EU-Lieferkettengesetz – Einigung im Trilog zwischen Rat und Parlament über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive – CSDDD)

Nach dem Vorbild einzelner Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland) hat die EU-Kommission bereits am 23.2.2022 einen Vorschlag für eine große, sektorübergreifende Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final), der einerseits deutlich über die nationalen Vorbilder wie das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (LkSG) hinausging und deshalb auf ein überaus kritisches Echo aus den Reihen der Wirtschaft gestoßen ist, andererseits aber großen Teilen des Europäischen Parlaments und den in Brüssel durchaus einflussreichen „Akteuren der Zivilgesellschaft“ zu unambitioniert erschien. Die damit notwendigen Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament, die sich zunächst durchaus zäh gestalteten, sind nunmehr am 14.12.2023 mit einer vorläufigen Einigung erfolgreich abgeschlossen worden (knappe Pressemitteilung des Rates „Corporate Sustainability Due Diligence: Council and Parliament strike deal to protect environment and human rights“; zusätzliche Informationen in der gemeinsamen Pressekonferenz von Lara Wolters, Berichterstatterin für das Parlament, Justizkommissar Didier Reynders, und dem Spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés).

Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über Ziele und Mechanik der CSDDD die wesentlichen Parameter der Trilog-Einigung vorgestellt.

Gegenstand

Wie französisches loi de vigilance und deutsches LkSG zielt auch die CSDDD darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Verhalten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und Unternehmensführung von Unternehmen (stärker) zu verankern. Unternehmen sollen potenzielle negative Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, insbesondere auch in ihren Lieferketten innerhalb und außerhalb Europas. Wie in den nationalen Lieferkettengesetzen liegt der Schwerpunkt der CSDDD damit in der Inpflichtnahme von Unternehmen für die Sicherstellung menschenrechtskonformen und umweltverträglichen Handelns nicht nur innerhalb ihres eigenen unmittelbaren Verantwortungsbereichs, sondern auch auf Ebene ihrer Lieferanten. Der ordnungspolitische Gleichlauf von Haftung und Herrschaft wird also bewusst suspendiert. Hierzu legt die CSDDD Pflichten großer Unternehmen hinsichtlich tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte für ihre Lieferkette fest. Auf Drängen des Parlaments erstrecken sich die Sorgfaltspflichten dabei nicht allein auf die Lieferkette (supply chain) im engeren Sinne, also praktisch die Beschaffungsseite, sondern teilweise auch auf nachgelagerte Aktivitäten des Unternehmens, etwa Recycling sowie auch vor allem den Vertrieb. Die Instrumente, mit denen diese Zielsetzungen umgesetzt werden (sollen), entsprechen im Ausgangspunkt denen des deutschen LkSG, also die Statuierung von Sorgfaltspflichten, deren Einhaltung insbesondere durch Risikoanalyse und Lieferketten-Risikomanagement realisiert werden soll.

Erfasste Unternehmen, Ausklammerung des Finanzsektors

Zu den zwischen Rat und Parlament, aber auch in der allgemeinen politischen Debatte besonders kontrovers diskutierten Punkten gehörte von Beginn an die Reichweite bzw. der Anwendungsbereich der anspruchsvollen Richtlinie. Nach dem Trilog-Kompromiss sind die neuen Pflichten grundsätzlich von EU/EWR-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. € zu beachten, womit der allgemeine Schwellenwert des ursprünglichen Kommissionsentwurfs übernommen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a) CSDDD-E). Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen den Vorgaben hingegen (nur) dann, wenn sie EU/EWR-weite Umsätze von 300 Mio. € realisiert haben. Noch weitergehenden Forderungen nach einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der CSDDD, der bereits in der Kompromissfassung deutlich über den des LkSG hinausreicht, haben sich Kommission und Rat mit der Erwägung verschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den voraussichtlich nicht unerheblichen Bürokratiekosten einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Richtlinie freizuhalten. Soweit KMU mittelbar – d.h. als Teile der Lieferkette CSDDD-verpflichteter großer Unternehmen – mit den weitreichenden Sorgfaltspflichten konfrontiert sind, hat die Kommission zudem angekündigt, durch Guidance – etwa in Form von Technical Standards – unterstützen zu wollen.

Nach der allerdings etwas uneinheitlichen Kommunikation von Rat und Parlament bis auf Weiteres ausgeklammert bleiben soll der Finanzsektor. Dies bedarf der Konkretisierung. Für die eigene, typischerweise wirtschaftlich nicht zentrale Lieferkette im eigentlichen Sinne („upstream“) haben auch Unternehmen des Finanzsektors bei Überschreiten der Größenkriterien die entsprechenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Womit sich das Parlament hingegen vorläufig nicht durchzusetzen vermocht hat, ist die „Wertschöpfungskette“ (value chain) des Finanzsektors insgesamt, d.h. auch „downstream“ zu erfassen, also praktisch Kredit- und Portfolioentscheidungen gleichfalls dem Pflichtenregime der CSDDD zu unterstellen. Das Parlament betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch für den Finanzsektor die Verpflichtung gilt, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, wovon man sich ersichtlich zumindest mittelbare Effekte für Kreditvergabe und Asset Management erhofft.

Schädliche Umweltauswirkungen

Nach Art. 7 Abs. 1 CSDDD i.d.F. des Kommissionsentwurfes haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder, falls sie nicht oder nicht unmittelbar vermieden werden können, zumindest angemessen abzuschwächen. Hinsichtlich des bis zuletzt umstrittenen Begriffs der schädlichen Umweltauswirkungen sieht die Einigung nunmehr vor, dass unter Umweltauswirkung in diesem Sinne jede messbare Umweltverschlechterung wie schädliche Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzung, schädliche Emissionen oder übermäßiger Wasserverbrauch oder andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu verstehen ist.

Emissionsreduktionsplan (Climate Transition Plan)

Ersichtlich ein Alleinstellungsmerkmal der CSDDD ist die weitere Verpflichtung erfasster Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, der sicherstellen soll, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind (Art. 15 Abs. 1 CSDDD-E). In diesem Zusammenhang soll auch die Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane u.a. davon abhängen, ob ein entsprechender Emissionsreduzierungsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Sanktionen

Praktisch nach dem mittlerweile bekannten Sanktionsmodell der Europäischen Union sieht die Trilog-Einigung für Verstöße gegen die Richtlinie zunächst am Umsatz orientierte Bußgelder vor, die eine Höhe von maximal 5% des Nettoumsatzes des Unternehmens erreichen können. Wie der Rekurs auf den Begriff des Unternehmens offenbart, ist Berechnungsgrundlage dabei der Umsatz der Gruppe und nicht etwa der Einzelgesellschaft, die für einen bußgeldbewährten Verstoß verantwortlich zeichnet. Mit 5% des Nettoumsatzes geht die Richtlinie deutlich über die umsatzbezogenen Bußgelder gem. § 24 Abs. 3 LkSG (bis zu 2%) hinaus.

Anders als das LkSG sieht die CSDDD zudem ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen vor. „Betroffene“ können innerhalb einer Frist von fünf Jahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Einigermaßen fragwürdig ist, dass als Betroffene nicht nur Gewerkschaften, sondern – hinreichend unspezifisch – auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ klagebefugt sein sollen. Die traditionellen und durchaus nicht unbegründeten Vorbehalte gegen Popularklagen scheint man in Brüssel ersichtlich nicht (mehr) zu teilen. Auch bei der Darlegungs- und Beweislast will der Trilog-Kompromiss „Anwälten der Öffentlichkeit“ deutlich entgegenkommen.

Als weitere Sanktion können Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten gemäß CSDDD schließlich mit einem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren geahndet werden. Dies spiegelt letztlich § 22 LkSG, der gleichfalls bei Verstößen einen Ausschluss bei der Berücksichtigung öffentlicher Aufträge vorsieht.

Stakeholder-Beteiligung

Von der CSDDD erfasste Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, als Bestandteil des Due-Diligence-Prozesses eine sinnvolle Beteiligung (meaningful engagement), einschließlich eines Dialogs und einer Konsultation mit den „betroffenen Interessengruppen“ durchzuführen. Dies dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass Unternehmen neben ihren Arbeitnehmern im Einzelfall auch mehr oder weniger legitimierte NGO – wie etwa „environmental defenders“ (Lara Wolters) – konsultieren müssen.

Ausblick

Da die Trilog-Verhandlungen als informelles Verständigungsverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten, müssen die Institutionen im nächsten Schritt die Ergebnisse des Kompromisses formell annehmen. Im Anschluss sind die Mitgliedstaaten zur Überführung in nationales Recht verpflichtet, wobei der Kommissionsentwurf hierfür zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD einräumt (vgl. Art. 30 CSDDD-E). Ob das europäische Lieferkettenregime den großen Erwartungen seiner Befürworter gerecht zu werden vermag oder sich in einer schematisch ablaufenden Auditierungsübung („check the box“ mittels Länder-Clustern etc.) erschöpfen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Der Vorschlag der Kommission ist insoweit recht großzügig und sieht eine Evaluierung des neuen Regimes erst sieben Jahre nach Inkrafttreten und damit fünf Jahre nach Umsetzung in nationales Recht vor.

Sustainable Finance – EU Green Bond Standard auf der Zielgraden!

Die Sustainable Finance Strategy des Green Deal der Europäischen Kommission setzt sich aus einer Vielzahl von Mosaiksteinen zusammen, die im Zusammenwirken den Marktteilnehmern am Eigen- wie Fremdkapitalmarkt mehr als nur einen leichten Stups (nudge) geben sollen, bei Finanzierungsentscheidungen Nachhaltigkeitsaspekte, insbesondere Umweltaspekte stärker zu gewichten. Im Vordergrund stand diesbezüglich bisher der Eigenkapitalmarkt, für den durch die zusammen mit CSRD und Taxonomie-VO zu lesende Offenlegungs-VO (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) einerseits umfassende Offenlegungspflichten für verschiedene Vertriebsstufen und andererseits im Bereich der Produkt-Governance drei Klassen unterschiedlich nachhaltiger Fondsprodukte geschaffen worden sind (sog. Art. 8-Fonds, Art. 9-Fonds und sonstige Fonds; Überblick bei Harnos, ÖBA 2022, 882; Reich, Blog Gesellschaftsrecht v. 22.2.2022, GESRBLOG0001030).

Fremdkapitalfinanzierung als Mosaikstein der Sustainable Finance

Demgegenüber adressiert das europäische Sustainable Finance-Regime den – u.a. in der Bundesrepublik gesamtwirtschaftlich deutlich größeren – Fremdkapitalmarkt zumindest im Bereich der Product Governance bisher nur mittelbar über den Umweg des Aufsichtsrechts (zu diesem blind spot Gözlügöl/Ringe, Private Companies: The Missing Link on the Path to Net Zero, ECGI Law Working Paper No. 635/2022). Anforderungen, an denen sich nachhaltige Fremdkapitalinstrumente messen lassen müssen, ergeben sich im Übrigen allenfalls aus allgemeinen Regeln, wobei insbesondere an das Lauterkeitsrecht (UWG) zu denken ist (vgl. etwa Ekkenga/Roth, WM 2021, 1161, 1162), und sind ansonsten den Selbststeuerungskräften des Marktes überlassen. Zu nennen sind insoweit insbesondere die Green Bond Principles der International Capital Market Association (ICMA) und – mit sichtbarer Fokussierung auf den Themenausschnitt Klimawandel/CO2-Emissionen – der mit den Principles verknüpfte Climate Bond Standard der Climate Bond Initiative (CBI). Diese tatsächliche oder gefühlte Lücke will die Europäische Union durch den Europäischen Green Bond Standard schließen, den die Kommission bereits am 6.7.2021 im Entwurf vorgestellt hatte (dazu etwa Harnos, ÖBA 2022, 882, 894 f.; Reich, AG 2021, R296) und über den im Trilog-Verfahren unter Vermittlung der schwedischen Ratspräsidentschaft am 28.2.2023 nunmehr zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament eine Einigung erzielt worden ist.

In Konkurrenz zu den bereits bestehenden privaten Standards soll mit dem European Green Bond Standard ein weiteres freiwilliges Qualitätssiegel für grüne Anleihen geschaffen werden, dem seine Schöpfer aufgrund seiner supranationalen Verbürgung sowie Verknüpfung mit der strengen und nicht im Verdacht des greenwashing stehenden Taxonomie-VO die Rolle als zukünftiger „Gold Standard“ mit globaler Strahlkraft zutrauen (vgl. auch Renner, ZBB 2023, 23). Der EUBGS ist nicht anders als seine privaten Konkurrenten optional ausgestaltet. Emittenten, die das Gütesiegel „European Green Bond“ oder „EuGB“ verwenden wollen, haben die in der EUGBS-VO aufgeführten Anforderungen zu erfüllen (Art. 3 EUGBS-VO-E); ein dahingehender Zwang besteht nicht.

Kriterien für das Premium-Siegel

Nach dem Ergebnis der Trilog-Verhandlungen verlangt das Führen des Premium-Siegels für Green Bonds im Wesentlichen die Erfüllung der folgenden vier Kriterien:

  1. Vereinbarkeit der Verwendung der Emissionserlöse mit der Taxonomie-VO (taxonomy aligned use of proceeds)

Nach Art. 4 ff. EUGBS-VO-E wird die Einhaltung des mittlerweile geläufigen Voraussetzungsquartetts ökologischer Nachhaltigkeit i.S.d. Art. 3 Taxonomie-VO verlangt: Die Emissionserlöse sind für eine Wirtschaftstätigkeit zu verwenden, die (1) einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der grundsätzlich sechs Umweltziele gem. Art. 9 Taxonomie-VO leistet, (2) gleichzeitig nicht mit einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer dieser Umweltziele einhergeht (no significant harm-Prinzip), (3) unter Einhaltung des in Art. 18 Taxonomie-VO umrissenen sozialen Mindestschutzes ausgeübt wird; und (4) den weitergehenden, durch die Kommission entwickelten technischen Bewertungskriterien entspricht. In Abweichung zum ursprünglichen Kommissionsentwurf wird die strenge Einhaltung dieser Kriterien nicht mehr für 100% der Emissionserlöse verlangt, sondern vorübergehend für bis zu 15% derselben gewisse Erleichterungen gewährt (sog. Flexibilitätsrahmen).

  1. Transparenz

Emittenten müssen zudem umfassende Transparenz über die nachhaltige Mittelverwendung über den Lebenszyklus des Green Bond herstellen. Verlangt werden Emissionspublizität mittels eines European Green Bond Factsheet, jährliche Verwendungsberichte (Allocation Reports), einmalig ein Auswirkungsbericht (Impact Report) und als Neuerung des Trilog-Kompromisses zusätzlich Auskunft darüber, wie sich der Green Bond in die allgemeine Transformationsstrategie des Emittenten einpasst.

  1. Prüfung

Dritte Säule, auf der der zukünftige Premium-Standard ruht, ist die Gewährleistung tatsächlicher Nachhaltigkeit und zweckkonformer Mittelwendung durch belastbare externe und unabhängige Prüfung von Bond und zweckgebundener Mittelverwendung.

  1. Registrierung und Überwachung

Die Prüfung soll durch eine Registrierungspflicht externer Green-Bond-Prüfer bei ESMA und sich anschließende laufende Überwachung durch dieselbe abgesichert werden. Damit setzt der Verordnungsgeber im Einzelnen umfassende, aus verwandten Regulierungsfeldern bekannte Instrumente ein.

Mittelbare Wirkungen auf weitere „grüne“ Fremdkapitalinstrumente

Als neue Option für Emittenten grüner Finanzinstrumente sieht die jüngste Einigung vor, dass die standardisierten Berichtsformate auch für sonstige nachhaltigkeitsorientierte Fremdkapitalinstrumente zur Verfügung stehen, die nicht für die Klassifizierung als EU Green Bond qualifizieren, aber gleichfalls den grünen Charakter der Kapitalaufnahme herausarbeiten wollen (z.B. sustainability-linked bonds). Ziel dürfte sein, ein intersubjektiv nachvollziehbares Reporting über Nachhaltigkeitsfaktoren in Anlehnung an den EUGBS für den gesamten grünen Fremdkapitalmarkt zu schaffen. Auch insoweit gilt (erst recht), dass Emittenten entsprechender grüner Finanzinstrumente die Reporting Templates verwenden können, aber nicht müssen.

Weiteres Verfahren und Inkrafttreten

Ungeachtet der grundsätzlichen Einigung im Trilog-Verfahren vom 28.2.2023 steht diese noch unter dem Vorbehalt der förmlichen Zustimmung von Rat und Europäischen Parlament. Nach dem Kommissionsentwurf sollte die EUGBS-VO in großen Teilen am 20. Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten (Art. 64 EUGBS-VO-E). Allerdings stellt die offizielle Kommunikation des Trilog-Ergebnisses nunmehr in Aussicht, dass die EUGBS-VO zwölf Monate nach ihrem Inkrafttreten Anwendung finden soll.

Sustainable Shareholder Activism – bald auch in Deutschland?

Im ersten Teil des Beitrags wurden die globalen Entwicklungen rund um den Sustainable Shareholder Activism beleuchtet. Dabei wurde insbesondere das Beispiel Exxon Mobile aufgegriffen. Sicherlich stellt das in Teil I beschriebene Beispiel eines ESG-Aktivismus Exxon Mobile einen Sonderfall dar und natürlich gilt generell, dass die Sitten an den US-amerikanischen Kapitalmärkten rauer sind und zumindest in Kontinentaleuropa die dortigen Gebräuche zwar nachvollzogen werden, aber meist weit weniger akzentuiert. Dennoch wird man auch in Deutschland damit zu rechnen haben, dass bei zukünftigen Kampagnen und Initiativen aus dem Aktionariat ESG-Themen eine wachsende Bedeutung erlangen werden.

I. Keine Hauptversammlungszuständigkeit für ESG-Themen

Dem deutschen Aktienrecht ist ein rein konsultatives Votum ohne Bindungswirkung, das der Hauptversammlung die Beschäftigung mit mehr oder weniger beliebigen Themen zur Aufgabe machen könnte, grundsätzlich fremd. Die Hauptversammlung ist im Ausgangspunkt nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zuständig, wobei ausdrückliche Zuständigkeiten im Bereich ESG bisher fehlen. Trotz der Aufwertung, die Nachhaltigkeit aktuell auch bei Unternehmen und ihren Anteilseignern erfährt, wird man selbstverständlich auch keine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung in ESG-Themen nach den Grundsätzen der Holzmüller-Gelatine-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes annehmen können. Voraussetzung und Rechtsfolgen dieser Rechtsprechung sind für andere Fälle entwickelt worden und passen kaum auf Bemühungen, den ökologischen und sozialen Fußabdruck der Gesellschaft zu verbessern.

II. Möglichkeiten eines Sustainable Shareholder Activism nach deutschem Recht

Wenn auch dem deutschen Recht das Instrument des shareholder proposal als Instrument der Wahl eines Sustainable Shareholder Activism fremd ist, ist nachhaltigkeitsbezogener Aktionärsaktivismus nicht qua Gesetzes unmöglich. Vielmehr stehen auch hier Anteilseignern grundsätzlich die drei bereits benannten allgemeinen Instrumente zur Durchsetzung einer ESG-Agenda zur Verfügung: Nutzung der Aktionärsrechte, trategiegespräche mit der Zielgesellschaft und allgemeines Werben für die eigene Agenda gegenüber der Gesellschaft oder Öffentlichkeit.

1. Ausübung von Aktionärsrechten

Das deutsche Aktienrecht steht bekanntlich auf dem Standpunkt, dass die Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft – grundsätzlich nur – in der Hauptversammlung ausüben (§ 118 AktG). Wenn auch ein „say on climate“ oder ein „say on ESG“ dem deutschem Aktienrecht grundsätzlich unbekannt sind (umfassend Harnos/Holle, AG 2021, 853), existieren multiple Möglichkeiten, die Nachhaltigkeitspolitik der Gesellschaft im Rahmen der Hauptversammlung zu thematisieren, kommentieren und bis zu einem gewissen Grade einer Abstimmung zu unterwerfen.

(1) Durch die nicht-finanzielle Berichterstattung nach §§ 289b ff., §§ 315b f. HGB sind die ESG-Anstrengungen der Gesellschaft (bzw. ein nach dem comply-or-explain-Prinzip erklärter Verzicht) integraler Bestandteil der Rechnungslegung.

(2) Da Gegenstand der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat letztlich die gesamte Unternehmensführung des abgelaufenen Geschäftsjahrs ist, kann diese zu einem Urteil über die Corporate Responsibility-Bemühungen des abgelaufenen Geschäftsjahres gemacht werden. Die gerade aktualisierten Proxy Voting Guidelines u.a. der Stimmrechtsberater (ISS, Glass Lewis) wie auch die hauseigenen Abstimmungsrichtlinien großer Vermögensverwalter wie BlackRock für die Hauptversammlungssaison 2022 lassen denn auch tatsächlich eine Tendenz erkennen, diagnostizierte Defizite im ESG-Bereich entweder bei Wahlen oder aber im Rahmen der Entlastung zu adressieren bzw. sanktionieren.

(3) Nächster naheliegender und auch durch das Aktiengesetz gewiesener Hebel sind die Beschlussfassungen zu Vergütungssystem und Vergütungsbericht, nachdem das Vergütungssystem nunmehr ausdrücklich Angaben zur Ausgestaltung von eventuell vorhandenen vergütungsrelevanten Nachhaltigkeitsparametern zu enthalten hat.

(4) Da das Aktiengesetz Geschäftsführung und Leitung der Gesellschaft bzw. des Unternehmens in die Hände des Vorstands legt (§§ 76, 77 AktG) und die Hauptversammlung damit weitgehend von operativen Entscheidungen ausschließt, stellen die Wahlen zum Aufsichtsrat wohl den wichtigsten Hebel für Aktionäre dar, (mittelbar) Einfluss auf die ESG-Politik der Gesellschaft zu nehmen. Das Beispiel Exxon Mobile/Engine No. 1 zeigt, dass Aufsichtsratswahlen durchaus auch als Kampfabstimmung unter ESG-Gesichtspunkten instrumentalisiert werden können. Dass das deutsche Recht in diesem Zusammenhang das Instrument der Wahl US-amerikanischer Kampagnen, die proxy solicitation nicht kennt, ist nur bedingt ein Hinderungsgrund. Auch nach deutschem Recht bestehen hinreichende Möglichkeiten, eine Kampagne zu organisieren. Zudem wirken sich zugunsten potenzieller Aktivisten die strukturellen Verschiebungen im Aktionariat von Publikumsgesellschaften seit Beginn der 90er des letzten Jahrhunderts aus (allgemein Gilson/Gordon, Colum. L. Rev. 113 (2013), 863; 864 f.; Gilson/Roe, Yale L. J. 102 (1993), 871, 878). Die Substitution echten Streubesitzes (dispersed ownership) nach dem Muster der Berle-Means-Corporation (Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932; hierzu etwa Gilson/Roe, Yale L. J. 102 (1993), 871, 876 ff.) durch große institutionelle Investoren reduziert die mit einer Kampagne verbundenen Such-, Anbahnungs- und Abschlusskosten drastisch. Im Einzelfall kann es genügen, sich der Unterstützung durch eine überschaubare Anzahl institutioneller Investoren zu versichern, um den Erfolg des eigenen Vorhabens zu gewährleisten. Zumindest naheliegende Zielgesellschaften von ESG-Aktivisten wie traditionelle Energieversorger, Rohstoffkonzerne etc. werden zukünftig mehr als nur einen Seitenblick darauf zu werfen haben, ob die eigenen Kandidaten nicht nur von ihrer finanzwirtschaftlichen Expertise, Herkunft und Hintergrund geeignet erscheinen, sondern ob sie auch den ESG-Ansprüchen der Mehrheit der Anteilseigner genügen. Die nach AktG und DCGK geschuldeten Angaben zu den eigenen Kandidaten der Gesellschaft für die Besetzung des Aufsichtsrats bieten hier eine Möglichkeit, diese Themen proaktiv zu adressieren und mögliche Zweifel an der ESG-Expertise des Aufsichtsrats erst gar nicht aufkommen zu lassen.

(5) Ein unter Berücksichtigung der bisherigen Praxis deutscher Publikumsgesellschaften vorläufig wohl nur theoretisches echtes Einfallstor für die Einflussnahme auf konkrete Aspekte der ESG-Agenda wäre § 119 Abs. 2 AktG, mit dem die Zuweisung der operativen und strategischen Entscheidungen an die Hauptversammlung bis zu einem gewissen Grad unter Vorbehalt gestellt werden (zu § 119 Abs. 2 AktG etwa Dietz-Vellmer, NZG 2014, 721; speziell im vorliegenden Kontext jetzt Harnos/Holle, AG 2021, 853, 858 und im Gesellschaftsrechts-Blog).

(6) Die genannten Ansatzpunkte stehen nur beispielhaft. Auch bei anderen Maßnahmen wie etwa Fusionen & Übernahmen, die etwa über den Umweg des Umwandlungsrechts ein Votum der Aktionäre verlangen, werden neben strategischer Logik, finanzwirtschaftlicher Angemessenheit von Preis bzw. Umtauschverhältnis ESG-Fragen wohl einer strengeren Prüfung durch Investoren unterzogen werden.

2. Engagement

Das deutsche Aktienrecht steht auf dem Standpunkt, dass die Aktionäre ihre Rechte grundsätzlich (nur) in der Hauptversammlung ausüben. Dass allerdings Investorenkontakte auch in der Bundesrepublik ein Faktum sind, mit dem Beratung und Rechtsprechung umgehen müssen, belegt die jüngere Debatte um die Zulässigkeit von Investorenkontakten des Aufsichtsrats, die ihr zwar nicht rechtsverbindliches vorläufiges Ende damit gefunden hat, dass der DCGK unter A.3 nunmehr anregt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessenem Rahmen bereit sein sollte, Gespräche mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen (hierzu etwa Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360; J. Koch, AG 2017, 129; E. Vetter, AG 2016, 873). Aus Sicht der Unternehmen bieten entsprechende vertrauliche Gespräche die Möglichkeit, sensible Themen nicht in der-zumindest halböffentlichen Arena der Hauptversammlung ausfechten zu müssen, die durchaus vorhandenen juristischen Untiefen entsprechender Kontakte sind aber ernst zu nehmen und ex ante zu minimieren (Insiderrecht, selektive Vorabinformation und informationelle Gleichbehandlung etc.). Bereits diese tour d’horizon zeigt, dass trotz ihres zunehmenden Routine-Charakters die entsprechenden Gespräche mit wesentlichen Investoren aufgrund zahlreicher Fallstricke nicht nur inhaltlich, sondern auch juristisch sorgfältig vorbereitet und begleitet werden sollten.

3. Advocacy / Kampagnen

Institutionelle Investoren und Aktivisten entwickeln darüber hinaus generell oder im Einzelfall erhebliche Öffentlichkeitsarbeit, um die eigenen Themen und Anliegen zum Erfolg zu führen, wobei Form und Inhalte nach Investorentypus und Anlass differieren. Unter der Überschrift Advocacy, worunter sich klassisches Lobbying, die Mitgliedschaft in Verbänden (z.B. United Nations Principles for Responsible Investing (PRI)) und die eigene Unternehmenskommunikation fassen lassen, engagieren sich insbesondere die großen Vermögensverwalter für die Einführung nachhaltigkeitsbezogener best practices durch die Portfoliounternehmen. So werben etwa die Großen Drei seit geraumer Zeit für die Beachtung und Vereinheitlichung der noch zahlreichen und teilweise in Konkurrenz zueinander stehenden Standards für eine nachhaltige Berichterstattung.

Hinzutreten fokussierte Medienkampagnen. Sowohl traditionelle institutionelle Investoren wie auch Aktivisten greifen in diesem Zusammenhang häufig auf eine – eventuell parallel öffentlich bekanntgegebene – Eingabe an den Vorstand zurück, in der die eigenen Ziele formuliert werden (Letter writing campaign). Bei Aktivisten steht eine entsprechende Eingabe nicht selten am Anfang einer weit umfänglicher angelegten Kampagne, in der durch kumulierten Einsatz aller zur Verfügung stehenden rechtlichen und tatsächlichen Instrumente versucht wird, maximalen Druck aufzubauen, um die Einigungsbereitschaft der Verwaltung zu erhöhen. Als Lehrbuchbeispiel taugt auch insoweit der „Fall“ Exxon Mobile, der mit der öffentlichen Aufforderung des Investors Enkraft Capital an den Vorstand der RWE, sich aus dem Kohlegeschäft zurückzuziehen und einen stärkeren Fokus auf erneuerbare Energien zu legen, bereits einen ersten Nachahmer in der Bundesrepublik gefunden hat.

III. Fazit

Das Thema ESG ist mittlerweile bei Unternehmen und Investoren nicht nur als Marketing- und Recruiting-Instrument angekommen. Nachdem auch Gerichte und Gesetzgeber zunehmend verbindliche Anforderungen an ESG formulieren, ist es zugleich als harter Erfolgsfaktor der Unternehmensführung erkannt worden. Wie die zunehmende Zahl von Beispielen aus dem Schrittmacherstaat Vereinigte Staaten zeigt, müssen sich Publikumsgesellschaften darauf einstellen, dass Forderungen nicht mehr nur durch Gesetzgeber und Rechtsprechung formuliert werden, sondern auch aus den Reihen der eigenen Anteilseigner. Insbesondere zentrale Akteure wie die „Großen Drei“ und ihre europäischen Pendants räumen ESG-Fragen auf ihrer Dringlichkeitsskala aktuell eine hohe Priorität ein.

Angesichts dieses Befundes sind die auch die deutschen Publikumsgesellschaften gehalten, sich auf entsprechende Forderungen ihrer Anteilseigner, die notfalls auch mit den zur Verfügung stehenden Aktionärsrechten durchzusetzen versucht werden, vorzubereiten. Der Umstand, dass das deutsche Aktienrecht zumindest grundsätzlich keine unmittelbare Befassung der Hauptversammlung mit ESG-Themen vorsieht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aktionären Instrumente für die Implementierung von ESG-Zielvorstellungen zur Verfügung stehen. Möglichkeiten und Konsequenzen eines Sustainable Shareholder Activism sollten deshalb bei zukünftigen Planungen auf der Agenda stehen und proaktiv adressiert werden.

Ein ausführlicher Aufsatz des Autors zum Sustainable Shareholder Activism erscheint demnächst in der AG.

Sustainable Shareholder Activism – globale Entwicklungen

I. Einleitung

Sucht man nach dem aktuellem Großthema, führt kein Weg an Nachhaltigkeit bzw. Environmental, Social and Governance (ESG) vorbei. Standen bisher vor allem Reputationsrisiken und Anpassung an ein geändertes Handlungsumfeld im Vordergrund, konturieren sich zunehmend auch rechtliche Anforderungen heraus (vgl. Fleischer, DB 2022, 37). Stellvertretend für viele seien nur die wohl bemerkenswertesten Beispiele der jüngsten Vergangenheit genannt: Das Bezirksgericht Den Haag verurteilt die niederländisch-britische Royal Dutch Shell, ihre Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um netto 45% im Vergleich zu 2019 zu senken (Rechtbank Den Haag, Urt. v. 26.5.2021 – Milieudefensie vs. Royal Dutch Shell), mittelgroße und große Unternehmen müssen sich und anderen Rechenschaft nicht mehr nur über Kosten und Margen in ihren Lieferketten ablegen („Lieferkettengesetz“) und Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe nehmen die Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutzgesetz 2019 zum Anlass für einen Versuch, ausgewählten Leuchttürmen der deutschen Automobil- und Energiewirtschaft über den Umweg des Deliktrechts (§§ 823, 1004 BGB) bestimmte unternehmerische Entscheidungen (Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bzw. der Erdgaswirtschaft) gerichtlich vorgeben zu lassen.

Zunehmenden Druck auch rechtlicher Natur erfahren Unternehmen nicht allein von Seiten des Gesetzgebers und der Gerichte, sondern auch durch die Kapitalmärkte. Wie u.a. auch mit zentralen Bausteinen der dem Informationsmodell verpflichteten Sustainable Finance Agenda der Europäischen Kommission beabsichtigt bzw. von diesen vorausausgesetzt, bieten institutionelle Investoren und Vermögensverwalter ihre Produkte mittlerweile praktisch durchgängig mindestens auch in einer „grünen“ oder nachhaltigen Variante an. Um dem damit formulierten und kommunizierten bzw. beworbenen Anspruch gerecht werden zu können, kann im Ausgangspunkt entweder im Rahmen der Investitionsentscheidung das Nachhaltigkeitsprofil der Zielgesellschaften berücksichtigt oder aber versucht werden, rechtliche und tatsächliche Möglichkeiten als Aktionär einzusetzen, um Kompatibilität zwischen den eigenen Anforderungen und der ESG-Politik der Zielgesellschaft herzustellen. Bei letzterem handelt es sich letztlich um eine grüne bzw. nachhaltigkeitsorientierte Variante des bekannten Phänomens des Shareholder Activism, so dass sich insoweit von Sustainable Shareholder Activism sprechen lässt.

Während bisher die Umsetzung von ESG-Anforderungen im Rahmen der Investitionsentscheidung das Bild dominiert, ist insbesondere für die USA zu konstatieren, dass Active Ownership bzw. Sustainable Shareholder Activism zunehmend Bedeutung erlangt. Im Folgenden wird ein erster kurzer Abriss über Inhalte, Akteure und Erscheinungsformen dieses Sustainable Shareholder Activism gegeben und – in einem zweiten Teil – in Ansätzen beleuchtet, ob es sich um ein US-Besonderheiten geschuldetes Phänomen handelt oder auch das deutsche Aktien- und Kapitalmarktrecht diesbezüglich Spielräume eröffnet, so dass mit entsprechenden Maßnahmen auch in der Bundesrepublik zu rechnen ist.

II. Sustainable Shareholder Activism als Ausprägung eines Active Ownership

Wollen Finanzmarktteilnehmer für ein Produkt z.B. die Qualitätssiegel gem. Art. 8 f. Offenlegungs-VO in Anspruch nehmen, stellen Lehre und Praxis des Asset Management grundsätzlich unterschiedliche Strategien zur Verfügung, um zu gewährleisten, dass das Portfolio den damit formulierten Anforderungen genügt. Im Vordergrund stand bis in die jüngste Vergangenheit das nach Konzeption und Implementierungsaufwand vergleichsweise einfache sog. negative screening. Nach feststehenden Kriterien identifizierte Unternehmen werden dabei ex ante und per se aus dem Anlageuniversum ausgeschieden. Typische ESG-Ausschlusskriterien sind etwa Einsatz fossiler Brennstoffe (ex fossil fuels) oder in der Bewertung umstrittene Techniken wie aktuell die Atomkraft.

Zunehmende Bedeutung bei institutionellen Investoren erlangt allerdings in jüngster Vergangenheit die direkte Einflussnahme auf die ESG- bzw. Nachhaltigkeitspolitik von Unternehmen durch Active Ownership. In Abgrenzung zum negative screening werden Unternehmen, die den jeweiligen ESG-Standards des Investors nicht oder zumindest nicht vollumfänglich genügen, nicht per se und ex ante als mögliches Anlageobjekt ausgeschieden. Vielmehr wird nach Erwerb der Anteile versucht, Aktionärsrechte und das eigene Gewicht als Anteilseigner gegenüber der Verwaltung zur Geltung zu bringen, um auf die ESG-Politik der Portfoliogesellschaft Einfluss zu nehmen. In dieser Form sind ESG-Aktivitäten praktisch eine Spielart des traditionellen und mittlerweile auch in Deutschland heimischen Shareholder Activism.

III. Sustainable Shareholder Activism – Instrumente

Institutionellen Investoren wie auch anderen Aktionären mit einer z.B. klimapolitischen Agenda stehen grundsätzlich dieselben Instrumente zur Verfügung, um sich bei der Verwaltung der Zielgesellschaft Gehör zu verschaffen, mit denen auch profanere Anliegen durchgesetzt werden können. An erster Stelle zu nennen ist der Einsatz der Aktionärsrechte, insbesondere des Stimmrechts. Von in der Praxis mindestens ebenso großer Bedeutung sind sog. Engagements, informelle Kontakte von Investoren mit Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat und/oder weiteren ausgewählten Funktionsträgern der Unternehmen. Dritter Baustein der Einflussnahme ist die sog. Advocacy, worunter sich sämtliche Lobbying- und PR-Maßnahmen im politischen Raum wie auch in der allgemeinen gesellschaftspolitischen Debatte zusammenfassen lassen.

IV. Sustainable shareholder activism – Akteure

In der Vergangenheit waren ESG-Themen echte Nischenthemen. In Hauptversammlungen deutscher Publikumsgesellschaften beschränkten sich die dahingehenden Initiativen auf die sogenannten kritischen Aktionäre, also Umwelt- und/oder Menschenrechtsaktivisten, die Rede- und Fragerecht dazu nutzen, um als kritisch erachtete Aspekte der Unternehmensführung auch auf diesem Forum zu adressieren. Das Bild hat sich allerdings erheblich gewandelt. Praktisch sämtliche großen Vermögensverwalter und institutionelle Investoren haben Nachhaltigkeit entweder als zentrales und drängendes Zukunftsthema oder aber zumindest als Trend identifiziert, der zu einer Ergänzung der eigenen Produktpalette um nachhaltig ausgerichtete Angebote zwingt. Prominentestes Beispiel dieser Hinwendung der Finanzwirtschaft und Kapitalmärkte zu einem „Social Responsible Investing“ (SRI) stellen sicherlich die „Letter to CEOs“ des Chairman des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock, Inc., Larry Fink, dar, die bisher vor allem den Klimawandel als zentrale Herausforderung für Menschheit und Unternehmen betonen, im gerade veröffentlichten Letter to CEOs 2022 „The power of Capitalism“/„Die transformative Kraft des Kapitalismus“ aber auch unter den Schlagwörtern „stakeholder capitalism“ und „purpose“ die thematische Breite von ESG und Nachhaltigkeit stärker hervorheben.

Letztlich nicht anders agieren die weiteren beiden Mitglieder des exklusiven Clubs der sogenannten „Großen Drei“ (Big Three) Vanguard und State Street Global Advisors sowie ihre globalen und kontinentaleuropäischen Wettbewerber sowie die großen Pensionsfonds. Selbst erste Hedgefonds, die vor einigen Jahren wahrscheinlich noch nicht im Verdacht gestanden hätten, einen ausgeprägten ESG-Ansatz zu verfolgen, haben die Bedeutung von Nachhaltigkeit für das eigene Geschäftsmodell erkannt.

V. Sustainable Shareholder Activism in der Praxis – Das doppelte Beispiel Exxon Mobile

Gerade für traditionsbewusste und auf eine lange Unternehmensgeschichte zurückblickende Kapitalmarktteilnehmer wie etwa Versicherungen und Pensionsfonds galt bisher, dass sie gegenüber nachdrücklichem und lautem Einwirken auf ihre Portfoliogesellschaften eine gewisse Reserve beobachten. Werden sensible Themen angesprochen, bevorzugt man den diskreten Weg eines Engagements bzw. eines Vieraugengesprächs („one-on-one“) und suchte bisher zumindest nicht ohne Not das Licht der halböffentlichen Hauptversammlung. Auch insoweit beginnt sich das Bild allerdings zu wandeln.

Ein gleich doppeltes Beispiel bieten hierfür die ordentlichen Hauptversammlungen des Erdölkonzerns Exxon Mobile, Inc. die in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit gleich zweimal das Interesse der weltweiten Kapitalmärkte und der ESG-Community auf sich gezogen haben. Anlässe und Eckpunkte beider Versammlungen stehen geradezu exemplarisch für Möglichkeiten und Grenzen, Gestaltung und Teilnehmer eines Sustainable Shareholder Activism.

Erstmals Aufmerksamkeit hatte bereits die Hauptversammlung von Exxon Mobile im Jahre 2017 erregt. Ein für die Gesellschaft rechtlich nicht verbindlicher, aber öffentlichkeitswirksamer Antrag des New York State Common Retirement Fund an die Hauptversammlung von Exxon Mobile (shareholder proposal), die Berichterstattung des Unternehmens um weitgehende Informationen zu den Risiken neuer Technologien und des Klimawandels auf das Geschäftsmodell von Exxon Mobile zu ergänzen, wurde – seinerzeit zu Überraschung vieler Beobachter – gegen die Empfehlung des Exxon-Managements angenommen. Ursächlich für diese „Niederlage“ der Verwaltung war vor allem der Umstand, dass mit BlackRock, Inc. und Vanguard zwei der sog. „Großen Drei“ ihre beschriebene Reserve gegenüber shareholder proposals in diesem Fall beiseiteschoben und den Antrag unterstützten, ebenso wie die global dominierenden Stimmrechtsberater (proxy adviser) ISS und Glass Lewis.

Noch deutlich weiter gehende Konsequenzen hatte die im Vorfeld der letzten Hauptversammlung von Exxon Mobile initiierte Kampagne des Hedgefonds Engine No. 1 (hierzu Döding, AG 2021, R249 f.). Wohl zur allgemeinen Überraschung gelang es dem gerade gegründeten und nur marginal an Exxon beteiligten Fonds, ausreichend Unterstützung im Aktionariat zu organisieren, um in den Wahlen zum Verwaltungsrat (board) von Exxon Mobile drei eigene Kandidaten gegen die Vorschläge des Managements durchzusetzen. Die Ablehnung der durch Exxon nominierten Personen begründete Engine No. 1 dabei maßgeblich damit, dass diesen die notwendige Expertise mangele, um den Erdölkonzern bei der notwendigen Transformation in ein nachhaltigeres Unternehmen zu begleiten. ESG-Themen sind damit buchstäblich auch im boardroom angekommen.

Der zweite Teil des Beitrags geht der Frage nach, inwieweit man auch in Deutschland mit Sustainable Shareholder Activism zu rechnen hat. Er erscheint demnächst auf unserem Gesellschaftsrechts-Blog.