Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie: Nachgelagerte Verhandlungspflicht zur Durchsetzung nationaler Mitbestimmungsregeln? – Rechtliche Bewertung der Prüfbitte des Bundesrats

Die im Zuge des sog. „Company Law Package“ erlassene Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) zu grenzüberschreitenden Umwandlungen (Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen) ist bis zum 31.1.2023 in nationales Recht umzusetzen. Hierfür sind in Deutschland zwei Artikelgesetze vorgesehen: Den gesellschaftsrechtlichen Rahmen soll das „Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie“ (UmRUG) regeln, den mitbestimmungsrechtlichen Rahmen das „Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen“. Letzteres sieht dafür insbesondere ein neues „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung“ (MgFSG‑E) sowie Änderungen des „Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung“ (MgVG‑E) vor.

Nachdem das Kabinett am 6.7.2022 entsprechende Regierungsentwürfe beschlossen hat (vgl. zur Unternehmensmitbestimmung Müller-Bonanni/Jenner im Gesellschaftsrechts-Blog und Müller-Bonanni/Jenner, AG 2022, 457), sind am 16.9.2022 nunmehr die entsprechenden Stellungnahmen des Bundesrats ergangen (BR-Drucks. 360/22(B) und BR-Drucks. 371/22(B)). Darin bittet der Bundesrat – einer Empfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration und Sozialpolitik folgend – nebst einigen Änderungen im UmRUG insbesondere um eine Prüfung folgender Frage im weiteren Gesetzgebungsverfahren:

Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs Verhandlungen über die Mitbestimmung für die aus einer Umwandlung hervorgehende Gesellschaft auch dann verpflichtend geregelt werden können, wenn nachträglich ein mitbestimmungsrelevanter Schwellenwert des Wegzugsstaates erreicht wird.

I. Einordnung

Die Prüfbitte des Bundesrats ist von der Sorge getrieben, Unternehmen könnten die „neuen“ (auf Basis der europäischen Grundfreiheiten allerdings bereits bestehenden; vgl. u.a. EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03 („SEVIC“), AG 2006, 80; EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16 („Polbud“), AG 2017, 854) Gestaltungsmöglichkeiten dazu nutzen, sich der Unternehmensmitbestimmung zu entziehen. Der Bundesrat begründet seine Prüfbitte dementsprechend wie folgt:

Allerdings widmet sich der Gesetzentwurf nicht der Problematik des sogenannten Einfrierens der Mitbestimmung. Diese Thematik ist auch bei der „Heraus-Umwandlung“ einschlägig. Etwa bei einem Formwechsel in eine ausländische Limited (Ltd.) kann in einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die kurz vor der Schwelle von 500 Beschäftigten stand und somit einer Drittelbeteiligung entgegensah, das Mitbestimmungsniveau bei Null eingefroren werden. Dies ist insbesondere bei weiterer Wertschöpfung und Sitz in Deutschland ein dem innerstaatlichen Anspruch an den Schutz der Mitbestimmung nicht gerecht werdender Zustand.

In der Tat knüpft das Recht der Unternehmensmitbestimmung an das Gesellschaftsstatut an, im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit also grundsätzlich an das Recht des Mitgliedstaats, in dem eine Gesellschaft ihren Satzungssitz hat. Das muss nicht der Mitgliedstaat sein, in dem sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft befindet. Ausnahmen hiervon bilden die Societas Europaea, für die Art. 7 SE-VO anordnet, dass sich (Satzungs-)Sitz und Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat befinden müssen, und (Rück‑)Versicherungsgesellschaften (vgl. Art. 20 Richtlinie (EG) 2009/138, „Solvency II“).

Wandelt sich beispielsweise – wie in dem vom Bundesrat gebildeten Fall – eine deutsche GmbH formwechselnd in eine irische Ltd. um, beanspruchen die deutschen Mitbestimmungsgesetze (DrittelbG, MitbestG etc.) deshalb fortan für die Gesellschaft keine Geltung mehr, obwohl möglicherweise die Hauptverwaltung der Gesellschaft und der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland verbleibt. Lag die Zahl der im Inland tätigen Arbeitnehmer der Gesellschaft vor dem Formwechsel noch unter dem Schwellenwert des DrittelbG von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, kann diese Zahl im Anschluss an den Formwechsel anwachsen, ohne dass das DrittelbG oder, wenn der Schwellenwert von in der Regel mehr als 2.000 im Inland tätigen Arbeitnehmern erreicht ist, das MitbestG greift. Bereits im Koalitionsvertrag 2021-2025 haben die Regierungsparteien sich vorgenommen, diesen sog. „Einfriereffekt“ zu beseitigen (S. 56 des Koalitionsvertrags; s. dazu Harnos/Holle, AG 2021, R359, 361 f.).

II. Bewertung

1. Unvereinbarkeit mit dem Vorher-/Nachher-Prinzip

Allerdings kann der „Einfriereffekt“ nicht beseitigt werden, ohne zuvor das europäische Recht zu ändern. Das scheint auch den Regierungsparteien klar gewesen zu sein, als sie im Koalitionsvertrag eher zurückhaltend formuliert haben, sie wollten sich für eine Beseitigung des Einfriereffekts „einsetzen“. Der Einfriereffekt ist das Ergebnis eines mühevoll in einem vier Jahrzehnte dauernden Verhandlungsprozess zwischen insbesondere der Bundesrepublik Deutschland und der Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die keine Unternehmensmitbestimmung kennen, errungenen Kompromisses zur Societas Europaea (vgl. Jacobs in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, vor § 1 SEBG Rz. 2 ff.). Der Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgeht, wird nach dem Kompromiss im Verhandlungswege zwischen einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und der oder den Unternehmensleitung(en) festgelegt, die eine grenzüberschreitende Maßnahme plant bzw. planen. Scheitern die Verhandlungen, erhalten gesetzliche Auffangregelungen das im Zeitpunkt der Maßnahme bestehende Mitbestimmungsniveau aufrecht – nicht weniger, aber auch nicht mehr (sog. „Vorher-/Nachher-Prinzip“).

In der Umwandlungsrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber das Vorher-/Nachher-Prinzip durch die Anordnung einer entsprechenden Geltung des SE-Rechts noch einmal ausdrücklich bestätigt. Weitergehende Forderungen nach einer Dynamisierung der Auffangregeln haben sich nicht durchsetzen können (hierzu auch Teichmann, NZG 2019, 241, 246 f.). Stattdessen sieht die Umwandlungsrichtlinie verschiedene, das Vorher‑/Nachher-Prinzip ergänzende Schutzmechanismen für die Unternehmensmitbestimmung vor. Dazu zählt insbesondere die neue sog. 4/5-Regelung, die bereits dann zur Bildung und Aufnahme von Verhandlungen mit einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer verpflichtet, wenn in einem an der grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Unternehmen 4/5 der Zahl der Arbeitnehmer beschäftigt wird, die in dem Mitgliedstaat die Mitbestimmung auslöst. Darüber hinaus werden die Registergerichte zu einer erweiterten Missbrauchskontrolle ermächtigt, die sich auch auf die Unternehmensmitbestimmung bezieht (Art. 86m Abs. 8, Art. 127 Abs. 8 und Art. 160m Abs. 8 Umwandlungsrichtlinie). Nicht zuletzt werden mit der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie neue Bußgeldtatbestände für die Verletzung von Informationsrechten der Arbeitnehmervertretungen eingeführt.

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn nach der Eintragung der grenzüberschreitenden Umwandlung im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert erreicht wird, widerspricht dem Vorher-/Nachher-Prinzip. Sie läuft letztlich auf eine Dynamisierung der Unternehmensmitbestimmung in grenzüberschreitenden Gesellschaften hinaus (man könnte auch von einem Mitbestimmungsexport sprechen), wie sie in Jahrzehnten von Verhandlungen zur SE und nunmehr erneut in den Verhandlungen über die Umwandlungsrichtlinie nicht durchgesetzt werden konnte. Für ein Redaktionsversehen in der Richtlinie (so Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446) gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Richtlinie lassen keinen Zweifel daran, dass der Richtliniengeber die Geltung des Vorher-/Nachher-Prinzips unmodifiziert zur Anwendung bringen will, so dass eine Regelung, die erneute Mitbestimmungsverhandlungen erfordern würde, wenn die Gesellschaft die relevanten Schwellenwerte innerhalb einer bestimmten Frist nach der Umwandlung erreicht, richtlinienwidrig wäre (vgl. in diese Richtung Uffmann, AG 2022, 427, 432).

2. Fehlende Regelungskompetenz

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme von Mitbestimmungsverhandlungen im Falle einer nachträglichen Überschreitung mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte im Wegzugsstaat scheitert auch an der fehlenden Regelungskompetenz der Wegzugsstaaten. Die Unternehmensmitbestimmung und das Verhandlungsverfahren zur Bestimmung des Mitbestimmungsstatus richten sich nämlich kraft ausdrücklicher Anordnung des Richtliniengebers umfassend nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat bzw. haben wird, also nach dem Recht des Zuzugsstaats (Art. 86l Abs. 3, 133 Abs. 3 und 160l Abs. 3 der durch die Umwandlungsrichtlinie geänderten Richtlinie (EU) 2017/1132 i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2001/86/EG, „SE-Richtlinie“). Eine Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert überschritten wird, müsste deshalb ebenfalls durch den Zuzugsstaat geregelt werden, in dem eingangs gebildeten Beispiel also durch Irland. Dem deutschen Gesetzgeber wäre dies europarechtlich versagt.

Auch der jeweilige Zuzugsstaat könnte die vom Bundesrat erwogene Regelung übrigens letztlich nicht schaffen, weil er mit der nachträglichen Verhandlungspflicht (in Abhängigkeit von der Zahl der im Ausland tätigen Arbeitnehmer) ein Sondermitbestimmungsregime für zuziehende Gesellschaften etablieren würde. Dies stünde dem Ziel der Umwandlungsrichtlinie entgegen, einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen zu etablieren und liefe letztlich sowohl auf eine unzulässige Diskriminierung solcher Gesellschaften wie auch auf eine Beschränkung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit hinaus.

Die Regelungen der Gesellschaftsrechtsrichtlinie zur Unternehmensmitbestimmung sind abschließend. Für nationale Sonderwege ist hierneben kein Raum.

Update vom 12.10.2022: Die Bundesregierung hat in einer Gegenäußerung zur Prüfbitte des Bundesrates (BT-Drucks. 20/3817, S. 65 f.) im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung mitgeteilt, dass sie die angeregte Regelung auf nationaler Ebene für rechtlich unzulässig hält. Die Problematik des „Einfrierens der Mitbestimmung“ habe der EU-Gesetzgeber durch eine Ausweitung der Verhandlungspflicht vor Erreichen der Schwellenwerte des Wegzugsstaats erkannt, aber nicht hinreichend gelöst. Das MgFSG sehe im Einklang mit der Richtlinie den Verhandlungsmechanismus auch in solchen Konstellationen vor, in denen wenigstens vier Fünftel des Schwellenwerts im Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaates erreicht werden. Verhandlungen bei nachträglichem Überschreiten der nationalen Schwellenwerte des Wegzugsstaates seien nach den Vorgaben der Umwandlungsrichtlinie dagegen nicht vorgesehen. Im Ergebnis könne die vom Bundesrat beschriebene Problematik des „Einfriereffekts“ daher rechtssicher nur durch einen europäischen Rechtsakt gelöst werden.

Kabinett beschließt Gesetz zur Umsetzung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Umwandlungsrichtlinie

Das Kabinett hat am 6.7.2022 den Regierungsentwurf zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen beschlossen.

Der Regierungsentwurf sieht wie schon der Referentenentwurf des BMAS im Wesentlichen ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG-E) sowie Änderungen des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG-E) vor. Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften der Umwandlungsrichtlinie sollen in einem gesonderten Gesetz, dem Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) umgesetzt werden. Auch hierzu hat das Kabinett am 6.7.2022 den Regierungsentwurf beschlossen (vgl. hierzu Prof. Dr. Jessica Schmidt). Die Umsetzungsfrist für beide Gesetze endet am 31.1.2023.

Inhaltlich übernimmt der Gesetzentwurf zu den mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Umwandlungsrichtlinie weitgehend den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1.4.2022 (hierzu ausführlich Müller-Bonanni/Jenner, AG 2022, 457). Er enthält jedoch auch einige bedeutsame Änderungen:

1. Begründung zu § 5 Nr. 3 MgFSG-E: Konkrete Betrachtungsweise

Für die Praxis besonders wichtig ist die Klarstellung in der Begründung des Regierungsentwurfs zur Vorschrift des § 5 Nr. 3 MgFSG-E. Grundsätzlich unterliegt die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehende Gesellschaft gem. § 4 MgFSG-E den Mitbestimmungsgesetzen des Mitgliedstaats, in dem diese ihren (Register-)Sitz hat. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 5 MgFSG-E vorliegt. In diesem Fall muss ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren (Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer etc.) eingeleitet werden, in dem das Mitbestimmungsstatut der Gesellschaft im Verhandlungswege festgelegt werden soll. Scheitern die Verhandlungen, gelangen gesetzliche Auffangregelungen über die Mitbestimmung zur Anwendung. Zur Parallelvorschrift des § 5 MgVG wurde anfänglich intensiv diskutiert, ob § 5 Nr. 3 MgVG abstrakt oder konkret zu interpretieren ist. Die Vorschrift bestimmt, dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren auch dann einzuleiten ist, wenn das Recht am Sitz der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgeht, für Arbeitnehmer die in anderen Mitgliedstaaten tätig sind, nicht den gleichen Anspruch auf Mitbestimmung vorsieht, wie sie den Arbeitnehmern im Sitzstaat zustehen. Bei einer abstrakten Lesart wäre der Tatbestand praktisch immer einschlägig, weil derzeit keine europäische Rechtsordnung Arbeitnehmer, die in anderen Mitliedstaaten tätig sind, in die Mitbestimmung einbezieht. Der Regierungsentwurf zu § 5 Nr. 3 MgFSG stellt sich nunmehr auf die Seite der inzwischen ganz herrschenden Ansicht zu § 5 Nr. 3 MgVG, die den Tatbestand nur dann anwendet, wenn die Ausgangsgesellschaft (bei Verschmelzungen: mindestens eine der beteiligten Gesellschaften) tatsächlich der Mitbestimmung unterliegt (siehe etwa Drinhausen/Keinath, AG 2010, 398, 399; Habersack in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 5 MgVG Rz. 6; Hohenstatt/Dzida in Henssler/Willemsen/Kalb, 10. Aufl. 2022, MgVG Rz. 8; Jacobs in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, Vor § 1 SEBG Rz. 56; Thüsing/Forst in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 3. Aufl. 2022, § 5 MgVG Rz. 19). Unterliegt die Ausgangsgesellschaft nicht der Mitbestimmung, kann der grenzüberschreitende Formwechsel oder die grenzüberschreitende Spaltung ohne das aufwändige Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt werden (es sei denn, der Tatbestand der 4/5-Regelung nach § 5 Nr. 1 MgFSG-E liegt vor).

2. § 6 Abs. 2 MgFSG-E: Verfahrenseinleitende Information der vertretenen Gewerkschaften

Der Regierungsentwurf sieht nun in § 6 Abs. 2 MgFSG-E (abweichend von § 6 Abs. 2 MgVG und § 4 Abs. 2 SEBG) vor, dass die Informationen über das grenzüberschreitende Formwechsel- bzw. Spaltungsvorhaben, mit denen das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren eingeleitet wird (Arbeitnehmerzahlen, bestehende Arbeitnehmervertretungen, Mitbestimmungssituation etc.), nicht nur den Betriebsräten und Sprecherausschüssen im Unternehmen, sondern auch den im Unternehmen vertretenen (inländischen) Gewerkschaften zur Verfügung zu stellen sind. Die Änderung will augenscheinlich verhindern, dass grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen an den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften „vorbei“ umgesetzt werden.

3. § 13 MgFSG-E: Stimmgewichtete Wahl der auf das Inland entfallenden BVG-Mitglieder

Abweichend vom Referentenentwurf bestimmt § 13 MgFSG-E nun in Anlehnung an § 12 MgVG und § 10 SEBG, dass die Wahl der inländischen Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) in einer stimmgewichteten Wahl erfolgt und nicht – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – nach Köpfen. Das Wahlgremium, das die inländischen BVG-Mitglieder wählt, besteht aus den Mitgliedern der höchsten Arbeitnehmervertretung der ihre Rechtsform wechselnden oder sich spaltenden Gesellschaft, der betroffenen Tochtergesellschaften oder betroffenen Betriebe (§ 11 Abs. 2 MgFSG-E), wenn es sich um eine Konzernobergesellschaft handelt, also aus den Mitgliedern des Konzernbetriebsrats ansonsten aus den Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats/der Gesamtbetriebsräte oder, wo es einen solchen nicht gibt, aus den Mitgliedern des Betriebsrats/der Betriebsräte. Die Stimmenzahl der Mitglieder des Wahlgremiums richtet sich nach der Zahl der jeweils durch sie vertretenen Arbeitnehmer, wobei Arbeitnehmer betriebsratsloser Betriebe und Unternehmen den Arbeitnehmervertretungen zu gleichen Teilen zugerechnet werden. Das Prinzip der Stimmgewichtung stößt an praktische Grenzen, wenn Abstimmungen geheim durchgeführt werden sollen, was jedes Mitglied des Wahlgremiums verlangen kann. Das Problem ist seit langem bekannt, die Alternative der ursprünglich vorgesehenen Abstimmung nach Köpfen wirft jedoch mitunter Fragen hinsichtlich der demokratischen Legitimation des Abstimmungsergebnisses auf.

Als Folgeänderung der stimmgewichteten Wahl sieht § 13 Abs. 1 Satz 1 MgFSG-E (wie auch § 12 Abs. 1 Satz 1 MgVG und § 10 Abs. 1 Satz 1 SEBG) nun eine doppelte Beschlussfähigkeitsschwelle vor, wonach zwei Drittel der Wahlgremiumsmitglieder, die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten, anwesend sein müssen.

4. § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E: Information über das Verhandlungsergebnis statt Übermittlung einer Abschrift der Beschlussniederschrift

Die im Referentenentwurf in § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E vorgesehene Übermittlung einer Abschrift der Niederschrift über die Beschlüsse des BVG (einschließlich der jeweiligen Beschlussmehrheiten) an die Arbeitnehmervertretungen, Sprecherausschüsse und im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften gibt der Regierungsentwurf auf. § 21 MgFSG-E und § 19a MgVG-E bestimmen nunmehr im Einklang mit der Umwandlungsrichtlinie, dass lediglich eine Information über das Verhandlungsergebnis zu erfolgen hat. Hierdurch wird sichergestellt, dass aus der Mitteilung keine Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten der BVG-Mitglieder gezogen werden können.

5. § 32 MgFGS-E und § 30 MgVG-E: Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren bei nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen nur, wenn in der hervorgehenden Gesellschaft eine Form der Unternehmensmitbestimmung besteht

Gemäß § 32 MgFSG-E und § 30 MgVG-E ist bei nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen, die innerhalb von vier Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Maßnahme stattfinden, ein (erneutes) Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen, allerdings nur dann, wie der Regierungsentwurf nun klarstellt, wenn in der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Maßnahme hervorgeht, tatsächlich eine Form der Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht. Dies entspricht den Vorgaben der durch die Umwandlungsrichtlinie eingeführten Art. 86l Abs. 7, Art. 133 Abs. 7 und Art. 160l Abs. 7 GesRRL.

6. § 36 MgFSG-E: Missbrauchsverbot

Der Referentenentwurf des BMAS sah gestützt auf die Umwandlungsrichtlinie in § 36 MgFSG-E bereits eine „Missbrauchsverbotsregelung“ vor. Ein „Missbrauch“ sollte nach dem Referentenentwurf insbesondere dann vorliegen, wenn innerhalb von vier Jahren ab Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Vorhabens strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.

Der Regierungsentwurf ändert § 36 Satz 2 MgFSG-E dahin gehend, dass „Missbrauch“ insbesondere dann vorliegt, wenn innerhalb von vier Jahren ab dem Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Maßnahme strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass ein Schwellenwert der Mitbestimmungsgesetze im Sitzstaat überschritten wird oder sonst Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Unverändert geblieben ist, dass bei einem Verstoß gegen das „Missbrauchsverbot“ Verhandlungen über den Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft zu führen sind, bei deren Scheitern die §§ 25 bis 30 MgFSG über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden sind. Gemeint ist dabei offenbar, dass die Auffangregelungen unter Zugrundlegung der Verhältnisse im Zeitpunkt der strukturellen Änderung anzuwenden sind, was in den Fällen der Überschreitung mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte darauf hinausläuft, dass die Gesellschaft fortan der Mitbestimmung unterliegt.

Der Begriff des „Missbrauchs“ erscheint in diesem Kontext deplatziert, weil ein Anwachsen der Arbeitnehmerzahl, zumal innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren, für sich genommen nicht missbräuchlich ist. Es erscheint auch zweifelhaft, ob die Regelung durch die Richtlinie gedeckt ist, da der nationale Gesetzgeber das durch die Umwandlungsrichtlinie vorgegebene sog. Vorher-/Nachher-Prinzip aufweicht. Das Vorher-/Nachher-Prinzip schützt den im Zeitpunkt der grenzüberschreitenden Maßnahme bestehenden mitbestimmungsrechtlichen status quo, nicht aber potentielle Mitbestimmungszuwächse (vgl. zum SE-Recht Uffmann, AG 2022, 427, 436).

Immerhin betont aber die Entwurfsbegründung, dass mit einem „Missbrauch“ i.S.d. § 36 Satz 2 MgFSG-E keine strafrechtliche Sanktion verknüpft ist.

Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag der Ampel

Am Mittwoch, den 24.11.2021, haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag präsentiert, der auf den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ lautet. Bei der Lektüre des 178 Seiten langen Textes fällt auf, dass die Ampel-Koalition zwei unternehmensrechtliche Themen, die früher Gegenstand von Wahlkämpfen waren, nicht aufgreift: die Geschlechterquote in den Gesellschaftsorganen und die Managervergütung. Augenscheinlich ist das Unternehmensrecht in diesem Zusammenhang fortschrittlich genug und muss nicht angetastet werden. Im Hinblick auf die Reformen der vergangenen Jahre bleibt zu hoffen, dass sich die Koalitionäre an ihr Schweigen halten. Der Schwerpunkt der unternehmensrechtlichen Reformvorhaben liegt in anderen Bereichen, die im Folgenden dargestellt werden.

Sorgfaltspflichten in den Lieferketten

Am Ende der vergangenen Legislaturperiode hat der deutsche Gesetzgeber das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG; BGBl. I 2021, S. 2959) verabschiedet (zum Entwurf vom März 2021 Reich, AG 2021, R116; Scheffler, AG 2021, R120; zur Endfassung Scheffler, AG 2021, R199). Außerdem hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Legislativvorschlag zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen präsentiert. Der für Herbst 2021 erwartete Richtlinienentwurf der EU-Kommission liegt bislang nicht vor. An diese Entwicklung anknüpfend halten die Ampel-Koalitionäre auf S. 34 fest, dass sie ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das deutsche LkSG werde unverändert umgesetzt und ggf. verbessert. Insgesamt wäre die Bundesregierung wohl gut beraten, zunächst die Entwicklungen auf europäischer Ebene abzuwarten und ggf. zu versuchen, sie zu beeinflussen. Erst wenn das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene ins Stocken geraten oder gar scheitern sollte, wäre es zweckmäßig, das LkSG nachzubessern.

Whistleblowing

Anders als das LkSG hat es ein Hinweisgeberschutzgesetz in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr über die Ziellinie geschafft. In dieser Legislaturperiode ist hiermit sicher zu rechnen, da die Whistleblowing-Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 den Mitgliedsstaaten Regelungen zum Whistleblowing zwingend zur Umsetzung vorgibt. Da die Umsetzungsfrist bereits am 17.12.2021 endet, wäre es nicht überraschend, wenn das Whistleblowing zu denjenigen unternehmensrechtlichen Themen zählt, die die Ampel-Koalitionäre prioritär angehen.

Die Essenz der Umsetzung deutet der Koalitionsvertrag auf S. 111 nur vage an. Zu begrüßen ist die ausdrückliche Festlegung, insofern über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinauszugehen, als das angestrebte Regime nicht auf die Meldung von Verstößen gegen EU-Recht beschränkt bleiben soll, sondern auch bestimmte Verstöße gegen nationale Vorschriften umfasst sein sollen. Abgesehen hiervon wäre es der Rechtssicherheit und Praktikabilität dienlich, wenn der Gesetzgeber Klarheit hinsichtlich der Frage schafft, ob und inwieweit Hinweisgebersysteme im Konzern einheitlich betrieben werden können (hierzu Holle, ZIP 2021, 1950). Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger stellen die Ampel-Koalitionäre unter einen Prüfvorbehalt, so dass abzuwarten bleibt, inwieweit sie sich dazu durchringen werden, Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote vorzusehen.

Verbandssanktionen

Kein unionsrechtlicher Umsetzungsdruck besteht beim Thema Verbandssanktionierung. Die gegenwärtige Rechtslage wird von vielen aus guten Gründen aber als unbefriedigend empfunden; die in der letzten Legislaturperiode anvisierte Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung ist auf der Zielgeraden gescheitert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der Koalitionsvertrag sich ihrer auf S. 111 neuerlich annimmt. Ob sich dahinter eine ähnlich weitreichende Neuaufstellung des Rechts der Verbandssanktionierung verbirgt, wie sie der in der vergangenen Legislaturperiode vorliegende Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG; BT-Drucks. 19/23568) bedeutet hätte, ist fraglich. Tendenziell klingt es nach einer kleinen Lösung, die sich mit einer Anhebung der Bußgeldobergrenzen, der Normierung einer Compliance-Defense sowie gewisser Regelungen zu internen Untersuchungen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts begnügt.

GmbH mit gebundenem Vermögen

Ein klares Bekenntnis geben die Ampel-Koalitionäre auf S. 30 des Vertrags zu einer neuen Rechtsform ab, die im Schrifttum sehr umstritten ist: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (für die Einführung einer solchen Gesellschaftsform Sanders/Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2021, 285; dagegen etwa Habersack, GmbHR 2020, 992). Den Einsatz dieser Rechtsform als Vehikel für Steuersparkonstruktionen will die künftige Regierung vermeiden (auf diese Gefahr hinweisend Hüttemann/Schön, DB 2021, 1356; relativierend Kempny, DB 2021, 2248). Ungeachtet der steuerrechtlichen Probleme sollte der Gesetzgeber überprüfen, ob es einer solchen Gesellschaftsform tatsächlich bedarf, um die angestrebten Ziele zu erreichen (eingehend Hüttemann/Rawert/Weitemeyer, npoR 2020, 296).

GmbH-Gründungsrecht

Darüber hinaus verpflichten sich die Koalitionäre auf S. 111 f. des Vertrags, die Gründung von Gesellschaften zu erleichtern, indem sie Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlauben. Die Ampel dürfte damit in erster Linie die GmbH im Blick gehabt haben. Auch wenn keine sachlichen Gesichtspunkte gegen eine elektronische AG-Gründung sprechen, dürfte dies trotz aller Fortschrittsbekundungen auch künftig keine Option sein.

Der Koalitionsvertrag setzt an § 2 Abs. 3 GmbHG i.d.F. des DiRUG (BGBl. I 2021, S. 3338) an, wonach nur eine elektronische GmbH-Bargründung möglich ist. Diese Einschränkung, die im Schrifttum kritisiert wurde (s. nur Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985 Rz. 32 ff.), soll in der Zukunft entfallen, was nachdrücklich zu begrüßen ist. Die Unternehmensgründung soll zudem durch eine umfassende Start-Up-Strategie gefördert werden, zu der u.a. die Einführung von flächendeckenden „One Stop Shops“ (Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung) gehört. In solchen „One Stop Shops“ sollen Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden möglich sein (S. 30 des Koalitionsvertrags).

Hauptversammlungsrecht

Auf einhellige Zustimmung dürfte die auf S. 112 des Koalitionsvertrags angekündigte dauerhafte Einführung von Online-Hauptversammlungen fallen. Die auf Corona-Sondergesetzgebung gestützte Online-Hauptversammlung (s. § 1 COVMG) hat sich im Groben und Ganzen bewährt (zur Empirie s. nur Danwerth, AG 2021, 613) und kann als Blaupause für die anstehende Aktienrechtsreform dienen.

Spannend bleibt die Frage, wie die Aktionärsrechte im künftigen Hauptversammlungsrecht ausgestaltet werden. Die Ampel-Koalition verspricht, jene uneingeschränkt zu wahren. Dies deutet darauf hin, dass die Regelungen in § 1 Abs. 1, 2 und 7 COVMG, die das Rede-, Auskunfts- und Anfechtungsrecht der Aktionäre beschränken, nicht ins Aktiengesetz überführt werden (speziell zur Aktionärskommunikation Seibt/Danwerth, AG 2021, 369 und VGR, AG 2021, 380 Rz. 8 ff.). Ungeachtet der rechtspolitischen Diskussionen um die Reichweite der Aktionärsrechte sollte das BMJ zügig einen Referentenentwurf präsentieren, damit die Unternehmen nach den Erfahrungen mit § 1 COVMG in der Hauptversammlungssaison 2023 nicht wieder im vordigitalen Zeitalter landen (zu COVMG-Verlängerungen und der Zeitschiene für die Aktienrechtsreform Danwerth, AG 2021, R283 f.).

Die Ampel-Koalition sollte die Digitalisierung der Hauptversammlung dafür nutzen, auch das Beschlussmängelrecht zu reformieren. Die Große Koalition, die eine solche Reform auf S. 131 des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode angekündigt hatte, hat ihr Versprechen trotz umfassender rechtspolitischer Vorschläge nicht umgesetzt (s. nur die Beschlüsse des 72. Deutschen Juristentags, S. 27 ff. und die Vorschläge des AK Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617).

Überdies sollte die künftige Regierung erwägen, die Möglichkeit einer digitalen Versammlung auch für die Gesellschaftsorgane und andere Gesellschaftsformen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, besteht nicht nur für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ein Bedarf an virtuellen Sitzungen.

Elektronische Aktie

In der 19. Legislaturperiode hat der Gesetzgeber mit dem eWpG (BGBl. I 2021, S. 1423) die Möglichkeit geschaffen, elektronische Wertpapiere zu begeben (hierzu nur Sickinger/Thelen, AG 2020, 862; Sickinger/Thelen, AG 2021, R198). Gleichwohl beschränkt sich das Gesetz gem. § 1 eWpG auf Inhaberschuldverschreibungen; die Begebung elektronischer Aktien ist nicht möglich (s. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/26925, 38). Dies könnte sich in der 20. Legislaturperiode ändern: Beiläufig erwähnt der Koalitionsvertrag auf S. 172 unter der Überschrift „Digitale Finanzdienstleistungen und Währungen“, die Emission elektronischer Aktien zu ermöglichen (zu den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen Guntermann, AG 2021, 449).

Kapitalmarktrecht

Positiv ist zu würdigen, dass sich die Ampel auf den S. 169 ff. des Koalitionsvertrags zur Vertiefung der Kapitalmarktunion bekennt und die Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abbauen, den Zugang von KMU zum Kapitalmarkt erleichtern und die Markttransparenz stärken möchte. Auch die Schaffung eines angemessenen regulatorischen Rahmens für FinTechs und vergleichbare Unternehmen ist zu begrüßen. Gleichwohl sollte die künftige Regierung bei all der Regulierungsfreude bedenken, dass sich die enorme Regelungsdichte im Kapitalmarktrecht als ein Grund dafür erweist, den Kapitalmärkten fernzubleiben. Vor diesem Hintergrund sollte die Ampel erwägen, ob weniger (und klarer!) nicht doch mehr ist.

Mitbestimmungsrecht

Auf S. 72 kündigen die Koalitionäre an, sich für die Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung einzusetzen, so dass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Das klingt für zahlreiche Gesellschaften, die (noch) nicht der Unternehmensmitbestimmung unterliegen, wie eine Einladung zur zügigen Umwandlung in eine SE, um rechtzeitig die derzeit bestehende Möglichkeit auszunutzen, das Mitbestimmungsstatut einzufrieren.

Prozessrecht

Aus der Perspektive des Unternehmensrechts interessant sind die Aussagen auf S. 108 des Koalitionsvertrags, wonach das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – das in der 19. Legislaturperiode ohne inhaltliche Änderungen verlängert wurde (BGBl. I 2020, S. 2186) – modernisiert werden soll und englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden sollen.

Steuer- und Geldwäscherecht

Fernwirkungen auf das Unternehmensrecht dürften manche steuer- und geldrechtlichen Pläne haben. So sprechen die Koalitionäre auf S. 167 des Vertrags davon, aufbauend auf den Maßnahmen der letzten Legislaturperiode missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden. Ein weiteres Reformversprechen betrifft das Transparenzregister. Auf S. 171 f. des Koalitionsvertrags kündigt die künftige Regierung an, die Qualität der Daten im Transparenzregister zu verbessern, so dass die wirtschaftlich Berechtigten in allen vorgeschriebenen Fällen tatsächlich ausgewiesen werden.

Mehr zum Unternehmensrecht im Koalitionsvertrag im AG-Report 24/2021.