, was als medizinischer Zustand zu verstehen ist und in welchem Umfang das Bestehen eines solchen Zustands den Versicherungsschutz ausschließt. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit die Leistung ausgeschlossen sein soll, obwohl eine nicht vorhergesehene Erkrankung im Sinne von Nr. 1.4.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorliegt.

Die Beklagte ist danach zur hälftigen Erstattung der für die Behandlung der Krankheit entstandenen Kosten verpflichtet. Hierzu gehören aber nicht die Kosten für den Provider. Dieser war nicht mit der Krankenbehandlung betraut. Die für seine Tätigkeit angefallenen Kosten sind allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähig. Hierzu fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.

Die der Klägerin zustehenden Kosten für die Behandlung können nicht abschließend beziffert werden, weil nicht festgestellt ist, welcher Euro-Betrag auf die Kosten für den Provider entfällt.

Praxistipp: Wenn für Aufwendungen, die in einer anderen Währung angefallen sind, Ersatz in Euro verlangt wird, sollte für jede einzelne Zahlung der maßgebliche Umrechnungsfaktor angegeben werden.

Anwaltsblog 33/2024: Architektenvertrag als Fernabsatzvertrag

Dass ein über ein Internetportal eines Anbieters geschlossener Vertrag über die Erbringung von Architektenleistung bei fehlender Widerrufsbelehrung und Widerruf durch den Verbraucher dazu führen kann, dass der Architekt seine Leistungen unentgeltlich erbringt, hat diesem das OLG Frankfurt bestätigt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Januar 2024 – 21 U 49/23):

 

Die Kläger, die den Umbau ihres Einfamilienhauses beabsichtigten und zuvor einen Vertrag mit einem anderen Architekten über die Erbringung der Genehmigungsplanung widerrufen hatten, schlossen mit der Beklagten über deren Internetportal am 13.06.2022 per E-Mail einen Architektenvertrag. Das Angebot der Beklagten enthielt keine Widerrufsbelehrung. Die Kläger leisteten auf drei Abschlagsrechnungen Zahlungen in Höhe von insgesamt 23.102,13 €. Eine vierte Abschlagsrechnung in Höhe von 11.284,26 € wurde nicht mehr bezahlt. Mit E-Mail vom 28.11.2022 erklärten die Kläger den Widerruf des Vertrags. Mit der Klage machen sie die Rückzahlung der Abschlagszahlungen geltend und begehren die Feststellung, dass der Beklagten keine weiteren Zahlungsansprüche zustehen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts auf die fehlende Erfolgsaussicht hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag iSd. § 312c BGB. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass den Klägern die Ausübung des Widerrufsrechts nicht unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB verwehrt ist. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Kläger wegen der Stellung des Klägers zu 2 als Rechtsanwalt sowie wegen des erklärten Widerrufs gegenüber dem früheren Architekten ein „Sonderwissen“ gehabt hätten. Der Umstand, dass ein Verbraucher grundsätzlich Kenntnis von einem Widerrufsrecht sowie bei unterlassener Belehrung von einer verlängerten Widerrufsbelehrung hat, hindert diesen nicht an der Ausübung dieser ihm letztlich wegen eines Verstoßes des handelnden Unternehmens eingeräumten Rechtsposition. Insbesondere sehen die der Umsetzung der europarechtlichen Verbraucherschutzrichtlinien dienenden entsprechenden Regelungen wie in § 312c BGB keine Einzelfallbetrachtung des etwaigen Wissens des jeweils handelnden Verbrauchers vor. Es ist daher auch nur folgerichtig, eine etwaige Korrektur über § 242 BGB nur in sehr engen Grenzen zuzulassen. Ein solcher besonderer Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Dafür, dass die Kläger – wie die Beklagte dies im Ergebnis darzustellen versucht – systematisch und in betrügerischer Absicht sich von vorneherein Leistungen ohne Vergütungspflicht erschleichen wollten, bestehen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte. Dass die Kläger letztlich von dem Fehler der Beklagten profitieren können, ist Folge der gesetzlichen Regelung und steht der Ausübung der Rechtsposition nicht entgegen.

 

Fazit: Dem Verbraucher steht sowohl bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen als auch bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu, wie § 312g Abs. 1 BGB bestimmt. Dem Verbraucher wird ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand gegeben. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs oder unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise – unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers – in Betracht, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (BGH, Urteil vom 16. März 2016 – VIII ZR 146/15 –, MDR 2016, 575). Bei einem auf einem Verstoß gegen die Pflicht zur Widerrufsbelehrung beruhenden Widerruf kann der Unternehmer keinen Wertersatz unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung verlangen (EuGH, Urteil vom 17. Mai 2023 – C-97/22 -, MDR 2023, 895).

BGH: Rückfestsetzung von außergerichtlichen Kosten

Die Klägerin des hiesigen Verfahrens (BGH, Beschl. v. 6.6.2024 – V ZB 67/23) leitete vorab zunächst gegen drei Antragsgegner ein selbständiges Beweisverfahren ein. Eine der Antragsgegnerinnen, die spätere Streithelferin der Beklagten des hiesigen Hauptprozesses, stellte einen Kostenantrag nach § 494a Abs. 2 S. 1 ZPO. Es erging ein Kostenbeschluss zu Gunsten der späteren Streithelferin. Die Kosten wurden antragsgemäß festgesetzt und von der Klägerin auch bezahlt.

Später erhob die Klägerin die hier relevante Klage gegen die beiden anderen Antragsgegnerinnen. Die frühere Antragsgegnerin nahm dies zum Anlass, den verbliebenen beiden Beklagten als Streithelferin beizutreten. Das LG entschied den Prozess, der mit einer Kostenentscheidung von 55 % zu 45 % (einschließlich der Kosten der Streithelferin) abschloss. Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens beantragte die Klägerin, 45 % der von ihr an die Streithelferin der Beklagten gezahlten Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 91 Abs. 4 ZPO als im Verlauf des Rechtsstreites bereits gezahlte Kosten rückfestsetzen zu lassen. Das LG hatte dies abgelehnt, das OLG dem zugestimmt. Die zugelassene Rechtsbeschwerde führt zur Wiederherstellung der Entscheidung des LG.

Die Kostengrundentscheidung in dem folgenden Urteil lässt die Kostenentscheidung im vorangegangenen selbständigen Beweisverfahren vorliegend gerade nicht entfallen. Notwendig dafür ist eine Identität der Parteien. Daran fehlt es. Der Umstand, dass die ehemalige Antragsgegnerin des selbständigen Beweisverfahrens Streithelferin der Beklagten des Prozesses war, reicht dafür nicht. Ein Streithelfer ist gerade nicht Partei. Für den umgekehrten Fall (Streithelfer des selbständigen Beweisverfahrens wird Partei des Hauptprozesses) hat der BGH dies bereits entschieden. Anderenfalls bestünde auch die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Zwar wurde das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens hier im Prozess tatsächlich verwertet. Dies allein reicht jedoch gleichfalls nicht aus.

Es bleibt somit bei der Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren. Eine teilweise Rückfestsetzung der von der Klägerin bereits erstatteten Kosten der Streithelferin im selbständigen Beweisverfahren findet nicht statt.

Anwaltsblog 32/2024: Anforderungen an das Verfahren bei Zurückweisung der Berufung durch Beschluss

 

Die ZPO enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, zu welchem Zeitpunkt bei beabsichtigter Zurückweisung der Berufung durch Beschluss der Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erfolgen hat. Ob ein Hinweis des Berufungsgerichts bereits vor Vorliegen der Berufungsbegründung ausreicht, hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 – XII ZR 92/22):

 

Die Parteien – der Kläger ist der Bruder der Geschäftsführerin der Beklagten – streiten nach einem Erbfall um die Herausgabe eines Grundstücks. Das Landgericht hat seine klagestattgebende Entscheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2022 verkündet. Gegen das noch nicht mit Gründen versehene Urteil hat die Beklagte am 28. April 2022 „Berufung und Vollstreckungsschutzantrag“ eingelegt und beantragt, durch Vorabentscheidung das angefochtene Urteil in seinem Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit abzuändern und die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Das OLG hat mit Beschluss vom 27. Mai 2022 die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abgelehnt und mit einem im schriftlichen Verfahren erlassenen Teilurteil vom 23. Juni 2022 den Antrag auf Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit zurückgewiesen. Ebenfalls am 23. Juni 2022 hat das OLG einen Beschluss mit dem Hinweis auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung als offensichtlich aussichtslos erlassen. Die Beklagte hat die Berufung mit einem am 24. August 2022 eingegangenen Schriftsatz innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet. Im Anschluss daran hat das Berufungsgericht am 5. September 2022 seinen Zurückweisungsbeschluss erlassen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht mit seiner Verfahrensgestaltung vor dem Erlass des Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Das OLG hat seinen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu einem Zeitpunkt erlassen, als die Berufung noch nicht begründet war. Das in der Berufungsschrift enthaltene Vorbringen der Beklagten im Vollstreckungsschutzantrag vom 28. April 2022 hat zwar in der Sache auch kursorische Angriffe gegen einzelne Punkte enthalten, die in dem noch nicht schriftlich abgesetzten landgerichtlichen Urteil mutmaßlich nicht ausreichend berücksichtigt worden sein könnten, sich im Übrigen aber auf Ausführungen zu den der Beklagten durch die Herausgabevollstreckung drohenden Nachteilen und der Unauskömmlichkeit der festgesetzten Sicherheitsleistung beschränkt. Die Begründung der Berufung hat sich die Beklagte ausdrücklich vorbehalten. Zwar enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung dazu, zu welchem Zeitpunkt der Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erfolgen hat. Es ist aber evident, dass zumindest die Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen müssen, um dem Berufungsgericht überhaupt die Beurteilung zu ermöglichen, ob dem Rechtsmittel auch eine mündliche Verhandlung offensichtlich nicht zum Erfolg verhelfen kann. Nach diesen Grundsätzen hätte das OLG die Berufung der Beklagten nicht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen, ohne der Beklagten einen (nochmaligen) Hinweis zu erteilen, wonach sich seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und zur Nichterforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung auch nach Kenntnisnahme von den Berufungsgründen nicht verändert habe.

 

Fazit: Der nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderliche Hinweis auf die beabsichtigte Beschlusszurückweisung der Berufung kann erst nach dem Vorliegen der Berufungsbegründung einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel erteilt werden (zum Verfahren: Heßler in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 Rn. 31).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Versagung des Zuschlags in einer Zwangsversteigerung.

Unzulässige Einwirkung auf Teilungsversteigerung
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2024 – V ZB 43/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Versagungstatbestand des § 83 Nr. 6 ZVG.

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 Euro festgesetzt. Bei der Feststellung des geringsten Gebots wurden bestehenbleibende Rechte in Höhe von 370.000 Euro und ein Bargebot von 10.211,47 Euro berücksichtigt.

Im Versteigerungstermin teilte der Beteiligte zu 1 den übrigen Bietinteressenten mit, er habe einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO gestellt. Im Temin legte er Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über einzelne Räume des Hauses und erklärte, die Räume seien an Ausländer vermietet und würden für gewerbliche Zwecke genutzt. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte mit, wegen der Zerstrittenheit der Eigentümer seien Probleme bei der Ermittlung der Bankverbindung des Grundschuldgläubigers zu erwarten. Dadurch könnten zusätzliche Grundschuldzinsen bis zu 200.000 Euro anfallen, für die der Erwerber dinglich hafte.

Der Beteiligte zu 1 gab in dem Termin ein Bargebot in Höhe von 10.212 Euro ab – also 53 Cent über dem geringsten Gebot. Weitere Gebote erfolgten nicht. Das zuschlagfähige Meistgebot für vergleichbare Objekte lag im maßgeblichen Zeitraum meist bei 150 % des Schätzwerts.

Das AG hat dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt. Dessen Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der Zuschlag gemäß § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen ist, weil die gemäß Art. 14 Abs. 1 GG zu beachtenden rechtsstaatlichen Anforderungen an eine faire Verfahrensführung nicht eingehalten sind.

Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten im Versteigerungstermin andere Interessenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben.

Im Streitfall reichen die Anträge und Äußerungen des Beteiligten zu 1 jeweils für sich genommen nicht aus, um eine Manipulation in diesem Sinne zu bejahen. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht angenommen, dass das Verhalten des Beteiligten zu 1 bei einer Gesamtwürdigung die maßgebliche Grenze überschreitet. Die tatrichterliche Würdigung, dass die anderen Bietinteressenten wegen dieses Verhaltens von der Abgabe eines Gebots abgesehen haben, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Praxistipp: Nach § 57a ZVG kann der Erwerber ein bestehendes Miet- oder Pachtverhältnis zum ersten zulässigen Termin mit der gesetzlichen Frist kündigen. Bei einer Teilungsversteigerung besteht dieses Recht gemäß § 183 ZVG nicht.