Versäumung der Berufungsfrist wegen plötzlicher Erkrankung des Anwalts

Über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist infolge plötzlicher Erkrankung des Anwalts hat der BGH entschieden (Beschl. v. 18.1.2018 – V ZB 114/17, MDR 2018, 548):

Eine Berufungsfrist wurde versäumt und hierzu folgendes vorgetragen: Am Abend des letzten Tages der Frist habe Rechtsanwalt P. geplant, zunächst eine Klageschrift in einer anderen Sache zu verfassen und erst alsdann die Berufungsschrift. Gegen 21.30 Uhr sei er dann aber von einer starken, völlig unvermittelten Übelkeit mit heftigem Erbrechen sowie Durchfall erfasst worden. Einen klaren Gedanken habe er nicht mehr fassen können. Er sei dann mit dem PKW 2,5 km nach Hause gefahren und habe schließlich nach mehreren Erkrankungsschüben in der Nacht am nächsten Morgen einen Arzt gerufen.

Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Es hielt die Angaben des P. zwar grundsätzlich für glaubhaft. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wieso P. zunächst die Klageschrift und nicht zuerst die Berufung bearbeitet habe und wieso er nach Hause gefahren sei. Wäre er in der Lage gewesen, nach Hause zu fahren, hätte er auch ohne weiteres die eigentlich nur aus einem Satz bestehende Berufungsschrift fertigen können. Die Fahrt nach Hause sei deutlich schwieriger und komplexer gewesen als das Verfassen und Faxen der Berufungsschrift.

Zunächst ist dazu anzumerken, dass jede Frist nach ständiger Rechtsprechung bis zum Ende ausgenutzt werden darf. Von daher ist es völlig unerheblich, dass P. zunächst die Klageschrift bearbeitet hatte und sich erst danach der Berufungsschrift widmen wollte.

Im Übrigen gilt: Ein maßgeblicher Verstoß gegen Denkgesetze kann dann vorliegen, wenn ein Gericht von einem Erfahrungssatz des täglichen Lebens ausgeht, den es so nicht gibt. Hier war das LG offenbar von einem Erfahrungssatz ausgegangen, der in etwa lautet: Wer mit dem Auto 2,5 km nach Hause fahren kann, kann auch eine Berufungsschrift fertigen und faxen. Dies ist aber so nicht haltbar. Vielmehr ist es ohne weiteres denkbar, dass P. die Heimfahrt nur deswegen unfallfrei geschafft hat, weil ihm die Wegstrecke gut bekannt war. Weiterhin ist es vorliegend mehr als wahrscheinlich, dass P. nur noch das Ziel hatte, irgendwie nach Hause zu kommen, wofür auch spricht, dass er nicht einmal die Beleuchtung in der Kanzlei ausgeschaltet und auch nicht die Computer heruntergefahren hatte.

Fazit: Man muss also bei einer gerichtlichen Beweiswürdigung immer prüfen, ob ihr nicht ein Erfahrungssatz zu Grunde liegt, der bei näherer Betrachtung gar nicht haltbar ist. Wenn die Entscheidung darauf gestützt worden ist, kann sie der Aufhebung unterliegen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Abgrenzung zwischen Miteigentums- und Mietrecht geht es in dieser Woche.

Überlassung von gemeinschaftlichen Räumen an einen Miteigentümer
Urteil vom 25. April 2018 – VIII ZR 176/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der rechtlichen Einordnung eines Vertrags, mit dem einem Miteigentümer gegen Entgelt die alleinige Nutzung einer Wohnung auf dem gemeinschaftlichen Grundstück gestattet wird.

Die klagenden Eheleute bewohnten auf der Grundlage eines im Jahr 2009 geschlossenen Mietvertrags eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das der Klägerin und einigen ihrer Verwandten gemeinschaftlich gehörte. Zum Abschluss des Vertrags verwendeten die Beteiligten ein Formular für einen Wohnungs-Einheitsmietvertrag. Auf Vermieterseite unterschrieben alle Miteigentümer, auf Mieterseite die beiden Kläger. Nach dem Tod eines Miteigentümers erwarb die Beklagte vom Insolvenzverwalter einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Sie vertrat die Auffassung, der Mietvertrag sei ihr gegenüber nicht bindend. Die Kläger begehrten daraufhin die Feststellung, dass das Mietverhältnis bis auf weiteres fortbesteht und insbesondere nicht durch den Erwerb des Miteigentumsanteils durch die Beklagte beendet worden ist. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH spricht die begehrte Feststellung aus. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht einem wirksamen Abschluss des Vertrags nicht entgegen, dass die Klägerin diesen sowohl als Mieterin als auch als Vermieterin abgeschlossen hat. Etwas anderes gälte nur dann, wenn auf beiden Seiten vollständige Personenidentität bestände. Der danach wirksam geschlossene Vertrag ist rechtlich nicht als bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 745 BGB zu bewerten, sondern – jedenfalls auch – als Wohnungsmietverhältnis. Eine solche Einordnung liegt regelmäßig nahe, wenn einem einzelnen Miteigentümer eine Wohnung gegen Entgelt zur alleinigen Nutzung überlassen wird. Für diese Auslegung spricht im Streitfall zudem, dass der Umfang der eingeräumten Nutzung weit über den Miteigentumsanteil der Klägerin hinausgeht und dass die ursprünglichen Vertragsparteien ein Formular für einen Mietvertrag verwendet haben. Die Einordnung als Mietvertrag führt dazu, dass die Kläger unter dem Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts stehen und dass ein neuer Miteigentümer, der Anteile an dem Grundstück erwirbt, gemäß § 566 Abs. 1 BGB an den Mietvertrag gebunden ist. Eine bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses im Sinne von § 745 BGB ist für einen neuen Miteigentümer gemäß § 1010 BGB hingegen nur bindend, wenn sie im Grundbuch eingetragen ist. Diese Einschränkung gilt im Falle eines Mietvertrags weder für § 566 Abs. 1 BGB noch für andere Vorschriften des Mietrechts.

Praxistipp: An eine Vertragsdauer von mehr als einem Jahr ist der Erwerber nur dann gebunden, wenn der Mietvertrag den Formerfordernissen des § 550 BGB genügt. Ein nicht wirksam befristeter Wohnraummietvertrag kann allerdings nur nach Maßgabe von § 573 BGB gekündigt werden.

BGH lässt Dashcam-Aufnahmen im Zivilprozess zu

Der BGH hat mit Urteil vom 15.5.2018 – VI ZR 133/17 entschieden, dass Dashcam-Aufnahmen grundsätzlich als Beweismittel im Zivilprozess verwertet werden können. Zwar sei eine permanente anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig. Die Rechtwidrigkeit der Beweiserhebung führe aber im Zivilprozess nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot, erforderlich sei vielmehr eine Abwägung der beteiligten Interessen im Einzelfall. Dies führe zu einem Überwiegen der Interessen des Beweisführers in Verbindung mit den Interessen der Allgemeinheit an einer funktionierenden Zivilrechtspflege.

Die Entscheidung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Sie wird zwar dazu führen, dass sich immer mehr Verkehrsteilnehmer eine solche Dashcam zulegen. Es ist wohl auch für einen Laien nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass eine permanente Aufzeichnung auf der einen Seite unzulässig ist und ggfls. zu einem Bußgeld führen kann, auf der anderen Seite entsprechende Aufnahmen aber in zulässiger Weise als Beweismittel dienen können. Dies ist dem Grundsatz geschuldet, dass im Zivilprozess ein Beweisverwertungsverbot nur bei einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht. Dies ist aber bei der Aufzeichnung eines Verkehrsunfallgeschehens gerade nicht der Fall, weil sich jeder Verkehrsteilnehmer freiwillig der Beobachtung und Wahrnehmung durch andere begibt. Auf der anderen Seite gerät ein Unfallbeteiligter nicht selten in eine erhebliche Beweisnot, wenn der Unfallgegner eine vom wirklichen Sachverhalt abweichende Darstellung behauptet oder sogar Unfallflucht begeht. Eine solche Videoaufzeichnung ist für ihn oft die einzige Möglichkeit, eine der wahren Sachlage entsprechende Entscheidung des Gerichts herbei zu führen. Dazu kommt, dass die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiellen – richtigen – Entscheidung wichtige Belange des Gemeinwohls sind. Bei einem Verwertungsverbot würde man den Erlass von unrichtigen, nämlich auf unzutreffender Tatsachengrundlage beruhenden Entscheidungen billigend in Kauf nehmen, was dem Ansehen der Justiz sicherlich nicht förderlich sein dürfte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Eine seit Inkrafttreten des HGB im Jahr 1900 in der Literatur umstrittene Frage ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung.

Handelsgeschäft und unerlaubte Handlung
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 121/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die von einer Mahnung unabhängige Verzinsung nach § 353 HGB auch für Forderungen aus unerlaubter Handlung gilt.

Die Klägerin zu 1 hatte bei der in Italien ansässigen Beklagten zwei Maschinen zum Mischen von Kunststoff gekauft. Knapp acht Jahre nach dem Erwerb kam es zu einem Störfall, bei dem Salzsäure austrat. Dadurch wurden unter anderem technische Einrichtungen des der Klägerin zu 2 gehörenden Fabrikgebäudes beschädigt. Die Klägerin zu 2 verlangte Ersatz der Kosten für die Schadensbeseitigung, Verzugszinsen für den Zeitraum ab der ersten Mahnung und Zinsen gemäß § 353 HGB (in Höhe von rund 112.000 Euro) für den Zeitraum zwischen Schadensentstehung und Mahnung. Die Zinsforderung blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagte auch insoweit antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des Zinsanspruchs an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanz hält er § 353 HGB, der bei beiderseitigen Handelsgeschäften eine Verzinsungspflicht ab Fälligkeit vorsieht, für nicht anwendbar, wenn die Hauptforderung auf einer unerlaubten Handlung beruht. Die Gegenauffassung, die die Vorschrift anwenden will, wenn die unerlaubte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft steht, ermöglicht nach seiner Auffassung keine konsequente Abgrenzung. Zudem hält er eine enge Auslegung der Vorschrift auch deshalb für geboten, weil die ihr zugrunde liegende Erwägung, ein Kaufmann werde ihm zustehendes Geld stets nutzbringend anlegen, unter modernen Verhältnissen ohnehin zweifelhaft sei. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu prüfen haben, ob die geltend gemachten Zinsen als eigenständiger Schadensposten zu ersetzen sind, etwa als Finanzierungskosten.

Praxistipp: Eine von einer Mahnung unabhängige Verzinsungspflicht sieht § 849 BGB für den Fall vor, dass wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache Wertersatz zu leisten ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Wahrung des rechtlichen Gehörs bei Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens geht es in dieser Woche.

Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts
Urteil vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den prozessualen Voraussetzungen für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer entscheidungserheblichen Frage.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach dem Einsetzen von Zahnimplantaten und einer Kieferbrücke auf Schadensersatz in Anspruch. Sie machte unter anderem geltend, die eingesetzte Brücke sei von ihrer Konstruktion her nicht geeignet gewesen, einen festsitzenden Zahnersatz herzustellen. Zum Beweis dafür bot sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens ein. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, soweit es um Ersatzansprüche wegen der Zahnbrücke geht. Das OLG hat insoweit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass und aus welchem Grund es selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Zu einem diesbezüglichen Hinweis ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn es aufgrund eigener Sachkunde zu der Einschätzung gelangt, dass die Einholung eines Gutachtens nicht geeignet ist, die entscheidungsrelevante Frage zu klären.

Praxistipp: Wenn das Gericht den gebotenen Hinweis erteilt, und die Partei die Darlegungen zur eigenen Sachkunde für nicht ausreichend hält, muss sie entsprechende Rügen noch in der Berufungsinstanz erheben, um einen Rügeverlust in der Revisionsinstanz zu vermeiden.

BVerfG zur Selbsteinhaltung einer vom Gericht gesetzten Frist

Ein etwas merkwürdiges Geschehen war Gegenstands einer Kammerentscheidung des BVerfG (Beschl. v. 7.2.2018 – 2 BvR 549/17) geworden. Das LG war aufgrund vorgelegter Lichtbilder zu der Überzeugung gelangt, dass die Klage begründet sei. Das OLG beabsichtigte, die von der Beklagten eingelegte Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und setzte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.11. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 7.11. ausführlich Stellung genommen hatte, traf das OLG sogleich die angekündigte Entscheidung. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Hauptsächlich wurde gerügt, das OLG hätte die Frist zum 15.11. abwarten müssen.

Die 2. Kammer des zweiten Senates betont zunächst, dass das OLG hier das rechtliche Gehör der Beklagten tatsächlich verletzt hatte! Das Gericht ist dazu verpflichtet, eine selbst gesetzte Frist dann auch einzuhalten, bevor entschieden wird. Allerdings reicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs alleine nicht dafür aus, um eine Entscheidung aufzuheben. Hinzukommen muss die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hier hatte die Beklagte aber nicht dargelegt, was sie in der Frist, die ihr noch zur Verfügung gestanden hätte, noch vorgetragen hätte und welche Folgen dies für die Entscheidung hätte haben können. So bleibt die Verfassungsbeschwerde letztlich erfolglos!

Man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, das Gericht sei hier in eine bewusst aufgestellte Anwaltsfalle getappt! Dagegen spricht allerdings, dass der Gesichtspunkt der Ursächlichkeit, der eigentlich Allgemeingut ist, später übersehen wurde.

Was unbedingt zum Basiswissen jedes Richters zählen muss: Selbst gesetzte (und natürlich auch gesetzliche!) Fristen müssen vor einer Entscheidung tatsächlich abgelaufen sein, selbst wenn schon Stellung genommen wurde. Besonderer Arbeitseifer in Verbindung mit Erledigungsdruck usw. darf nicht dazu führen, dass zu früh entschieden wird! Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, nach Fristablauf noch weitere zwei bis drei Tage zu warten, damit auch auf anderen Faxgeräten eingehende Faxe und auf anderen Postwegen eingehende Schriftstücke, die nicht unverzüglich vorgelegt werden können, noch berücksichtigt werden. Bei einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör kommt es bekanntlich auf ein Verschulden des Gerichts nicht an. Der rechtzeitige Schriftsatzeingang auf irgendeinem zulässigen Weg bei Gericht ist regelmäßig ausreichend.

Montagsblog: Neues vom BGH

Welche Schwierigkeiten bei der Anrechnung von Teilzahlungen auf offene Mietforderungen entstehen können, zeigt eindrucksvoll eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats

Klage auf rückständige Bruttomiete
Urteil vom 21. März 2018 – VIII ZR 68/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Bestimmtheit eines auf Zahlung rückständiger Bruttomiete gerichteten Klageantrags.

Die Klägerin hatte an den Beklagten eine Wohnung vermietet. Die monatliche Kaltmiete betrug rund 600 Euro, die Vorauszahlung auf die Nebenkosten rund 150 Euro. Die Klage war auf rückständige Miete in Höhe von rund 13.500 Euro für einen Zeitraum von rund 18 Monaten gerichtet. Zur Aufschlüsselung der Klageforderung bezog sie sich auf eine (im Tatbestand des Urteils wiedergegebene) Tabelle, in der für jeden Monat die Miete sowie angefallene Kosten für Rücklastschriften, Mahnungen und Rechtsanwälte, die (nur sehr sporadisch) erbrachten Zahlungen und der insgesamt offene Rückstand aufgelistet waren. Das AG wies die Klage als unzulässig ab. Die Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er zeigt in 55 Randnummern und mit 14 (auf drei Gliederungsebenen verteilten) Leitsätzen auf, dass der Klageantrag entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hinreichend bestimmt ist. Zentrale Bedeutung misst er hierbei der Anrechnungsvorschrift des § 366 Abs. 2 BGB bei. Wenn sich aus dem Klagevortrag nichts Abweichendes ergibt, ist davon auszugehen, dass der Kläger die Forderungen einklagt, die sich ergeben, wenn auf die aufgelisteten Ansprüche die angegebenen Zahlungen und Gutschriften nach Maßgabe dieser Vorschrift angerechnet werden. Sie ist sowohl im Verhältnis zwischen den Forderungen für die einzelnen Monate als auch – insoweit analog – im Verhältnis zwischen dem Anspruch auf Kaltmiete und dem Anspruch auf Nebenkostenvorauszahlung für einen einzelnen Monat anzuwenden. Für die Reihenfolge der Anrechnung sind zwei Kriterien maßgeblich: In erster Linie sind die Nebenkosten zu berücksichtigen, weil diese nur in beschränktem Umfang nachgefordert werden können. Innerhalb derselben Kategorie ist zunächst die älteste Forderung zu berücksichtigen.

Praxistipp: Um unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden, dürfte es in der Regel zweckmäßig sein, dass der Kläger die Zuordnung der Zahlungen selbst vornimmt und nicht darauf hofft, dass ihm das Gericht diese Arbeit abnehmen wird. Ergänzend empfiehlt sich die Klarstellung, dass die Anrechnung nach § 366 Abs. 2 BGB erfolgen soll, sofern sich die vorgenommene Zuordnung als unzureichend erweisen sollte.

KG Berlin: E-Mail Adresse im Impressum muss „nutzbar“ sein

Kundenanfragen sind manchen Unternehmen sehr lästig. Durch komplizierte Kontaktformulare, teils mit Registrierungserfordernissen, versuchen sie, Kunden von einer Kontaktaufnahme abzuhalten, die Arbeitszeit und damit Geld kostet.

Aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG ergibt sich aber die Verpflichtung, auch eine E-Mail-Adresse im Impressum anzugeben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme ermöglicht.

Google machte es sich recht einfach und beantwortete Mails an die im Impressum genannte Adresse mit einer automatischen Antwort, die auf andere – zum Teil deutlich kompliziertere – Kontaktwege verwies.

Nach dem LG Berlin, hält auch das KG Berlin dieses Vorgehen für rechtswidrig und gibt damit dem Verbraucherzentrale Bundesverband recht.

Auch web.de hat sich in der Vergangenheit hier schon ein blaues Auge beim LG Koblenz geholt.

Die Praxisrelevanz dieser Entscheidungen liegt auf der Hand: Weiterhin können Mitteilungen ein Unternehmen durch Übersendung an die Impressum genannte E-Mail-Adresse übersendet werden. Anfragen, Auskunftsersuchen, Hinweise zu rechtswidrigen Inhalten, aber auch Fälligstellungen oder Mahnungen per E-Mail sind dadurch recht einfach möglich.

Dass Unternehmen versuchen, durch verschwurbelte Formulierungen (wie z.B. O2 „E-Mail-Kontakt nach § 5 Nr. 2 TMG:“), Anfragende von einer Nutzung der Mailadrese abzuhalten, ist in diesem Kontext ärgerlich. Ob aber die Grenze der Rechtswidrigkeit erreicht wird, dürfte dabei fraglich sein.

KG, Urt. v. 23.11.2017, 23 U 124/14

Montagsblog: Neues vom BGH

Mit den Anforderungen an die Form eines längerfristigen Grundstücksmietvertrags befasst sich der XII. Zivilsenat.

Formwirksamer Mietvertrag in zwei Urkunden mit je einer Unterschrift
Urteil vom 7. März 2018 – XII ZR 129/16

Der XII. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur zweckorientierten Auslegung des Formerfordernisses in § 550 BGB aus.

Die Parteien stritten über den Fortbestand eines Vertrags über Errichtung und Betrieb einer Photovoltaikanlage. Der Vertrag sah eine Laufzeit von dreißig Jahren und ein einmaliges Nutzungsentgelt von einem Euro vor. Er wurde in zwei Ausfertigungen niedergelegt, von denen jede Vertragspartei nur diejenige unterschrieb, die in ihrem Besitz verblieb. Sieben Monate nach Abschluss kündigte der Vermieter den Vertrag. Kurz darauf veräußerte er das Grundstück an die Beklagte. Diese verweigerte dem Mieter den weiteren Zutritt. Die unter anderem auf Feststellung des Fortbestands des Vertrags gerichtete Klage des Mieters blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er billigt zwar die von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichende Auffassung der Vorinstanz, dass es sich nicht um einen Pacht- sondern um einen Mietvertrag handelt. Anders als das OLG kommt er jedoch zu dem Ergebnis, dass die für die Vereinbarung der Laufzeit erforderliche Form des § 550 BGB eingehalten ist. Wenn ein Vertrag in zwei Ausfertigungen erstellt wird, von denen jede Partei nur eine unterschreibt, genügt dies zwar der gesetzlichen Schriftform nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB nur dann, wenn jeder Partei die vom jeweils anderen Teil unterschriebene Ausfertigung zugegangen ist. Die besondere Formvorschrift in § 550 BGB dient aber anderen Zwecken, im Wesentlichen der Dokumentation des Mietverhältnisses für den Fall einer Veräußerung des Grundstücks. Hierfür reicht es nach Auffassung des BGH aus, wenn jede Partei die von ihr unterschriebene Ausfertigung behält.

Praxistipp: Wegen des unterschiedlichen Zwecks von § 126 und § 550 BGB darf Rechtsprechung zur einen Vorschrift nie unbesehen auf die anderen übertragen werden – weder in die eine Richtung noch in die andere.

Änderungsvorschläge zum RVG


Die BRAK und der DAV haben „Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung, strukturellen Änderung
und Ergänzung und Klarstellung des RVG“ (März 2018) vorgestellt. Der Katalog ist über https://www.brak.de/fuer-journalisten/pressemitteilungen-archiv/2018/presseerklaerung-09-2018/ ansteuerbar.

Vorgeschlagen werden

– eine Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren,

– strukturelle Änderungen und Ergänzungen des RVG,

– Klarstellungen im RVG.

Einer der Vorschläge betrifft die Zusatzgebühr Nr. 1010 VV RVG, die ohne Relevanz für die anwaltliche Praxis geblieben sein soll. Für diese Gebühr wird vorgeschlagen, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei gerichtlichen Terminen mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als zwei Stunden (120 Minuten) entsteht soll.