New Kid in Town: Was bringt die größte Reform des Umwandlungsrechts?

Das Gesellschaftsrecht gilt mitunter als das „hottest game in town“ (Buxbaum, 18 Del. J. Corp. L. 867, 868 [1993]). Geht man von dieser These aus, stellt das Umwandlungsrecht ein ganz besonderes Viertel dieser Stadt dar, das wiederum einen jungen und modernen Block beheimatet: das grenzüberschreitende Umwandlungsrecht. Hier bewegt sich in den letzten Jahrzehnten mehr als sonst irgendwo im Stadtgebiet. Das Umwandlungsrecht wurde in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen harmonisiert und erfuhr einige Kodifikationen (ausführlich Heckschen/Knaier – erscheint in GmbHR 10/2022 Rz. 2-9). Triebfeder für europäische Richtlinien war dabei oftmals auch der EuGH und dessen Interpretation der Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV. Jüngstes Legislativprojekt auf EU-Ebene ist hierbei die Umwandlungsrichtlinie. Diese gilt es bis zum 31.1.2023 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen. Hierfür liegt nun ein Referentenentwurf vor.

Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, mein Block

Dieses New Kid in Town bringt frischen Wind in das Umwandlungsrecht, in vielerlei Hinsicht. Der UmRUG-RefE setzt in erster Linie die Vorgaben der Umwandlungsrichtlinie um und schafft für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel unter Beteiligung von AG, KGaA und GmbH ein rechtssicheres unionsweit kompatibles Verfahren, bei dem die beteiligten Handelsregister digital miteinander kommunizieren. Damit einher gehen weitere Änderungen des UmwG, die teilweise auch für nationale Umwandlungsvorgänge innerhalb Deutschlands gelten. Zudem wird das Spruchverfahrensgesetz reformiert, um das Verfahren zu beschleunigen, ohne dabei die Rechte der Beteiligten zu beschneiden. Strukturell wird sich künftig das Sechste Buch mit grenzüberschreitenden Umwandlungen befassen, während das bisherige Sechste Buch und das Siebte Buch ein Buch nach hinten rücken. Die §§ 305–319 UmRUG-RefE behandeln die grenzüberschreitende Verschmelzung, die §§ 320–332 UmRUG-RefE die grenzüberschreitende Spaltung und die §§ 333–345 UmRUG-RefE den grenzüberschreitenden Formwechsel.

Das gesamte Stadtbild des Viertels wird also umgestaltet. Erfreulicherweise bleibt man hierbei jedoch authentisch, denn der Referentenentwurf nutzt den Begriff „grenzüberschreitender Formwechsel“ und entspricht damit der hergebrachten deutschen Begriffsverwendung anstatt auf die für diesen Vorgang in der deutschen Fassung der Umwandlungsrichtlinie verwendete Bezeichnung „grenzüberschreitende Umwandlung“ zurückzugreifen, da letztere nach deutschem Verständnis einen Oberbegriff für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel bildet (Begr. UmRUG-RefE, S. 52).

Alte Bausubstanz und neues Leben

Aber nur weil das Viertel moderner wird, muss man nicht alles abreißen. Die Umsetzung soll unter möglichst weitgehender Wahrung der Grundsätze und Systematik des deutschen Umwandlungsrechts erfolgen (Begr. UmRUG-RefE, S. 52). Dementsprechend nutzt der Referentenentwurf auch die baukastenartige Verweisungstechnik, die dem UmwG inne wohnt. Nach §§ 305 Abs. 2, 320 Abs. 2 bzw. 333 Abs. 2 UmRUG-Ref-E gelten für die grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen die für das innerstaatliche Pendant geltenden Regeln entsprechend, insoweit sich aus den Sonderregelungen für die jeweilige grenzüberschreitende Variante nichts anderes ergibt (dazu J. Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr [Teil 1] – erscheint in NZG 13/2022, 579).

Wenn man aber schon renoviert, kann man dabei auch gleich Risse und Fehler an der in die Jahre gekommenen Bausubstanz beseitigen. Der nationale Gesetzgeber sollte entsprechend dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf jeweils überprüfen, inwieweit Vorschriften, die für transnationale Umwandlungen gem. §§ 305 ff. UmRUG-RefE gelten, nicht auch für rein nationale Umwandlungen Anwendung finden. Hier gilt es zu beachten, dass die beteiligten Rechtsträger sehr einfach durch Einbeziehung eines ausländischen Rechtsträgers mit Sitz in der EU/EWR aus einem nationalen Umwandlungsvorgang in einen grenzüberschreitenden Verschmelzungs- oder Spaltungsvorgang wechseln können. Weiterhin ist es sinnvoll, Redaktionsversehen und Unstimmigkeiten des nationalen Umwandlungsrechts (vgl. u.a. §§ 125 S. 1, 142 Abs. 1 UmwG) zu beseitigen. Das UmRUG will auch aus diesem Grund tief in das nationale Umwandlungsrecht (vgl. insbesondere §§ 14, 15 UmRUG-RefE) eingreifen.

Nicht ohne mein Team

Egal wie lebenswert, hip oder im Trend ein Viertel auch erscheinen mag, wäre es doch nichts ohne die Personen die es ausmachen. Und diese müssen sich sicher und wohl fühlen, sodass aus einem Inbezirk keine No-go-Area wird. Dementsprechend geht mit dem UmRUG-RefE auch ein umfassendes Konzept zum Schutz der an den Umwandlungsmaßnahmen beteiligten Stakeholder einher (dazu ausführlich Heckschen/Knaier – erscheint in GmbHR 10/2022 Rz. 21-27).

Der Gläubigerschutz (dazu ausführlich Heckschen/Knaier – erscheint in GmbHR 10/2022 Rz. 21-25) wird sowohl bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung als auch bei der grenzüberschreitenden Spaltung und dem grenzüberschreitenden Formwechsel an mehreren Stellen des Verfahrens berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht der Bericht des unabhängigen Sachverständigen, der ohnehin für jede Umwandlung erstellt werden muss – zumindest zur Prüfung der Barabfindung, bei Verschmelzung und Spaltung auch zur Prüfung des Umtauschverhältnisses. Gläubiger können wie bisher Sicherheiten verlangen, wenn sie Forderungen haben, die vor Offenlegung der Verschmelzung bestanden, aber nicht fällig waren. Doch kein Städtebau ohne Diskussion: Wie kann man in diesem Zusammenhang einen Missbrauch der Gläubigerrechte verhindern? Eine überzeugende Lösung für die Problematik ist in der Literatur bisher noch nicht gefunden worden. Diese könnte möglicherweise in der Eröffnung eines Verfahrens analog § 16 Abs. 3 und 6 UmwG bestehen.

Zentrales Instrument des Schutzes der Minderheitsgesellschafter (dazu ausführlich Heckschen/Knaier – erscheint in GmbHR 10/2022 Rz. 26) ist das Austrittsrecht gegen Barabfindung. Die §§ 313 Abs. 2 (grenzüberschreitende Verschmelzung und über Verweis in § 327 auch für grenzüberschreitende Spaltung), 340 Abs. 2 (grenzüberschreitender Formwechsel) regeln im UmRUG-RefE das Austrittsrecht gegen Barabfindung. Demnach muss der Anteilsinhaber, der eine Annahme des Barabfindungsangebots beabsichtigt, diese Absicht zunächst dem Unternehmen binnen einer Frist von einem Monat nach der Anteilseignerversammlung kundtun. Dies bedeutet noch keine Annahme des Angebots. Diese Erklärung ist auch elektronisch möglich und bedarf selbst dann, wenn es sich beim betroffenen Unternehmen um eine GmbH handelt, nicht der notariellen Beurkundung. In einem zweiten Schritt allerdings muss dann das Angebot binnen weiterer zwei Monate förmlich angenommen werden. Daneben tritt bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen zusätzlich ein Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses (§§ 305 Abs. 2, 15 UmRUG-RefE für die grenzüberschreitende Verschmelzung und §§ 320 Abs. 2, 125 Abs. 1 S. 1, 15 UmRUG-RefE für die grenzüberschreitende Spaltung).

Kein Bauprojekt ohne städtebauliche Diskussionen: Sowohl für grenzüberschreitende wie auch (endlich) für nationale Umwandlungen wird den Anteilseignern des Zielrechtsträgers das Spruchverfahren eröffnet. Gleichzeitig können sie die Maßnahme nicht mehr mit dem Argument angreifen, das Umtauschverhältnis sei unangemessen oder die Informationen dazu wären unzureichend. Zunächst bindet ein Spruchverfahren aber Liquidität. Teilweise wird eine sog. Ersetzungsbefugnis gewährt: anstatt Geld dürfen Aktien gewährt werden. Reicht das? Hier und bei der Ausgestaltung dieser Befugnis werden heftige Diskussionen nicht ausbleiben

Die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie stärkt den Schutz der Arbeitnehmerrechte durch mehr Transparenz und Information (siehe auch J. Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr [Teil 1] – erscheint in NZG 13/2022, 579). So sind nun etwa umfassende und frühzeitige Berichtspflichten für die Arbeitnehmer vorgesehen. Gleichzeitig mit dem UmRUG-RefE wurde durch das BMAS ein Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (UmRUGMitbest-RefE) veröffentlicht Der UmRUGMitbest-RefE (ausführlich hierzu Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtlinienumsetzung! Teil II unter VI.) will zur Umsetzung der Art. 86l und 160l Gesellschaftsrechts-RL über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitender Spaltung und Formwechsel ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG) schaffen. Soweit inhaltliche Parallelen zum SE-Recht und zur grenzüberschreitenden Verschmelzung bestehen, orientieren sich die Regelungen an bestehenden Gesetzen, dem Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) und dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG). Darüber hinaus wird das MgVG punktuell geändert.

Unternehmensumwandlung nur oldschool oder auch digital?

Im restlichen Gesellschaftsrechtsbezirk hallt allerorts die Digitalisierung durch die Gassen. Von der virtuellen Hauptversammlung über das DiRUG bis hin zum DiREG wird alles digitaler. Dem kann sich auch das Umwandlungsrecht nicht erwehren, auch wenn der UmRUG-RefE hierzu weitgehend schweigt. Neben der digitalen Kommunikation zwischen den Registern bei grenzüberschreitenden Umwandlungen dürfte das notarielle Online-Verfahren nach den §§ 16a ff. BeurkG in der geplanten Fassung durch das DiREG und durch die ebenfalls durch selbiges zugelassene Sachgründung in diesem Verfahren dazu führen, dass sämtliche innerstaatliche und grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge, die mit einem gründungsgleichen Vorgang einhergehen, auch digital möglich sein werden (dazu Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtli-nienumsetzung! Teil II unter VII.).

In ist, wer drin ist

Letztlich lebt die Wertigkeit eines Inviertels auch von dessen Exklusivität. Die neu geschaffenen Verfahren sollen auf deutscher Seite für die AG, die KGaA und die GmbH und damit auch ihrer Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt) zur Verfügung stehen (§§ 305, 306 UmRUG-RefE). Hinsichtlich der Beteiligung ausländischer Unternehmensträger wird auf Art. 119 Nr. 1 Gesellschaftsrechts-RL verwiesen, der wiederum Anhang II der Gesellschaftsrechts-RL in Bezug nimmt. Hinzutreten muss, dass die an der Umwandlung beteiligte Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats der EU oder eines anderen Vertragsstaats des EWR gegründet worden sein muss und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der EU oder im EWR hat. Damit wird den Vorgaben des Art. 119 Gesellschaftsrechts-RL Rechnung getragen. Zugleich wird die Option des Art. 120 Abs. 2 Gesellschaftsrechts-RL genutzt. Genossenschaften werden nicht zu den grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen auf deutscher Seite zugelassen. Ebenso wird den zahlreichen Forderungen (s. etwa Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1935; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 302; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 354; Bungert, FS Krieger, 2020, 109, 110 f.; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 63) nach einer überschießenden Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie durch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Personengesellschaften nicht entsprochen. Auch Drittstaatengesellschaften bleibt der Zugang verweht, sodass sich diese nach Alternativen umsehen müssen (ausführlich hierzu Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtlinienumsetzung! Teil II unter VII.).

Prof. Dr. Heribert Heckschen ist seit 1990 Notar in Dresden (Heckschen & van de Loo – Notare). Seit 1986 referiert und veröffentlicht er zu Fragen des Gesellschafts-, Insolvenz- und Erbrechts, insbesondere zur Unternehmensnachfolge. Er wurde mehrfach vom Rechtsauschuss des Bundesministeriums der Justiz zu Fragen des Umwandlungs- und Personengesellschaftsrechts als Sachverständiger hinzugezogen, zuletzt im Rahmen des MoPeG  und des UmRUG. Er leitet seit 20 Jahren die Gesellschaftsrechtliche Jahresarbeitstagung des DAI sowie ein Seminar zum Umwandlungsrecht. Seit 2015 referiert Prof. Dr. Heckschen regelmäßig beim Deutschen Steuerberatertag zur Unternehmensnachfolge.

Ralf Knaier ist Wissenschaftlicher Referent am Deutschen Notarinstitut und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handels- und Gesellschaftsrecht (Prof. Dr. Christoph Teichmann) an der Julius-Maximilians-Universität jeweils in Würzburg. Seit 2014 referiert und veröffentlicht er regelmäßig zu Fragen des deutschen und europäischen Unternehmensrechts, insbesondere im Bereich des Umwandlungsrechts und des GmbH-Rechts.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DiRUG-Erweiterungsgesetz: Verbleibende offene Frage zur Reichweite der GmbH-Gründung mittels Videokommunikation

Im Heft 7/2022 der GmbHR werfe ich im Rahmen des „Blickpunkts“ die Frage auf: Sind solche statutarisch-korporativen Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 GmbHG, die eine aus sich heraus („isoliert“) formbedürftige Leistungspflicht aller oder einiger Gesellschafter begründen, ab dem 1.8.2022 einer Beurkundung im Rahmen des Videokommunikationsverfahrens nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 GmbHG n.F. zugänglich? Die Frage wird dort im bejahenden Sinne entgegen der mittlerweile bereits herrschenden, sie verneinenden Meinung in der Rechtsliteratur beantwortet, und zwar getragen von der Grundannahme eines Vorrangs bzw. einer Exklusivität des Formgebots des § 2 Abs. 1 GmbHG gegenüber jenem des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG im Fall statutarisch festgesetzter Nebenleistungspflichten. Betroffen sind Vorerwerbsrechte in all ihren Spielarten, Abtretungspflichten (häufig als Alternative zur Einziehung sinnvoll), aber auch das Sachaufgeld, sofern als „echtes“ und damit als Nebenleistungspflicht ausgestaltet. Schieden sie aus dem Kreis der zulässigen Beurkundungsgegenstände im Rahmen des Videokommunikationsverfahrens aus, obgleich sie zu den „echten“, sogar zwingend-korporativen, wenngleich freiwilligen Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags gehören, minderte dieser Ausschluss die Attraktivität des Videokommunikationsverfahrens beträchtlich.

Diese Frage bleibt weiterhin eine offene. Sie hat sich nicht erledigt durch den aktuellen Referentenentwurf des BMJV vom 22.3.2022, mittels dessen noch vor Inkrafttreten des DiRUG das Videokommunikationsverfahren in mannigfaltiger Weise sachlich erweitert und erheblich aufgewertet werden soll. Dieses Nachjustierungsgesetz („DiRUG-Erweiterungsgesetz“) noch vor Erprobung der bislang diskreten „Digitalisierung des GmbH-Rechts“ ist im Grundsatz zu begrüßen, würde doch das allzu enge Korsett des DiRUG den praktischen Anwendungsbereich der Bargründung mittels Videokommunikation minimieren und damit allenfalls einen „Testballon“, der noch dazu kaum flugfähig wäre, starten lassen. Soll ein echter „Wettbewerb der Beurkundungsverfahren“ eröffnet werden, dessen Sinnhaftigkeit vor einer Bewertung freilich einer grundsätzlicheren Untersuchung und überdies des „Praxistests“ bedürfte, sind die Nachbesserungen des Referentenentwurfs, die nahezu alle bislang aus Praktikersicht monierten Unstimmigkeiten beseitigen, jedenfalls zu begrüßen.

Die Frage der statutarischen Nebenleistungspflichten bleibt jedoch unbeantwortet. Allenfalls bei flüchtiger Lektüre des Referentenentwurfs könnte man meinen, die Begründung zu Art. 6 Nr. 1, wonach die Beurkundung mittels Videokommunikation dort unzulässig sein soll, wo die Notwendigkeit der Beurkundung einer Willenserklärung aus einer anderen Bestimmung als jener des § 2 Abs. 1 GmbHG (oder jener des § 2 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) resultiere, beantworte diese Frage im Einklang mit der abzulehnenden herrschenden Literaturmeinung. Denn der Geltungsanspruch des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG steht in Wahrheit nicht in Rede, sofern die hier interessierenden Typen von Nebenleistungspflichten als Inhalt des Mitgliedschaftsrechts festgelegt werden. Freilich können solche Nebenleistungspflichten auch als schuldrechtliche vereinbart und dann außerhalb oder innerhalb des Gesellschaftsvertrags (im letzteren Fall als dessen unechter Bestandteil) niedergelegt werden. Sofern sie aber als korporative ausgestaltet sind, findet allein das Formgebot aus § 2 Abs. 1 GmbHG Anwendung. In diesem Lichte ist auch die Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 6 Nr. 2 zu präzisieren, wonach Kapitalerhöhungen mit Sachagio, sofern sie auf die „Einbringung“ von GmbH-Geschäftsanteilen gerichtet sind, unzulässig sein sollen: Diese Aussage trifft nur auf das „unechte“, schuldrechtliche Sachaufgeld zu, nicht auf jenes, das als Nebenleistungspflicht vereinbart wird. Der Erfüllungsakt ist demgegenüber unstreitig dem Videokommunikationsverfahren (derzeit und auch nach Umsetzung des DiRUG-Erweiterungsgesetzes) entzogen.

Dogmatisch gut begründbar und als vermittelnde Lösung auch im weiteren Gesetzgebungsprozess denkbar wäre freilich auch eine Differenzierung nach den folgenden Grundsätzen: Danach könnte unterschieden werden zwischen einer gewissermaßen „internen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung auf der einen Seite, die z. B. anstelle einer Einziehung zwecks Ausschlusses des Gesellschafters eingreifen soll und auf die Abtretung eben jener Geschäftsanteile gerichtet ist, um deren dingliche Ausgestaltung es bei der Statuierung der Nebenleistungspflicht geht, und einer „externen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung, wie sie im Fall einer korporativen Verpflichtung zur Abtretung von Geschäftsanteilen eines Gesellschafters an einer anderen Gesellschaft mbH begründet würde. Im letzteren Fall erschiene eine kumulative Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG neben jener des § 2 Abs. 1 GmbHG auch im Lichte der Schutzzwecke beider Formvorschriften naheliegender als im hier so genannten Fall der „internen“ gesellschaftlichen Abtretungsverpflichtung. Wollte man in diesem Sinne differenzieren, wären auf Grundlage des § 2 Abs. 3 GmbHG n.F. „interne“ korporative Vorerwerbsrechte ebenso wie „interne“ Abtretungsverpflichtungen vom Anwendungsbereich des Videokommunikations-verfahren erfasst, nicht aber Sachaufgeldverpflichtungen, sofern sie eine Verpflichtung zur Abtretung „externer“ Geschäftsanteile (d.h. an einer Dritt-Gesellschaft mbH) begründeten.

Es wäre wünschenswert, wenn diese hier nur gestreiften Fragestellungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren einer Klärung zugeführt würden.

Die Digitalisierung der Anteilseignerversammlung – eine interdisziplinäre Herausforderung

Schon bevor die Corona-Pandemie den Gesetzgeber sinnvollerweise zu Lösungen für hybride oder virtuelle Gesellschafterversammlungen animiert hat, hatte der Regierungsentwurf zum MoPeG in der Regierungsbegründung angedeutet, dass man über eine Neudefinition des Begriffs der Gesellschafterversammlung nachdenken muss. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während der Corona-Krise haben durch das COVMG und seine ständige Überarbeitung unter anderem dazu geführt, dass die Aktiengesellschaft virtuelle (besser gesagt: hybride) Hauptversammlungen durchführen konnte und in einem letzten Schritt wurden solche Versammlungen auch der Genossenschaft ermöglicht, und zwar selbst dann, wenn der Zustimmungsbeschluss zu einer Umwandlungsmaßnahme im Raum steht. Nach Verabschiedung dieser weiteren Reform der COVID-Maßnahmegesetze hat der Bundesgerichtshof in einer aus Sicht des Verfassers bisher zu wenig diskutierten Entscheidung (vgl. dazu Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461, 467) zunächst festgestellt, dass die virtuelle Versammlung dort zulässig ist, wo Gesetz oder Satzung sie eröffnen. Teilweise wurde aus der Entscheidung weitergehend gefolgert, dass virtuelle Versammlungen ganz grundsätzlich und auch ohne Zulassung durch Satzung und Gesetz ermöglicht seien, obwohl dies gerade aus der Entscheidung nicht folgt. Dem Bundesgerichtshof hätte auch die Zuständigkeit dafür gefehlt, z.B. das Aktiengesetz zu ändern. In einem weiteren Schritt will nun der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium vom 10.2.2022 die virtuelle – auch hier besser als hybrid zu bezeichnende – Hauptversammlung einführen.

Es dürfte ohne Zweifel stehen, dass virtuelle Versammlungen durch die Satzung ermöglicht werden sollten, gerade wenn es darum geht, die Gesellschafter zu informieren oder sog. Durchlauftermine möglichst unaufwendig bewältigen zu können.

Es ist aber erstaunlich, dass die Diskussion rund um virtuelle Versammlungen bisher nur aus dem Blickwinkel geführt wird, dass solche Versammlungen in ein digitales Zeitalter passen, für Unternehmen kostensparender sind und möglicherweise einen besseren Zugang gerade für Anteilseigner ermöglichen, die weite Anreisewege zu einer Präsenzversammlung haben. Es ist bedauerlich, dass andere Aspekte im Rahmen der Diskussion völlig außer Acht bleiben: Das Thema des Geheimnisschutzes, der Datensicherheit und der Wahrung der „Privatsphäre einer Gesellschafterversammlung“, der Diskretion, wird praktisch in der Diskussion bisher ausgeblendet. Soweit sich die Gesellschaft nicht selber für eine Versammlung in der Öffentlichkeit und einen Zugang der Presse entscheidet, hat jeder einzelne Gesellschafter ein subjektives Recht darauf, dass die Versammlungen nur unter den Gesellschaftern stattfinden und nicht im Beisein Dritter. Das geht sogar so weit, dass man die Teilhabe von Beratern etc. nur dann für zulässig erachtet, wenn dafür berechtigte Interessen des Gesellschafters sprechen. So klar dieser Befund bisher in der Literatur und Rechtsprechung ist, so wenig wird berücksichtigt, dass Versammlungen, die in Bild und Ton übertragen werden, praktisch ohne große Probleme von Dritten verfolgt, gehackt und Abstimmungsergebnisse manipuliert werden können. Beschreitet man den Weg zur digitalen Versammlung, sind Herausforderungen aus vielen Blickwinkeln zu bewältigen: Die Erkenntnisse aus dem Bereich der Informations- und Datentechnologie gehören auf jeden Fall dazu. Aus meiner Sicht müssten aber auch die inzwischen immer häufiger und vertieft gewonnenen Erkenntnisse aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaften berücksichtigt werden (Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 670). Hier ist es weitgehend unbestritten, dass im Rahmen einer virtuellen oder hybriden Versammlung wesentliche Aspekte eines Kommunikationsaustauschs auf der Strecke bleiben. Es fehlen nicht nur Gestik und Mimik. Minderheitsgesellschafter, die bisher im privaten Rahmen und ohne die Furcht, dass Dritte die Versammlung verfolgen können, mutig das Wort ergriffen haben, halten sich im Rahmen einer Videokonferenz möglicherweise aus Angst vor dem Mithören Dritter zurück. Rede und Widerrede, auch ein „Dazwischenreden“ finden in weit geringerem Umfang statt und letztlich leidet darunter das Wohl der Gesellschaft. Es dürfte weitgehend unbestritten sein, dass dort, wo problematische Beschlüsse auf der Tagesordnung stehen, wo echte Diskussion gefordert wird, Menschen im direkten präsenten Zusammensein besser Lösungen finden als über eine virtuelle Konferenz.

Der Gesetzgeber sollte sorgfältig aus juristischer, technischer, insbesondere sicherheitstechnischer, kommunikationswissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Analyse heraus den Gesellschaften und ihren Gesellschaftern einen Rahmen vorgeben und einen Mindeststandard für virtuelle Versammlungen setzen und sich dabei auch die Frage stellen, ob nicht bestimmte Versammlungen nur ausnahmsweise digital stattfinden können. Weiterhin stellt sich die spannende Frage, ob das Individualrecht jedes Gesellschafters auf Teilnahme an einer präsenten Versammlung einfach per Mehrheitsbeschluss abgeschafft werden kann. Mit dem Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung geht der Gesetzgeber grundsätzlich den richtigen Weg, da er die Zulässigkeit für die Einführung der virtuellen Versammlung nicht von sich aus festlegt, sondern in die Zuständigkeit der Gesellschaft verlagert. Es ist auch sinnvoll, dass hier Überprüfungsregelungen (fünf Jahre) gesetzlich festgelegt werden sollen. Es sollten aber auch Überlegungen angestellt werden, wie ein Mindeststandard im Bereich der Datensicherheit und Verschwiegenheit hergestellt wird. Minderheitsrechte sind zu berücksichtigen und es ist schwer nachvollziehbar, dass die Gesellschaft, die sich dann einer virtuellen Versammlungsform bedient, nicht für Versäumnisse ihrerseits bei der technischen Organisation dieser Versammlungen haftet.

Inwieweit gerade Gesellschaften mit einem beschränkten Kreis an Anteilseignern die Möglichkeit erhalten sollten, mit einem einfachen Mehrheitsbeschluss diese Art von Versammlungen einzuführen, erscheint bedenklich. Die Gesellschaften sollten sich auch selber überlegen, inwieweit sie grundsätzlich solche Versammlungen, die nicht lediglich informatorischer Art sind, ohne Zustimmung aller Gesellschafter durchführen. Sind alle einverstanden, sollte die Satzung/der Gesellschaftsvertrag aber diese Option eröffnen. Ansonsten bieten sich abgestufte Verfahren an (vgl. hierzu Heckschen/Strnad, GmbHR 2020, 807). Aus einer gewissen Digitalisierungseuphorie heraus sollten jedenfalls Gesellschaften neben den Vorteilen, die virtuelle und hybride Formate haben, auch ihre Nachteile mit berücksichtigen, die nicht nur im Bereich der Datensicherheit und der Diskretion liegen, sondern auch im Bereich des Verlusts einer Kommunikation, die gerade in schwierigen oder Konfrontationssituationen in Präsenz deutlich besser und erfolgversprechender verläuft als im rein virtuellen Bereich. Die Diskussion verlangt dringend nach einer Einbeziehung der Erkenntnisse anderer Wissenschaftsbereiche außerhalb der Rechtswissenschaften. Zu nennen sind insbesondere kommunikationswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch Erkenntnisse aus dem Bereich der Informatik und Datensicherheit.

Prof. Dr. Heribert Heckschen ist seit 1990 Notar in Dresden (Heckschen & van de Loo – Notare). Seit 1986 referiert und veröffentlicht  er zu Fragen des Gesellschafts-, Insolvenz- und Erbrechts, insbesondere zur Unternehmensnachfolge. Er wurde mehrfach vom Rechtsauschuss des Bundesministeriums der Justiz zu Fragen des Umwandlungs- und Personengesellschaftsrechts als Sachverständiger hinzugezogen, zuletzt im Rahmen des MoPeG  und des UmRUG. Er leitet seit 20 Jahren die Gesellschaftsrechtliche Jahresarbeitstagung des DAI sowie ein Seminar zum Umwandlungsrecht. Seit 2015 referiert Prof. Dr. Heckschen regelmäßig beim Deutschen Steuerberatertag zur Unternehmensnachfolge.

 

Pflicht zur 3G-Kontrolle durch den Arbeitgeber

Der Bundesrat hat am 19.11.2021 Änderungen zum IfSG und zur SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchVO) zugestimmt, die der Bundestag zuvor beschlossen hatte. Sie treten am Tag nach der Verkündung (BGBl. I 2021, 4906), damit am 24.11.2021, in Kraft. Mit den Änderungen (Gesetz zur Änderung des IfSG und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drucks. 20/15) gelten verschärfte arbeitsrechtliche Bestimmungen zur Corona-Bekämpfung, teilweise zum 19.3.2022 befristet. Hingegen wird (formell) die epidemische Lage von nationaler Tragweite am 25.11.2021 auslaufen.

Insbesondere gilt nun: Der Zutritt zur Arbeitsstätte ist nur Beschäftigten mit 3G-Status erlaubt. Hierzu muss der Arbeitgeber vor Betreten der Arbeitsstätte einen Nachweis über den Impf- bzw. Genesungsstatus oder einen gültigen Negativtest kontrollieren. Ausnahmen gelten nur, wenn unmittelbar vor Ort ein Test erfolgt oder ein Impfangebot wahrgenommen wird. Verstöße werden auf Seiten der Arbeitgeber und der Beschäftigten mit einem Bußgeld geahndet. Arbeitgeber sollen ihre Beschäftigten über die Risiken einer COVID-19-Erkrankung aufklären und über die Möglichkeit einer Impfung informieren, insbesondere in einer arbeitsschutzrechtlichen Unterweisung. Die Arbeitgeber sollen ermöglichen, dass ihre Beschäftigten Impfangebote im Betrieb oder extern und dies während der Arbeitszeit wahrnehmen können. Außerdem sollen Arbeitgeber ihre Betriebsärzte und Dienste, die Schutzimpfungen im Betrieb anbieten, durch organisatorische und personelle Maßnahmen unterstützen.

Der Fokus liegt auf der Neufassung von § 28a Abs. 7 IfSG. Herausragend ist die Verpflichtung zur Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen sowie an die Vorlage solcher Nachweise anknüpfende Beschränkungen des Zugangs in Betrieben (Nr. 3 der Neuregelung). Hierzu heißt es ergänzend durch das BMAS, was die Anforderungen anbelangt (Homepage des BMAS, FAQs zu 3G am Arbeitsplatz): Es ist eine effiziente betriebliche Zutrittskontrolle erforderlich, die eine lückenlose Umsetzung der Nachweispflicht zum Status geimpft, genesen oder getestet sicherstellt. Der Schwerpunkt der Kontrollen liegt auf der Gültigkeit der Testnachweise. Für nicht Geimpfte bzw. nicht Genesene ist eine tägliche Überprüfung ihres negativen Teststatus Voraussetzung für den Zugang zur Arbeitsstätte. Allerdings müssen die Beschäftigten und auch Arbeitgeber selbst den Impf- /Genesenen-/Testnachweis (z.B. im Spind) für Kontrollen der zuständigen Behörde bereithalten. Art und Umfang der einzusetzenden Kontrollinstrumente und -verfahren sind nicht festgelegt. Nachweise können von den Beschäftigten auch beim Arbeitgeber hinterlegt werden. Diese Hinterlegung ist freiwillig. Die Nachweise können in schriftlicher (zum Beispiel Impfausweis) oder digitaler Form vorliegen. Datenschutzrechtlich wird dem Arbeitgeber mittels § 36 Abs. 3 Satz 1 IfSG in neuer Fassung das hierfür erforderliche Datenverarbeitungsrecht eingeräumt, allerdings ebenso nur befristet zum 19.3.2022.

Bei den Änderungen zur Corona-ArbSchVO ist dessen neuer § 3 (Kontaktreduktion im Betrieb) hervorzuheben, in welcher eine arbeitgeberseitige Prüfpflicht zur Homeoffice-Tätigkeit nun (wieder) angeordnet ist und es heißt: „Der Arbeitgeber hat zu prüfen, welche geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen werden können, um betriebsbedingte Personenkontakte zu reduzieren. Die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen ist auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren, sofern nicht durch andere Maßnahmen ein gleichwertiger Schutz sichergestellt werden kann.“ Damit sollen Zusammenkünfte durch die Möglichkeit des Homeoffice auf ein betriebsnotwendiges Maß beschränkt werden. Ergibt daher die Pflichtprüfung, dass Homeoffice-Arbeit machbar ist, ist sie (wieder) zu ermöglichen. Ausdrücklich darf der Arbeitgeber bei seinem Hygienekonzept geimpfte und genesene Personen laut Begründung zur BT-Drucks. 20/15 präferieren: Der Impf- und Genesungsstatus kann, sofern er bekannt ist, in der Bewertung der Maßnahmen zur Kontaktreduktion berücksichtigt werden, so dass im Einzelfall Maßnahmen zur Kontaktreduktion wegfallen können.

Die virtuelle Hauptversammlung 2022

Sprichwörtlich in letzter Sekunde, tatsächlich jedenfalls bei letzter Gelegenheit hat der 19. Deutsche Bundestag am 7.9.2021 die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung ein zweites Mal verlängert. Damit wird es nach den Jahren 2020 und 2021 „angesichts der ungewissen Fortentwicklung der Pandemie-Situation und daraus resultierender Versammlungsbeschränkungen“ (BT-Drucks. 19/32275, 30) auch im Jahr 2022 die Möglichkeit geben, Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abzuhalten.

In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/32275, 30) mahnt der Gesetzgeber, dass von dem „Instrument“ der Online-Hauptversammlung „im Einzelfall nur dann Gebrauch gemacht werden [sollte], wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens und im Hinblick auf die Teilnehmerzahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint.“ Die Prognoseentscheidung (!) nach § 1 Abs. 2 COVMG muss ermessensfehlerfrei erfolgen. Es gelten die Grundsätze für eine unternehmerische Entscheidung auf Grundlage des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (Business Judgement Rule), wobei gem. § 1 Abs. 7 COVMG, der ebenfalls bis 31.8.2022 verlängert wurde, allein vorsätzlicher Missbrauch schadet. Daher sind an die Ermessensentscheidung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.

Eindeutig lässt sich vor diesem Hintergrund wohl nur folgende Situation beurteilen: Nach einem sog. Freedom Day (zuletzt Dänemark) kann rechtssicher keine virtuelle Hauptversammlung mehr geplant werden. Eine bereits einberufene Online-Hauptversammlung müsste aber nicht wieder abberufen und als physische Versammlung neu einberufen werden. Vielmehr könnte dann auch nach der Aufhebung sämtlicher Pandemiebeschränkungen eine virtuelle Versammlung abgehalten werden. Auch dürfte eine Hauptversammlung vollständig virtuell durchgeführt werden, wenn die Vorbereitungen zum Zeitpunkt eines möglichen Freedom Days bereits so weit fortgeschritten sind, dass die kurzfristige Organisation einer physischen Versammlung bis zum 31.8.2022 faktisch unmöglich wäre. Im Übrigen dürfte für die Beurteilung, ob die Entscheidung zur Einberufung und Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ermessensfehlerfrei war, nicht der Zeitpunkt der Einberufung, sondern (ex ante!) ein Zeitpunkt sein, der mitunter weit vor dem Tag der Einberufung liegt. Sollte sich ein Emittent mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Aktionäre, Organmitglieder, Dienstleister, Presse- und Medienvertreter aus Vorsichtsgründen für eine Online-Hauptversammlung entscheiden, dürfte es aus heutiger Sicht schon im Ansatz schwerfallen, Ermessensfehler zu konstruieren.

Im Ergebnis ist daher auch für die Hauptversammlungssaison 2022 davon auszugehen, dass diese weitestgehend, wenn nicht gar nahezu vollständig, virtuell stattfinden wird.

Mehr zur virtuellen Hauptversammlung 2022 in der AG 2021, R283.

Die Option zur Körperschaftsteuer für Personengesellschaften eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten

Am 25.06.2021 hat nun auch der Bundesrat seine Zustimmung zum KöMoG erteilt. Auch wenn zuletzt seitens der Grünen Bedenken gegen die Einführung einer Option zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft vorgebracht wurden, weil dies ein „Einfallstor für Steuerschlupflöcher“ sein könnte, haben auch die Bundesländer mehrheitlich der Neuregelung zugestimmt.

Damit steht fest, dass es für bestimmte Personengesellschaften bereits ab dem Jahr 2022 die Möglichkeit geben wird, nach § 1a KStG-neu zur Besteuerung wie eine Kapitalgesellschaft zu optieren. Der große Vorteil einer solchen Option liegt auf der Hand: Thesaurierte Gewinne werden in einer Kapitalgesellschaft deutlich geringer besteuert als solche einer Personengesellschaft. Dies gilt regelmäßig selbst dann, wenn eine Personengesellschaft die in der Praxis sehr komplizierte Thesaurierungsbesteuerung nach § 34a EStG wählt. Da sich dieser Vorteil im Fall der Vollthesaurierung einer Kapitalgesellschaft im Vergleich zur regelbesteuerten Personengesellschaft im Spitzensteuersatz auf fast 17 Prozentpunkte belaufen kann, werden sich z.B. Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft künftig stets die Frage stellen müssen, ob sie – gerade in Jahren mit hohen steuerpflichtigen Gewinnen – zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft optieren wollen. Für die Beratung bedeutet dies, die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die nach § 1a KStG-neu optieren kann, also insbes. die Personenhandelsgesellschaften OHG und KG sowie Partnerschaftsgesellschaften, stets eng zu begleiten, um zu prüfen, ob eine solche Option dazu beitragen kann, die Steuerquote dauerhaft zu senken.

Gleichwohl erschöpft sich die Möglichkeit, zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft zu optieren, nicht nur in einem günstigeren Steuersatz. Vielmehr ist es die mögliche Kombination aus den ohnehin bestehenden Vorzügen einer Personengesellschaft mit dem niedrigen Steuersatz einer Kapitalgesellschaft, die die Option nach § 1a KStG attraktiv macht. Insoweit ist zu betonen, dass die optierende Personengesellschaft zwar ertragsteuerlich wie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird. Zivilrechtlich bleibt es jedoch eine Personengesellschaft. Durch die Möglichkeit, zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft zu optieren, können nunmehr die zivilrechtlichen Vorzüge der Personengesellschaften, wie das flexiblere Gesellschaftsrecht, die Nichtanwendbarkeit des Drittelbeteiligungsgesetzes oder geringere Publizitätspflichten, genutzt werden.

Die Unternehmen, die sich für eine Körperschaftsteueroption nach §1a KStG-neu entscheiden, können diese Vorzüge einer Personengesellschaft weiterhin in Anspruch nehmen und dennoch im Fall der Gewinnthesaurierung den deutlich niedrigeren Steuersatz für Kapitalgesellschaften nutzen und damit Steuerersparnisse generieren.

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass im Zuge der Ausübung Option zur Besteuerung als Kapitalgesellschaft – ebenso wie bei der Rückoption zur Regelbesteuerung – zahlreiche steuerliche und gesellschaftsrechtliche Themen bedacht werden müssen, um sicherzustellen, dass das angestrebte Ziel, einen steuerlichen Vorteil zu erzielen, auch erreicht wird. Für die Beratung ergibt sich insoweit ein umfangreiches neues Betätigungsfeld.

MoPeG passiert Bundesrat

Das MoPeG ist am 25.6.2021 um 02:07 Uhr vom Bundestag einstimmig beschlossen worden (vgl. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw25-de-personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz-846942). Der Ständige Beirat des Bundesrats, dem die Bevollmächtigten der sechzehn Länder angehören, hat dem Ersuchen stattgegeben, die Zuleitungsfrist von sechs Wochen so zu verkürzen, dass eine Behandlung des MoPeG als Einspruchsgesetz (vgl. dazu https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/1006/to-node.html) im Bundesrat noch am 25.6.2021 erfolgen konnte (TOP 123 der BR-Sitzung). Um 13:19 Uhr wurde in der Sitzung des Bundesrats förmlich festgestellt, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss nicht anruft. Damit ist das MoPeG gem. Art. 78 Var. 2 GG zustande gekommen.

Letzte Ausfahrt MoPeG!

Das Filmdrama „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ von Bernd Eichinger und Uli Edel, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Hubert Selby („Last Exit to Brooklyn“), war nichts für ausschließlich auf Happy-End frisierte Kinogänger. Für das geplante Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) (Gesetzentwurf Bundesregierung v. 17.3.2021, BT-Drucksache 19/27635) gibt es hingegen in Berlin auf der 19. Straße der Bundesgesetzgebung rechtzeitig vor dem Dead End noch eine Ausfahrt „Reichstagsgebäude/Schloss Bellevue“, und zwar in der letzten Sitzungswoche vom 21.6. bis 25.6.2021. Am Donnerstag, dem 24.6.2021, findet im Wallot-Bau ohnehin eine lange Nacht der Gesetze statt.

Die 1. Beratung des MoPeG im Bundestag erfolgte am 25.3.2021 mit der planmäßigen Verweisung an den federführenden Rechtsausschuss (BT-Plenarprotokoll 19/218, S. 27516D-27521D). Die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss fand am 21.4.2021 statt. Dort wurden allerdings von einem Sachverständigen auch verfassungsrechtliche Zweifel an der weiteren Zulässigkeit einer unterschiedlichen Besteuerung von Kapitalgesellschaften nach KStG und den Personengesellschaften nach EStG (Mitunternehmerbesteuerung der Gesellschafter nach § 15 EStG) vorgetragen. Das daraufhin vom Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Sachen MoPeG, Prof. Dr. Heribert Hirte, eingeholte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages weist die Bedenken des Sachverständigen dagegen zu Recht zurück (https://www.heribert-hirte.de/hirte-befragt-wissenschaftlichen-dienst-zum-gesetzesentwurf-zur-modernisierungdes-personengesellschaftsrecht/ ).

Das MoPeG knüpft zwar einschließlich Begründung nicht mehr an den tradierten und über Jahrzehnte umstrittenen Gesamthandsbegriff an. Gleichwohl gibt es nach wie vor grundlegende Unterschiede zwischen Kapitalgesellschaft (juristische Person) und Personengesellschaft, die eine andere Struktur der Besteuerung rechtfertigen. Denn auch bei der Personengesellschaft des MoPeG gilt als Leitprinzip der Grundsatz der Selbstorganschaft, das An- und Abwachsungsprinzip bei Veränderungen im Gesellschafterbestand, das Zwei-Personen-Erfordernis (keine Ein-Personen-Personengesellschaft) und der Grundsatz der persönlichen akzessorischen Gesellschafterhaftung (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 2). Diese Besonderheiten tragen – wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages überzeugend bestätigt – den in Rede stehenden ertragssteuerrechtlichen Dualismus in Form der Besteuerung der Kapitalgesellschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG und der Gesellschafter der Personengesellschaft als Mitunternehmer nach § 15 EStG (vgl. dazu auch Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 3). Die Unterschiede bei der steuerlichen Belastung sind ohnehin grundsätzlich nicht gravierend (vgl. dazu Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2021, § 2 B II Rz. 2.38 ff).

Es bleibt zu hoffen, dass der ReGE MoPeG in der letzten Sitzungswoche der 19. Legislaturperiode noch unter Einhaltung der vorgeschriebenen parlamentarischen Usancen in die letzte Ausfahrt zum Plenarsaal des Reichstagsgebäudes einbiegt und die noch zu passierenden Ampeln dann bis zur Ausfertigung im Schloss Bellevue auf „grün“ geschaltet sind. Denn am 25.6.2021 ist im Bundestag auf jeden Fall erst einmal curtain down.

Bestellungsbeschluss kein grundbuchtauglicher Nachweis für (Nachtrags-)Liquidator

Ein nicht seltenes und im Fall des Auftretens mitunter nur mit einigem Aufwand zu behebendes Problem: Eine GmbH wird zunächst im Handelsregister gelöscht, sei es von Amts wegen aufgrund Vermögenslosigkeit (§ 394 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG), sei es auf Antrag nach vorangegangenem Abwicklungsverfahren (§ 74 Abs. 1 GmbHG). Nach Löschung stellt sich sodann aber heraus, dass diese zu Unrecht erfolgte, weil die GmbH in Wahrheit noch Vermögen hatte. Bei allem dogmatischen Streit über die Wirkung der Löschungseintragung steht damit für die ganz h.M. fest: Die GmbH ist nicht vollbeendet, sondern besteht fort, bis sie vollständig vermögenslos geworden ist. Bei vorangegangener amtswegiger Löschung wegen Vermögenslosigkeit muss sie erstmals ein Liquidationsstadium durchlaufen, bei „voreiliger“ Löschung nach bereits durchlaufenem Liquidationsstadium ist dieses fortzusetzen. Verfügt die gelöschte GmbH noch über (werthaltige oder formale) Grundbuchpositionen, die es zu verwerten oder jedenfalls zur Löschung zu bringen gilt, wirft dieser Sachverhalt viele im Detail streitige Fragen im Schnittfeld von Liquidations- und Grundbuchverfahrensrecht auf. Häufig sind in der Praxis die Fälle „vergessener“ formaler Grundbuchpositionen, die als wertlose Aktiva zwar nichts an der Vermögenslosigkeit der GmbH ändern (dazu Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 54), wohl aber fortbestehenden Abwicklungsbedarf implizieren und damit in die „gestutzte“ (Nachtrags-)Liquidation in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG münden. Seltener verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen. Über einen solchen Fall, in welchem die zu Unrecht von Amts wegen aufgrund vermeintlicher Vermögenslosigkeit gelöschte GmbH noch als Teileigentümerin im Grundbuch eingetragen war und der daher gerichtlich bestellte (Nachtrags-)Liquidator i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG das Teileigentum mit Grundschulden belasten wollte, hatte jüngst das Kammergericht (KG v. 11.5.2021 – 1 W 29/21) zu entscheiden.

Das Kammergericht erteilt der bisher weitgehend etablierten Praxis eine Absage, die Vertretungsberechtigung eines (Nachtrags-)Liquidators i.S.d. § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG und damit dessen Bewilligungsberechtigung im Grundbuchverfahren mittels Vorlage einer Ausfertigung des Beschlusses über seine gerichtliche Bestellung nachzuweisen. Dies jedenfalls dann, wenn zwischen Bestellungsbeschluss und Bewilligungserklärung bereits ein Kalenderjahr verstrichen ist. Denn es liege nicht gänzlich fern, dass zwischenzeitlich eine gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grunde erfolgt sein könnte, welche für Dritte „unbemerkt“ geblieben ist, da es keine Pflicht zur Rückgabe des Bestellungsbeschlusses gebe. § 47 FamFG sichere nur den Bestand solcher Rechtsgeschäfte, die bis zu einer etwaigen Aufhebung des gerichtlichen Bestellungsbeschlusses und damit rückwirkend entfallender Vertretungsbefugnis vorgenommen seien, nicht aber schütze die Bestimmung das Vertrauen auf einen Fortbestand einer entfallenen Vertretungsbefugnis. Daher bedürfe es (jedenfalls in solchen Fällen für grundbuchverfahrensrechtliche Zwecke) der deklaratorischen (Wieder-)Eintragung der gelöschten GmbH mitsamt Liquidator, um das Fortbestehen der GmbH i.L. sowie die Vertretungsberechtigung des Liquidators grundbuchtauglich über § 32 GBO nachzuweisen.

Praxistipp:

Der Praxis ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidung zu raten, beim Registergericht anzuregen, sich an dem (ohnehin dogmatisch allein überzeugenden) Grundsatz zu orientieren, jedenfalls bei noch vorhandenem Vermögen die gelöschte GmbH als aufgelöste unter bisheriger Registernummer im Verbund mit dem gerichtlich bestellen Liquidator in das Handelsregister kundmachend einzutragen. Die Eintragung erfolgt allerdings von Amts wegen (die entsprechende Eintragung kann daher nur angeregt werden), das Registergericht hat aber im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Abwicklungsaufgaben des Liquidators in Rechnung zu stellen – verfügt die GmbH noch über werthaltige Grundbuchpositionen, wird dieses regelmäßig dahingehend reduziert sein, eine (Wieder-)Eintragung vorzunehmen. Bei kürzeren Zeitabständen zwischen Bestellungsbeschluss und grundbuchverfahrensrechtlichen Bewilligungserklärung sollte allerdings ungeachtet dessen die Vorlage der Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses als grundbuchtaugliches Nachweismittel i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO betrachtet werden. Erst recht gilt dies, sofern es – wie häufiger der Fall – nur noch um die zeitnahe Löschung wertloser Grundbuchpositionen geht; in diesen Sonderfällen nicht-vermögensbezogenen Abwicklungsbedarf erscheint auch die (Wieder-)Eintragung übertrieben, ist hier die Stellung des Liquidators doch letztlich nur jener eines bloßen Pflegers i.S.d. § 1913 BGB vergleichbar. Wurde unter Verweis auf die Vermögenslosigkeit der GmbH in einem solchen Fall gar eine gerichtliche Liquidatorenbestellung abgelehnt, wird man auch eine Grundbuchberichtigung i.S.d. § 22 GBO unter Vorlage eines solchen Beschlusses für zulässig halten müssen. Zu alledem ausführlich bei Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 60 GmbHG Rz. 69 ff. sowie K. Schmidt/Scheller in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 66 GmbHG Rz. 58 f. und § 74 GmbHG Rz. 26 ff.

Interne Untersuchungen: Unternehmerische Herausforderung

Pflicht zur Aufklärung von Compliance-Vorfällen

Interne Untersuchungen sind ein wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Compliance-Management-Systems. Jedes Unternehmen hat die Pflicht, auftretende Verdachtsmomente unverzüglich aufzuklären, fortdauernde Gesetzesverstöße unmittelbar abzustellen und das festgestellte Fehlverhalten angemessen zu sanktionieren. Dieser Dreiklang (Aufklären, Abstellen, Ahnden) ist in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt. Die Aufklärung von Verdachtsmomenten für compliance-relevantes Fehlverhalten ist regelmäßig zwingende Voraussetzung dafür, Konsequenzen für das Compliance-Management-System zu ziehen und dadurch Wiederholungen in der Zukunft auszuschließen. Die Untersuchung erfolgt in forensischer Hinsicht regelmäßig durch die Auswertung von Geschäftsunterlagen und die datenschutzkonforme Selektion und Analyse elektronischer Daten und Korrespondenz. Daneben kommt der arbeitsrechtlich adäquaten Befragung involvierter Mitarbeiter eine wesentliche Bedeutung zur Sachverhaltsaufklärung zu. Obwohl interne Untersuchungen zum Standardprogramm einer guten Corporate Governance und Compliance-Organisation gehören, stellt ihre rechtliche und operative Durchführung für Unternehmen eine besondere Herausforderung dar.

Zunehmende Bedeutung interner Untersuchungen

Durch das geplante Verbandssanktionengesetz (VerSanG) wird erstmals ein rechtlicher Rahmen für interne Untersuchungen geschaffen. Am 22. April 2020 veröffentlichte das BMJV den Referentenentwurf zum VerSanG. Am 16. Juni 2020 wurde der Regierungsentwurf mit nur wenigen inhaltlichen Abweichungen vom Referentenentwurf veröffentlicht. Dabei stehen für die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen drei Aspekte im Fokus: die Einhaltung der Grundsätze des fairen Verfahrens, die Dokumentation der verbandsinternen Untersuchung und die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Die Vorzüge einer erfolgreichen Untersuchung nach dem VerSanG-E bestehen in der Möglichkeit der Milderung der Verbandsgeldsanktion durch Halbierung der Sanktionsobergrenze und Entfall des Mindestmaßes (§ 18 VerSanG-E) sowie der Verhängung durch Sanktionsbescheid unter Verzicht auf eine öffentliche Hauptverhandlung (§ 50 VerSanG-E). Zudem ist die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ausgeschlossen. Wird keine verbandsinterne Untersuchung durchgeführt oder erfolgt sie nicht nach den Maßgaben des VerSanG-E, kann eine Milderung unter Berücksichtigung der allgemeinen Umstände in Betracht kommen (§ 15 VerSanG-E). Bei Inkrafttreten des VerSanG wird die interne Aufarbeitung verdächtiger Sachverhalte damit als Voraussetzung sowohl kompetenter Unternehmensverteidigung als auch kooperativer, auf Sanktionsmilderung zielender Strategien weiter an Bedeutung gewinnen.

DICO-Musterprozess für die Durchführung von internen Untersuchungen

Unternehmen sollten daher angemessene Strukturen und Prozesse zur Aufdeckung von sowie zum Umgang mit Gesetzesverstößen vorhalten. Mit einem klaren Fokus auf den rechtlichen Anforderungen und den technischen Aspekten sowie einem detaillierten Plan für die Durchführung der Untersuchungshandlungen lassen sich tragfähige Ergebnisse erzielen. Hilfestellung kann der „Musterprozess für die Durchführung von Internen Untersuchungen“ des DICO (Deutsches Institut für Compliance) geben. Das am 12. Mai 2021 veröffentlichte Arbeitspapier des Arbeitskreises Interne Untersuchungen und Hinweisgebersysteme stellt die einzelnen Prozessschritte vom Eingang eines Hinweises bis hin zur Umsetzung von Folgemaßnahmen dar und gibt jeweils praktische Anwendungshilfen sowie Anregungen für die Erstellung von Vorlagen. Sowohl kleine und mittlere (KMU) als auch Großunternehmen können dieses Arbeitspapier in Ergänzung zum bereits entwickelten DICO-Standard „Interne Untersuchungen“ als praxisorientierte Richtschnur für ihr Prozessdesign zur Durchführung interner Untersuchungen verwenden. Durch diese Entwicklungen erfahren interne Untersuchungen eine weitere Ausprägung, die ihr Ansehen stärkt und ihren Ergebnissen nützt.