Montagsblog: Neues vom BGH

Im 150. Montagsblog geht es (wie schon häufiger) um die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung einer Frist.

Allgemeine Vorkehrungen für den Fall der Verhinderung
Beschluss vom 31. Juli 2019 – XII ZB 36/19

Mit elementaren Anforderungen an die Kanzleiorganisation befasst sich der XII. Zivilsenat.

In einer Familiensache war der Antragsteller in erster Instanz unterlegen. Seine Beschwerdebegründung ging fristgerecht beim OLG ein, ließ aber nicht erkennen, von wem die darin angebrachte Unterschrift stammt. Der Antragsteller beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug vor, seine Verfahrensbevollmächtigte sei verhindert gewesen und habe deshalb eine Rechtsanwaltsfachangestellte damit betraut, mit Hilfe des Anwaltsvereins einen Vertreter zu finden. Die Angestellte habe die Räume des Anwaltsvereins aufgesucht und den Schriftsatz dort von einem zufällig anwesenden, ihr nicht näher bekannten Anwalt unterschreiben lassen. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers zurück und verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Beschwerdebegründung nicht formgerecht ist, weil sie nicht erkennen lässt, von wem sie unterschrieben ist. Er billigt auch die Einschätzung des OLG, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers diesen Formmangel verschuldet hat, weil sie nicht selbst festgelegt hat, wer sie vertreten soll.

Praxistipp: Der eher kuriose Fall zeigt einmal mehr, dass unter einer Unterschrift stets in Druckschrift vermerkt werden solle, von wem sie stammt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.

Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg
Urteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 96/18

Mit den Grenzen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte zu 1 betreibt auf einem im Miteigentum der Beklagten zu 2 stehenden Grundstück ein Recyclingunternehmen für Bauschutt. Im Jahr 2014 explodierte auf dem Grundstück eine aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Bombe, die in einem Betonteil enthalten war, das zu Recyclingzwecken zerkleinert werden sollte. Dadurch kam es auf mehreren benachbarten Grundstücken zu Schäden, die die Klägerin als Gebäudeversicherin reguliert hat. Die Klage auf Ersatz der Schäden blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Beklagten nicht nach § 823 oder § 831 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sind, weil die Bombe bei einer Sichtprüfung nicht erkennbar war und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, dass der zu verarbeitende Bauschutt Blindgänger enthalten könnte. Eine verschuldensunabhängige Haftung entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB lehnt der BGH im Ergebnis ebenfalls ab. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es zwar nicht an dem erforderlichen Grundstücksbezug. Weitere Haftungsvoraussetzung ist aber ein hinreichender Zusammenhang zwischen der beeinträchtigenden Handlung und dem Risiko, das sich verwirklicht hat. Daran fehlt es im Streitfall, weil es sich um ein ungewöhnliches und fernliegendes Risiko gehandelt hat.

Praxistipp: Wenn nicht sicher ist, ob sich ein Verschulden des Beklagten belegen lässt, sollte die Klage in einschlägigen Fällen von vornherein hilfsweise auf eine entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gestützt werden. Eine spätere Geltendmachung dieses Haftungsgrundes stellt eine Klageänderung dar.

OLG Koblenz: Streitwertbeschwerde des Rechtsanwalts

Der Kläger machte gegen den Beklagten verschiedene Unterlassungsansprüche geltend. Das angegangene LG stellte seine Zuständigkeit in Frage, da der Streitwert unter 5.000 € liege. Der Kläger beantragte daraufhin den Erlass eines Streitwertbeschlusses. Das LG setzte alsdann den Streitwert vorläufig auf bis zu 5.000 € fest. Gegen diesen Beschluss beschwerte sich der Klägervertreter aus eigenem Recht, um eine Festsetzung auf 20.000 € zu erreichen. Das LG half der Beschwerde nicht ab.

Das OLG Koblenz  (Beschl. v. 18.12.2018 – 12 W 661/18, MDR 2019, 893) hat die Beschwerde des Rechtsanwalts des Klägers als unzulässig verworfen! Zwar ist gemäß § 68 Abs. 1 GKG durchaus eine Beschwerde gegen eine Streitwertfestsetzung möglich, dies betrifft jedoch nur die endgültige Festsetzung. Gegen eine – wie hier – ersichtlich vorläufige Festsetzung ist die Beschwerde nur im Verfahren nach den §§ 67, 63 Abs. 1 Satz 2 GKG zulässig, mithin dann, wenn sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe des Vorschusses, der nach der vorläufigen Wertfestsetzung berechnet wurde, wendet. Ansonsten ist die vorläufige Wertfestsetzung nicht beschwerdefähig.

Daran ändert sich auch nichts, wenn eine solche Beschwerde von dem Rechtsanwalt des Klägers eingelegt wird. Zwar gibt § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt grundsätzlich ein eigenes Beschwerderecht. Diese Vorschrift eröffnet aber keine über die Regelungen des Gerichtskostengesetzes hinausgehende Beschwerdemöglichkeit. Die Beschwerdemöglichkeit des Rechtsanwalts kann damit nicht weitergehen als diejenige der Partei selbst. In diesem Sinne hatte auch schon das OLG Hamm (Beschl. v. 11.3.2005 – 2 WF 49/05, MDR 2005, 1309, s. a. OLG Koblenz (Beschl. v. 7.1.2014 – 3 W 714/13, MDR 2014, 560) entschieden.

Der Anwalt muss somit bedenken, dass das Verfahren nach den §§ 67, 63 GKG die einzige Möglichkeit ist, am Anfang des Verfahrens eine obergerichtliche Entscheidung zur richtigen Streitwerthöhe zu erlangen und damit Einfluss auf die erstinstanzliche gerichtliche Zuständigkeit zu nehmen. Anderenfalls bleibt nur folgender Weg: Es wird kein Verweisungsantrag gestellt und eine Klageabweisung als unzulässig provoziert. Dagegen kann dann Berufung eingelegt werden und das Berufungsgericht wird sich regelmäßig zur Höhe des Streitwertes verbindlich äußern müssen. Da in solchen Fällen aber – wenn die Berufung nicht zurückgewiesen wird – eine Aufhebung und Zurückverweisung erfolgt, verzögert diese Vorgehensweise den Prozess jedoch erheblich und wird daher in aller Regel nicht sachgerecht sein.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Berechtigung an dem Guthaben auf einem Sparbuch, das Eltern für ihr Kind angelegt haben.

Berechtigung an einem Sparguthaben
Urteil vom 17. Juli 2019 – XII ZB 425/18

Mit den Rechtsverhältnissen zwischen Bank, Kind und Eltern befasst sich der XII. Zivilsenat.

Der Antragsgegner und seine damalige Ehefrau hatten im Jahr 1997 für ihr im Jahr zuvor geborenes Kind – die jetzige Antragstellerin – ein Sparkonto eingerichtet. In den Jahren 2010 und 2011 hob der Antragsgegner ohne Rücksprache mit seiner Ehefrau 17.300 Euro von dem Sparkonto ab. Im Jahr 2015 übergab er das Sparbuch, das ein Restguthaben von 242 Euro auswies, an die Antragstellerin, die bei dieser Gelegenheit erstmals von der Existenz des Sparkontos erfuhr. Das Begehren der Antragstellerin, den Antragsgegner zur Zahlung von 17.300 Euro zu verurteilen, hatte vor dem AG Erfolg. Das OLG wies den Antrag auf die Beschwerde des Antragsgegners hin ab.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Abweichend vom Beschwerdegericht misst der BGH der Frage, wer Besitzer des Sparbuchs war, für das Rechtsverhältnis mit der Bank keine Bedeutung zu. Er grenzt sich damit von früherer, überwiegend das Verhältnis zwischen Großeltern und Enkel betreffender Rechtsprechung ab und begründet dies damit, dass Eltern jedenfalls bis zum Grundschulalter schon aufgrund ihrer Obliegenheit zum Schutz des Kindesvermögens gehalten sind, den Besitz am Sparbuch auszuüben. Für das Verhältnis zur Bank sind in dieser Konstellation vor allem die mit dieser getroffenen Vereinbarungen über Kontoinhaberschaft und Verfügungsbefugnis von Bedeutung. Diese sprechen im Streitfall dafür, dass die Antragstellerin Inhaberin des Kontos war, weil die Vertragsbestimmungen die Eltern nur als Vertreter ausweisen und sogar ausdrücklich vorsahen, dass die Antragstellerin auch deren Zustimmung zu Verfügungen über das Konto berechtigt ist.

Auch wenn das Kind Kontoinhaber ist, können die Eltern im Innenverhältnis aber zur Verfügungen über das Guthaben berechtigt sein. Für eine solche Berechtigung kann der Umstand sprechen, dass die Eltern den Besitz an dem Sparbuch auch nach dem Erreichen des Grundschulalters behalten haben. Ob dieses Indiz im Streitfall ausreicht, muss das OLG in der von neuem eröffneten Beschwerdeinstanz tatrichterlich beurteilen.

Praxistipp: Wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Eltern im Innenverhältnis Berechtigte des Sparguthabens verblieben sind, kann dies steuerliche Konsequenzen haben – jedenfalls für Zeiträume, in denen Sparkonten noch nennenswerte Zinserträge generiert haben.

Neue Ausgabe der GVRZ (2/2019) und Hinweis auf die 5. Tagung Junger ProzessrechtswissenschaftlerInnen

Kürzlich ist die aktuelle Ausgabe 02/2019 der Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) erschienen. Sie dient ebenso wie die vergangene Ausgabe dazu, die auf der 4. Tagung Junger ProzessrechtswissenschaftlerInnen 2018 gehaltenen Vorträge zu publizieren, und steht im Zeichen rechtsgebietsübergreifender, rechtsvergleichender und rechtspolitischer Beiträge, die sich mit der Rolle der Höchstgerichtsbarkeit als Gestalterin und Wahrerin des Rechts befassen.

So nimmt Dr. Anna Katharina Struth den Rechtsprechungsdialog zwischen dem österreichischen Verfassungsgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Blick, wobei sie sich auf Divergenzen in der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe fokussiert.

Dr. Ralph Zimmermann analysiert in seinem Beitrag, inwieweit den Höchstgerichten der Mitgliedstaaten die Rolle eines rechtskulturellen Übersetzers der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zukommt.

Dr. Stefan Klingbeil, LL.M. (Yale) würdigt kritisch die §§ 555 Abs. 3, 565 S. 2 ZPO, mit denen der Gesetzgeber die Möglichkeiten des Anerkenntnisses und der Rechtsmittelrücknahme in der Revisionsinstanz eingeschränkt hat, um zu verhindern, dass Unternehmen den Erlass für sie nachteiliger Grundsatzentscheidungen verhindern; der Verfasser plädiert de lege ferenda dafür, Streitentscheidung und Normbildung im zivilprozessualen Revisionsverfahren zu entkoppeln.

Dr. Josef Müller befasst sich mit der Praxis der österreichischen Höchstgerichte im Umgang mit ihren „Türhütern“, womit die Instrumentarien des Ablehnungsrechts sowie des Zulassungsmodells gemeint sind, mit denen eine Überlastung der Höchstgerichte vermieden werden sollen.

Am Beispiel des (deutschen) BVerwG zeigt Dr. Benedikt Beckermann auf, dass den Höchstgerichten auch eine Vereinheitlichungsfunktion zukommt, die jedoch gerade das BVerwG aufgrund materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Besonderheiten nur eingeschränkt wahrnehmen kann. Im Bereich der Massenverfahren plädiert der Autor vor diesem Hintergrund für einen Diskurs über breitere Optionen der Möglichkeit von Musterverfahren.

Dem Strafprozessrecht widmet sich Dr. Robert Pest, der sich kritisch mit Tendenzen in der Rechtsprechung auseinandersetzt, an die strafprozessuale Revision sachlich nicht zu rechtfertigende Substantiierungsanforderungen zu stellen, die dem Rechtsschutzbedürfnis des Revisionsführers nicht gerecht werden.

Dr. Denise Wiedemann, LL.M. (Lissabon) geht schließlich der Frage nach, inwieweit eine stärkere Medienpräsenz der RichterInnen in Brasilien mit einer erweiterten Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen einhergeht.

Neben einer Rezension Dr. Anne Paschkes Dissertation „Digitale Gerichtsöffentlichkeit. Informationstechnische Maßnahmen, rechtliche Grenzen und gesellschaftliche Aspekte der Öffentlichkeitsgewähr“ (Rezensent: Martin Lutschounig) wartet das Heft zudem mit einer von Prof. Dr. Olaf Muthorst erstellten Dokumentation verfahrensrechtlicher Literatur auf.

Hinweisen möchten wir an dieser Stelle zudem auf die 5. Tagung Junger ProzessrechtswissenschaftlerInnen, die am 4. und 5. Oktober 2019 unter dem Generalthema „Effizienz als Zeitgeist – Wieviel Ökonomie verträgt das Prozessrecht?“ an der Georgs-August-Universität Göttingen stattfindet. Nähere Informationen zur Tagung finden sich unter https://www.uni-goettingen.de/de/605878.html.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine mietrechtliche Frage.

Fälligkeit des Anspruchs auf Rückzahlung einer Mietkaution
Urteil vom 24. Juli 2019 – VIII ZR 141/17

Mit der Pflicht des Vermieters zur Rückzahlung einer Barkaution befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten seit Dezember 2005 vom Kläger eine Wohnung gemietet. Im Februar 2015 erklärten sie wegen verschiedener Mängel die außerordentliche Kündigung zum Monatsende. Der Kläger verlangte insgesamt rund 6.000 Euro wegen restlicher Miete und Nebenkosten, Mietausfall für die Zeit von März bis Mai 2015 und angefallener Renovierungskosten. Das AG verurteilte die Beklagten zur Zahlung von rund 5.000 Euro. Das LG reduzierte diesen Betrag um rund 1.700 Euro, unter anderem deshalb, weil die Beklagten in zweiter Instanz mit einem Anspruch auf Rückzahlung der zu Beginn des Mietverhältnisses gezahlten Barkaution aufgerechnet hatten.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution im Zeitpunkt der Aufrechnung fällig war. Die Fälligkeit tritt ein, sobald der Vermieter über die Kaution eine Abrechnung erteilt hat. Dies kann auch konkludent erfolgen, etwa dadurch, dass der Vermieter Forderungen gegen den Mieter erhebt, ohne sich die Geltendmachung weiterer Forderungen vorzubehalten. Diese Voraussetzung war im Streitfall erfüllt, als die Klage zugestellt wurde. Von diesem Zeitpunkt an waren sowohl der Kläger als auch die Beklagten befugt, die Kaution bzw. den Anspruch auf deren Rückzahlung mit Forderungen des Klägers zu verrechnen.

Praxistipp: Die Geltendmachung eines auf die Kaution gestützten Zurückbehaltungsrechts ist in der Regel nicht zielführend. Im Streitfall hatten sich die Beklagten auf ein solches Recht berufen; das LG hat – vom BGH unbeanstandet – diese Erklärung als Aufrechnung ausgelegt.

KG: Räumungsverfügung für gewerblich genutzte Räume

In einem Verfahren vor dem KG Berlin (Beschl. v. 9.5.2019 – 8 W 28/19) hatte die Antragstellerin an eine GmbH Gewerberäume vermietet. Die GmbH war rechtskräftig zur Herausgabe der Räume an die Antragstellerin verurteilt worden. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil stellte es sich heraus, dass die beiden Antragsgegner aufgrund eines Untermietvertrages mit der GmbH einen Teil der Räume nutzten. Daraufhin beantragte die Antragstellerin gegen die beiden Antragsgegner den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Räumung der von ihnen in Besitz gehaltenen Räume.

Das LG Berlin wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurück, da § 940a ZPO auf Gewerberaummietverhältnisse schon seinem Wortlaut nach nicht direkt und auch nicht analog anzuwenden sei. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Die Frage, ob diese Sicht der Dinge zutreffend ist oder nicht, ist in der Rechtsprechung umstritten. Zuletzt hatten das OLG München (Beschl. v. 12.12.2017 – 32 W 1939/17, MDR 2018, 427) und das OLG Dresden (Urt. v. 29.11.2017 – 5 U 1337/17, MDR 2018, 204; diese Entscheidung wurde bereits im Blog besprochen!) die Frage bejaht. Das KG war bisher anderer Auffassung. Die Einzelrichterin hat die Sache gemäß § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO auf den Senat übertragen, der die bisherige Rechtsprechung des KG ändert und sich nunmehr der Sichtweise des OLG München und OLG Dresden anschließt!

Das KG folgt der Auffassung, dass § 940a ZPO auf Gewerbemietverhältnisse weder direkt noch analog anzuwenden ist, da eine planwidrige Regelungslücke insoweit nicht besteht. Allerdings kann die Wertung, die § 940a ZPO enthält, auch im Rahmen des § 940 ZPO berücksichtigt werden. Damit wird auf diesem Umweg das zweifelsohne sachgerechte Ergebnis erzielt, das auch aus praktischen Gründen erforderlich ist.

Daher kann festgehalten werden: Eine Räumungsverfügung ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung der Vorschriften der § 940, § 940a ZPO auch für gewerblich genutzte Räume zulässig.

Fazit: Diese Entscheidung ist zu begrüßen. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass auch und erst recht im Bereich des gewerblichen Mietrechts versucht wird, eine Räumung mit allen Mitteln zu verhindern. Nachdem nunmehr auch das KG „eingeknickt“ ist, dürfte spätestens diese Entscheidung nunmehr für die Zukunft eine herrschende Meinung begründet haben.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beachtlichkeit von tatsächlichem Hilfsvorbringen einer Partei.

Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Haupt- und Hilfsvorbringen
Urteil vom 4. Juli 2019 – III ZR 202/18

Mit der Pflicht zu wahrheitsgemäßem Vorbringen befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den Beklagten wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit der Beteiligung an einem Schiffsfonds in Anspruch. Er stützte sein Begehren in erster Linie darauf, er habe eine risikolose Anlage angestrebt; deshalb hätte er von der vom Beklagten empfohlenen Anlage abgesehen, wenn ihn dieser auf die bestehenden Risiken aufmerksam gemacht hätte. Hilfsweise machte er geltend, er hätte zwar eine risikobehaftete Anlage gezeichnet, nicht aber eine spekulative. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH billigt die tatrichterliche Würdigung des OLG, wonach der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat, weil er eine vom Beklagten übergebene Beratungsdokumentation, in der die Risiken der Anlage in drucktechnisch hervorgehobener Weise aufgeführt waren, ungelesen unterschrieben hat. Auf dieser Grundlage hat das OLG zu Recht entschieden, dass die Verjährung bereits mit Zeichnung der Anlage begonnen hat und der Anspruch bei Klageerhebung deshalb verjährt war. Der BGH tritt dem OLG auch darin bei, dass das Hilfsvorbringen des Klägers unbeachtlich ist, weil das OLG sein Hauptvorbringen als wahr unterstellt hat. Zwar ist es nicht schlechthin unzulässig, hilfsweise Tatsachen vorzutragen, die in Widerspruch zum tatsächlichen Hauptvorbringen stehen. Prozessual beachtlich ist solches Vorbringen aber nur, wenn das Gericht den Hauptvortrag als nicht bewiesen oder widerlegt ansieht, nicht aber, wenn es ihn als bewiesen ansieht oder als wahr unterstellt und die Klage aus Rechtsgründen abweist. Einer Partei steht es nicht frei, dem Gericht mehrere miteinander unvereinbare Sachverhalte zu unterbreiten mit dem Ziel, mit einem davon auch rechtlich durchzudringen.

Praxistipp: Prozessual beachtlich ist ein vom ursprünglichen Vortrag abweichendes Vorbringen, wenn es nicht hilfsweise, sondern anstelle des bisherigen Hauptvorbringens erfolgt. Ob das Gericht dem neuen Vortrag Glauben schenkt, ist eine andere Frage.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die sukzessive Geltendmachung von Teilforderungen in getrennten Prozessen.

Keine Aussetzung bei getrennter Geltendmachung von Teilforderungen
Beschluss vom 27. Juni 2019 – IX ZB 5/19

Mit dem Anwendungsbereich von § 148 ZPO befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der klagende Rechtsanwalt war von den Beklagten beauftragt worden, die Freigabe von zwei Grundschulden zu erwirken. Die Beklagten hatten einen Vorschuss von rund 7.000 Euro gezahlt. Nach Abschluss seiner Tätigkeit stellte der Kläger insgesamt rund 11.000 Euro in Rechnung. Die Beklagten klagten in einem ersten, mittlerweile in der Berufungsinstanz anhängigen Rechtsstreit auf Rückzahlung von rund 4.000 Euro, mit der Begründung, sie hätten mit dem Kläger ein Pauschalhonorar von rund 3.000 Euro vereinbart. Der Kläger trat diesem Begehren entgegen und erklärte die Aufrechnung mit einem Teil seiner Honorarforderung. Gut ein Jahr später klagte er in einem separaten Rechtsstreit den nach seiner Auffassung noch offenen Betrag von rund 4.000 Euro ein. Das AG setzte das Verfahren gemäß § 148 ZPO aus. Das LG wies die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers zurück.

Die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers hat schon deshalb Erfolg, weil das LG durch den Einzelrichter entschieden hat und dies nach der ständigen Rechtsprechung des BGH das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, wenn ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegt. In seinen Hinweisen für das weitere Verfahren gibt der BGH zu verstehen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen auch inhaltlich unzutreffend sind. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn die in dem anderen Rechtsstreit zu treffende Entscheidung für das auszusetzende Verfahren präjudiziell ist, also Rechtskraft-, Gestaltungs- oder Interventionswirkung entfaltet. Eine solche Wirkung kann zwar auch dann entstehen, wenn dieselbe Forderung im einen Verfahren eingeklagt und im anderen Verfahren zur Aufrechnung gestellt wurde. Im Streitfall betreffen die Aufrechnung im ersten Rechtsstreit und die Klage im vorliegenden Rechtsstreit aber unterschiedliche Teile der Honorarforderung. Die Rechtskraft der Entscheidungen ist auf den jeweils betroffenen Teil der Forderung beschränkt. Eine präjudizielle Wirkung kann deshalb nicht eintreten.

Praxistipp: Eine zeitliche Synchronisierung der beiden Prozesse können die Parteien in der gegebenen Konstellation allenfalls durch einen einvernehmlichen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens erreichen. Eine solche Anordnung führt aber gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB dazu, dass die Verjährung nach sechs Monaten weiterzulaufen beginnt.

OLG Frankfurt: Erstattung von Reisekosten eines Anwaltes, der am Sitz der Partei ansässig ist

Die Beklagte beauftragte einen Rechtsanwalt, dessen Kanzlei sich nicht im Gerichtsbezirk, sondern am Sitz der Partei befand (sog. „Distanzanwalt“). Demgemäß musste der Rechtsanwalt zu zwei Terminen zum Prozessgericht anreisen. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren machte die Beklagte entsprechende Reise- und Übernachtungskosten ihres Rechtsanwaltes geltend, worüber das OLG in der erst jetzt näher bekannt gewordenen Entscheidung (Beschl. v. 7.5.2018 – 6 W 37/18) zu befinden hatte.

Das OLG betont zunächst, dass die Beauftragung eines Rechtsanwaltes am Sitz der Partei im Hinblick auf das hier gebotene persönliche Beratungsgespräch zwischen der Partei und ihrem Anwalt auch im Zeitalter der modernen Kommunikationstechniken anzuerkennen ist. Mithin dient die Beauftragung eines Distanzanwalts regelmäßig der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Diese Reisekosten des Rechtsanwaltes sind daher berechtigt und bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen. Zwar war hier dem Prozess ein Eilverfahren vorausgegangen, dies rechtfertigt aber keine andere Bewertung, zumal gerade nach dem Abschluss eines Eilverfahrens eine persönliche Besprechung erforderlich erscheint.

Bei den Übernachtungskosten kommt es darauf an. Gemäß § 758a Abs. 4 ZPO gilt die Zeit zwischen 21.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens als Nachtzeit. Ein Antritt der Reise (z. B. durch das Verlassen der Kanzlei) vor 6.00 Uhr morgens ist daher nicht zumutbar. Darüber hinaus muss bei einer Reise zu einem Gerichtstermin ein Sicherheitspuffer eingebaut werden. Bei einer normalen Reisedauer von knapp vier Stunden ist ein solcher Sicherheitspuffer von 1 ¼ Stunden ausreichend, aber auch notwendig. An Hand der aufgrund dieser Kriterien durchzuführenden Prüfung waren im konkreten Fall die Übernachtungskosten für einen von zwei Terminen erforderlich.

Interessant ist, dass das OLG Frankfurt in dem Beschluss keine einzige Fundstelle zitiert. Die Entscheidung dürfte gleichwohl der herrschenden Auffassung entsprechen (vgl. auch OLG Naumburg, Beschl. v. 8.6.2016 – 12 W 36/16 (KfB), MDR 2016, 1475). Interessant ist noch die Dauer des Sicherheitspuffers. Als Leitlinie wird man vielleicht die These aufstellen dürfen, dass ein Sicherheitspuffer von ungefähr ¼ der Reisezeit angemessen, aber auch ausreichend ist.