Vermittlungsausschuss: Sog. unechtes Vermittlungsergebnis zum Wachstumschancengesetz

Am 21.2.2024 hat der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat getagt und unter anderem über das Wachstumschancengesetz beraten. Am Ende der Verhandlungen gab es ein sog. unechtes Vermittlungsergebnis. Zwar konnte der im Vorfeld erarbeitete Kompromiss, der nur noch ein Entlastungsvolumen von 3,2 Mrd. € beinhaltet, mit einer Mehrheit der Stimmen beschlossen werden, allerdings ohne die Stimmen der CDU- und CSU-Mitglieder in diesem Gremium. Das Ergebnis bedarf nun aber im weiteren Verfahren noch der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Sollte also die Zustimmung von CDU/CSU im Bundesrat ausbleiben, kann eine erneute Beratung im Vermittlungsausschuss erforderlich werden. Die Unionsparteien machen ihre Zustimmung weiterhin davon abhängig, dass die Ampelkoalition die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel rückgängig macht.

Das Vermittlungsergebnis lässt sich nur im Abgleich mit dem Bundestagsbeschluss vom 17.11.2023 (vgl. Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses des Bundestags) analysieren. Die wesentlichen Änderungen gegenüber dem Bundestagsbeschluss vom 17.11.2023 können wie folgt zusammengefasst werden:

Bereits im Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzte und nur deshalb nicht mehr im Gesetz enthaltene Maßnahmen:

› Steuerliche Anpassungen der Abgabenordnung (AO) und anderer Gesetze an das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) einschließlich der befristeten Fortschreibung des Status Quo in der Grunderwerbsteuer.

› Reform und Anpassung der Zinsschranke im Zuge der ATAD-Umsetzung (§ 4h EStG, § 8a KStG).

› Verzicht auf die Besteuerung der Soforthilfe Dezember 2022 (Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz – EWSG).

› Anpassung der Vorsorgepauschale (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Buchst. c EStG).

› Datenaustausch der Kranken- und Pflegeversicherung: Die Einführung des neuen Verfahrens wurde um zwei Jahre verschoben. Neuer Starttermin ist der 01.01.2026 (§ 52 Abs. 36 Satz 3 und 4 EStG).

Mangels Einigung aus dem Gesetz gestrichene Maßnahmen:

› Einführung einer steuerlichen Investitionsförderung in Ergänzung zu den bestehenden Projektförderungen für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in Höhe von 15 % der begünstigten Aufwendungen.

› Mitteilungspflichten in Bezug auf innerstaatliche Steuergestaltungen.

› Erweiterung des Verlustrücktrags auf drei Jahre sowie Anhebung des Höchstbetrags auf 10 Mio. € bzw. 20 Mio. € ab dem 01.01.2024 bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2025. Ab dem Veranlagungszeitraum 2026 sollte der Höchstbetrag von ursprünglich € 1 Mio. bzw. € 2 Mio. bei Zusammenveranlagung dauerhaft auf € 5 Mio. bzw. € 10 Mio. bei Zusammenveranlagung angehoben werden (§ 10d Abs. 1 EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Verbesserungen bei den Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter und den Abschreibungsmöglichkeiten zu den Sammelposten durch Anhebung der Betragsgrenzen für geringwertige Wirtschaftsgüter von € 800 auf € 1.000 und für Sammelposten von € 1.000 auf € 5.000 sowie Senkung der Auflösungsdauer der Sammelposten auf drei Jahre für Wirtschaftsgüter, die nach dem 31.12.2023 angeschafft, hergestellt oder in das Betriebsvermögen eingelegt werden (§ 6 Abs. 2 und Abs. 2a EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Einführung einer Freigrenze für Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1.000 € (§ 3 Nr. 73 EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Anhebung der Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen von € 28 auf € 30 und von € 14 auf € 15 ab dem 01.01.2024 (§ 9 Abs. 4a Satz 3 EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Anhebung des Freibetrags für Zuwendungen an Arbeitnehmer im Rahmen von Betriebsveranstaltungen von 110 € auf 150 € ab dem 01.01.2024 (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Anhebung der Förderung bei der energetischen Gebäudesanierung um zehn Prozentpunkte auf 30 % der Aufwendungen, sofern die Sanierung in 2024 oder 2025 erfolgt. (§ 35c Abs. 1a EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Das vorzeitige Auslaufen des ermäßigten Steuersatzes für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz und von Wärme über ein Wärmenetz bereits zum 29.02.2024 (§ 28 Abs. 5 und 6 UStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Umsatzbesteuerung der Landwirte, Anpassung des Durchschnittssatzes für 2024 (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 UStG-E laut Bundestagsbeschluss). Die Maßnahme soll nochmal überprüft werden, auch mit Blick auf Beihilfefragen.

Durch den Vermittlungsausschuss nochmal geänderte Maßnahmen:

› Verlustvortrag § 10d EStG: Anhebung der Prozentgrenze von 60 % auf nur noch 70 % (statt 75 % laut Bundestagsbeschluss) für 4 Jahre (2024 bis 2027) bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Auf die entsprechende Regelung bei der Gewerbesteuer laut Bundestagsbeschluss wird verzichtet.

› Befristete Wiedereinführung der degressiven AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter (§ 7 Abs. 2 Satz 1 EStG-E): Degressive Abschreibung in Höhe von bis zu 20 % (statt 25 % laut Bundestagsbeschluss) höchstens dem 2-fachen (statt dem 2,5-fachen laut Bundestagsbeschluss) der linearen Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nach dem 31.03.2024 (statt nach dem 31.12.2023 laut Bundestagsbeschluss) und vor dem 01.01.2025 angeschafft oder hergestellt worden sind.

› Einführung einer degressiven AfA für Wohngebäude mit 5 % (statt 6 % laut Bundestagsbeschluss) mit Baubeginn ab 01.10.2023 befristet auf 6 Jahre (§ 7 Abs. 5a EStG-E).

› § 7g EStG: Anhebung der Sonderabschreibung für Betriebe, die die Gewinngrenze von 200.000 € im Jahr vor der Investition nicht überschreiten, von derzeit 20 % der Investitionskosten auf 40 % (statt 50 % laut Bundestagsbeschluss) der Investitionskosten für nach dem 31.12.2023 angeschaffte oder hergestellte bewegliche Wirtschaftsgüter.

› Firmen- und Dienstwagenbesteuerung – Anhebung der Bruttolistenpreisgrenze ohne Entfall der alternativen Reichweitengrenze: Es bleibt bei der vom Bundestag beschlossenen Anhebung des Höchstbetrags für die Inanspruchnahme des Viertels der 1%-Bemessungsgrundlage für die private Nutzung bei rein elektrischen Firmenwagen (inkl. Brennstoffzellenfahrzeuge), die nach dem 31.12.2023 angeschafft werden, von € 60.000 auf € 70.000 Listenpreis (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 Nr. 3 EStG-E). Darüber hinaus sollte laut Bundestagsbeschluss die Bemessungsgrundlage bei der Bewertung der Entnahme für die private Nutzung betrieblicher Elektrofahrzeuge, die nicht in den Genuss der Viertel-Regelung kommen, und extern aufladbarer Hybridelektrofahrzeuge nur noch dann zur Hälfte anzusetzen sein, wenn das Fahrzeug einen Kohlendioxidausstoß von höchstens 50 Gramm je gefahrenem Kilometer hat. Nunmehr hat man sich allerdings darauf verständigt, dass die aktuell vorgesehene Alternative einer elektrischen Mindestreichweite des Fahrzeugs von mindestens 80 Kilometern nicht ab 2025 entfallen soll (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Nr. 5 und Satz 3 Nr. 5 EStG-E laut Bundestagsbeschluss).

› Die Abschaffung der Fünftelungsregelung im Lohnsteuer-Abzugsverfahren (Aufhebung von § 39b Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG) soll nicht rückwirkend zum 01.01.2024 (laut Bundestagsbeschluss), sondern zum 01.01.2025 erfolgen.

› Forschungszulage; §§ 3 und 4 FZulG: Ausweitung der förderfähigen Aufwendungen auf bestimmte Sachkosten und Anhebung der maximal förderfähigen Bemessungsgrundlage von bisher 4 Mio. € auf 10 Mio. € (statt auf 12 Mio. € laut Bundestagsbeschluss) ab dem Tag nach der Gesetzesverkündung (statt ab 01.01.2024 laut Bundestagsbeschluss); zusätzlich bleibt es bei der Erhöhung für kleine und mittlere Unternehmen um 10 Prozentpunkte.

› Die ursprünglich für Anfang 2024 angedachten Änderungen des InvStG sollen nicht rückwirkend, sondern überwiegend erst mit Gesetzesverkündung Wirksamkeit entfalten.

Vermittlungsausschuss: Einigung zum Wachstumschancengesetz läuft auf Hochtouren

Mit den Steuerentlastungen des Wachstumschancengesetzes will die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP die lahmende Wirtschaft anschieben. Länder und Kommunen hatten allerdings kritisiert, dass bei ihnen der Großteil der Steuermindereinnahmen anfallen sollte. Deswegen wurde – vor allem mit den Stimmen der Union – der Gesetzentwurf im Bundesrat blockiert.

Am 9.2.2024 hat man in einer Arbeitsgruppe, die den für den 21.2.2024 geplanten Termin des Vermittlungsausschusses vorbereitet, eine weitgehende Einigung mit der Union erzielt. Demnach soll das Entlastungsvolumen für die Wirtschaft nur noch 3,2 Mrd. € pro Jahr betragen. Das Volumen wird damit in etwa halbiert. Vor allem die Kommunen werden nicht so stark belastet. Auf sie sollen 555 Mio. € der erwarteten Steuermindereinnahmen des Staates entfallen, auf den Bund knapp 1,4 Mrd. € und auf die Länder knapp 1,3 Mrd. €.

Dem Vernehmen nach ist das Kernstück des geplanten Gesetzes, die geplante Prämie in Höhe von 15 Prozent der Gesamtsumme bei Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen, nicht mehr in dem Paket enthalten ebenso wie die von der Ampel-Koalition vorgesehene Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen.

Die Einigung zum Wachstumschancengesetz steht allerdings unter dem Vorbehalt einer Einigung zu einer Forderung, die von der Union während den Verhandlungen erhoben wurde: Die Ampel soll die kürzlich von ihr beschlossenen Maßnahmen zum Agrardiesel zurücknehmen. Diese Forderung kann zwar nicht mehr in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingefügt werden, allerdings könnte der Vermittlungsausschuss sich darauf einigen, sie in einem künftigen Verfahren unterzubringen.

Vorerst keine Einigung zum Wachstumschancengesetz – Fünf konsensfähige Maßnahmen werden noch in 2023 im Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt

Zur Vorbereitung des Vermittlungsausschusses wurde eine politische Arbeitsgruppe einberufen, bestehend aus Vertretern des Bundestags und der Bundesländer. Ein erster Versuch, hier schnell einen Kompromiss zu finden, ist gescheitert, obwohl der Bund ein von über 6 Mrd. € auf knapp 3 Mrd.€ (Jahreswirkung) deutlich reduziertes Steuerausfallvolumen angeboten hatte. Die Kritik von Seiten der Länder bezog sich u.a. auf die Mitteilungspflicht hinsichtlich innerstaatlicher Steuergestaltungen, die Verrechnungspreisregelungen für Finanzierungsbeziehungen und die Verwaltung der Klimaschutz-Investitionsprämie durch die Finanzämter. Teilweise wurde auch die Verlängerung der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in der Gastronomie gefordert. Zur Diskussion standen zudem die Abschreibungsregelungen (einschließlich der Regelungen zu geringwertigen Wirtschaftsgütern und zum Sammelposten) und die geplanten Verbesserungen bei der Verlustberücksichtigung. Im Ergebnis ist in diesem Jahr mit einem Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr zu rechnen. Von Seiten der Union wird die Gesprächsbereitschaft von einer Einigung der Ampel-Koalition auf einen Bundeshaushalt für 2024 abhängig gemacht. Sollte der Vermittlungsausschuss am Ende noch zu einer Einigung finden, ist zu erwarten, dass für Regelungen, die ab dem 01.01.2024 angewendet werden sollten, eine entsprechende Rückwirkung vorgesehen wird. Eine im Vermittlungsausschuss verhandelte Beschlussempfehlung müsste noch von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Fünf konsensfähige Maßnahmen wurden aber aus dem Wachstumschancengesetz herausgelöst, um sie im Gesetzgebungsverfahren zum Kreditzweitmarktförderungsgesetz umzusetzen, das von Bundestag und Bundesrat (letzte Sitzung am 15.12.2023) noch in 2023 zu einem Abschluss geführt werden soll. Dies betrifft die steuergesetzgeberischen Reaktionen auf das MoPeG einschließlich der befristeten Fortschreibung des Status quo in der Grunderwerbsteuer (gegenüber dem vom Bundestag beschlossenen Entwurf des Wachstumschancengesetzes von einem auf drei Jahre – bis einschließlich 2026 – erweitert), die Reform der Zinsschranke, die Aufhebung der Besteuerung der Dezemberhilfe, die Berücksichtigung der Reduzierung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung für das zweite bis zum fünften Kind auch bei der Lohnsteuerberechnung (Vorsorgepauschale für Arbeitnehmer) und der Datenaustausch der Kranken- und Pflegeversicherung (Verschiebung der Einführung des neuen Verfahrens um zwei Jahre).

Ende gut, alles gut? Bundestag und Bundesrat finden Kompromiss zum Hinweisgeberschutzgesetz

Nachdem am 10.2.2023 das vom Deutschen Bundestag am 16.12.2022 beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) im Bundesrat nicht die notwendige Mehrheit erhielt (hierzu Rempp, Blog-Beitrag v. 14.2.2023, GESRBLOG0001360), erreichte das politische Taktieren um die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie (2019/1937) seinen vorläufigen Höhepunkt. Am 13.3.2023 wurde bekannt, dass die Ampelkoalition einen Coup durch Griff in die parlamentarische Trickkiste landen wollte (hierzu Rempp, Blog-Beitrag v. 31.3.2023, GESRBLOG0001412).

Gescheiterte Zauberformel der Ampel-Koalitionäre

Die Zauberformel lautete: Aus eins mach zwei! Das bedeutete im Ergebnis: Aus dem Regierungsentwurf zum HinSchG wurden zwei Fraktionsentwürfe (vgl. BT-Drucks. 20/5992 und BT-Drucks. 20/5591). Der erste Entwurf entsprach weitestgehend dem im Bundesrat gescheiterten Regierungsentwurf. Der zweite Entwurf enthielt Regelungen zur Anwendung des HinSchG auf Landesbeamte und Landesbehörden, die der Zustimmung des Bundesrats bedurften und von den übrigen Regelungen getrennt werden sollten, um den ersten Entwurf ohne Zustimmung des Bundesrats beschließen zu können.

Nach erster Lesung im Bundestag am 17.3.2023 und Anhörung von Sachverständigen im Rechtsausschuss am 27.3.2023 zeigte sich aber schnell, dass die Aufteilung des HinSchG in zwei Gesetzesentwürfe – auch wenn in anderen Fällen nicht unüblich – Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens aufkommen ließ. Die Begründung der vom Rechtsausschuss angehörten Sachverständigen Prof. Dr. Winfried Kluth und Prof. Dr. Gregor Thüsing war im Wesentlichen, dass für die Aufspaltung des HinSchG in zwei Teile kein sachlicher Grund bestehe, weil es sich hierbei ausschließlich um eine Reaktion auf die vom Bundesrat verweigerte Zustimmung zum Regierungsentwurf handele. Das HinSchG würde durch die zwei Fraktionsentwürfe daher nur „künstlich“ aufgespalten werden.

Im Eiltempo durch Vermittlungsausschuss, Bundestag und Bundesrat

Nach vielen überraschenden Kehrtwenden kam es also zu einer weiteren, aufgrund der Kritik nicht ganz überraschenden Kehrtwende im Gesetzgebungsverfahren. Am 30.3.2023, dem Tag, an dem die beiden Fraktionsentwürfe zum HinSchG in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag beschlossen werden sollten, wurde das HinSchG kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Stattdessen entschied die Bundesregierung am 5.4.2023, doch noch den Vermittlungsausschluss zum HinSchG anzurufen. Aus den Medien war zuletzt zu hören, dass eine von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und dem hessischen Justizminister Roman Poseck (CDU) geführte Arbeitsgruppe bis auf wenige Detailfragen einen Durchbruch für einen Kompromiss zum HinSchG erzielt hatte.

Am 9.5.2023 hat sich nun auch offiziell der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat mit dem HinSchG befasst und einen Kompromiss zum HinSchG beschlossen. Danach lief alles ganz schnell: Bereits am 11.5.2023 hat der Bundestag ohne vorherige Aussprache über den geänderten Gesetzesentwurf Beschluss gefasst. Bereits einen Tag später hat der Bundesrat dem Gesetzentwurf in der neuen Fassung zugestimmt, damit das Gesetz schnellstmöglich in Kraft treten kann. Die neue Regelung sieht nun vor, dass das Gesetz einen Monat nach seiner Verkündung in Kraft treten soll, also möglicherweise schon im Laufe des Juni 2023.

Lösung im Vermittlungsausschuss

Doch auf welche Lösung haben sich die Parteien im Vermittlungsausschuss nun verständigt? Das Ergebnis kurz und knapp: Der gefundene Kompromiss zum HinSchG enthält nur vereinzelte Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf HinSchG.

Für die Ampel war der weitgefasste Anwendungsbereich nicht verhandelbar, so dass dieser unverändert beibehalten wurde. Eine kleine Einschränkung soll es lediglich dahingehend geben, dass Meldungen nur dann geschützt sein sollen, wenn sie sich auf Verstöße beziehen, von denen Hinweisgeber im beruflichen Kontext erfahren haben – seien es Verstöße beim eigenen Arbeitgeber oder Verstöße bei anderen Stellen, mit denen Hinweisgeber beruflich in Kontakt stand, § 3 Abs. 3 HinSchG-E.

Eine wesentliche, von der Union durchgesetzte Änderung liegt darin, dass Unternehmen nun doch nicht verpflichtet werden, Meldekanäle zur Entgegennahme anonymer Meldungen einzurichten und anonyme Meldungen zu bearbeiten (§ 16 Abs. 1 HinSchG-E). Stattdessen wird lediglich vorgesehen, dass anonym eingehende Meldungen bearbeitet werden „sollten„. Im Übrigen bleibt es dabei, dass Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten interne Meldekanäle einrichten müssen, die Hinweisgebenden eine geschützte und vertrauliche Abgabe von Meldungen ermöglichen (für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten gilt diese Verpflichtung ab dem 17.12.2023). Mangels gegenläufiger Verlautbarungen dürften konzernangehörige Unternehmen (jedenfalls in Deutschland) wohl auch weiterhin die Möglichkeit haben, auf einen Konzern-Meldekanal zuzugreifen, ohne bei sich einen eigenen Meldekanal einrichten zu müssen (sog. Konzernlösung). In manch anderen EU-Mitgliedsstaaten ist dies hingegen nicht möglich.

Eine weitere wesentliche Änderung aus Sicht von potenziellen Hinweisgebenden ist die Streichung des Ersatzes von immateriellen Schäden im Fall von Repressalien, § 37 Abs. 1 HinSchG-E. Die gesetzlich vorgesehene Beweislastumkehr zugunsten hinweisgebender Personen im Fall von Benachteiligungen soll ferner nur dann greifen, wenn die hinweisgebende Person geltend macht, dass die Benachteiligungen auf der abgegebenen Meldung beruhen.

Schließlich wurde der Bußgeldrahmen bei Verstößen gegen das Gesetz auf den Höchstbetrag von 50.000 € reduziert, § 40 Abs. 6 HinSchG-E. Zudem soll die Verpflichtung von Unternehmen, eine interne Meldestelle einzurichten, erst sechs Monate nach Verkündung des Gesetzes bußgeldbewehrt sein, voraussichtlich also erst gegen Ende des Jahres 2023 (Art. 10).

Ausblick: laufendes EU-Vertragsverletzungsverfahren

Somit ist nun wirklich mit der Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie zu rechnen. Deutschland zählt damit zu den letzten EU-Mitgliedsstaaten, die ein Umsetzungsgesetz verabschieden. Ob sich diese Verzögerung angesichts des nun erzielten Kompromisses gelohnt hat, bleibt allerdings fraglich. Denn das unsäglich lange Tauziehen hat seinen stolzen Preis: Die EU-Kommission hat Deutschland bereits am 15.2.2023 vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der verspäteten Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie verklagt und für jeden Tag des Verzugs eine Strafe von 61.600 €, insgesamt jedoch mindestens 17.248.000 € verlangt. Auch wenn es Deutschland nun wohl gelingen wird, die EU-Hinweisgeberrichtlinie noch während des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens umzusetzen, ist nicht damit zu rechnen, dass die EU-Kommission ihre Klage vollständig zurücknehmen wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie zumindest an ihrem Antrag auf Verhängung eines Pauschalbetrags festhalten wird, der die Dauer des Verstoßes gegen die Umsetzungsfrist bis zum Zeitpunkt seiner Behebung abdeckt.

Neues zum Hinweisgeberschutzgesetz: Geplante Umgehung der Länderkammer vorerst gescheitert

Am 10.2.2023 scheiterte das vom Deutschen Bundestag am 16.12.2022 beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz im Bundesrat. Danach war für wenige Wochen unklar, wie es mit der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht weitergehen würde. Sollte sich das Gesetzgebungsverfahren für längere Zeit hinziehen? Oder sollte ein schneller Vorschlag zur Güte folgen (dazu Rempp, Blog Gesellschaftsrecht v. 14.2.2023) – etwa in Form einer konsensfähigen Minimal-Umsetzung, die sich möglichst nahe an den Anforderungen der Richtlinie bewegt, um so dem Vertragsver­letz­ungs­verfahren der EU-Kommission wegen fehlender Richtlinien-Umsetzung zeitnah zu begegnen?

Diese und weitere Möglichkeiten wären denkbar gewesen, wenn etwa jemand den Vermittlungsausschuss angerufen hätte. „Na und?“, dachte sich indessen die Regierungskoalition. So folgten zwei Fraktionsentwürfe, mittels derer das bis dato bestehende Zustimmungserfordernis des Bundesrates weitgehend ausgehebelt worden wäre. Nun ist die geplante Umgehung der Länderkammer vorerst gescheitert. Die für den 30.3.2023 anberaumte zweite und dritte Lesung im Deutschen Bundestag wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Doch erst noch einmal drei Schritte zurück …

Aus einem Regierungsentwurf wurden zwei Fraktionsentwürfe: Ein Coup der Regierungskoalition?

Am 13.3.2023 wurde bekannt, welchen Coup die Regierungskoalition landen wollte. Aus einem Regierungsentwurf wurden zwei Fraktionsentwürfe (BT-Drucks. 20/5992 und BT-Drucks. 20/5991), welche – anders als Regierungsentwürfe – nicht erst dem Bundesrat zuzuleiten sind, bevor sie dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden können (s. Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG).

Der eine Fraktionsentwurf, der weitestgehend dem im Bundesrat gescheiterten Regierungsentwurf entspricht, sollte auch nach der Verabschiedung im Deutschen Bundestag nicht in den Bundesrat müssen. In der Begründung heißt es, der Entwurf verzichte auf jene Regelungen, die einst die Zustimmungsbedürftigkeit begründet hätten (BT-Drucks. 20/5992, S. 3). Konkret sollten Landesbeamte & Co. vom persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden. Außerdem sollten Äußerungen von Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen, nur dann vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst sein, wenn es sich um Äußerungen von Bundesbeamten handelt.

Klar ist, dass die EU-Whistleblower-Richtlinie damit nur unvollständig umgesetzt wäre. So kam der zweite Fraktionsentwurf ins Spiel. Zur vollständigen Umsetzung sei – so die Begründung des Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz – eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf den Personenkreis erforderlich, der zuvor ausgenommen wurde (BT-Drucks. 20/5992, S. 4). Auch die vorgenannte Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs sollte durch das Ergänzungsgesetz zurückgedreht werden.

Erste Lesung und Anhörung im Rechtsausschuss: Zweifel am Gesetzgebungsverfahren

Am 17.3.2023 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Die Empörung über die Aufteilung in zwei Gesetzesentwürfe war auf Seiten der Opposition freilich groß. So wurde argumentiert, dass die Zustimmungsbedürftigkeit trotz dieser Aufteilung bestehen bleibe – zum einen, weil notwendigerweise Zusammengehörendes auseinandergerissen werde, zum anderen, weil sich das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates auch aus anderen Normen als Art. 74 Abs. 2 GG ergebe (Plenarprotokoll 20/92, S. 11096).

Am 27.3.2023 passierten die Fraktionsentwürfe sodann den Rechtsausschuss. Inhaltlich ging es bei der Anhörung zum einen um jene Aspekte, die bereits im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf behandelt worden sind, etwa um zusätzliche Belastung der Unternehmen, anonyme Meldungen und die Zentralisierung von Meldekanälen. Zum anderen wurde aber auch hier die Aufspaltung in zwei Gesetzesentwürfe kritisiert. Prof. Dr. Winfried Kluth und Prof. Dr. Gregor Thüsing meldeten ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Weges an und legten dar, weshalb sich die Regierungsfraktionen mit der möglichen Verfassungswidrigkeit dieses Weges befassen sollten.

Zweite und Dritte Lesung: Kurzfristig von der Tagesordnung genommen

Am 30.3.2023 sollte der Deutsche Bundestag das von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP eingebrachte Hinweisgeberschutzgesetz sowie das Ergänzungsgesetz nach zweiter und dritter Lesung beschließen. Erst am Nachmittag des 30.3.2023 wurde bekannt, dass das Hinweisgeberschutzgesetz und das Ergänzungsgesetz von der Tagesordnung genommen worden sind. Hierauf hätten sich die Fraktionen im Ältestenrat verständigt.

Was waren wohl die Gründe für diese Entscheidung? Im weiteren Verlauf wäre das Hinweisgeberschutzgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden, wohingegen das Ergänzungsgesetz den Weg in den Bundesrat genommen hätte. Hätte es sich dabei um einen Coup oder doch um einen Bärendienst gehandelt?

Es hätten Risiken in zweierlei Hinsicht bestanden. Über dem Hinweisgeberschutzgesetz, das als nächstes im Bundesgesetzblatt verkündet worden wäre, hätte zum einen das „Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit“ geschwungen – so die Formulierung von Prof. Dr. Thüsing. Zum anderen wäre mit Blick auf das Ergänzungsgesetz aber auch noch lange nicht klar gewesen, ob der Bundesrat dieses einfach durchgewunken hätte.

Eine erneute Blockade des Bundesrates in diesem Verfahrensstand hätte bedeutet, dass die EU-Richtlinie bis zu einer irgendwann gefundenen Lösung nur unvollständig umgesetzt worden wäre – ein eher unbefriedigendes Ergebnis. Sie hätte zudem bedeutet, dass im Bereich des Hinweisgeberschutzes in der Übergangsphase ein „Zwei-Klassen-Recht“ bestanden hätte. Hiervor warnte die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Kosmas Zittel, bereits in der Anhörung im Rechtsausschuss. Es hätte nicht zuletzt aber auch so weit kommen können, dass über eine Blockadehaltung im Bundesrat versucht worden wäre, weitere Änderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes herbeizuführen. Die Aufspaltung in zwei Gesetzesentwürfe wäre wieder zurückgedreht worden.

Erneut mein Vorschlag zur Güte

Nun ist wieder völlig unklar, wie es mit der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht weitergehen wird. So wird der Vorschlag zur Güte (dazu Rempp, Blog Gesellschaftsrecht v. 14.2.2023) wieder aktuell: Es könnte eine 1:1-Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie erfolgen, um später den Nacharbeitungsbedarf auf Basis praktischer Erfahrungen zu ermitteln. Los geht’s.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.