Anwaltsblog: Wann ist ein Grundurteil zulässig?

Mit den Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils hatte sich der VIII. Zivilsenat des BGH zu befassen:
Der Kläger als ehemaliger Mieter und die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin nehmen die Vermieterin auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger erlitt am 23. Dezember 2011 während des Badens einen Atemstillstand. Er behauptet, diese Vergiftung sei durch aus der Gastherme im (fensterlosen) Bad ausströmendes Kohlenmonoxid verursacht worden, deren letzte Wartung unzureichend gewesen sei. Der Kläger ist seitdem arbeitsunfähig und bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit seiner Klage hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Verdienstausfall, einer monatlichen Entschädigungsrente sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes zu verurteilen. Zudem hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm die Schäden aus dem Gasthermenunfall vom 23. Dezember 2011 zu ersetzen. Die Klägerin hat aus übergegangenem Recht beantragt, die Beklagte zur Zahlung von erbrachten Leistungen und entgangener Beiträge zu verurteilen. Ferner hat sie u.a. beantragt festzustellen, dass die Beklagte die künftigen Erwerbsunfähigkeitsleistungen sowie die künftigen Heilbehandlungskosten wegen des Unfalls vom 23. Dezember 2011 zu erstatten habe. Das Landgericht hat ein Grundurteil erlassen, wonach die Klage dem Grunde nach berechtigt ist. Die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht zurückgewiesen.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das vom Landgericht erlassene und vom Berufungsgericht bestätigte Grundurteil ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig und lediglich der Streit über den Anspruchsgrund entscheidungsreif ist. Dies erfordert, dass grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht. Eine entsprechende Trennung in ein Grund- und Betragsverfahren setzt einen Anspruch voraus, der auf die Zahlung von Geld gerichtet ist. Deswegen scheidet ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag aus. Daher durfte über die Feststellungsanträge der Kläger nicht durch Grundurteil entschieden werden. Selbst wenn man annähme, das Berufungsgericht habe lediglich über die Zahlungsanträge der Kläger entscheiden wollen, würde dies an der Fehlerhaftigkeit der Entscheidung nichts ändern. Denn es läge dann ein unzulässiges Teilurteil vor, weil bei objektiver Klagehäufung von Leistungs- und Feststellungsbegehren, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, aufgrund der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht durch Teilurteil gesondert über einen Teil der Ansprüche entschieden werden darf.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist überdies deshalb verfahrensfehlerhaft, weil es den Mangel der Mietsache, der ursächlich für den Austritt von Kohlenmonoxid und damit für die Gesundheitsverletzung des Klägers gewesen sei, (allein) in der Verschmutzung des Wärmetauschers der Gastherme gesehen hat, ohne den Vortrag der Beklagten hinreichend zu berücksichtigen. Die Beklagte hat bestritten, dass der Wärmetauscher am Unfalltag verschmutzt gewesen sei und dies durch die Vernehmung des Bezirksschornsteinfegermeisters sowie des Notfallschornsteinfegers unter Beweis gestellt. Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, ist der Vortrag der Beklagten hinreichend substantiiert. Ein Sachvortrag ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Gemessen hieran hat die Beklagte ausreichend dargelegt, dass nach ihrer Auffassung der Wärmetauscher am Unfalltag nicht verschmutzt gewesen sei, weil derartige Verschmutzungen von den benannten, am Unfalltag in der Mietwohnung anwesenden Zeugen nicht festgestellt worden seien. Näheren Vortrag zum genauen Verschmutzungszustand und zu der Art der Untersuchung des Wärmetauschers durch die Zeugen konnte und musste die Beklagte, die im Gegensatz zu den beiden als Zeugen benannten Schornsteinfegern selbst am Unfalltag nicht vor Ort war, nicht halten. Sie musste insbesondere keine Ausführungen dazu machen, welche konkreten Untersuchungen die Zeugen an der Gastherme vorgenommen hatten. Die weitergehende Annahme des Berufungsgerichts, es erscheine „unwahrscheinlich“, dass am Unfalltag eine genaue Untersuchung des Wärmetauschers auf Verschmutzungen stattgefunden habe, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.
(BGH, Urteil vom 20. September 2023 – VIII ZR 432/21)

Fazit: Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Insoweit ist größte Zurückhaltung geboten (BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – VI ZR 371/21).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts in Bezug auf Tatsachen.

Überprüfung von Tatsachenfeststellungen in der Berufungsinstanz
BGH, Beschluss vom 8. August 2023 – VIII ZR 20/23

Der VIII. Zivilsenat bekräftigt die ständige Rechtsprechung zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Der Klägerin hatte ein aus zwei Gebäudeteilen bestehendes Wohnhaus mit einer Gesamtwohnfläche von 410 m² seit Ende 2018 an die Beklagten vermietet. Anfang 2021 verwehrten ihr die Beklagten eine Besichtigung des Objekts durch einen mit dem Verkauf des Objekts betrauten Makler. Im August 2021 kündigte die Klägerin wegen Eigenbedarfs für sich und ihre zwei erwachsenen Söhne mit deren Familien. Die Beklagten widersprachen der Kündigung.

Das AG verurteilte die Beklagten nach Vernehmung der beiden Söhne der Klägerin antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe des Anwesens. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 9 und § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an eine andere Kammer des LG zurück.

Das LG hat angenommen, die Beweiswürdigung durch das AG sei gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend, weil ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche nicht erkennbar seien.

Darin liegt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, weil das LG seine Prüfungskompetenz nicht im gebotenen Umfang wahrgenommen hat.

Die Prüfung in der Berufungsinstanz ist anders als die revisionsrechtliche Prüfung nicht auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Das Berufungsgericht ist deshalb zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet, wenn aus seiner Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird.

Im Streitfall hätte sich das LG danach zumindest mit der Frage befassen müssen, ob in der Berufungsbegründung geltend gemachte Widersprüche in den Angaben der Zeugen und der Klägerin zum zeitlichen Ablauf bezüglich der Aufgabe von ursprünglichen Verkaufsabsichten und dem Entschluss zur Eigennutzung die Wahrscheinlichkeit einer abweichenden Feststellung begründen. Diese Würdigung wird die nunmehr mit der Sache befasste Kammer nachzuholen haben.

Praxistipp: Der Berufungskläger muss in der Berufungsbegründung die Umstände, die aus seiner Sicht eine abweichende Feststellung gebieten, möglichst konkret benennen.

OLG Hamm zur Haftung für Unfall im Baustellenverkehr

Bei einem tragischen Unfall wurde der Kläger, der auf einer Baustelle als „Fernsteuerungskranbediener“ tätig war, von einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen angefahren und bedauerlicherweise dabei so schwer verletzt, dass er aus dem Berufsleben ausscheiden musste. Die Klage des Klägers vor den Sozialgerichten, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, wurde durch alle Instanzen abgewiesen, da der Kläger selbständiger Unternehmer gewesen sei und sich nicht freiwillig versichert habe. Im sich anschließenden Zivilprozess gegen die für den Lieferwagen Verantwortlichen, insbesondere die Haftpflichtversicherung, hatte der Kläger Erfolg.

In der sehr lesenswerten Entscheidung des OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2019 – I-9 U 56/18 widerlegt das Gericht ausführlich die zahlreichen Einwände der Beklagten gegen ihre Haftung. Die Feststellungsklage des Klägers wird zunächst als zulässig angesehen, obwohl der Kläger teilweise beziffern konnte. Es ist jedoch ausreichend für eine Feststellungsklage, dass noch weitere Schäden drohen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, vor allem § 7 StVG, sind einschlägig, da diese nicht an einen Betrieb im öffentlichen Verkehr anknüpften, sondern auch auf privaten Verkehrsflächen maßgeblich sind. Die Beklagten hatten weiterhin eingewandt, der gesamte Fall sei konstruiert worden, um dem Kläger, der keine Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft durchsetzen konnte, nunmehr Ansprüche gegen eine private Versicherung zu verschaffen. Tatsächlich sei der Kläger von einem Gerüst gefallen, ohne dass der Lieferwagen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Diesen Einwand wiederlegt das OLG mit einer ausführlichen Beweiswürdigung aufgrund von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Da danach feststeht, dass der Lieferwagen rückwärtsgefahren ist und dabei den Kläger angefahren hat, spricht der Anscheinsbeweis gegen die Beklagten. Ein Mitverschulden wurde nicht nachgewiesen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers als „Fernsteuerungskranführer“ höchste Konzentration und Präzision erfordert, habe der Kläger nicht auf andere Verkehrsteilnehmer achten müssen. Zwar hatte der Kläger keinen Helm getragen, es steht aber nicht fest, dass dies auf den eingetretenen Schaden überhaupt eine Auswirkung gehabt hat.

Schließlich scheidet auch eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII aus. Die Sozialgerichte haben bindend entschieden, (§ 108 SBG VII), dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegt. Darüber hinaus hat sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte. Hier habe es keine Verbindung zwischen dem Kläger und den Beklagten gegeben, sondern ein beziehungsloses Nebeneinander.

Festzuhalten ist daher: An die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach einem Unfall sind keine hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere steht eine teilweise Bezifferbarkeit der Ansprüche der Klage nicht entgegen. Die Vorschriften des StVG gelten letztlich praktisch überall dort, wo sich das Fahrzeug befindet, vor allem auch auf privaten Verkehrsflächen. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gilt nur, wenn tatsächlich eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt und nicht nur ein beziehungsloses Nebeneinander.

Montagsblog: Neues vom BGH

Anforderung von Unterlagen für eine Schriftvergleichung
Urteil vom 16. März 2017 – I ZR 205/15

Mit den Voraussetzungen für die Anforderung von Vergleichsdokumenten zur Beurteilung der Echtheit einer Urkunde mittels Schriftvergleichung befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte von den Eltern des Klägers ein Grundstück erworben. Nach Vertragsschluss begehrte der Kläger von der Beklagten eine Provision für die Vermittlung des Geschäfts. Er stützte seine Forderung auf eine schriftliche Einverständniserklärung, die nach seiner Behauptung vom Geschäftsführer der Beklagten unterschrieben war. Das LG ordnete die Einholung eines Schriftvergleichsgutachtens an und gab der Beklagten auf, mehrere im Einzelnen bezeichnete Vergleichsdokumente vorzulegen. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nur teilweise nach. Das LG verurteilte die Beklagte nach Einholung des Gutachtens im Wesentlichen antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Zwar war die vom LG erlassene Anordnung, Vergleichsdokumente vorzulegen, weder nach § 441 Abs. 3 ZPO noch nach § 142 ZPO zulässig. Gemäß § 295 ZPO darf die Beklagte der Verwertung der dennoch eingereichten Unterlagen aber nicht mehr entgegentreten, weil sie bereits in erster Instanz mündlich zur Sache verhandelt hatte, ohne den Verfahrensfehler zu rügen. Zulässig blieb die Rüge, das LG habe die teilweise Nichtbefolgung der Anordnung zu Unrecht zu ihren Lasten gewertet, weil der diesbezügliche Verfahrensfehler erst aus dem erstinstanzlichen Urteil hervorging. Diesen Fehler hatte aber bereits das OLG korrigiert, indem es den genannten Aspekt bei der Beweiswürdigung nicht zu Lasten der Beklagten berücksichtigte.

Praxistipp: Die Partei, die die Beweislast trägt, muss die Vergleichsurkunden, deren Vorlegung angeordnet werden soll, detailliert benennen, weil das Gericht nicht befugt ist, die Vorlage weiterer Urkunden von Amts wegen anzuordnen. Der Gegner muss einen diesbezüglichen Verfahrensfehler zur Wahrung seiner Rechtsposition spätestens in der auf die Anordnung folgenden mündlichen Verhandlung rügen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Berührungsloser Verkehrsunfall
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15

Mit der Reichweite der Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger kam mit seinem Motorrad von der Straße ab, als er die ebenfalls auf einem Motorrad fahrende Beklagte und ein vor dieser fahrendes Auto überholen wollte. Er stützte sein Begehren nach Schadensersatz auf die Behauptung, die Beklagte sei unvermittelt und ohne Ankündigung nach links ausgeschert, als er sie schon fast überholt gehabt habe; deshalb habe er nach links ausweichen müssen. Die Beklagte behauptete hingegen, sie habe das vor ihr fahrende Auto ordnungsgemäß überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts gewesen, als der Kläger sie in zweiter Reihe überholt habe und hierbei ohne ihr Zutun dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen sei. Die Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Das OLG wies sie ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt zwar die Auffassung des OLG, dass die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle keinen die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG begründenden Tatbestand darstellt und dass dies auch für ein Motorrad gilt, das unmittelbar vor dem Unfall ein vor ihm fahrendes Auto überholt und von einem anderen Motorrad in zweiter Reihe überholt wird. Die Auffassung des OLG, ein die Haftung begründendes plötzliches Ausscheren der Beklagten könne aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, erweist sich aber als fehlerhaft. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige war zu dem Ergebnis gelangt, die Spurenlage am Unfallort lasse ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der Gegenfahrbahn weiter nach links mit einer Notbremsung erkennen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme zu einer anderen Würdigung gelangen als das Landgericht, das ein die Haftung begründendes Ausscheren der Beklagten bejaht hatte.

Praxistipp: Wenn ein Berufungsgericht die in erster Instanz erhobenen Beweise ohne erneute Beweisaufnahme anders würdigt als die Vorinstanz, liegt darin eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, die je nach Fallgestaltung mit Revision, Nichtzulassungsbeschwerde oder Anhörungsrüge gerügt werden kann.

Bestimmtheit einer Kaufpreisklage
Beschluss vom 16. November 2016 – VIII ZR 297/15

Mit den Mindestanforderungen an Bestimmtheit und Schlüssigkeit einer Kaufpreisklage befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin begehrte die Zahlung restlichen Kaufpreises in Höhe von 3.639,54 Euro. In der Klageschrift führte sie aus, sie habe dem Beklagten verschiedene Waren geliefert und in Rechnung gestellt. Wegen Gegenstand und Zeitpunkt der Lieferung nahm sie auf zwei anhand von Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen Bezug, deren Vorlage sie für den Fall des Bestreitens ankündigte. Das AG wies die Klage als unschlüssig ab. Das LG wies die Berufung mit der Maßgabe zurück, dass die Klage mangels Bestimmtheit des Klagegrundes unzulässig sei. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der vom LG zugelassenen Revision.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung des LG reicht der Vortrag der Klägerin zur bestimmten Angabe von Gegenstand und Grund der Klage aus. Den Anforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist schon dann genügt, wenn der geltend gemachte Anspruch als solcher identifizierbar ist. Hierfür reicht die Bezugnahme auf zwei nach Datum, Nummer und Rechnungsbetrag spezifizierte Rechnungen, deren addierter Rechnungsbetrag sich mit der Höhe der Klagesumme deckt, auch dann aus, wenn die Rechnungen nicht beigefügt sind. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass die Kaufpreisforderung auch schlüssig dargelegt ist.

Praxistipp: Trotz der eher geringen Mindestanforderungen sollte der Kläger im eigenen Interesse darauf bedacht sein, die in Bezug genommenen Rechnungen bereits zusammen mit der Klageschrift als Kopie einzureichen. Unabhängig davon bedarf es jedenfalls dann konkretisierenden Sachvortrags, wenn nicht der gesamte Rechnungsbetrag zum Gegenstand des Klagebegehrens gemacht wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Vertragliches Abtretungsverbot und Unternehmensverschmelzung
Urteil vom 22. September 2016 – VI ZR 298/14

Mit der Reichweite von § 399 Fall 2 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der klagende Insolvenzverwalter machte Ansprüche auf restlichen Werklohn für Bauarbeiten geltend. Der zugrunde liegende Werkvertrag war von einer Gesellschaft geschlossen worden, deren Vermögen später im Wege der Verschmelzung auf die Insolvenzschuldnerin übergegangen war. Der Beklagte berief sich unter anderem auf Werkmängel und auf ein im Vertrag vereinbartes Abtretungsverbot. Die Klage hatte in erster und zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Er tritt der Auffassung des OLG bei, dass ein in einem Bauvertrag vereinbartes Abtretungsverbot dem Übergang der dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber gerichteten Zahlungsansprüche aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung nicht entgegensteht. Die dafür angeführten Gründe dürften auf andere Verträge und andere Formen der unternehmensrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge in gleicher Weise zutreffen.

Praxistipp: In einschlägigen Fällen ist sorgfältig zu prüfen, ob der Übergang des Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden hat oder durch Einzelübertragung der dem übertragenden Rechtsträger gehörenden Vermögensgegenstände. Die vorliegende Entscheidung betrifft nur die zuerst genannte Konstellation.

Neues Vorbringen und Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO
Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15

Mit dem Verhältnis zwischen § 529, § 531 und § 522 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über eine als Kapitalanlage erworbene Wohnung in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß. In der Berufungsinstanz machten die Beklagten unter anderem geltend, bestimmte Mieteinnahmen, die dem Kläger nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zugeflossen seien, müssten anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Das OLG wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück und ließ dabei das neue Vorbringen unberücksichtigt.

Der BGH verweist die Sache, soweit es um die zusätzlich angefallenen Mieteinnahmen geht, an das OLG zurück. Abweichend vom OLG ist er der Auffassung, dass der Umfang, in dem neues Vorbringen in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist, nicht davon abhängt, ob das Berufungsgericht durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet. Im Streitfall war das ergänzende Vorbringen schon deshalb zulässig, weil die betreffenden Tatsachen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden waren. Das Berufungsgericht musste diesen Vortrag auch bei einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO berücksichtigen.

Praxistipp: Wenn das neue Vorbringen Geschehen aus der Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrifft, muss die vortragende Partei, um eine Präklusion nach § 531 Abs. 2 ZPO zu vermeiden, stets darlegen, weshalb der Vortrag nicht schon in erster Instanz erfolgt ist.

Beweiswürdigung nach Versterben eines Zeugen
Urteil vom 16. August 2016 – X ZR 96/14

Mit einer nicht alltäglichen Situation befasst sich der X. Zivilsenat – als Berufungsgericht – in einer Patentnichtigkeitssache.

Das in erster Instanz zuständige Bundespatentgericht hatte ein Patent für nichtig erklärt und diese Entscheidung unter anderem auf die Aussage eines Zeugen gestützt, der angegeben hatte, ein Datenblatt, das die Erfindung offenbare, sei der Öffentlichkeit schon vor dem Prioritätstag zugänglich gewesen. Mit der Berufung – über die in Patentnichtigkeitssachen der BGH zu entscheiden hat – griff die Patentinhaberin diese Würdigung an. Eine erneute Vernehmung des Zeugen war nicht möglich, weil dieser in der Zwischenzeit verstorben war.

Der BGH weist die Nichtigkeitsklage ab. Nach seiner Einschätzung ergeben sich aus dem Vernehmungsprotokoll erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage. Nach den insoweit maßgeblichen Regelungen der ZPO darf ein Berufungsgericht eine solche Schlussfolgerung zwar grundsätzlich nicht ziehen, ohne den Zeugen erneut zu vernehmen. Dies gilt aber nicht, wenn der Zeuge nach der erstinstanzlichen Vernehmung verstorben ist.

Praxistipp: Die Partei, zu deren Gunsten der Zeuge ausgesagt hat, sollte nach dessen Versterben alle in Betracht kommenden Anstrengungen unternehmen, um andere Beweismittel an die Hand zu bekommen.