Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei anwaltliche Vorgehensweisen der Kategorie „unschädlich, aber dennoch unnötig“ geht es in dieser Woche.

Korrektur eines falsch adressierten Schriftsatzes
Beschluss vom 25. Oktober 2018 – V ZB 259/17

Mit den Sorgfaltsanforderungen bei der Korrektur eines falsch adressierten fristgebundenen Schriftsatzes befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger waren in erster Instanz vor dem LG unterlegen. Am letzten Tag der Frist übermittelte ihr Anwalt eine Berufungsschrift an den Telefaxanschluss des LG. Der Schriftsatz wurde an das zuständige OLG weitergeleitet, ging dort aber erst einige Tage später ein. Mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch machten die Kläger geltend, ihr Prozessbevollmächtigter habe die unzutreffende Adressierung nach Unterzeichnung des Schriftsatzes bemerkt, einen korrigierten Schriftsatz unterzeichnet und die mit dem Versand betraute Kanzleikraft angewiesen, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Das OLG versagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verweist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das OLG zurück. Abweichend vom OLG hält es der BGH für ausreichend, dass der Prozessbevollmächtigte den Fehler korrigiert und die Kanzleikraft angewiesen hat, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Nach der etablierten Rechtsprechung des BGH ist es in solchen Situationen nicht erforderlich, dass der Anwalt den fehlerhaften Schriftsatz vernichtet, durchstreicht oder in sonstiger Weise unbrauchbar macht. Entgegen der Auffassung des OLG bedarf es auch nicht einer ausdrücklichen Anweisung an die Kanzleikraft, den fehlerhaften Schriftsatz zu vernichten. Eine solche Anweisung ist bereits konkludent in dem Auftrag enthalten, den korrigierten Schriftsatz zu versenden. Der Anwalt darf sich auch ohne diesbezügliche Klarstellung darauf verlassen, dass beide Anweisungen befolgt werden.

Praxistipp: Um unnötige Weiterungen zu vermeiden, erscheint es in solchen Situationen dennoch empfehlenswert, den fehlerhaften Schriftsatz mit einer eindeutigen Kennzeichnung zu versehen, die einen versehentlichen Versand verhindert.

Bezeichnung des Rechtsmittelgegners bei Streitgenossenschaft
Beschluss vom 18. Dezember 2018 – XI ZB 16/18

Mit den Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners befasst sich der XI. Zivilsenat.

Nach dem Widerruf von zwei Verbraucherdarlehensverträgen nahm der Kläger die Beklagte zu 1 auf Erstattung der auf den ersten Vertrag erbrachten Leistungen in Höhe von rund 5.000 Euro und die zum gleichen Unternehmensverbund gehörende Beklagte zu 2 auf Erstattung der auf den zweiten Vertrag erbrachten Leistungen in Höhe von rund 17.000 Euro in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. In seiner Berufungsschrift gab der Kläger nur die Beklagte zu 1 als Gegner an. In der Berufungsbegründung verfolgte er sein erstinstanzliches Begehren gegen beide Beklagten weiter. Das OLG wies die Berufung gegen die Beklagte zu 1 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Im gleichen Beschluss verwarf es die Berufung gegen die Beklagte zu 2 als unzulässig.

Der BGH weist die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers zurück. Abweichend vom OLG hält der BGH die Berufung jedoch auch gegenüber dieser Beklagten für zulässig. Eine Berufungsschrift richtet sich im Zweifel gegen alle Streitgenossen auf der Gegenseite, die in erster Instanz obsiegt haben, sofern keine Anhaltspunkte vorliegen, aus denen sich eine beschränkte Einlegung des Rechtsmittels ergibt. Aus dem Umstand, dass nicht alle erstinstanzlichen Streitgenossen auf der Gegenseite ausdrücklich als Berufungsbeklagte benannt werden, darf ein solcher Beschränkungswille nicht abgeleitet werden, wenn eine Beschränkung angesichts des erstinstanzlichen Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erschiene. Im Streitfall erschien eine Beschränkung fernliegend, weil das LG die Abweisung der Klage gegenüber beiden Beklagten auf die Erwägung gestützt hatte, die – gleichlautenden – Widerrufsbelehrungen seien ordnungsgemäß und der Widerruf sei deshalb verfristet. Im Ergebnis bleibt die Rechtsbeschwerde dennoch erfolglos, weil der BGH der materiell-rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen beitritt und deshalb die Berufung gegenüber der Beklagten zu 2 aus denselben Gründen wie das Rechtsmittel gegen die Beklagte zu 1 für unbegründet erachtet.

Praxistipp: Zur Vermeidung unnötiger Weiterungen erscheint es empfehlenswert, in der Rechtsmittelschrift stets alle erstinstanzlichen Gegner anzugeben. Die vollständige Angabe aller Rechtsmittelführer ist ohnehin stets erforderlich.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um einen speziellen Fall der Berufshaftung geht es in dieser Woche.

Hinweispflicht des Steuerberaters bei eigenem wirtschaftlichem Interesse
Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 176/16

Mit grundlegenden Fragen zur Haftung eines Steuerberaters befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die beiden beklagten Steuerberater hatten dem Kläger empfohlen, zur Steueroptimierung geschlossene Fonds zu zeichnen, und sich hierfür an eine Vermittlergesellschaft zu wenden. An dieser Gesellschaft waren die Beklagten mittelbar zu je einem Viertel beteiligt. Der Kläger zeichnete mehrere Schiffsfonds. Später nahm er die Beklagten wegen unzureichender Beratung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten überwiegend antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb zum größeren Teil ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Beklagten an das OLG zurück. Mit dem OLG ist der BGH allerdings der Auffassung, dass die Beklagten die ihnen als Steuerberater obliegenden Beratungspflichten verletzt haben. Ein Steuerberater ist zwar grundsätzlich auch dann nicht zur Beratung über nicht-steuerliche Aspekte verpflichtet, wenn er seinen Mandanten zum Zwecke einer steueroptimierenden Kapitalanlage an Dritte verweist. Er muss den Mandanten aber gegebenenfalls darüber informieren, dass für ihn mit der empfohlenen Kapitalanlage wirtschaftliche Vorteile verbunden sind. Anders als das OLG sieht der BGH die Beweislast dafür, dass die Kapitalanlage bei Erteilung des gebotenen Hinweises nicht erfolgt wäre, jedoch beim Kläger. Anders als in klassischen Fällen der Kapitalanlage verneint der BGH eine Umkehr der Beweislast, weil es  ungeachtet der besonderen Fallkonstellation um die Haftung eines Steuerberaters geht. Einen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers lehnt der BGH ebenfalls ab, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte.

Praxistipp: Ist der Schaden durch mehrere, in unterschiedlichen Jahren getroffene Investitionsentscheidungen verursacht, so läuft dennoch eine einheitliche Verjährungsfrist, wenn alle Investitionen allein auf der ursprünglichen Beratung beruhen. Anders ist es, wenn der Steuerberater jedes Jahr aufs Neue den gleichen Rat erteilt hat.

BGH: Widerlegung eines Empfangsbekenntnisses und zur Unterzeichnung „i. V.“

Der BGH (Beschl. v. 25.9.2018 – XI ZB 6/17) hatte über einen Rechtsstreit zu entscheiden, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Eine Berufungsbegründung ging am 16.11.2016 ein, das Empfangsbekenntnis (EB) des erstinstanzlichen Urteils datierte allerdings vom 15.9.2016. Unterschrieben war die Begründung mit „i. V.“ und einer unleserlichen Unterschrift. Der Rechtsanwalt teilte auf gerichtlichen Hinweis dazu folgendes mit: Das Urteil sei am 15.9.2016 in der Kanzlei eingegangen und das EB habe von einer Mitarbeiterin den entsprechenden Stempel erhalten. Er selbst sei erst am 19.9.2016 wieder in die Kanzlei gekommen, habe unterschrieben, jedoch vergessen, den Stempel mit dem Datum vom 15.9.2016 abzuändern. Die Berufungsbegründung sei daher rechtzeitig eingegangen, hilfsweise werde Wiedereinsetzung beantragt. Die Berufungsbegründung sei von Rechtsanwältin P für ihn unterzeichnet worden.

Das OLG hatte die Berufung verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Rechtsanwalt nicht möglicherweise telefonisch von dem Urteil bereits am 15.9.2019 Kenntnis erlangt habe. Darüber hinaus sei unklar gewesen, wer die Berufungsbegründung unterzeichnet habe.

Der BGH sieht dies anders. Der Darstellung des Rechtsanwaltes sei vielmehr mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass er erst am 19.6.2016 von dem Urteil Kenntnis genommen habe. Die Unterzeichnung „i. V.“ bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass der Unterzeichner in Untervollmacht unterzeichnet und die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Wer tatsächlich unterschrieben hat, muss erst zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sein, nicht schon beim Ablauf der einschlägigen Frist.

Freilich bedeutet dies für den Berufungskläger zunächst nur einen Etappensieg: Das Berufungsgericht muss jetzt durch Vernehmung des Rechtsanwalts und seiner Mitarbeiterin Beweis erheben und dann würdigen, ob diese Aussagen wirklich ausreichen, um den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des EB zu führen. Dies wird sicherlich nicht einfach werden. Dennoch scheint der BGH die Anforderungen für die Einhaltung der Fristen immer weiter zu lockern. Ob dies der richtige Weg ist, sei hier einmal dahingestellt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei äußerst unterschiedliche, aber wohl gleichermaßen praxisrelevante Fragen geht es in dieser Woche.

Rechtskraftwirkung zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 20. November 2018 – VI ZR 394/17

Mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der damals 13 Jahre alte Beklagte befand sich im Jahr 2006 wegen Verhaltensauffälligkeiten in stationärer Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten. In einem ersten Rechtsstreit wurden der Beklagte und die Betreiberin der Klinik antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 Euro an den Geschädigten verurteilt. Der Haftpflichtversicherer der Klinikbetreiberin zahlte das Schmerzensgeld und nahm den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs auf vollständigen Regress in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet das Urteil aus dem ersten Rechtsstreit im Verhältnis zwischen den damaligen Beklagten keine Rechtskraftwirkung. Wenn ein Kläger mehrere Personen gemeinsam verklagt und diese – wie insbesondere im Falle der Inanspruchnahme als Gesamtschuldner – nur einfache Streitgenossen sind, kann Rechtskraftwirkung nur innerhalb der einzelnen Prozessverhältnisse entstehen, also nur zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Beklagten, nicht aber im Verhältnis der beiden Beklagten untereinander. Das LG muss nach Zurückverweisung deshalb klären, ob der Beklagte entsprechend seinem nunmehrigen Vorbringen im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.

Praxistipp: Jeder Gesamtschuldner kann eine weitergehende Bindungswirkung herbeiführen, indem er im ersten Rechtsstreit den jeweils anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet.

Keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Urteil vom 6. Dezember 2018 – VII ZR 285/17

Eine seit langem diskutierte Frage entscheidet der VII. Zivilsenat.

Der Kläger, der ein Beton- und Natursteinwerk betreibt, hatte einen betrieblich genutzten Lkw in der Werkstatt des Beklagten reparieren lassen. Wegen mangelhafter Durchführung der Reparatur entstand ein Motorschaden, der einen weiteren Werkstattaufenthalt erforderlich machte. Der Kläger konnte das Fahrzeug über einen Zeitraum von vierzehn Monaten (!) hinweg nicht nutzen. Ungefähr für die Hälfte der Zeit stand ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung. Die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von rund 10.000 Euro für die gesamten vierzehn Monate gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch nur noch für die sieben Monate ohne Ersatzfahrzeug weiterverfolgte, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs kann zwar einen Schaden darstellen, wenn der Ausfall mit einer fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung einhergeht. Dem Geschädigten steht aber nur dann ein Ersatzanspruch in Geld zu, wenn er ein Ersatzfahrzeug anmietet, wenn er den Verlust durch Rückgriff auf ein Reservefahrzeug auffängt oder wenn der Verlust zu einer sonstigen Vermögensminderung geführt hat. Anders als bei privat genutzten Fahrzeugen darf der Schaden hingegen nicht abstrakt anhand einer pauschalierten Nutzungsausfallentschädigung berechnet werden.

Praxistipp: Wenn weder ein Ersatzfahrzeug angemietet noch ein Reservefahrzeug eingesetzt wird, ist es empfehlenswert, alle aufgrund des Ausfalls entstandenen Mehraufwendungen, etwa für die Beauftragung Dritter oder für den Einsatz anderer Geräte oder Arbeitskräfte, zeitnah zu dokumentieren.

Verlag Dr. Otto Schmidt bringt neue „Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ)“ heraus

Der Verlag Dr. Otto Schmidt hat sein Programm um eine Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) erweitert. Im Fokus der GVRZ steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Prozessrechts der großen Teilbereiche des Öffentlichen Rechts, Strafrechts und Zivilrechts. Die Online-Zeitschrift erscheint 2-mal jährlich und ist über das juris Zusatzmodul Hochschulen verfügbar.

Die rechtswissenschaftliche Forschung beschränkt sich ganz überwiegend auf ihr jeweiliges Fachgebiet. Intradisziplinäre Auseinandersetzungen finden demgegenüber selten, wenn auch in zunehmendem Maße statt. Dabei sind alle oder zumindest mehrere Verfahrensordnungen vielen Herausforderungen gleichermaßen ausgesetzt, so dass ein Blick auf die Lösung des anderen Rechtsgebiets oder gar gleich die verfahrensrechtsübergreifende Betrachtung lohnt. Dementsprechend stellt die Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) den Dialog zwischen den mittlerweile nahezu ausschließlich in den jeweiligen Fachsäulen verankerten Prozessrechtswissenschaftlern her.

Entsprechend diesem Anliegen haben Organisatoren/-innen der bisherigen Jahrestagungen der jungen Prozessrechtswissenschaftler die Herausgeberschaft der Zeitschrift übernommen. Das Öffentliche Recht wird von Prof. Dr. Birgit Peters und Dr. Ralph Zimmermann vertreten, für das Strafrecht sind Prof. Dr. Anna H. Albrecht, Prof. Dr. Paul Krell und PD Dr. Anne Schneider zuständig, und der Bereich des Zivilrechts wird von PD Dr. Daniel Effer-Uhe, Prof. Dr. Olaf Muthorst, Prof. Dr. Jens Prütting und Dr. Dominik Schäfers abgedeckt.

Die ersten Veröffentlichungen der GVRZ sind seit Oktober 2018 verfügbar. Folgende Beiträge bilden den Auftakt: Prof. Dr. Reimer zeigt die Relevanz des Verfahrens für die Rechtswissenschaften auf. Prof. Dr. Popp liefert einen Beitrag zur Theorie des Strafverfahrens und der Verfahrenswissenschaft. Prof. Dr. Heiderhoff erläutert, wie allgemeine verfahrensrechtliche Erwägungen über den Instanzenzug für das Familienverfahrensrecht fruchtbar gemacht werden können, und PD Dr. Effer-Uhe widmet sich der fachsäulenübergreifenden Frage des digitalen Verfahrens. Einem ähnlichen säulenübergreifenden, verfahrensrechtlichen Thema widmet sich Dr. Korves mit seinem Beitrag über die Zwecke von Formularzwängen. Mit Beweisverboten im Arbeitsrecht und Strafrecht nach der Videoüberwachung von Arbeitnehmern befasst sich Prof. Dr. Mitsch Hüttmann beschäftigt sich mit dem Bayes-Theorem und damit einer Grundlagenfrage der Beweiswürdigung, die in jedem Rechtsgebiet relevant werden kann. Die Beitragsauswahl endet rechtsvergleichend mit einem Blick auf Polen, der sich der polnischen Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zur überlangen Verfahrensdauer widmet (Dr. Łukańko und Zboralska). Ergänzt werden die Aufsätze durch umfassende Entscheidungsanmerkungen (Dr. Walser), eine Übersicht relevanter, verfahrensrechtlicher Literatur (Prof. Dr. Muthorst) sowie durch die Rezension einer Neuerscheinung zu gebietsübergreifend relevanten Fragen der Beweiswürdigung (Mohnert).

Weitere Informationen zur Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht (GVRZ) finden Sie hier: www.otto-schmidt.de/gvrz

PKH-Bekanntmachung 2019 ist veröffentlicht

Das BMJV hat die neue PKH-Bekanntmachung 2019 bekannt gemacht. Dort sind die Freibeträge nach § 115 Abs. 1 ZPO im einzelnen betragsmäßig aufgeführt. Die Bekanntmachung ist im BGBl. 2018 I, S. 2707 veröffentlicht und ansteuerbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl118s2707.pdf%27%5D__1547022245219

BGH zu § 49a WEG

§ 49a GKG über den Streitwert in Wohnungseigentumssachen ist eine nicht leicht verständliche Streitwertvorschrift. Dessen Abs. 1 S. 1, 2 lautet: „Der Streitwert ist auf 50 Prozent des Interesses der Parteien und aller Beigeladener an der Entscheidung festzusetzen. Er darf das Interesse des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen an der Entscheidung nicht unterschreiten und das Fünffache des Wertes ihres Interesses nicht überschreiten. ...“

Bei Streitigkeiten über die Zustimmung zur Veräußerung des Wohnungseigentums vertritt der BGH bereits, dass sich der Streitwert in der Regel auf 20 % des Verkaufspreises des Wohnungseigentums beläuft (vgl. BGH v. 18.1.2018 – V ZR 71/17, MDR 2018, 558; BGH v. 19.7.2018 – V ZR 229/17, MDR 2018, 1178).

In einer neuen Entscheidung des BGH ging es nun um eine Streitigkeit über die Zustimmung zur Erteilung des Zuschlags in einem das Wohnungseigentum betreffenden Zwangsversteigerungsverfahren (BGH v. 15.11.2018 – V ZR 25/18). Hierzu hat der BGH festgestellt, dass sich der Streitwert in der Regel auf 20 % des Meistgebots beläuft. Ohne dass es der BGH in dieser Entscheidung ausdrücklich aufführt, hat der BGH S. 2 von § 49a Abs. 1 GKG angewendet. Das Interesse des Rechtsmittelführers (§ 47 GKG) bildet also die entscheidungserhebliche Untergrenze. Dessen Interesse hat der BGH mit den erwähnten 20 % des Meistgebots bewertet.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die rechtliche Einordnung eines durchaus verbreiteten Vertragstyps geht es im ersten Blog des Jahres 2019.

Vertrag über Anbringung von Werbung auf einem Kraftfahrzeug
Urteil vom 7. November 2018 – XII ZR 109/17

Mit der Abgrenzung zwischen Werk- und Mietvertrag befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Klägerin überlässt sozialen Institutionen unentgeltlich Kraftfahrzeuge zur Nutzung. Die Fahrzeuge sind mit Werbeflächen versehen, die die Klägerin interessierten Dritten gegen Entgelt zur Verfügung stellt. Der Beklagte hatte sich vertraglich verpflichtet, für die Überlassung einer solchen Werbefläche für fünf Jahre insgesamt 1.760 Euro netto zu zahlen. Die auf Zahlung dieser Vergütung gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Abweichend von den Vorinstanzen sieht er den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht als Werkvertrag an, sondern als Mietvertrag. Die wesentliche Verpflichtung der Klägerin erschöpft sich darin, dem Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Nutzung der Werbefläche im laufenden Geschäftsbetrieb der sozialen Institution für sich zu werben. Ein besonderer Erfolg, der zur Einordnung als Werkvertrag führen könnte, ist demgegenüber nicht vorgesehen.

Praxistipp: Verlängerungsklauseln in solchen Verträgen sind aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung in der Vergangenheit schon häufiger als unwirksam angesehen worden, vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.3.2018 – XII ZR 18/17.

Der Zivilprozess – Hurra, schon wieder eine neue Reform!

Bekanntlich gehen die Eingänge in Zivilprozesssachen schon seit Jahren zurück. Viele kundige Menschen, mitunter auch Juristen, haben sich mit dieser Tendenz beschäftigt. Aber keiner weiß so richtig genau, warum dies der Fall ist. Sicherlich gibt es dafür viele Ursachen. Oder wie man sagt: Es handelt sich um ein multikausales Phänomen.

Anstatt diese Tendenz auf sich beruhen zu lassen und sich zu freuen, dass die Rechtsgenossen sich offenbar weniger streiten (wollen), entfaltet man vielmehr neue Aktivitäten. Die Justizministerinnen und –minister wollen den Zivilprozess wieder attraktiver machen (vgl. den Bericht von Rebehn in DRiZ 2018, 370 ff.). Ist es wirklich die Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass die Eingänge in der Zivilgerichtsbarkeit wieder steigen?

So ist einiges geplant: Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde soll endlich festgeschrieben und unter Umständen sogar ein wenig erhöht werden. Das Kammerprinzip soll wieder gestärkt werden. Weitere Spezialkammern sollen errichtet werden. Die Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO soll hingegen erhalten bleiben. Für die Amtsgerichte wird sich allerdings praktisch nichts ändern, ein Glück.

Wie die geplanten Maßnahmen dafür sorgen sollen, dass die Eingänge wieder steigen, bleibt allerdings im Wesentlichen das Geheimnis der Konferenz. Sachgerecht wäre es jedenfalls, die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde endlich festzuschreiben und auch ein wenig zu erhöhen, immerhin ist diese Grenze schon jahrelang nicht mehr verändert worden. Dies wird den Zivilprozess zwar nicht gerade attraktiver machen! Aber an dieser „Front“ muss endlich einmal Ruhe einkehren. Auch die Erhaltung des § 522 Abs. 2 ZPO ist zu begrüßen.

Alles andere kann und sollte man einfach beibehalten und die Praxis in Ruhe arbeiten lassen. Sie wird ihre Aufgaben so gut wie es angesichts der teilweise widrigen Verhältnisse und Umstände möglich ist auch ohne die Reformen bzw. Reförmchen erfüllen. So wie schon seit Jahrzehnten. Und so wie schon vor Jahrzehnten. Und so wie voraussichtlich noch in weiteren Jahrzehnten. Jedoch: Alles fließt, das einzig Konstante ist auch hier der Wille zur Veränderung mit wie stets mäßigen Konsequenzen. Es kreiste der Berg und gebar ein Mäuschen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine immer wieder diskutierte prozessuale Frage geht es im Silvester-Blog.

Bezugnahme auf Anlagen zur Substantiierung des Klageanspruchs
Beschluss vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 213/17

Mit der richterlichen Pflicht zur Berücksichtigung von vorgelegten Anlagen befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1999 schwerst verletzt und bezieht von der beklagten Haftpflichtversicherung eine monatliche Rente von 900 Euro wegen vermehrter Bedürfnisse. Im Rechtsstreit begehrt sie unter anderem eine zusätzliche Rente von rund 500 Euro pro Monat wegen des Haushaltsführungsschadens. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, weil dieses eine von der Klägerin vorgelegte Aufstellung ihres Tagesablaufs vor dem Unfall unberücksichtigt gelassen hat. Ein Gericht muss zwar nicht von sich aus umfangreiche Aktenkonvolute durcharbeiten, um den geltend gemachten Anspruch zu konkretisieren. Es muss aber Anlagen zur Kenntnis nehmen, die aus sich heraus verständlich sind und auf die die Partei zur Konkretisierung ihres Vorbringens ausdrücklich Bezug genommen hat. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt.

Praxistipp: Damit über die Frage, ob eine Anlage aus sich heraus verständlich ist, möglichst kein Streit entsteht, empfiehlt es sich, den Inhalt jeder Anlage im Rahmen der Bezugnahme kurz zu erläutern.