EuGH: Nicht immer Widerrufsrecht bei Kauf auf einer Messe

Das Widerrufsrecht des Verbrauchers soll diesen entweder vor den Nachteilen schützen, die Ware nicht ausgiebig vor dem Kauf geprüft zu haben (Fernabsatz) oder vor Vertragsabschluss nicht gründlich die Tragweite des Geschäfts überschaut zu haben („Haustürgeschäfte“, Versicherungen, Finanzdienstleistungen).

Haustürgeschäfte heißen seit Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie im Jahr 2014 außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, § 312b BGB.

Dem EuGH wurde eine Vorabentscheidungsersuchen des BGH vorgelegt, in dem es darum ging, ob ein – nur auf Messen tätiger – Händler bei dem Verkauf eines Dampfreinigers auf einer Messe den kaufenden Verbraucher über sein Widerrufsrecht hätte belehren müssen. Entscheidende Frage war hier, ob die Voraussetzungen des § 312b Abs. 2 S. 1 BGB vorliegen:

„Geschäftsräume im Sinne des Absatzes 1 sind unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. „

Rechtlicher Knackpunkt ist hier das „für gewöhnliche Ausüben seiner Tätigkeit“.

Der EuGH hält es für möglich, dass ein Messestand ein beweglicher Gewerberaum ist, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt, sodass kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestünde.

Der EuGH stellt klar auf den Sinn und Zweck der Regelung ab:

„Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass ein Messestand eines Unternehmers wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.“

Die Frage, welchen Eindruck der Messestand hier vermittelte, ist dann wieder vom nationalen Gericht zu klären.

Hier werden vermutlich Kriterien wie

  • eine deutlich erkennbare Beschriftung des Messestands,
  • das (großvolumige) Verteilen von Rabattgutscheinen auf der Messe,
  • die gewöhnliche Art des Vertriebes von Produkten des Unternehmens (z.B. allgemein bekannt kein stationärer Handel).

Praxistipp

Für Messeverkäufer dürfte es daher attraktiv sein, möglichst deutlich nach Außen hin zu zeigen: Hier werden Verträge abgeschlossen. So haben sie die Möglichkeit, dem Widerrufsrecht des Verbrauchers zu entgehen. Dies sollte auch z.B. durch Fotos des Messestands dokumentiert werden.

Messekäufer werden genauer hinsehen müssen, ob ein Widerrufsrecht eingeräumt wird. Ist dies nicht der Fall, kann ein solches – auch unabhängig von der gesetzlichen Situation – vertraglich vereinbart werden. Seriöse Messeverkäufer werden sich vermutlich auf eine solche Regelung in vielen Fällen einlassen.

EuGH Urt. v. 07.08.2018, C-485/17, Verbraucherzentrale Berlin e.V. / Unimatic Vertriebs GmbH

Montagsblog: Neues vom BGH

Dass die sorgfältige rechtliche Qualifikation eines Vertrags nicht nur theoretische Bedeutung hat, belegt eine aktuelle Entscheidung des BGH.

Lieferung und Montage einer Einbauküche
Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 19/18

Der VII. Zivilsenat erinnert daran, dass ein Vertrag über Lieferung und Montage einer Einbauküche je nach den Umständen des Einzelfalls rechtlich unterschiedlich zu qualifizieren ist.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten für 10.020 Euro eine Küche einschließlich Lieferung und Montage bestellt. Nach der Montage unterzeichnete sie ein Übergabeprotokoll, in dem vermerkt ist, dass die Arbeitsplatte in Ordnung sei. Später bemängelte die Klägerin, die Arbeitsplatte sei abweichend von der Bestellung nicht durchgehend in schwarz-weiß-grau gehalten, sondern weise über weite Strecken eine beigefarbene, rote und braune Färbung auf. Die auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 3.800 Euro gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos. Das LG sah den geltend gemachten Anspruch gemäß § 640 Abs. 2 BGB (seit 28.4.2017: § 640 Abs. 3 BGB) als unbegründet an, weil die Klägerin das Werk in Kenntnis des geltend gemachten Mangels vorbehaltlos abgenommen habe.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er verweist auf seine Rechtsprechung, wonach ein Vertrag über Lieferung und Montage einer Küche je nach Leistungsschwerpunkt als Kauf mit Montageverpflichtung oder als Werkvertrag einzuordnen ist. Weder das AG noch das LG haben sich mit dieser Frage befasst. Sie durfte im Streitfall nicht offen bleiben, weil das Kaufrecht eine dem § 640 Abs. 3 BGB vergleichbare Regelung nicht kennt.

Praxistipp: Ob § 640 Abs. 3 BGB, der seinem Wortlaut nach nur die Ansprüche auf Nacherfüllung und Ersatz der Aufwendungen zur Mangelbeseitigung sowie das Recht auf Minderung und Rücktritt ausschließt, auch einem auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten gerichteten Schadensersatzanspruch entgegensteht, ist für das seit 1.1.2002 geltende Werkvertragsrecht noch nicht abschließend geklärt; vgl. dazu etwa Schwenker/Rodemann in Erman, BGB, 15. Auflage 2017, § 640 Rn. 22).  

EuGH zu Cordoba: Urheber sind doch nicht vogelfrei!

Urheber haben das Recht zu entscheiden, wie mit ihren Werken verfahren werden können. Die Verwertungsrechte ergeben sich aus den §§ 15 ff UrhG. Dazu gehört auch das Recht, ein Werk öffentlich zugänglich zu machen gem. § 19a UrhG, der wohl heute bedeutendsten Nutzungsart durch die Bereitstellung im Internet.

Eine Vielzahl von Entscheidungen hat sich mit dem auseinandersetzen müssen, was durch die heutige Technik alles möglich geworden ist, sich dabei stets fragen müssen: Ist das ein öffentliches Zugänglichmachen? Der EuGH hat dabei eine Vielzahl von Kriterien geschaffen, anhand derer eine Beurteilung stattfindet. Der eigentlich auf den ersten Blick einleuchtende Begriff wurde damit massiv verkompliziert und vielen Wertungsfragen (= Raum für Sonderfälle) verknüpft.
Die bisherigen Erkenntnisse:

  • Das Verlinken auf eine fremde Website ist außer in Ausnahmefällen kein (neues) öffentliches Zugänglichmachen, denn es wird keine neue Öffentlichkeit erreicht. Es war bereits vorher im Netz öffentlich zugänglich (EuGH Beschl. v. 21.10.2014 – C-348/13 – „BestWater“).
  • Das Einbinden fremder Inhalte durch Einbetten (wie z.B. ein iFrame) ist (außer in Sonderfällen der Umgehung von Zugangssperren) kein öffentliches Zugänglichmachen (EuGH Urteil vom 21.10.2014 – C-348/13).

Wie sieht es aber aus, wenn ein irgendwo (!) im Netz frei zugängliches Bild auf einem anderen Server neu hochgeladen wird? Grundlage des Falles war eine Veröffentlichung eines Referates auf einer Schulwebsite. Der Schüler hatte die Fotos aber schlicht im Internet „gemopst“.  Der BGH war sich ob der vorausgehenden Rechtsprechung des EuGH nicht sicher, ob dieser Fall eine Urheberrechtsverletzung darstellt oder nicht und legte dies dem EuGH vor. Grund hierfür war, dass das Foto dem (vermeintlich) gleichen Publikum (Internetnutzer) auf die gleiche technische Art und Weise bereits zugänglich war, nämlich auf der Website des Urhebers.

Hätte der EuGH hier ein öffentliches Zugänglichmachen abgelehnt, wäre das der Anfang vom Ende des Urheberrechtsschutzes gewesen. Es träte quasi mit der ersten Veröffentlichung eines Werkes im Internet die digitale Erschöpfung ein, ohne dass der Urheber – anders als in den Link- und Einbettungsfällen – noch Einfluss auf die Nutzung des Werkes hätte.

Der EuGH hat folglich heute, wie erwartet, hier ein öffentliches Zugänglichmachen mit gewichtigen Argumenten bejaht.

31      Im Ergebnis wäre somit das Werk des Urheberrechtsinhabers, selbst wenn er beschlösse, es nicht mehr auf der Website wiederzugeben, auf der es ursprünglich mit seiner Zustimmung wiedergegeben worden ist, weiterhin auf der Website zugänglich, auf der die neue Einstellung erfolgt ist. Der Gerichtshof hat aber bereits betont, dass der Urheber eines Werks die Möglichkeit haben muss, die Ausübung seiner Rechte zu dessen Nutzung in digitaler Form durch einen Dritten zu beenden und dem Dritten dadurch jede künftige Nutzung dieses Werks in digitaler Form zu untersagen, ohne zuvor andere Förmlichkeiten beachten zu müssen (vgl. entsprechend Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke, C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 51).

32      Zweitens sieht Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 ausdrücklich vor, dass sich das Recht der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht mit den in dieser Vorschrift genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit erschöpft.

33      Ginge man aber davon aus, dass, wenn auf einer Website ein Werk eingestellt wird, das zuvor auf einer anderen Website mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers wiedergegeben worden ist, dieses Werk keinem neuen Publikum zugänglich gemacht wird, liefe dies darauf hinaus, eine Regel über die Erschöpfung des Rechts der Wiedergabe aufzustellen.

34      Eine solche Regel widerspräche nicht nur dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29, sondern nähme dem Urheberrechtsinhaber die im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie genannte Möglichkeit, eine angemessene Vergütung für die Nutzung seines Werkes zu verlangen, obwohl, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, der spezifische Gegenstand des geistigen Eigentums insbesondere den Inhabern der betreffenden Rechte den Schutz der Befugnis gewährleisten soll, das Inverkehrbringen oder die Zugänglichmachung der Schutzgegenstände dadurch kommerziell zu nutzen, dass gegen Zahlung einer Vergütung Lizenzen erteilt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 107 und 108).

35      Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist in Anbetracht der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Einstellung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf eine andere Website als die, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt ist, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als Zugänglichmachung eines solchen Werks für ein neues Publikum einzustufen ist. Denn unter solchen Umständen besteht das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werks auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, nur aus den Nutzern dieser Website und nicht aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers eingestellt worden ist, oder sonstigen Internetnutzern.

Diese Entscheidung entspricht wohl dem gesunden Menschenverstand und – ausweislich der Formulierung des Vorlagebeschlusses des BGH – auch der dortigen Vermutung.

(EuGH Urt. v. 07.08.2018, C‑161/17)

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Abwägung zwischen dem Recht auf Rechtsverfolgung oder -verteidigung in staatlich geregelten Verfahren und dem Persönlichkeitsrecht Betroffener geht es in dieser Woche.

Unterlassungsklage eines Dritten gegen Einreichung von Fotos in gerichtlichen und behördlichen Verfahren
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 86/16

Der VI. Zivilsenat setzt die Rechtsprechung fort, wonach Vorbringen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren nur unter engen Voraussetzungen mit einer gesonderten Klage angegriffen werden darf.

Der im Jahr 2002 geborene Kläger lebte bis zu seinem fünften Lebensjahr bei den Großeltern. Ende 2007 verbrachte ihn das zum Vormund bestellte Stadtjugendamt in ein Heim. Die Großeltern waren damit nicht einverstanden und wendeten sich an einen Verein um Hilfe, dessen stellvertretender Vorsitzender der Beklagte war. Dieser erhob Anfang 2009 gegenüber verschiedenen Institutionen den Vorwurf, der Kläger werde im Heim misshandelt. Zum Beleg übersandte er mehrere Fotos, auf denen der Kläger mit Beulen am Kopf sowie Hämatomen an Bauch und Rücken zu sehen war. Zu den Adressaten dieser Schreiben gehörten der Petitionsausschuss der Europäischen Union, das Europäische Parlament, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, der für die Aufsicht über das Heim zuständige Landschaftsverband, ein Landgericht, bei dem zwei für den Vormund tätige Anwälte den Beklagten wegen unzulässiger Veröffentlichung von Schriftsätzen im Internet in Anspruch nahmen, und ein Amtsgericht, bei dem der Kläger vom Beklagten die Erstattung der Kosten für eine Abmahnung wegen unzulässiger Veröffentlichung anderer Fotos im Internet begehrte. Das LG verbot dem Beklagten die weitere Einreichung solcher Fotos hinsichtlich aller sechs Institutionen. Das OLG wies die Klage hinsichtlich des Landschaftsverbands und der beiden Gerichte ab. Dagegen wandte sich die Revision des Klägers.

Der BGH weist die Revision zurück, soweit es um den Landschaftsverband geht. Hinsichtlich der beiden Gerichte stellt er das erstinstanzliche Urteil wieder her. Zur Begründung knüpft er an seine ständige Rechtsprechung an, wonach für eine zivilrechtliche Klage gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Diese Grundsätze gelten mit gewissen Einschränkungen auch insoweit, als ein Dritter betroffen ist, der an dem anderen Verfahren nicht beteiligt ist. Sie sind entsprechend heranzuziehen, wenn es nicht um schriftlichen oder mündlichen Vortrag, sondern um Vorlage von Fotos oder dergleichen geht. Eine Klage ist danach nur dann zulässig, wenn die Fotos der Intimsphäre des Betroffenen zuzuordnen sind oder wenn ihr Inhalt keinen hinreichenden sachlichen Bezug zu dem Verfahren aufweist. Im Streitfall betrafen die Bilder (noch) nicht die Intimsphäre des Klägers. Ihre Weitergabe führte aber zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Privatsphäre. Deshalb muss ein besonders enger sachlicher Bezug zu dem jeweiligen Verfahren bestehen. Diese Voraussetzung war hinsichtlich des Landschaftsverbands gegeben, weil dieser dem Vorwurf der Kindesmisshandlung in dem von ihm beaufsichtigten Heim nachgehen muss. Hinsichtlich der beiden Gerichte fehlte es hingegen an dem erforderlichen Zusammenhang, weil es in den dort anhängigen Verfahren um andere Fotos bzw. Äußerungen ging und der Beklagte die Fotos nicht als Beweismittel für konkreten Sachvortrag benannt, sondern nur pauschal in Bezug genommen hatte.

Praxistipp: Soweit eine Klage nach den aufgezeigten Grundsätzen unzulässig ist, stehen dem Betroffenen auch nach Abschluss des Verfahrens, in dem die Bilder eingereicht wurden, deswegen keine Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz zu.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Abgrenzung zwischen Miteigentums- und Mietrecht geht es in dieser Woche.

Überlassung von gemeinschaftlichen Räumen an einen Miteigentümer
Urteil vom 25. April 2018 – VIII ZR 176/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der rechtlichen Einordnung eines Vertrags, mit dem einem Miteigentümer gegen Entgelt die alleinige Nutzung einer Wohnung auf dem gemeinschaftlichen Grundstück gestattet wird.

Die klagenden Eheleute bewohnten auf der Grundlage eines im Jahr 2009 geschlossenen Mietvertrags eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das der Klägerin und einigen ihrer Verwandten gemeinschaftlich gehörte. Zum Abschluss des Vertrags verwendeten die Beteiligten ein Formular für einen Wohnungs-Einheitsmietvertrag. Auf Vermieterseite unterschrieben alle Miteigentümer, auf Mieterseite die beiden Kläger. Nach dem Tod eines Miteigentümers erwarb die Beklagte vom Insolvenzverwalter einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Sie vertrat die Auffassung, der Mietvertrag sei ihr gegenüber nicht bindend. Die Kläger begehrten daraufhin die Feststellung, dass das Mietverhältnis bis auf weiteres fortbesteht und insbesondere nicht durch den Erwerb des Miteigentumsanteils durch die Beklagte beendet worden ist. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH spricht die begehrte Feststellung aus. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht einem wirksamen Abschluss des Vertrags nicht entgegen, dass die Klägerin diesen sowohl als Mieterin als auch als Vermieterin abgeschlossen hat. Etwas anderes gälte nur dann, wenn auf beiden Seiten vollständige Personenidentität bestände. Der danach wirksam geschlossene Vertrag ist rechtlich nicht als bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 745 BGB zu bewerten, sondern – jedenfalls auch – als Wohnungsmietverhältnis. Eine solche Einordnung liegt regelmäßig nahe, wenn einem einzelnen Miteigentümer eine Wohnung gegen Entgelt zur alleinigen Nutzung überlassen wird. Für diese Auslegung spricht im Streitfall zudem, dass der Umfang der eingeräumten Nutzung weit über den Miteigentumsanteil der Klägerin hinausgeht und dass die ursprünglichen Vertragsparteien ein Formular für einen Mietvertrag verwendet haben. Die Einordnung als Mietvertrag führt dazu, dass die Kläger unter dem Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts stehen und dass ein neuer Miteigentümer, der Anteile an dem Grundstück erwirbt, gemäß § 566 Abs. 1 BGB an den Mietvertrag gebunden ist. Eine bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses im Sinne von § 745 BGB ist für einen neuen Miteigentümer gemäß § 1010 BGB hingegen nur bindend, wenn sie im Grundbuch eingetragen ist. Diese Einschränkung gilt im Falle eines Mietvertrags weder für § 566 Abs. 1 BGB noch für andere Vorschriften des Mietrechts.

Praxistipp: An eine Vertragsdauer von mehr als einem Jahr ist der Erwerber nur dann gebunden, wenn der Mietvertrag den Formerfordernissen des § 550 BGB genügt. Ein nicht wirksam befristeter Wohnraummietvertrag kann allerdings nur nach Maßgabe von § 573 BGB gekündigt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Eine seit Inkrafttreten des HGB im Jahr 1900 in der Literatur umstrittene Frage ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung.

Handelsgeschäft und unerlaubte Handlung
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 121/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die von einer Mahnung unabhängige Verzinsung nach § 353 HGB auch für Forderungen aus unerlaubter Handlung gilt.

Die Klägerin zu 1 hatte bei der in Italien ansässigen Beklagten zwei Maschinen zum Mischen von Kunststoff gekauft. Knapp acht Jahre nach dem Erwerb kam es zu einem Störfall, bei dem Salzsäure austrat. Dadurch wurden unter anderem technische Einrichtungen des der Klägerin zu 2 gehörenden Fabrikgebäudes beschädigt. Die Klägerin zu 2 verlangte Ersatz der Kosten für die Schadensbeseitigung, Verzugszinsen für den Zeitraum ab der ersten Mahnung und Zinsen gemäß § 353 HGB (in Höhe von rund 112.000 Euro) für den Zeitraum zwischen Schadensentstehung und Mahnung. Die Zinsforderung blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagte auch insoweit antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des Zinsanspruchs an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanz hält er § 353 HGB, der bei beiderseitigen Handelsgeschäften eine Verzinsungspflicht ab Fälligkeit vorsieht, für nicht anwendbar, wenn die Hauptforderung auf einer unerlaubten Handlung beruht. Die Gegenauffassung, die die Vorschrift anwenden will, wenn die unerlaubte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft steht, ermöglicht nach seiner Auffassung keine konsequente Abgrenzung. Zudem hält er eine enge Auslegung der Vorschrift auch deshalb für geboten, weil die ihr zugrunde liegende Erwägung, ein Kaufmann werde ihm zustehendes Geld stets nutzbringend anlegen, unter modernen Verhältnissen ohnehin zweifelhaft sei. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu prüfen haben, ob die geltend gemachten Zinsen als eigenständiger Schadensposten zu ersetzen sind, etwa als Finanzierungskosten.

Praxistipp: Eine von einer Mahnung unabhängige Verzinsungspflicht sieht § 849 BGB für den Fall vor, dass wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache Wertersatz zu leisten ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Wahrung des rechtlichen Gehörs bei Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens geht es in dieser Woche.

Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts
Urteil vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den prozessualen Voraussetzungen für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer entscheidungserheblichen Frage.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach dem Einsetzen von Zahnimplantaten und einer Kieferbrücke auf Schadensersatz in Anspruch. Sie machte unter anderem geltend, die eingesetzte Brücke sei von ihrer Konstruktion her nicht geeignet gewesen, einen festsitzenden Zahnersatz herzustellen. Zum Beweis dafür bot sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens ein. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, soweit es um Ersatzansprüche wegen der Zahnbrücke geht. Das OLG hat insoweit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass und aus welchem Grund es selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Zu einem diesbezüglichen Hinweis ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn es aufgrund eigener Sachkunde zu der Einschätzung gelangt, dass die Einholung eines Gutachtens nicht geeignet ist, die entscheidungsrelevante Frage zu klären.

Praxistipp: Wenn das Gericht den gebotenen Hinweis erteilt, und die Partei die Darlegungen zur eigenen Sachkunde für nicht ausreichend hält, muss sie entsprechende Rügen noch in der Berufungsinstanz erheben, um einen Rügeverlust in der Revisionsinstanz zu vermeiden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Welche Schwierigkeiten bei der Anrechnung von Teilzahlungen auf offene Mietforderungen entstehen können, zeigt eindrucksvoll eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats

Klage auf rückständige Bruttomiete
Urteil vom 21. März 2018 – VIII ZR 68/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Bestimmtheit eines auf Zahlung rückständiger Bruttomiete gerichteten Klageantrags.

Die Klägerin hatte an den Beklagten eine Wohnung vermietet. Die monatliche Kaltmiete betrug rund 600 Euro, die Vorauszahlung auf die Nebenkosten rund 150 Euro. Die Klage war auf rückständige Miete in Höhe von rund 13.500 Euro für einen Zeitraum von rund 18 Monaten gerichtet. Zur Aufschlüsselung der Klageforderung bezog sie sich auf eine (im Tatbestand des Urteils wiedergegebene) Tabelle, in der für jeden Monat die Miete sowie angefallene Kosten für Rücklastschriften, Mahnungen und Rechtsanwälte, die (nur sehr sporadisch) erbrachten Zahlungen und der insgesamt offene Rückstand aufgelistet waren. Das AG wies die Klage als unzulässig ab. Die Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er zeigt in 55 Randnummern und mit 14 (auf drei Gliederungsebenen verteilten) Leitsätzen auf, dass der Klageantrag entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hinreichend bestimmt ist. Zentrale Bedeutung misst er hierbei der Anrechnungsvorschrift des § 366 Abs. 2 BGB bei. Wenn sich aus dem Klagevortrag nichts Abweichendes ergibt, ist davon auszugehen, dass der Kläger die Forderungen einklagt, die sich ergeben, wenn auf die aufgelisteten Ansprüche die angegebenen Zahlungen und Gutschriften nach Maßgabe dieser Vorschrift angerechnet werden. Sie ist sowohl im Verhältnis zwischen den Forderungen für die einzelnen Monate als auch – insoweit analog – im Verhältnis zwischen dem Anspruch auf Kaltmiete und dem Anspruch auf Nebenkostenvorauszahlung für einen einzelnen Monat anzuwenden. Für die Reihenfolge der Anrechnung sind zwei Kriterien maßgeblich: In erster Linie sind die Nebenkosten zu berücksichtigen, weil diese nur in beschränktem Umfang nachgefordert werden können. Innerhalb derselben Kategorie ist zunächst die älteste Forderung zu berücksichtigen.

Praxistipp: Um unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden, dürfte es in der Regel zweckmäßig sein, dass der Kläger die Zuordnung der Zahlungen selbst vornimmt und nicht darauf hofft, dass ihm das Gericht diese Arbeit abnehmen wird. Ergänzend empfiehlt sich die Klarstellung, dass die Anrechnung nach § 366 Abs. 2 BGB erfolgen soll, sofern sich die vorgenommene Zuordnung als unzureichend erweisen sollte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Mit den Anforderungen an die Form eines längerfristigen Grundstücksmietvertrags befasst sich der XII. Zivilsenat.

Formwirksamer Mietvertrag in zwei Urkunden mit je einer Unterschrift
Urteil vom 7. März 2018 – XII ZR 129/16

Der XII. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur zweckorientierten Auslegung des Formerfordernisses in § 550 BGB aus.

Die Parteien stritten über den Fortbestand eines Vertrags über Errichtung und Betrieb einer Photovoltaikanlage. Der Vertrag sah eine Laufzeit von dreißig Jahren und ein einmaliges Nutzungsentgelt von einem Euro vor. Er wurde in zwei Ausfertigungen niedergelegt, von denen jede Vertragspartei nur diejenige unterschrieb, die in ihrem Besitz verblieb. Sieben Monate nach Abschluss kündigte der Vermieter den Vertrag. Kurz darauf veräußerte er das Grundstück an die Beklagte. Diese verweigerte dem Mieter den weiteren Zutritt. Die unter anderem auf Feststellung des Fortbestands des Vertrags gerichtete Klage des Mieters blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er billigt zwar die von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichende Auffassung der Vorinstanz, dass es sich nicht um einen Pacht- sondern um einen Mietvertrag handelt. Anders als das OLG kommt er jedoch zu dem Ergebnis, dass die für die Vereinbarung der Laufzeit erforderliche Form des § 550 BGB eingehalten ist. Wenn ein Vertrag in zwei Ausfertigungen erstellt wird, von denen jede Partei nur eine unterschreibt, genügt dies zwar der gesetzlichen Schriftform nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB nur dann, wenn jeder Partei die vom jeweils anderen Teil unterschriebene Ausfertigung zugegangen ist. Die besondere Formvorschrift in § 550 BGB dient aber anderen Zwecken, im Wesentlichen der Dokumentation des Mietverhältnisses für den Fall einer Veräußerung des Grundstücks. Hierfür reicht es nach Auffassung des BGH aus, wenn jede Partei die von ihr unterschriebene Ausfertigung behält.

Praxistipp: Wegen des unterschiedlichen Zwecks von § 126 und § 550 BGB darf Rechtsprechung zur einen Vorschrift nie unbesehen auf die anderen übertragen werden – weder in die eine Richtung noch in die andere.

OLG Düsseldorf: Keine markenrechtliche Erschöpfung bei Luxuskosmetik

Im Markenrecht gilt der Grundsatz, dass einmal in der EU / im EWR mit Zustimmung des Markeninhabers in den Verkehr gebrachte Ware frei gehandelt werden darf, Markenrechte sind dann an diesen Produkte erschöpft.

Der Markeninhaber darf sich nach § 24 MarkenG oder Art. 15 UMV  einem weiteren Vertrieb nur dann widersetzen, wenn berechtigte Gründe hierfür vorliegen, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist. In der Rechtsprechung ging es dabei zum Beispiel häufig um Importmedikamente, die zur Vermarktung in Hochpreismärkten umgepackt oder umetikettiert wurden.

Im vorliegenden Fall wandte sich der Hersteller von Luxuskosmetik gegen einen Verkauf seiner Produkte in den Lokalen der REAL-Warenhauskette.

Der Europäische Gerichtshof hatte jüngst mit der COTY-Entscheidung (EuGH, Urteil vom 6.12.2017 – C-230/16) eine Einschränkung des freien Handels durch die Beschränkung des Internetvertriebs über Drittplattform für kartellrechtskonform gehalten, wenn dies zur Sicherung des Luxusimages von Waren aus einem selektiven Vertriebssystem erforderlich ist.

Offenbar von diesen Erwägungen getrieben schließt das OLG Düsseldorf nun darauf, dass auch im Markenrecht im Falle der Gefährdung des Luxusimages von Produkten aus einem selektiven Vertriebssystem ein berechtigter Grund zur Einschränkung des Grundsatzes der Erschöpfung darstellt.

Die Entscheidungsgründe aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren sind noch nicht veröffentlicht.

Ob die Entscheidung tatsächlich „wegweisend“ ist, darf dabei aber zumindest in Frage gestellt werden. Den Weg für Produkte, deren Luxusimage bedroht ist, hat der EuGH bereits vor gut 20 Jahren (EuGH Urt. v. 04.11.1997, C-337/95, Rn. 45 ff.  –  Dior/Evora) und daran anschließend im Jahr 2009 (EuGH Urt. v. 23.04.2009, C-59/08 Rn. 56 – Copad/Dior) geebnet, wobei stets auf das Umfeld des Vertriebs abgestellt wurde.

Auch in Zukunft bleibt der Weg steinig für Markeninhaber, die gegen einen vorgefundenen Grauvertrieb vorgehen möchten. Weiterhin dürften gesteigerte Anforderungen an den Umfang der Darlegungen zum Bestehen eines Luxusimages und der Frage der Beeinträchtigung dieses Images durch den Grauvertrieb bestehen. Alteingesessene Luxuslabels dürften es dabei deutlich einfacher haben, bieten aber auch durch enger gestrickte Vertriebssysteme weniger Angriffsfläche für den unerwünschten Vertrieb abseits der imageträchtigen Hauptschiene. Es dürfte daher weiterhin sinnvoll sein, die Grundsätze der COTY-Entscheidung schon bei der Gestaltung der Warendistribution mit einzubeziehen, damit einem drohenden Graumarkt schlicht die Warenquelle fehlt.

(OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2018, I-20 U 113/17).