Montagsblog: Neues vom BGH

Mit dem Beginn von Rechtsmittelfristen und mit der Nutzungsausfallentschädigung für Motorräder befassen sich die beiden Entscheidungen aus dieser Woche.

Zustellung einer beglaubigten Abschrift reicht aus
Urteil vom 15. Februar 2018 – V ZR 76/17

Der V. Zivilsenat bekräftigt, dass eine Rechtsmittelfrist seit der am 1.7.2014 in Kraft getretenen Änderung von § 317 ZPO mit der Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Entscheidung beginnt.

Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche aus einem Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung geltend. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies sie ab. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine beglaubigte Abschrift des Berufungsurteils zugestellt. Knapp vier Wochen später wurde ihm auf Antrag eine Ausfertigung erteilt. Innerhalb eines Monats nach Erhalt der Ausfertigung, aber nahezu zwei Monate nach Zustellung der beglaubigten Abschrift legte die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde ein.

Der BGH verwirft das Rechtsmittel als unzulässig. Nach der früheren Rechtsprechung begann eine Rechtsmittelfrist zwar grundsätzlich erst mit Zustellung einer Ausfertigung zu laufen. Nach der seit 1.7.2014 geltenden Fassung von § 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO werden Ausfertigungen aber nur noch auf Antrag erteilt. Deshalb beginnt eine Rechtsmittelfrist nunmehr bereits mit Zustellung einer beglaubigten Abschrift (ebenso bereits BGH, B. v. 27.1.2016 – XII ZB 684/14, MDR 2016, 667). Mit ihrem Einwand, ihr sei abweichend vom Empfangsbekenntnis nur eine nicht beglaubigte Abschrift zugestellt worden, dringt die Klägerin nicht durch – unter anderem deshalb, weil sie entgegen einer Aufforderung des BGH das zugestellte Dokument nicht im Original, sondern nur als schlecht lesbare Kopie vorgelegt hatte.

Praxistipp: Vor der Erteilung eines Empfangsbekenntnisses sollte sorgfältig geprüft werden, ob die zugestellte Abschrift den erforderlichen Beglaubigungsvermerk enthält.

Nutzungsausfallentschädigung für ein Motorrad
Urteil vom 23. Januar 2018 – VI ZR 57/17

Der VI. Zivilsenat bejaht einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung auch für Motorräder.

Das Motorrad des Klägers war bei einem Verkehrsunfall beschädigt worden. Der von der Haftpflichtversicherung des Beklagten beauftragte Sachverständige erstattete sein Gutachten erst sechs Wochen später. Die Klage auf Nutzungsausfallentschädigung für diesen Zeitraum blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er bekräftigt seine Rechtsprechung, wonach der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs als wirtschaftlicher Schaden zu werten sein kann, und entscheidet, dass dies auch für Motorräder gilt. Wie bei Pkw ist dafür grundsätzlich Voraussetzung, dass der Geschädigte über kein anderes Fahrzeug verfügt. Dass ein Motorrad nicht bei jeder Witterung benutzt wird, ist allenfalls für die Schadenshöhe von Bedeutung. Das LG wird deshalb nach Zurückverweisung zu prüfen haben, an welchen Tagen das Wetter eine Nutzung zuließ.

Praxistipp: Um den Einwand des Mitverschuldens auszuschließen, sollte der Geschädigte frühzeitig darauf hinweisen, dass er über kein weiteres Fahrzeug verfügt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Streitwert bei Antrag auf Herausgabe, Fristbestimmung und Schadensersatz nach Fristablauf
Beschluss vom 28. September 2017 – V ZB 63/16

Eine bislang umstrittene Frage beantwortet der V. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Herausgabe eines Wohnungsschlüssels. Ergänzend beantragte er, der Beklagten eine Frist zu setzen und sie für den Fall nicht rechtzeitiger Herausgabe zur Zahlung von rund 1.400 Euro zu verurteilen. Zur Begründung machte er geltend, ohne Rückgabe des Schlüssels müsse er die Schließanlage im gesamten Anwesen auswechseln lassen. Das AG wies die Klage ab. Das LG verwarf die Berufung mangels ausreichender Beschwer als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er tritt dem LG zwar darin bei, dass der Streitwert für den Herausgabeantrag nicht anhand der Kosten einer neuen Schließanlage zu bemessen ist, sondern allein anhand der (im Streitfall unter 600 Euro liegenden) Kosten eines Ersatzschlüssels, weil die Beschaffung einer neuen Schließanlage nicht zum Gegenstand dieses Antrags gehört, sondern nur eine mittelbare wirtschaftliche Folge darstellt. Entgegen einer verbreiteten Auffassung ist für die Bemessung des Streitwerts aber auch der Antrag auf Zahlung von Schadensersatz bei nicht rechtzeitiger Herausgabe zu berücksichtigen. Weil die beiden Ansprüche wirtschaftlich auf dasselbe Ziel gerichtet sind, ist entsprechend § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur einer von ihnen heranzuziehen, und zwar derjenige mit dem höheren Wert. Im Streitfall beträgt die Beschwer deshalb rund 1.400 Euro.

Praxistipp: Die Kombination eines Herausgabeantrags mit Anträgen auf Fristsetzung und Zahlung von Schadensersatz ist nach § 255 und § 260 ZPO möglich. Hinsichtlich des Zahlungsantrags müssen zusätzlich die Voraussetzungen des § 259 ZPO (Besorgnis der nicht rechtzeitigen Erfüllung) vorliegen.

Anwaltswechsel nach selbständigem Beweisverfahren
Beschluss vom 26. Oktober 2017 – V ZB 188/16

Eine weitere umstrittene Frage beantwortet der V. Zivilsenat in einem etwas später ergangenen, aber zeitgleich veröffentlichten Beschluss.

Der Kläger hatte gegen die Beklagte ein selbständiges Beweisverfahren wegen Rissen und Feuchtigkeitsschäden an einem Gebäude durchführen lassen. Seine später wegen derselben Schäden erhobene Klage wurde abgewiesen. Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Beklagte die Festsetzung von zwei anwaltlichen Verfahrensgebühren, weil sie im selbständigen Beweisverfahren von einem anderen Anwalt vertreten wurde als im Hauptsacheverfahren. Das LG setzte nur eine der beiden Verfahrensgebühren fest. Die Beschwerde der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanz. In den beiden Verfahren ist zwar jeweils eine Verfahrensgebühr angefallen. Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist aber nur eine davon erstattungsfähig, weil  die Gebühr für das selbständige Beweisverfahren ohne den Anwaltswechsel auf die Gebühr für das Hauptsacheverfahren anzurechnen wäre. Wegen der engen Verflechtung der beiden Verfahren gilt § 92 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch für einen Anwaltswechsel nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens und vor Beginn des Hauptsacheverfahrens.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Anwaltswechsel notwendig war, liegt beim Kostengläubiger.

Rechtzeitige Zahlung des Kostenvorschusses
Urteil vom 29. September 2017 – V ZB 103/16

Eine weitere Entscheidung des V. Zivilsenats betrifft die Frage, wann eine Zustellung noch im Sinne von § 167 ZPO „demnächst“ erfolgt ist.

Der Kläger focht mehrere Beschlüsse einer Wohnungseigentümerversammlung an. Zwei Tage vor Ablauf der einmonatigen Klagefrist  (§ 46 Abs. 1 Satz 2 WEG) erhielt der Prozessbevollmächtigte die Gerichtskostenrechnung übersandt. Dreißig Tage später ging der Vorschuss bei der Justizkasse ein. Das AG wies die Klage als unzulässig ab. Die Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach eine Zustellung noch „demnächst“ erfolgt ist, wenn eine durch nachlässiges Verhalten des Klägers verursachte Verzögerung vierzehn Tage nicht übersteigt. Hierbei ist der Zeitraum bis zum Ablauf der Frist (im Streitfall: zwei Tage) nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus hat der Kläger grundsätzlich mindestens eine Woche Zeit, um die Zahlung zu erledigen. Dieser Zeitraum verlängerte sich im Streitfall auf neun Tage, weil innerhalb der Wochenfrist zwei Feiertage lagen. Ferner hat der Prozessbevollmächtigte für die Prüfung und Weiterleitung der an ihn übersandten Rechnung drei Werktage Zeit. Im Streitfall betrug der aus diesem Grund unschädliche Zeitraum fünf Tage, weil er ein Wochenende umfasste. Von den dreißig Tagen zwischen Erhalt der Rechnung und Zahlungseingang sind damit insgesamt sechzehn nicht zu berücksichtigen. Der verbleibende, auf Nachlässigkeit des Klägers zurückzuführende Zeitraum beträgt vierzehn Tage – eine wahre Punktlandung.

Praxistipp: Die Frage, ob eine Kostenrechnung an den Prozessbevollmächtigten oder unmittelbar an die Partei versandt wird, ist nicht bundeseinheitlich geregelt. Die Pflicht des Anwalts, eine erhaltene Rechnung innerhalb von drei Werktagen (gemeint sind wohl Arbeitstage) zu prüfen und an den Mandanten weiterzuleiten, besteht unabhängig davon, ob die Übersendung an ihn der einschlägigen Regelung entspricht..

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Vermeidbarer Verbotsirrtum bei Verstoß gegen Strafnorm
Urteil vom 16. Mai 2017 – VI ZR 266/16

Mit den subjektiven Voraussetzungen der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger hatte zum Zweck der Kapitalanlage Genussscheine einer später insolvent gewordenen Aktiengesellschaft gezeichnet. Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, die Zahlungen der Anleger entgegennahm und an die AG weiterleitete. Nach dem finanziellen Zusammenbruch der AG wurde der Initiator wegen Betrugs und Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die gegen den Beklagten gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu dem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz blieb vor dem AG erfolglos. Das LG wies die Berufung mit der Begründung zurück, der Beklagte, der sich vor Abschluss des Kooperationsvertrags mit der AG anwaltlich hatte beraten lassen, sei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne von § 17 Satz 1 StGB erlegen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er tritt dem LG darin bei, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht besteht, wenn das verletzte Schutzgesetz eine Strafnorm ist und der Schädiger einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlag. Er beanstandet aber die Feststellungen, auf die das LG die Annahme eines Verbotsirrtums im Streitfall gestützt hat, als unklar. Ferner macht der BGH deutlich, dass für Personen, die im Geschäftsleben stehen, der Irrtum über das Bestehen eines Schutzgesetzes, das für ihren Arbeitsbereich erlassen wurde, kaum jemals als unvermeidbar angesehen werden kann. So reicht es nicht ohne weiteres aus, anwaltlichen Rat einzuholen und auf dessen Richtigkeit zu vertrauen. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für einen die Haftung ausschließenden Rechtsirrtum trägt der Anspruchsgegner.

Zustellung an den „falschen“ Adressaten
Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 11/16

Mit den Voraussetzungen für die Heilung eines Zustellungsmangels befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte Zahlung des Kaufpreises für Baustofflieferungen an ein Einzelunternehmen. In der Klageschrift war der Beklagte bezeichnet als „W.K., Inhaber der Einzelfirma K.“. Das LG übernahm diese Angabe in die Postzustellungsurkunde. Der Schriftsatz wurde W.K. persönlich zugestellt. Dieser machte geltend, Inhaber der Firma sei seit vielen Jahren sein Sohn A.K. Das LG berichtigte die Beklagtenbezeichnung in „Firma W.K, Inhaber A.K.“ und verurteilte diese Partei antragsgemäß. Das OLG ließ die Klageschrift an den Sohn zustellen, hob die erstinstanzliche Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies die Sache an das LG zurück.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Er tritt dem Kläger und den Vorinstanzen zwar darin bei, dass die Klage von Beginn an gegen den Sohn als aktuellen Unternehmensinhaber gerichtet war. Mit dem OLG hält er die erstinstanzliche Zustellung der Klageschrift an den Vater jedoch für unzureichend. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO kommt nicht in Betracht, weil das LG die Klage an den Vater zustellen wollte und es deshalb an dem für eine Heilung erforderlichen Zustellungswillen in Bezug auf den Sohn fehlt. Nach § 189 Fall 2 ZPO kann eine Heilung zwar auch dann eintreten, wenn das Dokument einer Person zugegangen ist, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß hätte gerichtet werden können. Dies setzt aber voraus, dass sich die Zustellungsmöglichkeit aus dem Gesetz selbst ergibt. Letzteres ist etwa bei gesetzlichen Vertretern oder Prozessbevollmächtigten der Fall, nicht aber bei dritten Personen, deren Beteiligung am Rechtsstreit sich nur aus einer Auslegung der Klageschrift ergibt.

Praxistipp: Um Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung auszuschließen, sollte der Kläger bei einem Antrag auf Rubrumsberichtigung zugleich auf eine erneute Zustellung der Klageschrift hinwirken.

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Löschung einer Limited im Register ihres Heimatstaats
Beschluss vom 22. November 2016 – II ZB 19/16
Beschluss vom 19. Januar 2017 – VII ZR 112/14

Mit den prozessualen Folgen der Löschung einer am Prozess beteiligten Limited Company im Register ihres Heimatstaats befassen sich der II. und der VII. Zivilsenat in zwei unterschiedlich gelagerten Fällen.

In dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Fall war zu Lasten eines in Deutschland belegenen Grundstücks eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz auf den Bahamas eingetragen. Im dortigen Handelsregister war die Gesellschaft wegen nicht beglichener Registergebühren gelöscht worden. Die Eigentümer des Grundstücks beantragten die Anordnung einer Pflegschaft für die Gesellschaft gemäß § 1913 BGB, mit dem Ziel, dass der Pfleger die Löschung der nicht mehr valutierten Grundschuld beantragt. Das AG wies den Antrag zurück. Das LG verwarf die Beschwerde der Eigentümer als unzulässig.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Eigentümer zurück. Die Eigentümer sind durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt und deshalb nicht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie die Löschung der Grundschuld auf anderem Wege erreichen können. Wenn die Limited dem Recht der Bahamas unterliegt – was bei Gesellschaften außerhalb der EU einen effektiven Verwaltungssitz in diesem Staat voraussetzt – ist sie mit der Löschung im Handelsregister zwar erloschen. Für ihr in Deutschland belegenes Vermögen gilt sie aber als Restgesellschaft als fortbestehend, weil die Löschung auf einer staatlichen Zwangsmaßnahme beruht. Sie ist insoweit als deutsche Kapitalgesellschaft zu behandeln, für die entsprechend § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen ist. Falls die Limited ihren letzten Verwaltungssitz in Deutschland hatte, unterliegt sie insgesamt dem deutschen Recht und ist mangels Eintragung im deutschen Handelsregister als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen anzusehen. In dieser Rechtsform ist sie trotz der Löschung auf den Bahamas weiterhin voll existent.

In dem vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Kläger eine nach englischem Recht gegründete Private Limited Company auf Zahlung von Architektenhonorar in Anspruch genommen. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil. Nach Erlass und vor Zustellung dieses Urteils wurde die Beklagte im englischen Register gelöscht. Das Versäumnisurteil wurde dennoch zugestellt, und zwar – wie schon die Klageschrift – an einen Wirtschaftsprüfer in London, den die Beklagte mit der Entgegennahme ihrer Post beauftragt hatte. Drei Monate nach der Zustellung legte ein Anwalt im Namen der Beklagten Einspruch ein. Das LG verwarf diesen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Während des Berufungsverfahrens wurde die Beklagte wieder in das englische Register eingetragen. Ihre Berufung blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanzen verneint er eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils. Im Zeitpunkt der Zustellung war die Beklagte aufgrund der Löschung im Register nach englischem Recht – das als Gründungsstatut für die in der EU ansässige Beklagte unabhängig von deren Verwaltungssitz maßgeblich ist – nicht mehr existent. Mangels Vermögens im Inland bestand auch keine Restgesellschaft, so dass die Beklagte ihre Rechtsfähigkeit insgesamt verloren hatte. Deshalb konnte das Versäumnisurteil nicht wirksam zugestellt werden. Allerdings wurde die Klage trotz des Verlusts der Rechtsfähigkeit und dem damit verbundenen Verlust der Prozessfähigkeit der Beklagten nicht unzulässig. Weil nach englischem Recht eine Wiedereintragung möglich ist, war der Rechtsstreit vielmehr entsprechend § 239 und § 241 ZPO unterbrochen, solange ein Antrag auf Wiedereintragung noch in Betracht kam. Gemäß § 249 ZPO konnte während der Unterbrechung aber keine wirksame Zustellung erfolgen. Deshalb begann die Einspruchsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp: Eine Unterbrechung nach § 239, § 241 oder § 242 ZPO tritt gemäß § 246 ZPO nicht ein, wenn die betroffene Partei bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Dieser kann aber die Aussetzung des Verfahrens beantragen.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Teilunwirksamkeit und Erlöschen eines formnichtigen Angebots
Urteil vom 13. Mai 2016 – V ZR 265/14

Dass die berühmte Problematik der „Doppelwirkungen im Recht“ nach wie vor aktuell ist, belegt eine Entscheidung des V. Zivilsenats.

Der Kläger gab in notarieller Urkunde ein befristetes Angebot zum Kauf einer Eigentumswohnung ab. In den vorformulierten Angebotsbedingungen war vorgesehen, dass das Angebot auch nach Ablauf der festgelegten Bindefrist gültig bleiben sollte. Der Verkäufer nahm das Angebot nach Ablauf der Bindefrist in notarieller Urkunde an. Nach der Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch verlangte der Kläger die Rückabwicklung des Vertrags. LG und OLG verurteilten die Beklagte antragsgemäß, mit der Begründung, der Vertrag sei nicht wirksam zustande gekommen.

Der BGH bestätigt die Vorinstanzen. Wie diese sieht er den Vertrag als unwirksam an, weil der Verkäufer das Angebot des Klägers entgegen § 148 BGB erst nach Ablauf der Bindefrist angenommen hat und die in den vorformulierten Angebotsbedingungen vorgesehene Verlängerung der Bindefrist auf unbestimmte Zeit gemäß § 308 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Den Einwand der Beklagten, alle Willenserklärungen seien schon gemäß § 117 und § 125 BGB nichtig gewesen, weil der notariell beurkundete Text nicht den gesamten Vertragsinhalt enthalten habe und die auf den Abschluss des eigentlich gewollten Vertrags gerichteten Erklärungen nicht in der nach § 311b BGB erforderlichen Form abgegeben worden seien, hält der BGH für unerheblich. Auch ein nichtiges Angebot könne nur innerhalb der darin bestimmten Frist angenommen werden und unterliege der AGB-Kontrolle. Dies gebiete der Zweck des § 148 BGB und der §§ 305 ff. BGB.

Praxistipp: Wenn die Annahme eines notariell beurkundeten Angebots trotz Ablaufs der darin bestimmten Frist möglich bleiben soll, muss mit dem Vertragspartner zumindest mündlich eine Verlängerung der Bindefrist vereinbart werden. Bei Grundstücksverträgen ist die mündliche Verlängerungsvereinbarung zwar unwirksam. Sie wird – ebenso wie sonstige mündliche Nebenabreden – aber gemäß § 311b Abs. 1 S. 2 BGB wirksam, wenn der Eigentumswechsel im Grundbuch eingetragen ist.

Zustellung einer Entscheidung an Anwalt und Mandant
Beschluss vom 11. Mai 2016 – XII ZB 582/15

Mit der Frage, welche Zustellung für den Beginn der Rechtsmittelfrist maßgeblich ist, befasst sich der XII. Zivilsenat.

Das AG hatte eine Entscheidung zur Verfahrenskostenhilfe sowohl dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers als auch – einen Tag später – dem Antragsteller persönlich zugestellt. Das OLG verwarf das gegen die Entscheidung eingelegte Rechtsmittel des Antragstellers, weil es einen Tag nach Ablauf der – vom Tag der Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten an berechneten – Frist eingelegt worden war.

Der BGH bestätigt die Entscheidung des OLG. Er stützt diese Beurteilung auf § 172 Abs. 1 ZPO, wonach Zustellungen an den für den Rechtszug bestellten Bevollmächtigten zu erfolgen haben. Eine entgegen dieser Vorschrift erfolgte Zustellung ist unwirksam und setzt Rechtsmittelfristen nicht in Gang. Dies gilt auch dann, wenn die Ingangsetzung einer solchen Frist im Einzelfall für die Partei günstig wäre.

Praxistipp: Wenn eine Entscheidung mehrfach an dieselbe Partei zugestellt wird, sollte als Ausgangspunkt für die Rechtsmittelfrist vorsichtshalber stets das Datum der ersten Zustellung gewählt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Der BGH stellt seinen Richtern wöchentlich eine Sammlung aller Leitsatzentscheidungen zur Verfügung, die in der vorangegangenen Woche veröffentlicht worden sind. In Anknüpfung an diese sog. Montagspost berichtet der Montagsblog wöchentlich über – ausgewählte – aktuelle Entscheidungen des BGH.

Anscheinsbeweis beim Online-Banking
Urteil vom 26. Januar 2016 – XI ZR 91/14

Mit den Risiken des Online-Banking, den einschlägigen Vorschriften (insbesondere § 675w BGB) und den hieraus resultierenden Konsequenzen für die Darlegungs- und Beweislast befasst sich eine Entscheidung des XI. Zivilsenats.

Im Ausgangsfall war es bei der klagenden Sparkasse im Rahmen einer Systemumstellung über einige Tage hinweg zu Fehlbuchungen im Online-Banking gekommen. Das Konto der beklagten GmbH wies deshalb über ein Wochenende hinweg einen um 238.000 Euro zu hohen Stand auf. Noch am Freitag, kurz vor Mitternacht, wurde von diesem Konto per Onlineüberweisung mit smsTAN ein Betrag von 235.000 Euro an eine andere Gesellschaft überwiesen. Am darauffolgenden Montag wurden die Fehlbuchungen storniert. Das Konto wies nun einen negativen Schlusssaldo in der Größenordnung des Überweisungsbetrags auf. LG und OLG gaben der Klage auf Zahlung dieses Betrags ohne Beweisaufnahme statt, mit der Begründung, der Beweis des ersten Anscheins spreche dafür, dass das Online-Banking-System ordnungsgemäß genutzt worden sei.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er hält zwar mit einer in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Auffassung einen Anscheinsbeweis auch vor dem Hintergrund der seit 31.10.2009 geltenden Bestimmungen über Zahlungsdienste (§§ 675c bis 676h BGB) für möglich, knüpft diesen aber an strenge Anforderungen. Nach § 675w Satz 3 BGB, reicht eine ordnungsgemäße technische Aufzeichnung des Zahlungs- und Authentifizierungsvorgangs allein nicht zum Nachweis dafür aus, dass der Berechtigte den Vorgang autorisiert oder aber eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen hat. Der BGH folgert hieraus, dass die ordnungsgemäße Aufzeichnung allein auch keinen Anscheinsbeweis begründet. Ein solcher kommt nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das eingesetzte Sicherheitssystem allgemein praktisch nicht zu überwinden ist und im konkreten Einzelfall ordnungsgemäß angewendet wurde und konkret funktioniert hat. Hierzu muss der Zahlungsdienstleister vortragen und erforderlichenfalls beweisen, sie das eingesetzte Sicherheitssystem konzipiert ist und dass es im Einzelfall ordnungsgemäß funktioniert hat. Im konkreten Fall gehörte hierzu auch Vortrag, dass die kurz zuvor aufgetretenen Softwareprobleme keine Auswirkungen auf das Sicherheitssystem hatten. Hat der Zahlungsdienstleister die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis bewiesen, kann der Kunde ihn erschüttern, indem er Tatsachen vorträgt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines Missbrauchs nahelegen. Im konkreten Fall hat der BGH hierzu den Vortrag als ausreichend angesehen, der Geschäftsführer der Beklagten kenne den Überweisungsempfänger nicht und habe keine schriftliche Zahlung ausgestellt. Ferner sei er zum Zeitpunkt der Überweisung in Urlaub gewesen und das Mobiltelefon, an das die smsTAN übermittelt wurde, habe sich im Gewahrsam eines Mitarbeiters befunden, der die TAN zwar empfangen, aber nicht verwendet habe.

Praxistipp: Vor der gerichtlichen Geltendmachung entsprechender Forderungen muss das Prozesskostenrisiko besonders sorgfältig geprüft werden. Ob die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis vorliegen, kann, wie auch der BGH andeutet, in der Regel nur mit Hilfe eines gerichtlichen Sachverständigen geklärt werden.

Zustellung der Klageschrift
Urteil vom 22. Dezember 2015 – VI ZR 79/15

Eine eher formale, für Anwälte aber gerade deshalb haftungsträchtige Frage im Zusammenhang mit der Zustellung einer Klageschrift behandelt der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten wegen Erteilung fehlerhafter Informationen bei der Vermittlung einer Kapitalanlage in Anspruch. Seiner kurz vor Ablauf der Verjährung bei Gericht eingereichten Klageschrift lagen Kopien bei, die den Stempel „Beglaubigte Abschrift“, aber keinen vom Rechtsanwalt unterschriebenen Beglaubigungsvermerk aufwiesen. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies sie hingegen wegen Verjährung ab.

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das OLG zurück. Mit der Vorinstanz geht der BGH allerdings davon aus, dass die Zustellung einer nicht beglaubigten Abschrift für die ordnungsgemäße Zustellung einer Klageschrift nicht ausreicht. Zwar ist in den die Einzelheiten der Zustellung regelnden §§ 166 ff. ZPO in der seit 01.07.2002 geltenden Fassung nicht mehr ausdrücklich vorgeschrieben, dass eine beglaubigte Abschrift zuzustellen ist. Der BGH hält eine Beglaubigung aber weiterhin für erforderlich, weil der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand (§ 170 Abs. 1 ZPO a.F.) nicht habe ändern wollen. Anders als das OLG bejaht der BGH aber eine Heilung des Formmangels gemäß § 189 ZPO, weil die nicht beglaubigte Abschrift dem Beklagten tatsächlich zugegangen ist und nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt keine inhaltlichen Abweichungen vom Original aufweist.

Praxistipp: Trotz der Möglichkeit einer Heilung nach § 189 ZPO sollte jeder Anwalt weiterhin darauf achten, dass die eingereichten Abschriften ordnungsgemäß beglaubigt sind.

Staatenimmunität und Umschuldung von Staatsanleihen
Urteil vom 8. März 2016 – VI ZR 516/14

Dass die Euro-Krise vielfältige Rechtsfragen aufwirft, veranschaulicht eine Entscheidung des VI. Zivilsenats zur Reichweite der prozessualen Staatenimmunität.

Die Kläger hatten in den Jahren 2010 und 2011 griechische Staatsanleihen erworben, die nach den Anleihebedingungen dem griechischen Recht unterfielen. Durch Gesetz vom 23.02.2012 wurde in Griechenland die Möglichkeit eingeführt, Mehrheitsentscheidungen der Anleihegläubiger über eine Änderung der Anleihebedingungen durch Beschluss des Ministerrats für allgemeinverbindlich zu erklären. Am 09.03.2012 erging ein solcher Beschluss für die von den Klägern erworbenen Papiere. Diese wurden gegen andere Anleihen umgetauscht, die einen um mehr als die Hälfte verringerten Nennwert und eine längere Laufzeit aufweisen. Die Kläger nahmen den griechischen Staat deswegen auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos.

Der BGH schloss sich der Beurteilung der Vorinstanzen an, wonach die deutsche Gerichtsbarkeit im Hinblick auf den Grundsatz der Staatenimmunität nicht eröffnet ist. Die Begebung von Staatsanleihen ist zwar ein nicht hoheitlicher Akt, der die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in einem anderen Staat nicht ausschließt. Die geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz werden aber nicht auf die Ausgabe der Anleihen gestützt, sondern auf die nachträglich ergangene gesetzliche Regelung und den darauf beruhenden Beschluss des griechischen Ministerrats. Dies sind hoheitliche Handlungen, die der Überprüfung durch die deutschen Gerichte entzogen sind.

Praxistipp: Anleger, die ungeachtet der in der Regel eher geringen Erfolgsaussichten den Rechtsweg beschreiten wollen, müssen bestrebt sein, ihre Ansprüche auf Handlungen des Beklagten zu stützen, die nicht hoheitlicher Natur sind.