Montagsblog: Neues vom BGH

Pünktlich zum Beginn der Wachstumsperiode hat der BGH einen Nachbarstreit entschieden.

Anspruch auf Zurückschneiden herüberragender Äste
Urteil vom 22. Februar 2019 – V ZR 136/18

Mit der Prozessführungsbefugnis auf Seiten des Beklagten und der Verjährung befasst sich der V. Zivilsenat in einem Nachbarstreit.

Der Kläger nahm den Beklagten auf Zurückschneiden von in sein Grundstück hineinragenden Ästen einer Fichte in Anspruch. Die Grundstücke der Parteien stoßen rechtwinklig aufeinander. Der Baum, um den es geht, steht teilweise auf dem Grundstück des Beklagten und teilweise auf dem Grundstück eines weiteren Nachbarn. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Mit dem LG sieht der BGH die Klage allerdings als zulässig an. Die Eigentümer der beiden Grundstücke, auf denen der Baum steht, sind nicht notwendige Streitgenossen im Sinne von § 62 Fall 1 ZPO. Nach § 923 BGB ist jeder Nachbar alleiniger Eigentümer des jeweils auf seinem Grundstück stehenden Teils des Baums. Deshalb darf der Kläger jeden von ihnen gesondert auf Beseitigung derjenigen Störungen in Anspruch nehmen, die von dem im Eigentum des jeweiligen Beklagten stehenden Teil des Baums ausgehen. Ob die herüberragenden Äste die Benutzung des klägerischen Grundstücks beeinträchtigen und ob der Kläger eine solche Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hinnehmen muss, lässt der BGH offen. Er tritt dem LG darin bei, dass der geltend gemachte Anspruch jedenfalls nach § 195 und § 199 BGB verjährt ist. Ein Beseitigungsanspruch unterliegt – anders als Ansprüche auf Unterlassung einer Dauerhandlung – grundsätzlich der Verjährung. Die Sonderregelung in § 26 Abs. 3 des baden-württembergischen Nachbarrechtsgesetzes, wonach Ansprüche auf Beseitigung herüberragender Zweige nicht verjähren, betrifft nur Ansprüche aus diesem Gesetz, nicht aber einen Anspruch, der sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergibt. Eine landesrechtliche Regelung, die die Verjährung eines solchen Anspruchs erleichtern, erschweren oder ausschließen würde, wäre wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes unwirksam.

Praxistipp: Der Kläger sollte stets klarstellen, ob er seinen Anspruch auf das BGB, die landesrechtlichen Vorschriften über das Nachbarrecht oder beide Regelungen stützen will. Hierzu gehört der Vortrag eines die jeweilige Regelung ausfüllenden Lebenssachverhalts.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Bestimmung des Streitgegenstands und die Wirkungen einer unzulässigen Urteilsergänzung geht es in dieser Woche.

Schadensersatz wegen Planungsmängeln
Urteil vom 21. Februar 2019 – VII ZR 105/18

Mit einem gründlich misslungenen Versuch, ein Versehen durch ein „Ergänzungsurteil“ zu korrigieren, befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte den beklagten Ingenieur mit Planungsleistungen für eine Tiefgarage beauftragt. Nach Fertigstellung des Gebäudes erwies sich die Bodenplatte als undicht. Die Klägerin warf dem Beklagten einen Planungsfehler vor und verlangte von ihm Ersatz der voraussichtlich anfallenden Kosten für den Austausch der Bodenplatte in Höhe von 532.000 Euro. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Klägerin könne aufgrund des festgestellten Planungsmangels einen Vorschuss auf die erforderlichen Aufwendungen zur Beseitigung des Mangels verlangen. Dagegen wandten sich der Beklagte mit der Berufung und die Klägerin mit der Anschlussberufung. Auf Antrag der Klägerin erließ das LG später ein „Ergänzungsurteil“, in dem es ausführte, der zugesprochene Betrag stehe der Klägerin als Schadensersatz zu. Die Beklagte legte gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel ein. Das OLG wies die Berufung als unbegründet zurück und verwarf die Anschlussberufung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, aufgrund des nicht angefochtenen Ergänzungsurteils stehe bindend fest, dass die Klageforderung in vollem Umfang begründet sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG entfaltet das Ergänzungsurteil des LG keine Bindungswirkung, weil es ohne verfahrensrechtliche Grundlage ergangen ist. Für eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO war kein Raum, weil das LG bereits in seinem ursprünglichen Urteil vollständig über den Streitgegenstand entschieden hat. Die Klage betrifft einen Anspruch auf Schadensersatz, weil sie auf einen Planungsmangel gestützt ist und der Kläger nicht die Beseitigung dieses Mangels, sondern den Ersatz eines aus diesem resultierenden Folgeschadens begehrt. Das ursprüngliche Urteil des LG betrifft diesen Lebenssachverhalt, auch wenn es das Begehren rechtlich unzutreffend als Vorschussanspruch qualifiziert hat. Mit dieser Einordnung hat das LG dem Klagebegehren zwar nicht vollständig entsprochen, weil die Klägerin über erhaltene Vorschüsse später abrechnen muss. Auch insoweit ist das ursprüngliche Urteil aber nicht unvollständig, sondern inhaltlich unzutreffend. Das OLG wird sich deshalb nach Zurückverweisung mit der Begründetheit des Klagebegehrens zu befassen haben.

Praxistipp: Nach der neuen Rechtsprechung des BGH ist der Übergang von einer „echten“ Vorschussklage zu einer auf denselben Mangel gestützten Klage auf Schadensersatz gemäß § 264 Nr. 3 ZPO ebenfalls nicht als Klageänderung anzusehen (BGH, Urt. v. 22.2.2018 – VII ZR 46/17, Tz. 53 – BGHZ 218, 1 = MDR 2018, 465).

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Um zwei allgemeine prozessrechtliche Fragen geht es in dieser Woche.

Drittwiderklage gegen den Zedenten
Urteil vom 11. Oktober 2018 – I ZR 114/17

Mit einer nicht alltäglichen Reaktion auf ein verbreitetes prozesstaktisches Mittel befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte auf Vermittlung des beklagten Versicherungsmaklers eine Hausratversicherung für eine von ihm und seiner Ehefrau genutzte Wohnung abgeschlossen. Einige Monate später wurden bei einem Einbruch in die Wohnung Wertsachen und Bargeld aus einem Tresor entwendet. Die Versicherung erstattete dem Kläger aufgrund einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen „Tresorklausel“ insgesamt nur 21.000 Euro. Der Kläger warf dem Beklagten unzureichende Beratung vor und klagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Erstattung des restlichen Schadens, den er mit rund 168.000 Euro bezifferte. Der Beklagte trat der Klage entgegen und beantragte im Wege der Drittwiderklage die Feststellung, dass auch der Ehefrau keine Ansprüche zustehen. Klage und Widerklage hatten in erster Instanz teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rund 114.000 Euro. Die Widerklage wies es als unbegründet ab, weil der Ehefrau aufgrund der wirksamen Abtretung an den Kläger keine Ansprüche mehr zustünden.

Die nur hinsichtlich der Drittwiderklage zugelassene Revision des Beklagten hat Erfolg. Der BGH spricht antragsgemäß die Feststellung aus, dass der Ehefrau über den dem Kläger zugesprochenen Betrag hinaus keine weitergehenden Ansprüche aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt zustehen. Mit dem OLG hält der BGH eine Drittwiderklage gegen den Zedenten einer eingeklagten Forderung für zulässig, weil eine dem Kläger negative Entscheidung nur dann zu Lasten des Zedenten Rechtskraftwirkung entfaltet, wenn die Abtretung wirksam war und nicht wirksam angefochten wird, und der Beklagte in der Regel nicht zuverlässig beurteilen kann, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Abweichend vom OLG ist ein solcher Widerklageantrag in der Regel dahin auszulegen, dass es nur um den Bestand der Forderung im Zeitpunkt der Abtretung geht. Die Entscheidung über die Drittwiderklage hat deshalb inhaltlich der Entscheidung über die Klage zu folgen. Die Drittwiderklage ist nur insoweit abzuweisen, als die Klage Erfolg hat. Soweit die Klage abgewiesen wird, ist hingegen die mit der Drittwiderklage begehrte Feststellung auszusprechen. Die Wirksamkeit der Abtretung ist hierbei grundsätzlich nur dann zu prüfen, wenn diese Frage auch für die Entscheidung über die Klage klärungsbedürftig ist. Letzteres war hier nicht der Fall, weil die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung nicht bestritten hat.

Praxistipp: Mit der vom BGH zugelassenen Drittwiderklage gegen den Zedenten kann der Beklagte den vom Kläger mit einer Abtretung häufig angestrebten Vorteil, nämlich die Möglichkeit, den Zedenten als Zeugen zu benennen, in praktisch allen Konstellationen zunichtemachen.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Beschluss vom 28. Februar 2019 – II ZR 16/18

Der III. Zivilsenat strebt eine Änderung der Rechtsprechung an.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten in Anspruch genommen. Nach Zahlung des Klagebetrags durch die Haftpflichtversicherung hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Der III. Zivilsenat des BGH will die Revision der Beklagten zurückweisen. Er sieht sich daran durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenats gehindert, der vor nicht allzu langer Zeit (Beschluss vom 21. Juni 2017 – XII ZB 231/17, Tz. 11 – MDR 2017, 1441) die gleiche Auffassung vertreten hat wie das LG im Streitfall. Der III. Zivilsenat hält demgegenüber die Auffassung des OLG für zutreffend, weil die Unzuständigkeit des AG im Zeitpunkt der Erledigung durch einen Verweisungsantrag behoben werden konnte und deshalb nicht zur Abweisung der Klage geführt hätte. Deshalb hat er beim XII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung festhält.

Praxistipp: Sollte der XII. Zivilsenat bei seiner Auffassung bleiben, wäre der Große Zivilsenat des BGH zur Entscheidung der Rechtsfrage berufen.

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Um einen nicht alltäglichen Fall der Staatshaftung geht es in dieser Woche.

Staatshaftung bei fehlerhafter Zustellung
Urteil vom 21. Februar 2019 – III ZR 115/18

Mit den formellen Voraussetzungen einer Zustellung im Parteibetrieb und den haftungsrechtlichen Folgen eines Fehlers befasst sich der III. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte eine durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung erwirkt und eine im Dienst des beklagten Bundeslandes stehende Gerichtsvollzieherin mit der Zustellung an den Verfügungsschuldner beauftragt. Nach Ablauf eines Monats beantragte der Schuldner erfolgreich die Aufhebung der einstweiligen Verfügung, mit der Begründung, diese sei mangels wirksamer Zustellung nicht rechtzeitig vollzogen worden. Der Kläger begehrt deshalb vom Beklagten Ersatz der Kosten des Verfügungsverfahrens. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass zur ordnungsgemäßen Zustellung der einstweiligen Verfügung die Übersendung einer beglaubigten Abschrift erforderlich war. Ob ein diesbezüglicher Zustellungsmangel auch bei einer durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügung nach § 189 ZPO geheilt werden kann, lässt der BGH offen. Selbst wenn eine Heilung möglich ist, führt diese nur zur Wirksamkeit der Zustellung, nicht aber zum Wegfall des aufgrund der fehlerhaften Handhabung durch den Gerichtsvollzieher begründeten Haftung aus § 839 BGB. Die Heilung kann allerdings zur Folge haben, dass im Ergebnis kein ersatzfähiger Schaden eintritt. Letzteres setzt aber voraus, dass die Heilungswirkung im weiteren Verlauf erkannt worden ist. Das OLG wird nach der Zurückverweisung deshalb die zwischen den Parteien umstrittene Frage zu prüfen haben, ob eine beglaubigte oder eine nicht beglaubigte Abschrift zugestellt wurde und welche Aussichten ein Rechtsmittel des Klägers gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung gehabt hätte.

Praxistipp: Wenn die zuzustellende Entscheidung farbige Abbildungen oder dergleichen enthält, sollte sichergestellt werden, dass diese auch in der Abschrift farbig wiedergegeben sind.

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Um zwei anwaltliche „Betriebsunfälle“ geht es in dieser Woche.

Antrag auf Ergänzung eines Verlustigkeitsbeschlusses
Urteil vom 18. Dezember 2018 – II ZB 21/16

Mit der Frist für einen Antrag auf Ergänzung eines nicht zustellungsbedürftigen Beschlusses befasst sich der II. Zivilsenat.

Mehrere Aktionäre hatten die Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats der Beklagten angefochten. Nach erstinstanzlicher Abweisung der Klage legte einer der Kläger zunächst Berufung ein, nahm diese aber später zurück. Das Berufungsgericht erklärte ihn des Rechtsmittels für verlustig und legte ihm die Kosten des Berufungsverfahrens auf. Rund vier Monate später beantragte ein Streithelfer der Beklagten, der dem Rechtsstreit schon in erster Instanz beigetreten war und in zweiter Instanz einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt hatte, die Ergänzung des Beschlusses dahin, dass der Kläger auch die im Berufungsverfahren angefallenen Kosten des Streithelfers zu tragen hat. Das OLG verwarf den Antrag als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Streithelfers bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass ein nach § 516 Abs. 3 ZPO ergangener Beschluss nicht gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO zustellungsbedürftig ist, sondern gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO formlos mitgeteilt werden kann. Der Beschluss enthält keine Terminbestimmung und setzt auch keine Frist in Lauf. Dass ein Antrag auf Ergänzung eines solchen Beschlusses entsprechend § 321 ZPO innerhalb von zwei Wochen gestellt werden muss, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Notwendigkeit einer Ergänzung im Sinne von § 321 ZPO erweist, stellt eine Ausnahmesituation dar, an der die formalen Anforderungen für die Übermittlung nicht auszurichten sind. Die Zweiwochenfrist des § 321 ZPO beginnt deshalb mit der formlosen Mitteilung des Beschlusses. Im Streitfall war sie bei Stellung des Ergänzungsantrags seit langem abgelaufen.

Praxistipp: Anders als bei einem Rechtsmittel in der Hauptsache beginnt die Frist für den Antrag auf Ergänzung der Kostenentscheidung für den Streithelfer nicht schon mit der Übermittlung der Entscheidung an die Hauptpartei, sondern erst mit Zugang beim Streithelfer.

Überprüfung des Zeitpunkts, zu dem eine Kündigung zugegangen ist
Urteil vom 14. Februar 2019 – IX ZR 181/17

Mit der Pflicht eines Rechtsanwalts, Angaben seines Mandanten zu überprüfen, befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Klägerin betraute den beklagten Rechtsanwalt Anfang Januar mit einer Kündigungsschutzklage gegen ihren Arbeitgeber. Sie teilte mit, das Kündigungsschreiben sei ihr am 23. Dezember zugestellt worden. Der Beklagte reichte die Kündigungsschutzklage am 13. Januar ein. Einen im Gütertermin geschlossenen Vergleich widerrief er fristgerecht. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil es zu der Überzeugung gelangt war, dass der vom Arbeitgeber beauftragte Bote das Kündigungsschreiben bereits am 22. Dezember gegen 11 Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen hatte und die Klage deshalb einen Tag zu spät erhoben worden war. Daraufhin verlangte die Klägerin vom Beklagten zunächst die Zahlung des Betrags, den sie aufgrund des widerrufenen Vergleichs erhalten hätte. Diese Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. In einem zweiten Rechtsstreit verlangte sie wegen verspäteter Einreichung der Kündigungsschutzklage Erstattung von Verdienstausfall in Höhe von rund 26.000 Euro. Dieses Begehren blieb in den beiden ersten Instanzen ebenfalls ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hätte der Beklagte den genauen Zeitpunkt, zu dem das Kündigungsschreiben zugegangen ist, aufklären und bei verbleibenden Zweifeln die Klagefrist anhand des frühestmöglichen Termins berechnen müssen. Ein Rechtsanwalt braucht zwar Tatsachenangaben seines Mandanten nicht durch eigene Nachforschungen überprüfen, sofern keine Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit erkennbar sind. Etwas anderes gilt aber für so genannte Rechtstatsachen, d.h. Umstände, für deren zutreffende Erfassung rechtliche Kenntnisse erforderlich sind. Dazu gehört nicht nur der Zeitpunkt, zu dem eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung zugestellt wurde, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem eine Willenserklärung zugegangen ist. Im Streitfall musste der Beklagte die Angabe der Klägerin deshalb eigenständig überprüfen. Hierbei hätte er erkennen können und müssen, dass das Kündigungsschreiben vom 22. Dezember datiert und den Vermerk „per Boten“ trägt. Ausgehend davon hätte er von einem Zugang noch an diesem Tag ausgehen müssen, wenn die Klägerin nicht zweifelsfrei ausschließen konnte, dass das Schreiben bis zum Abend dieses Tages noch nicht in ihren Briefkasten gelangt war.

Praxistipp: Die rechtskräftige Abweisung einer Schadensersatzklage steht einer erneuten Klage nicht entgegen, wenn diese auf eine andere Pflichtverletzung gestützt wird.

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Um den Begriff des Bauwerks geht es in dieser Woche.

Verjährungsfrist bei Mängeln einer Photovoltaikanlage
Urteil vom 10. Januar 2019 – VII ZR 184/17

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Einbau einer Photovoltaikanlage als Bauwerk anzusehen ist, befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Klägerin ließ ein Gebäude zu einem Studentenwohnheim umbauen. Zu den Baumaßnahmen gehörte die Integration einer Photovoltaikanlage in die Fassade des Gebäudes. Die Beklagten waren mit der Planung, Bauüberwachung und Ausführung dieser Teilmaßnahme betraut. Nach Abnahme stellte sich heraus, dass die Anlage nicht den prognostizierten Ertrag erbrachte. Rund ein Jahr nach der Abnahme leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren ein. Rund drei Jahre nach Abschluss dieses Verfahrens klagte sie auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 130.000 Euro. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen unterliegen die Ansprüche nicht der zweijährigen Verjährungsfrist für die Herstellung oder Veränderung einer Sache, sondern der fünfjährigen Frist für Bauwerke. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Arbeiten einen Teil der umfassenden Umbaumaßnahmen an dem Gebäude darstellten und die Photovoltaikanlage in dessen Fassade integriert wurde. Wenn ein Gebäude grundlegend erneuert wird, betreffen alle zu diesem Zweck vorgenommenen Baumaßnahmen ein Bauwerk im Sinne von § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB, unabhängig davon, ob sie für Bestand oder Funktion des Gebäudes zwingend notwendig sind.

Praxistipp: Die Errichtung einer Photovoltaikanlage ist auch dann als Bauwerk anzusehen, wenn sie mit einem bestehenden Gebäude zur dauerhaften Nutzung fest verbunden wird und das Gebäude als Trägerobjekt dient oder wenn sie zur dauerhaften Nutzung fest mit dem Erdboden verbunden wird.

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Um grundlegende Pflichten eines Rechtsanwalts geht es in dieser Woche.

Kein Anspruch auf Anwaltshonorar bei Vertretung widerstreitender Interessen
Beschluss vom 10. Januar 2019 – IX ZR 89/18

Mit dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und den Auswirkungen eines Verstoßes auf den Vergütungsanspruch befasst sich der IX. Zivilsenat.

Im Zusammenhang mit dem Bau eines Fernbahntunnels hatten die Bauherrn gegen das mit der Bauausführung beauftragte Unternehmen ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet und drei Planungsgemeinschaften, die mit der Entwurfsplanung, der Objektüberwachung und der Überprüfung der Entwurfsplanung betraut waren, den Streit verkündet. Die drei Planungsgemeinschaften beauftragten gemeinsam den Kläger mit ihrer rechtlichen Vertretung in dem Verfahren. Die Beklagte, bei der die mit der Objektüberwachung und die mit der Überprüfung betraute Planungsgemeinschaft gegen Haftpflicht versichert waren, stimmte der Mandatierung zu und beglich zwei Vorschussrechnungen. Weitere Zahlungen lehnte sie ab. Die Klage auf Zahlung restlichen Honorars in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Honoraransprüche unmittelbar gegen die Beklagte bestehen schon deshalb nicht, weil das Mandat nicht von dieser, sondern von den Planungsgemeinschaften erteilt worden war. Dass die Beklagte gegenüber zwei Mandanten aufgrund des Versicherungsvertrags zur Abwehr von unbegründeten Ansprüchen verpflichtet war, begründet für sich gesehen keine vertraglichen Beziehungen zum Kläger. Erstattungsansprüche aus abgetretenem Recht bestehen ebenfalls nicht, weil der Kläger von den Planungsgemeinschaften keine Vergütung verlangen kann. Zwischen den drei Mandanten bestand ein Interessenkonflikt, weil sie gegenüber den Bauherrn unterschiedliche Aufgaben übernommen hatten und jede von ihnen bestrebt sein musste, die Feststellung von Fehlerursachen aus ihrem jeweils eigenen Verantwortungsbereich zu vermeiden. Dass zwei Mandanten denselben Haftpflichtversicherer hatten, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dem Kläger war es deshalb gemäß § 43a Abs. 4 BRAO verboten, mehr als eine der drei Planungsgemeinschaften zu vertreten. Der Verstoß gegen diese Vorschrift führt gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit des Anwaltvertrags. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Interessenwiderstreit für den Kläger auf der Hand lag.

Praxistipp: Von der Vertretung mehrerer potentieller Gesamtschuldner sollte abgesehen werden, wenn sich der Kreis der möglicherweise verletzten Pflichten nicht vollständig deckt.

Kein elektronischer Rechtsverkehr beim Bundesverfassungsgericht – aber bei allen anderen Gerichten

Der elektronische Rechtsverkehr scheint kurioserweise dort besonders beliebt zu sein, wo ihn das Gesetz noch nicht zugelassen hat.

Kurz vor Weihnachten sah sich das BVerfG veranlasst, durch Pressemitteilung (Nr. 84/2018 vom 7.12.2018) auf einen Beschluss hinzuweisen, in dem eine per DE-Mail eingelegte Verfassungsbeschwerde wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2018 – 1 BvR 2391/18; dazu Wöbbeking, CR 2019 Heft 1 R7). Der entschiedene Einzelfall gab dazu nicht unbedingt Veranlassung, denn das BVerfG sah die in Rede stehende Verfassungsbeschwerde auch wegen ausreichender Substantiierung als unzulässig an. Die im Beschluss enthaltenen Ausführungen, dass der Rechtsbehelf schon deshalb unzulässig ist, weil das Gesetz den elektronischen Rechtsverkehr beim BVerfG bislang nicht vorsieht, haben vor diesem Hintergrund eher generalpräventiven Charakter.

Anlass zu dieser Klarstellung dürfte der Umstand gegeben haben, dass das BVerfG mittlerweile das einzige deutsche Gericht ist, bei dem der elektronische Rechtsverkehr nicht eröffnet ist. Bei allen anderen Gerichten sind elektronische Einreichungen seit gut einem Jahr zulässig. Rechtsanwälten steht mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA; dazu etwa Bacher MDR 2017, 613) hierfür ein besonders sicherer Kommunikationsweg zur Verfügung.

Allerdings ist die Zahl der elektronischen Eingänge bei den meisten Gerichten bislang eher gering. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die Angst vor technischen Komplikationen und dadurch verursachten Fristversäumnissen sein. Dass diese Gefahr besteht, belegt der Umstand, dass seit Inkrafttreten der neuen Regeln bereits drei oberste Gerichtshöfe des Bundes elektronische Einreichungen wegen Verwendung einer sog. Containersignatur als unwirksam angesehen haben (BSG, Beschl. v. 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B, NJW 2018, 2222; BAG, Beschl. v. 15.8.2018 – 2 AZN 269/18, MDR 2018, 1519; BVerwG, Beschl. v. 7.9.2018 – 2 WDB 3/18, NVwZ 2018, 1880). Diese Risiken dürften aber weitaus geringer wiegen als das Risiko, dass eine kurz vor Fristablauf begonnene Übermittlung per Telefax scheitert. Bezeichnenderweise gewährten das BSG und das BVerwG in den zitierten Entscheidungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und das BAG ließ die Frage nur deshalb offen, weil es das Rechtsmittel aus anderen Gründen als unzulässig ansah. Bei missglückten Übermittlungsversuchen per Telefax ist die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingegen fast die Regel (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 27.9.2018 – IX ZB 67/17, MDR 2019, 82 [Bacher]).

Die formellen Anforderungen an elektronisch übermittelte Schriftsätze ergeben sich aus der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERVV, dazu Bacher, MDR 2019, 1). Um sie einzuhalten – und um im Falle eines Fehlers Aussicht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu haben – bedarf es in der Anwaltskanzlei einiger organisatorischer Vorkehrungen (näher dazu Bacher in: Vorwerk, Das Prozessformularbuch, 11. Aufl. 2019, Kapitel 28 Rn. 72 ff.). Der Aufwand dafür dürfte sich aber in überschaubaren Grenzen halten und durch die zusätzliche Sicherheit im Vergleich zum Telefaxversand mehr als aufgewogen werden.

Praxistipp: Auch wenn dies beim Versand aus dem beA nicht mehr zwingend erforderlich ist, sollte jeder elektronische Schriftsatz mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden.

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Um eine umstrittene Frage aus dem Recht der Kostenerstattung geht es in dieser Woche.

Kosten eines freiwilligen Güteverfahrens als Prozesskosten
Beschluss vom 15. Januar 2019 –II ZB 12/17

Mit der Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten aus einem freiwilligen Güteverfahren in einem nachfolgenden Rechtsstreit befasst sich der II. Zivilsenat.

Der Kläger hatte den Beklagten als Gründungsgesellschafter von zwei Fondsgesellschaften auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Vor Klageerhebung hatte er ein freiwilliges Güteverfahren vor einer anerkannten Gütestelle eingeleitet, das erfolglos blieb. Der nachfolgende Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem der Kläger 90 % und der Beklagte 10 % der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs übernahmen. Im Kostenfestsetzungsverfahren begehrte der Beklagte unter anderem anteilige Erstattung der im Güteverfahren entstandenen Anwaltskosten (Nr. 2303 VV RVG). Das LG sah diese Kosten als nicht erstattungsfähig an. Die Beschwerde des Beklagten blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Nach § 91 Abs. 3 ZPO gehören zu den Kosten des Rechtsstreits zwar auch die Gebühren eines Güteverfahrens, wenn dieses nicht mehr als ein Jahr vor Klageerhebung beendet worden ist. Diese Vorschrift erfasst aber nur die Gebühren der Gütestelle, nicht aber die im Güteverfahren entstandenen Anwaltskosten. Letztere sind auch nicht als Vorbereitungskosten nach § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig. Ein Güteverfahren dient grundsätzlich nicht der Vorbereitung, sondern der Vermeidung eines Rechtsstreits. Ob etwas anderes gilt, wenn die Zulässigkeit einer Klage von der vorherigen Durchführung eines Güteverfahrens abhängt (etwa aufgrund eines Landesgesetzes auf der Grundlage von § 15a EGZPO), lässt der BGH offen.

Praxistipp: Außergerichtliche Kosten sind nach verbreiteter Auffassung festsetzungsfähig, wenn die Parteien in einem Prozessvergleich ausdrücklich vereinbart haben, dass sie erstattet werden sollen.

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Um eine besondere Form der Veräußerung einer Mietwohnung geht es in dieser Woche.

Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einer vermieteten Wohnung an den anderen Miteigentümer
Beschluss vom 9. Januar 2019 –VIII ZB 26/17

Mit einem besonderen Aspekt des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin und ihr Ehemann waren Miteigentümer eines Zweifamilienhauses. Eine der Wohnungen vermieteten sie an den Beklagten. Später übertrug der Ehemann seinen Miteigentumsanteil auf die Klägerin, die dadurch Alleineigentümerin wurde. Wiederum später kündigte die Klägerin, die die andere Wohnung in dem Haus bewohnt, den Mietvertrag gemäß § 573a BGB. Der Beklagte zog erst aus, nachdem die Klägerin auf Räumung geklagt hatte. Das AG legte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO dem Beklagten auf. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Der BGH legt die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auf. Die Kündigungserklärung hätte durch die Klägerin und deren Ehemann gemeinsam erfolgen müssen. Der Ehemann ist mit der Veräußerung des Miteigentumsanteils nicht aus dem Mietvertrag ausgeschieden. § 566 Abs. 1 BGB ist nicht unmittelbar anwendbar, weil die Mietsache nicht an einen Dritten veräußert wurde. Eine entsprechende Anwendung scheidet mangels vergleichbarer Interessenlage aus. § 566 Abs. 1 BGB dient dem Zweck, den Erwerber an das Mietverhältnis zu binden. Dieser Zweck ist nicht berührt, wenn der Erwerber bereits Partei des Mietvertrags ist.

Praxistipp: In der gegebenen Konstellation darf die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden, weil das Verfahren nach § 91 ZPO nicht dazu dient, grundsätzliche Fragen des materiellen Rechts zu klären. Die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Zulassung ist für den BGH aber bindend.