Der Einzelrichter beim BGH

Wird gegen den Streitwertbeschluss eines Einzelrichters beim Landgericht Beschwerde beim BGH eingelegt, entscheidet hierüber der Einzelrichter beim BGH. Der I. Zivilsenat des BGH setzt mit seiner Entscheidung vom 01.09.2016 – I ZB 70/16 – seine Rechtsprechung vom 23.04.2015 – I ZB 73/14 – fort. Dort hatte der BGH entschieden, dass für die Kostenerinnerung gegen eine Kostenrechnung des BGH der Einzelrichter beim BGH zuständig ist. In der neuen Entscheidung hat der BGH für die Einzelrichterzuständigkeit § 68 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 S. 1 GKG angewendet.

 

In der benannten Entscheidung vom 01.09.2016 hat der BGH zugleich die Beschwerde gegen eine Streitwertfestsetzung eines Landgerichts für unstatthaft befunden. Denn eine Streitwertbeschwerde zum BGH ist nicht gegeben (§ 68 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Nicht richtig erscheint die Kostenentscheidung. Der BGH hat die Kosten dem Beschwerdeführer nach § 97 ZPO auferlegt. Dass insoweit § 68 Abs. 3 S. 2 GKG, der eine Kostenerstattung ausschließt, nicht zur Anwendung kommen kann, erörtert der BGH indes nicht.

 

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Zurechnung von sittenwidrigem Handeln und Vorsatz
Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15

Mit grundlegenden Fragen der Haftungszurechnung nach § 31 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die beklagte Aktiengesellschaft war Mitherausgeberin eines Prospekts für einen geschlossenen Immobilienfonds. Die Kläger, die einen Fondsanteil erwarben, begehrten die Rückabwicklung ihrer Beteiligung, unter anderem mit der Begründung, im Prospekt sei ein bestehender Altlastenverdacht nicht erwähnt worden. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Es bejahte einen Ersatzanspruch der Kläger aus § 826 BGB, weil die unterlassene Aufklärung über den Altlastenverdacht verwerflich sei und die Beklagte jedenfalls das bei ihren Sachbearbeitern vorhandene Wissen gegen sich gelten lassen müsse.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass der Prospekt ohne einen Hinweis auf die Altlastenproblematik fehlerhaft war. Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit bedarf es aber zusätzlicher Umstände, etwa einer bewussten Täuschung. Dabei ist grundsätzlich nur der Kenntnisstand von Personen maßgeblich, für deren Verhalten die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, also von Vorständen und sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertretern. Ob darüber hinaus die für den rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelten Grundsätze über die Wissenszurechnung herangezogen werden können, lässt der BGH offen. Nicht zulässig ist jedenfalls eine „mosaikartige“ Zusammenstellung des Wissens von mehreren Mitarbeitern. Entsprechendes gilt für den gemäß § 826 BGB erforderlichen Vorsatz.

Praxistipp: Wenn ungewiss ist, ob der erforderliche Kenntnisstand für die gesetzlichen Vertreter nachgewiesen werden kann, sollte besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, wer als verfassungsmäßiger Vertreter der Gesellschaft in Betracht kommt.

Wahrunterstellung einer Behauptung
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZR 178/15

Mit den Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten vom Kläger eine Vierzimmerwohnung gemietet. Ende 2012 kündigte der Kläger den Mietvertrag mit der Begründung, sei Sohn wolle die Wohnung zusammen mit einem langjährigen Freund nutzen. Die Beklagten traten der Kündigung entgegen und machten in der Berufungsinstanz unter anderem geltend, die Geltendmachung von Eigenbedarf sei nicht glaubhaft, weil der Kläger nach den Angaben seines erstinstanzlich als Zeuge vernommenen Sohnes ein halbes Jahr vor der Kündigung eine frei gewordene Wohnung im gleichen Haus anderweit vermietet habe, obwohl der Sohn des Klägers den Entschluss, einen eigenen Hausstand zu gründen, schon geraume Zeit zuvor gefasst und dies mit dem Kläger auch besprochen habe. Zum Beweis benannten die Beklagten den Freund des Sohnes. Das LG wies die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Räumungsurteil ohne weitere Beweisaufnahme zurück. Zur Begründung führte es unter anderem an, aus den glaubhaften Angaben des Sohnes ergebe sich, dass ein fester Entschluss zur Gründung eines eigenen Hausstands erst kurz vor der Kündigung gefasst worden sei; aus der Behauptung, der Sohn habe sich mit seinem Freund schon längere Zeit zuvor über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, könnten keine abweichenden Schlussfolgerungen gezogen werden.

Der BGH verweist die Sache – die schon zum zweiten Mal in die Revisionsinstanz gelangt war – erneut an eine andere Kammer des LG zurück. Er bewertet das Absehen von einer Vernehmung des in zweiter Instanz benannten Zeugen als Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar kann eine Beweisaufnahme unterbleiben, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung unerheblich ist. Hierbei ist die Behauptung aber mit dem Inhalt heranzuziehen, wie die Partei sie aufgestellt hat. Im Streitfall bezieht sich der Beweisantrag nicht nur auf die Behauptung, der Sohn des Klägers habe gegenüber dessen Freund schon geraume Zeit vor der Kündigung Auszugsabsichten geäußert, sondern auch darauf, dass damals bereits ein fester Entschluss gefasst worden sei. Wenn die zuletzt genannte Behauptung zutrifft, schließt dies eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gegenüber den Beklagten zwar nicht per se aus. Der Zeitpunkt, zu dem der Eigenbedarf entstanden ist, kann aber für Frage von Bedeutung sein, ob der Nutzungswunsch ernsthaft ist.

Praxistipp: Bei umfangreichem und komplexem Tatsachenvortrag sollte stets unmissverständlich klargestellt werden, worauf sich ein Beweisangebot im Einzelnen bezieht.

Wer (zuerst) steht, gewinnt

Mit zwei jüngeren Entscheidungen hat der BGH für ziemlichen Wirbel im Bereich der Haftung für Parkplatzunfälle gesorgt. So stellte der BGH mit Urteil vom 15.12.2015 – Az.: VI ZR 6/15, MDR 2016, 636 (Laumen) fest, dass „die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs …regelmäßig nicht vor[liegt], wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere – rückwärtsfahrende – Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.“ Die Entscheidung ist im Zusammenhang mit einem Urteil vom 26.1.2016 – VI ZR 179/15, MDR 2016, 267 zu sehen, in welchem der BGH klarstellt, dass dies aber nur dann gilt, wenn wirklich einer der beiden Kontrahenten stand. Bis dahin war die überwiegende Meinung: Nur wer schon „längere Zeit“ vor der Kollision stand, konnte daraus einen Vorteil ziehen.

Die erste Entscheidung des BGH hat einige Kritik in der Literatur erfahren. Neben praktischen Beweisproblemen werden hierfür auch Gründe der materiellen Gerechtigkeit angeführt: Es sei Zufall, wer von den Unfallbeteiligten zuerst zum Stillstand gekommen sei. Der Sorgfaltsverstoß liege nicht im Rückwärtsfahren an sich, sondern darin, dass jemand – ohne auf den anderen zu achten – begonnen habe, rückwärts aus der Parkbucht zu fahren.

Dem kann aber nicht gefolgt werden: auch „längeres Stehen“ kann nicht unbedingt klar definiert werden. Und was soll denn jemand noch tun, der ausparken will und daher fahren muss, als aufmerksam nach hinten zu schauen und dann stehen zu bleiben, wenn es „kritisch“ zu werden droht? Würde das nämlich der andere genauso so tun, würde es ja nicht „krachen“.

Hinweis: Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den beiden BGH-Entscheidungen und ihren Konsequenzen für die Praxis siehe ReblerMDR 2016, 1125.

LG Düsseldorf: WC-Sitz kann widerrufen werden

Ihr nächster WC-Sitz könnte schon einmal „besessen“ worden sein. Zumindest geht das LG Düsseldorf davon aus, dass für WC-Sitze auch das Widerrufsrecht im Fernabsatz besteht. Ein Shopbetreiber verkaufte WC-Sitze und bot optional eine Nano-Beschichtung an. Für solche WC-Sitze schloss der Händler das Widerrufsrecht aus.Zu unrecht, wie das LG Düsseldorf in einem Verfahren der Verbraucherzentrale feststellte.

Weder führt die optionale Nanobeschichtung dazu, dass eine solche Individualisierung vorliegt, dass ein Weiterverkauf nicht mehr möglich ist (wie z.B. bei einer Namensgravur), § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Noch handelt es sich um versiegelte Ware, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet ist, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde, da sich der WC-Sitz problemlos reinigen und so verkehrsfähig aufbereiten lässt.

Praxishinweis:
Warum ein WC-Sitz problemlos verkehrsfähig zu reinigen ist, dies bei einer Badeente nicht der Fall sein soll, ist nur schwer verständlich (OLG Koblenz, Beschluss vom 9.2.2011 zu einer Badeente mit Bundesligaemblem und – das ist entscheidend –  Vibrationsfunktion). Shopbetreiber sollten daher mit den Ausnahmen vom Widerrufsrecht sparsam umgehen.

 

LG Düsseldorf Urteil vom 14.9.2016, 12 O 357/15

Neuerung in § 309 Nr. 13 BGB: Textform für Erklärungen ausreichend

Fast still und heimlich hat sich eine neue Regelung in die AGB-Regelungen des BGB geschlichen, § 309 Nr. 13 besagt:

§ 309 Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit

Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam

[…]eine Bestimmung, durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, gebunden werden

a) an eine strengere Form als die schriftliche Form in einem Vertrag, für den durch Gesetz notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist oder

b) an eine strengere Form als die Textform in anderen als den in Buchstabe a genannten Verträgen oder

c) an besondere Zugangserfordernisse;

Diese Regelung führt im Rechtsverkehr zu erheblichen Erleichterungen. Immer dann, wenn AGB im Spiel sind (und nicht ausnahmsweise § 309 nicht anwendbar ist, z.B. § 310 BGB) haben Vertragspartner die Möglichkeit, Erklärungen auch in Textform abzugeben. Die Regelung gilt für Verträge, die nach dem 30.09.2016 geschlossen wurden (Art. 229 § 37 EGBGB), wobei der BGH auch für davor geschlossene Verträge ein „Türchen“ gegen Schriftformklauseln geöffnet hatte.

Übrigens: Die Regelung gilt nicht nur für online abgeschlossene Verträge, wenn auch das teilweise in den Medien behauptet wird.

Praxistipp:

Wenn es auf den Zugang einer Erklärung ankommt, kommt man um die Zustellung per Gerichtsvollzieher oder durch einen Boten nicht wirklich herum. Bei weniger gravierenden Erklärungen im Alltag (z.B. Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen) dürfte das Fax oder nunmehr auch die E-Mail genügen. Der Nachweis des Zugangs bei einer E-Mail ist nicht sehr einfach, wenn der Empfänger keine Reaktion hierauf versendet. Bei einer E-Mail kann ein Versand der E-Mail an eine (oder mehrere) Personen „im cc“ dazu führen, dass eine E-Mail als zugegangen gil (LG Hamburg Urteil vom 7.7.2009 – 312 O 142/09 MMR 2010, 654). Ein solches Vorgehen empfiehlt sich also und ist umso aussagekräftiger, je mehr Empfänger die Mail in (B)CC erhalten.

Montagsblog: Neues vom BGH

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Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich Hygieneverstößen im Krankenhaus
Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15

Mit Fragen der Beweis- und Darlegungslast befasst sich der VI. Zivilsenat in einer Arzthaftungssache.

Der Kläger ließ sich wegen eines Tennisarms operieren. Nach kurzer Zeit stellten sich erneut anhaltende Schmerzen ein. Bei einer Revisionsoperation wurde eine Wundinfektion mit starker Eiterbildung festgestellt. In der Folgezeit wurden weitere Operationen erforderlich. Dennoch verblieben dauerhafte Schmerzen. Der Kläger nahm deshalb die Krankenhausträgerin auf Schadensersatz in Anspruch, unter anderem mit der Behauptung, zu der Wundinfektion sei es gekommen, weil er nach der ersten Operation in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht gewesen sei, der an einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich gelitten habe. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass die Beweislast für die Ursache der Wundinfektion beim Kläger liegt. Zwar tritt eine Umkehr der Beweislast ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können. Vorgänge im lebenden Organismus und damit Wundinfektionen gehören aber nicht zu dieser Kategorie. Abweichend von der Auffassung des OLG bejaht der BGH aber eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten, weil der Kläger konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen hat. Die Unterbringung zusammen mit einem Patienten, der an einer offenen und infizierten Wunde leidet, stellt zwar nicht per se einen Behandlungsfehler dar. Sie erfordert aber besondere Vorkehrungen, die in einer Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Institutes näher beschrieben sind. Ob diese Anforderungen eingehalten wurden, ist eine Frage der inneren Organisation des Krankenhausbetriebs. Deshalb trifft den Krankenhausträger insoweit eine sekundäre Darlegungslast.

Praxistipp: Um eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten zu begründen, muss der Kläger all das vortragen, was ihm aus eigener Anschauung zugänglich ist.

Stellung des selbstständigen Streithelfers
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZB 96/15

Mit grundlegenden Fragen zur Stellung eines Streithelfers befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte für Forderungen des Beklagten gegen den Streithelfer aus einem Wohnungsmietvertrag eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Auf Verlangen des Vermieters erbrachte sie Zahlungen auf rückständige Nebenkosten. Später begehrte sie Rückzahlung dieser Beträge, weil die Nebenkostenabrechnungen unzutreffend seien. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Gegen diese Entscheidung legte lediglich der Streithelfer Berufung ein, den die Klägerin in der Zwischenzeit auf Regress in Anspruch genommen hatte. Das LG wies die Berufung als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es aus, die zunächst im eigenen Namen als „selbstständiges“ Rechtsmittel eingelegte Berufung des Streithelfers sei unzulässig, weil ein Fall der selbstständigen Streithilfe (§ 69 ZPO) nicht vorliege. Die später zugunsten der Klägerin geführte („unselbstständige“) Berufung sei unzulässig, weil der Streithelfer sie nicht begründet habe und weil die Klägerin durch die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Streithelfer zu erkennen gegeben habe, dass sie die Abweisung der Klage nicht anfechten wolle.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. Mit dem LG hält er die Voraussetzungen für eine selbstständige Streithilfe (streitgenössische Nebenintervention) gemäß § 69 ZPO für nicht gegeben, weil ein Urteil im Prozess zwischen Gläubiger und Bürge grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hautschuldner entfaltet. Er stellt aber klar, dass auch ein selbstständiger Streithelfer durch Einlegung eines Rechtsmittels nicht Partei des  Rechtsstreits wird. Ein selbstständiger Streithelfer kann zwar (abweichend von den für einen einfachen Streithelfer in § 67 ZPO vorgesehenen Beschränkungen) auch gegen den Willen der unterstützten Hauptpartei Rechtsmittel einlegen und Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend machen; deshalb ist ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel gegebenenfalls getrennt von einem Rechtsmittel der Hauptpartei zu beurteilen. Dennoch handelt es sich stets um ein zugunsten der Hauptpartei eingelegtes Rechtsmittel. Wenn sich im Laufe des Berufungsverfahrens ergibt, dass die Voraussetzungen des § 69 ZPO entgegen der Einschätzung des Streithelfers nicht vorliegen, hängt die Zulässigkeit der Berufung deshalb – entgegen den komplexen Überlegungen des LG – allein von der Frage ab, ob die unterstütze Hauptpartei dem Rechtsmittel widersprochen hat. Diese Voraussetzung war im Streitfall entgegen der Auffassung des LG nicht erfüllt. Ein Widerspruch kann zwar auch konkludent erklärt werden. Aus dem Umstand, dass die Klägerin Regressansprüche gegen den Streithelfer geltend macht, kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, sie wolle einer weiteren Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche gegen den Beklagten entgegentreten.

Praxistipp: Ein Streithelfer sollte ein Rechtsmittel stets „zur Unterstützung der Hauptpartei“ einlegen und sich nicht auf Erörterungen zu der Frage einlassen, ob es sich um ein „selbstständiges“ oder ein „unselbstständiges“ Rechtsmittel handelt.

TV-Übertragungen aus Gerichtssälen?

Die Beschäftigung mit diesem Thema gewinnt an Fahrt. Der 71. Deutsche Juristentag in Essen hat sich damit befasst, es gibt auch bereits einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Das Gesetz soll im Wesentlichen § 169 GVG ändern und trägt die schöne Abkürzung (EMöGG); Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren.

Vorgesehen ist nunmehr – in Anlehnung an Beschlüsse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – folgendes: Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können, bei erheblichem Medieninteresse sollen an allen Gerichten Arbeitsräume für Medienvertreter mit Tonübertragungen eingerichtet werden, Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sollen audio-visuell dokumentiert werden können. Wenigstens könnten sich mit diesem Entwurf die noch weitergehenden Forderungen erledigen (z.B. Forderungen nach einer Übertragung von Gerichtsverhandlungen direkt im Fernsehen oder im Internet). Derartiges wäre auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte von beteiligten Personen, vor allem solchen, die aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen in ein Verfahren hineingezogen werden, mehr als problematisch.

Der Deutsche Juristentag hat sich wie folgt entschieden: Bei Hauptverhandlungen an den obersten Gerichtshöfen des Bundes sollten – wie derzeit schon beim BVerfG (§ 17a BVerfGG) – Bild- und Tonaufnahmen von dem Beginn der Verhandlung sowie von der Urteilsverkündung nebst Begründung zugelassen werden. Videoübertragungen in andere Säle sollten nicht zulässig sein, dasselbe gilt für Übertragungen in einen Medienraum. Die Entscheidung des Deutschen Juristentages sind alle zu begrüßen.

Der Aufwand, der für die Justiz durch diese Regelungen entsteht, wird allerdings stark unterschätzt. Die technischen Voraussetzungen zu schaffen, ist nicht einfach. Es müsste das dafür erforderlich Personal (was faktisch nicht geschieht) und die Technik zur Verfügung gestellt werden. Verfahren mit großem Medieninteresse führen ohnehin zu einer erheblichen Mehrarbeit zahlreicher Justizorgane, die an kaum einer Stelle in den vorgegebenen Pensen, nach denen sich in der Justiz alles ohne Rücksicht auf die tatsächliche Belastung und die sonstigen Umstände richtet, berücksichtigt wird. Der geschickte Strafverteidiger wird, selbst wenn wie vorgesehen, die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse unanfechtbar sind, sicherlich reichlich Angriffsstoff für Verfahrensrügen finden können.

Von daher werden es sich bestenfalls die obersten Bundesgerichte leisten können, den anvisierten Aufwand zu betreiben. Den Instanzgerichten sollte man dies eher nicht zumuten. Erfahrungsgemäß dürfte jedoch nicht zu erwarten sein, dass sich an dem Gesetzesentwurf noch etwas ändern wird. Vielmehr wird – wie stets – ohne größere Rücksichtnahme auf weitere Sachargumente der Gesetzesentwurf zum Gesetz. Aber immerhin: Es hätte noch viel schlimmer kommen können! Und vielleicht kehrt dann diesbezüglich endlich wieder Ruhe ein.

 

Kostenerstattung: OLG München stellt sich gegen BGH

Nimmt eine mit einer Klage oder einem Rechtsmittel überzogene Partei anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die hierdurch ausgelösten Kosten auch dann erstattungsfähig, wenn der Kläger bzw. Rechtsmittelführer seine Anträge zwischenzeitlich zurückgenommen hat; dies gilt nur dann nicht, wenn die anwaltliche Hilfe suchende Partei oder ihr Vertreter von der Rücknahme weiß oder schuldhaft nicht weiß. Mit dieser im Beschluss vom 30.08.2016 (11 WF 733/16) vertretenen Auffassung stellt sich das OLG München gegen die Entscheidung des BGH vom 25.02.2016 (III ZB 66/15). Die Entscheidung des BGH ist in MDR 2016, 503 ablehnend besprochen worden. Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Nunmehr wird sich der XII. Senat beim BGH mit dieser Fragestellung beschäftigen können.

BGH: Kosten bei Wechsel des Reisenden dürfen „ausarten“

Der BGH hatte sich mit einer interessanten Regelung auseinanderzusetzen, die bei Reiseverträgen Anwendung findet: § 651b BGB. Hiernach darf der Reisende (mit gewissen Beschränkungen) bestimmen, dass ein Dritter für ihn die Reise antritt. Der beteiligte Reiseveranstalter verlangte für eine Änderung des Namens des Reisenden aber die Erstattung der ihm entstehenden Mehrkosten des Fluges. Da der Flug nach den Tarifbedingen keine Namensänderung zuließ, sollte dies zu einer Stornierung mit Neubuchung führen, verbunden mit den Kosten für diesen neuen Flug. Der Reisende trat vom Reisevertrag zurück und verlangte die Erstattung des Reisepreises.

Der BGH ist der Ansicht, dass der Reiseveranstalter die ihm entstehenden Kosten 1:1 weiterleiten kann und auch insbesondere nicht gezwungen ist, nur solche Flugtarife anzubieten, die einen kostenfreien (oder preiswerten) Namenswechsel erlauben.

Diese Entscheidung ist äußerst bedenklich. Das Recht des Reisenden, einen Ersatzpassagier zu bestimmen, wird hierdurch quasi faktisch eingestampft, da erhebliche Zuzahlungen drohen. Wenn auch die EG-Pauschalreiserichtlinie ebenfalls in Art. 4 Abs. 4 lit. a) die Umlage etwaiger Mehrkosten vorsieht, dürfte es zweifelhaft sein, von Veranstaltern nicht zu verlangen, Tarife bei Pauschalreisen zu verhandeln, die die Namensänderung lediglich zu einem angemessenen, den tatsächlichen Aufwand deckenden, Entgelt durchzuführen.

Im Übrigen stellt sich, zumindest bei nationalen Sachverhalten (Deutsche Airline, deutscher Veranstalter, deutscher Reisender) auch die Frage, inwieweit bei einer Stornierung mit darauf folgender Neubuchung auf eine dritte Person tatsächlich Mehrkosten anfallen. Die Instanzrechtsprechung hält § 649 S. 2 BGB, der hier bei Flugbuchungen anwendbar ist, nicht in AGB für abdingbar, wenn es um die Frage des Stellens von Ersatzpassagieren geht. Eine Stornierung mit nachfolgender Neubuchung dürfte dabei dazu führen, dass überhaupt keine Mehrkosten anfallen (exemplarisch zwei vom Autor erwirkte Entscheidungen: AG Charlottenburg Hinweisbeschluss vom 08.09.2016 Az.: 203 C 367/16; AG Köln Urteil vom 24.09.2012 Az.: 114 C 22/12). Sobald jedoch Airlines aus dem Ausland Gegenstand der Pauschalreise sind, dürfte sich dies nicht mehr so pauschal beantworten lassen.

Ein möglicher „Workaround“ wäre es, vom Reiseveranstalter nur die sonstigen Leistungen (Hotel, Mietwagen…) umbuchen zu lassen und dann aufgrund der vorgenannten Entscheidungen direkt gegen die Airline vorzugehen, wobei der Reisende zunächst bezüglich des Ersatzpassagiers in Vorkasse gehen müsste. Hier kommt es auch auf Besonderheiten des Einzelfalls an, was die Risiken des Reisenden angeht.

 

Die Entscheidungen des BGH sind nicht auf reine Flugbuchungen anwendbar, da § 651b eine Gesamtheit von Reiseleistungen, also z.B. eine Bündelung von Hotel und Flug oder Flug und Mietwagen vorsieht.

BGH Urteile vom 27. September 2016 – X ZR 107/15 und X ZR 141/15 Presseinfo 

71. Juristentag zur Digitalen Wirtschaft

Der diesjährige Juristentag in Essen befasste sich im Zivilrecht mit der digitalen Wirtschaft. Da oftmals gesetzgeberische Impulse vom Juristentag ausgehen, können die dort gefassten Beschlüsse einen Ausblick auf mögliche rechtliche Veränderungen geben, hier einige interessante Auszüge aus den Beschlüssen:

  • Die Einführung eines neuen Vertragstyps für digitale Inhalte lehnt der Juristentag ab, es sollen aber Sonderregelungen geschaffen werden, um bisherige Problemfälle bei der Anwendung bestehender Rechtskonstrukte zu lösen.
  • Insbesondere für Dauerschuldverhältnisse bezüglich digitaler Inhalte soll der Gesetzgeber eigene Regelungen schaffen.
  • Für den Fall, dass Nutzer den Anbietern digitale Inhalte zur Verfügung stellen (z.B. Fotos), sollen Rückabwicklungsregeln bei einem Widerruf oder einer sonstigen Beendigung eingeführt werden.
  • Der Schutz von Minderjährigen im Datenschutzrecht soll unverändert fortbestehen.
  • Für unentgeltliche Leistungen im Internet sollen keine besonderen gesetzlichen Regelungen geschaffen werden.
  • In Abweichung zu den Vorgaben der RL zu digitalen Inhalten (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2015/DE/1-2015-634-DE-F1-1.PDF) sollen Aktualitäts- und Aktualisierungsverpflichtungen stark begrenzt werden.