Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Darlegungslast zu der Frage, ob ein Unfallgeschädigter erwerbsunfähig ist.

Zumutbare Erwerbstätigkeit nach Verkehrsunfall
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 152/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Verteilung der Darlegungslast, wenn ein Unfallgeschädigter Ersatz für Verdienstausfall begehrt.

Bei einem Verkehrsunfall im August 2001, für dessen Folgen der beklagte Haftpflichtversicherer voll einzustehen hat, ist die damals 48 Jahre alte Geschädigte schwer verletzt worden. Sie verlor deshalb ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau. Mehrere Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass die Geschädigte ab 2006 wieder erwerbsfähig sein werde. Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie nach Begutachtung durch einen Arzt als nicht mehr vermittlungsfähig erachtet wurde. Der klagende Rentenversicherungsträger trug die Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen und zahlte bis 2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er verlangt von der Beklagten Erstattung der erbrachten Zahlungen in Höhe von rund 185.000 Euro.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Klage bis auf einen Betrag von rund 1.300 Euro abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass der auf den Kläger übergegangene Ersatzanspruch gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu kürzen ist, wenn sich die Geschädigte nicht hinreichend um die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit bemüht hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt beim Schädiger. Den Geschädigten trifft aber eine sekundäre Darlegungslast. Er muss vortragen, welche Bemühungen er unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden.

Entgegen der Auffassung des OLG können von einem Geschädigten, den das Arbeitsamt als nicht vermittlungsfähig ansieht, grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und keine weiteren Bemühungen um Rehabilitationsmaßnahmen erwartet werden.

Darüber hinaus hätte das Berufungsgericht einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht zum Anlass nehmen dürfen, den Ersatzanspruch um eine Quote zu kürzen oder durch Ansetzen eines Mitverschuldensanteils von 100 % auf Null zu reduzieren. Vielmehr wären gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen, welche Einkünfte die Geschädigte bei hinreichenden Bemühungen hätte erzielen können, und der zu ersetzende Betrag um diese Beträge zu verringern. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit ebenfalls beim Schädiger. Den Geschädigten kann aber eine sekundäre Beweislast treffen, wenn der Schädiger eine Verdienstmöglichkeit hinreichend substantiiert vorträgt.

Praxistipp: Eine sekundäre Darlegungslast führt nicht zu einem Übergang der Beweislast. Kommt der Gegner seiner sekundären Darlegungslast nach, liegt es an der beweisbelasteten Partei, dieses Vorbringen zu widerlegen.

Blog Update Haftungsrecht: Haftet der Kfz-Halter für ungestörten Straßenbahnbetrieb?

Es ist eine im Großstadtverkehr beinahe alltägliche Situation, dass der Straßenbahnverkehr durch ein Hindernis auf den Schienen blockiert wird. Für die Fahrgäste bedeutet dies Verdruss, für das Verkehrsunternehmen – jedenfalls bei länger dauernden Störungen – erhebliche Aufwendungen, z.B. für die Einrichtung und Abwicklung eines Ersatzverkehrs. Wurde die Blockade durch ein Kfz verursacht, etwa weil es nach einem Unfall auf den Gleisen zum Liegen gekommen ist, stellt sich die Frage, ob diese Schäden durch die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters (und seine Haftpflichtversicherung) abgedeckt sind. Es überrascht, dass diese Frage erst jüngst vom BGH entschieden werden musste – weil ein Verkehrsunternehmen aus dem Sächsischen derartige Aufwendungen aus vier Verkehrsunfällen zusammengerechnet und auf den Weg durch die Instanzen gebracht hat.

Angesichts der sehr inkonsistenten Rechtsprechung zur Haftung für Nutzungsbeeinträchtigungen verwundert es nicht, dass die Instanzgerichte zu unterschiedlichen Beurteilungen gekommen sind. Beim BGH bekam der Straßenbahnbetreiber aber Recht – ein Urteil, welches die Bahnunternehmen freuen, den Haftpflichtversicherern aber Sorgen machen wird. Mögen die Schäden aus solchen Vorfällen auch überschaubar bleiben, kann deren Häufung doch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben.

Auch in rechtlicher Hinsicht wirft das Urteil Fragen auf. Der BGH leitet die Ansprüche des Verkehrsunternehmens aus § 7 Abs. 1 StVG ab. Die dort vorausgesetzte Beschädigung einer Sache sieht er in der Blockade der Gleise und überträgt die Rechtsprechung, wonach in der Beeinträchtigung der Nutzbarkeit einer Sache eine Eigentumsverletzung iS.v. § 823 Abs. 1 BGB liegen kann, ohne nähere Begründung und Auseinandersetzung mit dem Schrifttum auf die Gefährdungshaftung (anders z.B. Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rn 3.53 m.w.N.). Diese Gleichsetzung von Sachbeschädigung und Nutzungsstörung überdehnt den Wortlaut des § 7 StVG und übergeht den fundamentalen Unterschied, dass die deliktische Haftung nach § 823 BGB an die Verletzung eines Rechts (s. die Definition des Eigentums in § 903 BGB), die verschuldensunabhängige Haftung für den Kfz-Betrieb an die Unversehrtheit einer Sache anknüpft. Dadurch wird der gesetzgeberisch gewollte Ausschluss reiner Vermögensschäden von der Gefährdungshaftung untergraben.

Auch soweit das BGH-Urteil den Zurechnungszusammenhang zwischen Kfz-Betrieb und den Kosten für die Abwicklung des gestörten Bahnverkehrs bejaht, bietet es Diskussionsstoff, denn zumindest kleinere Störungen (hier überschritten die vier Vorfälle zusammen nicht die Zuständigkeitsgrenze des AG) dürften eher dem Betriebsrisiko des Bahnunternehmens zuzurechnen sein. Außerdem kommt es zu schwer erklärbaren Ungleichbehandlungen, denn wenn das Bahnunternehmen (wie häufig) nicht Eigentümer der Schienen ist, bekommt es keine Entschädigung, ebenso wie der Betreiber einer Buslinie bei unfallbedingter Sperrung einer Straße.

Das Urteil des BGH v. 27.9.2022 – VI ZR 336/21 ist in MDR 2023, 32 und mit ausf. Anm. in NZV 2023, 42 abgedruckt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen der Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs.

Explosion der ausgebauten Batterie eines Elektrorollers
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 1234/20

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Grenzen der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG.

Ein Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung brachte seinen Elektroroller zur Inspektion in Werkstatträume, die bei der klagenden Gebäudeversicherung versichert waren. Ein Mitarbeiter der Werkstatt entnahm die Batterie des Rollers und begann sie aufzuladen. Als er bemerkte, dass sie sich stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.

Die Klage auf Ersatz des Brandschadens blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die vom BGH zugelassene Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an dem für die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zusammenhang zu der vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr allerdings nicht schon deshalb, weil der Roller zur Inspektion in einer Werkstatt war. Ein Schaden, der durch eine Betriebseinrichtung des Fahrzeugs verursacht wird, geht auch dann auf die Betriebsgefahr zurück, wenn er unabhängig vom Fahrbetrieb eingetreten ist.

Die Berufungsentscheidung erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend, weil die Batterie im Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht mehr in das Fahrzeug eingebaut war. Nach dem Ausbau ist die Batterie nicht anders zu beurteilen als ein anderes Bauteil, das erstmals in das Fahrzeug eingebaut werden soll. Der Umstand, dass die Batterie sich zuvor im Elektroroller befand und sich dort entladen hatte, begründet noch keinen hinreichenden Zusammenhang zum Fahrbetrieb.

Praxistipp: Der Zurechnungszusammenhang kann trotz vorherigen Ausbaus zu bejahen sein, wenn der Schaden in nahem örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang steht. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn die Batterie aufgrund starker Belastung im Fahrbetrieb schon bei der Ankunft in der Werkstatt überhitzt war und dieser Umstand für den Schaden ursächlich geworden ist.

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Diese Woche geht es um den Anspruch eines rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Anwalt auf Ersatz angefallener Kosten wegen unzureichender Beratung.

Kostenschaden auch bei Rechtsschutzversicherung
BGH, Urteil vom 29. September 2022 – IX ZR 204/21

Der IX. Zivilsenat wendet die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Kostenschaden eines rechtschutzversicherten Mandanten an.

Der beklagte Rechtsanwalt erwirkte im Jahr 2009 im Auftrag des Klägers ein Versäumnisurteil über einen Betrag von 30.000 Euro nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber einer Bank als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür beim Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage einzuholen. Nach Erteilung der Deckungszusage erwirkte der Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Nach dessen Zustellung erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zum Schuldner bestehe nicht mehr. Eine vom Beklagten gegen die Bank erhobene Klage auf Auskunft und Zahlung blieb erfolglos.

Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten Ersatz der für die Rechtsverfolgung gegen die Bank angefallenen Kosten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG kann ein ersatzfähiger Schaden nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger rechtsschutzversichert war und das Vorgehen gegen die Bank von einer Deckungszusage abhängig gemacht hat. Der gegen den Rechtsschutzversicherer gerichtete Anspruch auf Kostenbefreiung dient nicht der Verhinderung eines Schadens, sondern dessen Übernahme durch den Versicherer.

Praxistipp: Soweit der Rechtsschutzversicherer die Kosten bereits gezahlt hat, geht der Ersatzanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf ihn über. Insoweit kann der Mandant den Anspruch gegen seinen Anwalt nur noch dann geltend machen, wenn er ihn sich vom Versicherer abtreten lässt.

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Diese Woche geht es um einen typischen Anwendungsfall von Art. 103 Abs. 1 GG und § 544 Abs. 9 ZPO.

Unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung
Beschluss vom 16. August 2022 – VI ZR 1151/20

Mit einem übergangenen Beweisangebot bezüglich eines Zeugen befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung beim Ersetzen einer Kniegelenk-Prothese in Anspruch. Sie macht unter anderem geltend, der tibiale (d. h. im Schienbein verankerte) Teil der Prothese sei in erheblicher Fehlstellung eingebracht worden. Die Klage ist in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolglos geblieben.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO (d. h. ohne mündliche Verhandlung) zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Das OLG hat die von der Klägerin angebotene Vernehmung eines Arztes, der eine Revisionsoperation durchgeführt hat, zu Unrecht abgelehnt.

Der Zeuge hat bei der Revisionsoperation lediglich den femuralen (d. h. im Oberschenkel verankerten) Teil der Prothese ausgetauscht, nicht aber den tibialen. Die Klägerin hat seine Vernehmung zum Beweis der Tatsache angeboten, dass er die tibiale Komponente nur deshalb nicht ausgetauscht habe, weil sie fest einzementiert gewesen sei und nicht ohne Beschädigung des Schienbeins hätte entfernt werden können.

Das OLG hielt die Vernehmung für entbehrlich, weil der Zeuge in seinem schriftlichen Operationsbericht festgehalten hatte, ein Wechsel der tibialen Komponente sei nicht erforderlich gewesen. Darin liegt eine unzulässige Beweisantizipation. Es ist nicht auszuschließen, dass der Zeuge den Vortrag der Klägerin bestätigt, auch wenn dies nach Auffassung des OLG in Widerspruch zum Operationsbericht steht. Das OLG muss dem Beweisangebot deshalb nachgehen und darf erst nach Vernehmung des Zeugen seine Beweiswürdigung vornehmen.

Praxistipp: Lässt das Gericht schon vor der abschließenden Entscheidung erkennen, dass es einem Beweisangebot nicht nachkommen will, muss die betroffene Partei dies noch in derselben Instanz beanstanden. Ansonsten droht ein Rügeverlust in der Revisionsinstanz.

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Diese Woche geht es um die Folgen der Erstattung einer Lastschrift.

Erfüllungsanspruch nach Erstattung einer SEPA-Basislastschrift
Urteil vom 12. Mai 2022 – IX ZR 71/21

Dass die Erstattung einer Lastschrift gravierende Folgen für den Zahlenden haben kann, zeigt eine Entscheidung des IX. Zivilsenats.

Die Beklagte bezog von einer Lieferantin aufgrund eines Rahmenvertrags Waren. Die Bezahlung erfolgte per SEPA-Lastschrift. Nachdem die Lieferantin Insolvenzantrag gestellt hatte, verlangte die Beklagte von Ihrer Bank die Erstattung der in den acht Wochen zuvor erfolgten Lastschrifteinzüge. Ihr wurden daraufhin rund 135.000 Euro wieder gutgeschrieben. Derselbe Betrag wurde dem Konto der Lieferantin bei einer Sparkasse belastet, das schon zuvor einen debitorischen Saldo aufgewiesen hatte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete die Sparkasse Forderungen in Höhe von rund 400.000 Euro zur Tabelle an. Aus der Verwertung von Sicherheiten erhielt sie rund 65.000 Euro. Sie nahm daraufhin die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Zahlung der erstatteten Beträge in Anspruch. Die Beklagte zahlte aufgrund eines Vergleichs rund 100.000 Euro. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Insolvenzverwalter Zahlung des Kaufpreises für die betroffenen Lieferungen. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies sie hingegen ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Die geltend gemachten Kaufpreisansprüche sind zwar durch den erfolgreichen Lastschrifteinzug und die daraufhin erfolgte Gutschrift auf dem Konto der Lieferantin erloschen. Aus der konkludenten Erfüllungsvereinbarung, die die Beteiligten bei Nutzung des SEPA-Basislastschriftverfahrens schließen, ergibt sich aber, dass der Anspruch wieder auflebt, wenn der Zahlende von dem in § 675x Abs. 2 und 4 BGB vorgesehenen Recht Gebrauch macht, innerhalb von acht Wochen nach Belastung die Erstattung des abgebuchten Betrags zu verlangen.

Entgegen der Auffassung des OLG hängt das Recht zur Geltendmachung des Anspruchs nicht davon ab, ob der Lieferantin durch die Erstattung ein Schaden entstanden ist. Im Insolvenzverfahren ist zwischen dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen und den Insolvenzforderungen der einzelnen Gläubiger zu trennen. Die Beklagte kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass sich die Erstattung wirtschaftlich im Wesentlichen zu Lasten der Sparkasse ausgewirkt hat, die den in Rede stehenden Betrag nur noch als Insolvenzforderung gegen die Lieferantin geltend machen kann. Ungeachtet dieser Wirkungen bleibt die Beklagte als Kaufpreisschuldnerin verpflichtet, den Kaufpreis zu erbringen und damit die zur Verteilung stehende Insolvenzmasse zu vergrößern.

Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch auch nicht insoweit entfallen, als die Beklagte der Sparkasse den erstatteten Betrag zurückbezahlt hat. Diese Zahlung betrifft lediglich das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und der Sparkasse. Als Ausgleich kann die Beklagte von der Sparkasse gemäß § 255 BGB die Abtretung der Insolvenzforderung verlangen. Ihre Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises an den Insolvenzverwalter bleibt hiervon unberührt.

Praxistipp: Der ursprüngliche Erfüllungsanspruch lebt auch dann wieder auf, wenn der Zahlende den gezahlten Betrag aufgrund der Käuferschutzregeln beim Amazon oder PayPal zurückerhält. Dogmatisch wird dieses Ergebnis auf eine bereits bei Vertragsschluss (und nicht erst bei der Zahlung) getroffene konkludente Vereinbarung gestützt. Trotz dieses Unterschieds kann eine Erstattung zu vergleichbaren Konsequenzen führen, wenn der Käufer das Geld ohne zureichenden Grund zurückverlangt hat.

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Diese Woche geht es um die Schadensberechnung nach einer Teilreparatur des beschädigten Unfallfahrzeugs.

Keine Umsatzsteuer bei Abrechnung auf Basis fiktiver Reparaturkosten
Urteil vom 5. April 2022 – VI ZR 7/21

Mit der Reichweite von § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Das Fahrzeug der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Beklagte hat als Haftpflichtversicherer für die Unfallfolgen einzustehen. Ein von der Klägerin beauftragter Sachverständiger bezifferte die Reparaturkosten auf rund 5.500 Euro netto. Die Beklagte erstattete diesen Betrag. Die Klägerin ließ für rund 4.400 Euro netto eine Teilreparatur durchführen. Sie begehrt Zahlung der darauf angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von rund 850 Euro. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der BGH lässt offen, ob die durchgeführte Reparatur notwendig war, um das Fahrzeug in einen verkehrs- und betriebssicheren Zustand zu versetzen. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, stünde der Klägerin gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB kein Anspruch auf Erstattung von Umsatzsteuer zu, weil sie ihren Schaden nicht anhand der tatsächlich angefallenen Kosten für die Teilreparatur berechnet hat, sondern anhand der fiktiven Kosten einer vollständigen Reparatur. Eine Kombination der beiden Berechnungsarten ist unzulässig. Dies gilt auch im Falle einer Teilreparatur.

Praxistipp: Übersteigen die Kosten der Teilreparatur einschließlich Umsatzsteuer die bereits erstatteten fiktiven Kosten einer vollständigen Reparatur, darf der Geschädigte nachträglich die Abrechnungsmethode wechseln.

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Diese Woche geht es um die formalen Anforderungen an eine Berufungsschrift und die Pflicht des Anwalts, deren Einhaltung zu überprüfen.

Angabe des Berufungsklägers in der Berufungsschrift
Beschluss vom 15. März 2022 – VI ZB 20/20

Mit einem nicht gerade alltäglichen Ablauf bei der Einlegung einer Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Klägerin macht Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus geltend. Die Beklagte zu 1 ist das Klinikum, der Beklagte zu 2 der behandelnde Arzt. Das LG verurteilte beide Beklagten antragsgemäß. Am letzten Tag der Berufungsfrist reichten die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beiden Beklagten beim OLG einen Schriftsatz ein, in dem sie „namens und in Vollmacht der Berufungsklägerin“ Berufung einlegten. Im Rubrum des Schriftsatzes ist auf Beklagtenseite nur die Beklagte zu 1 aufgeführt. Im weiteren Verlauf machten die Prozessbevollmächtigten geltend, die Berufungseinlegung beziehe sich selbstverständlich auf beide Beklagten. Das OLG lehnte die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung des Beklagten zu 2 als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist nur für die Beklagte zu 1 fristgerecht eingelegt worden. Aus dem Wortlaut der ursprünglich eingereichten Berufungsschrift geht nicht hervor, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt ist. Innerhalb der Berufungsfrist waren für das OLG auch keine sonstigen Umstände erkennbar, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass die Berufung auch für den Beklagten zu 2 eingelegt ist. Dass die beiden Beklagten in dem angefochtenen und der Berufungsschrift beigefügten Urteil als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, reicht nicht aus.

Das OLG hat auch die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Der mit der Sachbearbeitung betraute Rechtsanwalt musste die Angaben in der Berufungsschrift selbst überprüfen oder seinen Urlaubsvertreter, der den Schriftsatz unterschrieben hat, darüber informieren, dass das Rechtsmittel für beide Beklagten eingelegt werden soll. Beide Anwälte durften sich nicht auf die mündliche Mitteilung ihrer Büroangestellten verlassen, der Schriftsatz sei entsprechend den Vorgaben des Sachbearbeiters erstellt worden.

Praxistipp: Um Fehler dieser Art zu vermeiden, sollten sich Anwalt und Urlaubsvertreter über alle während der Vertretung anstehenden wichtigen Aufgaben unmittelbar austauschen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftung eines Rechtsanwalts für den Abschluss eines nicht eindeutig formulierten gerichtlichen Vergleichs

Anwaltshaftung für gerichtlichen Vergleich
Urteil vom 16. Dezember 2021 – IX ZR 223/20

Mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Formulierung eines gerichtlichen Vergleichs befasst sich der IX. Zivilsenat.

Ein Versicherungsnehmer des klagenden Krankenversicherungs-Unternehmens hatte eine Orthopädin wegen eines Aufklärungsfehlers gerichtlich auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Höhe von rund 660.000 Euro sowie auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftiger Schäden Anspruch genommen. Mit der Prozessführung war ein bei der Sozietät der Beklagten angestellter Rechtsanwalt betraut. Das Gericht stellte die durch Grund- und Teilurteil die Ersatzpflicht der Ärztin dem Grunde nach fest und sprach dem Versicherungsnehmer 200.000 Euro zu. Nach Rechtskraft dieses Urteils schlossen die Prozessparteien einen Vergleich, in dem sich die Ärztin zur Zahlung weiterer 580.000 Euro verpflichtete und der Versicherungsnehmer auf alle Ansprüche aus dem Behandlungsverhältnis verzichtete, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz von Versicherungsleistungen, die sie nach Abschluss des Vergleichs erbracht hat. Nach ihrer Auffassung ist sie aufgrund der Abgeltungsklausel daran gehindert, diese Leistungen von der Ärztin ersetzt zu verlangen.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Beklagten antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt eine Pflichtverletzung begangen hat. Der Anwalt war verpflichtet, Ersatzansprüche, die gemäß § 86 VVG auf die Klägerin übergehen, auch insoweit von der Abgeltungsklausel auszunehmen, als der Übergang erst nach Abschluss des Vergleichs stattfindet. Dies umfasste die Pflicht, den Vergleich so zu formulieren, dass Zweifel über den Umfang der Abgeltungsklausel insoweit möglichst ausgeschlossen sind. Diesen Anforderungen wird die verwendete Formulierung – unabhängig davon, wie sie im Ergebnis auszulegen ist – nicht gerecht.

Es fehlt aber an einem Schaden, weil der Vergleich trotz der verwendeten Formulierung dahin auszulegen ist, dass auch Ansprüche, die erst nach Vergleichsschluss auf die Klägerin übergehen, von der Abgeltungsklausel ausgenommen sind. Ausschlaggebend dafür ist insbesondere der Umstand, dass der Versicherte mit der Schadensersatzklage ausschließlich Schadensposten geltend gemacht hatte, die nicht von der Krankenversicherung gedeckt sind, und Ansprüche, die auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind, ausdrücklich vom Streitgegenstand ausgenommen hatte.

Praxistipp: Wenn nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass eine private Kranken- oder Unfallversicherung besteht, sollten stets auch künftig übergehende Ansprüche von einer Abgeltungsklausel ausgenommen werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Regelungen über die gestörte Gesamtschuld in einem Altfall

Übergang des Direktanspruchs gegen den Kfz-Haftpflichversicherer auf den Sozialversicherungsträger
Urteil vom 7. Dezember 2021 – VI ZR 1189/20

Mit dem Verhältnis zwischen § 116 Abs. 6 SGB X aF und § 116 Abs. 1 VVG befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenversicherung. Ein bei ihr versichertes Kleinkind war bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden. Fahrerin und Alleinverursacherin des Unfalls war die Mutter des Kindes, Halterin des Fahrzeugs die Großmutter. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, bei der das Fahrzeug gegen Haftpflicht versichert war, Ersatz der entstandenen Behandlungskosten in Höhe von rund 300.000 Euro und die Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich aller weiteren Schäden. Das LG wies die Klage ab, das OLG gab ihr statt.

Die Revision der Beklagten führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass ein aus der Haftung der Fahrerin resultierender Direktanspruch gegen die Beklagte aus § 115 Abs. 1 VVG nicht gemäß § 116 Abs. 1 SGB aF auf die Klägerin übergegangen ist. Der Anspruch gegen die Fahrerin ist gemäß § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X in der für den Streitfall maßgeblichen, bis 31.12.2020 geltenden Fassung nicht auf die Klägerin übergegangen, weil die Schädigerin in häuslicher Gemeinschaft mit dem geschädigten Kind lebt. Damit konnte auch der Direktanspruch gegen die Beklagte nicht übergehen. Der Kfz-Haftpflichtversicherer tritt zwar gemäß § 116 Abs. 1 VVG als Gesamtschuldner neben den Schädiger. Der Direktanspruch dient aber nur der Sicherung des Anspruchs gegen den Schädiger. Er kann deshalb nur zusammen mit diesem Anspruch übergehen.

Ein Übergang des aus der Haftung der Halterin resultierenden Ersatzanspruchs scheitert im Streitfall nicht an § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X aF, weil diese nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind lebt. Er ist aber nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld ausgeschlossen. Im Innenverhältnis der Schädiger haftet im Streitfall allein die Fahrerin. Eine Inanspruchnahme der Halterin hätte deshalb zur Folge, dass die Fahrerin im Regresswege doch in Anspruch genommen werden könnte. Nach den etablierten Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld hat dies zur Folge, dass der Sozialversicherungsträger auch den Zweitschädiger nicht in Anspruch nehmen darf. Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer gemäß § 116 Abs. 1 VVG als weiterer Gesamtschuldner haftet und eine Belastung der privilegierten Schädigerin damit im Ergebnis nicht zu besorgen ist, nach der bis 31.12.2020 geltenden Rechtslage nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Auch insoweit ist ausschlaggebend, dass der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer lediglich der Sicherung des Anspruchs gegen den Schädiger dient.

Praxistipp: Bei Schadensfällen aus der Zeit ab 01.01.2021 kann der Sozialversicherungsträger gemäß § 116 Abs. 6 Satz 3 SGB X nF den Ersatzanspruch auch gegen einen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Schädiger geltend machen, soweit Versicherungsschutz gemäß § 1 PflVersG besteht.