Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zuständigkeit des so genannten Großen Familiengerichts. Der Bundesgerichtshof hat hierzu am 18. September 2024 gleich zwei Entscheidungen getroffen.

Gläubigeranfechtung als sonstige Familiensache
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZB 25/24

In der ersten Entscheidung geht es (erneut) um die Zuständigkeit nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte zu 1, seine geschiedene Ehefrau, titulierte Forderungen auf Zahlung von Unterhalt und Erstattung von Prozesskosten zu. Die Beklagte zu 1 hat nach der Scheidung Vermögenswerte auf den Beklagten zu 2 , ihren Vater, übertragen. Dieser ist zudem als Inhaber eines von ihr betriebenen Gewerbes angemeldet.

Der Kläger macht geltend, diese Vorgänge dienten der Vereitelung der Zwangsvollstreckung. Mit seiner Ende 2019 erhobenen Stufenklage begehrt er Auskunft über das Ergebnis der Geschäftstätigkeit und über weitere Zahlungen an den Beklagten zu 2 sowie Zahlung von noch zu bezifferndem Wertersatz.

Das vom Kläger angerufene LG hat den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist das Familiengericht zuständig für Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe. Grund hierfür ist die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Der dafür erforderliche Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe liegt vor, wenn der Rechtsstreit durch die familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist.

Im Streitfall liegt der erforderliche Zusammenhang vor, weil es um die Durchsetzung titulierter Forderungen geht, die aus der geschiedenen Ehe resultieren. Dem Umstand, dass die nach Auffassung des Klägers zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung dienenden Handlungen erst nach Scheidung stattgefunden haben, kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.

Der BGH lässt allerdings offen, ob nach der seit 2020 geltenden, im Streitfall noch nicht anwendbaren Rechtslage die Landgerichte zuständig sind. Hintergrund sind ein mit Wirkung vom 1.1.2020 in § 348 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingefügter Verweis auf § 72a GVG, der unter anderem die Einrichtung von Spezialkammern für Anfechtungssachen bei den Landgerichten vorsieht und eine in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorgesehene Ausnahme für Verfahren nach § 348 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis k ZPO. Anfechtungssachen fallen nicht unter die Auflistung in den Buchstaben a bis k, wohl aber unter § 72a GVG.

Berufungszuständigkeit für sonstige Familiensachen
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZR 116/23

In der zweiten Entscheidung befasst sich der XII. Zivilsenat mit der Frage, welcher OLG-Senat für die Berufung zuständig und welche Verfahrensordnung maßgeblich ist, wenn in erster Instanz ein Landgericht über eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 FamFG entschieden hat.

Die Parteien waren verheiratet und sind seit Mai 2017 geschieden. Im Rahmen der Scheidung trafen sie eine Vereinbarung über die Aufteilung ihres gemeinsamen Immobilienbesitzes. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, die Beklagte im Innenverhältnis von bestimmten Kreditverbindlichkeiten freizustellen. Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung räumte er der Beklagten ein Rücktrittsrecht eing. Nach Tilgung der Kredite verlangte der Kläger die Löschung der zur Sicherung des Rücktrittsrechts eingetragenen Auflassungsvormerkung. Die Beklagte machte ein Zurückbehaltungsrecht wegen anderweitiger Ansprüche aus dem Vertrag geltend.

Der Kläger hat die Beklagte vor dem Familiengericht auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat das Verfahren an das LG verwiesen. Dieses hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, aber einer in zweiter Instanz erhobenen Widerklage stattgegeben.

Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Das Rechtsmittel war allerdings zulässig, obwohl es sich um eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt.

Der nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erforderliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben, weil der Vertrag, aus dem die Parteien ihre Ansprüche herleiten, im Zusammenhang mit der Scheidung geschlossen wurde und ehemals gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten betrifft.

Das Familiengericht hätte die Sache also nicht an das LG verweisen dürfen. Die erfolgte Verweisung war aber gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das LG bindend. Ob diese Bindungswirkung sich nur auf die Zuständigkeit bezieht oder auch auf das einzuhaltende Verfahren, war umstritten. Der BGH bejaht eine umfassende Bindungswirkung. Aufgrund der Verweisung war das LG also nicht nur gehalten, die Sache zu entscheiden, sondern auch, das Verfahren nach den für Zivilsachen geltenden Vorschriften zu führen. Dasselbe gilt für die nachfolgenden Instanzen. Da der Wert der Beschwer mehr als 20.000 Euro beträgt, war deshalb gemäß § 544 ZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde statthaft.

Der BGH stellt jedoch klar, dass diese Rechtsfolgen nur im Falle einer bindenden Verweisung nach § 17a GVG eintreten. Ist die Klage beim Landgericht erhoben worden und hat dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht, muss das Berufungsgericht nach den Regeln des FamFG verfahren. Anders als nach der bis Ende 2001 geltenden Rechtslage ist in solchen Fällen zwar ein Zivilsenat des OLG zuständig, weil ein Rechtsmittel nicht darauf gestützt werden darf, dass die erste Instanz sich zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Nach Auffassung des BGH hat dies aber – anders als ein Verweisungsbeschluss – keine Auswirkungen auf die anzuwendende Verfahrensordnung. Der zuständige Zivilsenat des OLG muss in solchen Fällen mithin über die Berufung gemäß den Regeln des FamFG durch Beschluss entscheiden. Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur statthaft, wenn das OLG sie zulässt. Letzteres gilt auch dann, wenn das OLG fehlerhaft die Regeln der ZPO angewendet und durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entschieden hat.

In der Sache bleibt die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg. Der BGH hält sie für unbegründet und sieht insoweit von einer näheren Begründung ab.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollten bei Klagen gegen geschiedene Ehegatten oder deren Eltern beide Parteien frühzeitig darauf hinwirken, dass das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 3 GVG vorab über seine Zuständigkeit entscheidet. Verweist das Gericht die Sache an ein anderes Gericht, steht das einzuhaltende Verfahren für alle Instanzen bindend fest. Erklärt es sich für zuständig, besteht immerhin für die erste Instanz Klarheit.

BVerwG: Entwurf einer Nichtzulassungsbeschwerde

Einen fast schon tragischen Fall musste das BVerwG (Beschl. v. 21.12.2023 – 2 B 2.23) entscheiden. Die Klägerin war Zeitsoldatin und wurde entlassen. Die Klage gegen die Entlassungsverfügung wurde zweitinstanzlich vom OVG abgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete und eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde war auf allen Seiten im Hintergrund des Fließtextes („Wasserzeichen“) in großer Schrift deutlich erkennbar als „Entwurf“ gekennzeichnet. Damit stellte sich sofort die Frage, ob diese Beschwerde zulässig war.

Zunächst einmal war die Schriftform eingehalten. Die Nichtzulassungsbeschwerde war elektronisch übermittelt und sogar qualifiziert elektronisch signiert worden. Grundsätzlich ist anerkannt, dass ein derartiges Schriftstück erkennbar für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Allerdings ist für die Entscheidung zu berücksichtigen, dass auf jeder Seite das Wort „Entwurf“ im Hintergrund zu sehen und zu lesen war. Das Wort „Entwurf“ dient aber regelmäßig dazu, ein Dokument als vorläufig und noch nicht für den Rechtsverkehr freigegeben zu bezeichnen. Dies steht im Gegensatz zur Schriftform und führt damit dazu, dass die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist, da eben keine Beschwerde, sondern lediglich ein Entwurf derselben eingereicht wurde.

Eine Rettung dieser Sache wäre daher nur noch über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich gewesen. Insoweit gilt jedoch, dass ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet ist, die anzufertigenden Schriftsätze rechtzeitig und formgemäß einzureichen. Diesen Anforderungen ist der Rechtsanwalt offensichtlich nicht gerecht geworden. Der Fall konnte damit nicht mehr gerettet werden. Es bleibt bei dem klageabweisenden Urteil des OVG.

Es kann nicht oft genug betont werden: Vor dem Absenden muss jeder fristgebundene Schriftsatz nochmals wenigstens kurz auf die Formalien hin geprüft werden. Sonst können böse Überraschungen drohen.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt im Zusammenhang mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Verlängerung der Begründungsfrist nach verspäteter Einlegung eines Rechtsmittels
BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2024 – IV ZR 29/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer haftungsträchtigen Situation.

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer privaten Krankenversicherung. Sein Begehren ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben. Das Urteil des OLG wurde ihm am 30. November 2022 zugestellt. Am 27. Januar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Am 9. Februar 2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte erstmals, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und des diesbezüglichen Wiedereinsetzungsantrags bis zum 9. April 2023 zu verlängern.

Der Prozessbevollmächtigte hat die Begründung des Rechtsmittels innerhalb der verlängerten Frist eingereicht. Er beantragt auch bezüglich der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, der Kläger habe sich bis 18. Januar 2023 krankheitsbedingt nicht um seine Rechtsangelegenheiten kümmern können. In der Zeit zwischen diesem Tag und dem regulären Ablauf der Begründungsfrist sei es nicht möglich gewesen, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen, zumal die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Der BGH lehnt die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht fristgerecht begründet worden. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist mit dem 30. Januar 2023 abgelaufen. Die gewährten Fristverlängerungen sind unwirksam, weil der erste Verlängerungsantrag gestellt wurde, als die Frist bereits abgelaufen war.

Die Versäumung der Frist beruht auf dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Dieser hätte bei Einlegung des Rechtsmittels am 27. Januar 2023 die Verlängerung der damals noch laufenden Begründungsfrist beantragen können und müssen. Der Antrag hätte schon deshalb Aussicht auf Erfolg gehabt, weil die Gerichtsakten noch nicht vorlagen.

Praxistipp: Ist die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bei Wegfall des Hindernisses bereits abgelaufen, muss die Begründung gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats eingereicht werden. Diese Frist ist nicht verlängerbar (zu einem Ausnahmefall vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2007 – V ZB 48/06, MDR 2007, 1332).

Konnte die Begründungsfrist deshalb nicht eingehalten werden, weil ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe erst nach Fristablauf bewilligt worden ist, beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO bei Berufung, Revision und Nichtzulassungsbeschwerde mit der Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist, bei einer Rechtsbeschwerde hingegen schon mit Bewilligung der Prozesskostenhilfe (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 – IX ZB 197/07, MDR 2008, 1058).

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Diese Woche geht es erneut um eine prozessuale Frage, die anlässlich eines so genannten Diesel-Falls zu entscheiden war

Beschwer bei Abweisung einer Klage auf Zahlung Zug um Zug gegen Erfüllung einer ebenfalls auf Zahlung gerichteten Gegenforderung
Beschluss vom 12. Oktober 2021 – VIII ZR 255/20

Mit der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Wertgrenze für die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde befasst sich der VIII. Zivilsenat in einem so genannten Diesel-Fall.

Der Kläger kaufte bei der Beklagten im Jahr 2016 einen neuen VW Caddy zum Preis von rund 18.500 Euro. Im Jahr 2018 trat der Kläger wegen der zum Motor gehörenden Steuerungssoftware vom Vertrag zurück. Er klagt auf Rückzahlung einer angeblichen Kaufpreisforderung von rund 20.500 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß und setzte die Höhe der Zug um Zug zu zahlenden Nutzungsentschädigung auf rund 3.000 Euro fest. Die auf Herabsetzung dieses Betrags gerichtete Berufung des Klägers blieb erfolglos. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.

Der BGH verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig, weil die gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Wertgrenze von 20.000 Euro nicht überschritten ist.

Bei der Abweisung einer Klage auf Leistung Zug um Zug ist für die Beschwer des Klägers grundsätzlich nur der Wert des mit der Klage begehrten Gegenstands maßgeblich. Deshalb ist im Streitfall der Wert der Klageforderung nicht um den Restwert des Fahrzeugs zu verringern. Wertmindernd anzusetzen ist jedoch der Wert der Zug um Zug angebotenen Nutzungsentschädigung. Ein solchermaßen formulierter Klageantrag ist für die Berechnung des Beschwerdewerts nicht anders zu behandeln als eine Aufrechnung.

Im Streitfall hat der Kläger die Höhe der Nutzungsentschädigung, die er zu zahlen bereit ist, zwar nicht beziffert. Bei der Wertberechnung ist aber derjenige Betrag anzusetzen, den der Kläger auf der Grundlage seines Vorbringens auf jeden Fall zu zahlen hat. Dies sind im Streitfall etwas mehr als 10 % des Kaufpreises, weil das Fahrzeug eine Laufleistung von rund 51.000 km hat und der Kläger in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat, die Nutzungsentschädigung sei auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km zu berechnen. Der Wert des Beschwerdegegenstand beträgt deshalb nur rund 18.600 Euro.

Praxistipp: Bei unbezifferten Anträgen müssen die Parteien die für die Wertbemessung maßgeblichen Umstände spätestens in der Berufungsinstanz vortragen. Die erstmalige Geltendmachung solcher Umstände in der dritten Instanz vermag die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu begründen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um ein Thema, das in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Subsidiaritätsgrundsatz bei Geltendmachung von Gehörsverstößen
Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19

Ein Einzelfall aus dem Bereich des so genannten Dieselskandals findet ein abruptes Ende.

Der Kläger hatte geltend gemacht, sein Auto verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das OLG sah von der Einholung eines Sachverständigengutachtens ab, weil der Kläger nicht schlüssig dargetan habe, wie er zu dieser Einschätzung gelangt sei, und weil es an jeglichen Anhaltspunkten für eine Abgasmanipulation fehle. Die im Internet abrufbare Liste der von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffenen Fahrzeuge führe keine Fahrzeuge des betreffenden Herstellers auf.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Der BGH bescheinigt dem OLG allerdings einen klaren Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Einer Partei ist es grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Unbeachtlich ist eine Behauptung nur dann, wenn sie ohne jeglichen greifbaren Anhaltspunkt willkürlich ins Blaue hinein aufgestellt wird. Im Streitfall hat der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Behauptung vorgetragen, indem er auf ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart hingewiesen hat, das ergeben habe, dass die Motoren des in seinem Fahrzeug verbauten Typs eine unzulässige Thermosoftware enthielten. Ein Einschreiten des Kraftfahrtbundesamts ist bei dieser Ausgangslage nicht zwingend erforderlich.

Der BGH weist die Nichtzulassungsbeschwerde dennoch zurück, weil der Kläger es versäumt hat, den Gehörsverstoß bereits im Berufungsverfahren geltend zu machen. Er stützt diese Bewertung auf den Subsidiaritätsgrundsatz, demzufolge ein Beteiligter alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um die Korrektur einer geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern, und auf den damit in Einklang stehenden Rechtsgedanken des § 295 ZPO. Im Streitfall war für den Kläger aus dem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis ersichtlich, dass das OLG seinen Vortrag für unbeachtlich hält. Deshalb hätte der Kläger das OLG innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beachtlichkeit eines Beweisangebots in solchen Fällen hinweisen müssen.

Praxistipp: Eine Partei, die sich nach einem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde offenhalten will, sollte ihre Angriffe gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts stets innerhalb der gewährten Frist zur Stellungnahme vorbringen.

Zivilprozess: Spezialisierung, Verstetigung der Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde

PräsOLG Clemens Lückemann und PräsObLG Dr. Hans-Joachim Heßler nehmen im Interview mit juris zur neuen gesetzlichen Regelung Stellung 

Der Bundestag hat am 14.11.2019 das Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften beschlossen. Der Gesetzgeber möchte die unbefriedigende Situation der bisher nur befristet geltenden Wertgrenze beseitigen und mit den übrigen Regelungen dem Wandel der Lebensverhältnisse und der wachsenden Komplexität der Rechtsbeziehungen begegnen.

Thomas Reiter von juris hat mit Clemens Lückemann[1], Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg, über die ab dem 1.1.2021 geltenden Regelungen zu den Spezialspruchkörpern gesprochen. Dr. Hans-Joachim Heßler [2], Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts, hat er um eine Stellungnahme zur Verstetigung der Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde gebeten, die bereits am 1.1.2020 in Kraft trat. Clemens Lückemann und Dr. Hans-Joachim Heßler sind Mit-Autoren des soeben in der 33. Auflage erschienenen Zöller ZPO Kommentars, der bereits über juris abrufbar ist.

 

Spezialspruchkammern: Begrüßenswert, im Erbrecht problematisch

juris: Sehr geehrter Herr Lückemann, der Katalog obligatorischer Spezialspruchkammern in den Land- und Oberlandesgerichten in § 72a GVG bzw. § 119a GVG wird deutlich erweitert. Die Landesregierungen werden zudem ermächtigt, Spezialspruchkörper für weitere Sachgebiete einzurichten. Begrüßen Sie die Regelungen? Sehen Sie Probleme?

Lückemann: Die obligatorische Einrichtung von spezialisierten Kammern und Senaten an Land- und Oberlandesgerichten für ausgewählte Rechtsgebiete, in denen regelmäßig besonders komplexe Rechtsfragen oder Sachverhalte zu behandeln sind, ist ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung der deutschen (Zivil-)Justiz und schreibt eine bewährte Praxis vieler Gerichtspräsidien fort. Die Regelung greift u.a. einen Beschluss des 70. Deutschen Juristentages 2014 auf. Die Einrichtung von Spezialspruchkörpern ist auch eine Reaktion auf die zunehmende Spezialisierung in der Anwaltschaft und soll als Maßnahme der Qualitätssicherung und -steigerung der Rechtsprechung zur Attraktivität des Justizstandorts Deutschland, auch im Wettbewerb mit außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen gerade bei hohen und damit auch für den Staatshaushalt attraktiven Streitwerten, beitragen. Grundsätzlich begrüße ich die Regelung also sehr. Für die Abgrenzung des neuen Spezialgebiets der sogenannten Pressesachen sehe ich keine gravierenden Probleme; hier kann man auf die bewährte Regelung des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a ZPO zurückgreifen; danach ist z.B. bemerkenswert, dass auch Honoraransprüche unter die Spezialzuständigkeit fallen werden. Eher für unproblematisch halte ich auch die neue Spezialzuständigkeit für insolvenzrechtliche Streitigkeiten; hier kann man zur Abgrenzung auf die insoweit eingehende und präzise Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 19/13828 S. 22 f.) zurückgreifen. Für sehr problematisch halte ich jedoch die Spezialzuständigkeit für „erbrechtliche Streitigkeiten“, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einmal halte ich die Regelung für überflüssig; denn ich gehe davon aus, dass alle Zivilrichterinnen und Zivilrichter auf dem zivilrechtlichen Kerngebiet des Erbrechts fit sind; wir brauchen ja auch keine Spezialspruchkörper für Kaufrecht. Vor allem aber sehe ich ganz erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten und damit Zuständigkeitsstreitigkeiten voraus, die die jeweiligen Ausgangsverfahren verzögern: Der Begriff der erbrechtlichen Streitigkeit ist bisher in der Rechtsordnung nicht geläufig. Der Hinweis der Gesetzesbegründung, erfasst seien die Streitigkeiten nach dem 5. Buch des BGB, hilft nicht wirklich weiter. Es empfiehlt sich zur Definition der erbrechtlichen Streitigkeit der Rückgriff auf § 27 Abs. 1 ZPO (Schultzky, Gutachterliche Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am 4.11.2019, S 7, hier abrufbar (PDF)). Ansonsten könnte z.B. unklar sein, ob die Zuständigkeit auch bei Ansprüchen gilt, die den Erben als Nachlassverbindlichkeit treffen, oder was bei Verfügungen unter Lebenden auf den Todesfall gelten soll (Schultzky aaO). In beiden Fällen dürfte die Spezialzuständigkeit zu verneinen sein, weil für die Entscheidung keine besonderen erbrechtlichen Kenntnisse und Erfahrungen erforderlich sind.

juris: Der neugefasste § 13a GVG ermächtigt die Landesregierungen zudem, Spruchkörper auch gerichtsübergreifend einzurichten. Wann ist eine solche Konzentration sinnvoll?

Lückemann: Die Erleichterung gerichtsbezirksübergreifender Zuständigkeitskonzentrationen auch über Ländergrenzen hinweg ist gerade im Kontext mit der erweiterten obligatorischen Errichtung von Spezialspruchkörpern an den Land- und Oberlandesgerichten gem. § 72a I, § 119a I GVG zu sehen: Wenn z.B. an kleinen Landgerichten die sieben vorgeschriebenen Spezialzuständigkeiten auf nur zwei bestehende Zivilkammern verteilt werden, die zudem noch die verbleibenden allgemeinen Sachen bearbeiten müssen, kann von einer wirklichen Spezialisierung der Richter nicht mehr die Rede sein. Allerdings darf die Zuständigkeitskonzentration nicht zu einem Rückzug der Ziviljustiz aus der Fläche und zu einem Ausbluten der kleineren Land- und Oberlandesgerichte führen; dann wäre die vom Gesetz verlangte Zweckmäßigkeit nicht mehr gegeben. Es empfiehlt sich eine von benachbarten Gerichten einvernehmlich vorgeschlagene wechselseitige Konzentration, von der jeweils alle beteiligten Gerichtsstandorte profitieren.

juris: Impliziert die Spezialisierung der Spruchkörper auch eine Änderung der Richter-Laufbahnen?

Lückemann: Voraussetzung für einen Erfolg der Neuregelung der obligatorischen Spezialisierung ist eine Mitwirkung der Justizverwaltung durch gezielte Fortbildung und eine gesteigerte Kontinuität der Personalverwendung der Mitglieder der Spezialspruchkörper. Hierzu gehört eine entsprechende Würdigung der Tätigkeit bei der weiteren Personalentwicklung. Vielleicht wird man auch über einen beamtenrechtlichen Paradigmenwechsel nachdenken müssen, nämlich über die Möglichkeit einer dienstpostenbezogenen Stellenausschreibung im Einzelfall: Wenn ein Präsidium den (Absichts-)Beschluss fasst, einen neu zu ernennenden Vorsitzenden Richter einem Spezialspruchkörper zuzuweisen, sollte in der Ausschreibung der Nachweis fundierter Kenntnisse auf dem jeweiligen Rechtsgebiet verlangt werden dürfen.

Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde: Gelungene Neuregelung

juris: Sehr geehrter Herr Dr. Heßler, seit 2002 war die Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden befristet, aber mehrfach verlängert, in § 26 EGZPO geregelt. Die aktuelle Grenze von 20.000 Euro wird nun dauerhaft in § 544 ZPO festgeschrieben. Hielten Sie die befristete Wertgrenze – wie die Bundesregierung – auch für eine „auf Dauer unbefriedigende“ Situation?

Heßler: Die Revision nach dem ZPO-Reformgesetz von 2001 war als reine Zulassungsreform konzipiert, enthielt mit der Wertgrenze nach § 26 Nr. 8 EGZPO aber von Anfang an auch ein Wertelement. Das spiegelt die Ambivalenz der Revision: sie ist Parteirechtsmittel, führt aber zum BGH (und neuerdings auch wieder zum BayObLG), also den höchsten Gerichten im Gerichtsaufbau, die der Rechtseinheit, der Fortbildung des Rechts verpflichtet sind und Fälle von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden haben. Naturgemäß sind die Ressourcen beschränkt. Eine Ausdehnung des Personaleinsatzes ist letztlich auch nur begrenzt möglich, will man den Senaten weiterhin den Überblick über die gesamte Rechtsprechung ermöglichen. Der BGH ist in erheblichem Umfang mit Nichtzulassungsbeschwerden nach § 544 ZPO befasst: dort geht es erst mal nicht um die Sache selbst, sondern um das Vorliegen der Zulassungsgründe. Man sollte dem BGH schon dauerhaft die Möglichkeit geben, seine Rechtsprechung in der Sache weiter zu entwickeln. Allein dass die als Übergangsvorschrift konzipierte Wertgrenze insgesamt fünf Mal verlängert wurde, zeigt das Bedürfnis nach einer dauerhaften Lösung. Oft wurde die Verlängerung in letzter Sekunde in einem Hauruck-Verfahren ins Bundesgesetzblatt gehievt, immer wieder verbunden mit dem Versuch, den Ländern Änderungen der Berufungsrechts zu Lasten ihrer Gerichte abzuhandeln.

juris: Die Einführung der Wertgrenze sollte den Bundesgerichtshof entlasten. Haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass die Wertgrenze dauerhaft benötigt wird – und die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsprechung nicht besteht? Oder wäre eine gewisse Flexibilität durch periodische Überprüfungen nicht doch sinnvoll?

Heßler: Die jetzt gefundene Kombination aus dem Grundsatz der Zulassungsrevision mit einem Wertelement halte ich für sehr sinnvoll. Seit 2002 konnte man doch jetzt wirklich lange genug Erfahrungen sammeln. Man ist ja durchaus behutsam vorgegangen. Die Wertgrenze wurde nicht etwa erhöht, wie dies durchaus auch gefordert wurde. Denken Sie daran, dass die Wertgrenze im alten System 60.000 DM betrug. Die Dauerregelung ist also auch keine Rückkehr zu alten Verhältnissen.

juris: Jeder Mindeststreitwert führt zu einer Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten – ist die Anhörungsrüge als letzter Strohhalm ausreichend?

Heßler: Nicht jeder Fall kann und muss in die Revisionsinstanz gelangen. Es ist ja auch nicht so, dass man mit einem niedrigen Streitwert nie in die Revisionsinstanz kommt. Immerhin müssen die Instanzgerichte bei jedem Fall von grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und zur Herstellung der Rechtseinheit die Revision zulassen. Wird die Revision nicht zugelassen, obwohl dies nahe gelegen hätte und die Nichtzulassungsentscheidung sich deshalb als objektiv willkürlich darstellt, ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sogar ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter. Fazit: Die Neuregelung halte ich für gelungen. Einzelfallgerechtigkeit und Funktionsfähigkeit des BGH im Interesse der Rechtseinheit werden in einen sachgerechten Ausgleich gebracht.

juris: Herr Lückemann, Herr Dr. Heßler, vielen Dank für das Gespräch!

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Hinweis: Dieser Beitrag ist ursprünglich im juris-Magazin erschienen und wird hier mit freundlicher Erlaubnis der juris GmbH veröffentlicht.

[1] Clemens Lückemann ist seit 2013 Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg, seit 2015 berufsrichterliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, zuvor Generalstaatsanwalt in Bamberg, Ministerialrat. Seit 1981 ist er im bayerischen Justizdienst, in Verwendung als Richter, Staatsanwalt und im Bayerischen Staatsministerium der Justiz tätig. Er ist Mit-Autor des „Zöller ZPO“ und bearbeitet dort das GVG und EGGVG.

[2] Dr. Hans-Joachim Heßler ist seit 2018 Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts, seit 2010 berufsrichterliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Er ist seit 1985 im bayerischen Justizdienst, in Verwendung im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, als Staatsanwalt und Richter tätig. Promotion zu einem Thema des Internationalen Privatrechts (summa cum laude, Fakultätspreis). Mit-Autor des „Zöller ZPO„.

Bundestag beschließt Änderungen der ZPO und des GVG

Der Bundestag hat am 14.11.2019 in 2. und 3. Lesung eine dauerhafte Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, Regelungen zur Schaffung von Spezialkammern und -senaten sowie einige weitere Änderungen der Zivilprozessordnung beschlossen (BT-Drs. 19/15167). Anlass war das drohende Auslaufen der bereits mehrfach verlängerten Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO zum 31.12.2019, wonach die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € übersteigt.

Bei einem ersatzlosen Auslaufen der Wertgrenze wäre es zu einer Vervielfachung der schon bisher den BGH stark belastenden Nichtzulassungsbeschwerden gekommen.  Da sowohl zweckmäßige wie auch praktisch umsetzbare Alternativen zu der Wertgrenze seit deren erstmaligen Inkrafttreten am 1.1.2002 nicht gefunden werden konnten, entschloss sich der Gesetzgeber nunmehr, mit Wirkung vom 1.1.2020 an, die Wertgrenze von 20.000 € dauerhaft in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festzuschreiben.

Ebenfalls ab 1.1.2020 werden vornehmlich klarstellende Änderungen der Zivilprozessordnung gelten. So sollen die Parteien Ablehnungsgesuche, bei denen der Ablehnungsgrund erst später bekannt wird, unverzüglich anbringen müssen (§ 44 Abs. 4 S. 2 ZPO). Das Gericht soll zukünftig auch den Nebenintervenienten zur Parteianhörung laden können (§ 67 S. 2 ZPO). Ebenso wird ihm nunmehr ausdrücklich gestattet, durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren zu strukturieren und den Streitstoff abzuschichten (§ 139 Abs. 1 S. 2 ZPO) sowie einen Sachverständigen als Berater hinzuzuziehen (§ 144 ZPO). Weitere Änderungen sollen Probleme beim elektronischen Rechtsverkehr lösen (§ 130a, § 169 Abs. 4 S. 1, § 174 Abs. 4 ZPO). Eine praktische Erleichterung stellt die Vereinfachung des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO dar: Die Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlags kann nun bereits durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erfolgen.

Erst ab 1.1.2021 sollen die Änderungen des GVG gelten, mit denen den Landgerichten und Oberlandesgerichten in §§ 72a, 119a GVG auch die Einrichtung von Spruchkörpern für Pressesachen, erbrechtliche Streitigkeiten und Insolvenzsachen vorgeschrieben wird. Die weitere Spezialisierung der Richter ist im Hinblick auf die immer weiter steigende Komplexität des Rechts als qualitätssicherndes Element sicher zu begrüßen, wird aber gerade in kleineren Gerichten nicht voll zum Tragen kommen können. Aus diesem Grund sieht das Gesetz weitgehende Konzentrationsmöglichkeiten durch Landesrecht vor.

Hinweis: Ein umfassender Beitrag, in dem die Neuregelungen und ihre praktische Bedeutung vorgestellt werden, ist für MDR Heft 1/2020 vorgesehen. Auch sind die Regelungen in der 33. Aufl. des Zöller bereits berücksichtigt; unter www.otto-schmidt.de/zoeller finden Sie auch zeitnah nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens eine Erstkommentierung. Online wird der Zöller an Ort und Stelle aktualisiert.

Neue Gesetzgebungsvorschläge zum Zivilprozessrecht

Das BMJV hat einen Referentenentwurf zur dauerhaften Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen vorgelegt. Ergänzend ist darin unter anderem vorgesehen, den Katalog von Materien, für die jedes LG und jedes OLG eine spezialisierte Kammer bzw. einen spezialisierten Senat einrichten muss, deutlich zu erweitern. An dieser Regelung könnten sich künftig langwierige Kompetenzkonflikte entzünden, die dem angestrebten Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderlaufen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber flankierende Maßnahmen vorsieht, um diese Gefahr zu minimieren.

Seit der ZPO-Reform im Jahr 2002 ist eine Revision in Zivilsachen nur noch statthaft, wenn das Berufungsgericht oder – auf Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei – der Bundesgerichtshof das Rechtsmittel zulässt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer die Grenze von 20.000 Euro übersteigt. Diese Regelung war ursprünglich nur für einen Übergangszeitraum vorgesehen. Ihr Geltungszeitraum wurde aber mehrfach verlängert, zuletzt bis 31.12.2019.

Der Referentenentwurf sieht nunmehr vor, die Wertgrenze dauerhaft in die ZPO zu übernehmen, als neuen Absatz 2 der für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblichen Regelung in § 544 ZPO. Der BGH hat sich immer wieder für diese Lösung eingesetzt, um eine anderenfalls drohende Überlastung zu vermeiden.

Ergänzend sieht der Entwurf flankierende Maßnahmen vor, denen das Ziel gemeinsam ist, die Effizienz im Zivilprozess weiter zu steigern. Dazu gehört eine Erweiterung der in § 72a und § 119a GVG vorgesehenen Kataloge von Rechtsmaterien, für die jedes LG und jedes OLG zwingend eine Spezialkammer bzw. einen Spezialsenat einzurichten hat. Die vier bereits bestehenden Tatbestände (Bank- und Finanzgeschäfte, Bau-, Architekten- und Ingenieurverträge, Heilbehandlungen, Versicherungsverträge) sollen um vier weitere Tatbestände (Kommunikations- und Informationstechnologie, Veröffentlichungen in Presse, Funk, Fernsehen und Internet, Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten) ergänzt werden. Insbesondere der Tatbestand der Kommunikations- und Informationstechnologie dürfte eine ungeahnte Vielzahl von Streitigkeiten erfassen.

Wenn die Regelungen wie geplant in Kraft treten, könnte sich eine Entwicklung verstärken, die schon unter dem bestehenden Recht eingesetzt hat und dem Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderläuft: Angesichts der abstrakten Formulierungen, mit denen die Zuständigkeit der Spezialspruchkörper umschrieben ist, entsteht nicht selten Streit darüber, ob ein Rechtsstreit vor einen Spezialspruchkörper gehört oder ob es bei der Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer bzw. eines allgemeinen Zivilsenats verbleibt. Anders als bei Konflikten über die im Geschäftsverteilungsplan festgelegten Zuständigkeiten sehen viele Obergerichte in solchen Fällen eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zulässig an (vgl. etwa KG, B. v. 14.03.2019 – 2 AR 6/19, MDR 2019, 634). Paradoxerweise können solche gerichtsinternen Konflikte sogar schwieriger zu beurteilen sein als Kompetenzkonflikte zwischen unterschiedlichen Gerichten, denn eine Bindungswirkung, wie sie § 281 ZPO für die Verweisung an ein anderes Gericht oder § 102 GVG für das Verhältnis zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen anordnen, ist in § 72a und § 119a GVG nicht ausdrücklich vorgesehen. Selbst die ergänzenden Regelungen über die Zuständigkeit durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache (§ 39 ZPO) und über die beschränkte Nachprüfung der erstinstanzlichen Zuständigkeit in den höheren Instanzen (§ 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO) sind zumindest ihrem Wortlaut nach in solchen Fällen nicht anwendbar.

Angesichts dessen erscheint es wünschenswert, dass der Gesetzgeber gerichtsinterne Zuständigkeitskonflikte künftig (mindestens) denselben Schranken unterwirft, die für gerichtsübergreifende Konflikte gelten. Ansonsten ist nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft viele Prozesse hauptsächlich um die Frage drehen, welche Kammer bzw. welcher Senat über die Klage zu entscheiden hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die formellen Mindestanforderungen an den Inhalt eines Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Erkennbarkeit der Berufungsanträge in Zurückweisungsbeschluss
Urteil vom 12. Juni 2018 – II ZR 229/16

Der II. Zivilsenat stellt klar, dass ein mit Rechtsmitteln anfechtbarer Beschluss, mit dem eine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 zurückgewiesen wird, denselben formellen Inhaltsanforderungen unterliegt wie ein Berufungsurteil.

Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der Mehrheitsgesellschafterin der insolventen GmbH und deren ehemaligem Geschäftsführer Ersatz wegen einer Zahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens. Das LG verurteilte die beiden Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 24.750 Euro. Das OLG wies die Berufung der Beklagten nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurück.

Der BGH verweist die Sache aus formellen Gründen an das OLG zurück. Um eine Überprüfung in der Revisionsinstanz zu ermöglichen, muss ein mit Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbares Berufungsurteil erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel begehrt hat. Diese Anforderungen gelten auch für einen mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbaren Beschluss, mit dem die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. Hierbei reicht es aus, wenn der nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erteilende Hinweis die erforderlichen Angaben enthält und das Gericht im Zurückweisungsbeschluss darauf Bezug nimmt. Im Streitfall ließ sich weder dem Zurückweisungs- noch dem Hinweisbeschluss entnehmen, was die Beklagten mit ihrer Berufung anstrebten. Deshalb war der Beschluss ohne Sachprüfung aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. In seiner „Segelanweisung“ führt der BGH ergänzend aus, dass die vom LG angestellten Erwägungen rechtlich nicht tragfähig sind, der geltend gemachte Anspruch nach entsprechender Aufklärung des Sachverhalts unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten aber dennoch begründet sein kann.

Praxistipp: Nach der derzeit bis 31.12.2019 befristeten Regelung in § 26 Nr. 8 EGZPO ist eine Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen statthaft, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um das Recht auf Zuziehung eines Dolmetschers und um die Zuständigkeitsverteilung zwischen Familien- und Zivilgericht geht es in den beiden aktuellen Entscheidungen.

Zuziehung eines Dolmetschers zur persönlichen Anhörung einer Partei
Beschluss vom 1. März 2018 – IX ZR 179/17

Mit dem Recht auf ein faires Verfahren befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm die Beklagten auf Zahlung von rund 370.000 Euro aus Verwahrung und Darlehen in Anspruch. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin an das OLG zurück. Das OLG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es von der Vernehmung eines von ihr benannten Zeugen zu Unrecht abgesehen hat. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das OLG in der neu eröffneten Berufungsinstanz von Amts wegen einen Dolmetscher hinzuziehen muss, wenn die – der deutschen Sprache nicht mächtige – Klägerin sich gemäß § 137 Abs. 4 ZPO persönlich zu den der Klageforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Umständen äußern will. Dies ergibt sich zwar nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 64, 135), wohl aber aus dem Recht auf ein faires Verfahren.

Praxistipp: Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren kann ggf. mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO geltend gemacht werden, nicht aber mit einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO.

Rechtsmittel gegen die Entscheidung eines Zivilsenats in einer Familiensache
Beschluss vom 28. Februar 2018 – XII ZR 87/17

Dass die Zuständigkeit des „großen Familiengerichts“ immer wieder für Überraschungen sorgen kann, veranschaulicht eine Entscheidung des XII. Zivilsenats.

Die Klägerin verlangte vom Beklagten – ihrem getrennt lebenden Ehemann – die Freigabe eines hinterlegten Betrags von 100.000 Euro. Das Geld stammte aus einer der Klägerin zugefallenen Erbschaft, war aber kurz vor der Trennung der Parteien auf ein Konto des Beklagten überwiesen worden. Der Beklagte verweigerte die Freigabe unter anderem mit der Begründung, die Klägerin habe der Überweisung auf sein Konto zugestimmt, um gemeinsame Schulden zu begleichen und den Unterhalt des gemeinsamen Kindes zu sichern. Das LG verurteilte den Beklagten zur Freigabe des Betrags. Das OLG wies die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurück.

Der BGH verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig. Bei zutreffender Sachbehandlung wären nicht die Zivilgerichte zur Entscheidung berufen gewesen, sondern das Familiengericht und ein Familiensenat des OLG. Dies ergibt sich aus § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, wonach zu den (sonstigen) Familiensachen auch Verfahren gehören, die Ansprüche zwischen Ehegatten im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung betreffen. In einer Familiensache wäre eine Rechtsbeschwerde gegen die zweitinstanzliche Entscheidung gemäß § 70 FamFG nur zulässig gewesen, wenn das OLG sie zugelassen hätte. Nach dem auch für solche Konstellationen geltenden Meistbegünstigungsgrundsatz darf dem Rechtsmittelführer aus der Wahl einer unzutreffenden Verfahrensart zwar kein Nachteil entstehen. Andererseits dürfen die Möglichkeiten zur Einlegung eines Rechtsmittels dadurch aber auch nicht erweitert werden. Folglich ist die an sich gemäß § 522 Abs. 3 und § 544 ZPO statthafte Nichtzulassungsbeschwerde im Streitfall nicht zulässig.

Praxistipp: Wenn ein Ehegatte im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung den anderen Ehegatten oder dessen Eltern in Anspruch nimmt, ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegen. In Zweifelsfällen sollte bereits in erster Instanz eine Entscheidung gemäß § 17a GVG herbeigeführt werden.