Montagsblog: Neues vom BGH

Sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers bei illegalen Internet-Downloads
Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 48/15

Der I. Zivilsenat hat seine mittlerweile etablierte Rechtsprechung zur Haftung des Anschlussinhabers für unter Nutzung des Anschlusses begangene Rechtsverletzungen weiter ausgebaut.

Die Klägerinnen nahmen den Beklagten wegen illegalen Zugänglichmachens von 15 Musiktiteln in einer Internet-Tauschbörse in Anspruch. Ein von den Klägerinnen beauftragtes Unternehmen hatte festgestellt, dass diese Titel (zusammen mit knapp 800 weiteren Titeln) zu einem bestimmten Zeitpunkt mittels eines Tauschbörsenprogramms zum Herunterladen verfügbar gehalten wurden. Die betreffende Internetadresse war zu diesem Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesen. Der Beklagte gab nach Abmahnung eine Unterlassungserklärung ab. Dem Begehren der Klägerinnen nach Schadensersatz trat er unter anderem mit dem Vortrag entgegen, er habe die Dateien nicht zum Download angeboten und er verfüge nicht über Anhaltspunkte dafür, dass seine Ehefrau oder seine beiden 15 und 17 Jahre alten Kinder die Rechtsverletzung begangen hätten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sein Internetanschluss – trotz Verschlüsselung und Zugangssicherung mittels Benutzername und Passwort – unberechtigt durch Dritte genutzt worden sei. Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.000 Euro und Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 Euro gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG sprach den Klägerinnen Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe von 3.000 Euro und Abmahnkosten in Höhe von 1.200,40 Euro zu.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Zur Frage der Passivlegitimation knüpft er an seine mittlerweile ständige Rechtsprechung an. Danach trägt der Rechtsinhaber die Darlegungs- und Beweislast für eine Rechtsverletzung. Es spricht aber eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn im Tatzeitpunkt keine anderen Personen den Anschluss benutzen konnten. Hinsichtlich des Bestehens solcher Nutzungsmöglichkeiten trifft den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast.

Der Anschlussinhaber kann die tatsächliche Vermutung zum einen dadurch ausräumen, dass er vorträgt, der Anschluss sei nicht hinreichend gesichert gewesen. Wenn der Rechtsinhaber diesen Vortrag nicht widerlegen kann, haftet der Anschlussinhaber nicht auf Schadensersatz. Wegen der unzureichenden Absicherung seines Anschlusses haftet er aber als so genannter Störer auf Unterlassung, Beseitigung und Ersatz der Abmahnkosten.

Der Anschlussinhaber kann die tatsächliche Vermutung auch dadurch ausräumen, dass er aufzeigt, andere Personen hätten Zugang zu dem Anschluss und Gelegenheit zur Begehung der Rechtsverletzung gehabt. Hierzu reicht aber, wie der BGH in der vorliegenden Entscheidung erneut hervorhebt, die allgemeine Behauptung, ein Dritter könnte Zugang gehabt haben, nicht aus. Im Streitfall blieb dem Beklagten die Berufung auf die mögliche Täterschaft eines Dritten im Ergebnis verwehrt, weil sein Anschluss verschlüsselt und passwortgesichert war und er keine konkrete Zugriffsmöglichkeit für Dritte aufgezeigt hatte.

Soweit der Anschlussinhaber anderen Personen den Zugang ermöglicht hat, muss er konkret vortragen, ob diese im Hinblick auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die Verletzungshandlung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen. Im Streitfall konnte der Beklagte seine Haftung auch auf diesem Weg nicht abwenden, weil er vorgetragen hatte, seine Ehefrau habe die Rechtsverletzung ebenfalls nicht begangen und seine Kinder dürften den Internetanschluss nur für 30 Minuten pro Tag nutzen und würden regelmäßig überwacht.

Praxistipp: Wenn außer dem Anschlussinhaber selbst nur Familienangehörige Zugang zu dem Internetanschluss hatten, hat der Anschlussinhaber letztendlich nur die Wahl, ob er sich selbst oder aber seine Angehörigen der Tat bezichtigen will. In dieser Lage wird es in der Regel wirtschaftlich vernünftiger sein, nach Abgabe der Unterlassungserklärung eine außergerichtliche Einigung über die Höhe des Schadensersatzes und der Abmahnkosten anzustreben.

Internetnutzung durch volljährige Mitbewohner, Besucher und Gäste
Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 86/15

Dass der Inhaber eines Internetanschlusses nicht immer in der Haftungsfalle sitzt, zeigt eine weitere, am gleichen Tag ergangene Entscheidung des I. Zivilsenats.

In diesem Fall nahm die Klägerin den Beklagten wegen illegalen Veröffentlichens eines Films in einer Internet-Tauschbörse in Anspruch. Im Zeitraum der Rechtsverletzung hatte der Beklagte Besuch von seiner Nichte und deren Lebensgefährten, die beide volljährig sind und in Australien leben. Diesen hatte er das Passwort für den Internetzugang mitgeteilt. Nach der Abmahnung räumte die – wieder nach Australien zurückgekehrte – Nichte ein, den Film ins Internet gestellt zu haben. Der Beklagte gab eine Unterlassungserklärung ab, verweigerte aber die Erstattung von Abmahnkosten. Die auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 Euro gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche, die Klage abweisende Urteil wieder her. Er verneint eine Haftung des Beklagten als Täter, weil die Rechtsverletzung durch dessen Nichte begangen wurde. Abweichend vom LG sieht er den Beklagten auch nicht als Störer an.

Als Störer haftet nach der Rechtsprechung des I. Zivilsenats, wer willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung eines geschützten Rechts beiträgt, etwa dadurch, dass er eine zumutbare Möglichkeit zur Verhinderung der Tat nicht wahrgenommen hat. Beim Inhaber eines Internetanschlusses sind diese Voraussetzungen typischerweise erfüllt, wenn er den Anschluss nicht durch Verschlüsselung und Passwortschutz gegen unbefugte Nutzung sichert oder wenn er minderjährige Familienangehörige oder Besucher nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt und ihnen eine Teilnahme verbietet.

Gegenüber volljährigen Familienangehörigen besteht eine entsprechende Pflicht zur Belehrung nicht, solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den Internetanschluss für rechtswidrige Zwecke nutzen. Dieser Grundsatz gilt nach der vorliegenden Entscheidung auch für volljährige Besucher, Gäste und Mitbewohner.

Praxistipp: Die Möglichkeit, einen volljährigen Dritten als verantwortlichen Täter zu benennen, wird wohl nur in Ausnahmefällen bestehen. Ein Dritter, der seine eigene Inanspruchnahme zu befürchten hat, wird nicht häufig geneigt sein, die Tat einzuräumen. Und eine Nichte aus Australien, die die Tat gesteht, wird eher selten beteiligt sein.

Erneut: TV-Übertragungen aus Gerichtssälen?

Inzwischen hat der Entwurf des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (EMöGG) den Bundesrat erreicht. Der Bundesrat hat darüber am 14.10.2016 verhandelt und einige Änderungswünsche angemeldet, hier die wesentlichen:

Nach dem Gesetzesentwurf gibt es keinerlei Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Übertragung einer Gerichtsverhandlung in einen Arbeitsraum. Es heißt lediglich, dass das Gericht die Übertragung zulassen kann. Die Vorschrift sollte daher dahingehend ergänzt werden, dass eine solche Übertragung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter nur möglich ist, wenn zu erwarten ist, dass die in dem Sitzungszimmer zur Verfügung stehenden Plätze nicht ausreichen.

Des Weiteren bittet der Bundesrat darum zu prüfen, ob nicht für den Zugriff auf hergestellte audiovisuelle Dokumentationen von Gerichtsverfahren eine bundeseinheitliche Regelung getroffen werden kann. Nach dem bisherigen Entwurf ist vorgesehen, dass die nach den Archivgesetzen zuständigen Archive auch für die Verwahrung und die damit zusammenhängenden Fragen zuständig werden. Da diese Gesetze im Bund und in den Ländern durchaus unterschiedlich sind, würde dies zu einer Rechtszersplitterung bezüglich der Sperrfristen führen. Insoweit meint der Bundesrat, dass eine Mindestschutzfrist von 30 Jahren nach dem Tode eines Betroffenen geregelt werden sollte.

Im Rahmen des SGG ist es nicht eindeutig, ob bei einem reinen Verkündungstermin die ehrenamtlichen Richter mitwirken müssen oder nicht. Da eine Anreise nur für einen Verkündungstermin mit Medienvertretern für die ehrenamtlichen Richter ein großer Aufwand wäre, möchte der Bundesrat erreichen, dass insoweit eine Anpassung des Gesetzes an die Rechtslage im ArbGG erfolgt. Dort ist eine Anwesenheit der ehrenamtlichen Richter bei einem Verkündungstermin ausdrücklich entbehrlich (§ 60 Abs. 3 S. 1 ArbGG).

Bezüglich der für Seh-, Hör- und Sprachbehinderte heranzuziehenden Übersetzer möchte der Bundesrat gerne die Möglichkeit einführen, dafür entstehende Kosten, die regelmäßig von den betroffenen Personen nicht erhoben werden, von einer anderen Person zu erheben, die die Prozesskosten tragen muss (z. B. weil sie den Prozess verloren hat). Der Bundesrat sieht keinen durchgreifenden Grund, beispielsweise den unterlegenen Prozessgegner in die Kostenprivilegierung für Behinderte aufzunehmen.

Die hier bereits mitgeteilten Beschlüsse des Deutschen Juristentages hat der Bundesrat offensichtlich nicht berücksichtigt. Die Änderungswünsche des Bundesrates erscheinen sachgerecht. Man darf gespannt sein, ob sie berücksichtigt werden.

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Eigeninteresse des gewillkürten Prozessstandschafters
Urteil vom 10. Juni 2016 – V ZR 125/15

Lehrreiche Ausführungen zur Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft finden sich in einer Entscheidung des V. Zivilsenats.

Die Klägerin, die gewerbliche Altkleidersammlungen durchführt, nahm die Beklagte, eine Wettbewerberin, die auf drei Grundstücken ohne Genehmigung der Eigentümer Altkleidercontainer aufgestellt hatte, auf Unterlassung in Anspruch. Die Eigentümer der betroffenen Grundstücke hatten sie hierzu ermächtigt. Die Klage hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Klage als unzulässig ab. Er nimmt Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die prozessuale Geltendmachung von Rechten Dritter zulässig ist, wenn der Rechtsinhaber zustimmt und der Kläger ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung des Anspruchs hat. Mit den Vorinstanzen hält er eine Prozessstandschaft auch bei Ansprüchen aus § 1004 BGB möglich, obwohl diese untrennbar mit dem dinglichen Recht verbunden und nicht selbständig übertragbar sind. Abweichend von LG und OLG verneint der BGH aber ein schutzwürdiges Eigeninteresse. Das Interesse der Klägerin, Wettbewerbsverstöße von Konkurrenten zu unterbinden, reicht nicht aus, weil es nicht auf die Verwirklichung des geltend gemachten Rechts gerichtet ist. Der Anspruch aus § 1004 BGB schützt das Interesse an der ungestörten Nutzung des Grundstücks. Ein darauf gerichtetes Interesse läge beim Kläger nur dann vor, wenn er mit den Eigentümern der betroffenen Grundstücke einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hätte und durch das beanstandete Verhalten in der Ausübung der daraus resultierenden Rechte gestört würde. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall aber nicht vor.

Praxistipp: Wenn eine Prozessstandschaft mangels hinreichenden Eigeninteresses nicht in Betracht kommt, bleibt in Konstellationen wie denen des Streitfalls nur die Möglichkeit, dass der Rechtsinhaber die Klage im eigenen Namen erhebt und der an der Klage eigentlich interessierte Dritte ihm die Übernahme aller anfallenden Kosten und sonstigen Nachteile zusagt.

Keine Präklusion einer Klageerweiterung
Urteil vom 20. September 2016 – VIII ZR 247/15

Dass auch die strengen Präklusionsvorschriften in §§ 530 ff. ZPO noch Fluchtmöglichkeiten bieten, verdeutlicht eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Zahlung einer Kaufpreisrate für eine Gaststätte in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung durch Versäumnisurteil zurück, weil der Kläger zum Verhandlungstermin nicht erschienen war. Einen Tag vor dem Termin zur Verhandlung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil erweiterte der Kläger sein Begehren auf eine weitere Kaufpreisrate. Zugleich stützte er das gesamte Klagebegehren hilfsweise auf neues tatsächliches Vorbringen. Das Berufungsgericht hielt das Versäumnisurteil aufrecht und wies die Berufung auch hinsichtlich des zusätzlich geltend gemachten Anspruchs zurück. Es hielt die Klageerweiterung zwar für sachdienlich. Das neue tatsächliche Vorbringen ließ es dennoch unberücksichtigt, weil die Klageerweiterung erkennbar nur den Sinn gehabt habe, den Verspätungsfolgen zu entgehen, und deshalb als missbräuchlich anzusehen sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Änderung oder Erweiterung einer Klage nicht als Angriffsmittel im Sinne von § 296, 530, 531 ZPO anzusehen ist, sondern als selbständiger prozessualer Angriff, dessen Zulässigkeit allein nach §§ 263, 264, 533 ZPO zu beurteilen ist. Wenn eine Klageerweiterung danach zulässig ist, dürfen auch die zu ihrer Begründung vorgetragenen Angriffsmittel nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Abweichend vom OLG lehnt der BGH eine Ausnahme von diesem Grundsatz auch für den Fall ab, dass die Klageerweiterung allein dem Zweck dient, solchen Vortrag dem Verspätungseinwand zu entziehen. Er hält allenfalls für möglich, das neue Vorbringen nur in Bezug auf den neu hinzugekommenen Teil des Streitgegenstands zu berücksichtigen und hinsichtlich des bisherigen Streitgegenstands – trotz des grundsätzlichen Verbots einander widersprechender Teilentscheidungen – ausnahmsweise durch Teilurteil zu entscheiden. Mit der Frage, ob diese Möglichkeit nach der Zurückverweisung an das OLG auch im Streitfall in Betracht kommt, befasst sich der BGH nicht.

Praxistipp: Der Beklagte kann eine solche „Flucht in die Klageerweiterung“ nur abwenden, indem er das Gericht davon überzeugt, dass die Klageerweiterung nicht sachdienlich ist oder dass die in der Berufungsinstanz zusätzlich erforderlichen Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.

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In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Vertragliches Abtretungsverbot und Unternehmensverschmelzung
Urteil vom 22. September 2016 – VI ZR 298/14

Mit der Reichweite von § 399 Fall 2 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der klagende Insolvenzverwalter machte Ansprüche auf restlichen Werklohn für Bauarbeiten geltend. Der zugrunde liegende Werkvertrag war von einer Gesellschaft geschlossen worden, deren Vermögen später im Wege der Verschmelzung auf die Insolvenzschuldnerin übergegangen war. Der Beklagte berief sich unter anderem auf Werkmängel und auf ein im Vertrag vereinbartes Abtretungsverbot. Die Klage hatte in erster und zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Er tritt der Auffassung des OLG bei, dass ein in einem Bauvertrag vereinbartes Abtretungsverbot dem Übergang der dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber gerichteten Zahlungsansprüche aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung nicht entgegensteht. Die dafür angeführten Gründe dürften auf andere Verträge und andere Formen der unternehmensrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge in gleicher Weise zutreffen.

Praxistipp: In einschlägigen Fällen ist sorgfältig zu prüfen, ob der Übergang des Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden hat oder durch Einzelübertragung der dem übertragenden Rechtsträger gehörenden Vermögensgegenstände. Die vorliegende Entscheidung betrifft nur die zuerst genannte Konstellation.

Neues Vorbringen und Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO
Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15

Mit dem Verhältnis zwischen § 529, § 531 und § 522 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über eine als Kapitalanlage erworbene Wohnung in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß. In der Berufungsinstanz machten die Beklagten unter anderem geltend, bestimmte Mieteinnahmen, die dem Kläger nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zugeflossen seien, müssten anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Das OLG wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück und ließ dabei das neue Vorbringen unberücksichtigt.

Der BGH verweist die Sache, soweit es um die zusätzlich angefallenen Mieteinnahmen geht, an das OLG zurück. Abweichend vom OLG ist er der Auffassung, dass der Umfang, in dem neues Vorbringen in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist, nicht davon abhängt, ob das Berufungsgericht durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet. Im Streitfall war das ergänzende Vorbringen schon deshalb zulässig, weil die betreffenden Tatsachen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden waren. Das Berufungsgericht musste diesen Vortrag auch bei einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO berücksichtigen.

Praxistipp: Wenn das neue Vorbringen Geschehen aus der Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrifft, muss die vortragende Partei, um eine Präklusion nach § 531 Abs. 2 ZPO zu vermeiden, stets darlegen, weshalb der Vortrag nicht schon in erster Instanz erfolgt ist.

Beweiswürdigung nach Versterben eines Zeugen
Urteil vom 16. August 2016 – X ZR 96/14

Mit einer nicht alltäglichen Situation befasst sich der X. Zivilsenat – als Berufungsgericht – in einer Patentnichtigkeitssache.

Das in erster Instanz zuständige Bundespatentgericht hatte ein Patent für nichtig erklärt und diese Entscheidung unter anderem auf die Aussage eines Zeugen gestützt, der angegeben hatte, ein Datenblatt, das die Erfindung offenbare, sei der Öffentlichkeit schon vor dem Prioritätstag zugänglich gewesen. Mit der Berufung – über die in Patentnichtigkeitssachen der BGH zu entscheiden hat – griff die Patentinhaberin diese Würdigung an. Eine erneute Vernehmung des Zeugen war nicht möglich, weil dieser in der Zwischenzeit verstorben war.

Der BGH weist die Nichtigkeitsklage ab. Nach seiner Einschätzung ergeben sich aus dem Vernehmungsprotokoll erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage. Nach den insoweit maßgeblichen Regelungen der ZPO darf ein Berufungsgericht eine solche Schlussfolgerung zwar grundsätzlich nicht ziehen, ohne den Zeugen erneut zu vernehmen. Dies gilt aber nicht, wenn der Zeuge nach der erstinstanzlichen Vernehmung verstorben ist.

Praxistipp: Die Partei, zu deren Gunsten der Zeuge ausgesagt hat, sollte nach dessen Versterben alle in Betracht kommenden Anstrengungen unternehmen, um andere Beweismittel an die Hand zu bekommen.

Der Einzelrichter beim BGH

Wird gegen den Streitwertbeschluss eines Einzelrichters beim Landgericht Beschwerde beim BGH eingelegt, entscheidet hierüber der Einzelrichter beim BGH. Der I. Zivilsenat des BGH setzt mit seiner Entscheidung vom 01.09.2016 – I ZB 70/16 – seine Rechtsprechung vom 23.04.2015 – I ZB 73/14 – fort. Dort hatte der BGH entschieden, dass für die Kostenerinnerung gegen eine Kostenrechnung des BGH der Einzelrichter beim BGH zuständig ist. In der neuen Entscheidung hat der BGH für die Einzelrichterzuständigkeit § 68 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 S. 1 GKG angewendet.

 

In der benannten Entscheidung vom 01.09.2016 hat der BGH zugleich die Beschwerde gegen eine Streitwertfestsetzung eines Landgerichts für unstatthaft befunden. Denn eine Streitwertbeschwerde zum BGH ist nicht gegeben (§ 68 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Nicht richtig erscheint die Kostenentscheidung. Der BGH hat die Kosten dem Beschwerdeführer nach § 97 ZPO auferlegt. Dass insoweit § 68 Abs. 3 S. 2 GKG, der eine Kostenerstattung ausschließt, nicht zur Anwendung kommen kann, erörtert der BGH indes nicht.

 

 

 

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Zurechnung von sittenwidrigem Handeln und Vorsatz
Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15

Mit grundlegenden Fragen der Haftungszurechnung nach § 31 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die beklagte Aktiengesellschaft war Mitherausgeberin eines Prospekts für einen geschlossenen Immobilienfonds. Die Kläger, die einen Fondsanteil erwarben, begehrten die Rückabwicklung ihrer Beteiligung, unter anderem mit der Begründung, im Prospekt sei ein bestehender Altlastenverdacht nicht erwähnt worden. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Es bejahte einen Ersatzanspruch der Kläger aus § 826 BGB, weil die unterlassene Aufklärung über den Altlastenverdacht verwerflich sei und die Beklagte jedenfalls das bei ihren Sachbearbeitern vorhandene Wissen gegen sich gelten lassen müsse.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass der Prospekt ohne einen Hinweis auf die Altlastenproblematik fehlerhaft war. Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit bedarf es aber zusätzlicher Umstände, etwa einer bewussten Täuschung. Dabei ist grundsätzlich nur der Kenntnisstand von Personen maßgeblich, für deren Verhalten die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, also von Vorständen und sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertretern. Ob darüber hinaus die für den rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelten Grundsätze über die Wissenszurechnung herangezogen werden können, lässt der BGH offen. Nicht zulässig ist jedenfalls eine „mosaikartige“ Zusammenstellung des Wissens von mehreren Mitarbeitern. Entsprechendes gilt für den gemäß § 826 BGB erforderlichen Vorsatz.

Praxistipp: Wenn ungewiss ist, ob der erforderliche Kenntnisstand für die gesetzlichen Vertreter nachgewiesen werden kann, sollte besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, wer als verfassungsmäßiger Vertreter der Gesellschaft in Betracht kommt.

Wahrunterstellung einer Behauptung
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZR 178/15

Mit den Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten vom Kläger eine Vierzimmerwohnung gemietet. Ende 2012 kündigte der Kläger den Mietvertrag mit der Begründung, sei Sohn wolle die Wohnung zusammen mit einem langjährigen Freund nutzen. Die Beklagten traten der Kündigung entgegen und machten in der Berufungsinstanz unter anderem geltend, die Geltendmachung von Eigenbedarf sei nicht glaubhaft, weil der Kläger nach den Angaben seines erstinstanzlich als Zeuge vernommenen Sohnes ein halbes Jahr vor der Kündigung eine frei gewordene Wohnung im gleichen Haus anderweit vermietet habe, obwohl der Sohn des Klägers den Entschluss, einen eigenen Hausstand zu gründen, schon geraume Zeit zuvor gefasst und dies mit dem Kläger auch besprochen habe. Zum Beweis benannten die Beklagten den Freund des Sohnes. Das LG wies die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Räumungsurteil ohne weitere Beweisaufnahme zurück. Zur Begründung führte es unter anderem an, aus den glaubhaften Angaben des Sohnes ergebe sich, dass ein fester Entschluss zur Gründung eines eigenen Hausstands erst kurz vor der Kündigung gefasst worden sei; aus der Behauptung, der Sohn habe sich mit seinem Freund schon längere Zeit zuvor über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, könnten keine abweichenden Schlussfolgerungen gezogen werden.

Der BGH verweist die Sache – die schon zum zweiten Mal in die Revisionsinstanz gelangt war – erneut an eine andere Kammer des LG zurück. Er bewertet das Absehen von einer Vernehmung des in zweiter Instanz benannten Zeugen als Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar kann eine Beweisaufnahme unterbleiben, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung unerheblich ist. Hierbei ist die Behauptung aber mit dem Inhalt heranzuziehen, wie die Partei sie aufgestellt hat. Im Streitfall bezieht sich der Beweisantrag nicht nur auf die Behauptung, der Sohn des Klägers habe gegenüber dessen Freund schon geraume Zeit vor der Kündigung Auszugsabsichten geäußert, sondern auch darauf, dass damals bereits ein fester Entschluss gefasst worden sei. Wenn die zuletzt genannte Behauptung zutrifft, schließt dies eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gegenüber den Beklagten zwar nicht per se aus. Der Zeitpunkt, zu dem der Eigenbedarf entstanden ist, kann aber für Frage von Bedeutung sein, ob der Nutzungswunsch ernsthaft ist.

Praxistipp: Bei umfangreichem und komplexem Tatsachenvortrag sollte stets unmissverständlich klargestellt werden, worauf sich ein Beweisangebot im Einzelnen bezieht.

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Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich Hygieneverstößen im Krankenhaus
Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15

Mit Fragen der Beweis- und Darlegungslast befasst sich der VI. Zivilsenat in einer Arzthaftungssache.

Der Kläger ließ sich wegen eines Tennisarms operieren. Nach kurzer Zeit stellten sich erneut anhaltende Schmerzen ein. Bei einer Revisionsoperation wurde eine Wundinfektion mit starker Eiterbildung festgestellt. In der Folgezeit wurden weitere Operationen erforderlich. Dennoch verblieben dauerhafte Schmerzen. Der Kläger nahm deshalb die Krankenhausträgerin auf Schadensersatz in Anspruch, unter anderem mit der Behauptung, zu der Wundinfektion sei es gekommen, weil er nach der ersten Operation in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht gewesen sei, der an einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich gelitten habe. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass die Beweislast für die Ursache der Wundinfektion beim Kläger liegt. Zwar tritt eine Umkehr der Beweislast ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können. Vorgänge im lebenden Organismus und damit Wundinfektionen gehören aber nicht zu dieser Kategorie. Abweichend von der Auffassung des OLG bejaht der BGH aber eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten, weil der Kläger konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen hat. Die Unterbringung zusammen mit einem Patienten, der an einer offenen und infizierten Wunde leidet, stellt zwar nicht per se einen Behandlungsfehler dar. Sie erfordert aber besondere Vorkehrungen, die in einer Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Institutes näher beschrieben sind. Ob diese Anforderungen eingehalten wurden, ist eine Frage der inneren Organisation des Krankenhausbetriebs. Deshalb trifft den Krankenhausträger insoweit eine sekundäre Darlegungslast.

Praxistipp: Um eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten zu begründen, muss der Kläger all das vortragen, was ihm aus eigener Anschauung zugänglich ist.

Stellung des selbstständigen Streithelfers
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZB 96/15

Mit grundlegenden Fragen zur Stellung eines Streithelfers befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte für Forderungen des Beklagten gegen den Streithelfer aus einem Wohnungsmietvertrag eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Auf Verlangen des Vermieters erbrachte sie Zahlungen auf rückständige Nebenkosten. Später begehrte sie Rückzahlung dieser Beträge, weil die Nebenkostenabrechnungen unzutreffend seien. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Gegen diese Entscheidung legte lediglich der Streithelfer Berufung ein, den die Klägerin in der Zwischenzeit auf Regress in Anspruch genommen hatte. Das LG wies die Berufung als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es aus, die zunächst im eigenen Namen als „selbstständiges“ Rechtsmittel eingelegte Berufung des Streithelfers sei unzulässig, weil ein Fall der selbstständigen Streithilfe (§ 69 ZPO) nicht vorliege. Die später zugunsten der Klägerin geführte („unselbstständige“) Berufung sei unzulässig, weil der Streithelfer sie nicht begründet habe und weil die Klägerin durch die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Streithelfer zu erkennen gegeben habe, dass sie die Abweisung der Klage nicht anfechten wolle.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. Mit dem LG hält er die Voraussetzungen für eine selbstständige Streithilfe (streitgenössische Nebenintervention) gemäß § 69 ZPO für nicht gegeben, weil ein Urteil im Prozess zwischen Gläubiger und Bürge grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hautschuldner entfaltet. Er stellt aber klar, dass auch ein selbstständiger Streithelfer durch Einlegung eines Rechtsmittels nicht Partei des  Rechtsstreits wird. Ein selbstständiger Streithelfer kann zwar (abweichend von den für einen einfachen Streithelfer in § 67 ZPO vorgesehenen Beschränkungen) auch gegen den Willen der unterstützten Hauptpartei Rechtsmittel einlegen und Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend machen; deshalb ist ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel gegebenenfalls getrennt von einem Rechtsmittel der Hauptpartei zu beurteilen. Dennoch handelt es sich stets um ein zugunsten der Hauptpartei eingelegtes Rechtsmittel. Wenn sich im Laufe des Berufungsverfahrens ergibt, dass die Voraussetzungen des § 69 ZPO entgegen der Einschätzung des Streithelfers nicht vorliegen, hängt die Zulässigkeit der Berufung deshalb – entgegen den komplexen Überlegungen des LG – allein von der Frage ab, ob die unterstütze Hauptpartei dem Rechtsmittel widersprochen hat. Diese Voraussetzung war im Streitfall entgegen der Auffassung des LG nicht erfüllt. Ein Widerspruch kann zwar auch konkludent erklärt werden. Aus dem Umstand, dass die Klägerin Regressansprüche gegen den Streithelfer geltend macht, kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, sie wolle einer weiteren Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche gegen den Beklagten entgegentreten.

Praxistipp: Ein Streithelfer sollte ein Rechtsmittel stets „zur Unterstützung der Hauptpartei“ einlegen und sich nicht auf Erörterungen zu der Frage einlassen, ob es sich um ein „selbstständiges“ oder ein „unselbstständiges“ Rechtsmittel handelt.

TV-Übertragungen aus Gerichtssälen?

Die Beschäftigung mit diesem Thema gewinnt an Fahrt. Der 71. Deutsche Juristentag in Essen hat sich damit befasst, es gibt auch bereits einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Das Gesetz soll im Wesentlichen § 169 GVG ändern und trägt die schöne Abkürzung (EMöGG); Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren.

Vorgesehen ist nunmehr – in Anlehnung an Beschlüsse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – folgendes: Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können, bei erheblichem Medieninteresse sollen an allen Gerichten Arbeitsräume für Medienvertreter mit Tonübertragungen eingerichtet werden, Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sollen audio-visuell dokumentiert werden können. Wenigstens könnten sich mit diesem Entwurf die noch weitergehenden Forderungen erledigen (z.B. Forderungen nach einer Übertragung von Gerichtsverhandlungen direkt im Fernsehen oder im Internet). Derartiges wäre auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte von beteiligten Personen, vor allem solchen, die aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen in ein Verfahren hineingezogen werden, mehr als problematisch.

Der Deutsche Juristentag hat sich wie folgt entschieden: Bei Hauptverhandlungen an den obersten Gerichtshöfen des Bundes sollten – wie derzeit schon beim BVerfG (§ 17a BVerfGG) – Bild- und Tonaufnahmen von dem Beginn der Verhandlung sowie von der Urteilsverkündung nebst Begründung zugelassen werden. Videoübertragungen in andere Säle sollten nicht zulässig sein, dasselbe gilt für Übertragungen in einen Medienraum. Die Entscheidung des Deutschen Juristentages sind alle zu begrüßen.

Der Aufwand, der für die Justiz durch diese Regelungen entsteht, wird allerdings stark unterschätzt. Die technischen Voraussetzungen zu schaffen, ist nicht einfach. Es müsste das dafür erforderlich Personal (was faktisch nicht geschieht) und die Technik zur Verfügung gestellt werden. Verfahren mit großem Medieninteresse führen ohnehin zu einer erheblichen Mehrarbeit zahlreicher Justizorgane, die an kaum einer Stelle in den vorgegebenen Pensen, nach denen sich in der Justiz alles ohne Rücksicht auf die tatsächliche Belastung und die sonstigen Umstände richtet, berücksichtigt wird. Der geschickte Strafverteidiger wird, selbst wenn wie vorgesehen, die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse unanfechtbar sind, sicherlich reichlich Angriffsstoff für Verfahrensrügen finden können.

Von daher werden es sich bestenfalls die obersten Bundesgerichte leisten können, den anvisierten Aufwand zu betreiben. Den Instanzgerichten sollte man dies eher nicht zumuten. Erfahrungsgemäß dürfte jedoch nicht zu erwarten sein, dass sich an dem Gesetzesentwurf noch etwas ändern wird. Vielmehr wird – wie stets – ohne größere Rücksichtnahme auf weitere Sachargumente der Gesetzesentwurf zum Gesetz. Aber immerhin: Es hätte noch viel schlimmer kommen können! Und vielleicht kehrt dann diesbezüglich endlich wieder Ruhe ein.

 

Kostenerstattung: OLG München stellt sich gegen BGH

Nimmt eine mit einer Klage oder einem Rechtsmittel überzogene Partei anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die hierdurch ausgelösten Kosten auch dann erstattungsfähig, wenn der Kläger bzw. Rechtsmittelführer seine Anträge zwischenzeitlich zurückgenommen hat; dies gilt nur dann nicht, wenn die anwaltliche Hilfe suchende Partei oder ihr Vertreter von der Rücknahme weiß oder schuldhaft nicht weiß. Mit dieser im Beschluss vom 30.08.2016 (11 WF 733/16) vertretenen Auffassung stellt sich das OLG München gegen die Entscheidung des BGH vom 25.02.2016 (III ZB 66/15). Die Entscheidung des BGH ist in MDR 2016, 503 ablehnend besprochen worden. Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Nunmehr wird sich der XII. Senat beim BGH mit dieser Fragestellung beschäftigen können.

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Gutachterkosten nach Verkehrsunfall
Urteil vom 19. Juli 2016 – VI ZR 491/15

Einen pragmatischen Ansatz verfolgt der VI. Zivilsenat hinsichtlich einer praktisch häufig auftretenden Frage.

Ein Geschädigter hatte nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen mit der Begutachtung seines Fahrzeugs betraut. Der Sachverständige ließ sich die aus dem Unfall resultierenden Ansprüche auf Ersatz der Gutachterkosten abtreten. Die Haftpflichtversicherung des Geschädigten hielt das Gutachten für unbrauchbar und verweigerte die Zahlung. Die daraufhin erhobene Klage hatte beim AG zum überwiegenden Teil und beim LG in vollem Umfang Erfolg. Das LG hielt das Gutachten für nicht völlig unbrauchbar und die geltend gemachten Kosten für angemessen, weil nicht ersichtlich sei, dass dem Geschädigten ein Auswahlverschulden zur Last falle.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Mit dem LG ist er der Auffassung, dass ein Geschädigter grundsätzlich nicht gehalten ist, vor der Beauftragung eines Sachverständigen den Markt zu erforschen. Deshalb darf der Geschädigte grundsätzlich Ersatz desjenigen Betrags verlangen, den er an den Sachverständigen gezahlt hat. Ein bloßes Bestreiten der Schadenshöhe ist in solchen Fällen irrelevant. Abweichend vom LG beschränkt der BGH diese subjektbezogene Schadensbetrachtung aber auf Konstellationen, in denen der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen selbst beglichen hat. Ein Sachverständiger, der sich stattdessen die Ersatzforderung des Geschädigten abtreten lässt, muss bei Bestreiten der Gegenseite zur Angemessenheit seiner Forderung näher vortragen.

Praxistipp: Ein Geschädigter, der Ersatzansprüche an einen Sachverständigen abtritt, sollte sich vor der Abtretung vom Sachverständigen bestätigen, dass er nur insoweit zur Honorarzahlung verpflichtet ist, als sich die Anspruchshöhe im Verhältnis zum Geschädigten als angemessen erweist.

Doppelter Formmangel eines Schenkungsvertrags
Urteil vom 28. Juni 2016 – X ZR 65/14

Mit einem Fall des Doppelmangels befasst sich der X. Zivilsenat.

Die spätere Erblasserin hatte den Beklagten bevollmächtigt, über alle von ihr gehaltene Fondanteile – die im Wesentlichen ihr gesamtes Vermögen ausmachten – auch zu eigenen Gunsten zu verfügen. Wenige Stunden vor dem Tod der Erblasserin veräußerte der Beklagte aufgrund dieser Vollmacht Fondanteile der Erblasserin und ließ sich den Erlös auf sein eigenes Konto überweisen. Die Rückzahlungsklage der Erben hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies die Klage ab, mit der Begründung, die Erblasserin habe ein Schenkungsversprechen erteilt, das zunächst formnichtig gewesen, mit der Gutschrift des Veräußerungserlöses aber wirksam geworden sei.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er stellt klar, dass der Vollzug der vom OLG festgestellten Schenkung zwar gemäß § 518 Abs. 2 BGB den Mangel der für ein Schenkungsversprechen in § 518 Abs. 1 vorgesehenen Form heilt, nicht aber den Mangel der in § 311b Abs. 3 BGB vorgesehenen Form für einen Vertrag, in dem sich ein Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen.

Praxistipp: Wenn das Schenkungsversprechen nicht unter § 311b Abs. 3 BGB fällt, müssen die Erben darauf bedacht sein, eine erteilte Vollmacht möglichst zeitnah zu widerrufen. In der hier zugrunde liegenden Fallgestaltung wäre es dafür allerdings zu spät gewesen.