Anwaltsblog 25/2024: Müssen Anwaltsschriftsätze das Aktenzeichen des Gerichts enthalten?

Erneut hatte sich der BGH mit der Frage befassen, ob fristgemäß einzureichende Anwaltsschriftsätze das (korrekte) Aktenzeichen des Gerichts aufweisen müssen (BGH, Beschluss vom 29.05.2024 – IV ZB 14/22):

Der Kläger hat gegen ein Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wurde beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführt. Auf Antrag des Klägers, der das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug, ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Februar 2022 verlängert worden. Am 21. Februar 2022 ist über das besondere elektronische Anwaltspostfach eine Berufungsbegründung eingereicht worden, die wiederum das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug und in die elektronische Akte des Verfahrens 20 U 231/21 eingeordnet wurde. Nach einem Hinweis des OLG, dass mangels Eingangs einer Berufungsbegründung die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig beabsichtigt sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14. März 2022, der erneut unter dem Aktenzeichen 20 U 231/21 eingereicht und in die Akte dieses Verfahrens eingeordnet wurde, auf die Übermittlung der Berufungsbegründung am 21. Februar 2022 hingewiesen. Das Berufungsgericht hat sodann die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen. Der am 21. Februar 2022 eingegangene Schriftsatz hat die Frist gewahrt. Die Angabe des falschen Aktenzeichens steht für sich genommen dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründung nicht entgegen. Das Gesetz schreibt in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO – die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind – die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Für den Eingang der Berufungsbegründung ist es dabei unerheblich, ob der Schriftsatz anhand des Aktenzeichens bereits innerhalb der Berufungsbegründungsfrist in die für diese Sache angelegte Akte eingeordnet wurde. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt.

Der Berufungsbegründung muss allerdings zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren sie eingereicht werden soll. Unrichtige Angaben schaden nur dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist. Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Rechtsmittelbegründung eingereicht wurde, ist diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren zuzuordnen. An diesen – auch für die elektronische Übermittlung geltenden – Grundsätzen gemessen war die Berufungsbegründung vom 21. Februar 2022 – auch wenn sie das falsche Aktenzeichen trägt – ohne Zweifel dem richtigen Berufungsverfahren zuzuordnen. Denn der Schriftsatz enthält das richtige Rubrum des Berufungsverfahrens sowie im Eingangssatz und im Antrag eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit der Berufung angefochtene – nach Gericht, Entscheidungsdatum und erstinstanzlichem Aktenzeichen zutreffend bezeichnete – Entscheidung.

Fazit: Dem fristgerechten Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht steht es nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz irrtümlich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen versehen ist. Allein entscheidend ist, dass er vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22 – MDR 2024, 592).

Anmerkung: Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig hat den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt. Der in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzten Partei verbleibt nur das zulässige Rechtsmittel, sofern die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (Rechtsbeschwerde). Der einfachere und kostengünstigere Weg der Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist nicht eröffnet, da diese subsidiären Charakter hat. Voraussetzung für die Gehörsrüge ist nach § 312a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist. Der Gesetzgeber sollte de lege ferenda dieses missliche Rechtsdefizit beenden, um eine schnelle und kostengünstige Reparatur der sog. Pannenfälle (G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 321a Rn. 8 mwN.) zu ermöglichen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil.

Fernbleiben vom Termin nach Verlegungsantrag und Ablehnungsgesuch
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 – V ZB 53/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Sorgfaltspflichten im Vorfeld eines Einspruchstermins.

Die Klägerin begehrt eine Löschungsbewilligung. Das AG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Der Beklagte hat Einspruch eingelegt.

Fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte die Verlegung des Termins wegen fehlender Akteneinsicht begehrt. Mit einem unmittelbar vor Verhandlungsbeginn eingegangenen Schreiben hat er den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das AG hat den Einspruch durch den abgelehnten Richter durch Versäumnisurteil verworfen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das LG hat die Berufung zu Recht als gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig angesehen, weil der Beklagte in seiner Berufungsbegründung einen Fall der fehlenden oder schuldlosen Säumnis nicht dargelegt hat.

Der Beklagte durfte sich nicht darauf verlassen, dass sein unmittelbar vor dem Termin eingereichtes Ablehnungsgesuch dem abgelehnten Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegt wird. Deshalb war er gehalten, vorsorglich zum Termin zu erscheinen und sein Ablehnungsgesuch ggf. zu wiederholen.

Unabhängig davon reicht die Rüge, ein vor dem Termin gestelltes Ablehnungsgesuch sei fehlerhaft behandelt worden, zur Darlegung fehlender oder unverschuldeter Säumnis im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht aus. Entsprechendes gilt für die Rüge, durch die Nichtgewährung von Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Praxistipp: Bei einem Ablehnungsgesuch während der mündlichen Verhandlung kann der Termin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn anderenfalls eine Vertagung erforderlich wäre.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Signatur eines fristgebundenen Schriftsatzes

Überprüfung eines zu signierenden Schriftsatzes
Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21

Mit den Anforderungen an die Überprüfung eines Dokuments vor dessen elektronischer Signatur befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte gegen ein Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Begründungsfrist ging ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandtes und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument seines Prozessbevollmächtigten ein, das mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das OLG hat die Versäumung der Begründungsfrist zu Recht als schuldhaft angesehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte den Schriftsatz vor der Signatur auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen müssen. Er durfte diese Aufgabe nicht an sein Büropersonal delegieren. Eine Überprüfung war auch deshalb nicht entbehrlich, weil ihm das vollständige Dokument kurz zuvor bereits vorgelegt worden war und er dieses nur zur Korrektur eines Tippfehlers auf der ersten Seite zurückgegeben hatte. Vielmehr musste er auch das korrigierte Dokument darauf überprüfen, ob es den richtigen Inhalt hat und alle Seiten umfasst.

Praxistipp: Der im Streitfall aufgetretene Fehler ist besonders tückisch, weil er bei der Unterschrift eines Papierdokuments wohl ohne weiteres auffallen würde. Um ihn zu vermeiden, sollte ein Signaturprogramm eingesetzt werden, das ein vollständiges Durchblättern des Dokuments ermöglicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirkungen eines prozessualen Anerkenntnisses

Berufungserweiterung nach Anerkenntnis
Urteil vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 1173/20

Mit den Voraussetzungen für die Erweiterung einer zunächst auf einen Teil des Streitgegenstands beschränkten Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Das klagende Eisenbahnverkehrsunternehmen begehrt von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 315.000 Euro wegen eines Verkehrsunfalls, bei dem ein Omnibus und ein Zug an einem Bahnübergang kollidiert waren. Das LG wies die Klage ab. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin zunächst nur die Zahlung von rund 20.800 Euro wegen Schäden an einem Doppelstockwagen geltend gemacht. Diesen Anspruch hat die Beklagte nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist anerkannt. Die Klägerin beantragte daraufhin, die Beklagte über den anerkannten Betrag hinaus im vollen Umfang der erstinstanzlichen Anträge zu verurteilen. Das OLG sprach der Klägerin lediglich den anerkannten Betrag zu und lehnte eine Entscheidung über den restlichen Betrag mangels Rechtshängigkeit ab.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt hinsichtlich des nicht anerkannten Teils der Klageforderung zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung des OLG schloss das Anerkenntnis die Geltendmachung weiterer Ansprüche im Berufungsverfahren nicht aus. Ein prozessuales Anerkenntnis führt nicht zur Beendigung des Rechtsstreits. Diese tritt erst mit dem Erlass eines Anerkenntnisurteils ein. Die Klägerin durfte deshalb ungeachtet des Anerkenntnisses ihre Berufungsanträge nach Maßgabe der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen erweitern.

Der Umstand, dass die Klägerin das erstinstanzliche Urteil zunächst nur hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands angefochten hatte, stünde einer Erweiterung der Anträge nur entgegen, wenn darin ein konkludenter Verzicht auf ein weitergehendes Rechtsmittel zu sehen wäre. Diesbezügliche Anhaltspunkte lagen im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil sich die Klägerin eine Erweiterung des Berufungsantrags ausdrücklich vorbehalten hatte.

Eine Erweiterung des Berufungsantrags ist auch nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung zulässig, soweit der erweiterte Antrag durch die fristgerecht eingereichte Begründung gedeckt ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die Angriffe in der Berufungsbegründung der Argumentation des LG hinsichtlich des gesamten Streitgegenstands den Boden entziehen.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine auf einen Teil des Streitgegenstands beschränkte Berufungsbegründung mit dem ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren Erweiterung zu versehen.

BGH zum Umfang des Berufungsvorbringens und zum fallengelassenen Vortrag

Zu einer nicht seltenen Fallkonstellation hat der BGH (Beschl. v. 8.9.2021 – VIII ZR 258/20) eine interessante Entscheidung getroffen, die in der Praxis nicht auf große Zustimmung stoßen wird.

Die Beklagte war in den Tatsacheninstanzen verurteilt worden, einen Gebrauchtwagen zurückzunehmen. Bezüglich eines benannten Zeugen hatte das Berufungsgericht von einer Vernehmung abgesehen und dies doppelt begründet: Zum einen habe die Beklagte entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz fallen gelassen, zum anderen sei der Vortrag der Beklagten widersprüchlich. Beides akzeptiert der BGH nicht.

Der BGH betont erneut seine Auffassung, wonach der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff in der Berufungsinstanz anfällt, und zwar ohne Erneuerung und ohne Bezugnahme. Diese Sichtweise ist mit dem Wortlaut des § 529 ZPO kaum zu vereinbaren und bedeutet praktisch: Das Berufungsgericht muss die gesamte Akte lesen und prüfen, ob nicht das erstinstanzliche Gericht etwas übersehen hat. Dies macht es dem Berufungsgericht in umfangreichen Verfahren nicht gerade einfach und entlastet die Parteien in nicht zu rechtfertigender Weise. Grundsätzlich muss sich das Berufungsgericht darauf beschränken können, das erstinstanzliche Urteil sowie die Berufungsbegründung zu lesen, um die Sache beurteilen zu können.

In konsequenter Weiterentwicklung dieser Sichtweise geht der BGH jedoch davon aus, dass ein Vorbringen nur dann als fallen gelassen angesehen werden kann, wenn die Partei dies eindeutig erklärt hat. Dies war im konkreten Fall nicht gegeben. Bezüglich des (angeblich) widersprüchlichen Vorbringens weist der BGH darauf hin, dass eine Partei grundsätzlich ihr Vorbringen jederzeit berichtigen und ändern darf. Auch ein möglicherweise widersprüchlicher Vortrag erlaube dem Gericht nicht, von einer Beweisaufnahme abzusehen. Vielmehr könne ein solcher Vortrag nur nach einer Beweisaufnahme bei der Beweiswürdigung Beachtung finden.

Auch dies geht aus der Sicht der Praxis zu weit. Wenn eine Partei nicht dazu in der Lage ist, klar und präzise vorzutragen und man nicht weiß, was sie will, sollte ein derartiger Vortrag als widersprüchlich außer Betracht bleiben. Der BGH privilegiert einmal mehr unsachlichen Vortrag und Revisionsfallen“ und verhilft damit „Tricksern“ zu ungerechtfertigten (Zwischen)Erfolgen sowie Verfahrensverzögerungen und Pyrrhussiegen. Hier würde man sich von dem BGH wirklich eine praxisgerechtere Herangehensweise wünschen, und zwar in Gestalt von folgenden potentiellen Leitsätzen:

1) Das Berufungsgericht braucht nicht die erstinstanzliche Akte daraufhin durchzuforsten, ob sich möglicherweise an irgendeiner Stelle noch ein vielleicht relevanter Informationsfetzen befindet, der bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Es ist vielmehr die Aufgabe des Berufungsklägers, derartiges in der Berufungsbegründung vorzutragen.

2) Trägt eine Partei widersprüchlich vor, so darf ein solches Vorbringen unberücksichtigt bleiben.

BGH zum verloren gegangenen Fristverlängerungsantrag

Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist hat sich der BGH (Beschl. v. 22.6.2021 – VIII ZB 56/20, MDR 2021, 1082) recht ausführlich geäußert und die maßgeblichen Grundsätze zusammengefasst.

Eine Berufung wurde fristgemäß eingelegt. Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beantragte der Rechtsanwalt wegen akuter Arbeitsüberlastung eine Fristverlängerung von einem Monat. Einige Zeit später erhielt er einen Hinweis des Berufungsgerichts. Darin wurde ausgeführt, dass die Berufungsbegründungsfrist abgelaufen sei, eine Begründung jedoch nicht eingegangen wäre, weswegen eine Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigt sei. Daraufhin begründete er die Berufung und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung und machte die erforderlichen Angaben zum Verlust des Verlängerungsantrages auf dem Postweg glaubhaft. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gleichwohl! Dies geschah mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe es versäumt, sich bei dem Berufungsgericht nach dem Eingang des Verlängerungsantrages und dessen Schicksal zu erkundigen.

Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung akzeptiert der BGH dies nicht. Vielmehr ist der BGH der Auffassung, dass sich ein Rechtsanwalt bei einem ordnungsgemäß begründeten (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) erstmaligen Verlängerungsantrag im Allgemeinen darauf verlassen darf, dass diesem stattgegeben wird. Das bedeutet wiederum, dass er sich bei einem solchen erstmaligen Antrag nicht innerhalb der ursprünglich laufenden Begründungsfrist danach erkundigen muss, ob der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist und positiv beschieden wurde. Auch ist dabei zu berücksichtigen, dass bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag keine hohen Anforderungen an dessen Bewilligung gestellt werden dürfen.

Fazit: Dieser Sichtweise ist auch aus praktischen Gründen zuzustimmen. Angesichts der häufigen Überlastung von Geschäftsstellen der Gerichte gibt es zahlreiche Gründe dafür, warum über gestellte Anträge erst verspätet entschieden wird und warum bereits vom Gericht getroffene Entscheidungen darüber hinaus erst mit sehr großer Verzögerung die Verfahrensbeteiligten erreichen. Von daher wäre es zu viel verlangt, wenn man es den Rechtsanwälten aufbürden würde, sich bereits bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag nach dessen Schicksal zu erkundigen.

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Um eine prozessuale und eine materiell-rechtliche Frage geht es im Weihnachts-Blog.

Berufungsbegründung bei zwei selbständig tragenden Erwägungen
Beschluss vom 29. November 2018 – III ZB 19/18

Mit den formellen Anforderungen an eine Berufungsbegründung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die klagende Krankenkasse nahm die Beklagte, die ein Pflegeheim betreibt, aus übergegangenem Recht eines gesetzlich versicherten Heimbewohners auf Ersatz der Kosten für einen Krankenhausaufenthalt in Anspruch. Das LG wies die Klage ab, weil es nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass die beim Patienten festgestellten Druckgeschwüre durch pflegerische Versäumnisse verursacht wurden und dass die Druckgeschwüre für die Einweisung in das Krankenhaus mitursächlich waren. Das OLG verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig, weil sich die Berufungsbegründung nahezu ausschließlich mit dem ersten Aspekt befasse und hinsichtlich des zweiten Aspekts lediglich eine pauschale Rüge enthalte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er stellt klar, dass sich auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf den verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz berufen kann. Diesen Anspruch hat das OLG verletzt, weil es zu strenge Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung gestellt hat. Die Klägerin hatte geltend gemacht, die vom LG angeführten Gründe – eine größere Anzahl von Vorerkrankungen und eine auf „akute Bronchitis“ lautende Diagnose im Vorfeld der Einweisung – reichten nicht aus, um Zweifel an der Mitursächlichkeit der Druckgeschwüre zu begründen. Diese Rügen lassen einen hinreichenden Bezug zum Streitfall und zur angefochtenen Entscheidung erkennen und genügen deshalb den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO.

Praxistipp: Bei der Anfertigung einer Berufungsbegründung ist stets sorgfältig darauf zu achten, dass alle Hilfs- und Nebenbegründungen, die geeignet sind, das erstinstanzliche Urteil selbständig zu tragen, in der nach § 520 Abs. 3 ZPO erforderlichen Weise angegriffen werden.

Instandhaltung einer Telefonleitung in einer Mietwohnung
Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 17/18

Mit der Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung der Mietsache befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin wohnt seit 2011 in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Im Jahr 2015 trat eine Störung am Telefonanschluss auf. Ursache war ein Defekt an einer Leitung, die vom Telefonanschluss im Untergeschoss des Gebäudes durch einen Kriechkeller bis zur Wohnung der Klägerin verläuft. Die beklagte Vermieterin kam dem Verlangen der Klägerin, die Leitung instand setzen zu lassen, nicht nach. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Instandsetzung der Leitung. Das LG verurteilte die Beklagte lediglich zur Duldung der Instandsetzung und wies die weitergehende Klage ab.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH lässt offen, ob ein funktionierender Telefonanschluss in einer Mietwohnung zu dem nach der Verkehrsanschauung geschuldeten Mindeststandard gehört. Jedenfalls dann, wenn eine sichtbare Telefonanschlussdose in der Wohnung vorhanden ist, darf der Mieter mangels abweichender Vereinbarung erwarten, dass er diese ohne zusätzliche Verkabelungsarbeiten nutzen kann. Aus dieser Überlassungspflicht ergibt sich mangels abweichender Vereinbarung zugleich eine Erhaltungspflicht des Vermieters. Dieser muss erforderlichenfalls auch für die Reparatur von Anlagenteilen sorgen, die außerhalb der Wohnung liegen.

Praxistipp: Bei der Geltendmachung entsprechender Ansprüche ist zu prüfen, ob der Mietvertrag abweichende Regelungen enthält und ob dieser einer AGB-Kontrolle standhalten.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Um ein immer wiederkehrendes und äußerst haftungsträchtiges Thema geht es in dieser Woche.

Zeitreserve bei Faxversand in letzter Minute
Beschluss vom 23. Oktober 2018 – III ZB 54/18

Mit den Anforderungen an den Versand von mehreren Schriftsätzen unmittelbar vor Fristablauf befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Fondsbeteiligung. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte fristgerecht Berufung ein. Die per Telefax übermittelte Berufungsbegründung ging wenige Minuten nach Ablauf der Frist beim OLG ein. In seinem Wiedereinsetzungsgesuch machte der Kläger geltend, sein Anwalt habe um 23:26 Uhr mit der Übertragung von drei jeweils vierzehn Seiten umfassenden Berufungsbegründungen begonnen. Der Faxanschluss des OLG sei aber bis 23:55 Uhr belegt gewesen. Deshalb hätten nur noch die Schriftsätze in den beiden Parallelsachen rechtzeitig übermittelt werden können, nicht aber der Schriftsatz des Klägers. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Anwalt des Klägers musste damit rechnen, dass der Telefaxanschluss des Gerichts kurz vor Mitternacht aufgrund von Sendeversuchen anderer Absender belegt sein könnte, und musste deshalb eine zusätzliche Zeitreserve einplanen. Diese beträgt bei einem einzelnen Schriftsatz in der Regel 20 Minuten. Sollen mehrere Schriftsätze übertragen werden, muss die Reserve angemessen erhöht werden, weil die Gefahr besteht, dass die Leitung nach jedem einzelnen Übermittlungsvorgang erneut durch Dritte belegt ist. Im Streitfall stand für die drei Schriftsätze insgesamt eine Zeitreserve von weniger als 30 Minuten zur Verfügung. Dies war nicht ausreichend.

Praxistipp: Bei Last-Minute-Einreichungen dürfte der Versand über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) mit deutlich geringeren Risiken verbunden sein als der Versand über das vermeintlich bewährte Telefax.

Montagsblog: Neues vom BGH

Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung trotz der dafür geltenden hohen Anforderungen durchaus Erfolg haben kann, zeigt die aktuelle Entscheidung aus dieser Woche.

Eintragung einer Vorfrist bei Fristverlängerungsantrag
Beschluss vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17

Mit den Anforderungen an die Fristensicherung bei einem Fristverlängerungsantrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin legte fristgerecht Berufung ein. Auf ihren Antrag verlängerte des LG die Frist zur Begründung des Rechtsmittels. Bis zum Ablauf der verlängerten Frist ging eine Begründung nicht ein. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die mit der Führung des Fristenbuchs beauftragte, ausgesprochen zuverlässige und gewissenhafte Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten habe nach Eingang des Beschlusses über die Fristverlängerung weder die verlängerte Frist (damals noch rund vier Wochen) noch die vom Prozessbevollmächtigten verfügte Wiedervorlagefrist von zwei Wochen in das Fristenbuch eingetragen, weil sie aufgrund vorhandener Einträge im Fristenbuch davon ausgegangen sei, die Verfügung sei bereits erledigt. Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gewährt der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anwalt, der sich bei der Überwachung von Fristen der Hilfe von Mitarbeitern bedient, diese grundsätzlich durch allgemeine Organisationsanweisung anhalten muss, im Fristenbuch bei oder alsbald nach Stellung eines Antrags auf Fristverlängerung sowohl das (als solches gekennzeichnete) hypothetische Ende der beantragten verlängerten Frist als auch eine Vorfrist einzutragen. Die Vorfrist soll es dem Anwalt ermöglichen, den bevorstehenden Ablauf der Frist zu überprüfen und den innerhalb der Frist einzureichenden Schriftsatz zu fertigen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat seinen Kanzleibetrieb nicht in dieser Weise organisiert. Dies ist ihm aber nicht anzulasten, weil er andere Weisungen erteilt hat, bei deren ordnungsgemäßer Ausführung die Wahrung der Frist in gleichem Maße sichergestellt gewesen wäre. Diese Maßnahmen bestanden zum einen in der allgemeinen Weisung, vom Anwalt bestimmte Wiedervorlagefristen zu notieren und die betreffenden Akten innerhalb der Frist dem Anwalt vorzulegen, zum anderen in der Anordnung einer Wiedervorlagefrist von zwei Wochen. Bei ordnungsgemäßer Ausführung dieser beiden Weisungen hätte der Anwalt noch zwei Wochen Zeit gehabt, um die Berufungsbegründung anzufertigen und einzureichen.

Praxistipp: Der Antragsteller muss alle Maßnahmen, die der Anwalt zur Wahrung der Frist veranlasst hat, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vortragen und glaubhaft machen.

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Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer äußerst sorgfältigen Begründung bedarf, belegt die in dieser Woche vorgestellte Entscheidung.

Eintrag im Fristenkalender und Erledigungsvermerk in der Handakte
Beschluss vom 12. Juni 2018 – II ZB 23/17

Mit den Sorgfaltspflichten des Anwalts bei Anweisung und Überwachung seiner mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Mitarbeiter befasst sich der II. Zivilsenat.

Der in erster Instanz erfolglos gebliebene Kläger ließ durch seinen – erstmals für die zweite Instanz mandatierten – Prozessbevollmächtigten fristgerecht Berufung einlegen. Eine Berufungsbegründung ging innerhalb der dafür maßgeblichen Frist nicht ein. Auf Hinweis des OLG machte der Kläger geltend, sein Prozessbevollmächtigter habe seine erfahrene und ansonsten zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte angewiesen, eine Akte anzulegen und die (jeweils konkret bezeichneten) Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung zu notieren. Die Angestellte habe beide Fristen auf dem Urteilsausdruck notiert, jedoch nur die Frist für die Einlegung in das Fristenbuch eingetragen. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt erfolglos. Ein Rechtsanwalt muss seine mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Mitarbeiter anweisen, eine Frist zunächst in den Kalender einzutragen und erst danach einen Erledigungsvermerk oder eine damit vergleichbare Notiz in der Handakte anzufertigen. Im Streitfall hat der Kläger im Wiedereinsetzungsgesuch nicht vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter eine solche Weisung erteilt hat. Dies wäre zwar unschädlich, wenn der Prozessbevollmächtigte eine ordnungsgemäße Einzelweisung erteilt hätte. Hierzu hätte er seiner Mitarbeiterin aber ebenfalls aufgeben müssen, die Frist zuerst im Kalender und erst danach auf dem Urteilsausdruck zu vermerken. Dass die im Streitfall erteilte Weisung diesen Inhalt hatte, ergab sich aus dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht. Eine Ergänzung nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ist nicht zulässig.

Praxistipp: Ein Wiedereinsetzungsgesuch hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn darin alle Maßnahmen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die nach der Rechtsprechung zur Einhaltung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten erforderlich sind. Dies betrifft auch vermeintlich selbstverständliche Punkte.