BGH: Anforderungen an Wiedereinsetzungsantrag bei verlorenem Schriftsatz

Trotz EGVP, beA, FAX usw. werden noch zahlreiche Schriftsätze mit einfacher Post, auch Schneckenpost genannt, versandt. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Das Gefühl des Einwerfens eines großen Umschlages mit einem selbst verfassten Schreiben in einen gelben Kasten ist im Übrigen durch nichts zu ersetzen! Was aber, wenn ein solches Schreiben auf dem Postweg verloren geht? Dies ereignet sich durchaus. An sich ist dies kein großes Problem. Da man sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass bei der Post nichts verloren geht, kann in einem solchen Fall ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden.

Mit einem solchen Antrag darf man es sich dann aber nicht zu einfach machen. Klar ist, dass der untergegangene Schriftsatz in Kopie vorgelegt werden muss. Im konkreten Fall (BGH, Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) hatte die Prozessbevollmächtigte daneben nur ausgeführt, der Schriftsatz sei bei der Post aufgegeben worden. Dies war dem OLG zu wenig. Das Rechtsmittel wurde verworfen. Aber auch die Rechtsbeschwerde war erfolglos!

Nach ständiger Rechtsprechung muss in derartigen Fällen durch eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft gemacht werden, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich des Versenders eingetreten ist. Zu dieser Schilderung gehören natürlich die Einzelheiten, wann und wo der Schriftsatz abgegeben wurde. Diese fehlten hier.

Zwar hatte die Prozessbevollmächtigte diese Angaben später nachgeholt, dies war aber zu spät, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war! Es können außerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nur unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, deren weitere Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, berichtigt bzw. nachgetragen werden. Dies gilt indes nicht für – wie hier – vollständig fehlende Angaben. Der Prozessbevollmächtigten musste all dies auch bekannt sein, eines Hinweises des OLG darauf bedurfte es daher nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Klagebefugnisse einer Wohnungseigentümergemeinschaft.

Abwehr von Störungen des Sondereigentums
Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 41/19

Mit der Reichweite von § 9a Abs. 2 WEG befasst sich der V. Zivilsenat.

Dem Kläger steht das Nießbrauchsrecht an einer Eigentumswohnung zu. Der Beklagte ist Eigentümer einer zu derselben Anlage gehörenden Wohneinheit, die aus einem Einzelhaus besteht. Der Kläger macht geltend, Geschosszahl und Gebäudehöhe dieses Hauses widersprächen den Vorgaben der Teilungserklärung. Er begehrt deshalb in Prozessstandschaft für die Eigentümerin der von ihm genutzten Wohnung Schadensersatz wegen Wertminderung in Höhe von 55.000 Euro. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH lässt offen, ob die Gebäudehöhe in Einklang mit der Teilungserklärung steht, und weist die Klage – insoweit abweichend von der Vorinstanz – bereits als unzulässig ab.

Auf eine Beeinträchtigung des Sondereigentums kann die Klage weder nach altem noch nach neuem Recht gestützt werden. Nach der seit 1. Dezember 2020 geltenden Regelung in § 9a Abs. 2 WEG ist die Ausübung von Rechten aus dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehalten. Zu diesen Rechten gehören nicht nur Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung, sondern auch daran anknüpfende Sekundäransprüche. Da die Klage im Streitfall vor diesem Stichtag erhoben wurde, bliebe eine nach altem Recht bestehende Klagebefugnis zwar bestehen. Nach der insoweit maßgeblichen Regelung in § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. war die Wohnungseigentümerin, deren Rechte der Kläger geltend macht, aber ebenfalls nicht klagebefugt. Der BGH lässt dabei offen, ob der Inhaber eines Beseitigungsanspruchs – der nach altem Recht grundsätzlich vom einzelnen Eigentümer geltend gemacht werden konnte – gemäß § 281 Abs. 4 BGB nach erfolgloser Fristsetzung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann. Die Geltendmachung eines solche Schadensersatzanspruchs durch einen einzelnen Wohnungseigentümer widerspräche jedenfalls einer geordneten Verwaltung des Gemeinschaftseigentums. Der Anspruch ist deshalb gemeinschaftsbezogen im Sinne von § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. und kann nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden.

Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche wegen Beeinträchtigung seines Sondereigentums darf ein einzelner Wohnungseigentümer sowohl nach altem wie nach neuem Recht alleine geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von der geltend gemachten Störung betroffen ist. Diese Befugnis gilt auch für einen Entschädigungsanspruch, den § 14 Abs. 3 WEG für den Fall vorsieht, dass der betroffene Eigentümer eine über das zumutbare Maß hinausgehende Störung ausnahmsweise zu dulden hat. Eine solche Duldungspflicht ist im Streitfall nicht ersichtlich. Der Kläger macht vielmehr einen Schadensersatzanspruch aus § 280 und § 281 BGB geltend. Solche Ansprüche können sowohl nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. als auch nach § 9a Abs. 2 WEG n.F. nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden.

Praxistipp: Die Geltendmachung von Ansprüchen durch einen einzelnen Wohnungseigentümer hat nach neuem Recht nur noch dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Entschädigung nach § 14 Abs. 3 WEG gerichtet und auf eine Beeinträchtigung des Sondereigentums gestützt sind.

OLG Celle zur Maskenpflicht und Kostenpflicht

Im Rahmen eines umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahrens vor dem LG Hildesheim, das schon 19 Verhandlungstage dauerte, weigerte sich der Verteidiger eines Angeklagten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, obgleich der Vorsitzende eine entsprechende Anordnung getroffen hatte, die von der Kammer bestätigt worden war. Daraufhin wurde das Verfahren gegen diesen Angeklagten nach § 145 Abs. 1 StPO abgetrennt und anschließend ausgesetzt. Zugleich wurde der Verteidiger gemäß § 145 Abs. 4 StPO mit den durch die Aussetzung verursachten Kosten belastet.

Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb bei dem OLG Celle (Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Ws 91/21) ohne Erfolg. Das OLG bezeichnete das Vorgehen der Kammer in einem sehr ausführlichen Beschluss sogar als vorbildlich verantwortungsbewusst im Hinblick auf die Infektionslage, auch im Hinblick auf die Plexiglaswände. Durch sein Verhalten habe der Verteidiger eine Verhandlungsunfähigkeit herbeigeführt, wie sie auch im Rahmen einer Trunkenheit angenommen wird. Natürlich steht der für ganz andere Fälle geschaffene § 176 Abs. 2 GVG, wonach an der Verhandlung teilnehmende Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen, dem nicht entgegen. Der Verteidiger habe – trotz Hinweises – auch kein ärztliches Attest vorgelegt, dass ihm das Tragen einer Maske nicht zuzumuten sei. Ansonsten sei die Maske bestenfalls lästig. Das Landgericht habe sogar transparente Masken beschafft, um den Beteiligten zu ermöglichen, die Mimik der Beteiligten zu beobachten. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Kostenauferlegung als richtig.

BGH zur hinreichenden Individualisierung von Forderungen zur Unterbrechung der Verjährung

Der BGH (Beschl. v. 23.2.2021 – II ZR 89/20) musste entscheiden, ob eine erhobene Klage tatsächlich verjährungsunterbrechende Wirkung hatte. Der klagende Insolvenzverwalter hatte zur Bestimmung seiner Zahlungsforderung gegen den Beklagten, einen Kommanditisten, eine Tabelle nach § 175 InsO vorgelegt. Darin waren lediglich Stichworte wie Warenlieferung, Darlehen, Dienstleistungsvertrag, Gewerbesteuer enthalten. Die Tatsacheninstanzen hatten dies nicht für ausreichend gehalten. Der BGH sieht dies einmal mehr anders.

Erforderlich für die Verjährungsunterbrechung ist nicht eine schlüssige und substantiierte Klage. Ausreichend ist es vielmehr, wenn der Anspruch identifizierbar ist, d. h. von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt ist, so dass er Grundlage eines rechtskraftfähigen Vollstreckungstitels sein kann. Hier hatte der Kläger mit der Klage eine später aktualisierte Forderungsaufstellung vorgelegt, worin die einzelnen Forderungen mit laufender Nummer, Gläubiger und Betrag aufgeführt waren. Weiterhin wurde auf die Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren nach § 174 Abs. 1 und Abs. 2 InsO Bezug genommen. Dies ist als ausreichend anzusehen.

Fazit: Man kann sich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren, dass der BGH beständig damit beschäftigt ist, denjenigen, die möglichst unsorgfältig arbeiten, auch noch das Durchsetzen ihrer Ansprüche zu erleichtern.

 

 

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Diese Woche geht es um eine fast immer auftretende, aber nur selten im Fokus stehende Frage des Schadensersatzrechts.

Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten
Urteil vom 22. Juni 2021 – VI ZR 353/20

Mit den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkw mit nicht regelkonformem Dieselmotor (Typ EA189) geltend. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zum überwiegenden Teil zurück, wies die Klage jedoch ab, soweit der Kläger Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten begehrt.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Vorgerichtliche Anwaltskosten für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gehören zu dem zu ersetzenden Schaden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Zum einen muss die Beauftragung eines Anwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung aus der Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen sein. Hierzu hat das OLG im Streitfall keine Feststellungen getroffen.

Darüber hinaus müssen die Kosten tatsächlich entstanden sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Mandat zunächst auf eine außergerichtliche Tätigkeit beschränkt ist oder wenn ein Prozessauftrag nur bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilt wird. Erteilt der Mandant von Beginn an den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, fällt eine Geschäftsgebühr für außergerichtliche Tätigkeit (Nr. 2300 RVG) hingegen nicht an.

Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist das Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und dessen Anwalt. Das Auftreten des Rechtsanwalts gegenüber dem Schuldner kann aber ein Indiz bilden. Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich beim Geschädigten. Im Streitfall hatte der Anwalt des Klägers im ersten Schreiben an die Beklagte mitgeteilt, es werde Klage erhoben, wenn innerhalb der gesetzten Frist keine Zahlung erfolge. Dies durfte das OLG als Indiz für die Erteilung eines unbedingten Klageauftrags werten. Es lag am Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass er seinen Anwalt zunächst nur mit der vorgerichtlichen Vertretung betraut hat.

Praxistipp: Um Probleme bei der Beweisführung zu vermeiden, sollte das Mandat schriftlich erteilt oder bestätigt werden.

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Diese Woche geht es um eine wohl des Öfteren auftretende Frage aus dem Bereich der Rechtsschutzversicherung.

Herausgabe zurückgezahlter Gerichtskosten an den Rechtsschutzversicherer
Beschluss vom 10. Juni 2021 – IX ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen Anwalt, Mandant und Rechtsschutzversicherer bei Erstattung unverbrauchter Gerichtskosten befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Beklagten, eine Rechtsanwaltssozietät und ein für diese tätiger Anwalt, hatten ein bei der Klägerin rechtsschutzversichertes Ehepaar bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Bank gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klägerin hatte eine Deckungszusage zunächst abgelehnt und später nur für das Klageverfahren in erster Instanz erteilt, nicht aber für die außergerichtliche Vertretung. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Das Gericht überwies unverbrauchte Gerichtskosten in Höhe von rund 2.800 Euro an die Sozietät. Von der Bank erhielt sie die Hälfte der den Mandanten entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Darin enthalten war eine hälftige Verfahrensgebühr in Höhe von rund 900 Euro. Von dem Gesamtbetrag von rund 3.700 Euro zogen die Beklagten die nach dem Vergleich von den Mandanten zu tragende zweite Hälfte der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Kosten für die Einholung der Deckungszusage – insgesamt rund 2.100 Euro – ab. Insoweit erklärten sie namens der Mandanten die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung dieser Kosten. Die auf Zahlung des Abzugsbetrags gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagten waren gemäß § 667 BGB verpflichtet, die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge an die Mandanten herauszugeben. Dieser Anspruch ist gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Pflicht zur Zahlung der Gerichtsgebühren und der Anwaltsvergütung für die gerichtliche Tätigkeit war ein versicherter Schaden, dessen Ausgleich die Leistung der Klägerin diente. Die Mandanten dürfen die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge nicht aufgrund eines Quotenvorrechts dafür einsetzen, um die von der Klägerin nicht übernommenen Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Einholung der Deckungszusage abzudecken. Dieser Schaden ist nicht kongruent mit dem versicherten Risiko. Die namens der Mandanten erklärte Aufrechnung ist schon deshalb unwirksam, weil diese nicht Schuldner der geltend gemachten Forderung sind.

Praxistipp: Eine Aufrechnung mit offenen Vergütungsforderungen gegen die Mandanten ist in der in Rede stehenden Konstellation nach Maßgabe von § 406 und § 407 BGB möglich. Im Streitfall schied diese Möglichkeit aus, weil die Mandanten die gesamte Vergütung bereits bezahlt hatten.

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Diese Woche geht es um die Organisations- und Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts beim Versand von Schriftsätzen über beA.

Eingang eines über beA eingereichten Dokuments
Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20

Mit der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Gebrauchtwagenkauf geltend. Ihre Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Die Beklagte legte fristgerecht Berufung ein. Nach Ablauf der Frist für die Begründung des Rechtsmittels wies das OLG darauf hin, dass eine Begründung nicht eingegangen sei. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung und machte geltend, die dafür zuständige Fachangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten habe die Begründung am letzten Tag der Frist über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermittelt. Bei der durch Arbeitsanweisung vorgeschriebenen Überprüfung hinsichtlich Versand und Fehlermeldungen seien Fehler nicht zu erkennen gewesen. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde der Klägerin als unzulässig, weil alle relevanten Rechtsfragen bereits geklärt sind.

Das OLG hat zu Recht entschieden, dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegangen ist. Aus dem von der Klägerin vorgelegten beA-Übermittlungsprotokoll ergibt sich, dass die vor Fristablauf versandte Nachricht mit der Berufungsbegründung zwar an den Rechner der Bundesrechtsanwaltskammer übermittelt, von dort aber nicht an den Empfangsrechner des OLG, den so genannten Intermediär, weitergeleitet worden ist. Der BGH hat bereits entschieden, dass der Eingang auf dem für das Gericht bestimmten Intermediär ausreichend, aber auch erforderlich ist (MDR 2020, 1272).

Ebenfalls zu Recht hat das OLG die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Ein Rechtsanwalt muss seine mit dem Versand von Dokumenten über beA betrauten Mitarbeiter anweisen, nach dem Versand zu überprüfen, ob die automatisierte Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO vorliegt. Dies hat das BAG bereits vor einiger Zeit entschieden (NJW 2019, 2793). Eine solche Überprüfung war in der im Streitfall maßgeblichen Arbeitsanweisung nicht vorgeschrieben. Wäre sie erfolgt, so wäre der Übermittlungsfehler zu Tage getreten.

Praxistipp: Im beA gibt es zusätzlich zu der Eingangsbestätigung auch ein Prüfprotokoll und ein Übermittlungsprotokoll. Aus diesen Protokollen können zwar bestimmte Fehler ersichtlich sein. Hinreichende Sicherheit, dass die Nachricht beim Gericht eingegangen ist, liefert aber nur die Eingangsbestätigung. Wo diese zu finden ist, wird erläutert im beA-Newsletter 31/2019.

Stornoentschädigung bei sog. Angstkündigung vor Corona-Beeinträchtigung entfällt bei späterer Reiseabsage durch Veranstalter

Das LG Frankfurt/M hat jüngst in einer Wettbewerbssache entschieden, dass eine Pauschalreise auch dann kostenfrei storniert werden kann, wenn Reisende aus Angst vor Corona-Beeinträchtigungen zunächst vorsorglich storniert und sich diese Beeinträchtigungen dann im Nachhinein bestätigt. Bei der Regelung der Verpflichtung zur unverzüglichen Rückerstattung des Reisepreises im Fall des Rücktritts handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung gem. § 651h Abs. 5 BGB, § 3aUWG (LG Frankfurt, Urt. v. 04.05.2021 – 3-06 O 40/20, BeckRS 2021, 10387, www.reiserechtfuehrich.com). Damit kommt auch in dieser Entscheidung zum wiederholten Male die Rechtsfrage vor Gericht, ob im Falle eines verfrühten Rücktritts des Reisenden aus Angst wegen der Ungewissheit der weiteren Beeinträchtigung durch das Coronavirus der Anspruch des Veranstalters auf die Stornoentschädigung nachträglich entfällt, wenn er die Reise später selbst durch seinen Rücktritt absagt. Insoweit verweise ich auf meinen Überblicksaufsatz zur Entwicklung des Pauschalreiserechts im Jahre 2020 im neuen Heft 13 der MDR in Führich, MDR 2021, 777.

Der Entscheidung des LG Frankfurt/M ist zuzustimmen. Harke (RRa, 2020, 207, 211; BeckOGK/BGB/Harke, (Stand: 1.11.2020), § 651h Rz. 47) weist zutreffend darauf hin, dass im Falle einer solchen überholenden Kausalität weder der Wortlaut des § 651h BGB noch der zugrunde liegende Art. 12 Abs. 2 der neuen Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 einer Auslegung widerspricht, dass dem Veranstalter keine Entschädigung zusteht, wenn die Reise sich später wegen der Dynamik der Pandemie doch für den Veranstalter als undurchführbar oder für den Reisenden wegen der Gefährdung seiner Gesundheit als unzumutbar erweist. Richtigerweise sollte für die notwendige Prognoseentscheidung des Reisenden grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung abgestellt werden. Wegen des verbraucherschützenden Charakters des Art. 12 Abs. 2 und des ihn umsetzenden § 651h BGB darf der Reisende auf seine negative Prognose vertrauen, ist aber ausnahmsweise nicht an eine positive Prognose gebunden. Insoweit kann der Reisende auch bei einem frühzeitigen Rücktritt mit einer dadurch begründeten Pflicht zur Zahlung einer Stornoentschädigung hoffen, dass dieser Nachteil für ihn bis zum vertraglichen Reisebeginn wegen des außergewöhnlichen Umstandes wieder entfällt. Es entspricht weder der Natur des Entschädigungsanspruchs und noch dem nicht abgeschlossenen Rückgewährschuldverhältnis für den gezahlten Reisepreis nach § 651h Abs. 5 BGB, wenn dem Reiseveranstalter nach seiner Reiseabsage wegen Unmöglichkeit der Reise durch Corona-Beeinträchtigungen noch ein Entschädigungsanspruch zustehen soll (so auch AG Stuttgart, Urt. v. 23.10.2020 – 3 C 2852/20, RRa 2021, 73).

 

BGH zu Rechthabern und Querulanten

Im Rahmen eines Verfahrens über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem LG hatte die Antragstellerin erfolglos einen Befangenheitsantrag gestellt. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des LG wurde vom OLG zurückgewiesen. Gegen den entsprechenden Beschluss des OLG legte die Antragstellerin beim BGH Rechtsbeschwerde ein. Der BGH legte diese (offensichtlich unzulässige) Rechtsbeschwerde (sachgemäß) als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG aus. Der Antrag wurde dann aber selbstredend zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsbeschwerde unzulässig gewesen wäre. Das OLG hatte eine Rechtsbeschwerde gegen seinen eigenen Beschluss nicht zugelassen. Damit war der Instanzenzug beendet. Deshalb ist eine Bewilligung von PKH für die Rechtsbeschwerde gleichfalls nicht möglich. Interessant an diesem Beschluss sind vor allem die letzten Sätze, die deswegen wörtlich zitiert werden sollen:

„Dies ist der Antragstellerin bereits aus den Verfahren III ZB 63/20 und III ZB 2/21 bekannt. Der Senat wird in Zukunft vergleichbare – offensichtlich unzulässige und erkennbar rechtsmissbräuchliche – Eingaben der Antragstellerin nicht mehr bescheiden. Er muss es nicht hinnehmen, durch sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazitäten bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert zu werden (…).“

Der Gesetzgeber hat sich des Problems der Querulanz bisher noch nicht angenommen, obwohl es höchste Zeit ist. Erst vor kurzem war eine entsprechende Gesetzesinitiative gescheitert. Danach sollte eine Regelung eingeführt werden, die „Berufskläger“ im Sozialrecht, die für eine hohe Zahl von Verfahren verantwortlich sind, „bestrafen“ sollte.

Fazit: Der BGH (Beschl. v. 15.4.2021 – III ZB 10/21) hat nunmehr einen Weg aufgezeigt, wie bei derartigen Eingaben verfahren werden kann. Es wird der betroffenen Person mitgeteilt, dass weitere Eingaben nicht mehr beschieden werden. Allerdings enthebt dies (leider) die Gerichte nicht davon, die Eingaben zur Kenntnis zu nehmen und rechtlich zu bewerten. Es ist mehr als bedauerlich, dass der Gesetzgeber die Gerichte hier „im Regen“ stehen lässt.

Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung

Am 7. Januar 2021 hat die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätige Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“  ihr 126-seitiges Diskussionspapier vorgelegt. Mit Vorschlägen wie z. B.

  • Schaffung eines bundesweit einheitlichen Justizportals mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten“,
  • Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens,
  • Möglichkeiten der (reinen) Videoverhandlung im Zivilprozess,
  • der Protokollierung per schriftlichem Wortprotokoll,
  • einem elektronischen Titelregister für die Zwangsvollstreckung und
  • der Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens durch ein sog. Basisdokument

enthält das Werk äußerst innovative Vorschläge für einen zukünftigen, digitalen Zivilprozess die mittlerweile auch schon bei vielen Gelegenheiten (Zivilrichtertag 2021, diverse Tagungen, usw.) diskutiert worden sind.

Einzelne Punkte aus dem Diskussionspapier sollen ggf. sogar schon mittelfristig in die Praxis umgesetzt werden. Für komplexere Themen wird vorgeschlagen, diese in sog. Reallaboren in kleinerem Umfang zu erproben. Vorher sollten die Überlegungen der Arbeitsgruppe um einige Fragen ergänzt werden, die den Rahmen eines digitalen Zivilprozesses der Zukunft abstecken könnten. Zwei Fragen stechen besonders hervor:

Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess?

Im Zuge einer Diskussion des digitalen Zivilprozesses stellt sich unweigerlich die Frage, welcher Grad an Technikeinsatz erstrebenswert ist. Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat bewusst technikoffen gearbeitet. Es ist richtig, dass nicht vorschnell eine bestimmte IT-Technik oder gar ein Anbieter ausgewählt wurden. Dies darf aber nicht bedeuten, die Digitalisierung des Zivilprozesses unter Ausblendung technischer Rahmenbedingungen zu denken. Das Dilemma zwischen juristischer Ebene und technischer Ebene zeigt sich besonders an der kontrovers ausgetragenen Diskussion über die Strukturierung von Schriftsätzen. Der Sachvortrag wird vielfach als zu unstrukturiert und oft zu wenige Wechselbezüge aufweisend bezeichnet („Die Parteien schreiben aneinander vorbei.“). Auf Basis des neuen § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist bereits heute in vielen Fällen eine Strukturierung des Parteivortrags denkbar (sh. dazu Zwickel, MDR 2021, 716-723). Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat darüber hinausgehend vorgeschlagen, dass die Parteien künftig in einem elektronischen Basisdokument (idealerweise auf dem Justiz-Server) ihren Tatsachenvortrag (eine Pflicht zu Rechtsausführungen soll nicht eingeführt werden!) kollaborativ in einer Relationstabelle gegenüberstellen sollen. Die Parteien sollen also an einem einzigen digitalen Dokument arbeiten, in dem sie den Vortrag anhand des Strukturierungskriteriums des Lebenssachverhalts selbst ordnen. Die Strukturierung findet zwar mit einem digitalen Tool, aber nach rein juristischen Vorgaben anhand der Chronologie des Lebenssachverhalts statt.
Möglicherweise decken sich solche juristischen Strukturen nicht mit den Strukturen, mit denen IT-Systeme arbeiten, so dass die IT mit der gewonnenen Struktur nicht weiterarbeiten kann. Techniken der digitalen Inhaltserschließung der Eingaben in das Basisdokument (von der automatischen Verlinkung von Treffern in juristischen Datenbanken bis hin zum digitalen Entscheidungsvorschlag) wären, bei einer zu wenig kleinteiligen Struktur wohl vielfach ausgeschlossen. Liegt nicht genau an dieser Stelle, d.h. bei der digitalen Erleichterung der richterlichen Arbeit auf dem Weg zum Urteil, der wahre Mehrwert einer digitalen Strukturierung des Parteivortrags? In anderen Bereichen/Rechtsordnungen ist diese Frage schon entschieden: Das ELSTER-System der Steuerverwaltung und Legal Tech-Anbieter schaffen es auf Basis der strukturierten Daten, IT auch im Prozess der (teil-)automatisierten juristischen Entscheidungsfindung einzusetzen.

Zu Möglichkeiten und Grenzen der analogen und digitalen Strukturierung und Abschichtung im zivilgerichtlichen Verfahren sh. ausführlich Zwickel, MDR 2021, 716-723.

In anderen Rechtsordnungen wie in der kanadischen Provinz British Columbia mit seinem Civil Resolution Tribunal ist das Verfahren selbst so strukturiert, dass es vollständig im digitalen Raum ablaufen kann und digitale Tools umfassend ausnutzt.

In China schließlich gibt es, ebenfalls auf Basis des Einsatzes strukturierter Daten, mit dem Internet Court in Hangzhou sogar maschinell entscheidende Internetgerichte (Automatisierung der Entscheidung selbst).

Wollen wir einen derart umfassenden Technikeinsatz auch für den Zivilprozess?

Es liegt auf der Hand, dass die Frage nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten ist, sondern einer sorgfältigen Abwägung auch unter Einbeziehung von Informatikern bedarf.

Digitale Kommunikation im Zivilprozess?

Eng in Zusammenhang mit der Frage nach der Reichweite des Technikeinsatzes steht die These, dass die Kommunikation im digitalen Raum „virtuell verengt“ (sh. Harnack, ZKM 2021, 14-18) und damit anders geartet ist als die herkömmliche Kommunikation im Gerichtssaal. Man wird daher nicht umhinkommen, über den juristischen Tellerrand zu blicken und Kommunikationspsychologen, Fachleute für IT-Sicherheit usw. zu hören, ehe man die mündliche Verhandlung im Zivilprozess auch nur teilweise durch digitale Videoverhandlungen ersetzt.

Niklas Luhmann soll geäußert haben „Die Rechtswissenschaft verhält sich zum Computer wie das Reh zum Auto. Manchmal kollidieren sie eben doch.“ Im Hinblick auf die Digitalisierung des Zivilprozesses scheint dies nicht zu gelten, ist doch die Wissenschaft gerne bereit, die von der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ ausgehende Aufforderung zum Diskurs aufzunehmen. So bilden die beiden oben angerissenen Fragen nach der Reichweite des Technikeinsatzes im Zivilprozess und der Kommunikation im digitalisierten Zivilverfahren mit der Digitalisierung der Zwangsvollstreckung die Leitmotive einer wissenschaftlichen Online-Tagung „Digitalisierung von Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 1./2. Juli 2021, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind.