Die GroKo und die Abgeltungsteuer – Gerechtigkeit versus Vereinfachung?

Der sog. GroKo-Vertrag, „amtlich“ der „Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD“ mit dem programmatisch-volltönenden Untertitel „Ein neuer Aufbruch für Europa Eine neue Dynamik für Deutschland Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, „wiegt“ 177 Seiten und „zählt“ 8370 Zeilen. In den Zeilen 3116 und 3117 auf Seite 69 heißt es recht lapidar: „Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge wird mit der Etablierung des automatischen Informationsaustauschs abgeschafft.“ Noch kurz zuvor –in den Zeilen 3098 und 3099– wird konstatiert: „Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe. Es ist ein wichtiges politisches Ziel, hier Schritt für Schritt voranzukommen …“.

Beide Aussagen und Ziele passen – so scheint es auf den ersten Blick – nicht so recht beieinander, sie widersprechen sich. Dieser Widerspruch wird bestätigt, denkt man näher nach. Und an solchem „Nachdenken“ in munterer Diskussion von Pro & Contra läßt Sie die jüngste Ausgabe der GmbH-Rundschau teilhaben. Die dort enthaltene Diskussion zwischen MinDirig Matthias Schenk, Leiter der Steuerabteilung im Hessischen Ministerium der Finanzen, Prof. Dr. Johannes Becker, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, und Prof. Dr. Heribert Anzinger, Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Steuerrecht im Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm, nimmt den steuerpolitischen Faden auf und „verprobt“ diesen anhand juristischer und ökonomischer Argumente und Vorgaben. Gegenüber stehen auf der einen Seite Fragen der „Leistungsgerechtigkeit“ zwischen Arbeit und Kapital, die sich in dem progressiv ausgestalteten „synthetischen“ Steuertarif festmachen lassen. Auf der anderen Seite sind das womöglich trotz besagten zwischenstaatlichen Informationsaustauschs fortbestehende strukturelle Vollzugsdefizite bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte – noch nicht vor langer Zeit wurde ein solches Defizit vom BVerfG gebrandmarkt. Es sind das zudem Überlegungen zur ökonomischen Grobverteilung von Kapitaleinkünften, zur personellen und sachlichen Ausstattung der Finanzverwaltung und manches mehr. Auch die eigentlich auf der Hand liegenden Vereinfachungseffekte sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, Vorsitzende Richterin des für Kapitaleinkünfte zuständigen VIII. Senats des BFH, hat das erst soeben trefflich sichtbar gemacht: „Manches Detail der Abgeltungsteuer erscheint unnötig kompliziert oder birgt u.U. sogar die Gefahr der Verfassungswidrigkeit. Es besteht Reformbedarf. Die Abgeltungsteuer sollte zu dem gemacht werden, was sie ursprünglich sein sollte – eine einfache Steuer. Dies ist aber“, so fährt sie fort, „kein Grund, sie abzuschaffen, wie derzeit (…) für Zinseinkünfte geplant“ (BB 2018, 854, 864).

Die Diskussion ist jedenfalls angefacht. Sie wurde intensiv anläßlich der außerordentlichen Kuratoriumssitzung des Instituts Finanzen und Steuern geführt, die am 27. November 2017 in Berlin stattfand, und die dort durch eine Key Note des nordrhein-westfälischen Finanzministers Lutz Lienenkämper eingeleitet wurde. In dem jüngsten Tagungsband des Instituts (ifst-Schrift 523) findet sich all das in gedrängter Form eines Reports, in der jüngsten Ausgabe Nr. 9/2018 der GmbH-Rundschau wird das nun auch noch breiter argumentativ ausgefaltet. Die Lektüre der Texte sei dem geneigten Leser ans Herz gelegt.

Kommission präsentiert gesellschaftsrechtliche „Wundertüte“

Nachdem es seit November vergangenen Jahres mehrfach verschoben wurde, hat die Europäische Kommission das fertige „Company Law Package“  am 25.04.2017 nun der Öffentlichkeit präsentiert. Mit Spannung wurde erwartet, welche Regelungsvorschläge es letztlich enthalten und ob die Kommission ihre umfassenden Ankündigungen wahr machen würde (vgl. Arbeitsprogramm der Kommission 2017, S. 8) . Auf den ersten Blick haben Kommissionspräsident Juncker und sein Team Wort gehalten: Ein Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht  und ein Vorschlag über die Regelung grenzüberschreitender Verschmelzungen, Spaltungen und Sitzverlegungen bilden zusammen mit ihrem Anhang einen insgesamt knapp 130 Seiten starken Vorschlag. Dieser wird komplettiert durch ein 194-seitiges Impact Assessment. Angesichts der Masse und der vielfältigen Regelungsmaterie handelt es sich um die bisher umfangreichste gesellschaftsrechtliche Initiative der Kommission, andernorts wird von einem „dicke[n] Paket“  gesprochen. Dennoch sucht die Kommission mit den Entwürfen in Buchstärke kein neues Regelungsregime zu schaffen, sondern will lediglich die erst im Sommer 2017 konsolidierte Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts  ergänzen. Bereits beim ersten Durchsehen der Texte fällt auf, dass diese Regelungstechnik (bspw. sollen statt einer Neuzählung die Art. 160a–160w eingefügt werden) die Handhabbarkeit erschwert.

Unabhängig von der gewöhnungsbedürftigen Verpackung bietet die „Wundertüte“ einige Überraschungen. Künftig soll es jedermann in der Union (offenbar auch juristischen Personen) möglich sein, in jedem Mitgliedstaat digital eine Kapitalgesellschaft zu gründen, ohne einen Fuß in den Registerstaat setzen zu müssen. Satzungsmuster (sog. Templates) sollen die Gründung zusätzlich erleichtern und müssen dazu von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.  Bei der Onlinegründung muss jede Rechtsordnung mindestens sicherstellen können, dass der Gründer rechtsfähig ist und seine Identität festgestellt werden kann.  Den Mitgliedstaaten verbleibt aber darüber hinaus auch ein Regelungsspielraum: Die Online-Ferngründung scheint insbesondere nicht das Ende für die notarielle Tätigkeit bei der Gründung von Kapitalgesellschaften zu bedeuten, zumindest nicht zwingend. Die Mitgliedstaaten können – solange dies keine physische Präsenz der Gründer erfordert – u.a. Notare in das Verfahren einbinden, was angesichts ihrer umfassenden und vielgestaltigen Beratungstätigkeit, in denjenigen Staaten, die bisher auf Notare setzen, auch weiterhin zu empfehlen sein dürfte. Die digital errichtete Gesellschaft soll innerhalb von fünf Werktagen nach Einreichung aller Unterlagen und Leistung der erforderlichen Zahlungen eingetragen werden. Den Mitgliedstaaten steht es zudem frei, die „großen“ Kapitalgesellschaften, wie die deutsche AG, nicht zur Onlinegründung zuzulassen, was angesichts der oft komplexen Gestaltungen bei diesen Gesellschaftstypen durchaus sinnvoll sein kann. Auf die Mitgliedstaaten kommt jedenfalls harte Arbeit zu, da (soweit ersichtlich) bisher nur Estland Erfahrungen mit effizienten grenzüberschreitenden Gründungsverfahren hat, die – über das eResidency-Programm  – auch für Personen ohne estnische Staatsangehörigkeit zugänglich sind.

Zudem hat sich die Kommission nun auch endlich mit grenzüberschreitenden Unternehmensumwandlungen befasst. Das Company Law Package enthält den Vorschlag für eine Novellierung der Verschmelzungsrichtlinie sowie Vorschläge für einen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen und Sitzverlegungen. In diesem Bereich will die Kommission vor allem einen rechtssicheren kodifizierten Rahmen für alle grenzüberschreitenden Umwandlungen schaffen, der im Einklang mit der bisherigen EuGH-Judikatur dazu stehen soll. Besonders im Fokus liegt bei allen drei Regelungskonzepten die Förderung der grenzüberschreitenden Unternehmensmobilität – explizit sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigt werden – bei gleichzeitiger Gewährleistung der Rechte zum Schutz der betroffenen stakeholder, wie Gläubiger, Gesellschafter und Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmermitbestimmung nehmen die neuen Regelungen zur grenzüberschreitenden Spaltung und Sitzverlegung Bezug auf das Verhandlungsverfahren, wie es bereits aus der SE-Verordnung  bekannt ist. Ähnliche Vorschläge fanden sich diesbezüglich bereits in den bislang nicht erfolgreichen Vorschlägen zur SPE  und zur SUP , weshalb die Möglichkeit besteht, dass dieser Aspekt auch für die neuen Vorschläge eine politische Hürde darstellen wird.

Ob sich das unionale Gesellschaftsrecht über die Überraschungen freuen kann, welche die „Wundertüte“ noch bereithält, wird die Zukunft zeigen. Fürs erste kann festgehalten werden, dass jedenfalls der Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht noch zahlreiche Fragen aufwirft und Rechtsunsicherheiten verstärken kann, während die Vorschläge zur Kodifizierung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und Spaltung das Potenzial haben, einen rechtssicheren Rahmen für diese Vorgänge im Binnenmarkt zu schaffen.

Einforderung rückständiger Einlagen durch Liquidator zum Ausgleich unter den Gesellschaftern

Mit Urteil vom 30.1.2018 (Az. II ZR 95/16) – vorgesehen zum Abdruck in der amtlichen Sammlung – hat der Bundesgerichtshof eine wegweisende Abkehr von seiner früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Reichweite der Liquidatorenaufgaben in der (Publikums-)Personengesellschaft vollzogen. Ausweislich des ersten amtlichen Leitsatzes gilt nunmehr:

„Bei einer Publikums-Kommanditgesellschaft ist der Abwickler – vorbehaltlich anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Regelungen – auch ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Ermächtigung zur Einforderung rückständiger Einlagen zum Zweck des Ausgleichs unter den Gesellschaftern befugt.“

Nach bisheriger Lesart des BGH waren die Aufgaben des Liquidators auf die Gläubigerbefriedigung sowie liquidationszweckgemäße Tätigkeiten beschränkt; nur zur Erfüllung dieser Aufgaben sollten Gesellschafter auf Zahlung rückständiger Einlagen oder Nachschüsse in Anspruch genommen werden dürfen.

Der BGH begrenzt seine Aussagen zwar ausdrücklich auf die Publikums-KG. Dass für andere Personengesellschaften nichts anderes gelten kann, lässt sich jedoch aus den Urteilsgründen ableiten; vgl. hierzu Bochmann/Becker, EWiR 2018, 229 f. (erscheint am 27.4.2018).

Notary Shopping – GmbH-Gründung in der Schweiz?

Forum Shopping ist längst Usus. Im Wettbewerb der Rechtsordnungen wird zuweilen auch Notary Shopping betrieben, meist zur Kostenreduktion (im Lichte des GNotKG je nach Stammkapitalhöhe übrigens oftmals eine Chimäre!). Den Bemühungen ist durchwachsener Erfolg zu attestieren, sie betrafen im Gesellschaftsrecht bislang vor allem den Bereich der Anteilsübertragung, weniger gesellschaftsrechtliche Verfassungs- bzw. Organisationsakte. Jüngst hat das KG in seiner Entscheidung vom 24.1.2018 (22 W 25/16, GmbHR 2018, 376 mit Anmerkung Wicke) entgegen der Vorinstanz als erstes deutsches Obergericht nun die Beurkundung der Gründung einer GmbH durch einen im Ausland zugelassenen Notar für formwahrend (§ 2 Abs. 1 GmbHG) erachtet – zwar genüge nicht die Wahrung der meist laxeren ausländischen Ortsform (Art. 11 Abs. 1 Hs. 2 EGBGB gelangt auf gesellschaftsrechtliche Organisationsakte nicht zur Anwendung), wohl aber sei das Erfordernis der notariellen Beurkundung in § 2 Abs. 1 GmbHG substituierbar, sofern die Beurkundung durch einen im Ausland zugelassenen Notar einer Gleichwertigkeitsprüfung standhalte.

Einen Notartourismus wird dieses Judikat aber kaum auslösen: Bei genauer Lektüre der Urteilsgründe zeigt sich, dass es sich um ein Einzelfalljudikat handelt, ganz ungeachtet dessen, dass selbstverständlich in der Schweiz sorgsam zwischen den Notaren der verschiedenen Kantone zu differenzieren ist. Es bezieht sich (nur) auf eine Beurkundung durch einen Notar mit Zulassung in Bern, der das dortige Verfahrensrecht freiwillig an das strengere deutsche Verfahren der Beurkundung von Willenserklärungen angepasst hatte. Ein solches freiwilliges Verfahrens-Upgrade, mit dem Schweizer Notare selbstverständlich gerne werben, kann entgegen der Ansicht des KG die erforderliche Gleichwertigkeit des ausländischen mit dem deutschen Beurkundungsverfahren jedoch nicht herstellen. Es kommt allein darauf an, was das zu beachtende Beurkundungsrecht selbst verlangt, mit allen bei einer Missachtung zu erwartenden Konsequenzen. Wer A sagt, muss auch B sagen: Wenn und weil es bei der Prüfung der persönlichen Gleichwertigkeit nicht auf die deutschen Rechtskenntnisse des ausländischen Notars, sondern auf jene des heimischen Rechts ankommen soll (Indikator hier: Bestehen der Berner Notarprüfung), kann bei der sachlichen Gleichwertigkeit auch nur auf die Vorgaben des ausländischen Rechts abgestellt werden.

Entscheidend gegen eine Substituierbarkeit spricht allerdings bereits prinzipiell, dass der Zweck des Beurkundungserfordernisses in § 2 Abs. 1 GmbHG auch in der „materiellen Richtigkeitsgewähr“ des Gründungsvorgangs liegt (für die Satzungsänderung BGHZ 105, 324, 338). Diese wird auch durch die detaillierten Rechtskenntnisse des Notars erreicht. Im Zusammenspiel mit dem Registergericht soll der Notar nämlich im Zeichen der Rechtssicherheit und der Wahrung von Verkehrsschutzinteressen sicherstellen, dass nur solche GmbHs den Eingang ins Handelsregister finden, die im Einklang mit dem GmbHG gegründet wurden; der Notar prüft dabei umfassend, das Registergericht nur beschränkt, § 9c Abs. 2 GmbHG. Diese Prüfung gelingt aber nur, sofern der beurkundende Notar über ausreichende Kenntnisse des jeweils anwendbaren Rechts verfügt, und zwar (um Rechtssicherheit wenigstens einigermaßen zu wahren) typisiert, nicht nur im konkreten Einzelfall. In diesem Sinne ist der Schweizer Notar seinem deutschen Kollegen nicht gleichwertig. Nun mag man ketzerisch einwenden, es bedürfe keiner außerordentlichen Rechtskenntnisse für eine korrekte GmbH-Gründung, dies sei ein einfacher Standardvorgang, erst recht im Falle der Verwendung des gesetzlichen Musterprotokolls (§ 2 Abs. 1a GmbHG). Ungeachtet dessen, dass jeder Praktiker um die Tücken der richtigen Verwendung des Musterprotokolls weiß, soll dieser Standpunkt für die Einpersonengründung gar nicht bestritten werden; schon bei Zweipersonengründungen (Patt-Situationen!) gilt dies aber nicht mehr, erst recht nicht bei größerem Gesellschafterkreis, der oftmals maßgeschneiderte Satzungen benötigt, die effektive Konfliktvermeidungsregelungen liefern (Cziupka, in: Scholz, 12. Aufl. 2018, § 3 Rz. 120). Und mehr noch: Konsequenterweise müsste auch bei anderen Verfassungsakten eine Substitution möglich sein; es dürfte aber kaum bestritten werden können, dass die Richtigkeitsgewähr bei komplexen Umwandlungsmaßnahmen oder Unternehmensverträgen tiefgehende Kenntnisse des deutschen Rechts verlangt.

Abstriche bei der Prüfungsqualität des Notars zu tolerieren, hieße, in volkswirtschaftlich sinnwidriger Weise Prüfungskosten auf die ohnehin häufig überlasteten Registergerichte zu übertragen. Dies erwiese sich als erheblicher Störfaktor im wohlgeordneten System der vorsorgenden Rechtspflege, das sich im Registerrecht durch eine Komplementarität von notarieller und registergerichtlicher Prüfung auszeichnet. Die Versagung einer Substitution ist kein Protektionismus, sondern Ausdruck eines erst genommenen Gläubigerschutzes. Und nicht nur das: Die Richtigkeitsgewähr korporativer Akte (Gründung, Satzungsänderungen, Umwandlungen) dient auch den Interessen künftiger Gesellschafter. In diesem Sinne mutet der häufige Einwand geradezu zynisch an, diese seien nicht schutzbedürftig, könnten sie sich doch über die Satzung vor ihrem Beitritt informieren.

Fazit: Eine gelingende Rechtsstandortpflege (Law Made in Germany) verlangt nicht nur ein gutes Rechtsprodukt (= das zu Recht vielgelobte GmbH-Recht); dies ist nur die halbe Miete. Es kommt bei auf Registervollzug ausgerichteten Rechtsakten auch auf die Bewahrung der Einbettung des Rechtsprodukts in ein effektives System vorsorgender Rechtspflege an. Wird dieses durchlöchert, verzerrt dies die Gesamteffizienz eines solchen Systems. Zum Ganzen Cziupka, EWiR 2018, 137.

 

Erste Überlegungen zu Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Intersexualität auf das Aktien- und GmbH-Recht

Die Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 hat bei Verkündung in den Medien ein breites Echo gefunden. Unmittelbar betrifft die Entscheidung das Personenstandsrecht, welches der Gesetzgeber nun zu ändern hat. Es stellt sich freilich die Frage, ob es darüber hinaus auch Ausstrahlungen in das Aktien- und GmbH-Recht geben könnte.

Worum geht es? Medizinisch wurde erwiesen, dass es neben Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, auch Intersexuelle gibt, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“ Das BVerfG referiert in Rz. 10 eine Häufung von 1:500 in der Bevölkerung. Andere Stimmen nennen geringere Quoten zwischen 1:2000 und 1:5000.

Für diese Personen leitet das BVerfG aus dem Grundgesetz einen doppelten Schutz ab. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze (auch) deren geschlechtliche Identität. Weitergehend schütze aber Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (auch) Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.

Sowohl das Aktien- wie auch das GmbH-Recht kennen ihrerseits Personenverzeichnisse, die an den neuen Maßstäben des BVerfG zu messen sind. Anzuführen sind beispielsweise für die AG das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG) und das Aktienregister (§ 67 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie für die GmbH die Liste der Gesellschafter (§ 40 GmbHG). Alle diese Regelungen unterscheiden sich von § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG allerdings gerade dadurch, dass dort keine Angabe des Geschlechts verlangt wird. Insoweit stellt sich also lediglich die Frage, ob das Ausleben der geschlechtlichen Identität verfassungsrechtlich eine Erweiterung gebietet. Das ist jedoch auf Grundlage der Überlegungen des BVerfG unter Rz. 47 der Entscheidung klar zu verneinen. Dort legt das Gericht nämlich sichtlich Spur für eine diskriminierungsfreie Gestaltung des Personenstandsrechts durch Verzicht auf Geschlechtsangaben.

Damit rücken jene Bestimmungen des Gesellschaftsrechts in den Fokus, die ausdrücklich „nur“ das männliche und das weibliche Geschlecht ansprechen, wie etwa § 96 Abs. 2 AktG, der für die Besetzung von Aufsichtsräten „nur“ Mindestanteile von Frauen und Männern vorschreibt, nicht aber Mindestanteile an Intersexuellen. Ähnliche Regelungen enthalten §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG oder § 52 Abs. 2 GmbHG. Hier stellt sich vermeintlich offensichtlich die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses von Intersexuellen vom Quotenschutz mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Tatsächlich bedarf es jedoch keiner Änderung dieser Bestimmungen. Dafür streitet m.E. nämlich, dass sie auf einer spezielle(re)n Regelung des GG beruhen, nämlich Art. 3 Abs. 2 GG. Diese Vorschrift des GG stellt anders als Art. 3 Abs. 3 GG schon nach dem Wortlaut gerade nicht auf das Geschlecht ab, sondern auf Mann und Frau. Diesen Unterschied arbeitete auch das BVerfG in einer systematischen Verfassungsauslegung klar heraus (Rz. 60). Wörtlich führt es aus: „Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.

Die genannten Bestimmungen des Aktien- bzw. GmbH-Rechts sind daher ungeachtet der Nichtnennung Intersexueller dem Auftrag des GG aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“) entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierungen. Die Entscheidung, das weitergehende Gleichberechtigungsgebot auf Mann und Frau zu beschränken, hat die Verfassung selbst getroffen. Das ist auf der Ebene nachgeordneten (Aktien- und GmbH-) Rechts nicht zu revidieren.