Verbände oder Anwälte – wer klagt besser?

Obwohl der Referentenentwurf des BMJV für eine Musterfeststellungsklage noch „geheim“ ist, hat sich der Deutsche Anwaltverein in der letzten Woche in einer Stellungnahme dazu positioniert: Stellungnahme 14/17 DAV. Grundsätzlich begrüßt der DAV das Vorhaben, bemängelt aber, dass nur Verbänden, insbesondere Verbraucherorganisationen und Industrie- und Handelskammern, ein Klagerecht zustehen soll. Die Anwälte würden dadurch benachteiligt.

In der Tat soll die Klage wohl getreu der deutschen Tradition als Verbandsklage konzipiert werden. Nähere Details sind noch nicht öffentlich bekannt. Die derzeit muntere Aktivität von inländischen und ausländischen Kanzleien, Prozesse in der „Abgasaffäre“ zu bewerben, zu sammeln und vorzufinanzieren zeigt jedenfalls ein gewisses strukturelles Defizit unseres Zivilprozesses. Wir haben in Deutschland für die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen kaum Klageinstrumente. Vor allem fehlt es an Möglichkeiten zur effektiven Bündelung individueller Ansprüche auf Kompensation.

Der Vorteil der Geltendmachung durch Verbände besteht immerhin darin, dass dann kein individueller Musterkläger mit den Mühen und dem Aufwand eines Musterverfahrens belastet wird, obwohl es doch letztlich um überindividuelle Interessen geht. Dennoch sollten mit Blick auf Massenschäden auch ad hoc (durch Anwälte) gebildete Interessengemeinschaften als Musterkläger zugelassen werden. Zudem sollte dem einzelnen Geschädigten auch ohne eigene Klage eine verjährungshemmende Registrierung möglich sein und eine Bindungswirkung des Musterentscheids zu Gute kommen.

Der problematische Aspekt der geplanten Musterfeststellungsklage ist insofern ein ganz anderer und weiterer: Wie kommt der einzelne Verbraucher an sein Geld? Eine Musterfeststellungsklage verschafft dem einzelnen Geschädigten keinen Titel gegen den Beklagten. Es muss eine individuelle Leistungsklage nachfolgen. Warum nicht auch hier gesetzgeberisch Hilfe leisten, etwa durch eine anschließende vergleichsweise Bereinigung von Gesamtschadensereignissen oder eine anschließende kollektive Titulierung von Leistungsansprüchen?

Montagsblog: Neues vom BGH

Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

BGH: Wann sind Entgelte für Papierrechnungen wirksam in AGB vereinbar?

Nun hat es der BGH erneut bestätigt, dies zudem mit einem sehr erfreulichen Ergebnis für Verbraucher:

Anders als noch die Vorinstanz, geht der BGH davon aus, dass eine Papierrechnung auch dann nicht berechnet werden darf, wenn der abgeschlossene Vertrag einen Internetanschluss beinhaltet (Argument der Vorinstanz sinngemäß: Dann kann der Kunde die Rechnung einfach selbst abrufen). Der BGH ist vielmehr der Ansicht, dass die Rechnung immer dann kostenfrei in Papierform zur Verfügung zu stellen ist, wenn das jeweilige Produkt auch über andere Wege, als per Internet abgeschlossen werden kann und verweist dabei auf die frühere Entscheidung.

Die Beklagte wendet sich mit ihrem Angebot, wie in der mündlichen Verhandlung des Senats noch einmal verdeutlicht wurde, nicht ausschließlich an Kunden, die mit ihr die Verträge auf elektronischem Weg über das Internet abschließen. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die Beklagte davon ausgehen, die gegenüber allen ihren Vertragspartnern bestehende Pflicht zur Rechnungserteilung vollständig und umfassend durch Bereitstellung der Rechnung in ihrem Internetkundenportal zu erfüllen (zu Bedenken dagegen, Rechnungen lediglich zum Abruf über ein Internetportal bereit zu halten, siehe Senatsurteil vom 16. Juli 2009 – III ZR 299/08, NJW 2009, 3227 Rn. 14 mwN).

Da die Beklagte aber nicht allein diesen Kundenkreis bedient, kann sie ihrem Geschäftsbetrieb nicht die Erwartung zugrunde legen, dass ihre Vertragspartner  praktisch  ausnahmslos  über  einen  Internetzugang  verfügen und in der Lage sind, die ihnen erteilten Rechnungen elektronisch aufzurufen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass die allgemeine Verbreitung der Internetnutzung seit der Senatsentscheidung vom 16. Juli 2009 (aaO Rn. 21) weiter zugenommen haben mag, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Abwicklung des privaten Rechtsverkehrs über dieses Medium bereits zum allgemeinen Standard erstarkt ist. Angesichts dessen ist (auch) die Erteilung einer Rechnung in Papierform weiterhin eine Vertragspflicht der Beklagten, für die sie kein gesondertes Entgelt verlangen darf.

(BGH Urteil vom 9.10.2014 – Az.: III ZR 32/14)

 

 

Praxistipp:
Unternehmer sollten Internet-only-Produkte mit gesonderten Preislisten schaffen, die die Papierrechnung kostenpflichtig ausgestalten. Verbraucher sollten, sofern gewünscht, bei Waren und Dienstleistungen, die auch offline (und sei es per Post) bezogen werden können, auf eine kostenfreie Papierrechnung bestehen.

 

(BGH, Beschluss vom 19.01.2017 – Az.: III ZR 296/16)

Warnfunktion der Fristsetzung (Vom Zer-schneiden von Gesetzen, 2. Folge)

Während in meinem letzten Blog-Beitrag vom „Zer-entscheiden“ im Verfahrensrecht (Thema: Wann muss das Berufungsgericht eine erstinstanzliche Beweisaufnahme wiederholen?) die Rede war, geht es nunmehr um das materielle Recht. Bekanntlich muss der Gläubiger dem Schuldner, wenn er Schadensersatz verlangen will, erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmen (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Bereits die unbefangene Lektüre des einschlägigen Gesetzestextes legt es hier doch eigentlich nahe, dass es erforderlich ist, dem Vertragspartner aufzuzeigen, worum es einem geht und ihm alsdann eine Frist zu setzen, innerhalb derer dieser im Sinne einer Beseitigung der geschilderten Beanstandungen reagieren soll.

Also etwa wie folgt: „Sie haben das Getriebe meines Autos repariert. Nunmehr lässt sich plötzlich der dritte Gang nicht mehr einlegen! Bitte bringen Sie das innerhalb von spätestens einer Woche wieder in Ordnung.“

Aber was bleibt von einer solchen Regelung übrig, wenn sich der BGH ihr annimmt: „Für eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leistung oder durch vergleichbare Formulierungen – hier ein Verlangen nach schneller Behebung gerügter Mängel – deutlich macht, dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter (bestimmbarer) Zeitraum zur Verfügung steht. Der Angabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten (End)Termins bedarf es nicht (Fortführung von BGH, Urt. v. 12.8. 2009 -VIII ZR 254/08, MDR 2009, 1329; v. 18.3.2015 – VIII ZR 176/14, MDR 2015, 576). Ergibt sich dabei aus den Gesamtumständen, dass ein ernsthaftes Nacherfüllungsverlangen vorliegt, schadet es nicht, dass dieses in der höflichen Form einer „Bitte“ gekleidet ist.“ (BGH, Urt. v. 13.7.2016 – VIII ZR 49/15, MDR 2016, 1075)

Im konkreten Fall (es ging um eine recht mangelbehaftete Einbauküche) hatte die Klägerin in einer Mail auf fünf Seiten die zahlreichen Mängel bezeichnet und sodann erklärt: „Ich bitte – sicherlich verständlich – schon jetzt um eine schnelle Behebung der Mängel, damit ich die Küche in ihrer geplanten einwandfreien Funktionsweise auch vollständig in Betrieb nehmen kann.“ Diese Formulierung hat dem BGH ausgereicht, um die Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 S.1 BGB zu erfüllen!

Wer hätte das gedacht? Eigentlich erübrigt sich hier jeder Kommentar! Gleichwohl wurde in den führenden Fachzeitschriften diese Entscheidung offenbar für erörterungswürdig angesehen. Clemens Höpfner kritisiert in der NJW (2016, 3633 ff.) zu Recht diese Entscheidung und wendet u. a. ein: „Er (sc. der BGH) schränkt die Warnfunktion des Fristsetzungserfordernisses so umfassend ein, dass die Unterschiede zwischen Fristsetzung und Mahnung weitgehend nivelliert werden. Das widerspricht der ratio legis und schafft für beide Parteien unnötige Rechtsunsicherheit, ohne dass damit die Situation des Gläubigers effektiv verbessert wird.“ Wolf Müller, MDR 2017, 10 ff., verweist auf diese Kritik.

Fazit: Der BGH hätte es sich vorher lieber anders überlegen sollen, jetzt dürfte es zu spät sein; so auch Höpfner und Müller. Und erneut wurde – wie schon so oft – eine Chance vertan, etwas einmal nicht bis zur Konturenlosigkeit zu „zer-entscheiden“.

Montagsblog: Neues vom BGH

Gewährleistungsrechte vor Abnahme des Werks
Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 301/13

Eine sehr umstrittene Frage beantwortet der VII. Zivilsenat in drei für BGHZ bestimmten Entscheidungen (VII ZR 301/13, VII ZR 193/15 und VII ZR 235/15), von denen die erste jetzt zugänglich ist.

Der später verstorbene Schwiegersohn des Klägers hatte die Beklagte mit Fassadenarbeiten an zwei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden betraut. Nach Fertigstellung verweigerte der Besteller die Abnahme mit der Begründung, das zum Anstrich verwendete Material entspreche nicht den vertraglichen Anforderungen. Ein selbständiges Beweisverfahren bestätigte den erhobenen Vorwurf. Die daraufhin erhobene Klage auf Zahlung eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er entscheidet, dass die in § 634 BGB vorgesehenen Gewährleistungsrechte grundsätzlich erst mit Abnahme des Werks entstehen, und zwar auch dann, wenn der Besteller die Abnahme nach Fertigstellung des Werks in Hinblick auf Mängel zu Recht verweigert. Vor der Abnahme kann der Besteller nach allgemeinen Regeln die mängelfreie Herstellung des Werks und nach Maßgabe von § 280 und § 281 BGB Schadensersatz verlangen. Gewährleistungsrechte darf er nur dann geltend machen, wenn der Vertrag in ein Abrechnungsschuldverhältnis übergegangen ist. Letzteres setzt voraus, dass der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung oder Minderung des Werklohns verlangt oder wenn er zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen. Das bloße Verlangen eines Vorschusses auf die Kosten der Mängelbeseitigung reicht dafür nicht aus.

Praxistipp: Trotz der aufgezeigten Beschränkungen ist es für einen Besteller, der einen der Abnahme entgegenstehenden Werkmangel rechtzeitig erkannt hat, in der Regel vorteilhaft, die Abnahme zu verweigern.

Doppelte (qualifizierte) Schriftformklausel und Schriftformheilungsklausel in langfristigem Gewerbemietvertrag
Beschluss vom 25. Januar 2017 – XII ZR 69/16

Mit den Konsequenzen des Formerfordernisses aus § 550 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Parteien stritten über die vorzeitige Kündigung eines auf zwei Jahre fest abgeschlossenen Mietvertrags über Gewerberäume. Der ursprüngliche Mietvertrag war vom früheren Eigentümer mit einem anderen Mieter auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Als Nutzungszweck waren darin Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren vereinbart worden. Wenig später hatten sich die Vertragsparteien formlos darauf geeinigt, dass der Mieter auch einen Getränkehandel betreiben darf. Nach einiger Zeit trat der Beklagte, der ebenfalls einen Getränkehandel betrieb, anstelle des ersten Mieters in das Mietverhältnis ein. Nach der Veräußerung des Anwesens an die Klägerin vereinbarte diese mit dem neuen Mieter in einem schriftlichen Nachtrag eine feste Laufzeit bis 31.12.2016. Wenig später kündigte sie den Mietvertrag fristlos und hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg, vor dem OLG allerdings nur aufgrund der ordentlichen Kündigung.

Der BGH, der gemäß § 91a ZPO nur noch über die Kosten zu entscheiden hatte, tritt dem OLG in Ergebnis und Begründung bei. Die vereinbarte Befristung genügt nicht dem Formerfordernis des § 550 BGB, weil die von den Parteien geschlossene Nachtragsvereinbarung und der darin in Bezug genommene ursprüngliche Mietvertrag nicht den gesamten Inhalt des Mietverhältnisses wiedergeben. Die zwischen dem früheren Vermieter und dem früheren Mieter getroffene Vereinbarung über die Änderung des Nutzungszwecks hätte ebenfalls schriftlich geschlossen werden müssen. Der BGH sieht die formlose Änderungsvereinbarung als wirksam an, obwohl der ursprüngliche Mietvertrag eine „doppelte“ Schriftformklausel enthält, wonach jede Vertragsänderung der Schriftform bedarf und dies auch für eine Änderung der Schriftformklausel gilt. Der BGH lässt offen, ob eine solche Vereinbarung in AGB wirksam getroffen werden kann, und sieht eine nicht dem Formerfordernis genügende Vertragsänderung jedenfalls aufgrund des Vorrangs von Individualabreden als wirksam an. Im Ergebnis ebenfalls wirkungslos blieb eine im ursprünglichen Vertrag daneben enthaltene Klausel, wonach die Vertragsparteien jederzeit verpflichtet sind, alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB gerecht zu werden. Eine solche Heilungsklausel darf nach Sinn und Zweck des § 550 BGB jedenfalls nicht einem Vermieter entgegengehalten werden, der als Erwerber des Grundstücks in einen bestehenden Mietvertrag eingetreten ist. Dies gilt auch dann, wenn er die längere Laufzeit selbst vereinbart hat.

Praxistipp: Um Zweifel an der Wirksamkeit zu vermeiden, sollte eine Laufzeitverlängerung nicht durch Bezugnahme auf den früheren Vertrag, sondern durch vollständige Neubeurkundung des gesamten Vertragsverhältnisses erfolgen.

Gesetzentwurf zur Erhöhung der Betreuervergütung veröffentlicht

In einer am 15.2.2017 veröffentlichten Formulierungshilfe der Bundesregierung für einen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten wird vorgeschlagen, die Vergütungssätze in §§ 3, 4 VBVG anzuheben (vgl. Art. 7):

„§ 3 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 1 wird die Angabe „19,50“ durch die Angabe „22,50“ ersetzt.
b) Satz 2 wird wie folgt geändert:
aa) In Nummer 1 wird die Angabe „25“ durch die Angabe „29“ ersetzt.
bb) In Nummer 2 wird die Angabe „33,50“ durch die Angabe „38,50“ ersetzt.

§ 4 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 1 wird die Angabe „27“ durch die Angabe „31“ ersetzt.
b) Satz 2 wird wie folgt geändert:
aa) In Nummer 1 wird die Angabe „33,50“ durch die Angabe „38,50“ ersetzt.
bb) In Nummer 2 wird die Angabe „44“ durch die Angabe „50,50“ ersetzt.“

Der Rechtsanwalt als Betreuer würde also künftig nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG einen Stundensatz von EUR 50,50 brutto erhalten.

Die Formulierungshilfe ist erreichbar unter:

http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/FH_Betreuerverguetung.pdf?__blob=publicationFile&v=1

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Beweislastumkehr für Schadensursachen im Verantwortungsbereich des Schuldners
Urteil vom 12. Januar 2017 – III ZR 4/16

Eine allgemeine Frage der Beweislastverteilung behandelt der III. Zivilsenat im Zusammenhang mit einem Pferdepensionsvertrag.

Die Klägerin hatte ein vierjähriges Pferd bei dem Reitstall des Beklagten in Vollberitt gegeben. Nach einigen Monaten erlitt das Tier eine schwere Verletzung, als es beim Freilauf unter Aufsicht einer Praktikantin mit dem Kopf gegen eine Stahlstütze stieß. Die auf Schadensersatz gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er allerdings der Ansicht, dass der Schwerpunkt des Vertrags nicht im Verwahrungsrecht, sondern im Dienstvertragsrecht liegt, weil die Ausbildung des Pferdes im Streitfall deutlich im Vordergrund stand. Deshalb obliegt es grundsätzlich der Klägerin, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu beweisen. Im Streitfall tritt aber eine Beweislastumkehr ein, weil der Schaden im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten entstanden ist und die ungewöhnlichen Umstände, unter denen es zu dem Schaden kam, auf einen Pflichtenverstoß hindeuten.

Praxistipp: Um die Beweislastumkehr zu erreichen, muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, weshalb die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Schuldners hervorgegangen ist und weshalb ein ungewöhnlicher Kausalverlauf vorliegt.

Handlungsort bei unerlaubter Kapitalanlagevermittlung
Urteil vom 18. Oktober 2016 – VI ZR 618/15

Mit der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den in der Schweiz wohnhaften Beklagten als Alleinaktionär und Vorstand einer in Liechtenstein ansässigen Aktiengesellschaft wegen unerlaubter Erbringung von Finanzdienstleistungen in Anspruch. Die als Finanzdienstleister fungierende Aktiengesellschaft hatte in Deutschland kein Büro und keine festen Angestellten. Als Vermittler war ein in Deutschland ansässiger Versicherungsmakler aufgetreten. Der Vertragsschluss fand in der Schweiz statt. Das LG wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an und verwies die Sache in die erste Instanz zurück.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Mit dem OLG kommt er zu dem Ergebnis, dass kein inländischer Erfolgsort vorliegt, weil der Vertragsschluss in der Schweiz erfolgte und die Anlagesumme von einem Schweizer Konto des Klägers überwiesen wurde. Abweichend vom OLG verneint der BGH auch einen inländischen Handlungsort. Die Handlungen des in Deutschland aufgetretenen Vermittlers können dem Beklagten nicht zuständigkeitsbegründend zugerechnet werden. Wenn ein Schaden von mehreren Personen verursacht wurde, dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nur diejenigen Personen im Inland verklagt werden, die dort selbst tätig geworden sind.

Praxistipp: Ein die Zuständigkeit begründender Erfolgsort liegt schon dann vor, der Anlagebetrag von einem deutschen Konto überwiesen wird.

Automatisiertes Fahren: Und wenn’s rummst, dann war’s diesmal wirklich keiner?!

Eine Vision wie aus einem Science-Fiction-Film: Fahrzeuge, die wie von Geisterhand gesteuert auf unsichtbaren Schienen durch die Luft zwischen riesigen Gebäuden gleiten, Fahrgäste und Piloten, die sich inzwischen mit weitaus angenehmeren Dingen als der Fahrzeugführung beschäftigen können… ganz soweit hat es die moderne Verkehrstechnik zwar noch nicht gebracht. Doch mit der computergesteuerten Elektronik des autonomen Fahrens dringt das Automobil in Sphären vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

So wie – einem Sprichwort nach – in jedem Risiko zugleich eine Chance liegt, liegt in jeder Chance aber auch ein Risiko. Im modernen Rechtsstaat ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, durch neue Technologien bedingte Risiken im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu minimieren und abzufedern.

Einen aktuellen Versuch dazu hat nun Bundesverkehrsminister Dobrindt unternommen: Ein Gesetzentwurf sieht die Zulassung von Fahrzeugen vor, in denen „Kollege Computer“ für eine bestimmte Zeit und in bestimmten Situationen die Kontrolle über das Fahrzeug übernimmt. Damit soll der Sprung von reinen Fahrerassistenzsystemen zum teilautomatisierten Fahren (Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe bereit sein) und dann zum hochautomatisierten Fahren (Der Fahrer muss das System nicht dauerhaft überwachen. Das System warnt den Fahrer aber rechtzeitig, wenn dieser eingreifen muss) geschafft werden. Als nächste Stufen sollen folgen:

  • das vollautomatisierte Fahren: Der Fahrer muss das System nicht überwachen. Das System ist in allen Situationen in der Lage, einen „risikominimalen“ Zustand herzustellen

und zu guter Letzt:

  • das autonome („fahrerloses“) Fahren: Das System übernimmt das Fahrzeug vollständig vom Start bis zum Ziel; alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind nur Passagiere.

Das voll-autonome Fahren soll nicht vor 2030 Realität werden. So bleibt vorerst noch der Mensch verantwortlich. Er bestimmt, wann und in welchen Situationen er dem Computer „das Steuer überlässt“. Und er muss auch jederzeit dazu in der Lage sein, in kritischen Situationen die Kontrolle wieder an sich zu reißen. Zwar darf sich der Fahrer während der Fahrt mit anderen Dingen beschäftigen – wie eine traurige Bilanz es allerdings beweist, tun dies viele Handy- und Smartphone-Nutzer ohnehin schon jetzt – im Falle eines Falles muss aber er „sofort und unverzüglich“ das Heft wieder selbst in die Hand nehmen. Daran entzündet sich auch ein Großteil der Kritik: wie abgelenkt darf der Fahrer und wie aufmerksam muss er sein? Und kann er sich auf ein Versagen der Technik berufen? Um eine Abgrenzung zur Produzentenhaftung zu ermöglichen, soll – wie im Flugzeug – eine „Blackbox“ die wesentlichen Daten der Fahrt aufzeichnen. Eine wirkliche Lösung scheint das Gesetz nicht zu bieten; damit bleibt wohl für die Rechtsprechung viel zu tun. Eindeutig sind nur die Fälle, in denen entweder der Mensch oder der Computer die alleinige Verantwortung trägt: sonst wird’s immer der eine auf den anderen schieben.

LG Essen: Routerzwang auch Bestandskunden aufgehoben

Das Gesetz mit dem sperrigen Namen Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) brachte im Januar 2016 eine Neuerung auf den – in diese Hinsicht verkrusteten – deutschen Markt der Internetzugangsanbieter: Die bis dahin weit verbreitete Praxis des Routerzwangs wurde untersagt, dem Teilnehmer die Wahl des Endgerätes gestattet mit einem Recht auf Zugang zu den erforderlichen Zugangsdaten, die bis dahin oft in den Endgeräten vor einem Zugriff Dritter „versteckt“ wurden:

§ 11 Abs. 3 FTEG lautet:

Die Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze und die Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten dürfen den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen an das öffentliche Telekommunikationsnetz nicht verweigern, wenn die Telekommunikationsendeinrichtungen die grundlegenden Anforderungen nach § 3 Absatz 1 erfüllen. Sie können dem Teilnehmer Telekommunikationsendeinrichtungen überlassen, dürfen aber deren Anschluss und Nutzung nicht zwingend vorschreiben. Notwendige Zugangsdaten und Informationen für den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen und die Nutzung der Telekommunikationsdienste haben sie dem Teilnehmer in Textform, unaufgefordert und kostenfrei bei Vertragsschluss zur Verfügung zu stellen.

Ein Teilnehmer wollte nun im vergangenen Jahr von diesem Recht Gebrauch machen und forderte die Zugangsdaten von seinem Internetprovider heraus, der dies mit Verweis auf die Bestandskundeneigenschaft verweigerte. Aus dem Wortlaut der Norm („bei Vertragsschluss“) bezöge sich diese Verpflichtung nur auf Neukunden. Hiergegen wandte sich die Verbraucherzentrale NRW mit Erfolg vor dem LG Essen. Die Regelung sei vom Wortlaut her (eher fraglich), aber auch von dem europarechtlichen Hintergrund so auszulegen, dass sie auch Bestandskunden eine freie Endgerätewahl ermöglich soll.

 

LG Essen Urteil vom 23.09.2016 Az.: 45 O 56/16

Berufen des Gerichtskostenschuldners auf § 10 Kostenverfügung?

Das BSG hatte sich in einer Entscheidung vom 3.11.2016 (B 13 SF 18/16 S) mit der Frage zu befassen, ob sich ein Gerichtskostenschuldner auf § 10 Kostenverfügung (KostVfg) berufen kann. Die Vorschrift regelt, in welchen Fällen das Gericht von einem Gerichtskostenansatz (bzw. Erteilung einer Gerichtskostenrechnung) bei Unvermögen des Kostenschuldners absehen kann oder muss. Bei der Kostenverfügung handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift. Dementsprechend hat das BSG die Rechtmäßigkeit des Kostenansatzes nicht im Hinblick auf § 10 KostVfG in Frage gestellt. Der Kostenansatz sei nach § 1 Abs. 2 Nr 3, § 19 Abs. 1 S 1 Nr 2 GKG eine gebundene Entscheidung, die als Verwaltungsakt im Verhältnis zum Bürger als Kostenschuldner ergehe. § 10 KostVfg betreffe als Verwaltungsvorschrift nur das Innenverhältnis zwischen dem Kostengläubiger und dem Kostenbeamten, lasse jedoch im Außenverhältnis die Existenz des Kostenanspruchs unberührt. Ein Recht des Kostenschuldners aus § 10 KostVfG auf Beachtung dieser Vorschrift durch den Kostenbeamten bestehe nicht.