KapMuG-Reform: Problematische Änderungen im Rechtsausschuss

Am 13.6.2024 fand im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Beratung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) statt (vgl. BT‑Drucks. 20/10942). Wenige Tage zuvor haben die Regierungsfraktionen tiefgreifende und überwiegend ausgesprochen problematische Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf vorgeschlagen, die Gegenstand dieser Beratungen waren. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen zurück auf die Empfehlungen des Rechtsausschusses (BT‑Drucks. 20/11787). Im Folgenden werden die vom Rechtsausschuss empfohlenen und vom Bundestagsplenum angenommenen wesentlichen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs kritisch gewürdigt.

Neufassung von Feststellungszielen im Eröffnungsbeschluss

Das Oberlandesgericht ist nach dem Regierungsentwurf nicht mehr an den Vorlagebeschluss des Landgerichts gebunden, sondern erlässt einen eigenen Eröffnungsbeschluss (§ 9 Abs. 1 KapMuG-E). Diese wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage soll die Verfahrensherrschaft des Oberlandesgerichts stärken (BT‑Drucks. 20/10942, 33). Nicht vollständig geklärt war bislang, welcher Prüfungsmaßstad für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses gelten soll und inwieweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele „inhaltlich zuschneiden“ können soll.

Der Rechtsausschuss empfiehlt nun, dass das Oberlandesgericht die Feststellungsziele innerhalb des durch die vorgelegten Musterverfahrensanträge gezogenen Rahmens auch teilweise oder gänzlich „neu fassen“ kann, um die Sachdienlichkeit der Klärung des betreffenden Feststellungsziels im Musterverfahren erst herzustellen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KapMuG‑E; Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 46 f.). Gegenüber dem Regierungsentwurf soll damit der Spielraum des Oberlandesgerichts beim Erlass seines Eröffnungsbeschlusses und der Festlegung der Feststellungsziele erweitert werden. In der Regierungsbegründung wurde jedoch zu Recht klargestellt, dass sich das Oberlandesgericht bei der Bestimmung der Feststellungsziele im Einklang mit § 308 Abs. 1 ZPO innerhalb des durch die vorlegten Musterverfahrensanträge bestimmten potenziellen Rahmens des Musterverfahrens halten muss (BT‑Drucks. 20/10942, 34).

Das von der Beschlussempfehlung angestrebte (sehr) weite Ermessen des Oberlandesgerichts bei der Festlegung der Feststellungsziele darf keinesfalls dazu führen, dass das Oberlandesgericht im Eröffnungsbeschluss gleichsam von Amts wegen und damit entgegen § 308 Abs. 1 ZPO den Streitgegenstand des Musterverfahrens selbst bestimmt. Vielmehr muss auch weiterhin die Maxime gelten, dass auf der Grundlage unzulässiger Musterverfahrensanträge kein Musterverfahren durchgeführt werden darf (vgl. zum RegE: Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1062).

Zu weitgehende Lockerung des Aussetzungsmaßstabs

Dreh- und Angelpunkt einer sachgerechten Verbindung der Ausgangsverfahren vor den Landgerichten mit dem Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht ist das Merkmal der „Abhängigkeit“ der Ausgangsverfahren von der Klärung der Feststellungsziele im Musterverfahren (derzeit § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG).

Die Beschlussempfehlung sieht nun vor, dass alle Ausgangsverfahren ausgesetzt werden sollen, die „voraussichtlich“ von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen (§ 10 KapMuG-E). Das Prozessgericht soll eine „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ treffen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47). Es soll damit ein sog. abstrakter Abhängigkeitsbegriff kodifiziert werden, die eine Abkehr von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeuten würde, nach der ein konkreter Maßstab bei der Aussetzungsentscheidung anzulegen ist (vgl. BGH v. 30.4.2019 – XI ZB 13/18, WM 2019, 1553).

Nach der sachgerechten Rechtsprechung des BGH dürfen nur diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen vor der Aussetzung offenbleiben, die den Feststellungszielen des Musterverfahrens nachgelagert sind und die nur auf der Grundlage des Musterentscheids sinnvoll beantwortet werden können. Zu allen anderen Tatsachenfragen ist ggf. Beweis zu erheben, bevor das betreffende Ausgangsverfahren ausgesetzt werden kann. Diese Rechtsprechung beruht auf zentralen verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzerwägungen: Die Beteiligung an einem Musterverfahren bei gleichzeitiger Aussetzung des eigenen Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht ist den Parteien nicht zuzumuten, wenn nicht feststeht, dass es für ihren individuellen Rechtsstreit auf den Ausgang des Musterverfahrens ankommt. Wenn die im Musterverfahren zu klärenden Feststellungsziele für das eigene Ausgangsverfahren unerheblich sind, darf das Ausgangsverfahren nicht ausgesetzt werden, weil den Parteien ansonsten der verfassungsrechtlich gewährte effektive Rechtsschutz verweigert wird.

Schon unter dem geltenden Recht sind die Landgerichte incentiviert, mit leichter Hand selbst unzulässige, unschlüssige und selbst Klagen, in denen es nicht einmal um kapitalmarktrechtliche Haftungsnormen geht, auszusetzen und die Prozessparteien mit ihrem Rechtsstreit gleichsam in einem KapMuG-Verfahren „zu parken“ (vgl. dazu eingehend Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1065 ff.). Die Einführung eines abstrakten Aussetzungsmaßstabs würde zur Folge haben, dass die Landgerichte noch schneller Verfahren aussetzen könnten, zumal die dann nur noch geforderte „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ kaum justiziabel wäre. Die Aussetzungsstreitigkeiten würde sich dann zwangsläufig in das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht verlagern, was zu erheblichen Verfahrenszögerungen führen würde.

Die angestrebte Lockerung des Gesetzgebers bei der Aussetzung der Ausgangsverfahren wird auch das von ihm angestrebte Ziel, die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren zu verringern (BT‑Drucks. 20/10942, 25, 35), offensichtlich verfehlen. Will der Gesetzgeber die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren verringern, muss er einen konkreten Abhängigkeitsmaßstab wählen, wie ihn die Rechtsprechung bereits vorgegebenen hat, damit nur solche Verfahren ausgesetzt werden, deren Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht konkret von den Feststellungszielen abhängt. Bei einem abstrakten Maßstab würden eher mehr als weniger Verfahren ausgesetzt werden (sofern der Kläger einen Antrag auf Aussetzung stellt, dazu sogleich), da die Voraussetzungen niedriger sind.

Will der Gesetzgeber das Musterverfahren „entschlacken“ (zu diesem trügerischen Gesetzgebungsziel s. Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1064), muss bereits auf der Ebene der Landgerichte – wie in anderen Zivilprozessen auch – frühzeitig die „Spreu vom Weizen getrennt“ werden. Es dürfen nur zulässige und schlüssige Ausgangsverfahren ausgesetzt werden, da nur deren Prozessparteien ein legitimes Interesse am Ausgang des Musterverfahrens haben. Nur dieses Regelungsmodell fördert die Effektivität der Streiterledigung bei kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren und wird dem Anspruch der Parteien auf effektiven Rechtsschutz gerecht.

Aussetzungsantrag nur noch vom Kläger

Weiter sieht die Beschlussempfehlung vor, dass nur noch der Kläger einen Aussetzungsantrag stellen kann (§ 10 Abs. 2 KapMuG-E). Der Beklagte soll keine Möglichkeit mehr haben, alle gegen sich gerichteten Verfahren, die von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen, zu bündeln. Seine Verteidigungsmöglichkeiten würden damit erheblich und ohne Sachgrund eingeschränkt. Als Begründung wird angeführt, mit dieser Regelung die „klägerische Dispositionsbefugnis über die Art und Weise der Rechtsverfolgung“ stärken zu wollen. Ein etwaiges Interesse des Beklagten, sich nur in einem einheitlichen Musterverfahren verteidigen zu müssen, trete dahinter zurück (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47).

Die mit dieser Änderung angestrebten vermeintlichen Rechtsschutzverbesserung für die Kläger wird allerdings in der Regel nicht erreicht werden, wenn einzelne Ausgangsverfahren parallel zum Musterverfahren geführt werden. Sofern es in den Parallelprozessen zumindest teilweise um identische Streitfragen geht, besteht – neben der Gefahr von widersprechenden Entscheidungen – das erhebliche Risiko paralleler Beweisaufnahmen in Parallel- und Musterverfahren. Denn der Sachverhalt müsste sowohl im Parallelprozess als auch im Musterverfahren ermittelt werden, so dass bei streitigen entscheidungserheblichen Tatsachen Beweis erhoben werden muss. Der Vorteil des Musterverfahrens liegt schließlich gerade in der einheitlichen Entscheidung über kollektive entscheidungserhebliche Streitfragen. Dieses Kernmerkmal des KapMuG-Modells würde mit der vorgesehenen Änderung weitgehend aufgegeben werden, da nicht einmal der Beklagte Verfahren, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, in einem Musterverfahren bündeln kann. Es droht eine Zersplitterung der kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren. Dies würde das Ziel einer effizienten Verfahrensführung und der Entlastung der Justiz geradezu konterkarieren. Es gilt stattdessen, Waffengleichheit zwischen Kläger und Beklagten herzustellen und beiden Seiten ein Antragsrecht auf Aussetzung des Verfahrens einzuräumen.

Vorlage von Beweismitteln

Gänzlich neu ist § 17 KapMuG-E, der die Vorlage von Beweismitteln regeln und eine Konkretisierung des Regelungsgedankens der §§ 142 ff. ZPO darstellen soll.  Die Regelung ist an § 33g GWB angelehnt (s. dazu Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 ff.).

Bei der prozessualen Dokumentenvorlage nach § 142 ZPO stellen die Gerichte hohe Anforderungen bezüglich der Identifizierung und des behaupteten Inhalts der vorzulegenden Dokumente; eine Ausforschung der Gegenpartei soll vermieden werden (Bünnigmann in Anders/Gehle, 82. Aufl. 2024, § 142 ZPO Rz. 8). Auch nimmt § 142 ZPO dem Kläger nicht seine allgemeine Darlegungs- und Substantiierungslast ab. Diese Grundsätze sollen auch beim neuen § 17 KapMuG-E gelten, wobei die Beweismittel so genau bezeichnet werden müssen, „wie dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist„.

Die Beschlussempfehlung will mit dieser Regelung die bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten angeblich bestehenden wechselseitigen Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten abbauen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 48). Dabei soll das Informationsinteresse des Antragstellers mit den Geheimhaltungsinteressen des Anspruchsgegners sorgfältig abgewogen und, sofern möglich, in einen Ausgleich gebracht werden. Dazu sieht § 17 Abs. 3 KapMuG-E eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. In diesem Spannungsfeld obliegt es dem um Auskunft ersuchten Unternehmen bzw. seiner Prozessbevollmächtigten, dessen berechtigten Schutzinteressen durchzusetzen. Vielfach wird auf die zu § 33g GWB entwickelten Grundsätze zurückzugreifen seien, wobei den kapitalmarktrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen wäre. Die neuen Regelungen zur Beweismittelbeschaffung werden – sofern sie denn überhaupt Eingang ins Gesetz finden – in künftigen Musterverfahren eine zentrale Rolle spielen und zu erheblichen (Neben-)Streitigkeiten mit entsprechenden Verfahrensverzögerungen führen. Warum ausgerechnet in kapitalmarktrechtlichen Haftungsstreitigkeiten größere Sachaufklärungsmöglichkeiten mit entsprechendem Ausforschungs- und Missbrauchspotential als in anderen Zivilrechtsprozessen bestehen sollen, ist nicht ersichtlich. Gerade das Ziel einer verbesserten Verfahrenseffizienz wird sicherlich nicht dadurch gefördert werden, dass nun auch im Kapitalmarkthaftungsrecht eine am US-Prozessrecht orientierte „Discovery light“ eingeführt wird.

Evaluation in fünf Jahren

Zu begrüßen ist demgegenüber die vorgesehene Evaluation des neuen KapMuG in fünf Jahren. Hier wird sich zeigen, ob die dann getroffenen Änderungen zielführend waren oder – wie hier vorhergesagt – dazu geführt haben, dass sich die Rahmenbedingungen für kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten nicht wesentlich verbessert haben.

Fazit

Der Bundestag hat das Reformgesetz noch vor der Sommerpause in der Sitzung am 13.6.2024 beschlossen, damit das derzeitige KapMuG zum 31.8.2024 nicht ausläuft. Der Bundesratsbeschluss steht noch aus; er kann in der Sitzung am 14.6.2024 oder am 5.7.2024 erfolgen. Die durch den Rechtsausschuss vorgeschlagenen Änderungen kommen sehr spät und sind überwiegend wenig zielführend, sondern vielmehr aus vielerlei Gründen hochproblematisch. Es steht zu befürchten, dass die vom Gesetzgeber angestrebte Verfahrensbeschleunigung mit diesen vorgeschlagenen Änderungen eher konterkariert als bestärkt wird.

KapMuG-Reform: Erste Lesung im Bundestag

Am 11.4.2024 fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (BT-Drucks. 20/10942) statt. Bundesjustizminister Buschmann brachte den Entwurf mit den aus den bisherigen Publikationen bekannten Argumenten ein. Das KapMuG soll über sein derzeitiges Verfallsdatum am 31.8.2024 unbefristet und neben den zwischenzeitlich geschaffenen Instrumenten der Verbandsklage beibehalten werden. Die Verfahren sollen allerdings beschleunigt werden. Die Stellung der Oberlandesgerichte im Musterverfahren soll gestärkt werden. Anders als bisher sollen solche Parteien, die sich nicht am Musterverfahren beteiligen wollen, nicht mehr ins Musterverfahren gedrängt werden (vgl. § 8 KapMuG vs. § 10 KapMuG-RegE). Schließlich sollen Musterverfahren schneller als herkömmliche Zivilverfahren digitalisiert werden.

Die anschließende Plenardebatte zeigte, dass die weitere Entwicklung des KapMuG in den Einzelheiten offenbleibt. Rednerinnen und Redner aller Fraktionen begrüßten zwar im Grundsatz die geplante Fortführung des KapMuG und die Bemühungen der Bundesregierung um Verfahrensbeschleunigung. Im Übrigen zeigte sich ein äußert buntes Bild von Redebeiträgen, in denen ganz unterschiedliche Themen behandelt wurden:

  • Vertreter der Unionsfraktion kritisierten zu viel gesetzgeberisches Klein-Klein und vermissten einen noch größeren Wurf, der insbesondere auch materiellrechtliche Themen (welche?) einschließen solle. Überdies sprach sich die Union für eine erneute Befristung des KapMuG und entsprechende Evaluierung aus. Einen Finger in eine offene Wunde legte die Kritik, dass nach derzeitigem Stand nur das erstinstanzliche Musterverfahren beschleunigt digitalisiert werden soll.
  • Die SPD-Fraktion befürwortete, dass Kapitalanlegermusterverfahren weiterhin neben den neu eingeführten Verbandsklagen zulässig sein sollte. Sie sprach sich dafür aus, die zwangsweise Aussetzung von Ausgangsverfahren nach § 8 KapMuG beizubehalten, weil nur dies unzählige Parallelprozess vermeide. Im Übrigen sprach sich die SPD losgelöst vom Verfahrensrecht im engeren Sinne auch dafür aus, eine Ausweitung des § 33g GWB, also des Anspruchs auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften, für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten zu erwägen.
  • Im zuletzt genannten Punkt pflichtete die Rednerin von Bündnis 90/Die Grünen der SPD-Vertreterin zu. Sie regte ferner an, der Gesetzgeber möge die strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zum Maß der erforderlichen Abhängigkeit des Ausgangsrechtsstreits vom Musterverfahren (gemeint war wohl der Beschluss des BGH v. 30.4.2019 – XI ZB 13/18, ZIP 2019, 1615 m. Komm. Dörrscheidt/Hettenbach, EWiR 2019, 585; s. dazu auch Klöhn/Zell, ZIP 2024, 321) gesetzgeberisch lockern.

Bei einer solchen Bandbreite der Wortbeiträge, die von Details des Verfahrensablaufs über den zentralen Dreh- und Angelpunkt des kollektiven Rechtsschutzes (Opt-In oder nicht?) bis hin zum materiellen Recht gehen, kann der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nur mit Spannung erwartet werden.

Zukunftsfinanzierungsgesetz: Änderungen im Parlament

Nach dem Eckpunktepapier vom Juni 2022 (s. etwa Kuthe, AG 2022, R208), dem Referentenentwurf vom April 2023 (dazu u.a. Harnos, AG 2023, 348; Joser, ZIP 2023, 1006; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 1077) und dem Regierungsentwurf vom August 2023 (hierzu u.a. Kuthe/Reiff, AG 2023, R308; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292) hat der Bundestag am 17.11.2023 das Zukunftsfinanzierungsgesetz beschlossen und dabei einige Änderungen vorgenommen, die auf Vorarbeiten des Finanzausschusses zurückgehen (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363). Nun steht das ZuFinG auf der Tagesordnung der 1038. Bundesratssitzung am 24.11.2023 (TOP 58). Die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf werden im Folgenden dargestellt.

Aktienrecht

Die Neuregelungen der Mehrstimmrechtsaktie, eAktie und SPACs haben das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren weitgehend unverändert verlassen. Die Änderungen, die der Finanzausschuss angestoßen hat, sind redaktioneller Natur:

  • Die Neuregelung in § 67 Abs. 1 Satz 7 AktG, der eine Informationsversorgung von Emittenten elektronischer Aktien sicherstellen soll (hierzu Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 109 f.), wird auf § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG i.d.F. des MoPeG erstreckt. Damit sollen Emittenten elektronischer Aktien auch mit Informationen über Aktionäre, die eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft sind, versorgt werden (s. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung).
  • Im Vergleich zum Regierungsentwurf neu gefasst wurde § 12 Satz 2 AktG. Die Mehrstimmrechtsaktien sind darin nun vor den Vorzugsaktien genannt, was ausweislich des Ausschussberichts deutlich machen soll, dass die Mehrstimmrechtsaktie keine Unterart der Vorzugsaktie ist (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung; zur anderweitigen Deutung des § 12 Satz 2 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG s. von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292). Nach § 135a Abs. 4 AktG n.F. berechtigen – und nicht berechtigten – die Mehrstimmrechtsaktien bei Beschlüssen nach § 119 Abs. 1 Nr. 5, § 142 Abs. 1 AktG zu nur einer Stimme. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 WpHG n.F., der an § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG n.F. angelehnt ist, muss der Inlandsemittent bei einer Zu- oder Abnahme von Stimmrechten die Gesamtzahl der Stimmrechte unter Angabe der auf diese entfallenden Anzahl von Mehrstimmrechten veröffentlichen.

Auch im Bereich des Kapitalerhöhungsrechts bleiben einige Elemente des Regierungsentwurfs erhalten: Der Bundestag hat es bei der Anhebung der Wertgrenzen in § 186 Abs. 3 Satz 4, § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG n.F. belassen (dazu statt vieler Harnos, AG 2023, 348 Rz. 17 ff.) und auch nicht den Riegel des § 202 Abs. 1 Satz 2 AktG n.F. entfernt, wonach die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien nicht im Rahmen des genehmigten Kapitals vorgesehen werden kann (hierzu etwa Kuthe/Reiff, AG 2023, R308, R309; von der Linden/T. Schäfer, DB 2023, 2292, 2293). Größere Anpassungen inhaltlicher Art hat das parlamentarische Verfahren im Kontext des Wertverwässerungsschutzes gem. §§ 255 ff. AktG n.F. nach sich gezogen. Die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, die im Wesentlichen den Vorschlägen von Bungert/Strothotte, DB 2023, 2422, 2424 entsprechen, verringern aus der Perspektive der Emittenten und Inferenten die Hürden und Risiken bei Sachkapitalerhöhungen, führen aber auch zu einer spürbaren Absenkung des Aktionärsschutzniveaus:

  • Nach § 255 Abs. 2 und 4 AktG n.F. sollen die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre auch in Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses i.S.d. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG n.F. weder den Kapitalerhöhungsbeschluss anfechten noch einen Barausgleich verlangen können. Dies soll augenscheinlich auch dann gelten, wenn der Börsenkurs – dem der Wert der neu geschaffenen Aktien gem. § 255 Abs. 5 Satz 1 AktG n.F. grundsätzlich entsprechen muss – gem. § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG n.F., also bei Verletzung der Ad-hoc Pflicht (Nr. 1), Marktmanipulation (Nr. 2) oder Marktenge (Nr. 3), nicht allein maßgeblich ist und deshalb eine Unternehmensbewertung durchgeführt werden muss.
  • Überdies ist § 255 Abs. 4 Satz 3 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG weggefallen. Die Vor-schrift sah einen Freistellungsanspruch der gem. § 255 Abs. 4 Satz 2 AktG i.d.F. des RegE ZuFinG barausgleichspflichtigen Gesellschaft gegen den neu eintretenden Aktionär vor.

Investmentrecht

Gemäß §§ 231, 260b, 261, 284 KAGB i.d.F. des RegE ZuFinG sollten Immobilienfonds zu Investitionen in Grundstücke ermächtigt werden, auf denen sich ausschließlich Erneuerbare-Energien-Anlagen befinden oder auf denen solche Anlagen alsbald errichtet werden sollen (Freiflächenanlagen). Zudem sollte die Zulässigkeit von Erwerb und Betrieb von mit Immobilien verbundenen Erneuerbare-Energien-Anlagen (Aufdachanlagen) und Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sowie von Direktinvestitionen in Erneuerbare-Energien-Anlagen durch Infrastrukturfonds klargestellt werden. All diese Regelungen, die die Energiewende durch privates Kapital ankurbeln sollten (s. Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 154 ff.), wurden auf Vorschlag des Finanzausschusses gestrichen (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung). Die Koalitionsfraktionen haben aber zu Protokoll erklärt, dass die Erweiterung der Investmentoptionen für Immobilienfonds im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 aufgegriffen werden soll (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 106 – Vorabfassung).

Bank- und Kapitalmarktrecht

Im Bereich des Crowdfunding hat der Bundestag die Neufassung der Regelungen über die Haftung für Angaben im Anlagebasisinformationsblatt in §§ 32c ff. WpHG, die namentlich auf Vermeidung der persönlichen Geschäftsleiteraußenhaftung bei Crowdfunding-Plattformbetreibern abzielen (im Einzelnen Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, S. 94), mit der neuen Übergangsregelung in § 143 WpHG flankiert. Damit hat er den zeitlichen Geltungsbereich der reformierten Haftungsvorschriften auf Fälle erstreckt, in denen das fehlerhafte Anlagebasisinformationsblatt vor dem Inkrafttreten des ZuFinG erstellt, der Crowdfunding-Vertrag aber nach dem Inkrafttreten abgeschlossen wurde (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 127 – Vorabfassung).

In Umsetzung des Koalitionsvertrags (vgl. dort S. 135) hat der Bundestag das Koppelungsverbot des § 492a BGB in einem neuen Abs. 1a auf Fälle erstreckt, in denen der Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags vom Abschluss eines Restschuldversicherungsvertrags abhängig gemacht wird (BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 126 – Vorabfassung). Flankiert wird diese Regelung durch die Neufassung des § 7a Abs. 5 VVG: Künftig darf ein Versicherer einen Restschuldversicherungsvertrag, der sich auf einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag bezieht, nur dann abschließen, wenn der Versicherungsnehmer die Vertragserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags abgegeben hat (im Einzelnen BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 131 – Vorabfassung). Etwaige Verstöße gegen die neuen Verbotsgesetze führen nach § 492a Abs. 2 BGB n.F., § 7a Abs. 5 Satz 2 VVG n.F. zur Nichtigkeit des Restschuldversicherungsvertrags, nicht aber des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags.

Mit den Änderungen der §§ 16 ff. ZKG n.F. wird das Konzept des zertifizierten privaten Betriebs von Vergleichswebseiten über Zahlungskontenentgelte aufgegeben. Künftig wird ausschließlich die BaFin eine Vergleichswebseite betreiben (vgl. auch BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung).

Die Bereichsausnahme für die AGB-Kontrolle in der Finanzbranche in § 310 Abs. 1a BGB n.F. wurde minimalinvasiv geändert: Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 1a Satz 1 BGB i.d.F. des RegE ZuFinG sollte die Bereichsausnahme eingreifen, wenn ein Vertragspartner eine Finanzdienstleistung i.S.d. § 310 Abs. 1a Satz 2 BGB n.F. rechtmäßig gewerbsmäßig tätigt. Nunmehr soll es darauf ankommen, ob der Vertragspartner die Finanzdienstleistung rechtmäßig gewerbsmäßig tätigen kann. Überdies wird der Kreis privilegierter Unternehmen in § 310 Abs. 1a Satz 4 Nr. 5 BGB n.F. auf Zentralbanken der EWR-Staaten und des Vereinigten Königreichs erweitert (s. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 126 – Vorabfassung).

Steuerrecht

Der Regierungsentwurf wollte die Leistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten von der Umsatzsteuer befreien, um die Rahmenbedingungen für Konsortialführer an den Standard in den anderen EU-Mitgliedstaaten anzugleichen (Begr. RegE ZuFinG, BT-Drucks. 20/8292, 133), und schlug eine entsprechende Erweiterung des Ausnahmekatalogs in § 4 Nr. 8 UStG vor. Der Bundestag hat diese steuerlichen Erleichterungen für die Kreditbranche wegen der potenziellen finanziellen Auswirkungen und der angespannten Haushaltslage gestrichen (zum Entfall der Steuermindereinnahmen i.H.v. 100 Mio. € vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 130 – Vorabfassung). Spielte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 insoweit eine zentrale Rolle?

Überdies wollte die Ministerialbürokratie im Zuge des Zukunftsfinanzierungsgesetzes einige Hebel im Steuerrecht bewegen, um die Anreize für Aktieninvestitionen zu erhöhen (hierzu etwa Lay/Neubauer/Schäfer, AG 2023, R156 ff.): Bei Mitarbeiterkapitalbeteiligung sollte die Regelung zur Lösung des Dry-Income-Problems in § 19a EStG verbessert werden. Außerdem sollte der Freibetrag in § 3 Nr. 39 EStG i.d.F. des RegE ZuFinG von 1.440 € auf 5.000 € pro Kalenderjahr angehoben werden.

Der Bundestag hat die Dry-Income-Regelung nachjustiert. Nach § 19a Abs. 1 Satz 3 EStG n.F. gilt ein nicht steuerbarer Vorteil i.S.d. § 19a Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. auch dann als zugeflossen, wenn es dem Arbeitnehmer rechtlich unmöglich ist, über die Vermögensbeteiligung zu verfügen. Mit dieser begrüßenswerten Änderung hat das Parlament auf den Umstand reagiert, dass Mitarbeiter von Start-ups in aller Regel mit vinkulierten Anteilen vergütet werden, was nach § 19a EStG a.F. dazu führte, dass sie nicht in den Genuss der aufgeschobenen Besteuerung kamen (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 129 – Vorabfassung). Diese Änderung dürfte in der Tat die Aktienkultur fördern. Gegenläufig könnten sich indes weitere Änderungen des Einkommensteuerrechts gegenüber dem Regierungsentwurf auswirken:

– Die Nachversteuerungsfrist des § 19a Abs. 4 EStG wurde im Vergleich zum Regierungsentwurf von 20 auf 15 Jahre verkürzt.

– Die Konzernklausel, die noch in § 19a Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des RegE ZuFinG vorgesehen war, ist weggefallen. Damit genießen Arbeitnehmer, die nicht mit Anteilen des Arbeitgebers, sondern eines Konzernunternehmens i.S.d. § 18 AktG vergütet werden, keine steuerliche Privilegierung nach § 19a EStG.

– Der Freibetrag in § 3 Nr. 39 EStG wird auf lediglich 2.000 € angehoben. Auch insoweit könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 eine gewisse Rolle gespielt haben (zum Wegfall der Steuermindereinnahmen i.H.v. 225 Mio. € durch Absenkung des Freibetrags gegenüber dem Regierungsentwurf vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 129 – Vorabfassung).

Schließlich wird die Einkommensgrenze bei der Arbeitnehmer-Sparzulage für die Anlage der vermögenswirksamen Leistungen in Vermögensbeteiligungen und Bausparverträge nach § 13 Abs. 1 Satz 1 5. VermBG verdoppelt (40.000 € statt 20.000 € bei Einzelveranlagung und 80.000 € statt 40.000 € bei Zusammenveranlagung, vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG, BT-Drucks. 20/9363, 132 – Vorabfassung).

Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

Am 12.4.2023 haben das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium der Justiz den Referenzenentwurf eines Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG) veröffentlicht, dessen Eckpunkte bereits am 29.6.2022 präsentiert wurden (dazu etwa Kuthe, AG 2022, R208). Das Gesetz verfolgt das Ziel, den Kapitalmarkt moderner und leistungsfähiger werden zu lassen, um mehr privates Kapital für Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren und den privaten Vermögensaufbau zu unterstützen (s. RefE ZuFunG, S. 1, 53 ff.). Im Folgenden finden Sie einen ersten Überblick über die Inhalte des Gesetzes.

Aktienrecht

Zahlreiche Vorschläge im Entwurf haben das Aktienrecht zum Gegenstand (s. dazu ausführlich Harnos, AG0054414):

  • Wie im Koalitionsvertrag der „Ampel“ angekündigt, soll die elektronische Aktie eingeführt werden. Dabei soll nicht nur der Anwendungsbereich des eWpG erweitert werden (s. § 1 eWpG-E und RefE ZuFinG, S. 106 ff., auch zu weiteren Änderungen des eWpG). Vielmehr sollen die Neuregelungen im eWpG durch Änderungen des Aktiengesetzes und des Depotgesetzes flankiert werden (s. § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Abs. 6 AktG-E, § 13 Satz 4 AktG-E, § 67 Abs. 1 AktG-E und RefE ZuFinG, S. 91 ff.; zum Depotrecht Art. 14 ZuFinG-E und RefE ZuFinG, S. 106).
  • Ebenfalls im Koalitionsvertrag wurzeln die Regelungen zur Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktie (hierzu aus neuerer Zeit etwa Casper, ZHR 187 [2023], 5, 17 ff.; Nicolussi, AG 2022, 753 ff.): Einerseits soll § 12 Abs. 2 AktG gestrichen werden. Andererseits sollen im neuen § 134 Abs. 2 AktG-E die Rahmenbedingungen für die Emission von Mehrstimmrechtsaktien geschaffen werden. Ergänzt werden die Vorschläge, die im Kontext des Entwurfs einer Mehrstimmrechtsaktien-RL zu lesen sind (dazu etwa Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; Harnos, Blog-Beitrag vom 1.3.2023; Kuthe, AG 2023, R28, R29), durch Anpassungen des § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG (Angaben im HV-Teilnehmerverzeichnis), § 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG (Feststellung über die Beschlussfassung in börsennotierten Gesellschaften) und § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG (Transparenz in Bezug auf Mehrstimmrechtsaktien). Schließlich sollen Mehrstimmrechtsaktien auch ins eWpG Eingang finden (vgl. RefE ZuFinG, S. 107).
  • Im Kapitalerhöhungsrecht sollen zum einen die Regelungen über den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss und das genehmigte Kapital liberalisiert werden: Die in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vorgesehene Kapitalgrenze und die Höchstbeträge in § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG sollen angehoben werden (im Einzelnen RefE ZuFinG, S. 100 ff.). Zum anderen schlägt der Entwurf eine Neukonzeption des Wertverwässerungsschutzes in § 255 AktG vor. Die derzeit geltende Anfechtungslösung in § 255 Abs. 2 AktG soll durch eine Ausgleichslösung ersetzt und durch eine Erweiterung des SpruchG flankiert werden (s. § 255 Abs. 2–6 AktG-E und RefE ZuFinG, S. 103 ff.). Dabei soll der Unternehmenswert bei börsennotierten Gesellschaften anhand des durchschnittlichen Börsenkurses bemessen werden (s. § 255 Abs. 4 AktG-E, der sich an die Delisting-Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG anlehnt; vgl. dazu RefE ZuFinG, S. 104 f.).
  • Im neuen Abschnitt 4a des Börsengesetzes sollen Regelungen über Börsenmantelgesellschaften (SPACs) geschaffen werden (s. §§ 44 ff. BörsG und RefE ZuFinG, S. 85 ff.), die das – nach § 44 Abs. 7 BörsG-E BörsG subsidiär geltende – Aktienrecht in vielerlei Hinsicht modifizieren.
  • Schließlich soll die Regelung zum Nachweisstichtag in § 123 AktG präzisiert werden (s. RefE ZuFinG, S. 96).

Kapitalmarktrecht

Auch das Kapitalmarktrecht soll an einigen Stellen angepasst werden:

  • Die Voraussetzungen für die Börsenzulassung sollen durch eine Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BörsZulVO moderat erleichtert werden: Der voraussichtliche Kurswert der zuzulassenden Aktien soll von mindestens 1,25 Mio. € auf mindestens 1 Mio. € herabgesetzt werden (s. RefE ZuFinG, S. 78).
  • Um die Senkung der Zulassungskosten für die Emittenten zu ermöglichen, soll der neue § 32 Abs. 2a BörsG den Börsen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Zulassungsvoraussetzungen in Teilbereichen des regulierten Marktes gewähren (s. RefE ZuFinG, S. 85); flankiert wird diese Änderung durch eine Anpassung des § 8 Satz 3 WpPG (s. RefE ZuFinG, S. 84).
  • Die Haftungsvorschriften für Schwarmfinanzierungsdienstleister in §§ 32c, 32d, 32e WpHG sollen an die Parallelregelungen in §§ 11, 13 WpPG, § 22 VermAnlG angeglichen werden (s. RefE ZuFinG, S. 80).
  • Sicherlich zur Freude des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sollen die Möglichkeiten der offenen Immobilienfonds, Infrastrukturfonds und Spezialfonds mit festen Anlagebedingungen, im Bereich des Grundstückserwerbs und des Betriebs von Energieanlagen zu investieren, erweitert werden, um die Energiewende mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu flankieren (s. die Änderungen der §§ 231, 260b KAGB und RefE ZuFinG, S. 56, 137 ff.).
  • Im Blickfeld des Referentenentwurfs liegt auch WpÜG, das an einigen Stellen geändert werden soll (s. RefE ZuFinG, S. 80 ff.). Insbesondere soll die Kommunikation mit der BaFin künftig ausschließlich elektronisch erfolgen (s. §§ 36, 37, 45 WpÜG-E).

Recht der Finanzmarktaufsicht

  • Elektronische Behördenkommunikation ist ferner Gegenstand der § 16m FinDAG-E, § 5 KWG-E, § 310a VAG-E, §§ 7b, 53, 223 KAGB-E, §§ 4a, 10, 11, 19, 25, 26, 34, 38, 39, 60, 61 ZAG-E und § 42a SAG-E.
  • Die Kommunikation mit der BaFin soll künftig auch in englischer Sprache geführt werden dürfen (s. § 4j FinDAG-E, § 19 Abs. 5a KAGB-E, § 10 Markzugangsangaben-VO-E, § 41 Abs. 1a SAG-E, § 2 Abs. 3 Inhaberkontroll-VO-E).
  • Im KWG sollen Vorgaben zur Kryptoverwahrung (schon mit Blick auf die MiCAR, s. RefE ZuFinG, S. 55 und 119 f.) und Regelungen zur DLT-Pilotregelung nach der Verordnung (EU) 2022/858 eingeführt werden (s. RefE ZuFinG, S. 121 f.). Die DLT-Pilotenregelung ist auch Gegenstand der §§ 78a ff. WpIG (s. RefE ZuFinG, S. 135 f.).

Zahlungsdiensterecht

  • Um die Vorgaben des Art. 106 PSD II eindeutig umzusetzen, soll der neue § 62a ZAG die Regelungen über die kollektive Verbraucherinformation gesetzlich verankern (s. RefE ZuFinG, S. 135).
  • Die Vorschriften über den Betrieb von Vergleichswebsites für Zahlungskonten in §§ 16 ff. ZKG sollen ergänzt werden (s. RefE ZuFinG, S. 128 ff.).

Steuerrecht

  • Die Änderungen des Einkommensteuerrechts und des Vermögensbildungsgesetzes sollen Anreize für die Investition in Aktien verbessert werden (s. RefE ZuFinG, S. 109 ff. und S. 142).
  • Um eine Wettbewerbsgleichheit mit anderen EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sollen die deutsche Kreditwirtschaft und die Investmentfonds durch Anpassungen des Umsatzsteuergesetzes entlastet werden (s. RefE ZuFinG, S. 113 f.).

AGB-Recht

Last but not least: Ein neuer § 310 Abs. 1a BGB soll die AGB-Inhaltskontrolle der Geschäfte im bank- und kapitalmarktrechtlichen Bereich einschränken (s. dazu RefE ZuFinG, S. 76 ff.; im Vorfeld des Entwurfs etwa Casper, ZHR 187 [2023], 5, 8 ff.).

Ausblick

Für die diskussionsfreudige unternehmensrechtliche Community ist der Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes ein verspätetes Ostergeschenk. Die „Aktiengesellschaft“ wird die Debatte um das Zukunftsfinanzierungsgesetz aktiv begleiten.