Rechtsunkundige Richter?

Der Erbrechtssenat des OLG Celle hat einen von der Nachlassrichterin beim Amtsgericht, Richterin auf Probe, erteilten Erbschein eingezogen, weil dieser nicht der Rechtslage entspricht: „Der Erbschein verkennt bereits den Grundsatz der Universalsukzession, § 1922 Abs. 1 BGB. Das Vermögen des Erblassers geht insgesamt und ungeteilt auf den oder die Erben über. Eine Erbeinsetzung auf bestimmte Gegenstände gibt es, anders als der Erbschein unterstellt, nicht. Geht das Vermögen des Erblassers nicht auf einen Alleinerben über, sondern auf mehrere Erben, erben diese weder einzelne Gegenstände noch Miteigentumsanteile an den Erbschaftsgegenständen, sondern quotenmäßig bestimmte Anteile am gesamten Nachlass (Erbteile, § 1922 Abs. 2 BGB).“
Dass Gerichte formelles oder materielles Recht falsch anwenden, kommt vor und ist nicht zu vermeiden. Die hier vom OLG zu Recht beanstandeten Rechtsanwendungsfehler sind allerdings derartig schwerwiegend, dass sie schon im Ersten juristischen Staatsexamen zu ernsthaften Folgerungen geführt hätten. Das OLG sieht darüber hinaus ein systemisches Problem und hat sich veranlasst gesehen hinzuzufügen:
„Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass die vom Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlassangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, dass insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlasssachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, dass in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlasssachen bearbeiten, sondern, wie hier, aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls im konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, was zu Entscheidungen führt, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind.“ (OLG Celle, Beschluss vom 19. Juni 2023 – 6 W 65/23 –, Rn. 28, juris)
Ein ähnlicher Qualitätsverlust der Ziviljustiz ist auch in anderen Bereichen zu beobachten. Während vor nicht allzu langer Zeit Zivilkammern über lange Jahre mit denselben Vorsitzenden und Beisitzern besetzt waren, wechselt ihre Besetzung nunmehr regelmäßig. Besonders berüchtigt sind die sog. Assessorendezernate, deren Inhaber in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden. Da etwa in Bau- und Architektensachen – entgegen der Intention des § 348 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und seinem Katalog obligatorischer Kammersachen – der Einzelrichter contra legem die Regel ist, ist bei Prozessen mit länger dauernden Beweisaufnahmen durch Beauftragung von Sachverständigen eine ordnungsgemäße Prozessleitung durch den Einzelrichter kaum noch gewährleistet. Verbunden ist diese hohe Fluktuation nicht selten mit der mangelnden Bereitschaft der Richter, sich die notwendigen speziellen Rechtskenntnisse anzueignen. Der Beschluss des OLG Celle spricht einen von Rechtssuchenden seit langem beklagten Missstand erfreulich offen aus. Dass dies aus der Mitte der Justiz erfolgt, gibt zu Hoffnungen Anlass.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die rechtliche Zuordnung eines Gebäudes zu einem Grundstück.

Tiefgarage als rechtmäßiger Überbau
BGH, Beschluss vom 15. Juni 2023 – V ZB 12/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit materiellen und formellen Voraussetzungen für die Begründung von Teileigentum.

Die Beteiligte möchte ein ihr gehörendes, mit einer Tiefgarage bebautes Grundstück in Teileigentum aufteilen. Der weitaus größte Teil des Gebäudekörpers erstreckt sich auf drei Nachbargrundstücke. Diese Grundstücke sind mit Grunddienstbarkeiten belastet, die den Überbau gestatten. Zu Lasten des Grundstücks der Beteiligten sind Grunddienstbarkeiten eingetragen, die dem jeweiligen Eigentümer der Nachbargrundstücke das Recht zum Aufbau eines Wohngebäudes auf der Decke der Tiefgarage einräumen.

Das Grundbuchamt hat die Teilung abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, die Bildung von Teileigentum an mehreren Grundstücken sei nicht möglich. Die Beschwerde der Beteiligten ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die beantragte Begründung von Teileigentum nur dann zulässig ist, wenn die Tiefgarage einen wesentlichen Bestandteil des Grundstücks der Beteiligten bildet. Bei einem nach § 912 Abs. 1 BGB zu duldenden oder einem vom Nachbarn gestatteten Überbau sind diese Voraussetzungen grundsätzlich auch hinsichtlich der überbauten Gebäudeteile erfüllt.

Dies gilt jedoch nur, wenn es sich bei dem Bauwerk um ein einheitliches Gebäude handelt. Hierfür ist bei einem Überbau grundsätzlich die Verkehrsanschauung maßgeblich. Die bautechnische Beschaffenheit kann die Verkehrsanschauung beeinflussen. Sie stellt aber nicht das allein entscheidende Kriterium dar.

Eine Tiefgarage mit rechtmäßig überbauten Gebäudeteilen ist danach grundsätzlich als einheitliches Gebäude anzusehen, wenn sie als Ganzes über eine Zufahrt von dem Stammgrundstück aus erreichbar ist. Sofern diese Voraussetzung vorliegt, ist es unschädlich, ob Gebäude auf den Nachbargrundstücken baustatisch von der Tiefgarage abhängen, ob solche Gebäude mit der Tiefgarage durch Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Fluchtwege oder Versorgungseinrichtungen verbunden sind und ob auf den anderen Grundstücken weitere Zufahrten zur Tiefgarage angelegt sind.

Für den nach § 29 Abs. 1 GBO erforderlichen Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden reicht es demnach aus, wenn die Rechtmäßigkeit des Überbaus durch Grunddienstbarkeiten belegt wird und wenn aus einer formgerechten Teilungserklärung nebst Aufteilungsplan hervorgeht, dass die Tiefgarage in ihrer Gänze über eine auf dem Stammgrundstück gelegene, zum Baukörper gehörende Zufahrt erreichbar ist.

Praxistipp: Als auf dem Stammgrundstück befindlicher Gebäudeteil reicht in der Regel eine befestigte Rampe aus, die in die Tiefgarage hinunterführt.

Blog powered by Zöller: Vorsicht bei Video-Verhandlung

Eine aktuelle Entscheidung des BFH macht deutlich, dass bei der Durchführung von mündlichen Verhandlungen per Video-Übertragung hohe Anforderungen an die „Bildregie“ zu stellen sind. Es muss sichergestellt sein, dass zugeschaltete Teilnehmer alle an der Verhandlung Beteiligten jederzeit sehen können. Dies gilt insbesondere für die Richterbank. Es genügt nicht, dass – wie im vorliegenden Fall – nur der Vorsitzende oder der gerade sprechende Richter zu sehen ist. Die Richterbank sei dann nicht ordnungsgemäß besetzt, denn der Zugeschaltete könne nicht überprüfen, ob ein Richter z.B. eingeschlafen oder vorübergehend abwesend ist. Damit liege ein absoluter Revisionsgrund vor; dass der Mangel während der Verhandlung nicht gerügt wurde, sei unerheblich. Das aufgrund dieser Verhandlung ergangene Urteil wurde daher aufgehoben. Die Sache wird vor der Kammer – entweder in Präsenz oder mit ordnungsgemäßem Kamerasystem – erneut zu verhandeln sein (BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22).

Diese Entscheidung ist als Warnruf, auch an die anderen Gerichtsbarkeiten, zu verstehen. In der Corona-Zeit wurde – notgedrungen – eine gewisse Großzügigkeit beim Einsatz von Video-Technik an den Tag gelegt; viele Prozesse wären sonst überhaupt nicht zu erledigen gewesen. Inzwischen ist es anders: Die Videoverhandlung wird als entlastende und beschleunigende Alternative zur Präsenzverhandlung geschätzt und soll nach einem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung noch gefördert werden. Deshalb rücken nun wieder die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Gestaltung der Gerichtsverhandlung in den Vordergrund, die sich gerade in der geordneten, nicht durch Sicht- oder Gehörsbeeinträchtigungen gestörten Interaktion zwischen den Prozessbeteiligten manifestiert. Auch nach der Begründung des genannten Gesetzentwurfs ist sicherzustellen, dass die im Gericht befindlichen Personen von den per Video zugeschalteten visuell und akustisch während der gesamten Verhandlung gut wahrnehmbar sind (BR-Drucksache 228/23, S. 49). Das wird in der Regel nur möglich sein, wenn mehrere Kameras zum Einsatz kommen, die jeden Beteiligten – auch gut erkennbar – erfassen. Systeme, die jeweils nur den Sprechenden zeigen, sind damit nicht zu vereinbaren; Raumkameras, die alle Anwesenden zusammen abbilden, hält der Entwurf nur bei einfach gelagerten Terminen ohne Beweisaufnahme und mit wenigen Verfahrensbeteiligten für ausreichend.

Verfügt das Gericht nicht über eine entsprechende Ausstattung, muss von einer Videoverhandlung abgesehen werden. Nach der jüngst ergangenen Entscheidung drohen sonst massenhafte Urteilsaufhebungen.

Davon unberührt und daher vorzuziehen ist der Einsatz der Videokommunikation bei informellen Erörterungsterminen außerhalb der mündlichen Verhandlung (durch die eine solche samt ihres technischen und organisatorischen Aufwands oft erspart werden kann; s. dazu Zöller/Greger, § 128 ZPO Rn 1a, auch Greger, MDR 2020, 957 Rn. 29 ff. und MDR 2023, 810 Rn. 22 ff.).

Mehr dazu im neuen Zöller, 35. Auflage.

beA: Pünktlich Büroschluss (jetzt) auch für Rechtsanwälte!

Die Rechtsprechung des BGH zum beA vermehrt sich geradezu explosionsartig. Grundsätzlich wenden alle Senate des BGH die Wiedereinsetzungsrechtsprechung, die sie zur Nutzung des Fax entwickelt haben, sinngemäß auch auf beA-Konstellationen an. Zu verzeichnen ist jetzt aber eine – durchaus Anwalt freundliche – Ausnahme:

Ein BGH-Anwalt reichte wegen Ausfalls des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs die Revisionsbegründung „nach den allgemeinen Vorschriften“ ein (ob in Papierform oder per Fax, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen). Das erlaubt § 130d ZPO, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend unmöglich ist. Den Ausfall des beA machte er auch glaubhaft, jedoch nicht seine Behauptung, bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft zu haben. Trotzdem hat der BGH die Ersatzeinreichung akzeptiert. Ein Prozessbevollmächtigter, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen (BGH, Urt. v. 25.5.2023 – V ZR 134/22 Rn. 10). Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage von der im Falle einer gescheiterten Faxübermittlung. Ein Rechtsanwalt, der seine Organisation darauf abgestellt hat, Schriftsätze über Telefax an das Gericht zuzustellen, muss damit rechnen, dass das Empfangsfaxgerät des Gerichts am Nachmittag stark in Anspruch genommen und besetzt ist und darf seine Übermittlungsversuche nicht vorschnell aufgeben. Die Beendigung von Übersendungsversuchen um 19.02 Uhr ist als vorschnell anzusehen; der Rechtsanwalt hätte im Laufe des Abends weitere Versuche unternehmen müssen (BGH, Beschl. v. 4.11.2014 – II ZB 25/13, AnwBl 2015, 447).

Der Rechtsanwalt muss somit nicht bis Mitternacht die elektronische Übermittlung weiter versuchen, wenn ihm die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vorher gelingt. Ob das allerdings auch gilt, wenn das als Ersatzmedium gewählte Fax sich ebenfalls nicht übermitteln lässt, ist noch nicht entschieden und bleibt offen …

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Schadensersatzpflicht des Vermieters nach Entzug des vertragsgemäßen Gebrauchs.

Ersatz von Mehrkosten für Unterbringung in Notunterkunft
BGH, Urteil vom 21. Juni 2023 – VIII ZR 303/21

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von Ersatzansprüchen nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB.

Die Beklagte hatte eine knapp 70 m² große Wohnung für rund 900 Euro inklusive Nebenkostenvorauszahlung an einen arbeitslosen Flüchtling untervermietet, der darin mit seiner insgesamt vierköpfigen Familie wohnte. Die Miete einschließlich Nebenkosten zahlte die Klägerin auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Einige Monate nach Abschluss des Untermietvertrags kündigte der Hauptvermieter den Mietvertrag mit der Beklagten wegen unerlaubter Untervermietung und Zahlungsrückständen. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte zur Herausgabe der Wohnung.

Der Untermieter kam dem Räumungsverlangen des Hauptvermieters nach. Er wurde mit seiner Familie in einer von einem öffentlich-rechtlichen Träger betriebenen Unterkunft untergebracht. Hierfür wurden pro Person 590 Euro pro Monat in Rechnung gestellt, insgesamt also 2.360 Euro pro Monat. Die Klägerin übernahm diese Kosten. Ihre Klage auf Ersatz der Mehrkosten hatte vor dem AG überwiegend Erfolg. Das LG wies die insoweit zuletzt auf Zahlung von rund 37.000 Euro gerichtete Klage ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass dem Untervermieter gegen die Beklagte wegen schuldhaften Entzugs des vertragsgemäßen Gebrauchs der untervermieteten Wohnung ein Schadensersatzanspruch nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB zusteht und dass dieser Anspruch in Höhe der erbrachten Sozialleistungen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen ist.

Entgegen der Auffassung des LG steht einem Anspruch auf Ersatz von Mehrkosten für die Unterbringung in der Notunterkunft nicht der Schutzzweck der verletzten Norm entgegen. Die Unterbringung ist eine Folge der Gefahr, die die Beklagte durch den unberechtigten Entzug der untervermieteten Wohnung geschaffen hat.

Dass die Unterbringung mit Kosten verbunden ist, die die vereinbarte Miete deutlich übersteigen, ist allenfalls bei der Bemessung der Schadenshöhe zu berücksichtigen. Nach der Zurückverweisung der Sache wird das LG die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Die zu erstattenden Mehrkosten sind nach § 249 BGB auf den Zeitraum bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder bis zum ersten möglichen Kündigungstermin begrenzt. Ferner sind sie nur insoweit ersatzfähig, als sie für eine anderweitige Unterbringung erforderlich waren. Hierfür ist von Bedeutung, welche Möglichkeiten zum Anmieten einer anderen Wohnung bestanden und wieviel Zeit für die Suche nach einer solchen Wohnung erforderlich war.

Das LG wird ferner zu prüfen haben, inwieweit die nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II erforderliche Personenidentität zwischen Anspruchsberechtigtem und Leistungsempfänger besteht.

Praxistipp: Während Ersatzansprüche gegen Dritte bei Zahlung von Bürgergeld und Grundsicherung gemäß § 33 Abs. 1 SGB II kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergehen, bedarf es bei Zahlung von Sozialhilfe gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich einer Überleitung durch Verwaltungsakt. Einen gesetzlichen Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger sehen § 94 Abs. 1 SGB XII für Unterhaltsansprüche, § 115 Abs. 1 SGB X für Ansprüche auf Arbeitsentgelt und § 116 Abs. 1 SGB X für Schadensersatzansprüche vor.

KG: Unzulässiges Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit

Offenbar um einen Antrag auf Verlegung eines Termins zu untermauern bzw. das Verfahren zu verzögern, brachte ein Rechtsanwalt ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit für den Fall an, dass der Termin nicht verlegt werde. Der Antrag wurde als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss wurde sofortige Beschwerde eingelegt.

Dem KG (Beschl. v. 19.6.2023 – 10 W 100/23) stellte sich zunächst die Frage, ob die sofortige Beschwerde überhaupt zulässig ist. Gemäß § 46 Abs. 2 ZPO gibt es kein Rechtsmittel, wenn der Antrag für begründet erklärt wird; wird der Antrag hingegen für unbegründet erklärt, ist die sofortige Beschwerde zulässig. Hier war der Antrag jedoch als unzulässig verworfen worden. In einem solchen Fall greift § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ein, da ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wurde.

Im Rahmen der Begründetheit der sofortigen Beschwerde stellt sich die weitere Frage, ob das Gesuch zulässig ist. Dies ist nicht der Fall. Derartige Anträge können nicht unter einer Bedingung gestellt werden, auch nicht unter einer sonst oft zulässigen innerprozessualen Bedingung. Im Hinblick auf § 47 ZPO bedarf es nämlich vollständiger Klarheit darüber, ob der Richter zur Vornahme von Handlungen ermächtigt ist oder nicht.

Fazit: Die Ablehnung von Gerichtspersonen ist grundsätzlich bedingungsfeindlich (BGH, Beschl. v. 25.9.2013 – AnwZ (Brfg) 51/12). Demgemäß ist auch ein Ablehnungsgesuch, das nach einem Hinweisbeschluss für den Fall gestellt wird, dass das Gericht an seinem Beschluss festhalten sollte, unzulässig (OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.4.2013 – 13 U 195/12).

 

KG, Beschl. v. 19.6.2023 – 10 W 100/23

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Erstattung von Kosten für den Einbau einer mangelhaften Kaufsache.

Erstattung von Einbaukosten
BGH, Urteil vom 21. Juni 2023 – VIII ZR 105/22

Der VIII. Zivilsenat befasst sich erneut mit der Auslegung von § 439 Abs. 3 BGB.

Die Klägerin kaufte bei der Beklagten für rund 800.000 Euro Edelstahlrohre zum Einbau in zwei Kreuzfahrtschiffe. Nach der Lieferung zeigte die Klägerin Materialfehler an. Die Beklagte lieferte neue Rohre.

Die Klägerin verlangt ergänzend den Ersatz von Kosten für das Auseinanderbauen von bereits zusammengeschweißten Rohren und für das Wiederaufbereiten von Verbindungsstücken. Die auf Zahlung von rund 1,4 Millionen Euro gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Das OLG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind, weil die Beklagte für ein etwaiges Verschulden der Herstellerin nicht gemäß § 278 BGB einzustehen hat.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich aus dem Tatsachenvortrag der Klägerin jedoch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Das Tatbestandsmerkmal „in eine andere Sache eingebaut“ setzt nicht voraus, dass die Kaufsache unselbständiger Bestandteil einer anderen Sache wird. Es reicht vielmehr eine körperliche Verbindung.

Ersatzfähig sind auch Kosten, die im Rahmen eines mehrstufigen Einbauvorgangs entstanden sind, bevor es zur Verbindung der Kaufsache mit der anderen Sache gekommen ist. Im Streitfall bildete das Zusammenschweißen der Rohre einen Bestandteil des Einbauvorgangs. Dass die Rohre wegen der Entdeckung der Mängel nicht in die Schiffe eingebaut wurden, steht einem Ersatzanspruch mithin nicht entgegen.

Unerheblich ist ferner, ob die die zusammengeschweißten Rohre als neue Sache im Sinne von § 950 BGB anzusehen sind. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, stünde dies einem Ersatzanspruch nur dann entgegen, wenn die Verbindung nicht mehr gelöst werden könnte. Im Streitfall können die Rohre – wenn auch mit großem Aufwand – wieder voneinander getrennt werden.

Das OLG wird nach der Zurückverweisung zu klären haben, ob der bestrittene Tatsachenvortrag der Klägerin zutrifft.

Praxistipp: Zum 1. Januar 2022 hat § 439 Abs. 3 BGB eine veränderte Fassung erhalten. Nach altem Recht war der Ersatzanspruch ausgeschlossen, wenn der Mangel dem Käufer im Zeitpunkt des Einbaus bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt war. Nach neuem Recht schadet es, wenn der Mangel vor dem Einbau offenbar geworden ist.

Blog-Update Haftungsrecht: Wirkung und Reichweite des Vertrauensgrundsatzes

Im Verkehrsrecht wird häufig mit dem Vertrauensgrundsatz argumentiert. Was er besagt, ist klar: Wer sich im Straßenverkehr ordnungsgemäß verhält, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer dies ebenfalls tun. Auf ein verkehrswidriges Verhalten braucht er sich erst dann einzustellen, wenn er Anhaltspunkte für ein solches erkennen kann.

Die Richtigkeit dieses in ständiger Rechtsprechung verfestigten Grundsatzes ist unbezweifelbar. Der Straßenverkehr käme zum Erliegen, wenn man sich jederzeit auf jedes denkbare Fehlverhalten Anderer einstellen müsste. Nicht so klar ist die dogmatische Einordnung dieses Rechtssatzes, und trefflich streiten lässt sich natürlich über seine Anwendung im Einzelfall. Die Kasuistik dazu ist unüberschaubar und soeben durch eine neue Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.4.2023 – VI ZR 11/21 ) bereichert worden.

Zunächst zur rechtlichen Einordnung (die vor allem wegen der Beweislast relevant ist):

Der Grundsatz bestimmt die Sorgfaltsanforderungen an einen Verkehrsteilnehmer und damit bei der deliktischen Haftung den Maßstab der Fahrlässigkeit i.S.v. § 823 Abs. 1, § 276 Abs. 2 BGB. Für die Beweisführung bedeutet dies, dass der für das Verschulden des Schädigers beweispflichtige Geschädigte beweisen muss, jener hätte mit seinem verkehrswidrigen Verhalten rechnen müssen. Bei Kfz-Unfällen muss der Fahrzeugführer beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft (§ 18 StVG), d.h. dass er nicht mit dem verkehrswidrigen Verhalten des Geschädigten zu rechnen brauchte. Bei der verschuldensunabhängigen Haftung des Kfz-Halters kommt der Vertrauensgrundsatz aber ebenfalls ins Spiel: Dem Halter eines anderen Kfz gegenüber kann der Halter des unfallverursachenden Fahrzeugs ihn zum Beweis dafür heranziehen, dass der Fahrzeugführer dem gesteigerten Sorgfaltserfordernis des Unabwendbarkeitsbeweises nach § 17 Abs. 3 StVG genügt hat. Und im Verhältnis zu einem nichtmotorisierten Geschädigten schließlich kann der Vertrauensgrundsatz nur als Element der Mitverschuldensabwägung nach § 9 StVG, § 254 BGB zum Tragen kommen.

In dem vom BGH jüngst entschiedenen Fall war ein Fußgänger beim Überqueren einer innerstädtischen Straße mit zwei durch eine Mittellinie getrennten Fahrstreifen auf dem für ihn jenseits der Mittellinie liegenden Fahrstreifen von einem Pkw angefahren worden. Er verklagte dessen Fahrer und den Haftpflichtversicherer auf hälftigen Schadensersatz, aber diese lehnten unter Berufung auf den Vertrauensgrundsatz jede Haftung ab: Der Pkw-Fahrer habe nicht damit zu rechnen brauchen, dass der Geschädigte über die Fahrbahn läuft, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten, und als er dessen verkehrswidriges Verhalten erkennen konnte, sei es für eine Verhinderung der Kollision zu spät gewesen.

LG und KG gaben den Beklagten Recht. Der Pkw-Fahrer habe darauf vertrauen dürfen, dass der Fußgänger an der Mittellinie stehen bleibt. Den Fahrer treffe daher kein Verschulden; deshalb trete auch die Haftung aus Betriebsgefahr hinter dem groben Eigenverschulden des Fußgängers zurück.

Nach Ansicht des BGH haben die Vorinstanzen damit jedoch den falschen Bezugspunkt für den Vertrauensgrundsatz gewählt: Es komme nicht auf das Verhalten des Fußgängers an der Mittellinie, sondern auf die Gesamtsituation an. Da der Fußgänger nach den tatrichterlichen Feststellungen die Fahrbahn rennend überquert hat, hätte der Pkw-Fahrer nicht mit einem Stehenbleiben an der Mittellinie rechnen dürfen. Es müsse also festgestellt werden, ob und ggf. ab wann der Fahrer das gefährdende Verhalten des  Fußgänger hätte erkennen und ob er dann noch unfallvermeidend hätte reagieren können.

Nun könnte man zwar darüber diskutieren, ob den im innerstädtischen Verkehr über die Fahrbahn rennenden Fußgänger nicht ein so hohes Eigenverschulden trifft, dass es gerechter Abwägung entspricht, ihm die alleinige Haftung zuzuweisen. Der Fall lehrt aber, dass der Vertrauensgrundsatz nicht von einer möglichst umfassenden Feststellung des Unfallhergangs entbindet und, falls diese nicht möglich ist, die oben angeführten Beweisregeln anzuwenden sind.

Umfassende Rechtsprechungsnachweise zum Vertrauensgrundsatz: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 14.229 ff zu Fußgängerunfällen, Rz. 14.171 ff zu Vorfahrtunfällen.

 

Mehr zum Autor: Prof. Dr. Reinhard Greger ist Mitverfasser des Werks Haftung im Straßenverkehr

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bemessung des Hinterbliebenengeldes.

Bemessung des Hinterbliebenengeldes nach einem Verkehrsunfall
BGH, Urteil vom 23. Mai 2023 – VI ZR 161/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit grundlegenden Fragen zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes nach § 10 Abs. 3 StVG.

Bei einem Verkehrsunfall im September 2020 wurde der Vater der im Juni 2001 geborenen Klägerin getötet. Die volle Haftung der Beklagten zu 1, die mit ihrem Auto in einer Kurve auf die Gegenfahrbahn geraten war und den auf seinem Motorrad entgegenkommenden Vater der Klägerin frontal erfasst hatte, steht dem Grunde nach außer Streit. Die Beklagte zu 2, bei der das Auto haftpflichtversichert war, hat der Klägerin außergerichtlich ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 7.500 Euro gezahlt. Die auf Zahlung weiterer 22.500 Euro gerichtete Klage ist in den beiden ersten Instanzen nur in Höhe von 4.500 Euro erfolgreich gewesen.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Die Bemessung der nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und § 10 Abs. 3 StVG geschuldeten Hinterbliebenenentschädigung unterliegt gemäß § 287 ZPO dem Ermessen des Tatrichters. Nicht alle vom OLG angestellten Erwägungen sind jedoch frei von Rechtsfehlern.

Bei der Bemessung ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des Betroffenen zu bewerten. Hierbei sind alle Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Dennoch ist es nicht zu beanstanden, den in den Gesetzesmaterialien (BT-Dr. 18/11397 S. 11) genannten Betrag von 10.000 Euro als Orientierungshilfe heranzuziehen.

Wie der BGH schon zuvor entschieden hat (Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 73/21, BGHZ 235, 254 Rn. 14 f. [insoweit nicht in MDR 2023, 295]), dient das Hinterbliebenengeld dem Ausgleich für immaterielle Nachteile. Maßgeblich sind insbesondere die Intensität und die Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Relevante Indizien bilden in der Regel die Art des Näheverhältnisses, die Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und die Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung.

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht danach die wirtschaftliche Abhängigkeit der Beklagten von ihrem Vater aufgrund eines kurz nach dem Unfall aufgenommenen Studiums nicht als erhöhenden Faktor herangezogen. Der Verlust von Unterhaltsansprüchen stellt einen materiellen Schaden dar, der nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 StVG zu ersetzen ist.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das OLG sich nicht mit dem Grad des Verschuldens befasst hat. Dem insoweit maßgeblichen Parteivortrag lässt sich nicht entnehmen, dass das Maß des Verschuldens im Streitfall prägende Wirkung hat. Dass die Beklagte ihre strafrechtliche Verantwortung abgestritten hat, rechtfertigt eine Erhöhung des Hinterbliebenengeldes für sich gesehen nicht.

Zu Unrecht hat das OLG jedoch den Vortrag der Klägerin zu den Auswirkungen des Unfalltods auf deren autistischen Bruder als unerheblich angesehen.

Nach dem Vorbringen der Klägerin war der verstorbene Vater die maßgebliche Respekts- und Bezugsperson für den Bruder. Der Tod des Vaters habe zur Folge, dass die Klägerin nunmehr in erheblichem Umfang in die Betreuung ihres Bruders eingespannt sei, der aufgrund des Todesfalls massive Verhaltensauffälligkeiten zeige. Auch durch diesen Umstand werde die Klägerin täglich mit dem plötzlichen Unfalltod des Vaters und der damit verbundenen Veränderung ihrer Lebenssituation konfrontiert. Der dadurch andauernde seelische Schmerz sei nahezu unerträglich.

Damit sind entgegen der Auffassung des OLG Umstände vorgetragen, die nicht nur die Intensität und Dauer des seelischen Leids des Bruders betreffen, sondern auch desjenigen der Klägerin. Das OLG wird deshalb zu prüfen haben, ob und ggf. in welcher Höhe diese Umstände die Zubilligung eines höheren Hinterbliebenengeldes gebieten.

Praxistipp: Die Vorschriften über das Hinterbliebenengeld (u.a. § 844 Abs. 3 BGB, § 10 Abs. 3 StVG und § 5 Abs. 3 HaftPflG) sind gemäß Art. 229 § 43 EGBGB anwendbar, wenn die zum Tode führende Verletzung nach dem 22. Juli 2017 eingetreten ist.

Blog powered by Zöller: Einheitliche Zuständigkeit beim VDUG/UKlaG – Gerichtskonzentrationen mit Nebenwirkungen

Beim neuen VDUG und beim UKlaG wird die Konzentration der Zuständigkeit beim OLG allgemein als gelungen angesehen, ist dadurch doch die Zuständigkeit bei Abhilfe- und Unterlassungsklagen der klagebefugten Verbände einheitlich geregelt. Nun kommt es auf die Länder an, ob sie für einen Gleichlauf sorgen.

1. Das vom Bundestag am 7.7.2023 beschlossene Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) setzt die Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG um. Dazu wird als Art. 1 das Gesetz zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten (VDuG) erlassen, das eine Abhilfeklage der klagebefugten Verbände zugunsten der betroffenen Verbraucher einführt. Das Gesetz muss noch den zweiten Durchgang im Bundesrat nehmen, um dann in Kraft zu treten (wohl Anfang Oktober).

Mit der Abhilfeklage können die klagebefugten Verbände Ansprüche auf Schadensersatz oder auf sonstige Schadloshaltung für Verbraucher (und für „kleine“ Unternehmer) geltend machen. Gleichzeitig wird das UKlaG, mit dem verbraucherrechtswidrige Praktiken untersagt werden können, überarbeitet (Art. 9). Beide Gesetze sehen (künftig) eine erstinstanzliche Zuständigkeit des OLG vor. Für das VDuG ergibt sich dies aus § 3 Abs. 1, beim UKlaG wird § 6 Abs. 1 neu gefasst.

Im VDuG und im UKlaG werden damit die örtliche und die sachliche Zuständigkeit für die Unterlassungs- und Abhilfeklagen der Verbraucherschutzverbände (anders als bei der noch geltenden ZPO-Musterfeststellungsklage, MFK) einheitlich bestimmt. Damit ist (künftig) auch eine objektive Klagehäufung beider Klagen in einem Prozess und vor einem Gericht (§ 260 ZPO) möglich. Dies erscheint mitunter als sinnvoll, wenn es zB um unwirksame AGB geht. Die Unterlassungsklage (samt vorgeschalteter einstweiliger Verfügung) stellt den Rechtsverstoß für die Zukunft ab, mit der Abhilfeklage werden die Rechtsfolgen aus dem rechtswidrigen Vollzug in der Vergangenheit „kollektiv“ ausgeglichen. Die Unwirksamkeit der betroffenen AGB nach §§ 307 ff. BGB wäre die gemeinsame Vorfrage in beiden Verfahren. Auch die zugrundeliegende Richtlinie behandelt beide Aspekte wie zwei Seiten einer Medaille. Die Unterlassungsklage nach dem UKlaG hemmt zudem künftig auch die Verjährung der Ansprüche der von der Rechtsverletzung betroffenen Verbraucher (§ 204a BGB n.F.). Die Klagebefugnis der Unterlassungs- und Abhilfeklage ist (im Vergleich zu § 606 ZPO bei der MFK) weitgehend angenähert (§ 2 Abs. 1 und 2 VDuG einerseits, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG n.F. anderseits).

2. Der neu hergestellte Gleichlauf beider Verbandsklagen wird nicht länger gewährleistet, wenn die Länder von den Zuständigkeitskonzentrationsermächtigungen unterschiedlich Gebrauch machen:

Nach dem VDuG kann eine Konzentration der Abhilfeklage bei einem OLG oder beim BayObLG nach § 3 Abs. 3 VDuG erfolgen. Beim UKlaG (§ 6 Abs. 1 n.F.) wird eine Konzentration zwar nicht ausdrücklich geregelt; dort kann aber auf § 13a GVG zurückgegriffen und im Ergebnis Gleiches angeordnet werden (BT-Drucks. 20/6878, S. 11 – Gegenäußerung Bundesregierung).

3. Es können beim Vollzug damit diese Entwicklungen eintreten:

a) In Ländern mit nur einem OLG ist der Gleichlauf beider Klagen gewährleistet, ebenso in Ländern mit mehr als einem OLG, die aber von der Konzentration keinen Gebrauch machen, da die örtliche Zuständigkeit bei beiden Klagen (§§ 12, 13, 17 ZPO i.V.m. § 3 Abs. 1 VDuG bzw. § 6 Abs. 1 UKlaG) – jedenfalls praktisch – identisch ist.

b) Werden nur die Abhilfeklagen bei einem von mehreren OLG konzentriert, ist eine Klagehäufung mit einer „gleichgerichteten“ Unterlassungsklage nur noch dann möglich, wenn dieses OLG zufällig auch nach § 6 Abs. 1 UKlaG für den (Abhilfe-)Beklagten örtlich zuständig ist; bei mehreren Beklagten könnte an § 36 ZPO gedacht werden. Der Verordnungsgeber kann aber dieses OLG nach § 13a GVG ebenfalls für die Unterlassungsklage als (zentral) zuständig bestimmen; der Gleichlauf wäre dann wieder hergestellt.

c) Der Verordnungsgeber kann den Gleichlauf beider Klagen aber auch (bewusst) verhindern, indem er für die Abhilfeklage das OLG 1, für die Unterlassungsklage das OLG 2 als zuständig bestimmt (oder in Bayern das BayObLG für das VDuG – wie bei der MFK – auswählt und die Verfahren des UKlaG dagegen einem der drei OLG zuweist oder auf jede Konzentration verzichtet).

4. Bei gleichzeitiger Abhilfe- und Unterlassungsklage und fehlender gemeinsamer Zuständigkeit kommt es dann auf den Streitgegenstand und die Rechtskraft an: Der Streitgegenstand der Klage gemäß § 1 UKlaG ist die Wirksamkeit der Klausel. Wegen der Parteiidentität von Unterlassungs- und Abhilfeklage greift die Rechtskraftbindung (unabhängig von § 11 UKlaG) nach § 322 Abs. 1 ZPO. Eine Koordination von Unterlassungs- und Abhilfeklage könnte dann nach § 148 Abs. 1 ZPO erfolgen, indem die Abhilfeklage bis zur rechtkräftigen Entscheidung im Unterlassungsklageverfahren als rechtskraftfähiger Vorfrage ausgesetzt wird.

5. Werden Konzentrationsermächtigungen des VDuG und GVG von den Ländern unterschiedlich ausgefüllt, wird der kollektive Rechtsschutz in Deutschland durch diese Organisationsentscheidungen mittelbar höchst unterschiedlich ausgestaltet.

Dies wirft die Frage auf, ob eine der sachdienlichen Förderung oder der schnelleren Erledigung (vgl. § 13a GVG) dienende Ermächtigungsgrundlage solche „Nebenwirkungen“ auf Parteirechte haben darf. Andererseits: Muss eine „Vollkonzentration“ aller Abhilfe- und Unterlassungsklagen bei einem Gericht nur deshalb erfolgen, um keinesfalls diese Parteidisposition auszuschließen? Kann diese Gestaltungsmöglichkeit umgekehrt dazu führen, am Ende auf jede Konzentration zu verzichten? Dies ist nicht leicht aufzulösen. Ein sinnvolles Ergebnis wäre es, wenn das Gericht der Abhilfeklage (jedenfalls) auch für eine „gleichgerichtete“ Unterlassungsklage zuständig wäre – die Sommerpause bis zum Inkrafttreten der Änderungen bietet Gelegenheit, hierüber nachzudenken.

Mehr dazu im neuen Zöller, 35. Auflage.