Jetzt auch amtlich – Der Vorschlag eines Omnibus-Rechtsaktes der Europäischen Kommission

Bereits in der Budapester Erklärung zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit vom 8.11.2024 und im Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union hatte die Kommission „revolutionäre Vereinfachungen“ des mittlerweile umfänglichen supranationalen Pflichtenhefts im Nachhaltigkeitsbereich und einen entsprechenden Omnibus-Rechtsakt (in deutscher Diktion ein Artikelgesetz) angekündigt (s. im Einzelnen Jaspers, Blog-Beitrag v. 3.2.2025, WRBLOG0002027). Nachdem bereits seit Mitte Februar inoffizielle Auszüge aus den Vorschlägen kursierten, hat die Kommission diese termingerecht am 26.2.2025 offiziell vorgelegt (vgl. EU-Kommission, Vereinfacht Vorschriften für Nachhaltigkeitsberichterstattung und EU-Investitionen: mehr als 6 Mrd. EUR an Entlastung beim Verwaltungsaufwand angestrebt, PM v. 26.2.2025).

Bevor im Folgenden ausgewählte Inhalte skizziert werden, empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die einzelnen Bestandteile der Vorschläge zu verschaffen. In einer ersten Grobgliederung sind „Omnibus I“ und „Omnibus II“ zu unterscheiden, die aber ihrerseits jeweils nur Sammelbegriffe für eine Reihe von Änderungsrichtlinien sind. Während der Omnibus I die aus Sicht des Gesellschafts- bzw. Unternehmensrechts zentralen Änderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD und des supranationalen Lieferkettenregimes der CS3D sowie eine Anpassung der Mechanik des CO2-Grenzausgleichs beinhaltet, sieht der Omnibus II eine Stärkung des europäischen Investitionsfonds InvestEU vor. Im Einzelnen können die folgenden Bestandteile unterschieden werden:

Omnibus I bestehend aus:

  • COM 2025 (80) – Änderungs-RL zur Änderung des (gestaffelten) Inkrafttretens von (i) CSRD EU 2022/2464 als Änderungs-RL zu Abschlussprüfer-VO EU 537/2014 und Bilanz-Richtlinie EU 2013/34 und (ii) Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD / CS3D) (EU) 2024/1760;
  • COM 2025 (81) – Änderungs-RL zur Änderung materieller Bestimmungen der CSRD EU 2022/2464 und der CSDDD;
  • Staff Working Document zu den beiden Änderungs-RL gemäß COM (2025) 80 und COM (2025) 81, in dem Kalkül und Inhalte der vorgeschlagenen Änderungen eingehender erläutert werden;
  • in COM 2025 (80) und COM 2025 (81) implizit enthaltenen materiellen Änderungen der Taxonomie-VO, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass das Taxonomie-Reporting gemäß Art. 8 Taxonomie-VO seine Adressaten mittels Verweises auf Art. 19a, 29a Bilanz-RL bestimmt;
  • Vorschlägen und Konsultationsdokumentation zur Verschlankung der auf Grundlage der Taxonomie-VO erlassenen Delegierten Verordnungen, die zur Kommentierung durch die Bereichsöffentlichkeit bis zum 26.3.2026 auf dem Have your say“-Portal zur Verfügung stehen;
  • COM (2025) 87 – Änderungen der CBAM-Verordnung, insbesondere hinsichtlich Anwendungsbereich und Berichtspflichten (VO (EU) 2023/956 v. 10.5.2023 zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems); und
  • COM (2025) 87 – Anlagen zur vorgeschlagenen Änderung der CBAM-VO durch COM (2025) 87 (enthaltend die Berechnungsformel zur dynamisierten Bestimmung des Anwendungsbereichs der CBAM-VO)

Omnibus II – bestehend aus:

  • COM (2025) 84 – Änderungs-RL zur Erhöhung der Effizienz des EU-Investitionsvehikels InvestEU und zur Vereinfachung der zugehörigen Berichtspflichten durch Änderung von: 1. Verordnung (EU) 2021/523 (VO zur Einrichtung des Programms „InvestEU“); 2. Verordnung (EU) 2015/1017 (VO über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen, die europäische Plattform für Investitionsberatung und das europäische Investitionsvorhabenportal); und 3. Verordnung (EU) 2021/695 (VO zur Einrichtung von „Horizont Europa“, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, sowie über dessen Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse).
  • Staff Working Document zu COM (2025) 87 mit Erläuterung der beabsichtigten Änderungen der supranationalen Förderlandschaft.

Zusätzlich hat die Kommission Q&As zu Omnibus I und Omnibus II veröffentlicht.

Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD

Einen ersten Schwerpunkt setzen die Omnibus-Vorschläge im Bereich der nichtfinanziellen bzw. Nachhaltigkeitsberichterstattung, u.a. auf nachfolgende Themenfelder:

  • Beschränkung des Anwendungsbereichs des obligatorischen Sustainability Reporting: Berichtspflichtig sollen künftig allein große Unternehmen sein, die im Jahresdurschnitt mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Als große Unternehmen i.d.S. sind entsprechend der allgemeinen handelsbilanziellen Terminologie Unternehmen anzusehen, die entweder Umsatzerlöse von EUR 50 Mio. oder aber eine Bilanzsumme von 25 Mio. EUR ausweisen (vgl. § 267 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 HGB).
    Die in der dritten Welle vorgesehene größenunabhängige Erfassung aller „börsennotierten“ Gesellschaften, also solcher Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt in der EU oder dem EWG zugelassen sind, soll zur Gänze entfallen.
    Nach den Schätzungen der Kommission würden mit dieser Neuvermessung des Anwendungsbereichs 80 % der bisher von der CSRD erfassten Unternehmen von der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung befreit.
  • Schaffung eines freiwilligen Berichtsstandards: Quasi als Ausgleich für die erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der obligatorischen Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht der Omnibus die Schaffung eines am Proportionalitätsprinzip ausgerichteten und am Vorbild des VSME orientierten freiwilligen Standards vor, der eine Aufwertung durch offizielle Annahme mittels delegierter Verordnung erfahren soll (Art. 29ca Bilanz-RL-E).
    Zusätzlich soll der freiwillige Berichtsstandard bei der Eindämmung des trickle-down bzw. Kaskadeneffekts in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten helfen. CS3D-pflichtige Unternehmen sollen im Rahmen der Kartierung der Wertschöpfungskette (value chain mapping) von Nicht-CSRD-Unternehmen nur die nach dem geplanten freiwilligen Berichtsformat (Art. 29ca Bilanz-RL-E) vorgesehenen Informationen anfordern dürfen (Art. 19a Abs. 3, 29a Abs. 3 Bilanz-RL-E), womit ein Rahmen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit entsprechender informationsbegehren geschaffen wird.
  • Verzicht auf sektorspezifische Berichtsstandards: Die für 2026 avisierte Ergänzung der sog. sektoragnostischen ESRS, d.h. der unabhängig von Branche und Sektor des berichtenden Unternehmens geltenden Berichtsvorgaben, um kumulativ zu beachtende sektorspezifische Unterberichtsstandards (Art. 29b Abs. 3 UAbs. 2 ii) Bilanz-RL) soll vollständig entfallen.
  • Beschränkung der Prüfungsintensität der Nachhaltigkeitsprüfung: Die in Art. 26a Abs. 3 Abschlussprüfer-RL vorgesehene schrittweise Schärfung der Intensität der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, mit der über das Zwischenstadium der limited assurance ein dem der Finanzberichterstattung vergleichbares Konfidenzniveau (reasonable assurance) erreicht werden soll, wird von festen Umsetzungsdaten befreit und im Übrigen weitgehend dem Ermessen der Kommission überantwortet.

Taxonomie-VO

  • Einschränkung des Anwendungsbereichs der Berichtspflichten zur Taxonomie-Vereinbarkeit: Die kumulativ zum CSRD-Reporting zu erfüllenden Berichtspflichten gemäß Art. 8 Taxonomie-VO, nach denen anhand bestimmter KPI der Anteil nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten am Gesamtgeschäft zu melden ist, gelten für sämtliche CSRD-pflichtigen Unternehmen, entsprechend würde ihr Anwendungsbereich parallel zu dem der Nachhaltigkeitsberichterstattung signifikant eingeschränkt.
  • Vorschläge für eine Änderung der Delegierten Verordnungen zur Taxonomie-VO (Offenlegung, Klima, Umwelt) werden bis zum 26.3.2026 der Bereichsöffentlichkeit zur Kommentierung auf dem „Have your say“-Portal zur Verfügung gestellt und auf dieser Grundlage finale Vorschläge erarbeitet.
  • Die CSRD soll um ein optionales Taxonomie-Reporting unter weiteren Voraussetzungen ergänzt werden (Art. 19b, 29aa Bilanz-RL-E), womit die Schwächen des binären Ansatzes der Taxonomie-VO ausgeglichen werden sollen.
  • Überarbeitung des „Do Not Significant Harm“-Kriteriums. Die Qualifizierung als nachhaltig i.S.v. Art. 3 Taxonomie-VO scheitert in der Praxis häufig am Tatbestandsmerkmal des Do Not Significant Harm (DNSH), wofür unter anderem auch Komplexität und Auslegungsunsicherheiten als Ursachen benannt werden. Die Vorschläge sehen diesbezüglich vor, dass die aufwändige Prüfung des DNSH-Kriteriums nur noch dann erforderlich sein soll, wenn die entsprechenden Wirtschaftsaktivitäten mindestens 10 % der taxonomierelevanten Key Performance Indicators (Umsatz, CapEx, OpEx) repräsentieren.
  • Anpassung des Green Asset Ratio (GAR): Die methodisch fundierte und seit Langem erhobene Kritik am zentralen Leistungsindikator für den Finanzsektor, die darauf fußt, dass Zähler und Nenner der GAR unterschiedliche Bezugsgrößen besitzen, wird aufgegriffen.

Supranationales Lieferkettenregime gemäß CS3D

Als bemerkenswert wird man es bezeichnen dürfen, dass der Omnibus I auch für das europäische Lieferkettenregime nach der Richtlinie (EU) 2024/1760 noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten zum 26.7.2026 eine Reihe nicht unerheblicher Änderungen vorschlägt. Hervorzuheben sind insoweit:

  • Keine unbefristete Aussetzung der CS3D: Festzuhalten ist vorab, dass die durchaus auch von prominenter Seite erhobene Forderung nach einer unbefristeten Aussetzung der CS3D abgelehnt wird, die Kommission bekräftigt damit ihr grundsätzliches Bekenntnis zu dem umstrittenen Rechtsakt.
  • Verlängerung der Umsetzungsfrist: Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Frist zur Umsetzung der CS3D in nationales Recht wird um ein Jahr auf den 26.7.2027 verlängert, womit den betroffenen Unternehmen etwas mehr Zeit eingeräumt wird, allfällige Vorbereitungsmaßnahmen umzusetzen. Unterstützung erfahren sie dabei auch insoweit, als die Herausgabe allgemeiner Due-Diligence-Leitlinien für die Kernpflichten der CS3D auf den 26.7.2026 vorverlagert werden soll (Art. 19 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Abs. 3 CSDDD-E).
  • Überarbeitung des CS3D-Pflichtenhefts: Im Zentrum der Omnibus-Vorschläge für die CS3D stehen entlastende Straffungen des Pflichtenhefts für die Wertschöpfungskette, u.a.:
  • Hinsichtlich der Due-Diligence-Pflichten in der Wertschöpfungskette wird eine partielle Vollharmonisierung angeordnet, auch ein gold plating seitens der Mitgliedstaaten wird für Teile der Richtlinie ausdrücklich für unzulässig erklärt (Art. 4 CSDDD-E);
  • Die Due-Diligence-Pflichten werden grundsätzlich auf- wie abwärts auf die nächste Vertriebs- bzw. Wertschöpfungsstufe, also unmittelbare Lieferanten bzw. Abnehmer begrenzt, mittelbare Lieferanten und Abnehmer sind nur (i) bei begründeten Verdachtsmomenten (plausible information that suggests that adverse impacts at the level of the operations have arisen or may arise) und dann, (ii) wenn die Mittelbarkeit einer Geschäftsbeziehung Ergebnis eines Gestaltungsmissbrauchs ist (an artificial arrangement that does not reflect economic reality), einer eingehenden Prüfung zu unterziehen (Art. 8 Abs. 2 lit. b) CSDDD-E);
  • Parallel zum value chain cap der CSRD wird das Recht, gegenüber KMU mit weniger als 500 Arbeitnehmern Informationen zu verlangen, auf die Gegenstände des freiwilligen Reportings begrenzt, allerdings gilt diese Grenze nicht absolut, sondern darf bzw. muss bei begründetem Verdacht überschritten werden (Art. 8 Abs. 5 CSDDD-E),
  • Die Verpflichtung, zwingend eine Geschäftsbeziehung vollständig zu beenden, wird aufgehoben, bestehen bleiben hingegen das temporäre Verbot einer Ausdehnung einer inkriminierten Lieferkettengeschäftsbeziehung bzw. deren zeitweise Aussetzung (Art. 10 Abs. 6 CSDDD-E),
  • Die anlassunabhängige Risikobewertung von Lieferanten und Abnehmern soll nur noch in einem Turnus von fünf Jahren und nicht mehr jährlich erforderlich sein, soweit nicht im Einzelfall anlassbezogen ein Ad-Hoc-Assessment erforderlich ist (Art. 15 CSDDD-E).

Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten

Auch die Rechtsfolgenseite von Verstößen gegen die Due-Diligence-Pflichten soll neu geordnet werden:

  • Die auch im Rahmen der parlamentarischen Diskussion des LkSG hoch umstrittene Anordnung einer zwingenden zivilrechtlichen Haftung (Art. 29 Abs. 1 CSDDD) soll ersatzlos gestrichen werden.
  • Demgegenüber entspricht Art. 29 Abs. 1 CSDDD-E weitgehend dem aktuellen Art. 29 Abs. 2 CSDDD und ordnet unter Berücksichtigung der in Aussicht genommenen Streichung der zwingenden zivilrechtlichen Haftung an, dass – soweit eine Haftung nach nationalem Recht besteht – diese grundsätzlich volle Entschädigung erlauben muss, ohne allerdings gleichzeitig den Geschädigten zu überkompensieren, womit letztlich ein Verbot pönaler Elemente bei der Schadensbemessung festgesetzt wird.
  • Das aktuell bestehende Verbandsklagerecht nach Art. 29 Abs. 3 lit. 3 CSDDD soll gleichfalls ersatzlos gestrichen werden.

Verzicht auf ein Sonderrechtsregime für Finanzunternehmen

  • Die Ermächtigung zugunsten der Kommission, den Besonderheiten des Geschäftsmodells von Finanzunternehmen und ihrer Sonderrolle in der Wertschöpfungskette (keine eigentliche Wertschöpfungsstufe, Vermögensverwaltung mit Portfoliounternehmen etc.) durch ein Sonderrechtsregime Rechnung zu tragen (Art. 36 CSDDD), soll gestrichen werden.

Einschränkung des obligatorischen Stakeholder-Dialogs

  • Schon im Grundsätzlichen einigermaßen fragwürdig verpflichtet die CS3D Unternehmen zu einem obligatorischen Dialog mit Stakeholdern/Interessenträgern (Art. 13 Abs. 1 CSDDD), wobei der Kreis der Stakeholder extrem weit gefasst ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. n CSDDD). Die Omnibus-Vorschläge halten am Instrument des Stakeholder-Dialogs fest, sehen aber zumindest richtige und wohl auch praktisch zwingend erforderliche Beschränkungen des Kreises der gesprächsberechtigten Institutionen und Akteure vor. Eine Konsultationspflicht soll nur noch gegenüber relevanten Stakeholdern bestehen, deren Interessen unmittelbar betroffen sein müssen.

Anpassungen des CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM/Carbon Border Adjustment Mechanism)

  • Der Anwendungsbereich des zum Schutz der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung bzw. zur Verhinderung von Regulierungsarbitrage, insbesondere in Form der sog. Carbon Leakage, etablierten CO2-Grenzausgleichs wird durch Einführung einer dynamischen Formel zur Bestimmung der erfassten Importeure bzw. Einführer signifikant eingeschränkt.
  • Nach Art. 2 Abs. 3a CBAM-VO-E i.V.m. Anlage VII werden die betroffenen Einführer nur noch mittelbar und im Zeitablauf dynamisch bestimmt. Die optisch ansprechend formulierte Formel kann dahingehend zusammengefasst werden, dass so viele Einführer erfasst werden, dass mindestens 99 % der importierten CO2-Emissionen erfasst sind, also das Verhältnis aus erfassten importierten Emissionen und importierten Gesamtemissionen mindestens 99 % beträgt. Diese direkte Ansteuerung der Zielgröße ist einerseits theoretisch überzeugend, wird allerdings erst noch in der Praxis zu beweisen haben, ob sie nicht mit erheblichen Planungsunwägbarkeiten für Einführer verbunden ist.
  • Neben dieser grundsätzlichen Änderung der Grenzausgleichsmechanik sehen die Vorschläge zudem eine Reihe von Vereinfachungen des Verfahrens sowie hinsichtlich der bestehenden Berichtspflichten vor.
  • Verschärfte Missbrauchsbekämpfung: Während die Omnibus-Vorschläge rechtstreuen Einführern durch erhebliche Erleichterungen entgegenkommen, soll gleichzeitig die Effektivität des Grenzausgleiches durch verstärkte Bemühungen im Kampf gegen Missbrauch und Umgehungen abgesichert werden.

Schaffung zusätzlicher Investitionskapazitäten durch Stärkung des InvestEU (Omnibus II)

  • Neben den vorstehenden marktordnungsrechtlichen Maßnahmen enthalten die Omnibus-Vorschläge auch eher dem Bereich der Industriepolitik zuzurechnende Vorschläge in Gestalt einer Stärkung des Investitionsfonds InvestEU.
  • Vereinfacht sollen Erträge bzw. Rückflüsse aus älteren Investitionsinstrumenten der Europäischen Union dem aktuell zentralen Investitionsfonds InvestEU gemäß Verordnung (EU) 2021/523 zur Verfügung gestellt werden, um die Ausreichung weiterer direkter europäischer Investitionshilfen sowie von Garantien durch InvestEU zu ermöglichen. Die Kommission erhofft sich durch die Aufstockung der Finanzmittel von InvestEU ein zusätzliches Gesamtinvestitionsvolumen (unter Berücksichtigung der Beiträge von Privatrechtsakteuren) von 50 Mrd. EUR.

Ausblick

Entgegen dem in der Rezeption, aber auch der Begleitkommunikation der Kommission hervorgerufenen Eindruck wird man sich zunächst in Erinnerung zu rufen haben, dass es sich bei Omnibus I und II bisher um bloße Gesetzesinitiativen der Kommission handelt, die den regelmäßig steinigen Weg durch Trilog mit Rat und vor allem Parlament noch vor sich haben. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die CSRD. So bleibt zunächst die Pflicht zur Umsetzung der CSRD für den deutschen Gesetzgeber bestehen. Auch Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der lex lata, nicht aber den der Bilanz-RL in der Fassung des Omnibus I fallen würden, können gegenwärtig (noch) nicht mit Sicherheit darauf vertrauen, durch schnelle Umsetzung keiner CSRD-Berichterstattung zu unterliegen.

Insgesamt gehen die Ideen der Kommission nach hier vertretener Ansicht in die richtige Richtung, auch wenn die euphemistische Kommunikation der Kommission nicht zu verdecken mag, dass Gegenstand des Omnibusses in weiten Teilen die Rücknahme von Rechtsakten ist, die erst unlängst, teilweise erst in 2024 beschlossen worden sind. Die doch recht hektisch eingeführte und umfassende angelegte Nachhaltigkeitsregulierung hat bereits jetzt eine kaum beherrschbare Komplexität erreicht; allein die Kenntnis des einschlägigen Normenbestandes dürfte nur noch von Experten leistbar sein. Als Manko wird man es allerdings bezeichnen dürfen, dass sich der Omnibus stark auf das Instrument der Einschränkung des Anwendungsbereichs zurückzieht. Man vermisst eine stringente Nachschärfung des Rechtsregimes für die betroffenen Unternehmen, die am Paradigma der decision usefulness orientiert wäre. Allerdings durfte man dies auch kaum erwarten, wird man im Omnibus doch vor allem auch eine kurzfristige Reaktion auf die (späte) Erkenntnis sehen müssen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union erheblich zurückgegangen ist und man deshalb – auch aus psychologischen Motiven – kurzfristig ein deutliches Signal setzen wollte.

Hauptversammlungssaison 2025: Was erwartet uns?

Vor wenigen Tagen ist im Verlag Dr. Otto Schmidt das Handbuch börsennotierte AG in brandaktueller 6. Auflage erschienen. Über die Datenbanken des Verlags und von juris ist das Handbuch elektronisch bereits verfügbar. In der kommenden Woche soll es dann auch als gedrucktes Werk ausgeliefert werden. Ich freue mich, dass ich dazu abermals das Kapitel zur Hauptversammlung beisteuern konnte – einschließlich zweier gänzlich neuer Abschnitte speziell zur virtuellen HV (§ 38 und § 39). Aber auch in unzähligen anderen Punkten hat das eingespielte Team aus Verlag, Herausgebern und Autoren das renommierte Werk auf den aktuellen Stand gebracht. Wichtige Stichworte sind etwa die Börsenmantel-AG, die Wiedereinführung der Mehrstimmrechte, die Reform des Kapitalerhöhungsrechts, der EU Listing Act, die CSRD und die CSDDD.

Dabei könnte das Timing kaum besser sein – denn die HV-Saison 2025 hat just in diesen Tagen begonnen. Mit Siemens, TUI und thyssenkrupp haben erste Schwergewichte (mit abweichendem Geschäftsjahr) ihre ordentlichen Hauptversammlungen 2025 bereits hinter sich gebracht. Der Höhepunkt der Saison liegt wie immer im Mai. Dann hält bekanntlich der Großteil der DAX-, MDAX- und SDAX-Gesellschaften (mit regulärem Geschäftsjahr) seine Aktionärstreffen ab. Die rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.

Was erwartet uns nun in der HV-Saison 2025?

Präsenz oder virtuell?

Die Frage des HV-Formats spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle:

Erstens geht es darum, welches Format die Unternehmen in der soeben eingeläuteten HV-Saison 2025 nutzen. Das ist noch nicht in jedem Fall absehbar. Der Rückblick auf die Jahre 2023 und 2024 zeigt, dass im DAX mit einem Verhältnis von 3:1 das virtuelle Format dominierte. Im MDAX hingegen hielten sich physische und virtuelle Veranstaltungen in beiden Jahren die Waage. Und im SDAX sowie außerhalb der wesentlichen DAX-Indizes überwog sehr klar: das Präsenzformat. Daraus lässt sich ableiten, dass in erster Linie sehr große deutsche Börsenunternehmen das virtuelle Format schätzen und nutzen – namentlich aufgrund der Kostenvorteile, der besseren Planbarkeit und der potenziell größeren Reichweite. Mittelgroße und kleinere Aktiengesellschaften, mit oder auch ohne Listing, stellen hingegen oftmals andere Erwägungen in den Vordergrund. Diese Interessenlage und damit auch das empirische Gesamtbild dürften sich in der Saison 2025 nicht grundlegend verschieben. Einige Unternehmen werden zwar das Versammlungsformat wechseln: So möchten etwa SAP und BASF nach zwei Jahren der Präsenz erstmals das neue virtuelle Format testen. Umgekehrt plant beispielsweise die Deutsche Börse erstmals seit der Pandemie wieder ein physisches Aktionärstreffen. Solche Wechsel in beide Richtungen gab es aber auch schon im Vorjahr. Auf das Gesamtbild hatten sie keine spürbaren Auswirkungen.

Zweitens steht, ähnlich wie in den Vorjahren, auch das „Wie“ beider Formate in Rede. Im Präsenzformat geht es dabei um freiwillige digitale Zusatzangebote für die Aktionäre. Zu denken ist etwa an eine Übertragung der Veranstaltung im Internet oder in einem zugangsgeschützten HV-Portal. Ferner an eine elektronische Briefwahl bis in die HV hinein – ähnlich wie im virtuellen Format. SAP hat hier in den vergangenen beiden Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen. Andere könnten sich in diesem Jahr daran orientieren. Für das virtuelle Format gibt es hingegen nur wenige echte Stellschrauben. Im Kern dreht sich hier alles um die Modalitäten des Fragerechts. Viele Aktionäre erwarten einen Live-Austausch mit dem Management. Das gilt auch für ihre Fragen und deren Beantwortung. Die allermeisten Unternehmen haben sich hierauf schon in den Vorjahren eingestellt. Das Gegenmodell, also das Einsammeln aller Fragen im Vorfeld der HV, nutzten hingegen nur wenige Gesellschaften. Dies im Übrigen mit stetig abschmelzender Tendenz. Die Deutsche Bank hat jüngst angekündigt, für ihre virtuelle HV 2025 nunmehr ebenfalls auf Live-Fragen umzustellen. Damit dürfte das „Fragenvorfeld“ sich für die aktienrechtliche Praxis erledigt haben. Es war stets aktionärsfreundlich gemeint. Bei Aktionärsschützern und in der Presse kam es aber leider niemals gut an.

Schließlich und drittens: Nahezu alle börsennotierten Gesellschaften müssen die Aktionäre in der Saison 2025 um eine neue Ermächtigung ersuchen, ihre HV bei Bedarf auch künftig rein digital abzuhalten. Hintergrund ist, dass die Notstandsgesetze der Coronazeit im Jahr 2022 ausgelaufen sind und der Gesetzgeber mit dem VHVG 2022 für das virtuelle Format einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Seither steht das virtuelle Format nicht mehr kraft Gesetzes zur Verfügung. Vielmehr muss die jeweilige Satzung eine HV im Internet, ohne physische Anwesenheit der Aktionäre, selbst vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen. Beides geht nur befristet auf maximal fünf Jahre – ähnlich wie beim genehmigten Kapital. Abweichend davon wurden die Ermächtigungen im Jahr 2023 aber zumeist nur für zwei Jahre vorgeschlagen und beschlossen – denn so forderten es mächtige Stimmrechtsberater, Investoren und Aktionärsschützer.

Deren Anforderungen haben sich seither eher noch verschärft. Es bleibt darum dabei, dass bei breitem Streubesitz eine Laufzeit der Ermächtigung von mehr als zwei Jahren kaum durchsetzbar sein wird – und entsprechend moderat fallen auch die diesjährigen Beschlussvorschläge aus. Schwer könnte sich auch tun, wer seit dem Ende der Coronapandemie ausnahmslos das virtuelle Format genutzt hat und daran in absehbarer Zukunft auch nichts ändern möchte. Dann kann sich im Aktionärskreis erheblicher Widerstand formieren. Erste Beispiele aus diesem Jahr belegen dies eindrucksvoll: So haben bei Siemens und TUI die Beschlussvorschläge für eine neue Ermächtigung die erforderliche (allerdings jeweils auch qualifizierte) Mehrheit verfehlt. Beide Unternehmen müssen demnach im kommenden Jahr in Präsenz tagen. Anders hingegen bei thyssenkrupp: Eine Präsenzversammlung im vergangenen Jahr sicherte hier die notwendige Unterstützung der Stimmrechtsberater und Investoren. Ähnlich dürfte es sich bei Infineon verhalten. Dort hat das Management für das kommende Jahr 2026 eine Präsenzversammlung in Aussicht gestellt. Auf diese Weise ließ sich ein positives Votum des einflussreichen Stimmrechtsberaters ISS erreichen. Die eigentliche HV steht bei Infineon allerdings noch bevor.

Say on Pay

Viele Unternehmen müssen im Jahr 2025 überdies den Say on Pay einholen. Gemeint sind damit die Beschlüsse der HV sowohl über das Vorstandsvergütungssystem als auch über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder. Denn hierfür sieht das Gesetz eine Vorlage wenigstens im vierjährigen Turnus vor. Zuvor ist es erforderlich, das bestehende System sorgsam auf Überarbeitungsbedarf zu überprüfen. Zwar hat sich der gesetzliche Rahmen in den vergangenen Jahren kaum verändert. Gleiches gilt für die flankierenden Empfehlungen im Corporate Governance Kodex. Die Erwartungen der Investoren und Stimmrechtsberater sind jedoch erheblich gestiegen. Von besonderer Bedeutung ist es, das Vergütungssystem für den Vorstand überzeugend auf die Strategie des Unternehmens abzustimmen – und mit der Strategie wiederum muss, je nach Aktionärskreis, der Spagat zwischen unterschiedlichen und teilweise sogar gegensätzlichen Investorenerwartungen gelingen. Das gilt vor allem in puncto ESG. Aus europäischer Sicht ist der Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten weiterhin, wenn nicht sogar mehr denn je eine wichtige Richtschnur. Demgegenüber gerät er in den USA als strategisches Ziel zunehmend unter Druck. Der jüngst vermeldete Ausstieg zahlreicher US-Unternehmen, US-Banken und US-Investoren aus Klimaallianzen macht dieses Dilemma besonders sichtbar.

Say on Climate

Aus demselben Grund dürfte der sogenannte Say on Climate in der HV-Saison 2025 allenfalls eine Nebenrolle spielen. Es besteht keine gesetzliche Pflicht, die Aktionäre über die Klima- und Umweltpolitik des Unternehmens abstimmen zu lassen. Folgerichtig können die Aktionäre einen solchen Beschlusspunkt auch nicht rechtsverbindlich verlangen. Zwei deutsche Börsenunternehmen, die Alzchem Group und die GEA Group, haben in den Jahren 2023 bzw. 2024 auf freiwilliger Basis ein Aktionärsvotum hierzu eingeholt – und dies auch mit großem Erfolg. Andere Unternehmen zeigen sich in diesem Punkt allerdings zurückhaltend. Das galt schon vor den US-Wahlen im November 2024. Jedoch wird die Zurückhaltung durch deren Ergebnis sowie den dadurch massiv beschleunigten „ESG-Backlash“ noch verstärkt. Die gute Nachricht ist aber: Auch auf Investorenseite spürt man aktuell offenbar kein echtes Bedürfnis nach einem Say on Climate. Der Beschlusspunkt wird also kaum einmal offensiv eingefordert, schon wegen der hohen Komplexität des Themas sowie auch deshalb, weil das bloße Prozedere einer Aktionärskonsultation für sich genommen keinerlei klima- oder umweltschützende Wirkung versprechen dürfte.

Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers

Die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht ist überfällig. Eigentlich hätte sie bis Mitte des Jahres 2024 stattfinden müssen. Gleichwohl haben mehrere Unternehmen schon im vergangenen Jahr – sei es auch nur vorsorglich – ihre HV einen Prüfer für den erwarteten Nachhaltigkeitsbericht 2024 wählen lassen. Zu nennen sind aus dem DAX40 namentlich Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Post, E.ON, Fresenius, MTU Aero Engines, Münchener Rück, SAP und Symrise. Demgegenüber setzte die Mehrheit der Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Hoffnung noch in eine gesetzgeberische Übergangslösung. Diese ist aber nunmehr – ebenso wie die Umsetzung der CSRD insgesamt – auf unabsehbare Zeit vertagt. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission kürzlich unter dem Stichwort „Omnibus“ eine Konsolidierung und Komprimierung der CSRD, der CSDDD, der Taxonomie-VO sowie weiterer „grüner“ Regelwerke in Aussicht gestellt hat. Gleichwohl dürfte die Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers auch in der Saison 2025 auf zahlreichen Tagesordnungsordnungen stehen – vermutlich sogar noch öfter als im Jahr 2024. Infineon jedenfalls verfährt so, ebenso wie zuvor schon Siemens, TUI, thyssenkrupp und thyssenkrupp nucera. So lassen sich die Weichen für den Nachhaltigkeitsbericht 2025 zumindest in diesem Punkt frühzeitig stellen.

Nachhaltigkeitsbericht 2024

Davon unabhängig stellt sich die Frage, wie die Unternehmen für ihr jüngst abgelaufenes Geschäftsjahr 2024 über Nachhaltigkeit berichten werden, nachdem die Umsetzung der CSRD weiter auf sich warten lässt. Die CSRD als solche hat als europäische Richtlinie keine unmittelbare Wirkung für oder gegen die Unternehmen. Fakt ist aber, dass börsennotierte Unternehmen bereits seit vielen Monaten, wenn nicht sogar deutlich länger, ihren Nachhaltigkeitsbericht 2024 in mühevoller Detailarbeit vorbereitet haben. Die Texte sind auf dem Papier und wollen verwendet werden. Eine denkbare Lösung ist es, den vorbereiteten Nachhaltigkeitsbericht (auch) als nicht-finanziellen Bericht im Sinne der CSR-Richtlinie 2014 und des CSR-RL-UmsG 2017 zu etikettieren und zu veröffentlichen – mit den neuen ESRS als Referenzrahmenwerk. Zahlreiche Unternehmen entscheiden sich für diesen Weg, auch um hierauf im kommenden Jahr wieder aufsetzen zu können. Demgegenüber erwägen andere, es für 2024 bei einem „klassischen“ nicht-finanziellen Bericht schlankeren Zuschnitts bewenden zu lassen. Beide Wege sind rechtlich und unternehmenspolitisch vertretbar. Eine einheitliche Praxis wird erst das CSRD-UmsG herbeiführen – wenn und sobald es denn kommt.

Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind günstig – Der Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit der EU

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die EU-Kommission am 29.1.2025 eine Strategieanpassung in dem Format eines Fünfjahresplans vorgelegt, der insbesondere auf eine Änderung der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO abzielt. Der Beitrag stellt die Kommissionsvorschläge dar und geht dabei auch auf die Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts ein.

Hintergrund: Letta- und Draghi-Report

Bestimmten bis in die jüngste Vergangenheit Green Deal und im Unternehmensrecht insbesondere die Sustainable Finance-Strategie der EU praktisch ausschließlich oder weitgehend die Brüsseler Agenda, hat spätestens in Reaktion auf die Ergebnisse des Letta-Berichts (Letta, Much more than a market) sowie des Draghi-Reports (Draghi, The future of European competitiveness), die jeweils den massiven und konstanten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten und China quasi offiziell bestätigen, ein Umdenken eingesetzt.

Bereits in der Budapester Erklärung vom 8.11.2024 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und die Kommission eine umfassende Rekalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU durch einen den Green Deal ergänzenden „New Deal“ zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit angekündigt. Unmittelbare Relevanz aus Sicht des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts hat dabei die als kurzfristig umzusetzende Maßnahme vorgestellte „Einleitung eines revolutionären Vereinfachungsprozesses, der für einen klaren, einfachen, und intelligenten Regelungsunternehmen für Unternehmen sorgt und den Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand, insbesondere für KMU, drastisch verringert.“ Den Umfang der Reduzierung der von Unternehmen zu beachtenden Berichtspflichten taxiert die Budapester Erklärung auf mindestens 25 Prozent, wobei auch und insbesondere die Berichtspflichten nach Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) und des Nukleus des europäischen Nachhaltigkeitsrechts, der Taxonomie-VO, Gegenstände der beabsichtigten Vereinfachungen bilden sollen.

Der Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union

Mit dem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der Union hat die Kommission nunmehr die in Budapest angekündigte Strategieanpassung in dem – etwas gewöhnungsbedürftigen – Format eines Fünf-Jahresplans vorgelegt (EU-Kommission, A Competitiveness Compass for the EU v. 29.1.2025, COM (2025) 30 final). Auf einer Meta-Ebene identifiziert der Kompass zunächst die notwendigen Bedingungen (transformational imperatives to strengthen competitiveness) für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der EU (Innovationskraft, Versöhnung von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit, „de-risking“) und die dazu erforderlichen Einzelschritte (flagship actions). Flankiert werden diese übergeordneten Ziele und das zu ihrer Verwirklichung vorgesehene Maßnahmenbündel durch sog. horizontale Ermöglicher von Wettbewerbsfähigkeit (horizontal enablers of competitiveness), u.a. die signifikante Reduktion der bestehenden Regulierungsdichte. Zu letzterem zählt auch der bereits in der Budapester Erklärung in Aussicht gestellte Omnibus-Rechtsakt zur Verschlankung der voluminösen und voraussetzungsvollen Pflichten der CSRD, der CS3D und der Taxonomie-VO. Hinzu tritt eine Modifikation des Anwendungsbereichs von CSRD und CS3D durch Schaffung einer neuen Größenklasse für Unternehmen, sog. „kleine mittelgroße Unternehmen“ (small mid-caps), die gleichfalls dem Ziel verpflichtet ist, die Bürokratiekosten für als small-mid caps zu qualifizierende Unternehmen zu senken. Der Vorschlag für den Omnibus-Rechtsakt soll bereits im Februar 2025 vorgelegt werden.

Konkretisierung der Zielvorgaben

Auch wenn der Kompass im Übrigen grundsätzlich noch keine Details offenbart, lassen sich aus den Verlautbarungen anlässlich und im Nachgang der Budapester Erklärung vorsichtige Rückschlüsse auf voraussichtliche oder doch zumindest mögliche Inhalte ziehen. Besondere Bedeutung besitzt insoweit u.a. die praktisch zeitgleich mit dem Kompass publik gewordene Eingabe Frankreichs an die Kommission betreffend die Vereinfachung des EU-Rechts (Note des autorités Francaises – Propositions des mesures pour l’agenda européen de simplification réglementaire et administrative, 20.1.2025 (NAF)). Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil man konstatieren dürfen wird, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Frankreich die Rolle der Leitjurisdiktion für die EU-Gesetzgebung übernommen hat und zudem Eingabe und Kompass ersichtlich im Wissen umeinander entstanden sein dürften. Im Folgenden werden einige der unternehmensrechtlich zentralen Positionen von Kompass und NAF vorgestellt.

Small mid-cap / enterprise de taille intermédiare – Neue Größenklasse für Unternehmen i.S.d. § 267 HGB

Kompass und NAF stimmen zunächst in der Empfehlung einer zusätzlichen Größenkategorie im europäischen Unternehmensrecht überein, wobei die NAF über das Strategiepapier der Kommission hinausgehend auch die empfohlenen Qualifikationsmerkmale benennt. Grenzwerte für das Vorliegen eines small mid-cap bzw. enterprise de taille intermédiare (ETI) sollen danach sein: (1) Umsatzerlöse von nicht mehr als 1,5 Milliarden Euro, (2) Bilanzsumme von nicht mehr als 2 Milliarden Euro und (3) im Jahresdurchschnitt zwischen 250 und 500 Arbeitnehmer. ETI nach dem französischen Vorschlag wären entsprechend zwischen mittelgroßen (§ 267 Abs. 2 HGB) und großen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) anzusiedeln. Gleiches dürfte auch für die small-mid caps des Kompasses gelten, auch wenn die Namensgebung (small mid-cap) selbst eine Verortung als kleine mittelgroße Kapitalgesellschaft, also zwischen § 267 Abs. 1 und Abs. 2 HGB zuließe.

CS3D – (Moratorium und) Revision

Besonders bemerkenswert ist, dass Frankreich, also der Mitgliedstaat, der mit der Verabschiedung des Loi de Vigilance (Loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre) einen wesentlichen Impuls für das europäische Lieferkettenregime gesetzt hat, sich bezüglich der CS3D in einem ersten Schritt für eine Verschiebung des Inkrafttretens auf unbestimmte Zeit ausspricht. Das damit gewonnene Zeitfenster soll insbesondere dazu genutzt werden, um die folgenden als notwendig erachteten Korrekturen umzusetzen: (1) Klarstellung, dass die durch die Kommission zu erlassenden Mustervertragsklauseln und Leitlinien dem Umstand Rechnung zu tragen haben, dass Sorgfaltspflichten in der Lieferkette reine Prozesspflichten sind, (2) Neuvermessung von Anwendungsbereich und gestaffeltem Inkrafttreten der CS3D – auch unter Berücksichtigung der neuen Größenklasse der „small mid-caps“, (3) Harmonisierung der Überwachung der CS3D, etwa durch Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsbehörde, die primär eine beratende und vermittelnde Funktion haben soll, (4) Ergänzung eines ausdrücklichen Konzernprivilegs, wonach die Konzernspitze die CS3D-Pflichten gruppenweit mit entlastender Wirkung für ihre Töchter wahrnehmen kann, sowie (5) die Streichung von Art. 36 Abs. 1 CS3D, d.h. Verzicht auf ein Sonder-Lieferkettenregime für den Finanzsektor. Sowohl NAF als auch Kompass stellen zudem wirksame Vorkehrungen gegen den sog. „trickle-down“-Effekt in Aussicht; mit trickle-down wird dabei der Umstand beschrieben, dass Unternehmen, die nicht vom Anwendungsbereich der CS3D erfasst werden, faktisch die Sorgfaltspflichten der CS3D beachten müssen, weil sie ihnen von verhandlungsstarken Zulieferern oder Abnehmern vertraglich auferlegt werden. Ob sich die Kommission für den weitreichenden Vorschlag einer zeitlich unbegrenzten Aussetzung der CS3D offen zeigt, wird man mit einem Fragezeichen versehen müssen. Trotz aller Kritik haben die EU-Institutionen die CS3D durchgängig als Leuchtturmprojekt beworben, zudem wird die Haltung des EP, das hinsichtlich der Lieferkettenverantwortung von Unternehmen noch deutlich weitergehende Vorstellungen hat, zu berücksichtigen sein. Einigungsfähig erscheinen demgegenüber u.a. vorsichtige Korrekturen zur Verhinderung des Trickle-Down-Effekts, da es der Logik des gestuften Anwendungsbereichs der CS3D entspricht, dass kleinere Unternehmen nicht (der vollen Last) der CS3D-Sorgfaltspflichten ausgesetzt werden.

CSRD

Voraussichtlich mit wesentlichen Modifikationen wird für den Bereich der CSRD zu rechnen sein. Im Zentrum dürfte dabei weniger die Richtlinie selbst als vielmehr die überaus breit geratene Ausformung der Berichtspflichten durch EFRAG stehen. Die NAF, die insoweit nicht weit von den Überlegungen der Kommission entfernt sein sollte, spricht sich bei grundsätzlicher Unterstützung für die CSRD für die folgenden Modifikationen aus: (1) erhebliche Reduzierung der berichtspflichtigen Datenpunkte und Fokussierung auf klimarelevante Aspekte, (2) Übernahme der Kategorie der small mid-caps in die CSRD mit einem proportional gestalteten Reporting-Programm, (3) Einschränkung der Berichtspflichten in der Lieferkette auch und gerade für große Unternehmen, um den Trickle-down-Effekt (s.o.) zu verhindern sowie (4) die Neuformulierung des ESRS E1 Abs. 1, um klarzustellen, dass die Offenlegungspflichten für sich keine Verpflichtung begründen, einen mit dem Pariser Klimaabkommen zu vereinbarenden Emissionsreduktionsplan aufzustellen.

Taxonomie

Vereinfachungen werden zudem von Kompass wie auch NAF für die Taxonomie-VO erwogen, die als Referenzsystem der Sustainable Finance-Regulierung der EU verbindlich festlegt, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig qualifiziert werden kann (vgl. Art. 1 Abs. 1 EU/2019/2088). Abzuwarten bleibt, an welchen Stellen diesbezüglich angesetzt wird, krankt die Taxonomie-VO doch an einer Reihe von nicht zuletzt technischen Schwächen (vgl. Ekkenga/Posch, WM 2021, 205). Große Erwartungen sind diesbezüglich allerdings kaum gerechtfertigt, findet doch der Umfang der Taxonomie seine Ursache letztlich in dem gesetzgeberischen Ziel, jede denkbare Erscheinungsform wirtschaftlichen Handels individuell unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu klassifizieren.

Fazit

Die Sentenz aus den Seneca zugeschriebenen Epistulae morales aufgreifend wird man im Strategiepapier einen ersten Schritt zur notwendigen Kalibrierung des wirtschaftspolitischen Kompasses der EU sehen dürfen. Aufgenommen wird damit die nicht unberechtigte verbreitete und wachsende Kritik in Wirtschaft und Wissenschaft an Frequenz, Procedere und Regulierungstiefe der Brüsseler Gesetzgebung (gegen einen Revisionsprozess bzw. eine Verwässerung von CSRD und CS3D haben sich allerdings u.a. Ferrero, Nestlé und Unilever positioniert). Auch der grünen Transformation verpflichtete Regeln und Maßnahmen binden Ressourcen, ziehen Allokationseffekte nach sich und sind deshalb einem Test auf Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit zu unterziehen. Dass muss gerade im Politikfeld nachhaltiger Wirtschaft gelten. Die Vieldeutigkeit und Komplexität von Begriffen wie „grün“ oder „nachhaltig“ implizieren bereits für sich ausladende Regelwerke (Taxonomie-VO), so dass eine Konzentration auf Wesentliches von zentraler Bedeutung ist. Als echtes Manko wird man deshalb das Fehlen eines umfassenden Bekenntnisses zu einem reduzierten Regelungsumfang und -tempo bezeichnen müssen. Im Gegenteil stellt der Kompass eine Vielzahl weiterer Verordnungen und Richtlinien in Aussicht. Dass selbst das grundsätzlich regulierungsfreudige Frankreich (planification) einen harten Stopp, sollte auch in Brüssel aufhorchen lassen. Jenseits echter geopolitischer Notwendigkeiten sollte tunlichst ein Rückfall in die wenig erfolgreichen Phasen aktiver Industriepolitik mittels immer kleinteiligerer Regulierung vermieden werden.

SEC mit neuen ESG-Offenlegungspflichten für börsennotierte Unternehmen

In den letzten Monaten berichteten Medien immer wieder von Anti-ESG-Kampagnen und -Bewegungen in den USA, so dass die Wahrnehmung entstand, Nachhaltigkeit sei für den amerikanischen Kapitalmarkt und das Finanzwesen kein Thema mehr. Nun aber – am 6.3.2024 – legte die US-Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde Vorschriften „zur Verbesserung und Vereinheitlichung“ der klimabezogenen Offenlegung von börsennotierten Unternehmen und bei Wertpapieremissionen vor. Das Paket besteht aus einem Factsheet der SEC über die neuen Anforderungen und einem umfangreichen SEC-Dokument.
Die SEC kommt nach eigenen Aussagen dem grundsätzlichen Investorenwunsch nach, standardisierte und belastbare Informationen über die finanziellen Auswirkungen klimabezogener Risiken auf das Geschäftsmodell oder einzelne Bereiche zu erhalten. Es geht dabei insbesondere um eine bessere (umfassendere) Beurteilung des Risikomanagements eines Unternehmens. Transparenz muss bspw. hergestellt werden hinsichtlich
  • allen klimabezogenen Risiken, die wesentlich sind, d.h. finanzielle Auswirkungen auf die Geschäftsstrategie oder die Geschäftsergebnisse haben;
  • Aktivitäten, die unternommen werden, um die identifizierten Risiken zu mindern oder Anpassungsmaßnahmen umzusetzen;
  • Überwachung durch die Geschäftsleitung und die Rolle des Managements in Bezug auf die wesentlichen klimabezogenen Risiken;
  • Scope-1-Emissionen und/oder Scope-2-Emissionen bei großen und mittleren Unternehmen;
  • Kosten und Verluste, die durch Unwetter und andere Naturereignisse im jeweiligen Geschäftsjahr entstanden sind.
Die endgültigen Vorschriften treten 60 Tage nach deren Veröffentlichung im Bundesregister (Federal Register) in Kraft und sollen dann schrittweise ab 2025 Anwendung finden.

Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts durch die HV 2024 vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes? (Teil 2 – Deep Dive)

In einem Blog-Beitrag v. 13.2.2024 haben sich die Autoren zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts durch die HV 2024 vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes geäußert. In diesem Beitrag gehen die Autoren noch näher auf die Entscheidungsgrundlage und -möglichkeiten der betroffenen Unternehmen ein – insbesondere warum der „Vorratsbeschluss“ das Mittel der Wahl sein kann.

Nichtstun und hoffen oder Vorratsbeschluss? – das ist die Frage, die sich derzeit zahlreiche große börsennotierte Unternehmen im Hinblick auf ihre diesjährige Hauptversammlung stellen. Große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, die in den nächsten Wochen – und damit noch vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens und Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes – ihre Hauptversammlung einberufen werden, stehen vor der Frage, ob sie die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts noch auf die Tagesordnung ihrer Hauptversammlung setzen oder später eine entsprechende gerichtliche Bestellung beantragen sollten (siehe hierzu den Blog-Beitrag v. 13.2.2024).

1. Die Krux und die Vertrauensfrage für Unternehmen

Die Krux für die betroffenen Unternehmen ist wie folgt:

  • Wenn die Hauptversammlung keinen (Vorrats-)Beschluss über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts fasst und der Gesetzgeber keine taugliche Übergangsregelung schafft, dann müsste der Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts gerichtlich bestellt werden. Ein solcher Antrag könnte – de lege lata und so wie es auch die derzeitige unveröffentlichte Fassung des Referentenentwurfs des CSRD-Umsetzungsgesetzes vorsieht – erst nach dem Ablauf des Geschäftsjahres 2024 gestellt werden (vgl. § 318 Abs. 4 HGB, § 324d HGB-E) und es wäre möglich, dass das Gericht sehr spät etwa erst im März 2025 hierüber entscheidet und ggf. sogar nicht dem Kandidatenvorschlag des Vorstands folgt, sondern einen anderen WP oder eine andere WPG zum Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts bestellt. Da der (Konzern-)Nachhaltigkeitsbericht Bestandteil des (Konzern-)Lageberichts sein wird, bestünde auch das Risiko, dass die Rechnungslegungsunterlagen nicht mehr innerhalb der 90-Tagesfrist (vgl. Empfehlung F.2 DCGK) offengelegt werden können und ggf. sogar die 4-Monatsfrist zur Übermittlung an das Unternehmensregister (vgl. § 325 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 1a HGB) nicht eingehalten werden kann.
  • Bei einem Vorratsbeschluss der Hauptversammlung über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts wäre hingegen – wie bei allen HV-Beschlüssen – nicht ausgeschlossen, dass ein Aktionär diesen mit einer Nichtigkeits- und/oder Anfechtungsklage angreift. Bei der im Blog-Beitrag v. 13.2.2024 vorgeschlagenen Ausgestaltung des Hauptversammlungsbeschusses dürften allerdings sowohl das Risiko einer solchen Klageerhebung als auch die Erfolgsaussichten einer Beschlussmängelklage sehr gering sein. Sollte tatsächlich eine Beschlussmängelklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss erhoben werden, dann wäre zudem nach der Gerichtspraxis und der h.M. eine gerichtliche Bestellung des Prüfers während der anhängigen Beschlussmängelklage möglich. Eine solche (absichernde) gerichtliche Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts könnte sich aber auch erübrigen, falls der Gesetzgeber (noch) eine Übergangsregelung vorsehen sollte, wonach der Abschlussprüfer als der Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts für das Geschäftsjahr 2024 gilt, soweit die Hauptversammlung bei diesem Bestellungsbeschluss nichts Abweichendes beschließt. Sollte eine dann noch anhängige Beschlussmängelklage wider (jegliches) Erwarten durchgreifen und den Hauptversammlungsbeschluss rückwirkend beseitigen, so hätte dies (wenn überhaupt) wohl nur geringe Folgen für die Reputation der Gesellschaft, da der Vorratsbeschluss und die Bestellung eines Nachhaltigkeitsprüfers im wohlverstandenen Unternehmensinteresse und ganz im Sinne der Aktionärsdemokratie erfolgten. Und schließlich bestünde zudem die Möglichkeit, den Tagesordnungspunkt betreffend die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts bis zum Beginn der Hauptversammlung noch abzusetzen, wenn das Gesetzgebungsverfahren eine Übergangsregelung erwarten lässt, die eine entsprechende Beschlussfassung der Hauptversammlung obsolet werden ließe. Mit einem Vorratsbeschluss auf der Tagesordnung würde die Gesellschaft also auch Zeit gewinnen, um dann hoffentlich in der komfortableren Situation zu sein, nicht blind auf eine taugliche Übergangsregelung des Gesetzgebers zu hoffen.

Wie sich betroffene Unternehmen entscheiden, ist daher letzten Endes auch eine gewisse Frage des Vertrauens in die Arbeit des Gesetzgebers und der Registergerichte, nämlich zum einen ob der Gesetzgeber eine taugliche Übergangsregelung für die (erstmalige) Bestellung des Prüfers in Bezug auf den Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2024 schafft und, falls nicht, ob das jeweils zuständige Registergericht den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts zügig und gemäß dem Antrag des Vorstands bestellt. Bei Zweifeln und entsprechender Folgenabschätzung kann auch ein sorgfältig zu gestaltender Vorratsbeschluss das Mittel der Wahl sein (siehe hierzu den Formulierungsvorschlag im Blog-Beitrag v. 13.2.2024) – zumal man sich anderenfalls ggf. der Frage von Aktionären, Stimmrechtsberatern und institutionellen Investoren stellen muss, warum man die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts gerade nicht auf die Tagesordnung gesetzt hat und nicht die Aktionäre hierüber entscheiden lässt.

2. Warum der „Vorratsbeschluss“ das Mittel der Wahl sein kann

Die Nichtigkeitsgründe für Hauptversammlungsbeschlüsse sind im Interesse der Rechtssicherheit im Gesetz abschließend geregelt (vgl. § 241 AktG: „nur dann nichtig, wenn“). Ungeschriebene Nichtigkeitsgründe gibt es nicht (Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 241 AktG Rz. 10). Die Nichtigkeitsfolge ist damit im Beschlussmängelrecht die Ausnahme.

Gemäß § 241 Nr. 3 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nur dann nichtig, wenn er mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. Der Tatbestand des § 241 Nr. 3 AktG ist von einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt und es gibt insbesondere keine allgemein akzeptierte Definition dessen, was das „Wesen der Aktiengesellschaft“ ausmacht (vgl. Austmann in MünchHdb/AG, 5. Aufl. 2020, § 42 Rz. 12). Der BGH spricht von den „Grundprinzipien des Aktienrechts“, ohne allerdings erkennen zu lassen, welche der drei Tatbestandsvarianten des § 241 Nr. 3 AktG er dabei im Blick hat (BGH. 20.9.2004 – II ZR 288/02, NJW 2004, 3561, 3562 = AG 2004, 673). Nach dem OLG München liegt ein Verstoß gegen das Wesen der AG vor, „wenn gegen einen fundamentalen Grundsatz des aktuell geltenden Aktienrechts verstoßen wird, der nicht bereits durch eine speziellere Regelung geschützt bzw. sanktioniert wird und dieser Verstoß auch unter Berücksichtigung der Wertung des Gesetzgebers, wonach die Nichtigkeit die Ausnahme eines Rechtsverstoßes darstellt, die Nichtigkeit nach sich ziehen soll“ (OLG München v. 14.11.2012 – 7 AktG 2/12, NZG 2013, 459, 461 = AG 2013, 173).

Nichtig wegen Verstoßes gegen das Wesen der Aktiengesellschaft sind nach h.M. kompetenzüberschreitende Hauptversammlungsbeschlüsse, die in die Zuständigkeit eines anderen Gesellschaftsorgans eingreifen (vgl. Englisch in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 241 AktG Rz. 66: „Angelegenheit ausschließlich der Kompetenz eines anderen Organs zugeordnet“; Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 241 AktG Rz. 16: „Verletzung der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen den Organen“; Drescher in BeckOGK/AktG, Stand: 1.10.2023, § 241 AktG Rz. 238: „Beschluss fällt in die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Organs“; Koch, ZHR 182 [2018], 378, 389 f.: „Kompetenzverletzungen zu Lasten anderer Gesellschaftsorgane“; hingegen weniger deutlich, aber i.E. auch Koch, 17. Aufl. 2023, § 241 AktG Rz. 17; Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 62).

Unseres Erachtens greift ein Beschluss der Hauptversammlung über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes nicht in die Kompetenz eines anderen Gesellschaftsorgans ein. Der Aufsichtsrat ist weder nach derzeitiger Rechtslage noch nach Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes dafür zuständig, den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts zu bestellen. De lege lata ist der Aufsichtsrat zwar befugt, eine (freiwillige) externe inhaltliche Überprüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung i.S.d. §§ 289b, 315b HGB zu beauftragen (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 4 AktG) – eine Befugnis, über die der Aufsichtsrat im Übrigen (nur) verfügt, weil der von der Hauptversammlung zu bestellende Abschlussprüfer keine (verpflichtende) inhaltliche Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung vornimmt (vgl. § 317 Abs. 2 Satz 4 HGB). Um den Prüfer der nichtfinanziellen Berichterstattung geht es aber vorliegend nicht, sondern um den Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts im Sinne der CSRD, für den die CSRD eine externe Prüfung durch den Abschlussprüfer oder – nach Wahlmöglichkeit des jeweiligen Mitgliedstaats – einen anderen (Abschluss-)Prüfer oder einen sog. unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen vorsieht.

Wenn man die Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses – abseits eines Eingriffs in die Kompetenz eines anderen Gesellschaftsorgans – allein damit begründen wollte, dass die Hauptversammlung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (noch) nicht über die Kompetenz zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts verfügt, weil sie ihr im Gesetz (bislang) nicht (ausdrücklich) zugeordnet ist (vgl. § 119 Abs. 1 AktG), wäre dies wegen des Ausnahmecharakters der Nichtigkeit sehr fraglich und unseres Erachtens nicht ausreichend.

Damit käme allenfalls eine Anfechtungsklage wegen vermeintlicher Unzuständigkeit der Hauptversammlung für die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts vor Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes infrage.

Dagegen könnte allerdings argumentiert werden, dass die für die Bestellung des Abschlussprüfers zuständige Hauptversammlung (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 5 AktG) erst recht auch für die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts zuständig sein muss (argumentum a maiore ad minus). Denn wenn die Hauptversammlung bereits für die Bestellung des Abschlussprüfers zuständig ist und der Abschlussprüfer auch den Lagebericht prüfen muss (vgl. § 316 Abs. 1 HGB), der zukünftig um den Nachhaltigkeitsbericht als weiteren prüfungspflichtigen Gegenstand zu erweitern ist, dann muss – in dem (starren) Organisationsgefüge bestehend aus Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung – dieser Hauptversammlungsbefugnis auch die Kompetenz zur Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts immanent sein.

Darüber hinaus kann das Risiko einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage dadurch minimiert werden, dass der Hauptversammlungsbeschluss über die Bestellung des Prüfers des Nachhaltigkeitsberichts (i) mit Wirkung zum Inkrafttreten des CSRD-Umsetzungsgesetzes gefasst wird und (ii) seine Durchführung nur für den Fall angeordnet wird, dass ein für das Geschäftsjahr 2024 zu erstellender Nachhaltigkeitsbericht extern durch einen von der Hauptversammlung zu bestellenden Prüfer zu prüfen ist (siehe hierzu den Formulierungsvorschlag im Blog-Beitrag v. 13.2.2024).

Der Beschluss wird also nur wirksam, wenn das CSRD-Umsetzungsgesetz in Kraft tritt und die entsprechende Bestellungskompetenz der Hauptversammlung ausdrücklich zuweist; ansonsten entfaltet der Beschluss keinerlei Rechtswirkungen. Eine Kompetenzüberschreitung durch die Hauptversammlung wäre daher unseres Erachtens fernliegend. Zudem ist mit einer solchen Ausgestaltung des Beschlusses auch dessen Vereinbarkeit mit der Rechtslage nach dem CSRD-Umsetzungsgesetz sichergestellt.

Darüber hinaus kann der Beschluss während der Schwebezeit bis zum Eintritt der Wirksamkeitsvoraussetzung auch nicht mit einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage angegriffen werden (Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 16; Austmann in MünchHdb/AG, 5. Aufl. 2020, § 42 Rz. 13).

(Keine) Einbeziehung der Finanzbranche in die CS3D?

Am 14.12.2023 haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, „CS3D“) erzielt. Die formelle politische Einigung über die Richtlinie im Rat steht zwar noch aus, ein entsprechendes Draft Agreement wurde aber bereits veröffentlicht. Bis zuletzt war zwischen Parlament und Rat, aber auch unter den einzelnen EU-Mitgliedstaaten umstritten, ob bzw. inwieweit die CS3D die Finanzbranche einbeziehen soll. Während sich das Parlament für eine möglichst umfassende Regulierung einsetzte, plädierten die Mitgliedstaaten für Ausnahmen für Finanzakteure. Das Draft Agreement sieht nun eine Kompromisslösung vor.

Einbeziehung bestimmter regulierter Finanzunternehmen

Nach Art. 2 Abs. 7 Draft Agreement sind Alternative Investmentfonds (AIF) i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2011/61/EU, also etwa Hedgefonds, Private Equity- und Immobilienfonds, sowie Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) i.S.v. Art. 1 Abs. 2 RL 2009/65/EG nun aus dem Anwendungsbereich der CS3D ausgenommen.

Eine Vielzahl regulierter Finanzunternehmen fällt jedoch weiterhin nach Art. 3 lit. a Ziff. iv Draft Agreement unter die Definition eines „Unternehmens“ i.S.d. CS3D und damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der CS3D. Sie sind dabei sogar unabhängig von ihrer Rechtsform erfasst, während sich der Adressatenkreis bei sonstigen Unternehmen auf bestimmte Rechtsformen beschränkt. Für regulierte Finanzunternehmen gelten die auch für sonstige Unternehmen vorgesehenen Umsatz- und Arbeitnehmerschwellen aus Art. 2 Draft Agreement. Das Draft Agreement zählt abschließend auf, welche Akteure die CS3D unter die Definition des „regulierten Finanzunternehmens“ fasst. Hierzu gehören etwa bestimmte Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Verwalter von AIF, Verwaltungsgesellschaften von OGAW, Finanzholdinggesellschaften und Zahlungsinstitute.

Reichweite der Sorgfaltspflichten

Anders als der ursprüngliche Kommissionsvorschlag verwendet das Draft Agreement nicht mehr den Begriff der Wertschöpfungskette, sondern stellt maßgeblich auf die Tätigkeit in der „Aktivitätskette“ des jeweiligen Unternehmens ab. Dabei schließt jedoch nur der vorgelagerte Abschnitt der Aktivitätskette („upstream“) die Erbringung von Dienstleistungen ein, nicht aber der nachgelagerte Abschnitt der Aktivitätskette (“downstream“), Art. 3 Abs. 1 lit. g Draft Agreemeent.

Diese Regelung bedeutet für die Finanzbranche, dass Finanzdienstleistungen, also die „downstream“-Aktivitätskette, aus dem Anwendungsbereich der CS3D ausgenommen sind. Für den vorgelagerten Teil ihrer Aktivitätskette unterliegen jedoch auch regulierte Finanzunternehmen den Sorgfaltspflichten der CS3D (vgl. Erwägungsgrund 19). In der Praxis dürfte die Ausnahme von Finanzdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der CS3D etwa dazu führen, dass sich die Sorgfaltspflichten von Banken nach der CS3D nicht auf deren Kunden beziehen.

Mit der Ausnahme der Erbringung von Dienstleistungen aus der nachgelagerten Aktivitätskette wurde eine Reihe von Ausnahmeregelungen, die zunächst zugunsten der Finanzbranche vorgesehen waren, obsolet und aus dem Entwurf gestrichen. Nach der Vorfassung mussten regulierte Finanzunternehmen etwa bei der Vergabe von Krediten und Darlehen keine tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsbelange identifizieren und bewerten.

Überprüfungsklausel

Die Entscheidungen zur Einbeziehung der Finanzbranche in den Anwendungsbereich der CS3D sollen teilweise zu einem späteren Zeitpunkt einer Evaluation unterzogen – und dann gegebenenfalls revidiert – werden. Die Kommission ist nach Art. 29 Abs. 1 Draft Agreement verpflichtet, zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Inkrafttreten der CS3D, spätestens jedoch zwei Jahre danach, dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht dazu vorzulegen, inwiefern zusätzliche Sorgfaltspflichten für regulierte Finanzunternehmen in Bezug auf die Erbringung von Finanzdienstleistungen und Anlagetätigkeiten notwendig sind (vgl. dazu auch Erwägungsgrund 70 des Draft Agreement). Gegenstand eines weiteren Prüfberichts der Kommission, der spätestens sechs Jahre nach Inkrafttreten der CS3D an das Parlament und den Rat zu erstatten ist, soll nach Art. 29 Abs. 2 lit. d Draft Agreement die Definition der nachgelagerten Aktivitätskette aus Art. 3 Abs. 1 lit. g Draft Agreement sein. Damit stünde auch die Ausnahme von Finanzdienstleistungen auf dem Prüfstand.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, ob die im Draft Agreement vorgesehenen Regelungen in dieser Form in Kraft treten und wie die Mitgliedstaaten sie in diesem Fall in nationales Recht umsetzen werden. Angesichts der frühen Evaluation, die teilweise bereits zum Ende der Umsetzungsfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten der CS3D anstünde, dürfte die Einbeziehung der Finanzbranche weiter intensiv diskutiert werden.

Fokus-Risiken der BaFin für 2024

Mitte Januar veröffentlichte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihre Übersicht zu den Risiken, die sie im Jahr 2024 bei der Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Versicherern besonders in den Fokus nehmen wird.

Sie benennt darin sieben Risiken, die am ehesten die Finanzstabilität oder die Integrität der Finanzmärkte in Deutschland gefährden könnten:

  • Risiken aus signifikanten Zinsanstiegen,
  • Risiken aus Korrekturen an den Immobilienmärkten,
  • Risiken aus signifikanten Korrekturen an den internationalen Finanzmärkten,
  • Risiken aus dem Ausfall von Krediten an deutsche Unternehmen,
  • Risiken aus Cyber-Attacken mit gravierenden Auswirkungen,
  • Risiken aus unzureichender Geldwäscheprävention,
  • Risiken aus Konzentrationen bei der Auslagerung von IT-Dienstleistungen.

Ergänzend zu den Risiken legt die BaFin auch ein Augenmerk bei Kreditinstituten und Versicherern auf die angemessene Berücksichtigung und den Umgang mit langfristigen Trends. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und geopolitische Umbrüche werden genannt und sind für die Beaufsichtigung des Finanzwesens relevant.

Fokus: Nachhaltigkeit

Wie auch schon im „Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeit“ (2019) sieht die BaFin Klima- und Umweltrisiken nicht als eigenständige (neue) Risikoart, sondern als Teil von Kredit-, Markt-, Liquiditäts-, Haftungs- und Reputationsrisiken sowie von operationellen, versicherungstechnischen und strategischen Risiken. Sie übernahm diesen Ansatz in die neue MaRisk (2023).

Die BaFin verweist in diesem Zusammenhang auf eine Auswertung der Deutschen Bundesbank, in der das Management von Nachhaltigkeitsrisiken bei weniger bedeutenden Instituten (Less Significant Institutions) untersucht wurde. Im Ergebnis lässt sich ein Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Risikomanagements von Kreditinstituten und Versicherern ableiten. Dementsprechend erwartet die BaFin, dass die von ihr beaufsichtigten Unternehmen Erkenntnisse aus Stresstests und Szenarioanalysen, die auch Nachhaltigkeitsrisiken integrieren, zunehmend in die Strategie und ins Risikomanagement einfließen lassen.

Darüber hinaus nimmt auch die Prüfung der Offenlegungspflichten nach der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR – Offenlegungs-VO (EU) 2019/2088) sowie die Nachhaltigkeitsberichterstattung i.S.d. der Taxonomie-VO (EU) 2020/852 und zukünftig der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD – RL (EU) 2022/2464) Raum in der Beaufsichtigung ein.

EU-Lieferkettengesetz – Einigung im Trilog zwischen Rat und Parlament über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive – CSDDD)

Nach dem Vorbild einzelner Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland) hat die EU-Kommission bereits am 23.2.2022 einen Vorschlag für eine große, sektorübergreifende Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final), der einerseits deutlich über die nationalen Vorbilder wie das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (LkSG) hinausging und deshalb auf ein überaus kritisches Echo aus den Reihen der Wirtschaft gestoßen ist, andererseits aber großen Teilen des Europäischen Parlaments und den in Brüssel durchaus einflussreichen „Akteuren der Zivilgesellschaft“ zu unambitioniert erschien. Die damit notwendigen Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament, die sich zunächst durchaus zäh gestalteten, sind nunmehr am 14.12.2023 mit einer vorläufigen Einigung erfolgreich abgeschlossen worden (knappe Pressemitteilung des Rates „Corporate Sustainability Due Diligence: Council and Parliament strike deal to protect environment and human rights“; zusätzliche Informationen in der gemeinsamen Pressekonferenz von Lara Wolters, Berichterstatterin für das Parlament, Justizkommissar Didier Reynders, und dem Spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés).

Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über Ziele und Mechanik der CSDDD die wesentlichen Parameter der Trilog-Einigung vorgestellt.

Gegenstand

Wie französisches loi de vigilance und deutsches LkSG zielt auch die CSDDD darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Verhalten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und Unternehmensführung von Unternehmen (stärker) zu verankern. Unternehmen sollen potenzielle negative Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, insbesondere auch in ihren Lieferketten innerhalb und außerhalb Europas. Wie in den nationalen Lieferkettengesetzen liegt der Schwerpunkt der CSDDD damit in der Inpflichtnahme von Unternehmen für die Sicherstellung menschenrechtskonformen und umweltverträglichen Handelns nicht nur innerhalb ihres eigenen unmittelbaren Verantwortungsbereichs, sondern auch auf Ebene ihrer Lieferanten. Der ordnungspolitische Gleichlauf von Haftung und Herrschaft wird also bewusst suspendiert. Hierzu legt die CSDDD Pflichten großer Unternehmen hinsichtlich tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte für ihre Lieferkette fest. Auf Drängen des Parlaments erstrecken sich die Sorgfaltspflichten dabei nicht allein auf die Lieferkette (supply chain) im engeren Sinne, also praktisch die Beschaffungsseite, sondern teilweise auch auf nachgelagerte Aktivitäten des Unternehmens, etwa Recycling sowie auch vor allem den Vertrieb. Die Instrumente, mit denen diese Zielsetzungen umgesetzt werden (sollen), entsprechen im Ausgangspunkt denen des deutschen LkSG, also die Statuierung von Sorgfaltspflichten, deren Einhaltung insbesondere durch Risikoanalyse und Lieferketten-Risikomanagement realisiert werden soll.

Erfasste Unternehmen, Ausklammerung des Finanzsektors

Zu den zwischen Rat und Parlament, aber auch in der allgemeinen politischen Debatte besonders kontrovers diskutierten Punkten gehörte von Beginn an die Reichweite bzw. der Anwendungsbereich der anspruchsvollen Richtlinie. Nach dem Trilog-Kompromiss sind die neuen Pflichten grundsätzlich von EU/EWR-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. € zu beachten, womit der allgemeine Schwellenwert des ursprünglichen Kommissionsentwurfs übernommen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a) CSDDD-E). Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen den Vorgaben hingegen (nur) dann, wenn sie EU/EWR-weite Umsätze von 300 Mio. € realisiert haben. Noch weitergehenden Forderungen nach einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der CSDDD, der bereits in der Kompromissfassung deutlich über den des LkSG hinausreicht, haben sich Kommission und Rat mit der Erwägung verschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den voraussichtlich nicht unerheblichen Bürokratiekosten einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Richtlinie freizuhalten. Soweit KMU mittelbar – d.h. als Teile der Lieferkette CSDDD-verpflichteter großer Unternehmen – mit den weitreichenden Sorgfaltspflichten konfrontiert sind, hat die Kommission zudem angekündigt, durch Guidance – etwa in Form von Technical Standards – unterstützen zu wollen.

Nach der allerdings etwas uneinheitlichen Kommunikation von Rat und Parlament bis auf Weiteres ausgeklammert bleiben soll der Finanzsektor. Dies bedarf der Konkretisierung. Für die eigene, typischerweise wirtschaftlich nicht zentrale Lieferkette im eigentlichen Sinne („upstream“) haben auch Unternehmen des Finanzsektors bei Überschreiten der Größenkriterien die entsprechenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Womit sich das Parlament hingegen vorläufig nicht durchzusetzen vermocht hat, ist die „Wertschöpfungskette“ (value chain) des Finanzsektors insgesamt, d.h. auch „downstream“ zu erfassen, also praktisch Kredit- und Portfolioentscheidungen gleichfalls dem Pflichtenregime der CSDDD zu unterstellen. Das Parlament betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch für den Finanzsektor die Verpflichtung gilt, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, wovon man sich ersichtlich zumindest mittelbare Effekte für Kreditvergabe und Asset Management erhofft.

Schädliche Umweltauswirkungen

Nach Art. 7 Abs. 1 CSDDD i.d.F. des Kommissionsentwurfes haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder, falls sie nicht oder nicht unmittelbar vermieden werden können, zumindest angemessen abzuschwächen. Hinsichtlich des bis zuletzt umstrittenen Begriffs der schädlichen Umweltauswirkungen sieht die Einigung nunmehr vor, dass unter Umweltauswirkung in diesem Sinne jede messbare Umweltverschlechterung wie schädliche Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzung, schädliche Emissionen oder übermäßiger Wasserverbrauch oder andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu verstehen ist.

Emissionsreduktionsplan (Climate Transition Plan)

Ersichtlich ein Alleinstellungsmerkmal der CSDDD ist die weitere Verpflichtung erfasster Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, der sicherstellen soll, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind (Art. 15 Abs. 1 CSDDD-E). In diesem Zusammenhang soll auch die Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane u.a. davon abhängen, ob ein entsprechender Emissionsreduzierungsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Sanktionen

Praktisch nach dem mittlerweile bekannten Sanktionsmodell der Europäischen Union sieht die Trilog-Einigung für Verstöße gegen die Richtlinie zunächst am Umsatz orientierte Bußgelder vor, die eine Höhe von maximal 5% des Nettoumsatzes des Unternehmens erreichen können. Wie der Rekurs auf den Begriff des Unternehmens offenbart, ist Berechnungsgrundlage dabei der Umsatz der Gruppe und nicht etwa der Einzelgesellschaft, die für einen bußgeldbewährten Verstoß verantwortlich zeichnet. Mit 5% des Nettoumsatzes geht die Richtlinie deutlich über die umsatzbezogenen Bußgelder gem. § 24 Abs. 3 LkSG (bis zu 2%) hinaus.

Anders als das LkSG sieht die CSDDD zudem ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen vor. „Betroffene“ können innerhalb einer Frist von fünf Jahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Einigermaßen fragwürdig ist, dass als Betroffene nicht nur Gewerkschaften, sondern – hinreichend unspezifisch – auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ klagebefugt sein sollen. Die traditionellen und durchaus nicht unbegründeten Vorbehalte gegen Popularklagen scheint man in Brüssel ersichtlich nicht (mehr) zu teilen. Auch bei der Darlegungs- und Beweislast will der Trilog-Kompromiss „Anwälten der Öffentlichkeit“ deutlich entgegenkommen.

Als weitere Sanktion können Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten gemäß CSDDD schließlich mit einem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren geahndet werden. Dies spiegelt letztlich § 22 LkSG, der gleichfalls bei Verstößen einen Ausschluss bei der Berücksichtigung öffentlicher Aufträge vorsieht.

Stakeholder-Beteiligung

Von der CSDDD erfasste Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, als Bestandteil des Due-Diligence-Prozesses eine sinnvolle Beteiligung (meaningful engagement), einschließlich eines Dialogs und einer Konsultation mit den „betroffenen Interessengruppen“ durchzuführen. Dies dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass Unternehmen neben ihren Arbeitnehmern im Einzelfall auch mehr oder weniger legitimierte NGO – wie etwa „environmental defenders“ (Lara Wolters) – konsultieren müssen.

Ausblick

Da die Trilog-Verhandlungen als informelles Verständigungsverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten, müssen die Institutionen im nächsten Schritt die Ergebnisse des Kompromisses formell annehmen. Im Anschluss sind die Mitgliedstaaten zur Überführung in nationales Recht verpflichtet, wobei der Kommissionsentwurf hierfür zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD einräumt (vgl. Art. 30 CSDDD-E). Ob das europäische Lieferkettenregime den großen Erwartungen seiner Befürworter gerecht zu werden vermag oder sich in einer schematisch ablaufenden Auditierungsübung („check the box“ mittels Länder-Clustern etc.) erschöpfen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Der Vorschlag der Kommission ist insoweit recht großzügig und sieht eine Evaluierung des neuen Regimes erst sieben Jahre nach Inkrafttreten und damit fünf Jahre nach Umsetzung in nationales Recht vor.

„Say on Climate“-Beschluss bei der Alzchem Group AG: Große Mehrheit der Aktionäre stimmt für Klimafahrplan

Am 11.5.2023 fand die ordentliche Hauptversammlung der Alzchem Group AG zum vierten Mal in virtueller Form statt. Die Besonderheit lag aber in einem anderen Aspekt: Die Gesellschaft setzte als erstes deutsches Unternehmen ein Say on Climate auf ihre Tagesordnung (vgl. dazu Harnos, Blog-Beitrag vom 21.4.23). Dadurch hatten die Aktionäre erstmals die Gelegenheit, ihre Meinung zu dem vom Vorstand vorgestellten Klimafahrplan in Form eines Konsultativbeschlusses zu äußern.

In diesem Sinn fokussierte der Vorstandsvorsitzende Andreas Niedermaier in seiner Rede den Klimafahrplan: Ziel der Alzchem AG sei es, bei den sog. Scope 1-Emissionen bis zum Jahr 2033 ein sog. „Net Zero“, also eine vollständige Klimaneutralität, zu erreichen. Zwar sei es dem Chemieunternehmen nach aktuellem Stand der Kenntnis nicht möglich, vollkommen emissionslos zu produzieren, es könne aber jedenfalls den – ohnehin äußerst geringen – Restausstoß durch eigene Produkte deutlich überkompensieren.

Der Klimafahrplan fand im Vorfeld der HV weniger Resonanz als erwartet. Vor allem die Reaktion eines großen Stimmrechtsberaters, der zum Klimafahrplan eine dezidiert negative Stellung bezogen hatte, enttäuschte die Verwaltungsorgane der Alzchem Group AG jedoch. Stattdessen wäre aus Sicht der Verwaltung ein inhaltlicher Dialog über die klimaschutzbezogenen Ziele des Unternehmens wünschenswert gewesen.

Auch in der Generaldebatte stieß der Tagesordnungspunkt Klimafahrplan vereinzelt auf Skepsis, sorgte aber insgesamt für wenig Wirbel. Eine erste Nachfrage provozierte das Stichwort Ressourcenverschwendung: Wenn der Klimafahrplan der Alzchem Group AG ermögliche, die Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden, dränge sich die Frage auf, wieso die Verschwendung nicht schon früher vermieden worden sei. Hierauf entgegnete der Produktionsvorstand Klaus Englmaier, dass für die Alzchem Group AG Ressourcenverschwendung schon immer ein Thema sei, die Vermeidung aber immer eine Frage der Wirtschaftlichkeit und technischen Umsetzbarkeit gewesen sei. Im Klimafahrplan würden sich jedoch nun konsequent die Projekte wiederfinden, die sich in den letzten Jahren als wirtschaftlich umsetzbar erwiesen haben. Aktionärsseitig wurden außerdem die Klimaschutzbemühungen der einzelnen Verwaltungsmitglieder selbst ins Visier genommen: Mit welchen Automodellen der Vorstand denn wie viele Kilometer gefahren sei und, daran anknüpfend, wie viele Flüge die Mitarbeiter der Gesellschaft im letzten Geschäftsjahr gebucht und wie viele Flugkilometer sie zurückgelegt hätten.

Ebenfalls kritisierte ein Aktionär die im Klimafahrplan berücksichtigten „Kompensationsmaßnahmen“. Dass der Ausstoß von CO2 im Jahr 2033 bei Null ankomme, klinge unglaubwürdig und sei nur durch eine hypothetische Berechnung mit eben solchen Kompensationen und Zertifikaten möglich. Es drohe die Gefahr, dadurch die Probleme an einen anderen Ort zu verlagern, was nicht zielführend sei. Das wollte der Alzchem-Vorstand so nicht stehen lassen: Wenn der Klimafahrplan von „Kompensationsmaßnahmen“ spreche, meine er allein die positive Wirkung der eigenen Alzchem Produkte, wie z.B. Eminex® und Creamino®. Die CO2-Einsparungen speziell dieser beiden Produkte überstiegen bei Weitem die 2033 noch verbleibenden Emissionen der Scopes 1–3 (vgl. dazu Harnos, Blog-Beitrag vom 21.4.23).

Trotz der vereinzelten Ablehnung wurde der Klimafahrplan mit einer deutlichen Mehrheit von 95,3 % der abgegebenen Stimmen (bei einer Abstimmungsbeteiligung von 73,45 % des Grundkapitals) angenommen. Die Alzchem Group AG schafft innerhalb ihres Aktionariats ein besonderes Bewusstsein für das Thema Klimaschutz und ermöglichte den Aktionären, etwaige Störgefühle bezüglich der Klimastrategie des Unternehmens zu adressieren und ggf. auszuräumen. Damit setzt die Alzchem Group AG ein starkes Zeichen hinsichtlich der Umsetzbarkeit eines Say on Climate.

Sustainable Finance – EU Green Bond Standard auf der Zielgraden!

Die Sustainable Finance Strategy des Green Deal der Europäischen Kommission setzt sich aus einer Vielzahl von Mosaiksteinen zusammen, die im Zusammenwirken den Marktteilnehmern am Eigen- wie Fremdkapitalmarkt mehr als nur einen leichten Stups (nudge) geben sollen, bei Finanzierungsentscheidungen Nachhaltigkeitsaspekte, insbesondere Umweltaspekte stärker zu gewichten. Im Vordergrund stand diesbezüglich bisher der Eigenkapitalmarkt, für den durch die zusammen mit CSRD und Taxonomie-VO zu lesende Offenlegungs-VO (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) einerseits umfassende Offenlegungspflichten für verschiedene Vertriebsstufen und andererseits im Bereich der Produkt-Governance drei Klassen unterschiedlich nachhaltiger Fondsprodukte geschaffen worden sind (sog. Art. 8-Fonds, Art. 9-Fonds und sonstige Fonds; Überblick bei Harnos, ÖBA 2022, 882; Reich, Blog Gesellschaftsrecht v. 22.2.2022, GESRBLOG0001030).

Fremdkapitalfinanzierung als Mosaikstein der Sustainable Finance

Demgegenüber adressiert das europäische Sustainable Finance-Regime den – u.a. in der Bundesrepublik gesamtwirtschaftlich deutlich größeren – Fremdkapitalmarkt zumindest im Bereich der Product Governance bisher nur mittelbar über den Umweg des Aufsichtsrechts (zu diesem blind spot Gözlügöl/Ringe, Private Companies: The Missing Link on the Path to Net Zero, ECGI Law Working Paper No. 635/2022). Anforderungen, an denen sich nachhaltige Fremdkapitalinstrumente messen lassen müssen, ergeben sich im Übrigen allenfalls aus allgemeinen Regeln, wobei insbesondere an das Lauterkeitsrecht (UWG) zu denken ist (vgl. etwa Ekkenga/Roth, WM 2021, 1161, 1162), und sind ansonsten den Selbststeuerungskräften des Marktes überlassen. Zu nennen sind insoweit insbesondere die Green Bond Principles der International Capital Market Association (ICMA) und – mit sichtbarer Fokussierung auf den Themenausschnitt Klimawandel/CO2-Emissionen – der mit den Principles verknüpfte Climate Bond Standard der Climate Bond Initiative (CBI). Diese tatsächliche oder gefühlte Lücke will die Europäische Union durch den Europäischen Green Bond Standard schließen, den die Kommission bereits am 6.7.2021 im Entwurf vorgestellt hatte (dazu etwa Harnos, ÖBA 2022, 882, 894 f.; Reich, AG 2021, R296) und über den im Trilog-Verfahren unter Vermittlung der schwedischen Ratspräsidentschaft am 28.2.2023 nunmehr zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament eine Einigung erzielt worden ist.

In Konkurrenz zu den bereits bestehenden privaten Standards soll mit dem European Green Bond Standard ein weiteres freiwilliges Qualitätssiegel für grüne Anleihen geschaffen werden, dem seine Schöpfer aufgrund seiner supranationalen Verbürgung sowie Verknüpfung mit der strengen und nicht im Verdacht des greenwashing stehenden Taxonomie-VO die Rolle als zukünftiger „Gold Standard“ mit globaler Strahlkraft zutrauen (vgl. auch Renner, ZBB 2023, 23). Der EUBGS ist nicht anders als seine privaten Konkurrenten optional ausgestaltet. Emittenten, die das Gütesiegel „European Green Bond“ oder „EuGB“ verwenden wollen, haben die in der EUGBS-VO aufgeführten Anforderungen zu erfüllen (Art. 3 EUGBS-VO-E); ein dahingehender Zwang besteht nicht.

Kriterien für das Premium-Siegel

Nach dem Ergebnis der Trilog-Verhandlungen verlangt das Führen des Premium-Siegels für Green Bonds im Wesentlichen die Erfüllung der folgenden vier Kriterien:

  1. Vereinbarkeit der Verwendung der Emissionserlöse mit der Taxonomie-VO (taxonomy aligned use of proceeds)

Nach Art. 4 ff. EUGBS-VO-E wird die Einhaltung des mittlerweile geläufigen Voraussetzungsquartetts ökologischer Nachhaltigkeit i.S.d. Art. 3 Taxonomie-VO verlangt: Die Emissionserlöse sind für eine Wirtschaftstätigkeit zu verwenden, die (1) einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der grundsätzlich sechs Umweltziele gem. Art. 9 Taxonomie-VO leistet, (2) gleichzeitig nicht mit einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer dieser Umweltziele einhergeht (no significant harm-Prinzip), (3) unter Einhaltung des in Art. 18 Taxonomie-VO umrissenen sozialen Mindestschutzes ausgeübt wird; und (4) den weitergehenden, durch die Kommission entwickelten technischen Bewertungskriterien entspricht. In Abweichung zum ursprünglichen Kommissionsentwurf wird die strenge Einhaltung dieser Kriterien nicht mehr für 100% der Emissionserlöse verlangt, sondern vorübergehend für bis zu 15% derselben gewisse Erleichterungen gewährt (sog. Flexibilitätsrahmen).

  1. Transparenz

Emittenten müssen zudem umfassende Transparenz über die nachhaltige Mittelverwendung über den Lebenszyklus des Green Bond herstellen. Verlangt werden Emissionspublizität mittels eines European Green Bond Factsheet, jährliche Verwendungsberichte (Allocation Reports), einmalig ein Auswirkungsbericht (Impact Report) und als Neuerung des Trilog-Kompromisses zusätzlich Auskunft darüber, wie sich der Green Bond in die allgemeine Transformationsstrategie des Emittenten einpasst.

  1. Prüfung

Dritte Säule, auf der der zukünftige Premium-Standard ruht, ist die Gewährleistung tatsächlicher Nachhaltigkeit und zweckkonformer Mittelwendung durch belastbare externe und unabhängige Prüfung von Bond und zweckgebundener Mittelverwendung.

  1. Registrierung und Überwachung

Die Prüfung soll durch eine Registrierungspflicht externer Green-Bond-Prüfer bei ESMA und sich anschließende laufende Überwachung durch dieselbe abgesichert werden. Damit setzt der Verordnungsgeber im Einzelnen umfassende, aus verwandten Regulierungsfeldern bekannte Instrumente ein.

Mittelbare Wirkungen auf weitere „grüne“ Fremdkapitalinstrumente

Als neue Option für Emittenten grüner Finanzinstrumente sieht die jüngste Einigung vor, dass die standardisierten Berichtsformate auch für sonstige nachhaltigkeitsorientierte Fremdkapitalinstrumente zur Verfügung stehen, die nicht für die Klassifizierung als EU Green Bond qualifizieren, aber gleichfalls den grünen Charakter der Kapitalaufnahme herausarbeiten wollen (z.B. sustainability-linked bonds). Ziel dürfte sein, ein intersubjektiv nachvollziehbares Reporting über Nachhaltigkeitsfaktoren in Anlehnung an den EUGBS für den gesamten grünen Fremdkapitalmarkt zu schaffen. Auch insoweit gilt (erst recht), dass Emittenten entsprechender grüner Finanzinstrumente die Reporting Templates verwenden können, aber nicht müssen.

Weiteres Verfahren und Inkrafttreten

Ungeachtet der grundsätzlichen Einigung im Trilog-Verfahren vom 28.2.2023 steht diese noch unter dem Vorbehalt der förmlichen Zustimmung von Rat und Europäischen Parlament. Nach dem Kommissionsentwurf sollte die EUGBS-VO in großen Teilen am 20. Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten (Art. 64 EUGBS-VO-E). Allerdings stellt die offizielle Kommunikation des Trilog-Ergebnisses nunmehr in Aussicht, dass die EUGBS-VO zwölf Monate nach ihrem Inkrafttreten Anwendung finden soll.