Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bei einer Wohngebäudeversicherung.

Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Einhaltung von Sicherheitsvorschriften
BGH, Urteil vom 25. September 2024 – IV ZR 350/22

Der IV. Zivilsenat bestätigt eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung.

Der Kläger unterhält bei den beklagten Versicherern eine Wohngebäudeversicherung. Im September wurde das versicherte Gebäude bei einem Brand beschädigt. Ausgangspunkt des Brandes war ein vom Kläger an der Hausfassade errichteter Pizzaofen. Der zuständige Bezirksschornsteinfegermeister hatte dem Kläger während der Errichtung bestimmte Vorgaben gemacht. Nach Fertigstellung nahm der Kläger den Ofen ohne Abnahme in Betrieb. Nach dem Brand teilte er der Versicherungsmaklerin mit, der Schornsteinfeger habe auf eine Abnahme verzichtet. Diese Mitteilung stellte sich im Laufe des Prozesses als unwahr heraus.

Das LG hat die auf Ersatz der entstandenen Schäden und auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger zur Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse verurteilt. Das OLG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache für das Betragsverfahren an das LG zurückverwiesen.

Die vom BGH zugelassene Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das OLG.

Das Urteil des OLG unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil das OLG nur über den Zahlungsanspruch entschieden hat, nicht aber über den Feststellungsantrag, und deshalb ein unzulässiges Teilurteil vorliegt.

Unabhängig davon hat das OLG eine Obliegenheitsverletzung des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Die Klausel unter B § 8 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VGB 2014 (Allgemeine Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung, Stand 2014), die den Versicherungsnehmer zur Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen und vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften verpflichtet, ist weder überraschend oder unangemessen noch intransparent. Die Bezugnahme auf gesetzliche und behördliche Vorschriften ist zwar dynamisch, bezieht sich also auch auf Änderungen der einschlägigen Vorgaben. Eine solche Verweisung ist aber auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig. Eine ausdrückliche Aufzählung aller einschlägigen Vorschriften und Anordnungen ist nicht erforderlich.

Darüber hinaus hat das Berufungsgericht auch ein arglistiges Verhalten des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Wenn feststeht, dass Angaben des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit der Schadensregulierung objektiv fasch sind, muss der Versicherungsnehmer plausibel darlegen, wie und weshalb es zu diesen Angaben gekommen ist. Nur wenn er entlastende Umstände vorträgt, obliegt es dem Versicherer, diesen Vortrag zu widerlegen. Im Streitfall hat der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt.

Praxistipp: Wenn ein Zahlungsantrag mit einem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden verbunden ist, darf ein Grundurteil über den Zahlungsanspruch nur zusammen mit einer Entscheidung über den Feststellungsantrag ergehen.

BGH: Streitwert bei Klagen auf Deckungsschutz

Schwierigkeiten bereitet mitunter der Streitwert für Klagen auf Deckungsschutz gegen eine Rechtsschutzversicherung, vor allem im Instanzenzug: Denn der Streitwert ist letztlich auch für die Frage maßgeblich, ob der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer über 20.000 Euro liegt. Dann wäre nämlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Sicher ist zunächst, dass es auf die Kosten ankommt, die von dem Versicherer voraussichtlich übernommen werden sollen. Allerdings gilt, da regelmäßig eine Feststellungsklage erhoben wird, zudem ein Feststellungsabschlag von 20 %.

Das entscheidende Problem waren in diesem Fall (BGH, Beschl. v. 4.9.2024 – IV ZR 24/23) allerdings die denkbaren Sachverständigenkosten. Ob diese den Wert erhöhen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Diesbezüglich hat der BGH entschieden, dass sie im Wege der Prognose zu berücksichtigen sind, wenn sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anfallen. Dies entscheidet das Revisionsgericht, und zwar ohne Bindung an einen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts.

Es handelte sich im konkreten Fall um eine „Dieselklage“. Es standen grundsätzlich Sachverständigenkosten von 30.000 Euro im Raum. Allerdings stellen sich die entscheidenden Fragen in zahlreichen Verfahren. Bisher hatte das LG dazu jedoch in keinem Fall ein Gutachten eingeholt. Vielleicht wäre es aber denkbar, dass unter Umständen ein Gutachten zu spezifischen Fragen des betroffenen Fahrzeugs eingeholt werden muss. Von daher kommt der BGH letztlich auf einen angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 10.000 Euro.

Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten liegt der Gesamtstreitwert und damit auch die Beschwer des Klägers unter 20.000 Euro, womit die Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH verworfen wurde.

Es wird daher bei Fahrzeugen, die nicht besonders hochwertig sind, die Frage des Deckungsschutzes ohne eine Zulassung durch das Berufungsgerichts kaum in die Revisionsinstanz gebracht werden können. Die „Dieselklageindustrie“ wird dies sicher bedauern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die ersatzfähigen Behandlungskosten eines gesetzlich versicherten Geschädigten.

Darlegungslast für Behandlungskosten
BGH, Urteil vom 9. Juli 2024 – VI ZR 252/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich erneut mit einer Schnittstelle zwischen Zivil- und Sozialrecht.

Die klagende Krankenkasse verlangt vom beklagten Haftpflichtversicherer Erstattung von Behandlungskosten eines Versicherten, der bei einem Motorradunfall schwer verletzt worden ist. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach und die Schwere der erlittenen Verletzungen stehen außer Streit. Die Klägerin hat für die Behandlung in einem Universitätsklinikum rund 58.000 Euro bezahlt und für die Behandlung in einem Rehabilitationszentrum rund 36.000 Euro. Die Beklagte hat den Erstattungsanspruch in Höhe von rund 49.000 Euro anerkannt. Eine weitere Kostenerstattung lehnt sie ab, weil die von der Klägerin vorgelegten Abrechnungsdaten und Berichte der Krankenhäuser nach ihrer Auffassung nicht die Prüfung ermöglichen, ob die aufgewendeten Kosten erforderlich waren.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des nicht anerkannten Restbetrags von rund 45.000 Euro verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG sind die geltend gemachten Kosten nicht schon deshalb ersatzfähig, weil die Klägerin nach sozialrechtlichen Vorschriften zur Zahlung der abgerechneten Beträge an die Krankenhäuser verpflichtet ist. Die Klägerin kann lediglich Ersatzansprüche des Geschädigten geltend machen, die gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangen sind. Der Übergang des Anspruchs auf die Klägerin ändert nichts daran, dass nur derjenige Schaden zu ersetzen ist, der dem Geschädigten entstanden ist.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die Regelung in § 118 SGB X, wonach eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über Grund oder Höhe einer dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung für die Zivilgerichte grundsätzlich bindend ist, in diesem Zusammenhang weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Für die Höhe des Klageanspruchs ist nicht maßgeblich, in welchem Umfang die Klägerin gegenüber ihrem Versicherten zur Leistung verpflichtet ist, sondern nur, welche Behandlungskosten für den Geschädigten erforderlich waren.

Der Übergang des Ersatzanspruchs auf den Sozialversicherungsträger darf auch nicht zu einer Änderung der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Schädigers führen. Die Klägerin muss die Erforderlichkeit der geltend gemachten Behandlungskosten deshalb in gleicher Weise darlegen und unter Beweis stellen, wie dies der Geschädigte selbst tun müsste.

Deshalb sind die von der Klägerin vorgelegten Abrechnungsunterlagen der Krankenhäuser (so genannte Grouper-Ausdrucke) zur Darlegung der Schadenshöhe nicht ausreichend. Diese Unterlagen ermöglichen allenfalls eine beschränkte Überprüfung darauf, ob die abgerechneten Kosten erforderlich waren. Die sozialrechtlichen Vorschriften, nach denen die Vorlage solcher Unterlagen eine Zahlungspflicht der Krankenkassen begründet, entfalten im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem keine Wirkung. Wegen ihres beschränkten Inhalts können sie allenfalls einen Anhaltspunkt für die Erforderlichkeit der Kosten begründen, nicht aber ein starkes Indiz oder gar eine Vermutung.

Der Grundsatz, wonach der Schädiger das so genannte Werkstattrisiko trägt, ist in der Konstellation des Streitfalls nicht anwendbar. Er greift nicht, wenn der Geschädigte seinen Ersatzanspruch an die Werkstatt abtritt. Für den gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 116 SGB X gilt nichts anderes.

Praxistipp: Nach § 294a Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Krankenhäuser verpflichtet, der Krankenkasse die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, mitzuteilen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Krankheit die Folge eines Unfalls ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und privater Tätigkeit eines Durchgangsarztes.

Erstversorgung durch den Durchgangsarzt
BGH, Urteil vom 30. Juli 2024 – VI ZR 115/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Abgrenzung zwischen Erstversorgung und weiterer Heilbehandlung.

Die damals achtjährige Klägerin wurde am 20.6.2012 nach einem Sturz auf dem Schulhof am späten Nachmittag in die Klinik der Beklagten eingewiesen. Nach einer Röntgenuntersuchung wurde eine Fraktur des rechten Unterarms mit Fehlstellung diagnostiziert. Gegen 17 Uhr fand ein Aufklärungsgespräch mit der Klägerin und deren Mutter statt. Um 20 Uhr wurde die Narkose eingeleitet. Bei der anschließenden Operation wurde ein die Wachstumsfuge kreuzender Draht (ein Kirschner-Draht) zur Fixierung und Stabilisierung eingebracht. Um 22:45 Uhr wurde die Klägerin auf die Normalstation verlegt.

Die Klägerin begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen einer dauerhaften Beeinträchtigung im Bereich des rechten Handgelenks. Sie stützt ihre Ansprüche auf fehlende medizinische Indikation, unvollständige Aufklärung und Fehler bei der Durchführung des Eingriffs. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil eine wirksame Einwilligung vorliege und ein Behandlungsfehler nicht bewiesen sei. Das OLG wies die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen fehlender Passivlegitimation zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass ein Durchgangsarzt – zu dessen Aufgaben die Erstversorgung und die Entscheidung über die Art der Heilbehandlung gehören – in Ausübung eines öffentlichen Amts handelt. Für Fehler, die ihm dabei unterlaufen, haftet allein der Unfallversicherungsträger, für den er tätig ist.

Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zu den hoheitlichen Tätigkeiten auch die Untersuchungen und die Diagnosestellung zum Zwecke der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung gehören. Dasselbe gilt für die Erstversorgung durch den Durchgangsarzt.

Entgegen der Auffassung des OLG gehört die im Streitfall durchgeführte Operation jedoch nicht zur Erstversorgung.

Nach § 9 des auf der Grundlage von § 34 Abs. 3 SGB VII geschlossenen Vertrages Ärzte/Unfallversicherungsträger umfasst die Erstversorgung die ärztlichen Leistungen, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten. Dazu gehören etwa Wundversorgung, Verbände und Injektionen. Solche Maßnahmen finden regelmäßig vor der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung statt.

Nach diesen Kriterien gehört die im Streitfall durchgeführte Operation bereits zur besonderen (unfallmedizinischen) Heilbehandlung im Sinne von § 11 des Vertrags. Sie wird im Durchgangsarztbericht zwar als Notoperation bezeichnet. Der zeitliche Verlauf nach Einweisung der Klägerin belegt aber, dass sie nicht sofort erforderlich war und dass insbesondere keine Notwendigkeit bestand, sie noch vor der Entscheidung über die weitere Heilbehandlung durchzuführen.

Dass die Operation im Bericht unter der Rubrik „Erstversorgung“ aufgeführt ist, vermag nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen. Dem Durchgangsarztbericht kann bei der Abgrenzung der einzelnen Phasen zwar Bedeutung zukommen. Die Zuordnung von Maßnahmen zu den einzelnen Kategorien liegt aber nicht im Belieben des Durchgangsarztes. Im Streitfall ist die im Bericht vorgenommene Einordnung aufgrund der objektiven Umstände nicht vertretbar.

Das OLG wird deshalb nach der Zurückverweisung prüfen müssen, ob das LG einen haftungsbegründenden Tatbestand zu Recht verneint hat.

Praxistipp: Wenn unklar ist, ob eine hoheitliche oder eine private Tätigkeit vorliegt, sollte dem als Schuldner in Betracht kommenden Unfallversicherungsträger vorsorglich der Streit verkündet werden, um eine Verjährung zu vermeiden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirksamkeit einer Ausschlussklausel in einem Krankenversicherungsvertrag.

Intransparenz einer Ausschlussklausel in der Auslandsreisekrankenversicherung
BGH, Urteil vom 10. Juli 2024 – IV ZR 129/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer Klausel, die den Versicherungsschutz bei einem vorher bekannten medizinischen Zustand ausschließt, und mit der Umrechnung von Aufwendungen, die in einer ausländischen Währung getätigt worden sind.

Ein Versicherter unterhielt bei der Klägerin eine Auslandskrankenschutzversicherung. Als Inhaber einer Miles & More Kreditkarte war er bei der Beklagten gegen dasselbe Risiko versichert. Im November 2018 flog der Versicherte, bei dem ein Diabetes Mellitus Typ 2 besteht, von Frankfurt nach Miami. Anfang Dezember wurde er in Florida stationär behandelt. Die Klägerin zahlte hierfür rund 34.000 Euro. Hierin sind Zahlungen in Höhe von rund 3.400 US-Dollar an einen als Provider bezeichneten Dienstleister enthalten, der die Abrechnung mit dem Krankenhaus übernommen hat. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die hälftige Erstattung der getätigten Aufwendungen. Die Beklagte beruft sich auf eine Klausel in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die eine Leistungspflicht bei einem im Zeitpunkt des Kreditkartenantrags oder der Reisebuchung bereits bekannten medizinischen Zustand ausschließen.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, bestätigt dessen Entscheidung der Sache nach aber zum überwiegenden Teil.

Die Klägerin kann die Beklagte nach Maßgabe von § 78 Abs. 2 VVG auf Innenausgleich in Anspruch nehmen, weil beide Versicherungen dasselbe Risiko abdecken. Beide Versicherungsverträge schließen die Eintrittspflicht zwar für den Fall aus, dass ein anderer Versicherer leistungspflichtig ist. Diese widerstreitenden Subsidiaritätsklauseln sind aber so auszulegen, dass sie sich gegenseitig aufheben.

Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner den Eintritt eines Versicherungsfalls bejaht. Eine unvorhergesehene Erkrankung im Sinne des dafür maßgeblichen Tatbestands in Nr. 1.4.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen liegt auch dann vor, wenn eine bereits vorhandene Erkrankung nicht vorhergesehene Folgewirkungen zeitigt. Im Streitfall ist der Zustand, der die Behandlung erforderlich gemacht hat, zwar durch den Diabetes Mellitus verursacht worden. Diese Entgleisung ist aber keine vorhergesehene Folge.

Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Ausschlussklausel für einen bereits bestehenden medizinischen Zustand in Nr. 1.6.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen wegen Intransparenz unwirksam ist. Die Klausel definiert nicht verständlich, was als medizinischer Zustand zu verstehen ist und in welchem Umfang das Bestehen eines solchen Zustands den Versicherungsschutz ausschließt. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit die Leistung ausgeschlossen sein soll, obwohl eine nicht vorhergesehene Erkrankung im Sinne von Nr. 1.4.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorliegt.

Die Beklagte ist danach zur hälftigen Erstattung der für die Behandlung der Krankheit entstandenen Kosten verpflichtet. Hierzu gehören aber nicht die Kosten für den Provider. Dieser war nicht mit der Krankenbehandlung betraut. Die für seine Tätigkeit angefallenen Kosten sind allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähig. Hierzu fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.

Die der Klägerin zustehenden Kosten für die Behandlung können nicht abschließend beziffert werden, weil nicht festgestellt ist, welcher Euro-Betrag auf die Kosten für den Provider entfällt.

Praxistipp: Wenn für Aufwendungen, die in einer anderen Währung angefallen sind, Ersatz in Euro verlangt wird, sollte für jede einzelne Zahlung der maßgebliche Umrechnungsfaktor angegeben werden.

Blog-Update Haftungsrecht: Ersatz von Desinfektionskosten unterliegt einer Plausibilitätskontrolle (BGH)

In seinem Urteil vom 23.4.2024 (Az. VI ZR 348/21) hatte sich der BGH erneut mit Desinfektionskosten in der Corona-Pandemie zu befassen.

Kurzzusammenfassung des Sachverhalts

Der PKW des Geschädigten (Kläger) wurde bei einem Verkehrsunfall mit einem bei der beklagten Haftpflichtversicherung versicherten Kfz beschädigt. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach stand außer Streit. Die Werkstatt stellte dem Kläger für Corona-Schutzmaßnahmen insgesamt 157,99 € (inklusive 16 % Mehrwertsteuer) in Rechnung, die er an die Werkstatt zahlte. Die Beklagte hielt die Kosten nicht für ersatzfähig. Das AG Hamburg-Harburg hat der Klage in voller Höhe nebst Zinsen stattgegeben Das LG Hamburg kürzte im Berufungsverfahren den Betrag auf 33,18 € nebst Zinsen.

Bisherige Aussagen zur Ersatzfähigkeit von Desinfektionskosten

Auf Basis der bisherigen Rechtsprechung des BGH (BGH v. 12.12.2022 – VI ZR 324/21, sh. dazu Zwickel, MDR 2023, R92) wurde vielfach davon ausgegangen, Corona-Desinfektionskosten seien generell in der von der Werkstatt bzw. dem Sachverständigen berechneten Höhe ersatzfähig. Begründet wurde das vom BGH mit dem sog. Werkstattrisiko. Demnach sind objektiv nicht erforderliche Kosten zu ersetzen, wenn sich der Geschädigte auf die Grundsätze der Risikotragung berufen kann (sh. dazu ausführlich Zwickel, https://blog.otto-schmidt.de/mdr/2024/01/23/bgh-zum-werkstattrisiko-wer-zahlt-fuer-ueberhoehte-reparaturrechnungen/ und https://blog.otto-schmidt.de/mdr/2024/06/04/blog-update-haftungsrecht-werkstattrisiko-sachverstaendigenrisiko-bgh/, Stand: 19.6.2024). Die subjektbezogene Schadensbetrachtung gebietet es, den Schädiger das Risiko für überhöhte oder fehlerhafte Rechnungen tragen zu lassen. Der Schädiger hat auch für überhöhte Preise und für gar nicht erbrachte Leistungen Schadenersatz i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu zahlen. Im Gegenzug hat er einen Anspruch auf Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt bzw. den Sachverständigen Zug um Zug gegen seine Schadenersatzleistung.

Besondere Bedeutung der Plausibilitätskontrolle

Die vorliegende BGH-Entscheidung macht nun deutlich, dass Kosten auch bei Anwendung dieser Grundsätze der Risikotragung nicht in unbeschränkter Höhe ersatzfähig sind. Die Grundsätze des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos greifen nämlich dann nicht, wenn dem Geschädigten ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorzuwerfen ist. Ein Auswahlverschulden liegt vor, wenn die Auswahl der Werkstatt bzw. des Sachverständigen unsorgfältig erfolgt, z. B. wenn zu vereinbarende Preise dem Geschädigten in keiner Weise erkennbar sind und er sich damit zufrieden gibt. Nach Vertragsschluss bleibt der Geschädigte zur Überwachung der Werkstatt bzw. des Sachverständigen verpflichtet. Es wird erwartet, dass er moniert, wenn die Werkstatt deutlich von den vereinbarten Preisen abweicht oder erkennbar überhohe Preise aufruft. Insbesondere ist der Geschädigte zu einer sog. Plausibilitätskontrolle der bei Vertragsschluss vereinbarten oder später berechneten Preise verpflichtet. Hätte der Geschädigte die Überhöhung bzw. Nichterbringung von Leistungen erkennen können, kann er sich nicht auf die Grundsätze des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos berufen. Einen solchen Fall des Auswahlverschuldens bejaht der BGH vorliegend. Er führt aus:

„Es [Das Berufungsgericht…] ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass sich der Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden Plausibilitätskontrolle geradezu aufdrängen musste, dass diese Kosten für Desinfektionsmaßnahmen deutlich überhöht waren. Das Berufungsgericht hat das jedermann zur Verfügung stehende alltägliche Erfahrungswissen während der Pandemie als Grundlage der der Klägerin obliegenden Plausibilitätskontrolle herangezogen und angenommen, dass besondere Sachkunde für diese Prüfung nicht erforderlich war.“ (BGH v. 23.4.2024 – VI ZR 348/21)

Ersatzfähig sind in einem solchen Fall des Nichteingreifens der Grundsätze der Risikotragung nur die objektiv erforderlichen Kosten. Im Wege der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) kam das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass im Streitfall Desinfektionskosten nicht in Höhe der berechneten 157,99 € sondern von 33,18 € erforderlich waren.

Fazit

Der Entscheidung des BGH ist uneingeschränkt zuzustimmen. Auch die Grundsätze des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos können nicht dazu führen, dass überhöhte Rechnungen oder gar nicht durchgeführte Arbeiten stets vollumfänglich zu zahlen sind. Dadurch würde das dem Geschädigten obliegende Wirtschaftlichkeitsgebot ad absurdum geführt werden. Zu Recht misst daher der BGH der einer Anwendung der Grundsätze zum Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisiko gedanklich vorgeschalteten Frage nach einer vom Geschädigten durchzuführenden Plausibilitätskontrolle besondere Bedeutung zu.

Mit anderen Worten: Die Geister eines sehr weitgehenden Ersatzes objektiv nicht nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlicher Kosten, die der BGH unter dem Gesichtspunkt des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos gerufen hat, wird er jetzt auf dem Weg einer dem Geschädigten obliegenden Plausibilitätskontrolle z.T. wieder los. Dadurch gewinnen Aspekte der objektiven Erforderlichkeit doch wieder an Bedeutung (sh. dazu schon Zwickel, MDR 2023, R92). Zu ersetzen ist dann nämlich nur der objektiv erforderliche Betrag.

Für Ersatzbegehren von Desinfektionskosten gilt nach dem BGH-Urteil demnach:

Grundsätzlich sind Desinfektionskosten ersatzfähig. Bei Anwendbarkeit der Grundsätze zum Werkstatt- und Sachverständigenrisiko gilt dies auch für überhöhte Kosten.

Dem Geschädigten sind aber überhöhte Desinfektionskosten bei einer Plausibilitätskontrolle regelmäßig erkennbar, da eine Desinfektion während der Corona-Pandemie in fast allen Bereichen üblich war. In einem solchen Fall sind nur die objektiv erforderlichen Kosten der Hygienemaßnahmen zu ersetzen.

Blog Update Haftungsrecht: Werkstattrisiko = Sachverständigenrisiko (BGH)

Die neue BGH-Rechtsprechung

Im Januar 2024 hatte der BGH in mehreren Urteilen seine Rechtsprechung zum sogenannten Werkstattrisiko ausgebaut und präzisiert (siehe dazu https://blog.otto-schmidt.de/mdr/2024/01/23/bgh-zum-werkstattrisiko-wer-zahlt-fuer-ueberhoehte-reparaturrechnungen/).

In einer Entscheidung vom 12. März 2024, Az. VI ZR 280/22 übertrug der BGH nun die neuen Grundsätze zum Werkstattrisiko auch auf den Sachverständigen.

Grundsätze zum Werkstattrisiko

Um welche Grundsätze geht es?

Das Werkstattrisiko liegt grundsätzlich beim Schädiger. Der Geschädigte darf darauf vertrauen, dass die Reparatur in der Werkstatt ordnungsgemäß erfolgen wird. Auch überhöhte Rechnungen hat der Schädiger also zu bezahlen, es sei denn, den Geschädigten traf ein Verschulden (v.a. bei der Auswahl oder der Überwachung der Werkstatt; zum Ganzen Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl., Köln 2021, Rz. 27.47 m. w. N.).

Dies gilt auch, wenn die Rechnung noch nicht bezahlt ist. Will in einem solchen Fall der Geschädigte das Risiko überhöhter Rechnungen nicht tragen, kann er nur Zahlung an die Werkstatt verlangen. Hat sich die Werkstatt die Forderung abtreten lassen, hat sie die Erforderlichkeit der Reparaturkosten darzulegen und zu beweisen.

Übertragung dieser Grundsätze auf den Sachverständigen

Diese Grundsätze gelten in identischer Form für Sachverständigenkosten. Dies begründet der BGH damit, dass auch beim Sachverständigen der Geschädigte nur sehr eingeschränkte Erkenntnis-, Einwirkungs- und Aufklärungsmöglichkeiten hat.

Der Schädiger hat also grundsätzlich auch überhöhte Sachverständigenkosten zu begleichen. Er kann im Gegenzug vom Geschädigten die Abtretung von dessen Ansprüchen gegen den Sachverständigen verlangen. Dies gilt aber nicht in allen Fällen. Vielmehr gelten folgende Maßgaben:

  • Bei bezahlter Rechnung gelten die o. g. Grundsätze uneingeschränkt, d. h. der Schädiger trägt stets das Sachverständigenrisiko.
  • Bei nicht bezahlter Rechnung über die Sachverständigenkosten kann der Geschädigte, will er das Sachverständigenrisiko nicht tragen, nur Zahlung an den Sachverständigen Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen verlangen.
  • Bei Abtretung der Ansprüche an den Sachverständigen kann sich der Sachverständige als Zessionar nicht auf die Grundsätze des Sachverständigenrisikos berufen.

Prüfungsschema in vier Schritten

Die Sachverständigen- und die Werkstattkosten sind daher in folgenden Schritten zu prüfen (für die Rechtslage vor dem hier besprochenen Urteil sh. Zwickel in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl., Köln 2021, Rz. 29.7):

  • Schritt 1: Grundsatz: Der Schädiger trägt das Risiko überhöhter Kosten.
    Der Geschädigte ist nicht zur Marktforschung verpflichtet.
  • Schritt 2: Ausnahme: Auswahl-/Überwachungsverschulden des Geschädigten?
    Geschädigter hat eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen.
  • Schritt 3: Beglichene Rechnung?
    • Schritt 3.1: Ja?
      (Überhöhte) Kosten sind ersatzfähig.
    • Schritt 3.2: Nein?
      • Schritt 3.2.1: Geschädigter verlangt Zahlung an sich selbst?
        Geschädigter hat Durchführung und Erforderlichkeit der Maßnahmen dazulegen und zu beweisen.
      • Schritt 3.2.2: Geschädigter verlangt Zahlung an den Sachverständigen/an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung der eigenen Ansprüche gegen den Sachverständigen/die Werkstatt?
        (Überhöhte) Kosten sind ersatzfähig.
      • Schritt 3.2.3.: Geschädigter verlangt Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Sachverständigen/der Werkstatt?
        Geschädigter hat Durchführung und Erforderlichkeit der Maßnahmen darzulegen und zu beweisen.
    • Schritt 4: Abtretung an den Sachverständigen/an die Werkstatt?
      Sachverständiger/Werkstatt hat Durchführung und Erforderlichkeit der Maßnahmen darzulegen und zu beweisen.

Fazit

Die Übertragung der neuen Rechtsprechung zum Werkstattrisiko auch auf Sachverständige ist stimmig, weil die Situation in der der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug dem Sachverständigen zur Begutachtung übergibt, derjenigen entspricht, in der er es einer Reparaturwerkstatt überlässt. In beiden Fällen hat der Geschädigte keinen Einblick in die Sphäre des Sachverständigen bzw. der Werkstatt.

Im Bereich der Sachverständigenkosten führt das Urteil zu einer Aufgabe der bisherigen BGH-Rechtsprechung. Früher stellte die beglichene Sachverständigenrechnung ein wichtiges Indiz für die Erforderlichkeit der Kosten dar. Jetzt kann der Geschädigte, wenn er die Rechnung gezahlt hat oder Zahlung an den Sachverständigen/die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung der entsprechenden Ansprüche fordert, auch nicht erforderliche, überhöhte Kosten ersetzt verlangen. Der Streit über die Erforderlichkeit der Kosten wird dann auf den Regressweg zwischen Schädiger und Sachverständigem verwiesen.

Die anwaltliche Beratung könnte sich künftig vom Rat an den Geschädigten zur Bezahlung der Rechnung an den Sachverständigen bzw. die Werkstatt hin zu einem bloßen Verlangen an den Versicherer, die Zahlung direkt an den Sachverständigen bzw. die Werkstatt vorzunehmen, verschieben. In diesem vom BGH ins Spiel gebrachten, letztgenannten Fall ist der Geschädigte freilich darauf angewiesen, dass sich der Sachverständige bzw. die Werkstatt auf diese Abwicklung einlässt.

Hinweis: Eine genaue Einordnung/Analyse der Entscheidung wird Gegenstand eines Aufsatzes in der MDR sein.

Blog-Update Haftungsrecht: Brandgefährliches Parken

Wenn durch den Brand eines geparkten Kfz ein Fremdschaden entsteht, z.B. weil das Feuer auf ein daneben stehendes Fahrzeug übergreift, ist dieser Schaden nicht in jedem Fall von der Gefährdungshaftung des Kfz-Halters und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Brand in einem „nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz“ steht. Für diesen vom Geschädigten zu führenden Beweis reicht es, wie der BGH in einem solchen Fall jüngst entschieden hat, nicht aus, dass die Brandursache nicht geklärt und eine vorsätzliche Brandstiftung nicht nachgewiesen wurde. Dass eine Brandstiftung als Brandursache nicht in Betracht kommt, könne zwar als Indiz dafür dienen, dass der Brand auf den Betrieb des Fahrzeugs zurückzuführen ist. Im konkreten Fall hatte das OLG eine Brandstiftung aber lediglich als nicht erwiesen angesehen. Darauf könne eine Verurteilung der Beklagten nicht gestützt werden, denn auch für Indiztatsachen trage der Kläger die Beweislast. Ein Anscheinsbeweis komme mangels typischen Geschehensablaufs nicht in Betracht.

Die Sache wurde ans OLG zurückverwiesen, damit es prüfen kann, ob bei richtiger Beweislastverteilung und ggf. nach ergänzenden Feststellungen eine Überzeugung vom ursächlichen Zusammenhang des Brandes mit einer Betriebseinrichtung des Kfz zu gewinnen ist (Urt. v. 12.12.2023 – VI ZR 76/23). Gelingt dies nicht, geht der Eigentümer des mitverbrannten Autos, sofern er keine Kasko-Versicherung hat, leer aus.

Die umfangreiche Rechtsprechung zur Ursächlichkeit des Kfz-Betriebs wird, alphabetisch geordnet (z.B. auch zum Stichwort „Brand“), wiedergegeben in Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz 3.103 ff.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Innenausgleich zwischen den Haftpflichtversicherern eines an einem Verkehrsunfall beteiligten Gespanns.

Rückwärtsfahren mit Anhänger
BGH, Urteil vom 14. November 2023 – VI ZR 98/23

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Haftungsverteilung gemäß § 78 Abs. 3 VVG und § 19 Abs. 4 StVG.

Bei einem Rangiervorgang mit einem Gespann wurde ein anderes Fahrzeug beschädigt. Die Klägerin, bei der das Zugfahrzeug haftpflichtversichert ist, regulierte den Schaden in Höhe von 930 Euro. Sie nimmt die Beklagte, bei der der Anhänger haftpflichtversichert ist, auf Erstattung der Hälfe dieses Betrages in Anspruch. Das AG gab der Klage statt, das LG wies sie ab.

Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 78 Abs. 3 VVG bestimmt sich das Innenverhältnis zwischen den beiden Haftpflichtversicherern eines Gespanns nach der Regelung in § 19 Abs. 4 StVG. Danach hat der Versicherer des Zugfahrzeugs grundsätzlich den gesamten Schaden zu tragen. Etwas anderes gilt nur, soweit sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein. Gemäß § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG verwirklicht das Ziehen des Anhängers allein im Regelfall keine höhere Gefahr.

Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der in § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG normierte Grundsatz auch dann greift, wenn der Anhänger beim Rückwärtsfahren geschoben wird. Dass das Gespann länger und weniger übersichtlich ist als das Zugfahrzeug allein, reicht nach dem Gesetz nicht aus, um einen Anspruch gegen den Versicherer des Anhängers zu begründen.

Praxistipp: Die beiderseitige Ersatzpflicht für Schäden am versicherten Zugfahrzeug oder am versicherten Anhänger richtet sich gemäß § 19 Abs. 4 Satz 5 StVG nach den allgemeinen Regeln, also §§ 823 ff. BGB und ggf. vertraglichen Vereinbarungen.

Blog-Update Haftungsrecht: Ersatz der vollen Reparaturkosten auch bei Instandsetzung des Fahrzeugs in der eigenen Werkstatt des Geschädigten (BGH)?

In seinem Urteil vom 26.5.2023 (Az. VI ZR 274/22, MDR 2023, 1044) hat der BGH die Grundsätze der Kosten für die Fahrzeugreparatur infolge von Verkehrsunfällen bei einer Reparatur in der eigenen Reparaturwerkstatt des Geschädigten präzisiert. Vor allem aber hat der BGH diese Grundsätze auch auf die fiktive Schadensabrechnung erstreckt.

Im vom BGH entschiedenen Fall wurde der PKW der Betreiberin einer Kfz-Reparaturwerkstatt (Klägerin) bei einer Kollision mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug beschädigt. Die Klägerin rechnete die Reparaturkosten fiktiv auf Gutachtenbasis ab. Die beklagte Haftpflichtversicherung zog von den Reparaturkosten 20 % Unternehmergewinn ab, woraufhin die Beklagte auf Ersatz des verbliebenden Betrages klagte. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, die Berufung zurückgewiesen. Auch die Revision zum BGH hatte keinen Erfolg.

Bestätigung der Grundsätze zur Instandsetzung in der eigenen Werkstatt

Üblicherweise kann der Geschädigte frei entscheiden, wie er den für die Reparatur erforderlichen Betrag einsetzen will. Auch ein Geschädigter, der sein Fahrzeug in der Freizeit selbst repariert, erhält daher den im Gutachten ausgewiesenen Betrag, der für die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt erforderlich ist.

Eine Ausnahme gilt aber, wie der BGH 1970 und 1983 für Verkehrsbetriebe mit eigener Werkstatt (BGH v. 26.5.1970 – VI ZR 168/68, BGHZ 54, 82 = MDR 1970, 751; BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 241/79, MDR 1984, 39) und 2013 für Kfz-Reparaturwerkstätten entschieden hat (BGH v. 19.11.2013 – VI ZR 363/12, MDR 2014, 213), wenn der Geschädigte Kraftfahrzeuge gewerbsmäßig repariert. Unter Umständen kann man dann nämlich von ihm erwarten, dass er zunächst die Kapazitäten seiner Werkstatt nutzt. Für die Reparatur in einer eigenen Werkstatt des Geschädigten gelten folgende Grundsätze (sh. dazu Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl., 2021, Rz. 27.49):

  • Handelt es sich, anders als im nun entschiedenen Fall, um eine Werkstatt, die ausschließlich eigene Fahrzeuge des Geschädigten repariert (z. B. Verkehrsbetriebe), sind nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nur die Materialkosten und anteilige Gemeinkosten für die Unterhaltung der Werkstatt als erforderlich anzusehen (BGH v. 26.5.1970 – VI ZR 168/68, BGHZ 54, 82 = MDR 1970, 751; BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 241/79, MDR 1984, 39). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Werkstatt bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet war. Dann sind die Kosten ersatzfähig, die bei einer Fremdreparatur entstanden wären. In diesem Fall, in dem es um die Erforderlichkeit nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB geht, hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen, dass eine Auslastungssituation seiner Werkstatt vorlag.
  • Für eine gewerbliche Kfz-Reparaturwerkstatt, die auch Fremdaufträge annimmt, kommt der BGH, wenn auch mit anderer Begründung, zum gleichen Ergebnis: War der Betrieb nicht durch Fremdaufträge ausgelastet, ist der Unternehmergewinn nicht ersatzfähig. Es können dann nur Materialkosten und anteilige Gemeinkosten für die Unterhaltung der Werkstatt beansprucht werden. War die Werkstatt ausgelastet, sind die Kosten für eine Fremdreparatur ersatzfähig. Im aktuellen Urteil vom 26.5.2023 (Az. VI ZR 274/22, MDR 2023, 1044) ordnet der BGH den letztgenannten Fall ausdrücklich der Schadensminderungspflicht des Geschädigten nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zu. Der Schädiger trägt die Darlegungs- und Beweislast für die ihm günstige Tatsache, dass der Geschädigte nicht durch Fremdaufträge ausgelastet war und diese Kapazität für die Reparatur hätte einsetzen können. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast muss aber der Geschädigte seine betriebliche Situation und Umstände, die die Reparatur im eigenen Betrieb unzumutbar machen, konkret darstellen.

Bezug der Grundsätze auf die fiktive Abrechnung

Zu Recht bezieht der BGH diese Grundsätze auch auf den Fall der fiktiven Abrechnung. Die fiktive Abrechnung ist nur ein anderer Weg der Schadenswiedergutmachung. Es wäre daher nicht einzusehen, wenn der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung dadurch privilegiert wäre, dass die Auslastung der Werkstatt bei fiktiver Abrechnung keine Rolle spielt. Auch bei der fiktiven Abrechnung kommt es also darauf an, ob die Werkstatt ausgelastet gewesen ist oder nicht.

Problem: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Auslastungssituation

Damit ist die Folgefrage schon angedeutet: Welcher Zeitraum ist für die Bestimmung der Auslastungssituation der Fremdaufträge ausführenden Werkstatt bei der fiktiven Abrechnung maßgeblich? Bei der konkreten Schadensabrechnung ist für die Prüfung der Auslastung eines Betriebs zunächst auf den Reparaturzeitraum abzustellen. Darüber hinaus muss man aber auch fragen, ob sich zwischen Unfall und Reparaturbeginn eine Nichtauslastung der Werkstatt mit der Folge des Einsetzens der Schadensminderungspflicht ergeben hat (so auch Heßeler, NJW 2023, 2421, 2422). Noch schwieriger ist es bei der fiktiven Abrechnung. Das Berufungsgericht hatte angenommen, der maßgebliche Zeitraum habe mit der Weiterveräußerung des beschädigten Fahrzeugs geendet. Würde man dem folgen, könnten geschädigte Werkstätten Fahrzeuge stets zeitnah weiterveräußern und dadurch die Schadensminderungspflicht umgehen. Der fiktiv abrechnende Geschädigte wäre dann im Vorteil. Viel spricht deshalb dafür, auch bei der fiktiven Abrechnung auf den Zeitraum der konkreten Auslastung bis zu einer üblichen, gedachten Reparatur zu schauen. Die Beurteilung, wie lange dieser Zeitraum üblicherweise ist, muss der Rechtsprechung der Instanzgerichte überlassen bleiben.

Fazit

Der Entscheidung des BGH ist vollumfänglich zuzustimmen. Insbesondere überzeugt die Annahme, dass eine Reparaturwerkstatt, die Fremdreparaturen mit Gewinnerzielungsabsicht ausführt – soweit die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nichts anderes gebietet – den Unternehmergewinn verlangen kann, während das für eine Werkstatt, die nur eigene Fahrzeuge repariert, nur ausnahmsweise der Fall ist. Geradezu zwingend erscheint die vom BGH vorgenommene Übertragung der für die konkrete Abrechnung erarbeiteten Grundsätze auf die fiktive Abrechnung.