EU-Lieferkettengesetz – Einigung im Trilog zwischen Rat und Parlament über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive – CSDDD)

Nach dem Vorbild einzelner Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland) hat die EU-Kommission bereits am 23.2.2022 einen Vorschlag für eine große, sektorübergreifende Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final), der einerseits deutlich über die nationalen Vorbilder wie das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (LkSG) hinausging und deshalb auf ein überaus kritisches Echo aus den Reihen der Wirtschaft gestoßen ist, andererseits aber großen Teilen des Europäischen Parlaments und den in Brüssel durchaus einflussreichen „Akteuren der Zivilgesellschaft“ zu unambitioniert erschien. Die damit notwendigen Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament, die sich zunächst durchaus zäh gestalteten, sind nunmehr am 14.12.2023 mit einer vorläufigen Einigung erfolgreich abgeschlossen worden (knappe Pressemitteilung des Rates „Corporate Sustainability Due Diligence: Council and Parliament strike deal to protect environment and human rights“; zusätzliche Informationen in der gemeinsamen Pressekonferenz von Lara Wolters, Berichterstatterin für das Parlament, Justizkommissar Didier Reynders, und dem Spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés).

Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über Ziele und Mechanik der CSDDD die wesentlichen Parameter der Trilog-Einigung vorgestellt.

Gegenstand

Wie französisches loi de vigilance und deutsches LkSG zielt auch die CSDDD darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Verhalten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und Unternehmensführung von Unternehmen (stärker) zu verankern. Unternehmen sollen potenzielle negative Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, insbesondere auch in ihren Lieferketten innerhalb und außerhalb Europas. Wie in den nationalen Lieferkettengesetzen liegt der Schwerpunkt der CSDDD damit in der Inpflichtnahme von Unternehmen für die Sicherstellung menschenrechtskonformen und umweltverträglichen Handelns nicht nur innerhalb ihres eigenen unmittelbaren Verantwortungsbereichs, sondern auch auf Ebene ihrer Lieferanten. Der ordnungspolitische Gleichlauf von Haftung und Herrschaft wird also bewusst suspendiert. Hierzu legt die CSDDD Pflichten großer Unternehmen hinsichtlich tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte für ihre Lieferkette fest. Auf Drängen des Parlaments erstrecken sich die Sorgfaltspflichten dabei nicht allein auf die Lieferkette (supply chain) im engeren Sinne, also praktisch die Beschaffungsseite, sondern teilweise auch auf nachgelagerte Aktivitäten des Unternehmens, etwa Recycling sowie auch vor allem den Vertrieb. Die Instrumente, mit denen diese Zielsetzungen umgesetzt werden (sollen), entsprechen im Ausgangspunkt denen des deutschen LkSG, also die Statuierung von Sorgfaltspflichten, deren Einhaltung insbesondere durch Risikoanalyse und Lieferketten-Risikomanagement realisiert werden soll.

Erfasste Unternehmen, Ausklammerung des Finanzsektors

Zu den zwischen Rat und Parlament, aber auch in der allgemeinen politischen Debatte besonders kontrovers diskutierten Punkten gehörte von Beginn an die Reichweite bzw. der Anwendungsbereich der anspruchsvollen Richtlinie. Nach dem Trilog-Kompromiss sind die neuen Pflichten grundsätzlich von EU/EWR-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. € zu beachten, womit der allgemeine Schwellenwert des ursprünglichen Kommissionsentwurfs übernommen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a) CSDDD-E). Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen den Vorgaben hingegen (nur) dann, wenn sie EU/EWR-weite Umsätze von 300 Mio. € realisiert haben. Noch weitergehenden Forderungen nach einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der CSDDD, der bereits in der Kompromissfassung deutlich über den des LkSG hinausreicht, haben sich Kommission und Rat mit der Erwägung verschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den voraussichtlich nicht unerheblichen Bürokratiekosten einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Richtlinie freizuhalten. Soweit KMU mittelbar – d.h. als Teile der Lieferkette CSDDD-verpflichteter großer Unternehmen – mit den weitreichenden Sorgfaltspflichten konfrontiert sind, hat die Kommission zudem angekündigt, durch Guidance – etwa in Form von Technical Standards – unterstützen zu wollen.

Nach der allerdings etwas uneinheitlichen Kommunikation von Rat und Parlament bis auf Weiteres ausgeklammert bleiben soll der Finanzsektor. Dies bedarf der Konkretisierung. Für die eigene, typischerweise wirtschaftlich nicht zentrale Lieferkette im eigentlichen Sinne („upstream“) haben auch Unternehmen des Finanzsektors bei Überschreiten der Größenkriterien die entsprechenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Womit sich das Parlament hingegen vorläufig nicht durchzusetzen vermocht hat, ist die „Wertschöpfungskette“ (value chain) des Finanzsektors insgesamt, d.h. auch „downstream“ zu erfassen, also praktisch Kredit- und Portfolioentscheidungen gleichfalls dem Pflichtenregime der CSDDD zu unterstellen. Das Parlament betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch für den Finanzsektor die Verpflichtung gilt, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, wovon man sich ersichtlich zumindest mittelbare Effekte für Kreditvergabe und Asset Management erhofft.

Schädliche Umweltauswirkungen

Nach Art. 7 Abs. 1 CSDDD i.d.F. des Kommissionsentwurfes haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder, falls sie nicht oder nicht unmittelbar vermieden werden können, zumindest angemessen abzuschwächen. Hinsichtlich des bis zuletzt umstrittenen Begriffs der schädlichen Umweltauswirkungen sieht die Einigung nunmehr vor, dass unter Umweltauswirkung in diesem Sinne jede messbare Umweltverschlechterung wie schädliche Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzung, schädliche Emissionen oder übermäßiger Wasserverbrauch oder andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu verstehen ist.

Emissionsreduktionsplan (Climate Transition Plan)

Ersichtlich ein Alleinstellungsmerkmal der CSDDD ist die weitere Verpflichtung erfasster Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, der sicherstellen soll, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind (Art. 15 Abs. 1 CSDDD-E). In diesem Zusammenhang soll auch die Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane u.a. davon abhängen, ob ein entsprechender Emissionsreduzierungsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Sanktionen

Praktisch nach dem mittlerweile bekannten Sanktionsmodell der Europäischen Union sieht die Trilog-Einigung für Verstöße gegen die Richtlinie zunächst am Umsatz orientierte Bußgelder vor, die eine Höhe von maximal 5% des Nettoumsatzes des Unternehmens erreichen können. Wie der Rekurs auf den Begriff des Unternehmens offenbart, ist Berechnungsgrundlage dabei der Umsatz der Gruppe und nicht etwa der Einzelgesellschaft, die für einen bußgeldbewährten Verstoß verantwortlich zeichnet. Mit 5% des Nettoumsatzes geht die Richtlinie deutlich über die umsatzbezogenen Bußgelder gem. § 24 Abs. 3 LkSG (bis zu 2%) hinaus.

Anders als das LkSG sieht die CSDDD zudem ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen vor. „Betroffene“ können innerhalb einer Frist von fünf Jahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Einigermaßen fragwürdig ist, dass als Betroffene nicht nur Gewerkschaften, sondern – hinreichend unspezifisch – auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ klagebefugt sein sollen. Die traditionellen und durchaus nicht unbegründeten Vorbehalte gegen Popularklagen scheint man in Brüssel ersichtlich nicht (mehr) zu teilen. Auch bei der Darlegungs- und Beweislast will der Trilog-Kompromiss „Anwälten der Öffentlichkeit“ deutlich entgegenkommen.

Als weitere Sanktion können Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten gemäß CSDDD schließlich mit einem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren geahndet werden. Dies spiegelt letztlich § 22 LkSG, der gleichfalls bei Verstößen einen Ausschluss bei der Berücksichtigung öffentlicher Aufträge vorsieht.

Stakeholder-Beteiligung

Von der CSDDD erfasste Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, als Bestandteil des Due-Diligence-Prozesses eine sinnvolle Beteiligung (meaningful engagement), einschließlich eines Dialogs und einer Konsultation mit den „betroffenen Interessengruppen“ durchzuführen. Dies dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass Unternehmen neben ihren Arbeitnehmern im Einzelfall auch mehr oder weniger legitimierte NGO – wie etwa „environmental defenders“ (Lara Wolters) – konsultieren müssen.

Ausblick

Da die Trilog-Verhandlungen als informelles Verständigungsverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten, müssen die Institutionen im nächsten Schritt die Ergebnisse des Kompromisses formell annehmen. Im Anschluss sind die Mitgliedstaaten zur Überführung in nationales Recht verpflichtet, wobei der Kommissionsentwurf hierfür zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD einräumt (vgl. Art. 30 CSDDD-E). Ob das europäische Lieferkettenregime den großen Erwartungen seiner Befürworter gerecht zu werden vermag oder sich in einer schematisch ablaufenden Auditierungsübung („check the box“ mittels Länder-Clustern etc.) erschöpfen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Der Vorschlag der Kommission ist insoweit recht großzügig und sieht eine Evaluierung des neuen Regimes erst sieben Jahre nach Inkrafttreten und damit fünf Jahre nach Umsetzung in nationales Recht vor.

Say on Climate

ESG als globaler Trend

Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).

All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?

Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen

Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.

Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen

Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.

A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.

Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage,  inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.

Weitere Konkretisierung der Green Taxonomy

Die delegierte Verordnung (EU) vom 4.6.2021 dient der Ergänzung der Taxonomie-Verordnung ((EU) 2020/852), die im Juli 2020 in Kraft getreten ist. Mit der nun vorliegenden delegierten Verordnung einer Klimataxonomie sollen weitere Kriterien festgelegt werden, um den Begriff der „ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit“ für die ersten zwei der insgesamt sechs Umweltziele zu definieren (Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz).

Besondere Bedeutung erlangt die delegierte Verordnung unter anderem für Unternehmen, die zur Veröffentlichung der nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet sind. Diese müssen nach Art. 8 Abs. 2 der Taxonomie-Verordnung angeben, wie hoch der Anteil der Umsatzerlöse ist, der mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden ist, sowie die Höhe des Anteils der Investitions- und gegebenenfalls der Betriebsausgaben, die mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind.

Bezogen auf die Berichtspraxis sollen für das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“ beispielsweise nur Investitions- und Betriebsausgaben geltend gemacht werden, wenn die Tätigkeit klimaresilient ausgeführt wird. Für Umsatzerlöse würde dies aber nicht der Fall sein. Ähnliches wie bei den Betriebsausgaben soll für Wirtschaftstätigkeiten gelten, die den technischen Bewertungskriterien für einen „wesentlichen Beitrag“ im Sinne der Taxonomie-Verordnung noch nicht erfüllen, aber das Unternehmen bereits einen Investitionsplan festgelegt hat, um die Kriterien innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen. Dann können die Ausgaben als taxonomiekonform angerechnet werden. Für die Anrechnung der Umsatzerlöse muss eine Tätigkeit die Kriterien allerdings unmittelbar erfüllen.

Die technischen Bewertungskriterien für das Umweltziel „Klimaschutz“ werden in

Art. 1 i.V.m. Anhang I der EU-Klimataxonomie festgelegt. Art. 2 i.V.m. Anhang II der EU-Klimataxonomie umfasst die technischen Bewertungskriterien für das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“. In einem ersten Schritt betreffen die von der Europäischen Kommission entwickelten Kriterien nur bestimmte, für den Klima- und Umweltbereich besonders relevante Sektoren bzw. Wirtschaftstätigkeiten. Dazu zählen:

  • Forstwirtschaft
  • Tätigkeiten in den Bereichen Umweltschutz und Wiederherstellung
  • Verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren
  • Energie
  • Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen
  • Verkehr
  • Baugewerbe und Immobilien
  • Information und Kommunikation
  • Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen.

Die delegierte Verordnung, die demnächst ausführlicher im AG-Report dargestellt wird, ist Ende Mai förmlich angenommen worden. Sie wird am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung der EU-Klimataxonomie im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten und soll ab dem 1. Januar 2022 gelten. Für die weiteren vier Umweltziele ist vorgesehen, zeitnah auch eine delegierte Verordnung zu veröffentlichen. Die Anforderungen für diese Umweltziele sollen dann ab dem 1. Januar 2023 gelten.