Nach § 72a S. 1 Nr. 4 GVG sind für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen bei den Landgerichten Spezialkammern einzurichten. Das OLG München hat entschieden, dass eine Streitigkeit aus einem Versicherungsagenturvertrag dieser Spezialkammer nicht zuzuordnen ist (Beschl. v. 07.02.2019 – 34 AR 114/18). Zwar ergebe sich aus der Gesetzeshistorie, dass § 72a S. 1 Nr. 4 GVG (entsprechend § 348 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. h ZPO) Streitigkeiten über Ansprüche aus Versicherungsverhältnissen zwischen dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Bezugsberechtigten einerseits und dem Versicherer anderseits und – nach dem Willen des Gesetzgebers – daneben, wegen der Sachnähe, auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. § 59 VVG umfasse. Ein Versicherungsagenturvertrag unterfalle dieser Regelung jedoch nicht. Eine uferlose Ausdehnung der Regelung würde die Gefahr mit sich bringen, dass die mit ihrer Einführung von dem Gesetzgeber erhofften Spezialisierungseffekte wieder zunichte gemacht werden würden. Dass auch Fragestellungen versicherungsvertraglicher Art von Bedeutung sein können, könne allein die Anwendung des § 72a S. 1 Nr. 4 GVG noch nicht rechtfertigen.
Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anhörungsrüge
Vorschlag von Gravenhorst
Im Reportteil der MDR 2/2019 (S. R6 f.) führt Gravenhorst aus, es sei verfehlt, dass der iudex a quo, dessen Entscheidung angegriffen wird, selbst zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen sei, dies überschätze die Bereitschaft der Richter, einen begangenen Verfassungsverstoß einzuräumen. Nur für die Pannenfälle (z.B. Einordnung eines Schriftsatzes in einer falschen Akte durch die Geschäftsstelle) sei praktisch regelmäßig mit einer Selbstabhilfe zu rechnen. Da in der näheren Zukunft nicht mit einer Lösung durch den Gesetzgeber zu rechnen sei, schlägt Gravenhorst eine Lösung durch die Geschäftsverteilungspläne vor. Es „dürften keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken dagegen bestehen, dass das Präsidium eines Gerichts im jährlichen Geschäftsverteilungsplan … [festlege], dass Anhörungsrügen zunächst durchaus beim iudex a quo anlanden, er sie aber nicht zurückweisen, sondern [ihnen] nur stattgeben“ könne. Komme es nicht zu einer Abhilfeentscheidung, sei dann der Spruchkörper, dem der Gerichtspräsident bzw. -direktor angehört, zur Entscheidung berufen, im Fall einer Stattgabe solle das Verfahren zwingend vor einem anderen Spruchkörper nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans fortgeführt werden.
Gesetzgeberische Entscheidung
Diesem Vorschlag ist, auch wenn sein Grundanliegen durchaus anerkennenswert ist, zu widersprechen. Ein Blick in die Gesetzgebungsmaterialien zeigt, dass der Gesetzgeber sich bewusst für eine Zuständigkeit des iudex a quo entschieden hat. So heißt es in der Regierungsbegründung des Entwurfs zum Anhörungsrügengesetz (BR-Drucks. 663/04, S. 32), die Anhörungsrüge orientiere sich am Modell des bisherigen § 321a ZPO; nach dessen Vorbild sei die Rüge beim iudex a quo zu erheben, bei erfolgreicher Rüge sei das Verfahren in der Lage fortzusetzen, in der es sich vor der mit der Anhörungsrüge angefochtenen Entscheidung befand. Zu § 321a ZPO a.F. war aber allgemein anerkannt, dass er eine Selbstkontrolle durch den iudex a quo selbst vorsieht (vgl. z.B. Reichold, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2004, § 321a Rn. 1). Explizit wird die Zuständigkeit des Ausgangsgerichts – auch – damit begründet, dass durch die Zuständigkeit des mit dem Verfahren vertrauten Ausgangsgerichts keine Verzögerung zu erwarten sei (BR-Drucks. 663/04, S. 33). Im Rahmen der zweiten Lesung im Bundestag führte MdB Manzewski für die SPD (und damit für die Regierungskoalition, mit deren Stimmenmehrheit – neben Oppositionsstimmen – das Gesetz letztendlich beschlossen wurde) aus, der Beschluss halte sich eng an die Vorgaben des nach dem BVerfG zwingend Erforderlichen (die eine Entscheidung durch den Ausgangsrichter explizit zugelassen hatten); die Rüge sei bei dem Gericht zu erheben, das die gerügte Entscheidung erlassen hat (BT-Plenarprotokoll 15/135 v. 28.10.2004, S. 12430). Mit der Paktentheorie (vgl. dazu z.B. Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 3. Aufl. 2018, S. 41 ff.) ist der Wille des historischen Gesetzgebers dahingehend zu konstruieren, dass er sich die Begründung und die Äußerungen der Mehrheitskoalition zu eigen gemacht hat, soweit sich keine entgegenstehenden Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren finden lassen.
Gerade dass die Frage, ob die Zuständigkeit des Ausgangsrichters sachgerecht ist, noch vor der zweiten Lesung, in der noch einmal inhaltlich über den Entwurf diskutiert wurde, bereits auf dem Deutschen Juristentag behandelt (und verneint) worden war (vgl. Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages 2004 in Bonn, 2004, Band II/2, S. M212, Antrag 7.1 und die Diskussionsbeiträge von Gravenhorst, Graßhof und Nassall, ebendort S. M 161, M163 f. und M 166 f. sowie Äußerungen in den Gutachten von Huber und Gottwald, ebendort Band I, S. A 22 und A 112), zeigt, dass die Problematik dem Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes bewusst war. Und selbst, wenn man den Gesetzgebungsmaterialien, weil sie nicht in Gesetzeskraft erwachsen (vgl. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Aufl. 2014, S. 144 ff.), keinerlei Einfluss auf die Auslegung zubilligen wollte (was in dieser Rigorosität nur selten vertreten wird – auch die größten Anhänger einer objektiven Theorie der Gesetzesauslegung wollen ja nicht der historischen Auslegung jede Bedeutung absprechen), spräche eine systematische Auslegung immer noch gegen die Annahme, dass das Gesetz nicht den iudex a quo zur Entscheidung bestellt wissen wollte, wenn man sich vor Augen führt, dass in anderen Fällen, in denen nicht der ursprüngliche Spruchkörper die Entscheidung trifft, das im Gesetz explizit geregelt ist (vgl. z.B. § 45, § 563 Abs. 1 ZPO).
Bindung des Rechtsanwenders an die gesetzgeberische Interessenabwägung
An die Entscheidung des Gesetzgebers für die Zuständigkeit des iudex a quo ist die Justiz grundsätzlich gebunden, und zwar nicht nur der Richter, sondern selbstverständlich auch das Präsidium bei der Gestaltung des Geschäftsverteilungsplans. Aufgabe des Rechtsanwenders in der Justiz ist es, dem Willen des Gesetzgebers in denkendem Gehorsam zum Durchbruch zu verhelfen. An Wertentscheidungen des Gesetzgebers ist das Gericht – Spruchrichter wie Präsidium – grundsätzlich gebunden. Allein, dass der Rechtsanwender eine andere Regelung für vorzugswürdig hält, genügt dafür nicht: Vermeintlich bessere Einsicht reicht nicht aus, um die Gewaltenteilung dahingehend auszuhebeln, dass gesetzgeberische Entscheidungen unbeachtlich werden. Und das gilt sogar, wenn es sich bei der „vermeintlich besseren Einsicht“ um tatsächlich bessere Einsicht handelt, was im konkreten Fall durchaus denkbar ist: Dass die Entscheidung durch denjenigen, der die angegriffene Entscheidung erlassen hat, in vielen Fällen nicht zu einer ergebnisoffenen Prüfung führen wird, ist ja schwerlich zu bestreiten.
Keine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung einer Rechtsfortbildung
Raum für eine Abweichung vom ersichtlichen Willen des Gesetzgebers ist erst dort, wo die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung vorliegen. Eine planwidrige Regelungslücke hat Gravenhorst aber nicht dargelegt. Sie besteht auch nicht, hat sich doch der Gesetzgeber für die abschließende Zuständigkeit des iudex a quo entschieden. Man mag die zugrundeliegende Interessenabwägung zwischen Kostengesichtspunkten (die Zuständigkeit des Ausgangsrichters ist diejenige, die der Justiz am wenigsten Kosten verursacht) und Rechtsschutzgewährleistung kritisieren. Aber das ändert nichts daran, dass zuständig für die Korrektur dieser Interessenabwägung allein der Gesetzgeber oder hilfsweise, wenn die jetzige Regelung sogar verfassungswidrig wäre, das BVerfG ist. Eine eigenmächtige Gesetzeskorrektur durch die Gerichtspräsidien, nur weil sie – mit Gründen, die sich durchaus hören lassen –, die Abwägung anders getroffen hätten, ist jedenfalls nicht zulässig.
Montagsblog: Neues vom BGH
Um eine besondere Form der Veräußerung einer Mietwohnung geht es in dieser Woche.
Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einer vermieteten Wohnung an den anderen Miteigentümer
Beschluss vom 9. Januar 2019 –VIII ZB 26/17
Mit einem besonderen Aspekt des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ befasst sich der VIII. Zivilsenat.
Die Klägerin und ihr Ehemann waren Miteigentümer eines Zweifamilienhauses. Eine der Wohnungen vermieteten sie an den Beklagten. Später übertrug der Ehemann seinen Miteigentumsanteil auf die Klägerin, die dadurch Alleineigentümerin wurde. Wiederum später kündigte die Klägerin, die die andere Wohnung in dem Haus bewohnt, den Mietvertrag gemäß § 573a BGB. Der Beklagte zog erst aus, nachdem die Klägerin auf Räumung geklagt hatte. Das AG legte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO dem Beklagten auf. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Der BGH legt die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auf. Die Kündigungserklärung hätte durch die Klägerin und deren Ehemann gemeinsam erfolgen müssen. Der Ehemann ist mit der Veräußerung des Miteigentumsanteils nicht aus dem Mietvertrag ausgeschieden. § 566 Abs. 1 BGB ist nicht unmittelbar anwendbar, weil die Mietsache nicht an einen Dritten veräußert wurde. Eine entsprechende Anwendung scheidet mangels vergleichbarer Interessenlage aus. § 566 Abs. 1 BGB dient dem Zweck, den Erwerber an das Mietverhältnis zu binden. Dieser Zweck ist nicht berührt, wenn der Erwerber bereits Partei des Mietvertrags ist.
Praxistipp: In der gegebenen Konstellation darf die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden, weil das Verfahren nach § 91 ZPO nicht dazu dient, grundsätzliche Fragen des materiellen Rechts zu klären. Die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Zulassung ist für den BGH aber bindend.
Höchstgerichte zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung – Schwerpunkt der neuen Ausgabe der „Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ)”
Höchstgerichten kommt eine kaum zu überschätzende Rolle zu, wenn es darum geht, Recht zu sprechen, fortzubilden, Rechtsfrieden zu schaffen und dadurch Rechtssicherheit und -klarheit zu bewahren oder überhaupt erst herzustellen. Die Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen reicht häufig über den Einzelfall hinaus – sie werden rechtsgebietsübergreifend in vielfältiger Weise rezipiert. „Höchstgerichte zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung“ war das Thema der 4. Tagung junger ProzessrechtswissenschaftlerInnen im September 2018 in Wien, deren Beiträge nun Eingang in die vorliegende „Wiener Ausgabe“ gefunden haben.
Die Abhandlungen gruppieren sich zum ersten auf europäischer Ebene: Die im Spannungsfeld zwischen EuGH und den nationalen Höchstgerichten – mit ihren je unterschiedlichen Ausgangspositionen und Interessenlagen – stattfindende unionsrechtliche Rechtsfortbildung sieht PD Dr. Attila Vincze im Wechselspiel zwischen Mythos und Realität. Dr. Sina Fontana stellt am Beispiel des europäischen Asylsystems methodische Erwägungen zur Doppelrolle des EuGH bei Rechtsschutzgewährleistung und Rechtsfortbildung an, mit der der EuGH sich zwischen rechtspolitischen Impulsen und Stärkung der Rechtsdogmatik bewege. Der europäischen Entwicklungen im kollektiven Rechtsschutz nehmen sich Lukas Klever und Sebastian Schwamberger an, die damit die Hoffnung auf ein europäisches kollektives Rechtsschutzinstrument und wirkungsvolle nationale Umsetzungen verbinden.
Eine zweite Gruppe an Beiträgen widmet sich dem Widerstreit um die Zulassung(-sbeschränkungen) an die Höchstgerichte: Ass.-Prof. Dr. Nina Marlene Schallmoser geht den Rechtsprechungslinien des österreichischen Obersten Gerichtshofs auf dem Weg zu einem ausdehnenden, in anderen Bereichen zugleich einschränkenden Verständnis des strafrechtlichen Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsrechts nach. Einen besonderen dieser Rechtsbehelfe, die „Wahrungsbeschwerde“, untersucht Dr. Martin Stricker auf seine Bedeutung für Einzelfallgerechtigkeit und Systembildung. Lukas Hussmann blickt in die Schweiz und findet am dortigen Bundesgericht Beispiele für gelebte Transparenz zivilgerichtlicher Entscheidungsfindung, die trotz Beratungsgeheimnis und (noch) ohne dissenting opinions erreicht wird. Der öffentlichen Wahrnehmung gerichtlicher Verhandlungen nimmt sich auch Christian Trentmann an, der die neuen gesetzlichen Vorschriften zur Medienöffentlichkeit an deutschen obersten Bundesgerichten einer Analyse und Kritik unterzieht. Möglichen tektonischen Verschiebungen im Gefüge des österreichischen Grundrechtsschutzes durch den Parteiantrag auf Normenkontrolle („Gesetzesbeschwerde“) zum Verfassungsgerichtshof spürt schließlich Lukas Reiter nach. Abschließend bietet Prof. Dr. Olaf Muthorst eine Literaturdokumentation aktueller Beiträge zum Verfahrensrecht.
Im Sommer 2019 wird das Folgeheft erscheinen und sich neben den Höchstgerichten und ihrer Rolle in der Rechtsordnung auch weiteren aktuellen Fragen des Zivil-, Verwaltungs- und Strafverfahrensrechts widmen. Die GVRZ ist als Online-Zeitschrift über das juris-Zusatzmodul Hochschulen verfügbar.
OLG Hamburg: Kostenentscheidung nach Erledigungserklärung im Widerspruchsverfahren
Einem Verfahren vor dem OLG Hamburg (Beschl. v. 12.11.2018 – 7 W 27/18) erließ das Landgericht auf Antrag des Antragstellers (eine bekannte Person des öffentlichen Lebens) eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin (einen Zeitschriftenverlag). Als Anschrift gab der Antragsteller die Adresse seiner Rechtsanwälte an. Die Antragsgegnerin legte Widerspruch ein und begründete diesen nur damit, der Antrag sei wegen der fehlenden Anschrift unzulässig gewesen. Daraufhin legte der Antragsteller sein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung seiner Anschrift dar. Gleichzeitig teilte er höchstvorsorglich seine Anschrift mit. Alsdann erklärten die Parteien das Widerspruchsverfahren übereinstimmend für erledigt. Das Landgericht legte die Kosten der Antragsgegnerin auf. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin führte hingegen zur Auferlegung der Kosten auf den Antragsteller durch das OLG.
Das Widerspruchsverfahren bildet einen eigenen Verfahrensabschnitt, der isoliert für erledigt erklärt werden kann. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung war zunächst mangels Angabe einer Anschrift unzulässig. Entsprechend den § 253 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4, § 130 Nr. 1 ZPO ist auch im einstweiligen Verfügungsverfahren die Angabe einer Anschrift, nicht unbedingt der Wohnanschrift, erforderlich, unter der die betroffene Partei mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anzutreffen ist; und zwar deswegen, weil zum einen die Partei für den Gegner erreichbar sein muss (z. B. für Zustellungen sowie die eventuelle Vollstreckung von Kostenansprüchen) und zum anderen eine persönliche Ladung durch das Gericht möglich sein muss. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Angabe der Anschrift schutzwürdige Belange der betroffenen Partei entgegenstehen. Dies kann bei einem Prominenten, der unter Umständen hartnäckige Fanbesuche befürchten muss, durchaus denkbar sein.
Diese Belange müssen allerdings bereits in der Antragsschrift dargelegt werden. Auch bei Prominenten ist es jedoch nicht selbstverständlich, dass diese ihre Anschrift verheimlichen wollen oder müssen. Vielmehr gibt es zahlreiche Prominente, die aus ihrer Anschrift gar kein Geheimnis machen. In der Antragsschrift wurde hierzu allerdings nichts dargelegt. Demgemäß war der Widerspruch zunächst begründet. Erst im Laufe des Verfahrens wurde er durch neuen Vortrag unbegründet. Deswegen entspricht es der Billigkeit (§ 91a ZPO), die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen.
Anhaltspunkte dafür, die Kosten der Antraggegnerin aufzuerlegen, gibt es nicht. Die Antragsgegnerin hatte ohne weiteres das Recht, sich gegen die offenbar unzulässige einstweilige Verfügung zu wehren. Es hätte nämlich auch unter Umständen bei der Unzulässigkeit bleiben können. Der weitere Vortrag des Antragstellers war genauso wenig vorauszusehen wie die weitere Entwicklung der Sache. Schließlich hätte es der Antragsteller ohne weiteres in der Hand gehabt, von Anfang an vollständig und richtig vorzutragen.
Nachdem das OLG Hamburg hier bewährten Grundsätzen der Praxis und auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt (vgl. z. B. BGH, Urt. v. 9.12.1987 – IVb ZR 4/87, MDR 1988, 393), wird man konstatieren können, dass letztlich die Klägervertreter für die Kosten werden aufkommen müssen. Man sieht einmal mehr, wie man immer auch im Detail bei den Formalien besondere Aufmerksamkeit walten lassen muss. Anderenfalls kann es sich bitter rächen. Das Mandat wird zum Regress und der Mandant unter Umständen zum Gegner.
Montagsblog: Neues vom BGH
Um den Verjährungsbeginn bei Dauerhandlungen geht es in dieser Woche.
Verjährung des Anspruchs auf Unterlassung vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache
Urteil vom 19. Dezember 2018 – XII ZR 5/18
Eine in Literatur und Instanzrechtsprechung umstrittene Frage entscheidet der XII. Zivilsenat.
Der Rechtsvorgänger des Klägers vermietete der Beklagten im Jahr 2010 zwei Stockwerke eines Gebäudes zum Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei. Die Beklagte nutzte ein Stockwerk von Beginn an als Wohnung. Nachdem der Kläger das Anwesen erworben hatte, beanstandete er die vertragswidrige Nutzung. Sein Angebot, den Mietvertrag zu ändern, lehne die Beklagte ab. Auf eine im Jahr 2016 erhobene Klage verbot das LG der Beklagten, das betreffende Stockwerk zu Wohnzwecken zu nutzen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Der Revision der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Nutzung zu Wohnzwecken ist vertragswidrig und begründet nach erfolgter Abmahnung einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 541 BGB. Dieser verjährt zwar in der Regelfrist von drei Jahren. Entgegen einer in Instanzrechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung beginnt die Verjährung aber nicht zu laufen, solange die vertragswidrige Nutzung andauert. In gleichem Sinne hat der V. Zivilsenat bereits für einen Unterlassungsanspruch unter Wohnungseigentümern entschieden. Hinreichende Anhaltspunkte, aus denen sich eine Verwirkung des Anspruchs ergeben könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Praxistipp: Will der Mieter Verwirkung aufgrund getätigter Investitionen geltend machen, muss er Gegenstand, Zeitpunkt und Höhe der Investitionen konkret darlegen und aufzeigen, aufgrund welcher Umstände er auf eine Duldung der vertragswidrigen Nutzung vertrauen durfte.
LG Arngsberg: Schlupfloch für Grundpreis-Verweigerer bei eBay?
Das Landgericht Arnsberg ist der Ansicht, dass eine Grundpreisangabe bei eBay erst dann erforderlich ist, wenn das konkret zu kaufende Produkt ausgewählt wurde. Bei einem Angebot mehrer Artikel in einer Übersichtsseite (z.B. verschiedene Farben oder Maße von Produkten), sei das noch nicht erforderlich.
„Die Kammer schließt sich der Ansicht des LG Düsseldorf an, dass § 2 Abs. 1 PAngV erst dann zur Anwendung kommt, wenn ein konkretes Produkt beworben wird, weil nur für ein solch konkret beworbenes Produkt ein Preis angegeben werden kann mit der Folge, dass dann die gesetzliche Verpflichtung eintritt, einen Grundpreis zu nennen; bevor nicht ein Endpreis angegeben worden ist, kann auch kein Grundpreis angegeben werden.“
Diese Entscheidung ist eine Einladung zur Schummelei. Gerade bei eBay greift immer mehr die Unsitte um sich, dass Kombi-Angebote für mehrere ähnliche Produkte eingestellt werden, wobei ein „Zubehörteil“, für einen sehr günstigen Kaufpreis, auch mit aufgenommen wird, um den „ab“-Preis günstig darzustellen. So wird ein Koffer für 149,99 € angeboten, für den – im gleichen Angebot – auch eine Kofferhülle für 9,99 € erhältlich ist.
Der Argumentation des Gerichts folgend, wäre es doch gewieft, als Verkäufer eines Produktes, das eine Grundpreisangabe erfordert, noch einen Zubehörartikel gesondert in der Listung mit anzubieten, der
a) besonders günstig ist (für ein hohes Ranking bei einer Sortierung nach Preis und
b) keiner Grundpreisangabe bedarf.
Dass diese Lösung den Sinn und Zweck, den Preisvergleich zu vereinfachen, konterkariert, liegt dabei auf der Hand. Vielmehr dürfte sich die Frage stellen, ob es lauterkeitsrechtlich nicht geboten ist, bei Multiangeboten den höchsten Grundpreis anzugeben. Das würde Verkäufer motivieren, transparentere Angebot einzustellen.
LG Arnsberg Urt. v. 02.08.2018, Az.: 8 O 20/18
Montagsblog: Neues vom BGH
Um zwei anwaltliche Vorgehensweisen der Kategorie „unschädlich, aber dennoch unnötig“ geht es in dieser Woche.
Korrektur eines falsch adressierten Schriftsatzes
Beschluss vom 25. Oktober 2018 – V ZB 259/17
Mit den Sorgfaltsanforderungen bei der Korrektur eines falsch adressierten fristgebundenen Schriftsatzes befasst sich der V. Zivilsenat.
Die Kläger waren in erster Instanz vor dem LG unterlegen. Am letzten Tag der Frist übermittelte ihr Anwalt eine Berufungsschrift an den Telefaxanschluss des LG. Der Schriftsatz wurde an das zuständige OLG weitergeleitet, ging dort aber erst einige Tage später ein. Mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch machten die Kläger geltend, ihr Prozessbevollmächtigter habe die unzutreffende Adressierung nach Unterzeichnung des Schriftsatzes bemerkt, einen korrigierten Schriftsatz unterzeichnet und die mit dem Versand betraute Kanzleikraft angewiesen, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Das OLG versagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Berufung als unzulässig.
Der BGH gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verweist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das OLG zurück. Abweichend vom OLG hält es der BGH für ausreichend, dass der Prozessbevollmächtigte den Fehler korrigiert und die Kanzleikraft angewiesen hat, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Nach der etablierten Rechtsprechung des BGH ist es in solchen Situationen nicht erforderlich, dass der Anwalt den fehlerhaften Schriftsatz vernichtet, durchstreicht oder in sonstiger Weise unbrauchbar macht. Entgegen der Auffassung des OLG bedarf es auch nicht einer ausdrücklichen Anweisung an die Kanzleikraft, den fehlerhaften Schriftsatz zu vernichten. Eine solche Anweisung ist bereits konkludent in dem Auftrag enthalten, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Der Anwalt darf sich auch ohne diesbezügliche Klarstellung darauf verlassen, dass beide Anweisungen befolgt werden.
Praxistipp: Um unnötige Weiterungen zu vermeiden, erscheint es in solchen Situationen dennoch empfehlenswert, den fehlerhaften Schriftsatz mit einer eindeutigen Kennzeichnung zu versehen, die einen versehentlichen Versand verhindert.
Bezeichnung des Rechtsmittelgegners bei Streitgenossenschaft
Beschluss vom 18. Dezember 2018 – XI ZB 16/18
Mit den Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners befasst sich der XI. Zivilsenat.
Nach dem Widerruf von zwei Verbraucherdarlehensverträgen nahm der Kläger die Beklagte zu 1 auf Erstattung der auf den ersten Vertrag erbrachten Leistungen in Höhe von rund 5.000 Euro und die zum gleichen Unternehmensverbund gehörende Beklagte zu 2 auf Erstattung der auf den zweiten Vertrag erbrachten Leistungen in Höhe von rund 17.000 Euro in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. In seiner Berufungsschrift gab der Kläger nur die Beklagte zu 1 als Gegner an. In der Berufungsbegründung verfolgte er sein erstinstanzliches Begehren gegen beide Beklagten weiter. Das OLG wies die Berufung gegen die Beklagte zu 1 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Im gleichen Beschluss verwarf es die Berufung gegen die Beklagte zu 2 als unzulässig.
Der BGH weist die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers zurück. Abweichend vom OLG hält der BGH die Berufung jedoch auch gegenüber dieser Beklagten für zulässig. Eine Berufungsschrift richtet sich im Zweifel gegen alle Streitgenossen auf der Gegenseite, die in erster Instanz obsiegt haben, sofern keine Anhaltspunkte vorliegen, aus denen sich eine beschränkte Einlegung des Rechtsmittels ergibt. Aus dem Umstand, dass nicht alle erstinstanzlichen Streitgenossen auf der Gegenseite ausdrücklich als Berufungsbeklagte benannt werden, darf ein solcher Beschränkungswille nicht abgeleitet werden, wenn eine Beschränkung angesichts des erstinstanzlichen Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erschiene. Im Streitfall erschien eine Beschränkung fernliegend, weil das LG die Abweisung der Klage gegenüber beiden Beklagten auf die Erwägung gestützt hatte, die – gleichlautenden – Widerrufsbelehrungen seien ordnungsgemäß und der Widerruf sei deshalb verfristet. Im Ergebnis bleibt die Rechtsbeschwerde dennoch erfolglos, weil der BGH der materiell-rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen beitritt und deshalb die Berufung gegenüber der Beklagten zu 2 aus denselben Gründen wie das Rechtsmittel gegen die Beklagte zu 1 für unbegründet erachtet.
Praxistipp: Zur Vermeidung unnötiger Weiterungen erscheint es empfehlenswert, in der Rechtsmittelschrift stets alle erstinstanzlichen Gegner anzugeben. Die vollständige Angabe aller Rechtsmittelführer ist ohnehin stets erforderlich.
Montagsblog: Neues vom BGH
Um einen speziellen Fall der Berufshaftung geht es in dieser Woche.
Hinweispflicht des Steuerberaters bei eigenem wirtschaftlichem Interesse
Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 176/16
Mit grundlegenden Fragen zur Haftung eines Steuerberaters befasst sich der IX. Zivilsenat.
Die beiden beklagten Steuerberater hatten dem Kläger empfohlen, zur Steueroptimierung geschlossene Fonds zu zeichnen, und sich hierfür an eine Vermittlergesellschaft zu wenden. An dieser Gesellschaft waren die Beklagten mittelbar zu je einem Viertel beteiligt. Der Kläger zeichnete mehrere Schiffsfonds. Später nahm er die Beklagten wegen unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten überwiegend antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb zum größeren Teil ohne Erfolg.
Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Beklagten an das OLG zurück. Mit dem OLG ist der BGH allerdings der Auffassung, dass die Beklagten die ihnen als Steuerberater obliegenden Beratungspflichten verletzt haben. Ein Steuerberater ist zwar grundsätzlich auch dann nicht zur Beratung über nicht-steuerliche Aspekte verpflichtet, wenn er seinen Mandanten zum Zwecke einer steueroptimierenden Kapitalanlage an Dritte verweist. Er muss den Mandanten aber gegebenenfalls darüber informieren, dass für ihn mit der empfohlenen Kapitalanlage wirtschaftliche Vorteile verbunden sind. Anders als das OLG sieht der BGH die Beweislast dafür, dass die Kapitalanlage bei Erteilung des gebotenen Hinweises nicht erfolgt wäre, jedoch beim Kläger. Anders als in klassischen Fällen der Kapitalanlage verneint der BGH eine Umkehr der Beweislast, weil es ungeachtet der besonderen Fallkonstellation um die Haftung eines Steuerberaters geht. Einen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers lehnt der BGH ebenfalls ab, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte.
Praxistipp: Ist der Schaden durch mehrere, in unterschiedlichen Jahren getroffene Investitionsentscheidungen verursacht, so läuft dennoch eine einheitliche Verjährungsfrist, wenn alle Investitionen allein auf der ursprünglichen Beratung beruhen. Anders ist es, wenn der Steuerberater jedes Jahr aufs Neue den gleichen Rat erteilt hat.
BGH: Widerlegung eines Empfangsbekenntnisses und zur Unterzeichnung „i. V.“
Der BGH (Beschl. v. 25.9.2018 – XI ZB 6/17) hatte über einen Rechtsstreit zu entscheiden, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Eine Berufungsbegründung ging am 16.11.2016 ein, das Empfangsbekenntnis (EB) des erstinstanzlichen Urteils datierte allerdings vom 15.9.2016. Unterschrieben war die Begründung mit „i. V.“ und einer unleserlichen Unterschrift. Der Rechtsanwalt teilte auf gerichtlichen Hinweis dazu folgendes mit: Das Urteil sei am 15.9.2016 in der Kanzlei eingegangen und das EB habe von einer Mitarbeiterin den entsprechenden Stempel erhalten. Er selbst sei erst am 19.9.2016 wieder in die Kanzlei gekommen, habe unterschrieben, jedoch vergessen, den Stempel mit dem Datum vom 15.9.2016 abzuändern. Die Berufungsbegründung sei daher rechtzeitig eingegangen, hilfsweise werde Wiedereinsetzung beantragt. Die Berufungsbegründung sei von Rechtsanwältin P für ihn unterzeichnet worden.
Das OLG hatte die Berufung verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Rechtsanwalt nicht möglicherweise telefonisch von dem Urteil bereits am 15.9.2019 Kenntnis erlangt habe. Darüber hinaus sei unklar gewesen, wer die Berufungsbegründung unterzeichnet habe.
Der BGH sieht dies anders. Der Darstellung des Rechtsanwaltes sei vielmehr mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass er erst am 19.6.2016 von dem Urteil Kenntnis genommen habe. Die Unterzeichnung „i. V.“ bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass der Unterzeichner in Untervollmacht unterzeichnet und die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Wer tatsächlich unterschrieben hat, muss erst zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sein, nicht schon beim Ablauf der einschlägigen Frist.
Freilich bedeutet dies für den Berufungskläger zunächst nur einen Etappensieg: Das Berufungsgericht muss jetzt durch Vernehmung des Rechtsanwalts und seiner Mitarbeiterin Beweis erheben und dann würdigen, ob diese Aussagen wirklich ausreichen, um den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des EB zu führen. Dies wird sicherlich nicht einfach werden. Dennoch scheint der BGH die Anforderungen für die Einhaltung der Fristen immer weiter zu lockern. Ob dies der richtige Weg ist, sei hier einmal dahingestellt.