Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zuständigkeit des so genannten Großen Familiengerichts. Der Bundesgerichtshof hat hierzu am 18. September 2024 gleich zwei Entscheidungen getroffen.

Gläubigeranfechtung als sonstige Familiensache
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZB 25/24

In der ersten Entscheidung geht es (erneut) um die Zuständigkeit nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte zu 1, seine geschiedene Ehefrau, titulierte Forderungen auf Zahlung von Unterhalt und Erstattung von Prozesskosten zu. Die Beklagte zu 1 hat nach der Scheidung Vermögenswerte auf den Beklagten zu 2 , ihren Vater, übertragen. Dieser ist zudem als Inhaber eines von ihr betriebenen Gewerbes angemeldet.

Der Kläger macht geltend, diese Vorgänge dienten der Vereitelung der Zwangsvollstreckung. Mit seiner Ende 2019 erhobenen Stufenklage begehrt er Auskunft über das Ergebnis der Geschäftstätigkeit und über weitere Zahlungen an den Beklagten zu 2 sowie Zahlung von noch zu bezifferndem Wertersatz.

Das vom Kläger angerufene LG hat den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist das Familiengericht zuständig für Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe. Grund hierfür ist die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Der dafür erforderliche Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe liegt vor, wenn der Rechtsstreit durch die familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist.

Im Streitfall liegt der erforderliche Zusammenhang vor, weil es um die Durchsetzung titulierter Forderungen geht, die aus der geschiedenen Ehe resultieren. Dem Umstand, dass die nach Auffassung des Klägers zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung dienenden Handlungen erst nach Scheidung stattgefunden haben, kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.

Der BGH lässt allerdings offen, ob nach der seit 2020 geltenden, im Streitfall noch nicht anwendbaren Rechtslage die Landgerichte zuständig sind. Hintergrund sind ein mit Wirkung vom 1.1.2020 in § 348 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingefügter Verweis auf § 72a GVG, der unter anderem die Einrichtung von Spezialkammern für Anfechtungssachen bei den Landgerichten vorsieht und eine in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorgesehene Ausnahme für Verfahren nach § 348 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis k ZPO. Anfechtungssachen fallen nicht unter die Auflistung in den Buchstaben a bis k, wohl aber unter § 72a GVG.

Berufungszuständigkeit für sonstige Familiensachen
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZR 116/23

In der zweiten Entscheidung befasst sich der XII. Zivilsenat mit der Frage, welcher OLG-Senat für die Berufung zuständig und welche Verfahrensordnung maßgeblich ist, wenn in erster Instanz ein Landgericht über eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 FamFG entschieden hat.

Die Parteien waren verheiratet und sind seit Mai 2017 geschieden. Im Rahmen der Scheidung trafen sie eine Vereinbarung über die Aufteilung ihres gemeinsamen Immobilienbesitzes. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, die Beklagte im Innenverhältnis von bestimmten Kreditverbindlichkeiten freizustellen. Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung räumte er der Beklagten ein Rücktrittsrecht eing. Nach Tilgung der Kredite verlangte der Kläger die Löschung der zur Sicherung des Rücktrittsrechts eingetragenen Auflassungsvormerkung. Die Beklagte machte ein Zurückbehaltungsrecht wegen anderweitiger Ansprüche aus dem Vertrag geltend.

Der Kläger hat die Beklagte vor dem Familiengericht auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat das Verfahren an das LG verwiesen. Dieses hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, aber einer in zweiter Instanz erhobenen Widerklage stattgegeben.

Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Das Rechtsmittel war allerdings zulässig, obwohl es sich um eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt.

Der nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erforderliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben, weil der Vertrag, aus dem die Parteien ihre Ansprüche herleiten, im Zusammenhang mit der Scheidung geschlossen wurde und ehemals gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten betrifft.

Das Familiengericht hätte die Sache also nicht an das LG verweisen dürfen. Die erfolgte Verweisung war aber gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das LG bindend. Ob diese Bindungswirkung sich nur auf die Zuständigkeit bezieht oder auch auf das einzuhaltende Verfahren, war umstritten. Der BGH bejaht eine umfassende Bindungswirkung. Aufgrund der Verweisung war das LG also nicht nur gehalten, die Sache zu entscheiden, sondern auch, das Verfahren nach den für Zivilsachen geltenden Vorschriften zu führen. Dasselbe gilt für die nachfolgenden Instanzen. Da der Wert der Beschwer mehr als 20.000 Euro beträgt, war deshalb gemäß § 544 ZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde statthaft.

Der BGH stellt jedoch klar, dass diese Rechtsfolgen nur im Falle einer bindenden Verweisung nach § 17a GVG eintreten. Ist die Klage beim Landgericht erhoben worden und hat dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht, muss das Berufungsgericht nach den Regeln des FamFG verfahren. Anders als nach der bis Ende 2001 geltenden Rechtslage ist in solchen Fällen zwar ein Zivilsenat des OLG zuständig, weil ein Rechtsmittel nicht darauf gestützt werden darf, dass die erste Instanz sich zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Nach Auffassung des BGH hat dies aber – anders als ein Verweisungsbeschluss – keine Auswirkungen auf die anzuwendende Verfahrensordnung. Der zuständige Zivilsenat des OLG muss in solchen Fällen mithin über die Berufung gemäß den Regeln des FamFG durch Beschluss entscheiden. Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur statthaft, wenn das OLG sie zulässt. Letzteres gilt auch dann, wenn das OLG fehlerhaft die Regeln der ZPO angewendet und durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entschieden hat.

In der Sache bleibt die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg. Der BGH hält sie für unbegründet und sieht insoweit von einer näheren Begründung ab.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollten bei Klagen gegen geschiedene Ehegatten oder deren Eltern beide Parteien frühzeitig darauf hinwirken, dass das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 3 GVG vorab über seine Zuständigkeit entscheidet. Verweist das Gericht die Sache an ein anderes Gericht, steht das einzuhaltende Verfahren für alle Instanzen bindend fest. Erklärt es sich für zuständig, besteht immerhin für die erste Instanz Klarheit.

OLG Hamm: Anfechtung einer gemischten Kostenentscheidung und zur Prüffrist der Kfz-Haftpflichtversicherung

Mit einigen interessanten und alltäglichen Fragen hat sich das OLG Hamm (Beschl. v. 19.10.2021 – I-7 W 11/21) befasst. Im Rahmen eines Verkehrsunfalls war darüber zu befinden, ob der Geschädigte zu früh geklagt hatte. Das LG hat eine verfrühte Klage bejaht und dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt. Die Kostenentscheidung beruhte überwiegend auf § 91a ZPO (soweit die Beklagte zu 1), dies war die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 2) bezahlt hatte). Durch den streitigen Teil der Entscheidung war der Kläger allerdings nur mit 350 Euro beschwert. Der Kläger legte gleichwohl Berufung und sofortige Beschwerde ein.

Die Berufung ist offensichtlich unzulässig, da es an der erforderlichen Mindestbeschwer von mehr als 600 Euro fehlt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Wunsch des Klägers, die Kostenentscheidung des LG auch insoweit zu Fall zu bringen, ändert daran nichts. Denn gemäß § 99 Abs. 1 ZPO ist eine Kostenentscheidung nicht anfechtbar, wenn über die Hauptsache durch Urteil entschieden wurde, dieses Urteil aber nicht anfechtbar ist. Der Anteil der Kosten, über den streitig entschieden wurde, verbleibt daher bei dem Kläger. Anders sieht es mit dem Teil der Kosten aus, über den das LG nach § 91a ZPO entschieden hat. Dieser Teil kann gemäß § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die sofortige Beschwerde (die erforderliche Beschwer war hier gegeben) angefochten werden.

Im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde konnte unproblematisch festgestellt werden, dass sich die Beklagte in Verzug befunden hat, denn der Rechtsanwalt des Klägers hatte mehrfach gemahnt. Allerdings muss einer Haftpflichtversicherung eine angemessene Prüfungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche zugestanden werden. Diese Frist kann nicht allgemein festgelegt werden, sondern ist vom Einzelfall abhängig. Hier war das geparkte Fahrzeug des Klägers durch ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug beschädigt worden. Es handelte sich damit um einen einfach gelagerten Sachverhalt mit einer klaren Haftungslage. Der Klägervertreter hatte bei der Geltendmachung der Ansprüche bereits den Polizeibericht mitgeschickt. Unter diesen Umständen hält das OLG eine Frist von vier Wochen, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen war, für angemessen und ausreichend. Die Inverzugsetzung der Beklagten zu 1) (der Versicherung) wirkt hier – entgegen § 425 Abs. 2 BGB –auch gegen den Beklagten zu 2), und zwar aufgrund der in den AKB eingeräumten Regulierungsvollmacht.

Demgemäß ändert das OLG die Kostenentscheidung des LG ab und legt den Beklagten als Gesamtschuldner den überwiegenden Kostenanteil auf. Lediglich der rechtkräftig gewordene Anteil verbleibt bei dem Kläger.

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Diese Woche geht es um den Umfang des Schadensersatzanspruchs nach erfolgreicher Anfechtung eines Grundstückskaufvertrags wegen arglistiger Täuschung

Ersatz von Maklerkosten und Grunderwerbsteuer nach Arglistanfechtung
Urteil vom 24. September 2021 – V ZR 272/19

Mit dem Verhältnis zwischen dem Schadensersatzanspruch gegen den Verkäufer und Erstattungsansprüchen gegen Dritte befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte vom Beklagten ein Grundstück gekauft. Später focht sie den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und nahm den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung aller im Zusammenhang mit dem Erwerb getätigten Aufwendungen in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte den Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises und zur Erstattung der Notar- und Gerichtskosten. Hinsichtlich der Maklerkosten und der Grunderwerbsteuer wies es die Berufung zurück.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung bzw. zur Feststellung der Erledigung, soweit der Beklagte einen Teil der Forderung bereits beglichen hat.

Die vom Beklagten verübte arglistige Täuschung stellt eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten dar. Zu dem deshalb gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Vertrauensschaden gehören grundsätzlich alle Aufwendungen, die die Klägerin im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertragsschlusses getätigt hat. Darunter fallen auch die Maklerprovision und die Grunderwerbsteuer.

Dass der Klägerin aufgrund der erfolgreichen Anfechtung des Kaufvertrags ein Erstattungsanspruch gegen die Maklerin bzw. die Finanzkasse zusteht, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Der Geschädigte muss sich entsprechend dem Rechtsgedanken des § 255 BGB nicht auf die Geltendmachung solcher Ansprüche und die damit verbundenen Risiken verweisen lassen. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist der Schädiger allerdings nur Zug um Zug gegen Abtretung der Erstattungsansprüche zum Schadensersatz verpflichtet.

Praxistipp: Um eine Verjährung der Erstattungsansprüche zu vermeiden, kann der Schädiger den Schuldnern dieser Ansprüche den Streit verkünden.

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Ersatz von Anwaltskosten für Geltendmachung des Kaskoschadens
Urteil vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17

Der VI. Zivilsenat zeigt die Grenzen der Ersatzpflicht nach einem Verkehrsunfall auf.

Nach einem Verkehrsunfall betraute der Kläger seinen Anwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners und gegenüber seiner eigenen Kaskoversicherung. In der Folgezeit ersetzten die Haftpflicht- und die Kaskoversicherung den entstandenen Schaden jeweils zur Hälfte. Der Anwalt berechnete seine Vergütung für die Tätigkeit gegenüber der Kaskoversicherung auf der Grundlage des von dieser gezahlten Betrags. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Erstattung der gezahlten Vergütung. Die Klage blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Abweichend von der Vorinstanz verneint er einen Ersatzanspruch nicht schon deshalb, weil der Kläger seinen Anwalt zu früh beauftragt hat. Zwar wäre die Einschaltung eines Anwalts für den ersten Kontakt mit der Kaskoversicherung nicht erforderlich gewesen. Damit ist ein Ersatzanspruch wegen einer später erforderlich gewordenen Beauftragung aber nicht ausgeschlossen. Die Rahmengebühr für das Betreiben des Geschäfts entsteht mit jeder Handlung von neuem. Sie kann zwar nach § 15 RVG insgesamt nur einmal bis zur Höchstgrenze von 2,5 geltend gemacht werden. Bis zu dieser Grenze kann sie aber mit zunehmendem Tätigkeitsumfang anwachsen. Dennoch verbleibt es bei der Abweisung der Klage, weil der geltend gemachte Schaden schon dem Grunde nach nicht ersatzfähig ist. Der Kläger hat die Kaskoversicherung nur wegen desjenigen Teils des Schadens in Anspruch genommen, für den der Unfallgegner nicht einzustehen hat. Die dafür angefallene Vergütung gehört ebenfalls nicht zu dem vom Beklagten zu ersetzenden Schaden.

Praxistipp: Wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, dass die Vergütung für den ersten Kontakt mit dem Kaskoversicherer nicht erstattungsfähig ist.

Widerrechtliche Drohung
Beschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 141/16

Mit einem Grundbegriff aus dem Allgemeinen Teil des BGB befasst sich der XII. Zivilsenat in einer Betreuungssache.

Die 1929 geborene Betroffene hatte im Jahr 2009 zugunsten ihrer drei Kinder eine General- und Vorsorgevollmacht errichtet. Die beiden Töchter erhielten umgehend eine Ausfertigung. Die Ausfertigung für den Sohn – der von der Vollmacht nichts wusste – behielt eine der Töchter in Verwahrung. In der Folgezeit teilten die Töchter nahezu den gesamten Immobilienbesitz ihrer Mutter unter sich auf. Nachdem der Sohn hiervon erfahren hatte, ließ er die Mutter anwaltlich auffordern, die Vollmacht für die Töchter zu widerrufen, weil diese ansonsten auch das restliche Vermögen an sich reißen würden. Die Mutter kam der Aufforderung nach. Der Sohn beantragte daraufhin, eine Betreuung für sie einzurichten. Der als Betreuungsrichter zuständige Notar und das LG lehnten den Antrag ab, unter anderem mit der Begründung, die Mutter habe den Widerruf der Vollmachten wirksam wegen widerrechtlicher Drohung angefochten.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er verneint eine widerrechtliche Drohung im Sinne von § 123 BGB schon deshalb, weil der Eintritt des in Aussicht gestellten Übels – die Übertragung weiterer Vermögensgegenstände – nach der Ankündigung des Sohnes nicht von seinem Willen abhing, sondern vom Willen der Töchter. Darüber hinaus hält der BGH auch die Begründung, mit der das LG die Töchter trotz deren eigennützigen Verhaltens weiterhin als zur Vertretung ihrer Mutter geeignet angesehen hat, für nicht tragfähig.

Praxistipp: Wenn zweifelhaft ist, ob der Vollmachtswiderruf wirksam angefochten wurde, empfiehlt sich – sofern möglich – eine erneute Erteilung der Vollmacht. Für die Frage, ob der Bevollmächtigte als geeignet angesehen werden kann, ist damit allerdings wenig gewonnen.

BGH: Widerruf muss nicht als solcher bezeichnet werden

Alter Wein in neuen Schläuchen. Eine neue Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.1.2017 Az.: I ZR 198/15) zu „falsa demonstratio non nocet„.

In einem Fall zum alten Widerrufsrecht im Fernabsatz („ewiges Widerrufsrecht“) erklärte ein Verbraucher vor Gericht, er würde den geschlossenen Maklervertrag anfechten. Das Gericht wertet dies auch als die Erklärung eines Widerrufs:

Mit Erfolg macht die Revision geltend, der Beklagte zu 2 habe dadurch den Widerruf des Maklervertrags erklärt, dass er in der Klageerwiderung vom 8.11.2013 die Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung angefochten habe. Er habe damit deutlich gemacht, er wolle einen etwaigen Vertragsschluss von Anfang an nicht gelten lassen.

Diese Anfechtungserklärung bezieht sich zwar auf eine nach Behauptung der Klägerin von dem Beklagten zu 2 unterzeichnete schriftliche Bestätigung, nach der sich dieser verpflichtet haben soll, ihr eine Käuferprovision bei Abschluss eines Kaufvertrags über das Objekt zu zahlen.(2) Diese Erklärung ist jedoch dahingehend auszulegen, der Beklagte zu 2 wolle einen etwa mit der Klägerin geschlossenen Maklervertrag widerrufen. Wird eine auf einen bestimmten Vertrag gerichtete Erklärung durch die Vertragspartei wegen arglistiger Täuschung angefochten, wird damit hinreichend deutlich gemacht, dass der Anfechtende einen etwaigen Vertrag nicht gegen sich gelten lassen will (BGH, Urt. v. 2.5.2007 – XII ZR 109/04, MDR 2007, 1004, NJW 2007, 2110 Rn. 28; insoweit zutreffend OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 1438, 1439). Da zwischen den Parteien nur ein einziges Vertragsverhältnis in Streit steht, muss die Anfechtungserklärung des Beklagten dahin verstanden werden, dass er an einem etwa mit der Klägerin zustande gekommenen Maklervertrag nicht festgehalten werden will.

Auf den ersten Blick eine sehr verbraucherfreundliche Entscheidung, die den Eindruck erweckt, eine einseitige Parteiergreifung des Gerichtes sei zulässig.

Andererseits ist es durchaus begrüßenswert, dass das Gericht den wahren Willen des Erklärenden ermittelt (keine Bindung von Anfang an) und die rechtlichen Schlüsse daraus zieht (wo wir heute schon dabei sind: iura novit curia). Dass die Erklärung hier von einem Rechtsanwalt stammte, der BGH dennoch großzügig auslegt, verwundert im Lichte einer früheren Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648) in der ein hoher Maßstab an Rechtsanwälte angelegt wird:

„Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt; dazu darf es der Rechtsanwalt regelmäßig gar nicht kommen lassen.“

Hinweis: Für die Praxis dürfte es in Zukunft ratsamer sein, möglichst weite Formulierungen zu finden, wenn es um die Beseitigung der Rechtswirkungen von Verträgen geht, sollte nicht ein ganz bestimmter Rechtsbehelf aufgrund seiner Rechtsfolgen gewünscht sein. Fraglich bleibt auch, welche Gestaltungserklärung ein Gericht durchgreifen lässt, wenn mehrere Gestaltungserklärungen einen teilweise identischen Erfolg, aber darüber hinaus noch unterschiedliche Rechtsfolgen hervorbringen (z.B. Wertersatz bei einem Widerruf oder Schadensersatz bei einer Anfechtung).

Montagsblog: Neues vom BGH

Verjährung bei Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 8. November 2016 – VI ZR 200/15

Mit einer grundlegenden Frage zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs zwischen Gesamtschuldnern befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Arzt hatte im Jahr 1993 einen Patienten im Gefolge eines Arbeitsunfalls wegen einer Wunde am Unterarm behandelt. Sowohl ihm als auch den mit der Erstbehandlung betrauten Ärzten waren dabei Fehler unterlaufen, die später die Amputation des Unterarms erforderlich machten. Der Geschädigte nahm die erstbehandelnden Ärzte erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch. Deren Haftpflichtversicherung erbrachte unter anderem Ersatzzahlungen an die zuständige Berufsgenossenschaft. Deswegen nahm sie den Beklagten im Jahr 2012 aus übergegangenem Recht auf Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch. LG und OLG verurteilten den Beklagten antragsgemäß, soweit es um Leistungen an die Berufsgenossenschaft aus der Zeit ab 1.1.2009 ging. Dagegen wendete sich der Beklagte mit Nichtzulassungsbeschwerde und Revision.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, nach der Gesamtschuldnern im Innenverhältnis ein eigenständiger Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht, der bereits mit der Bgründung der Gesamtschuld im Außenverhältnis entsteht und der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB unterliegt. Entgegen der Auffassung des OLG erfasst die Verjährung alle aus dem Haftungsfall resultierenden Schadensfolgen, mit denen bereits beim Auftreten des ersten Schadens gerechnet werden muss. Deshalb ist nicht ausschlaggebend, wann die einzelnen Schadensfolgen eingetreten sind oder wann daraus resultierende Zahlungen an die Berufsgenossenschaft erbracht wurden. Vielmehr beginnt die Verjährung hinsichtlich des gesamten Ausgleichsanspruchs, sobald der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner die den Ausgleichsanspruch begründenden Umstände und die Person des anderen Gesamtschuldners kennt und seinen Ausgleichsanspruch mit Aussicht auf Erfolg im Wege der Feststellungsklage geltend machen kann.

Praxistipp: Wenn die Haftung im Außenverhältnis Gegenstand eines Rechtsstreits ist, muss der in Anspruch genommene Schuldner unter Umständen noch während des Prozesses verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber potentiellen Mitschuldnern ergreifen, um bestehende Regressmöglichkeiten nicht zu verlieren.

Fälligkeit der Miete für Wohnraum
Urteil vom 5. Oktober 2016 – VIII ZR 222/15

Mit Fragen, die für fast jeden Wohnraummietvertrag von Bedeutung sind, befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hat an die Beklagten eine Wohnung vermietet. Nach dem Mietvertrag ist die Miete spätestens am dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen; für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es auf den Eingang des Geldes an. Die Beklagten zahlten über mehrere Monate hinweg die Miete jeweils am dritten Werktag bei der Deutschen Post AG ein und erteilten gleichzeitig einen Überweisungsauftrag. Die Klägerin machte geltend, das Geld sei ihrem Konto nicht rechtzeitig gutgeschrieben worden, und erklärte deshalb die fristlose Kündigung des Mietvertrags. Ihre Räumungsklage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Berufung der Klägerin zurück. Er sieht die Formularklausel über die Fälligkeit der Miete als unwirksam an, weil sie dem gesetzlichen Leitbild widerspricht. Nach § 556b Abs. 1 BGB ist die Miete bei monatlicher Zahlung zwar jeweils bis zum dritten Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen. Bei Zahlung durch Überweisung ist aber nicht der Eingang auf dem Konto des Vermieters, sondern die Erteilung des Überweisungsauftrags maßgeblich. Die hiervon abweichende Klausel sieht der BGH jedenfalls deshalb als unwirksam an, weil sie bei der kundenfeindlichsten Auslegung dahin verstanden werden kann, dass der Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung trägt. Die Frage, ob dem Mieter formularmäßig auferlegt werden darf, die Überweisung so rechtzeitig zu veranlassen, dass bei normalem Verlauf mit einem rechtzeitigen Eingang beim Vermieter gerechnet werden darf, wird in der Entscheidung nicht ausdrücklich beantwortet, dürfte angesichts der vom BGH gewählten Begründung aber eher zu bejahen sein.

Praxistipp: In gewerblichen Mietverträgen darf dem Mieter das Risiko einer durch den Zahlungsdienstleister verursachten Verzögerung auch in Formularverträgen auferlegt werden.

Anfechtung einer Ergänzungsentscheidung über die Kosten
Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZR 59/14

Mit einer nicht alltäglichen, aber dennoch interessanten prozessualen Frage befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Antragsteller hatte beantragt, einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid auf ihn als neuen Gläubiger umzuschreiben. Das LG wies den Antrag zurück, die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Später beantragte der Schuldner, den Beschluss des LG um eine Kostenentscheidung zu ergänzen. Das LG berichtigte daraufhin den Ausgangsbeschluss gemäß § 319 ZPO dahin, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Das OLG wies die dagegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers mit der Maßgabe zurück, dass die Beschlussergänzung auf § 321 ZPO beruhe, und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Er knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach ein allein gegen eine Kostenentscheidung gerichtetes Rechtsmittel gemäß § 99 Abs. 1 ZPO auch dann unzulässig ist, wenn die Kostenentscheidung im Wege der Urteils- oder Beschlussergänzung gemäß § 321 ZPO ergangen ist. Die Ergänzungsentscheidung kann deshalb nur dann angefochten werden, wenn auch die Ausgangsentscheidung angefochten wurde und das diesbezügliche Verfahren noch anhängig ist. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde nicht statthaft. Die vom OLG ausgesprochene Zulassung vermag hieran nichts zu ändern. Ihre Bindungswirkung beschränkt sich auf die Frage, ob ein Zulassungsgrund (grundsätzliche Bedeutung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) vorliegt.

Praxistipp: Um die Anfechtungsmöglichkeit zu wahren, müsste der Antragsteller noch während des Beschwerdeverfahrens gegen die Ausgangsentscheidung seinerseits eine Beschlussergänzung beantragen. Ob dies taktisch sinnvoll ist, hängt davon ab, wie wahrscheinlich ein späterer Ergänzungsantrag der Gegenseite erscheint.