Blog powered by Zöller: Neues beim elektronischen Rechtsverkehr

Ein drängendes Problem des elektronischen Rechtsverkehrs hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz v. 12.7.2024 gelöst. Es kommt ja vor, dass Prozessbevollmächtigte dem Gericht Erklärungen ihrer Mandanten oder Dritter übersenden müssen, die von diesen persönlich zu unterschreiben sind, insbesondere Vollmachten, Erklärungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse im PKH-Verfahren und eidesstattliche Versicherungen. Da Anwälte mit dem Gericht nur noch auf elektronischem Weg kommunizieren dürfen, war fraglich, wie sie diese Erklärungen wirksam übermitteln können. Dass dies möglich sein muss, war klar, aber für das Wie gab es keine gesetzliche Regelung und daher große Unsicherheit.

Nunmehr ist die Frage in einem neuen § 130a Abs. 3 Satz 3 ZPO geregelt. Demnach kann der Rechtsanwalt das einzureichende, handschriftlich unterschriebene Schriftstück in ein elektronisches Dokument übertragen und dieses dann wie einen Schriftsatz als PDF an das Gericht übermitteln, d.h. entweder mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder mit einfacher Signatur auf einem sicheren Übertragungsweg, insbesondere über sein elektronisches Anwaltspostfach.

Weitere Erleichterungen bietet ein neuer § 130e ZPO für den Fall, dass in einem an das Gericht adressierten elektronischen Schriftsatz eine an den Prozessgegner gerichtete Erklärung abgegeben werden soll, die der Schriftform bedarf (z.B. eine Kündigung).

Diese und alle weiteren Änderungen der ZPO durch das Gesetz v. 12.7.2024 werden in der Online-Ausgabe des ZÖLLER, die jeder Bezieher des Kommentars kostenfrei nutzen kann, bereits eingehend erläutert. Vertiefende Ausführungen finden Sie auch in dem Aufsatz Neue Regeln für elektronische Schriftsätze – Wie persönliche und rechtsgeschäftliche Erklärungen zu übermitteln sind“, MDR 2024, 1013.

 


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Anwaltsblog 31/2024: Verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei

Wieder einmal musste der BGH ein OLG korrigieren, das überspannte Anforderung an die Substantiierungspflicht gestellt hatte (BGH, Beschluss vom 25. April 2024 – III ZR 54/23):

 

Dem Kläger wurde am 13. August 2019 die Fahrerlaubnis entzogen. Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid auf und wies den Beklagten an, den Führerschein zurückzugeben, was im Februar 2021 erfolgte. Der Kläger, der im fraglichen Zeitraum bei einem Unternehmen arbeitete, reduzierte mit Wirkung zum 1. September 2019 seine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf 28 Wochenstunden und arbeitete in der Folge nur noch an vier Tagen pro Woche. Er behauptet Einkommensverluste aufgrund des Fahrerlaubnisentzugs in Höhe von insgesamt 31.678 €. Durch den erhöhten Zeitaufwand für den Arbeitsweg sei er gezwungen gewesen zu sein, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Der Arbeitsweg habe sich durch den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel auf mindestens eineinhalb Stunden einfach verlängert, während er vorher mit dem Motorrad lediglich rund 30 Minuten einfach benötigt habe und an Staus hätte vorbeifahren können. Er hätte ohne Arbeitszeitreduzierung um 6.00 Uhr morgens das Haus verlassen müssen und wäre meist erst nach 22.00 Uhr abends zurückgekehrt. Dies sei nicht zumutbar gewesen, da er so kaum noch Freizeit gehabt hätte. Aus dem um 1.551 € niedrigeren Brutto-Lohnanspruch über 18 Monate errechne sich ein Schaden in Höhe von 27.918 €. Zudem habe er in diesem Zeitraum in Höhe von 3.760 € geringere Bonuszahlungen erhalten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das OLG die Berufung zurückgewiesen. Es fehle zumindest an der Kausalität des Entzugs der Fahrerlaubnis für den geltend gemachten Vermögensschaden. Der Kläger habe durch die Reduzierung seiner Arbeitszeit in den Geschehensablauf eingegriffen und selbst eine weitere Ursache gesetzt, die seinen Vermögensschaden erst herbeigeführt habe. Er habe zum Nachweis seiner Behauptungen hinsichtlich der Fahrzeit mit dem Motorrad und öffentlichen Verkehrsmitteln lediglich einen Screenshot eines Routenplaners vorgelegt. Der Beklagte habe substantiiert bestritten, dass die darin angegebene Fahrzeit mit dem PKW oder dem Motorrad zu Arbeitsbeginn des Klägers im Berufsverkehr auch nur annäherungsweise erreichbar sei. Der Kläger habe seinen Vortrag nicht weiter substantiiert, insbesondere nicht im Hinblick auf die bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende tatsächlich erreichbaren Fahrzeiten.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt – auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter – dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat. Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dabei schlüssig und damit als Prozessstoff erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss anhand des Parteivortrags beurteilen können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist dann vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.

Nach diesen Grundsätzen verletzt die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers zu den Fahrzeiten sei unsubstantiiert, das von ihm beantragte Sachverständigengutachten müsse deswegen nicht eingeholt werden, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Der Kläger hat in der Klageschrift unter Vorlage einer Wegzeitberechnung (Screenshot eines Routenplaners) vorgetragen, vor Entziehung der Fahrerlaubnis für den Weg zur Arbeit ein Motorrad benutzt zu haben, mit dem der Arbeitsweg in etwa 30 Minuten je einfache Strecke zu bewältigen gewesen sei, während er mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens eineinhalb Stunden je einfache Strecke benötigt habe. In seiner Replik auf die Klageerwiderung hat er behauptet, die der Klageschrift beigefügte Wegzeitberechnung sei richtig und spiegele die durchschnittliche Reisezeit zu Arbeitsbeginn und nach Beendigung der Arbeit wider. Zum Beweis hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Bereits dieses Vorbringen hätte dem Tatrichter Veranlassung geben müssen, in die Beweisaufnahme einzutreten und einen – ortskundigen und mit den dort gegebenen Verhältnissen im Berufsverkehr vertrauten – Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen. In der Berufungsbegründung hat der Kläger sein Vorbringen überdies dahingehend ergänzt, dass sich die rund 30-minütige Fahrzeit mit dem Motorrad selbst bei vollständiger Sperrung der kürzesten Strecke in der „Rush-Hour“ bei Nutzung einer Alternativroute nur um neun Minuten erhöhte, und sodann an die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens erinnert. Weiterer Angaben für die Behauptung, dass die Fahrzeit mit dem Motorrad deutlich kürzer gewesen sei als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bedurfte es nicht.

 

Fazit: Ein Beweisantritt für erhebliche, nicht willkürlich ins Blaue hinein aufgestellte Tatsachen darf nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann, oder wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BGH v. 1.6.2005 – XII ZR 275/02, MDR 2006, 48). Der Beweisführer ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält; ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, MDR 2012, 1033).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Rechtsbeziehungen zwischen Wohnungseigentümern, Gemeinschaft und Verwalter.

Keine Schutzwirkung des WEG-Verwaltervertrags zugunsten der einzelnen Wohnungseigentümer
BGH, Urteil vom 5. Juli 2024 – V ZR 34/24

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Rechtsbeziehungen nach dem seit 1.12.2020 geltenden Wohnungseigentumsrechts.

Der Kläger ist Mitglied einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern. Die Beklagte ist deren Verwalterin. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe nach einem im Jahr 2022 eingetretenen Wasserschaden die vom Gebäudeversicherer an die Gemeinschaft gezahlte Entschädigung zu spät an ihn weitergeleitet. Er begehrt deshalb Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Die Klage ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Ansprüche aus einem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag scheiden schon deshalb aus, weil auf Eigentümerseite nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Partei des Verwaltervertrags ist, nicht hingegen die einzelnen Eigentümer.

Anders als nach dem früher geltenden Recht kommt dem Verwaltervertrag keine Schutzwirkung zugunsten der einzelnen Eigentümer mehr zu.

Nach dem seit 1.12.2020 geltenden Recht kann ein einzelner Eigentümer, dem durch pflichtwidriges Verhalten des Verwalters ein Schaden entstanden ist, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf Ersatz in Anspruch nehmen. Die Gemeinschaft hat für die Pflichtverletzung des Verwalters nach § 31 BGB einzustehen, weil dieser nach neuem Recht ihr Organ ist. Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedürfnis mehr, den Eigentümern durch Einbeziehung in den Schutzbereich des Verwaltervertrags die unmittelbare Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Verwalter zu ermöglichen.

Dass ein geschädigter Eigentümer die an ihn erbrachten Ersatzleistungen der Gemeinschaft über die allgemeine Kostenverteilung teilweise mitzutragen hat, begründet kein hinreichendes Schutzbedürfnis. Die Gemeinschaft ist in der Regel verpflichtet, den Verwalter in Regress zu nehmen.

Praxistipp: Wenn eine ordnungsgemäße Verwaltung die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Verwalter gebietet, kann ein einzelner Eigentümer einen diesbezüglichen Beschluss durch eine Beschlussersetzungsklage gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG herbeiführen.

Anwaltsblog 30/2024: Muss für das arglistige Verschweigen eines Mangels eine moralisch verwerfliche Gesinnung des Verkäufers nachgewiesen werden?

 

Ob ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB voraussetzt, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 212/23):

 

Die Kläger erwarben mit Vertrag vom 8. März 2019 von den Beklagten ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Die Beklagten hatten das Haus im März 2017 erworben und bis zum Verkauf an die Kläger selbst bewohnt. Nach Einholung eines Gutachtens eines Bausachverständigen erklärten die Kläger wegen mangelhafter Kellerabdichtung im August 2019 den Rücktritt vom Kaufvertrag und leiteten ein selbständiges Beweisverfahren ein. Das Landgericht hat die Klage, mit die Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen, abgewiesen; das OLG die Berufung zurückgewiesen. Die Kläger hätten ein arglistiges Verschweigen von Mängeln durch die Beklagten nicht bewiesen. Zwar seien die Kelleraußen- und -innenwände nach dem Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens messbar feucht. Das Landgericht habe aber nicht festgestellt, dass die Beklagten die Feuchtigkeitsbelastung erkennen konnten, während sie das Haus von März 2017 bis März 2019 bewohnten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen ergäben sich aus dem Berufungsvorbringen nicht. Die gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, dass die Frage, ob für die Beklagten Feuchtigkeitserscheinungen wahrnehmbar gewesen seien, nicht mit absoluter Sicherheit zu beantworten sei. Auch das von den Klägern eingeholte Privatgutachten enthalte dazu keine Ausführungen. Soweit die Kläger nunmehr rügten, der Privatsachverständige hätte als Zeuge vernommen werden müssen, sei dies verspätet. Die Rüge hätte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben werden müssen. Sie sei auch in der Sache nicht berechtigt. Der Privatsachverständige sei nicht als Zeuge dafür benannt worden, dass den Beklagten die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung bekannt gewesen sei und sie dies den Klägern arglistig verschwiegen hätten.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit der Verneinung der Sachmängelhaftung der Beklagten für die Feuchtigkeit der Kellerwände den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen tatrichterlichen Beweiswürdigung beruht oder Präklusionsvorschriften in offenkundig unrichtiger Weise angewandt werden. So verhält es sich hier, soweit das Berufungsgericht die auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützte Klage abgewiesen hat, ohne dem Beweisantrag der Kläger auf Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen nachzugehen. Die Kläger haben bereits in erster Instanz den von ihnen beauftragten Privatgutachter als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) dafür benannt, dass die Beklagten von den Feuchtigkeitserscheinungen gewusst und diese arglistig verschwiegen haben, da sie an den betroffenen Stellen unmittelbar vor dem Besichtigungstermin im Juni 2019 Maler- und Putzarbeiten ausgeführt haben. Die unterbliebene Beweisaufnahme haben die Kläger in der Berufungsbegründung und damit rechtzeitig gerügt.

Die Zurückweisung dieses Vorbringens als verspätet beruht auf einer offenkundig unrichtigen Anwendung der Präklusionsvorschriften. Die Kläger haben in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Vorbringen präzisiert und vorgetragen, dass der Privatsachverständige bei seiner Besichtigung am 28. Juni 2019 im Keller Schimmel- und Feuchtigkeitsbildung festgestellt habe, „es somit durch sachverständigen Zeugenbeweis festgestellt sei, dass knapp acht Wochen nach Einzug der Kläger Feuchtigkeit und Schimmelbildung in dem Keller, den die Beklagten vormals als Fitnessraum genutzt hätten“, vorhanden gewesen sei. Zudem habe der als Zeuge benannte Privatgutachter festgestellt, dass die Wände und die Decke neu gestrichen und lokal ausgebessert und die Wandoberflächen lokal ausgebessert und gespachtelt worden seien. Schließlich durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung des Privatsachverständigen als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) auch nicht mit der Begründung absehen, es sei plausibel und nicht zu widerlegen, dass die Beklagten die Immobilie im Frühjahr 2017 ohne erkennbare Feuchtigkeit übernommen hätten, weil die gerichtliche Sachverständige die Erkennbarkeit der Feuchteerscheinungen nicht mit absoluter Sicherheit habe feststellen können. Dies stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Das Berufungsgericht übersieht, dass es keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage ist, ob die Beklagten die Feuchtigkeit erkannt haben. Zu der Kenntnis der Beklagten von der Feuchtigkeit konnte die gerichtliche Sachverständige aus eigener Anschauung keine Feststellungen treffen. Darüber musste sich das Berufungsgericht auf der Grundlage des unter Beweis gestellten Vorbringens der Parteien eine Überzeugung bilden. Der Beweisantrag der Kläger zielt darauf, die Grundlage für eine dahingehende Überzeugungsbildung des Gerichts zu schaffen.

Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich. Nach § 444 BGB darf sich der Verkäufer auf einen in dem Kaufvertrag vereinbarten Haftungsausschluss nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen – zweckmäßigerweise im Beisein der gerichtlichen Sachverständigen – zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Wenn ein sachverständiger Zeuge bereits drei Monate nach Auszug der Beklagten eine erhebliche Feuchtigkeit der Kellerwände und einen Neuanstrich der betroffenen Stellen erkennt, kann dies Rückschlüsse auf eine erhebliche Feuchtigkeit auch in der Vergangenheit sowie eine Kenntnis der Beklagten und gegebenenfalls sogar eine bewusste Vertuschung der Schäden zulassen, zumal bereits die frühere Mieterin Feuchtigkeits- und Schimmelbildung an denselben Stellen bemerkt und diese zum Anlass für eine Mietminderung genommen haben soll.

 

Fazit: Arglist setzt nicht voraus, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt. Ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB ist bereits dann gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGH, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18 -, MDR 2019, 1376).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Feststellung der Vaterschaft.

Feststellung der Vaterschaft nach Adoption des Kindes
BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – XII ZB 358/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen der Verfahren nach § 169 und § 167a FamFG.

Die Beteilige zu 2 brachte im April 2015 ein Kind zur Welt. Zwei Monate später willigte sie in die Adoption durch die Beteiligten zu 4 ein. Im Juni 2016 wurde die Adoption ausgesprochen. Die Einwilligung des leiblichen Vaters wurde als entbehrlich angesehen, weil er und sein Aufenthalt dauernd unbekannt seien. Der Beteiligte zu 1, der nach seinem Vorbringen Ende 2018 von der Geburt erfahren hat, begehrt die Feststellung, dass er der leibliche Vater des Kindes ist.

Das AG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die erstmals im Beschwerdeverfahren hinzugezogenen Beteiligten zu 4 verweigern die Zustimmung zur Mitwirkung des Kindes an einer Abstammungsuntersuchung. Das OLG hat durch Zwischenbeschluss festgestellt, dass die Weigerung nicht rechtmäßig sei.

Der BGH erklärt die Weigerung für rechtmäßig.

Die in § 178 Abs. 1 FamFG normierte Pflicht zur Duldung von Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung gilt nur in Abstammungssachen im Sinne von § 169 FamFG. Dazu gehören nach § 169 Nr. 1 FamFG Verfahren auf Feststellung der rechtlichen Vaterschaft gemäß § 1600d Abs. 1 BGB. Der im Streitfall zu beurteilende Antrag fällt nicht unter diese Vorschrift. Er ist entgegen der Auffassung des OLG nur auf Feststellung der leiblichen Vaterschaft gerichtet.

Unabhängig davon ist ein Antrag auf Feststellung der rechtlichen Vaterschaft nach einer Adoption nur zulässig, soweit der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat. Ein solches kann vorliegen, wenn der Antragsteller Rechte aus seiner Vaterschaft bis zum Zeitpunkt der (ex nunc wirkenden) Adoption geltend machen will. Darum geht es im Streitfall nicht. An einer Feststellung der Vaterschaft „auf Vorrat“, d.h. für den Fall, dass die Adoption später aufgehoben wird, besteht kein rechtliches Interesse.

Zu den Abstammungssachen gehören nach § 169 Nr. 2 FamFG auch Verfahren auf Ersetzung der Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und auf Anordnung der Duldung einer Probenentnahme. Diesbezügliche Ansprüche stehen nach § 1598a BGB nur den rechtlichen Eltern und dem Kind zu. Diese Regelung ist abschließend. Deshalb ist der Beteiligte zu 1 nicht befugt, solche Ansprüche geltend zu machen.

§ 167a FamFG normiert eine Pflicht zur Duldung von Untersuchungen in Verfahren, in denen ein leiblicher Vater Umgangs- oder Auskunftsrechte nach § 1686a BGB geltend macht. Um solche Ansprüche geht es im Streitfall nicht.

Dass keine Möglichkeit besteht, eine gerichtliche Feststellung der leiblichen Vaterschaft unabhängig von der Geltendmachung von daraus resultierenden Ansprüchen zu beantragen, sieht der BGH nicht als verfassungswidrig an.

Praxistipp: Zwischenentscheidungen über die Pflicht zur Mitwirkung bei einer Beweiserhebung sind nach § 167a Abs. 3 und § 178 Abs. 2 FamG sowie § 387 Abs. 3 ZPO isoliert anfechtbar. Eine Rechtsbeschwerde bedarf aber gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Zulassung durch das Beschwerdegericht.

OLG Frankfurt am Main: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit

Mit dem Problem der Selbstwiderlegung der Dringlichkeit im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren hat sich das OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 28.6.2024 – 9 W 12/24) befasst.

Mit einem der (späteren) Antragstellerin am 19.4.2024 zugegangenen Schreiben vom 14.4.2024 untersagte die (spätere) Antragsgegnerin der Antragsstellerin, eine Verkehrsfläche zu betreten oder zu befahren. Daraufhin forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.4.2024 von der Antragsgegnerin Unterlassung und setzte eine Frist bis zum 8.5.2024. Die Frist verstrich ergebnislos. Mit Schriftsatz vom 25.5.2024, eingegangen am 28.5.2024, beantragte die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung.

Das LG wies den Antrag mangels Eilbedürftigkeit und damit mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes zurück. Die Antragstellerin habe insgesamt zu lange gewartet. Diese Auffassung teilt das OLG nicht.

Der Versuch der Antragstellerin, die Situation zunächst durch ein vorgerichtliches Schreiben zu befrieden, lässt die Dringlichkeit nicht entfallen. Hieraus allein kann nicht geschlossen werden, dass es der Antragstellerin nicht mehr eilig sei.

Allerdings gibt es im Wettbewerbsrecht eine – allerdings keinesfalls starre, sondern lediglich der Orientierung dienende – Sechswochenfrist zur Widerlegung der Dringlichkeit. Es ist jedoch bereits fraglich, ob diese Frist auch auf Besitzstörungen angewandt werden kann. Im Übrigen sind es vom 19.4. bis 28.5. keine sechs Wochen gewesen.

Das OLG hebt daher den Beschluss des LG auf. Eine eigene Entscheidung trifft es nicht, da das LG in Parallelverfahren bereits Termine bestimmt hatte, so dass eine Entscheidung in erster Instanz mit mündlicher Verhandlung zielführend erscheint.

Fazit: Diese Entscheidung ist zu begrüßen. In manchen Fällen wird sogar verlangt, dass der potenzielle Antragsgegner einer einstweiligen Verfügung zunächst vorgerichtlich angeschrieben wird, um überhaupt das Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu begründen. Von daher wäre es zweckwidrig, aus einer im Normalfall durchaus sinnvollen und zielführenden Maßnahme eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzuleiten.

Anwaltsblog 29/2024: Wann führen Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung zur Unwirksamkeit der Zustellung?

Der BGH hatte zu entscheiden, welche Auswirkungen Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung einer Entscheidung auf die Wirksamkeit der Zustellung haben (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – XII ZB 493/22):

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit einem am 7. März 2022 zugestellten Beschluss, der einen auf den 24. Februar 2022 lautenden Verkündungsvermerk trägt, zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs von 83.248,50 € verpflichtet. Auf Beanstandungen der Beteiligten über Unvollständigkeiten des Beschlusses hat das AG am 8. März 2022 darauf hingewiesen, dass den Beteiligten „versehentlich Ausfertigungen des am 24. Februar 2022 verkündeten Beschlusses übersandt“ worden seien, die – wahrscheinlich aufgrund von Formatierungsfehlern bei der Textverarbeitung – nicht mit dem Originalbeschluss in der Gerichtsakte übereinstimmten. Zugleich hat es die Beteiligten gebeten, die „übersandten Beschlüsse zurückzureichen“, damit die „Entscheidung (…) erneut zugestellt werden“ könne. Gegen den ihm am 24. März 2022 erneut zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 20. April 2022 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Das OLG hat die Beschwerde als verfristet verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das OLG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Die Monatsfrist des § 63 Abs. 1, 3 Satz 1 FamFG begann ohne Rücksicht auf die Mängel der Beschlussausfertigung bereits mit der am 7. März 2022 erfolgten Zustellung zu laufen. Bei Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter beglaubigter Abschrift kommt es für die Wirksamkeit der Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist entscheidend darauf an, ob die zugestellte beglaubigte Abschrift formell und inhaltlich geeignet war, den Beteiligten die Entschließung über die Notwendigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu ermöglichen. Der Zustellungsempfänger muss aus der beglaubigten Abschrift wenigstens den Inhalt der Urschrift und vor allem den Umfang seiner Beschwer und die tragenden Entscheidungsgründe erkennen können. Dies war hinsichtlich der am 7. März 2022 zugestellten beglaubigten Abschrift der Fall. Sowohl aus dem Tenor als auch aus den Gründen der Abschrift ergab sich seine Verpflichtung zur Zahlung eines Zugewinnausgleichsbetrags in Höhe von 83.248,50 € nebst Zinsen. Auch wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe unvollständig waren, ließen diese allein noch keine Zweifel am Umfang der Zahlungsverpflichtung aufkommen. Da die Zustellung am 7. März 2022 wirksam war, konnte die nochmalige Zustellung den Lauf der Frist nicht mehr beeinflussen. Denn das AG konnte durch die Veranlassung der erneuten Zustellung die Rechtswirkungen der bereits erfolgten Zustellung nicht mehr rückgängig machen.

Das OLG hätte jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist bewilligen müssen. Denn der Antragsgegner hat diese unverschuldet versäumt. Ein Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls nicht gegeben. Zwar ist die verspätete Einlegung des Rechtsmittels auf den Irrtum des Rechtsanwalts über die den Fristlauf auslösende Zustellung zurückzuführen. Dass dieser Irrtum auf der Mitteilung des Gerichts beruhte, entlastet den Rechtsanwalt noch nicht ohne Weiteres. Denn auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts darf er sich nicht ohne Weiteres verlassen, sondern ist verpflichtet, die sich bei der Verfahrensführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus. Anderes gilt indessen, wenn dem Rechtsanwalt vom Gericht gegebene Informationen sich auf gerichtsinterne Vorgänge beziehen und die Unrichtigkeit der Informationen mithin nicht ohne Weiteres zu erkennen ist. Erklärt etwa das Gericht die bereits erfolgte Zustellung für unwirksam und ist die Unrichtigkeit dieser Information für den Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres erkennbar, so trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden, wenn er davon ausgeht, dass erst die wiederholte Zustellung wirksam ist und den Lauf einer Frist auslöst. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Die Aufforderung, die zugestellte Ausfertigung zurückzusenden, erfolgte durch die zuständige Richterin. Zwar waren den Beteiligten Unvollständigkeiten aufgefallen, jedoch war damit dem Rechtsanwalt das konkrete Ausmaß der Abweichungen von der erlassenen Entscheidung nicht erkennbar. Aus diesem Grund konnte er auch nicht aus eigener Kenntnis von der Wirksamkeit der ersten Zustellung ausgehen. Zumal er die erhaltene Ausfertigung auf die Aufforderung des Gerichts zurückgegeben hatte, ist ihm nicht vorzuwerfen, dass er hinsichtlich des Laufs der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist die zweite Zustellung für maßgeblich gehalten hat.

Ob der Antragsgegner konkludent einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, kann offenbleiben. Denn bei der gegebenen Sachlage hätte das OLG ihm von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen müssen. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

 

Fazit: Veranlasst die Geschäftsstelle des Gerichts die nochmalige Zustellung eines Versäumnisurteils, weil sie irrig davon ausgeht, die bereits erfolgte Zustellung sei wegen fehlender Belehrung über den Einspruch unwirksam, so wird der bereits mit der ersten Zustellung ausgelöste Lauf der Einspruchsfrist davon nicht berührt. Den Rechtsanwalt, der sich wegen der wiederholten Zustellung beim Gericht nach dem Grund erkundigt und von der Geschäftsstelle die nicht näher erläuterte Auskunft erhält, die erste Zustellung sei unwirksam und könne als gegenstandslos betrachtet werden, trifft jedenfalls dann kein Verschulden, wenn die Auskunft nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Pflicht zu einer weiteren Nachfrage nach dem konkreten Grund der Unwirksamkeit trifft ihn nicht (BGH, Versäumnisurteil vom 15. Dezember 2010 – XII ZR 27/09 –, MDR 2011, 316).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Rechte und Pflichten eines nicht befreiten Vorerben.

Verfügung des Vorerben über Gesamtgutsvermögen einer Gütergemeinschaft
BGH, Urteil vom 26. Juni 2024 – IV ZR 288/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Verfügungsbefugnis und den Verwaltungspflichten eines nicht befreiten Vorerben.

Die Beklagte ist Vorerbin nach ihrem im Jahr 2006 verstorbenen Ehemann, mit dem sie in Gütergemeinschaft gelebt hat. Nacherben sind die Kläger, nämlich der Sohn und die beiden (von ihrer verstorbenen Tochter abstammenden) Enkelinnen der Beklagten. Nach dem maßgeblichen Erbvertrag ist die Beklagte als Vorerbin von den gesetzlichen Beschränkungen befreit. Sie darf aber nicht über den zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz verfügen.

Zum Grundbesitz der Gütergemeinschaft gehörten drei mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke. Im Zeitpunkt des Erbfalls bestanden Verbindlichkeiten in Höhe von rund 330.000 Euro. Die Beklagte führte diese mit Hilfe der Mieteinnahmen aus zwei der Grundstücke bis zum Jahr 2012 auf rund 210.000 Euro zurück. Anschließend verkaufte sie diese beiden Grundstücke für insgesamt 350.000 Euro.

Die Kläger, machen geltend, durch den Verkauf seien ihnen eine Wertsteigerung in Höhe von rund 450.000 Euro sowie Mieteinnahmen in Höhe von rund 150.000 Euro entgangen. Deshalb verlangen sie Sicherheitsleistung gemäß § 2128 Abs. 1 BGB. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG allerdings angenommen, dass die Beklagte nicht von der Pflicht zur Herausgabe der Vorerbschaft in einem ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechenden Zustand gemäß § 2130 BGB und von der Pflicht zur Sicherheitsleistung gemäß § 2128 BGB befreit ist. Der Erbvertrag sieht nur eine (teilweise) Befreiung von (Verfügungs‑)Beschränkungen vor, nicht aber eine Befreiung von Verpflichtungen.

Ebenfalls zu Recht hat das OLG angenommen, dass die Übereignung der beiden Grundstücke wirksam war. Die Beklagte ist im Erbvertrag zwar nicht vollständig von der in § 2113 BGB normierten Verfügungsbeschränkung befreit worden. Diese Beschränkung gilt aber nur für Grundstücke, die zum Nachlass gehören, nicht für Beteiligungen an einer Gesamthandsgemeinschaft, der Grundstücke gehören. Im Streitfall konnte die Beklagte deshalb unbeschränkt über die Grundstücke verfügen, weil diese zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehören.

Zu Recht hat das OLG ferner angenommen, dass die Beklagte den Klägern zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn die Übereignung der Grundstücke nicht einer ordnungsgemäßen Verwaltung der Vorerbschaft entsprach und deshalb eine Verletzung der Herausgabepflicht nach § 2130 BGB begründet.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung jedoch nicht verpflichtet, die Mieteinnahmen zur Tilgung der Verbindlichkeiten einzusetzen. Nutzungen aus einem zur Vorerbschaft gehörenden Gegenstand stehen dem Vorerben – der gemäß § 2124 Abs. 1 BGB die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen hat – nach der Rechtsprechung des BGH zur freien Verfügung zu. Im Streitfall hat die Beklagte deshalb gemäß §$ 2124 Abs. 2 und § 2126 BGB einen Erstattungsanspruch, soweit sie die bestehenden Verbindlichkeiten vor der Veräußerung mit Hilfe der Mieteinnahmen getilgt hat.

Das OLG wird nach Zurückverweisung zu klären haben, ob die Veräußerung der Grundstücke zur Tilgung der Verbindlichkeiten erforderlich war und in welcher Höhe der Verkaufserlös zu diesem Zweck benötigt wurde.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Verfügung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist, liegt beim Vorerben.

VGH Mannheim: Gegenstandswert einer Aussetzungsbeschwerde

Ein Rechtsanwalt hatte nach § 33 RVG die Festsetzung des Gegenstandswertes für seine Tätigkeit im Beschwerdeverfahren im Rahmen einer Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss eines VG beantragt.

Maßgeblich ist nach § 23 Abs. 2 S. 1 RVG in Beschwerdeverfahren, in denen sich – wie hier –  die Gerichtsgebühren nicht nach dem Wert richten, der „Wert unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers“. In derartigen Fällen hat sich die Tendenz entwickelt, regelmäßig von einem Bruchteil des Streitwertes der Hauptsache auszugehen. In Anlehnung an andere Entscheidungen legt der VGH (Beschl. v. 24.4.2024 – 11 S 1203/23) hier einen Bruchteil von 1/5 des Wertes der Hauptsache fest.

Diese Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung und ist auch für den Zivilprozess relevant. Von der Faustregel „Gegenstandswert für die Aussetzungsbeschwerde ist regelmäßig 1/5 des Wertes der Hauptsache“ wird demgemäß hinfort in allen Verfahrensarten ausgegangen werden können.

Interessant ist noch, dass diese Entscheidung durch den Einzelrichter erfolgte (§ 33 Abs. 8 S. 1 RVG)

Anwaltsblog 28/2024: Terminsgebühr verdient durch tel. Besprechung mit gegnerischen Rechtsanwalt

Mit den Voraussetzungen für das Entstehen einer Terminsgebühr bei außergerichtlichen Besprechungen des Rechtsanwalts mit der Gegenseite hatte sich der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 20. Juni 2024 – IX ZR 80/23):

Ein Rechtsschutzversicherer verlangt von der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft die Rückzahlung der Terminsgebühr von 1.782,14 €, die er als Vorschuss für ein Berufungsverfahren seines Versicherungsnehmers an die Rechtsanwaltsgesellschaft gezahlt hat. Die Klage des Versicherungsnehmers gegen eine Bank wegen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags war in erster Instanz abgewiesen, das Urteil am 6. Juli 2019 zugestellt worden. Die Beklagte legte am 6. August 2019 für den Versicherungsnehmer Berufung ein und begründete diese unter dem 8. Oktober 2019. Die Berufung wurde durch das OLG mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Klägerin ist der Ansicht, eine Terminsgebühr sei nicht entstanden. Die Beklagte behauptet, einer ihrer Geschäftsführer habe am 6. August sowie am 8. Oktober 2019 der Prozessbevollmächtigten der Bank telefonisch einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Diese habe jeweils die Weiterleitung der Vergleichsvorschläge an ihre Mandantin zugesagt.

Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG die Berufung zurückgewiesen. Das erste Telefonat am 6. August 2019 habe keine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung beinhaltet, weil bereits zehn Minuten nach dem Gespräch Berufung eingelegt worden sei, obwohl der Vergleichsvorschlag noch von der gegnerischen Rechtsanwältin an die Bank habe weitergeleitet und besprochen werden müssen. Hinsichtlich des zweiten Telefonats am 8. Oktober 2019 sei maßgeblich, dass die Rechtsanwältin der Bank darin nach dem Klägervorbringen einerseits die Weiterleitung des Vergleichsvorschlags zugesagt, andererseits aber in dem – nur zwei Minuten dauernden – Gespräch erklärt habe, dass sie nicht davon ausgehe, dass Vergleichsbereitschaft bestehe. Jedenfalls für eine solche Fallgestaltung sei die Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass eine Terminsgebühr nicht allein dadurch anfalle, dass der Gegner die Weiterleitung des Vorschlags an seinen Mandanten zusage.

Die Revision der Rechtanwaltsgesellschaft hat Erfolg. Nach § 2 Abs. 2 RVG, Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG verdient der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch durch die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung der Anwendungsbereich der Terminsgebühr erweitert werden; die Gebühr soll insbesondere bereits dann verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen mitwirkt. Dementsprechend stellt der BGH an das Merkmal der – auch telefonisch durchführbaren – Besprechung keine besonderen Anforderungen und sieht die Terminsgebühr als entstanden an, wenn der Gegner die auf eine Erledigung des Verfahrens gerichteten Äußerungen zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei zur Kenntnis nimmt oder sich auch nur an Gesprächen mit dem Ziel einer Einigung interessiert zeigt. Dagegen genügt es nicht, wenn es in dem Gespräch nur um die grundsätzliche Bereitschaft oder abstrakte Möglichkeit einer Einigung oder um Verfahrensabsprachen wie beispielsweise um die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens geht. Verweigert der Gegner von vornherein ein sachbezogenes Gespräch oder eine gütliche Einigung, kommt eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung bereits im Ansatz nicht zustande.

An diesen Grundsätzen ist auch unter Berücksichtigung einer teilweise abweichenden und von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten instanzgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die bloße Erklärung des anderen Prozessbevollmächtigten, das Angebot an den Mandanten zur Prüfung weiterzuleiten, nicht genügen soll, festzuhalten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entstehung der Terminsgebühr führt zu einer einfachen, klaren und rechtssicheren Abgrenzung.

 

Fazit: Eine Terminsgebühr fällt an, wenn der Gegner eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Erklärung zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei entgegennimmt. Da der Gebührentatbestand nicht an den Erfolg einer gütlichen Einigung anknüpft, sind an die mündliche Reaktion des Gegners über Kenntnisnahme und Prüfung des Vorschlags hinausgehende Anforderungen nicht zu stellen (BGH, Beschluss vom 20. November 2006 – II ZB 9/06 –, MDR 2007, 557).