Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verbot von Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen für Rechtsanwälte.

Vermittlung von Anwaltsdienstleistungen im Internet
BGH, Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit Tatbestand und Rechtfolgen von § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO.

Die Klägerin betreibt ein Internetportal, auf dem Dienstleistungen für Betroffene im Zusammenhang mit einem möglichen Verkehrsverstoß angeboten werden. Zur rechtlichen Überprüfung der gegen einen Betroffenen erhobenen Vorwürfe arbeitet sie mit Rechtsanwaltskanzleien zusammen, unter anderem mit der beklagten GmbH. Die Kanzlei, an die die Klägerin den Betroffenen verweist, übernimmt dessen rechtliche Betreuung, prüft die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den erhobenen Vorwurf und übernimmt auf Wunsch des Betroffenen die weitere Vertretung. Sie hat an die Klägerin eine Lizenzgebühr zu zahlen, wenn die Rechtsschutzversicherung des Betroffenen eine Deckungszusage erteilt.

Für ihre diesbezüglichen Vermittlungsleistungen im Zeitraum vom 1.12.2020 bis 30.6.2021 begehrt die Klägerin von der Beklagten Lizenzgebühren in Höhe von rund 230.000 Euro. Die Klage ist in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg geblieben.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Das OLG hat zu Recht entschieden, dass die Vereinbarung zwischen den Parteien gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO verstößt.

Das dort normierte Verbot einer entgeltlichen Vermittlung von Anwaltsmandaten richtet sich nicht nur gegen einen Anwalt, der für die Vermittlung einen Teil seiner Gebühren abgibt oder sonstige Vorteile gewährt, sondern auch gegen Dritte, die solche Vorteile entgegennehmen.

Die Klägerin hat im Streitfall Vermittlungsleistungen dieser Art erbracht. Ihre Tätigkeit erschöpft sich nicht im Betreiben einer Plattform, auf der Anwälte ihre Dienstleistungen anbieten. Vielmehr übermittelt sie der Partnerkanzlei den jeweiligen Fall bereits mit unterschriebener, auf diese lautender Vollmacht.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG entschieden, dass eine gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO verstoßende Vereinbarung gemäß § 134 BGB nichtig ist.

Ein Bereicherungsanspruch ist schon durch § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Die darin vorgesehene Kondiktionssperre greift nach der Rechtsprechung des BGH nur, wenn der Leistende vorsätzlich verbotswidrig gehandelt oder sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns zumindest leichtfertig verschlossen hat. Im Streitfall liegt die zuletzt genannte Voraussetzung in der Person der Klägerin (als Erbringerin der Vermittlungsleistung) vor.

Ein Anspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss besteht ebenfalls nicht. Die Beklagte war nicht verpflichtet, auf Bedenken gegen die Wirksamkeit des Vertrags hinzuweisen, weil sich die Klägerin intensiv und jahrelang mit § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO befasst und nach Möglichkeiten einer rechtswirksamen Vertragsgestaltung gesucht hatte. Dass die Beklagte die erkannte Unwirksamkeit des Vertrags für sich ausgenutzt hätte, ist nicht geltend gemacht.

Praxistipp: Der Rückforderung bereits gezahlter Vergütungen aus solchen Verträgen dürfte ebenfalls die Kondiktionssperre aus § 817 Satz 2 BGB entgegenstehen.

Anwaltsblog 21/2024: Verstoß gegen das berufsrechtliche Provisionsverbot bei der Vermittlung von Rechtsanwaltsmandaten durch Dritte auf einer Online-Plattform

Der BGH hatte zu entscheiden, nach welchen Kriterien eine unzulässige Vermittlung von Anwaltsverträgen im Internet von zulässigen Informations- und Werbeplattformen abzugrenzen ist (BGH, Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23):

 

Die Klägerin betreibt ein Internetportal, über das sie Dienstleistungen für Betroffene anbietet, die einen Anhörungsbogen oder einen Bußgeldbescheid wegen eines Verkehrsrechtsverstoßes erhalten haben. Zur rechtlichen Überprüfung der erhobenen Vorwürfe und wegen der sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten arbeitete sie mit Partnerkanzleien zusammen, zu denen auch die Beklagte gehörte. Nachdem die Betroffenen bei der Klägerin die erforderlichen Unterlagen eingereicht hatten, einschließlich einer auf die jeweilige Kanzlei lautenden Vollmacht, schaltete die Klägerin diese ein. Die Partnerkanzleien übernahmen die rechtliche Betreuung der Betroffenen, aus der ihnen Vergütungsansprüche erwuchsen, die in vielen Fällen Rechtsschutzversicherer der Betroffenen deckten. Für ihre Leistungen stellte die Klägerin der Beklagten ausschließlich für Betroffene mit Rechtsschutzversicherung „Lizenzgebühren“ in Höhe von insgesamt 235.056,98 € in Rechnung. Sie ist der Ansicht, bei den geforderten Gebühren handele es sich nicht um ein Entgelt für die Vermittlung von Aufträgen iSd. § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Entgolten werde vielmehr pauschaliert die Nutzung der von der Klägerin entwickelten digitalen Infrastruktur durch die Partnerkanzleien.

Landgericht wie Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Die getroffene Vereinbarung verstoße gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Sie habe in der entgeltlichen Vermittlung von Mandaten bestanden, weil der jeweilige Fall erst an die Beklagte weitergeleitet worden sei, nachdem der Betroffene die Vollmacht eingereicht habe, und weil die Vergütung an das konkrete Mandat angeknüpft habe. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO sei die Nichtigkeit der Vereinbarung gemäß § 134 BGB (OLG Dresden, Urteil vom 6. April 2023 – 8 U 1883/22, MDR 2023, 1007).

Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Nach dem Vortrag der Klägerin besteht die zwischen den Parteien getroffene Einigung offenkundig in der entgeltlichen Vermittlung konkreter Mandate. Darin liegt ein Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Nach § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist die Abgabe und Entgegennahme eines Teils der Gebühren oder sonstiger Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen, gleichviel ob im Verhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Dritten gleich welcher Art unzulässig. Das daraus folgende Verbot richtet sich damit sowohl gegen den Rechtsanwalt, der einen Teil der Gebühren abgibt oder einen sonstigen Vorteil gewährt, als auch gegen den Rechtsanwalt oder Dritten, der den Teil der Gebühren oder den sonstigen Vorteil entgegennimmt. Der Begriff des sonstigen Vorteils ist vor dem Hintergrund des Verbotszwecks weit zu verstehen. Es soll vermieden werden, dass Rechtsanwälte in einen Wettbewerb um den Ankauf von Mandaten treten. Die Anwaltschaft ist kein Gewerbe, in dem Mandate „gekauft“ und „verkauft“ werden. Ein Rechtsanwalt, dem ein Mandat vermittelt wird, darf hierfür den Vermittler nicht belohnen. Allerdings bedarf es eines besonderen Bezugs des Vorteils zum vermittelten Auftrag. Das Verbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO erfasst nur Provisionszahlungen für ein konkret vermitteltes Mandat. Die Vermittlung muss ursächlich für die Vorteilsgewährung sein. Die Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte beschränkte sich nicht auf die Leistungen herkömmlicher Werbemedien, die von § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO nicht erfasst werden. Über ein Bereitstellen einer Plattform ging die Tätigkeit der Klägerin weit hinaus. Sie mündete zielgerichtet in der Vermittlung eines auf einen konkreten Verkehrsrechtsverstoß bezogenen Mandats. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände lag darin zugleich der Auftrag an die Beklagte zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung gemäß § 675 BGB. Dem vom Berufungsgericht angenommenen Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO steht nicht entgegen, dass der Betrieb des Internetportals auch weitere Tätigkeiten der Klägerin erforderlich gemacht haben mag und diese zum Teil auch der Beklagten zugutegekommen sein mögen. Entscheidend ist, für welche Tätigkeit die Beklagte vereinbarungsgemäß bezahlen sollte. Das war die Vermittlung konkreter Mandate. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist die Nichtigkeit der behaupteten Vereinbarung gemäß § 134 BGB. § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist ein Verbotsgesetz im Sinne der Vorschrift.

Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der Klageanspruch auch nicht nur teilweise aus den §§ 812 ff BGB ergibt. Übersehen hat das Berufungsgericht allerdings, dass bereits die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB eingreift. Die Abwicklung nach Bereicherungsrecht soll nicht demjenigen, der eine gesetzwidrige Geschäftsbesorgung vornimmt, auf einem Umweg entgegen § 134 BGB doch eine Vergütung verschaffen. § 817 Satz 2 BGB beugt einer Umgehung der Nichtigkeitsanordnung des § 134 BGB vor. Es handelt sich um die vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene Rechtsfolge, die zudem geeignet ist, die Zielsetzung des Verbots des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO zu fördern.

 

Fazit: Vermittelt ein Dritter einem Rechtsanwalt den Auftrag eines Mandanten zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung und lässt er sich für die Leistung bezahlen, ist die dem zugrunde liegende Vereinbarung unwirksam.

Anwaltsblog 20/2024: Anforderungen an eine wirksame Mängelanzeige nach § 377 Abs. 1 HGB

Wieder einmal hatte sich BGH mit den Anforderungen an die Mängelanzeige zu befassen, die bei kaufmännischen Kaufverträgen der Verkäufer nach § 377 HGB bei aufgetretenen Mängel unverzüglich zur Wahrung seiner Rechte abgeben muss (BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – VIII ZR 35/23):

Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte ihr am 2. und 21. August sowie am 20. September 2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten). Bei der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Klägerin kurz vor Abschluss der Produktion am 13. Oktober 2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Noch am selben Tag teilte sie der Beklagten telefonisch mit, dass „in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten“ seien und übersandte Fotos per E-Mail. Die Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben „GE805und einer „Lot Nr. M2261108“ sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20. September 2017 und Chargennummer 201709020-1701655. Die Klägerin sperrte die bereits produzierten Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. Mit E-Mail vom 16. Oktober 2017 bestätigte die Beklagte den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Am 26. Oktober 2017 teilte sie unter Bezugnahme auf die „Reklamation der von uns gelieferten GE805 – Jalapeños grün in Scheiben“ mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne.

Mit der Klage hat die Klägerin u.a. Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag bereits deshalb nicht zu, weil er gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Es fehle an einer hinreichend bestimmten Mängelrüge der Klägerin. Die Mitteilung vom 13. Oktober 2017 genüge diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der übermittelten Fotos nicht. Es sei denkbar, dass sich die Beanstandung auf lediglich einen einzelnen – den abgebildeten – Karton, auf alle Kartons mit der „Lot Nr. M2261108“, auf die gesamte Lieferung, auf sämtliche Ware mit der (vorangestellten) Nummer „K5409“ aus allen drei Lieferungen oder aber auf die gesamte Ware aus allen drei Lieferungen beziehe. Welche Mangelbehauptung die Klägerin nun konkret erhoben habe, habe ein Empfänger in der Person der Beklagten anhand der Mängelanzeige nicht feststellen können.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung. Dem Berufungsgericht ist eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Beklagte als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Klägerin bis zum 17. Oktober 2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, eigene Nachforschungen anstellen und ihre Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. In diesem Zusammenhang kam dem Vortrag der Klägerin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Beklagte mit der E-Mail vom 26. Oktober 2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Beklagten hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Klägerin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Beklagten auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das Berufungsgericht das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags. Die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen der Klägerin in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen, zur Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit der Mängelrüge gelangt wäre.

 

Fazit: Die Mängelanzeige gemäß § 377 Abs. 1 HGB muss den Verkäufer in die Lage versetzen, aus seiner Sicht und Kenntnis der Dinge zu erkennen, in welchen Punkten und in welchem Umfang der Käufer die gelieferte Ware als nicht vertragsgemäß beanstandet. Ferner soll sie dem Verkäufer ermöglichen, die Beanstandungen zu prüfen und gegebenenfalls abzustellen. Aus diesen Gründen muss die Mängelanzeige Art und Umfang der Beanstandungen zumindest in allgemeiner Form benennen. Angesichts der Beweisnot, in die der Verkäufer mit zunehmendem Zeitablauf zu geraten droht, soll die Mängelanzeige ihn in die Lage zu versetzen, möglichst bald den Beanstandungen durch den Käufer nachzugehen und gegebenenfalls Beweise sicherzustellen. Es bedarf aus diesem Grunde nicht so sehr der Aufdeckung der Ursachen des Fehlers als vielmehr seiner Beschreibung (BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – X ZR 75/94 –, MDR 1996, 918).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirksamkeit einer Vormerkung.

Fortbestand einer Vormerkung bei Verlängerung der Annahmefrist
BGH, Urteil vom 8. März 2024 – V ZR 176/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit einer gehaltvollen Mischung aus internationalem Familienrecht, Sachenrecht und Bereicherungsrecht.

Die Klägerin, eine philippinische Staatsangehörige, lebte seit 2004 mit ihrem späteren Ehemann, einem deutschen Staatsangehörigen, in Südafrika. Im Jahr 2006 heirateten die beiden dort.

Im Jahr 2013 übertrug der Ehemann eine Eigentumswohnung in München, die ihm schon vor der Eheschließung gehört hatte, ohne Zustimmung der Klägerin auf seinen Sohn aus früherer Ehe. Dieser wurde als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. In der Folge bot er der Beklagten, seiner Ehefrau, unwiderruflich die unentgeltliche Übereignung der Wohnung an. Zur Annahme des Angebots setzte er eine Frist bis 31.12.2016. Zur Sicherung des künftigen Anspruchs auf Übereignung wurde im Juli 2014 eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen.

Im Oktober 2016 wurde ein Widerspruch gegen die Eigentümerstellung des Ehemannes der Beklagten eingetragen. Die Klägerin macht hierzu geltend, sie sei nach südafrikanischem Güterrecht mit der Eheschließung Gesamthandseigentümerin der Wohnung geworden und ihr Ehemann habe über diese nicht ohne ihre Zustimmung verfügen dürfen.

Der Ehemann der Beklagten verlängerte einige Tage nach Eintragung des Widerspruchs die Frist zur Annahme seines Übereignungsangebots bis 31.12.2026, also um zehn Jahre.

Die auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung gerichtete Klage hatte in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG hat die Klägerin zu Recht als prozessführungsbefugt angesehen.

Ob die Klägerin Ansprüche aus dem geltend gemachten Gesamthandseigentum alleine geltend machen darf, ist nach dem südafrikanischen Recht zu bestimmen.

Die Prozessführungsbefugnis ist zwar grundsätzlich nach deutschen Prozessrecht zu beurteilen. Soweit es um die Frage geht, ob eine Partei ein ihr nicht oder nicht allein zustehendes Recht im eigenen Namen geltend machen kann, ist jedoch das dafür einschlägige materielle Recht maßgeblich. Dieses ist in Fällen mit Auslandsbezug nach den Regeln des Internationalen Privatrechts zu bestimmen.

Im Streitfall ist danach das südafrikanische Güterrecht anwendbar, weil die Klägerin und ihr Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung dort beide ihren Wohnsitz hatten. Nach dieser Rechtsordnung kann ein Ehegatte Ansprüche aus Gesamthandseigentum ohne Mitwirkung des anderen Ehegatten geltend machen.

Das OLG durfte aber nicht offenlassen, ob die Klägerin tatsächlich Gesamthandseigentümerin geworden ist und ob der Ehemann der Beklagten das Eigentum an der Wohnung gegebenenfalls gutgläubig erworben hat.

Das OLG hat allerdings zu Recht angenommen, dass die Vormerkung kraft guten Glaubens auch dann wirksam entstanden ist, wenn der Ehemann der Beklagten nicht Eigentümer der Wohnung ist. Der Ehemann war als Eigentümer im Grundbuch eingetragen und die Beklagte hatte keine Kenntnis von einer eventuellen Unrichtigkeit. Ein Widerspruch war bei Eintragung der Vormerkung noch nicht eingetragen. Es handelt sich auch nicht um einen Fall der vorweggenommenen Erbfolge, für die ein gutgläubiger Erwerb nach einer verbreiteten Auffassung generell ausgeschlossen sein soll.

Die Vormerkung hat ihre Wirksamkeit auch über die ursprünglich gesetzte Annahmefrist behalten, weil die Frist rechtzeitig verlängert worden ist.

Durch die Verlängerung wird der gesicherte künftige Anspruch selbst nicht verändert. Dass die Verlängerung aus dem Grundbuch nicht hervorgeht, ist unschädlich. Dem Grundbuch kann gegebenenfalls auch nicht entnommen werden, ob das Angebot innerhalb der ursprünglich bestimmten Frist angenommen worden ist.

Das Berufungsgericht hat aber übersehen, dass die Beklagte im Falle eines gutgläubigen Erwerbs nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet ist, den dadurch erlangten Vorteil an den Berechtigten herauszugeben, weil sie ihn aufgrund einer unentgeltlichen Verfügung erlangt hat. Zu den danach herauszugebenden Vorteilen gehören auch die Wirkungen einer gutgläubig erworbenen Vormerkung.

Das OLG wird deshalb zu prüfen haben, ob die Klägerin Gesamthandseigentum an der Wohnung erworben hat und ob der Ehemann der Beklagten gegebenenfalls kraft guten Glaubens Eigentum erworben hat. Ferner wird es zu prüfen haben, welche Auswirkungen es auf die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hat, dass ihr Ehemann im Laufe des Revisionsverfahrens verstorben und für den Nachlass ein Testamentsvollstrecker eingesetzt worden ist.

Praxistipp: Die Verletzung ausländischer Rechtsnormen kann in der Revisionsinstanz nicht gerügt werden. Der BGH überprüft lediglich, ob das Berufungsgericht das ihm bei der Ermittlung des ausländischen Rechts zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

VGH München: Unrichtige Rechtsmittelbelehrung und zum Entfall der Beschwer bei Teilabhilfe

Der VGH München (Beschl. v. 20.2.2024 – 15 C 23.30945) hat zwei wichtige und durchaus praxisrelevante  Konstellationen in Erinnerung gebracht:

Der Rechtsanwalt eines Klägers war im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet und beantragte nach Abschluss des Prozesses die Festsetzung seiner Vergütung. Dabei entstand mit der Gerichtskasse Streit über die Anrechnung von Zahlungen. Das VG hatte seiner Nichtabhilfeentscheidung eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, obwohl die notwendige Beschwerdesumme von 200 € nicht erreicht war (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Das VG war von dem Gegenteil ausgegangen, hatte sich jedoch verrechnet.

Das Rechtsmittel bleibt gleichwohl unzulässig! Ist die erforderliche Beschwer nicht erreicht, bleibt ein Rechtsmittel auch dann unzulässig, wenn der Entscheidung eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung beigefügt worden war. Ein Gericht kann nicht durch die Erteilung einer falschen Rechtsmittelbelehrung einen Instanzenzug zu eröffnen, den das Gesetz gar nicht vorsieht. Dies gilt auch dann, wenn sich das erstinstanzliche Gericht verrechnet hat.

Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang weiterhin, ob der Beschwerdewert von Anfang an oder erst durch eine teilweise Nichtabhilfeentscheidung unter die Mindestsumme fällt. Maßgeblich ist stets die verbliebene, nicht die ursprüngliche Beschwer. Es ist in der Tat so, dass das Rechtsmittel dann durch die Teilabhilfe unzulässig wird.

Anwaltsblog 19/2024: Zur Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsausschlusses beim Kauf eines 40 Jahre alten Gebrauchtwagens

Der BGH hatte zu entscheiden, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er die einwandfrei funktionierende Klimaanlage in seiner Verkaufsanzeige hervorgehoben hatte, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht (BGH, Urt. v. 10.4.2024 – VIII ZR 161/23, MDR 2024, 706):

 

Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 € einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“. Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage durch eine Erneuerung des Klimakompressors instandsetzen und verlangt den Ersatz von Reparaturkosten von rund 1.750 €.

Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehe dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch der zwischen den Parteien vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegen. Dieser erstrecke sich auch auf einen etwaigen Mangel an der Klimaanlage. Zwar sei eine gleichzeitige Vereinbarung einer bestimmten Beschaffenheit der Kaufsache einerseits und eines umfassenden Ausschlusses der Gewährleistung andererseits regelmäßig dahin auszulegen, dass der Gewährleistungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten solle (BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06, MDR 2007, 642). Jedoch müsse bei einem rund 40 Jahre alten Fahrzeug auch im Falle einer – hier hinsichtlich der Klimaanlage getroffenen – Beschaffenheitsvereinbarung angesichts der unvermeidlichen und teils gebrauchsunabhängigen Alterung einzelner Bauteile selbst dann, wenn es sich um einen hochwertigen und gepflegten Pkw handele, stets mit dem Auftreten von Instandsetzungsbedarf gerechnet werden. Demgemäß habe der Kläger in Anbetracht des Gewährleistungsausschlusses nicht erwarten dürfen, dass die schon lange Zeit über ihre technische Lebensdauer hinaus betriebene Klimaanlage auch weiterhin funktionieren werde.

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit iSv. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF (nunmehr § 434 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel, nämlich solche im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF, gelten soll. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses nicht in Betracht. Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls ohne Sinn und Wert wäre.

Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.

 

Fazit: Haben die Parteien die „einwandfreie“ Funktionsfähigkeit eines typischerweise dem Verschleiß unterliegenden Fahrzeugbauteils vereinbart, liegt ein Sachmangel vor, wenn sich dieses Bauteil bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs in einem Zustand befindet, der seine einwandfreie Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Das gilt unabhängig davon, ob insoweit ein „normaler“, das heißt ein insbesondere nach Alter, Laufleistung und Qualitätsstufe nicht ungewöhnlicher, die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigender Verschleiß vorliegt – der einen Sachmangel nicht begründet – und/oder ob bei objektiver Betrachtung jederzeit mit dem Eintreten einer Funktionsbeeinträchtigung dieses Bauteils zu rechnen war.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine kostenrechtliche Frage.

Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Terminsvertreter
BGH, Beschluss vom 26. März 2024 – VI ZB 58/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Beauftragung eines Terminsvertreters.

In einem vor dem Amtsgericht Würzburg anhängigen Rechtsstreit um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall ließen sich die an einem anderen Ort ansässigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten durch eine in Würzburg ansässige Rechtsanwältin vertreten. Nach einer Kostenentscheidung zugunsten des Beklagten beantragte dieser unter anderem die Festsetzung einer Terminsgebühr für seine Prozessbevollmächtigten und einer an die Würzburger Anwältin gezahlten Pauschale für die Terminsvertretung in Höhe von 200 Euro. Zur Begründung führte er an, bei einer Teilnahme seiner Prozessbevollmächtigten wären Reisekosten in Höhe von 380 Euro angefallen.

Das AG hat den Antrag hinsichtlich der Auslagen für die Terminsvertreterin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Wenn die Partei selbst oder ihr Prozessbevollmächtiger in deren Namen einen anderen Anwalt mit der Vertretung in einem Termin betraut, sind die dafür anfallenden Kosten – die Hälfte einer Verfahrensgebühr (Nr. 3401 VV RVG) und die volle Terminsgebühr (Nr. 3402 VV RVG) – erstattungsfähig, wenn durch die Terminsvertretung Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in vergleichbarer Höhe erspart werden.

Wenn der Prozessbevollmächtigte den Terminsvertreter im eigenen Namen beauftragt, sind die dafür anfallenden Kosten hingegen nicht erstattungsfähig. In diesem Fall stehen dem Terminsvertreter keine Vergütungsansprüche gegen die Partei zu. Der Prozessbevollmächtigte darf seinem Mandanten die Terminsgebühr in Rechnung stellen. Die Kosten, die er für die damit abgegoltene Wahrnehmung des Termins aufgewendet hat, sind dann keine erstattungsfähigen Aufwendungen.

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte die Terminsvertreterin im eigenen Namen beauftragt. Die dafür angefallenen Kosten sind deshalb nicht erstattungsfähig.

Praxistipp: Trotz der geringeren Erstattungsmöglichkeit ist die Beauftragung eines Terminsvertreters im eigenen Namen wirtschaftlich sinnvoll, wenn die dafür anfallenden Kosten geringer sind als die Kosten, die dem Prozessbevollmächtigten für die eigene Teilnahme am Termin entstehen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine schenkungsrechtliche Frage mit Bezügen zum Familien- und zum Sozialhilferecht.

Angemessener Unterhalt eines Beschenkten
BGH, Urteil vom 16. April 2024 – X ZR 14/23

Der X. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes auf das Schenkungsrecht.

Der klagende Sozialhilfeträger verlangt wegen erbrachter Sozialleistungen an die Mutter des Beklagten die teilweise Rückzahlung einer Schenkung.

Die inzwischen verstorbene Mutter des Beklagten hatte diesem im Jahr 2003 eine Kontovollmacht für ein Sparkonto erteilt. Im Jahr 2011 wurde das Konto mit einem Guthaben von rund 20.000 Euro schenkweise auf den Beklagten übertragen. Im Jahr 2018 erbrachte der Kläger für die Mutter des Beklagten Pflegewohngeld und andere Sozialleistungen in Höhe von rund 7.000 Euro. Im Jahr 2020 leitete er Ansprüche der Mutter auf Herausgabe der Schenkung wegen Verarmung gemäß § 93 SGB XII auf sich über. Die darauf gestützte Klage auf Rückzahlung der erbrachten Sozialleistungen blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG einen Anspruch auf Herausgabe der Schenkung wegen Verarmung gemäß § 528 Abs. 1 BGB dem Grunde nach bejaht. Die in § 529 Abs. 1 BGB normierte Frist von zehn Jahren hat nicht schon mit Erteilung der Kontovollmacht zu laufen begonnen, sondern erst mit der Übertragung des Kontos im Jahr 2011. Sie war deshalb bei Eintritt der Bedürftigkeit im Jahr 2018 noch nicht verstrichen.

Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann ein Herausgabeanspruch nicht wegen Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des Beklagten (§ 529 Abs. 2 BGB) verneint werden.

Für die Frage, welcher Unterhalt angemessen im Sinne von § 529 Abs. 2 BGB ist, sind grundsätzlich die Maßstäbe zur Bemessung der Unterhaltspflicht gegenüber den eigenen Eltern (§ 1603 Abs. 1 und § 1610 Abs. 1 BGB) heranzuziehen. Danach wurde der angemessene Unterhalt bislang anhand eines Sockelbetrags zuzüglich rund der Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens bestimmt.

Seit Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes im Jahr 2020 gehen Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten gegen dessen Kinder gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII nur noch dann auf den Träger der Sozialhilfe über, wenn das jährliche Gesamteinkommen des Kindes (d. h. die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts) mehr als 100.000 Euro beträgt.

Der BGH lässt die umstrittene und noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage, welche Auswirkungen diese sozialhilferechtliche Regelung auf die Bemessung des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs von Eltern gegen ihre Kinder hat, offen. Entgegen der Auffassung des OLG kommt der Regelung jedenfalls für das Schenkungsrecht keine Bedeutung zu. § 94 Abs. 1a SGB XII betrifft nur den gesetzlichen Übergang von Unterhaltsansprüchen, nicht aber die Möglichkeit zur Überleitung sonstiger Ansprüche gemäß § 93 SGB XII. Deshalb kann der Regelung allenfalls eine Ausstrahlungswirkung auf Unterhaltsansprüche zukommen, nicht aber auf sonstige Ansprüche wie denjenigen aus § 528 Abs. 2 BGB.

Praxistipp: Ein gesetzlicher Übergang von Unterhaltsansprüchen gegen Enkel ist gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII unabhängig von einer Einkommensgrenze ausgeschlossen.

Anwaltsblog 18/2024: Müssen Anwaltsschriftsätze das Aktenzeichen des Gerichts enthalten?

Innerhalb weniger Wochen mussten sich zwei Zivilsenate des BGH mit der Frage befassen, ob fristgemäß einzureichende Anwaltsschriftsätze das (korrekte) Aktenzeichen des Gerichts aufweisen müssen (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22 -, MDR 2024, 592; BGH, Beschluss vom 12. März 2024 – VI ZR 166/22 –, juris):

Im ersten Fall war das Berufungsverfahren der Beklagten zunächst beim 7. Zivilsenat des OLG geführt und sodann dem 9. Zivilsenat desselben Gerichts übertragen worden. Dieser wies darauf hin, dass er die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO beabsichtige, und setzte der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme bis zum 7. Oktober 2022. Mit einem am 6. Oktober 2022 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit der Begründung, aufgrund einer kurzen Auslandsreise des Sachbearbeiters habe die notwendige Erörterung mit der Beklagten noch nicht stattfinden können, um Verlängerung der Stellungnahmefrist um zwei Wochen gebeten. Der Schriftsatz enthält irrtümlich das Aktenzeichen des vormals zuständigen 7. Zivilsenats. Eine Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag ist nicht ergangen, sondern das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2022 die Berufung zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es, dass die Beklagte innerhalb der eingeräumten Frist keine Stellungnahme abgegeben habe (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22 -, MDR 2024, 592).

Auch im zweiten Fall hat das OLG die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 BGB zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es auf den Inhalt seines Hinweisbeschlusses vom 30. März 2022 verwiesen, zu dem sich die Klägerin trotz antragsgemäß verlängerter Frist nicht mehr geäußert habe. Jedoch war am letzten Tag der Frist (5. Mai 2022) ein Schriftsatz der Klägervertreter beim Berufungsgericht eingegangen, der eine Stellungnahme zum Hinweisbeschluss enthält. Dieser wurde allerdings aufgrund eines Schreibversehens bei der Angabe des Aktenzeichens („99 U 25/22“ statt „9 U 25/22“) auf Geschäftsstellenebene zunächst dem falschen Senat (Eingangssenat) zugeordnet und dem Berichterstatter des Berufungssenats erst nach Versendung des Zurückweisungsbeschlusses vom 6. Mai 2022 vorgelegt (BGH, Beschluss vom 12. März 2024 – VI ZR 166/22 –, juris).

In beiden Fällen hat der BGH eines Verstoß des Berufungsgerichts gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht festgestellt, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, die in einem ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vorgetragen werden. Grundsätzlich verstößt das Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt, wobei es auf ein Verschulden des Gerichts nicht ankommt. Im Hinblick auf eine einzuhaltende Frist ist für den Eingang des Schriftsatzes und daher für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Gericht allein entscheidend, ob der Schriftsatz vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufende Gericht gelangt ist. Unerheblich ist dagegen, ob der Schriftsatz innerhalb der Frist in die für die Sache bereits angelegte Akte eingeordnet worden ist. Da der Rechtsuchende keinen Einfluss darauf hat, welche Richter im Einzelnen durch die Geschäftsverteilung zur Bearbeitung der Sache bestimmt worden sind, braucht er keine Sorge dafür zu treffen, dass seine Eingabe innerhalb des angerufenen Gerichts unverzüglich in die richtige Akte gelangt. Demgemäß schreibt das Gesetz in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Dem Schriftsatz muss jedoch zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren er eingereicht werden soll. Dies ist der Fall, wenn die Parteien des Rechtsstreits im Schriftsatz korrekt angegeben waren und zudem durch die Bezugnahme auf einen Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts deutlich wird, welchem Verfahren die Ausführungen zuzuordnen waren.

 

Fazit: Für den fristgerechten Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird. Das Gesetz schreibt die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Diese soll lediglich die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Für den fristgerechten Eingang eines Schriftsatzes ist deshalb allein entscheidend, dass dieser vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt (BGH, Beschluss vom 8. November 2023 – VIII ZB 59/23 –, MDR 2024, 395).

 

Anmerkung: Der in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzten Partei verbleibt nur das zulässige Rechtsmittel, sofern die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht. Der einfachere und kostengünstigere Weg der Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist nicht eröffnet, da diese subsidiären Charakter hat. Voraussetzung für die Gehörsrüge ist nach § 312a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist. Der Gesetzgeber sollte de lege ferenda dieses missliche Rechtsdefizit beenden, um eine schnelle und kostengünstige Reparatur der sog. Pannenfälle (G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 321a Rn. 8 mwN.) zu ermöglichen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine materiellrechtliche und eine prozessuale Frage.

Grundstückskauf trotz Schwarzgeldabrede wirksam
BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 115/22

Der V. Zivilsenat zeigt die unterschiedlichen Zielsetzungen des Tatbestands der Steuerhinterziehung und des Verbots der Schwarzarbeit auf.

Die Klägerin hat von der Beklagten eine Eigentumswohnung gekauft. Die Parteien hatten einen Kaufpreis von 150.000 Euro vereinbart. Hiervon zahlte die Klägerin schon vor Beurkundung einen Teilbetrag von 30.000 Euro in bar. Im notariellen Vertrag ist der Kaufpreis mit 120.000 Euro angegeben. Die Klägerin zahlte auch diesen Betrag und wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Nach einer Selbstanzeige des Beklagten führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Die Klägerin bewilligte die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin. Der Beklagte überwies 120.000 Euro auf das Treuhandkonto eines Notars. Dieser zahlte den Betrag auftragswidrig an die Klägerin aus. Im Laufe des Rechtsstreits erstattete er dem Beklagten diesen Betrag gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Klägerin.

Die Klägerin begehrt die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Schwarzgeldabrede im Streitfall nicht zur Unwirksamkeit des Kaufvertrags nach § 134 oder § 138 BGB führt. Dies gilt erst recht für die Einigung über den Übergang des Eigentums.

Der Verstoß gegen das Formgebot aus § 313b Abs. 1 BGB ist durch vollständige Erfüllung des Kaufvertrags geheilt worden.

Die Schwarzgeldabrede war zwar auf die Hinterziehung von Grunderwerbsteuer (im Streitfall: in Höhe von 1.500 Euro) gerichtet. Anders als ein Verstoß gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit führt ein solcher Gesetzesverstoß aber nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 134 BGB. Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit ist nach dem Gesetzeszweck jeglicher Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterbinden. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung steht der Durchführung eines Grundstückkaufvertrags demgegenüber nur dann entgegen, wenn die Steuerhinterziehung den Hauptzweck des Vertrags bildet. Letzteres hat das OLG im Streitfall rechtsfehlerfrei verneint.

Der BGH lässt offen, ob die Schwarzgeldabrede für sich gesehen unwirksam ist. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, hätte dies im Streitfall nicht die Unwirksamkeit des gesamten Vertrags zur Folge. Das OLG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Klägerin die Wohnung unstreitig auch dann erworben hätte, wenn der gesamte Kaufpreis von 150.000 Euro beurkundet worden wäre.

Praxistipp: Wenn in Betracht kommt, dass nur der Kaufvertrag unwirksam ist, nicht aber die Übereignung, empfiehlt sich zur vorläufigen Sicherung neben der Eintragung eines Widerspruchs gegen die Eigentumsumschreibung ergänzend die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Rückübertragung.

Rücknahme eines vermeintlich zu früh eingelegten Rechtsmittels
BGH, Beschluss vom 6. März 2024 – XII ZB 408/23

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit einer ungewöhnlichen und zugleich haftungsträchtigen Situation.

Das AG hat mit Beschluss vom 4. April 2023 die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsteller zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt und Zugewinnausgleich verpflichtet. Am 6. April 2023 hat es dem Antragsteller eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses zugestellt, die mit einem umfassenden Rechtskraftvermerk versehen war. Noch am gleichen Tag bat der Antragsteller, den Vermerk dahin zu berichtigen, dass nur der Scheidungsausspruch rechtskräftig ist. Drei Wochen später bat das AG um Rücksendung der zugestellten Abschriften zum Zwecke der erneuten Zustellung. Zugleich wies es darauf hin, es liege eine schwerwiegende Abweichung von der Urschrift vor, die zur Unwirksamkeit der Zustellung führe.

Am Montag, 8. Mai 2023 legte der Antragsteller Beschwerde gegen die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts ein. Zugleich behielt er sich vor, die Beschwerde im Hinblick auf die unwirksame Zustellung zurückzunehmen, und bat um einen entsprechenden Hinweis des Gerichts. Noch am gleichen Tag teilte das AG mit, die erneute Zustellung des Beschlusses werde veranlasst, sobald alle fehlerhaften Ausfertigungen zurückgelangt seien. Daraufhin nahm der Antragsteller die Beschwerde zurück.

Nach erneuter Zustellung des Beschlusses legte der Antragsteller wiederum Beschwerde ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG hat die Wiedereinsetzung versagt und die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerdefrist hat bereits mit der ersten Zustellung am 6. April 2023 zu laufen begonnen. Diese Zustellung war wirksam, weil der Inhalt der zugestellten Abschrift mit dem Inhalt der Urschrift übereinstimmt. Der fehlerhafte Rechtskraftvermerk steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen. Die Beschwerde vom 8. Mai 2023 ist rechtzeitig eingelegt worden, hat ihre Wirksamkeit aber durch Rücknahme verloren. Die später eingelegte Beschwerde ist verfristet.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt. Der Antragsteller durfte die Ankündigung des AG, dass der Beschluss erneut zugestellt werde, nicht als Anregung verstehen, das vorsorglich eingelegte Rechtsmittel wieder zurückzunehmen. Er musste vielmehr den sichersten Weg wählen und das fristgerecht eingelegte Rechtsmittel innerhalb der dafür maßgeblichen Frist begründen.

Praxistipp: Solange auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die erste Zustellung einer Entscheidung trotz Fehlern wirksam ist, müssen die Fristen für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels an dieser Zustellung ausgerichtet werden.