EU-Lieferkettengesetz – Einigung im Trilog zwischen Rat und Parlament über die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (Corporate Sustainabilty Due Diligence Directive – CSDDD)

Nach dem Vorbild einzelner Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland) hat die EU-Kommission bereits am 23.2.2022 einen Vorschlag für eine große, sektorübergreifende Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final), der einerseits deutlich über die nationalen Vorbilder wie das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (LkSG) hinausging und deshalb auf ein überaus kritisches Echo aus den Reihen der Wirtschaft gestoßen ist, andererseits aber großen Teilen des Europäischen Parlaments und den in Brüssel durchaus einflussreichen „Akteuren der Zivilgesellschaft“ zu unambitioniert erschien. Die damit notwendigen Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament, die sich zunächst durchaus zäh gestalteten, sind nunmehr am 14.12.2023 mit einer vorläufigen Einigung erfolgreich abgeschlossen worden (knappe Pressemitteilung des Rates „Corporate Sustainability Due Diligence: Council and Parliament strike deal to protect environment and human rights“; zusätzliche Informationen in der gemeinsamen Pressekonferenz von Lara Wolters, Berichterstatterin für das Parlament, Justizkommissar Didier Reynders, und dem Spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés).

Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über Ziele und Mechanik der CSDDD die wesentlichen Parameter der Trilog-Einigung vorgestellt.

Gegenstand

Wie französisches loi de vigilance und deutsches LkSG zielt auch die CSDDD darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Verhalten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und Unternehmensführung von Unternehmen (stärker) zu verankern. Unternehmen sollen potenzielle negative Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, insbesondere auch in ihren Lieferketten innerhalb und außerhalb Europas. Wie in den nationalen Lieferkettengesetzen liegt der Schwerpunkt der CSDDD damit in der Inpflichtnahme von Unternehmen für die Sicherstellung menschenrechtskonformen und umweltverträglichen Handelns nicht nur innerhalb ihres eigenen unmittelbaren Verantwortungsbereichs, sondern auch auf Ebene ihrer Lieferanten. Der ordnungspolitische Gleichlauf von Haftung und Herrschaft wird also bewusst suspendiert. Hierzu legt die CSDDD Pflichten großer Unternehmen hinsichtlich tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte für ihre Lieferkette fest. Auf Drängen des Parlaments erstrecken sich die Sorgfaltspflichten dabei nicht allein auf die Lieferkette (supply chain) im engeren Sinne, also praktisch die Beschaffungsseite, sondern teilweise auch auf nachgelagerte Aktivitäten des Unternehmens, etwa Recycling sowie auch vor allem den Vertrieb. Die Instrumente, mit denen diese Zielsetzungen umgesetzt werden (sollen), entsprechen im Ausgangspunkt denen des deutschen LkSG, also die Statuierung von Sorgfaltspflichten, deren Einhaltung insbesondere durch Risikoanalyse und Lieferketten-Risikomanagement realisiert werden soll.

Erfasste Unternehmen, Ausklammerung des Finanzsektors

Zu den zwischen Rat und Parlament, aber auch in der allgemeinen politischen Debatte besonders kontrovers diskutierten Punkten gehörte von Beginn an die Reichweite bzw. der Anwendungsbereich der anspruchsvollen Richtlinie. Nach dem Trilog-Kompromiss sind die neuen Pflichten grundsätzlich von EU/EWR-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. € zu beachten, womit der allgemeine Schwellenwert des ursprünglichen Kommissionsentwurfs übernommen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a) CSDDD-E). Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen den Vorgaben hingegen (nur) dann, wenn sie EU/EWR-weite Umsätze von 300 Mio. € realisiert haben. Noch weitergehenden Forderungen nach einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der CSDDD, der bereits in der Kompromissfassung deutlich über den des LkSG hinausreicht, haben sich Kommission und Rat mit der Erwägung verschlossen, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den voraussichtlich nicht unerheblichen Bürokratiekosten einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Richtlinie freizuhalten. Soweit KMU mittelbar – d.h. als Teile der Lieferkette CSDDD-verpflichteter großer Unternehmen – mit den weitreichenden Sorgfaltspflichten konfrontiert sind, hat die Kommission zudem angekündigt, durch Guidance – etwa in Form von Technical Standards – unterstützen zu wollen.

Nach der allerdings etwas uneinheitlichen Kommunikation von Rat und Parlament bis auf Weiteres ausgeklammert bleiben soll der Finanzsektor. Dies bedarf der Konkretisierung. Für die eigene, typischerweise wirtschaftlich nicht zentrale Lieferkette im eigentlichen Sinne („upstream“) haben auch Unternehmen des Finanzsektors bei Überschreiten der Größenkriterien die entsprechenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Womit sich das Parlament hingegen vorläufig nicht durchzusetzen vermocht hat, ist die „Wertschöpfungskette“ (value chain) des Finanzsektors insgesamt, d.h. auch „downstream“ zu erfassen, also praktisch Kredit- und Portfolioentscheidungen gleichfalls dem Pflichtenregime der CSDDD zu unterstellen. Das Parlament betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch für den Finanzsektor die Verpflichtung gilt, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, wovon man sich ersichtlich zumindest mittelbare Effekte für Kreditvergabe und Asset Management erhofft.

Schädliche Umweltauswirkungen

Nach Art. 7 Abs. 1 CSDDD i.d.F. des Kommissionsentwurfes haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder, falls sie nicht oder nicht unmittelbar vermieden werden können, zumindest angemessen abzuschwächen. Hinsichtlich des bis zuletzt umstrittenen Begriffs der schädlichen Umweltauswirkungen sieht die Einigung nunmehr vor, dass unter Umweltauswirkung in diesem Sinne jede messbare Umweltverschlechterung wie schädliche Bodenveränderungen, Wasser- oder Luftverschmutzung, schädliche Emissionen oder übermäßiger Wasserverbrauch oder andere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu verstehen ist.

Emissionsreduktionsplan (Climate Transition Plan)

Ersichtlich ein Alleinstellungsmerkmal der CSDDD ist die weitere Verpflichtung erfasster Unternehmen, einen Emissionsreduktionsplan aufzustellen und umzusetzen, der sicherstellen soll, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind (Art. 15 Abs. 1 CSDDD-E). In diesem Zusammenhang soll auch die Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane u.a. davon abhängen, ob ein entsprechender Emissionsreduzierungsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Sanktionen

Praktisch nach dem mittlerweile bekannten Sanktionsmodell der Europäischen Union sieht die Trilog-Einigung für Verstöße gegen die Richtlinie zunächst am Umsatz orientierte Bußgelder vor, die eine Höhe von maximal 5% des Nettoumsatzes des Unternehmens erreichen können. Wie der Rekurs auf den Begriff des Unternehmens offenbart, ist Berechnungsgrundlage dabei der Umsatz der Gruppe und nicht etwa der Einzelgesellschaft, die für einen bußgeldbewährten Verstoß verantwortlich zeichnet. Mit 5% des Nettoumsatzes geht die Richtlinie deutlich über die umsatzbezogenen Bußgelder gem. § 24 Abs. 3 LkSG (bis zu 2%) hinaus.

Anders als das LkSG sieht die CSDDD zudem ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche gegen Unternehmen vor. „Betroffene“ können innerhalb einer Frist von fünf Jahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Einigermaßen fragwürdig ist, dass als Betroffene nicht nur Gewerkschaften, sondern – hinreichend unspezifisch – auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ klagebefugt sein sollen. Die traditionellen und durchaus nicht unbegründeten Vorbehalte gegen Popularklagen scheint man in Brüssel ersichtlich nicht (mehr) zu teilen. Auch bei der Darlegungs- und Beweislast will der Trilog-Kompromiss „Anwälten der Öffentlichkeit“ deutlich entgegenkommen.

Als weitere Sanktion können Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten gemäß CSDDD schließlich mit einem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren geahndet werden. Dies spiegelt letztlich § 22 LkSG, der gleichfalls bei Verstößen einen Ausschluss bei der Berücksichtigung öffentlicher Aufträge vorsieht.

Stakeholder-Beteiligung

Von der CSDDD erfasste Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, als Bestandteil des Due-Diligence-Prozesses eine sinnvolle Beteiligung (meaningful engagement), einschließlich eines Dialogs und einer Konsultation mit den „betroffenen Interessengruppen“ durchzuführen. Dies dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass Unternehmen neben ihren Arbeitnehmern im Einzelfall auch mehr oder weniger legitimierte NGO – wie etwa „environmental defenders“ (Lara Wolters) – konsultieren müssen.

Ausblick

Da die Trilog-Verhandlungen als informelles Verständigungsverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung entfalten, müssen die Institutionen im nächsten Schritt die Ergebnisse des Kompromisses formell annehmen. Im Anschluss sind die Mitgliedstaaten zur Überführung in nationales Recht verpflichtet, wobei der Kommissionsentwurf hierfür zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD einräumt (vgl. Art. 30 CSDDD-E). Ob das europäische Lieferkettenregime den großen Erwartungen seiner Befürworter gerecht zu werden vermag oder sich in einer schematisch ablaufenden Auditierungsübung („check the box“ mittels Länder-Clustern etc.) erschöpfen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Der Vorschlag der Kommission ist insoweit recht großzügig und sieht eine Evaluierung des neuen Regimes erst sieben Jahre nach Inkrafttreten und damit fünf Jahre nach Umsetzung in nationales Recht vor.

„Say on Climate“-Beschluss bei der Alzchem Group AG: Große Mehrheit der Aktionäre stimmt für Klimafahrplan

Am 11.5.2023 fand die ordentliche Hauptversammlung der Alzchem Group AG zum vierten Mal in virtueller Form statt. Die Besonderheit lag aber in einem anderen Aspekt: Die Gesellschaft setzte als erstes deutsches Unternehmen ein Say on Climate auf ihre Tagesordnung (vgl. dazu Harnos, Blog-Beitrag vom 21.4.23). Dadurch hatten die Aktionäre erstmals die Gelegenheit, ihre Meinung zu dem vom Vorstand vorgestellten Klimafahrplan in Form eines Konsultativbeschlusses zu äußern.

In diesem Sinn fokussierte der Vorstandsvorsitzende Andreas Niedermaier in seiner Rede den Klimafahrplan: Ziel der Alzchem AG sei es, bei den sog. Scope 1-Emissionen bis zum Jahr 2033 ein sog. „Net Zero“, also eine vollständige Klimaneutralität, zu erreichen. Zwar sei es dem Chemieunternehmen nach aktuellem Stand der Kenntnis nicht möglich, vollkommen emissionslos zu produzieren, es könne aber jedenfalls den – ohnehin äußerst geringen – Restausstoß durch eigene Produkte deutlich überkompensieren.

Der Klimafahrplan fand im Vorfeld der HV weniger Resonanz als erwartet. Vor allem die Reaktion eines großen Stimmrechtsberaters, der zum Klimafahrplan eine dezidiert negative Stellung bezogen hatte, enttäuschte die Verwaltungsorgane der Alzchem Group AG jedoch. Stattdessen wäre aus Sicht der Verwaltung ein inhaltlicher Dialog über die klimaschutzbezogenen Ziele des Unternehmens wünschenswert gewesen.

Auch in der Generaldebatte stieß der Tagesordnungspunkt Klimafahrplan vereinzelt auf Skepsis, sorgte aber insgesamt für wenig Wirbel. Eine erste Nachfrage provozierte das Stichwort Ressourcenverschwendung: Wenn der Klimafahrplan der Alzchem Group AG ermögliche, die Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden, dränge sich die Frage auf, wieso die Verschwendung nicht schon früher vermieden worden sei. Hierauf entgegnete der Produktionsvorstand Klaus Englmaier, dass für die Alzchem Group AG Ressourcenverschwendung schon immer ein Thema sei, die Vermeidung aber immer eine Frage der Wirtschaftlichkeit und technischen Umsetzbarkeit gewesen sei. Im Klimafahrplan würden sich jedoch nun konsequent die Projekte wiederfinden, die sich in den letzten Jahren als wirtschaftlich umsetzbar erwiesen haben. Aktionärsseitig wurden außerdem die Klimaschutzbemühungen der einzelnen Verwaltungsmitglieder selbst ins Visier genommen: Mit welchen Automodellen der Vorstand denn wie viele Kilometer gefahren sei und, daran anknüpfend, wie viele Flüge die Mitarbeiter der Gesellschaft im letzten Geschäftsjahr gebucht und wie viele Flugkilometer sie zurückgelegt hätten.

Ebenfalls kritisierte ein Aktionär die im Klimafahrplan berücksichtigten „Kompensationsmaßnahmen“. Dass der Ausstoß von CO2 im Jahr 2033 bei Null ankomme, klinge unglaubwürdig und sei nur durch eine hypothetische Berechnung mit eben solchen Kompensationen und Zertifikaten möglich. Es drohe die Gefahr, dadurch die Probleme an einen anderen Ort zu verlagern, was nicht zielführend sei. Das wollte der Alzchem-Vorstand so nicht stehen lassen: Wenn der Klimafahrplan von „Kompensationsmaßnahmen“ spreche, meine er allein die positive Wirkung der eigenen Alzchem Produkte, wie z.B. Eminex® und Creamino®. Die CO2-Einsparungen speziell dieser beiden Produkte überstiegen bei Weitem die 2033 noch verbleibenden Emissionen der Scopes 1–3 (vgl. dazu Harnos, Blog-Beitrag vom 21.4.23).

Trotz der vereinzelten Ablehnung wurde der Klimafahrplan mit einer deutlichen Mehrheit von 95,3 % der abgegebenen Stimmen (bei einer Abstimmungsbeteiligung von 73,45 % des Grundkapitals) angenommen. Die Alzchem Group AG schafft innerhalb ihres Aktionariats ein besonderes Bewusstsein für das Thema Klimaschutz und ermöglichte den Aktionären, etwaige Störgefühle bezüglich der Klimastrategie des Unternehmens zu adressieren und ggf. auszuräumen. Damit setzt die Alzchem Group AG ein starkes Zeichen hinsichtlich der Umsetzbarkeit eines Say on Climate.

Vorreiter bei Say on Climate: die Alzchem Group AG

Say on Climate war in Deutschland bisher nur ein Zeitschriftenthema (vgl. etwa Cahn, NZG 2023, 299, 300 ff.; Fleischer/Hülse, DB 2023, 44; Harnos/Holle, AG 2021, 853; Ott, NZG 2020, 99; Sanders, VGR 2022, 59; J. Vetter, Börsen-Zeitung v. 14.5.2022 (s. auch hier); VGR, AG 2022, 239 Rz. 31 ff.; Weller/Hoppmann, AG 2022, 640). Anders als im Ausland haben es Konsultativbeschlüsse über die Klimapolitik der Unternehmen lange Zeit nicht auf die Tagesordnungen deutscher Hauptversammlungen geschafft.

Nun wagt es die Alzchem Group AG, ihren Klimafahrplan den Aktionären zur konsultativen Abstimmung vorzulegen (vgl. S. 34 ff. der HV-Einladung). Dabei bezeichnet das Unternehmen den Klimawandel als eine der größten global anzugehenden Herausforderungen und zeigt sich als ein Vertreter der Spezialchemie-Branche seiner besonderen Verantwortung für die Umwelt bewusst. Sodann skizziert es sein Tätigkeitsfeld und erklärt die Klimaneutralität zum neuen grünen Meilenstein. Dieses Ziel will Alzchem auf zwei Wegen erreichen: zum einen durch die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, zum anderen durch eine klimaneutrale Produktion. Überdies schildert das Unternehmen, wie es zu Reduzierung des Energieeinsatzes, Vermeidung von Abfällen, Schutz der Gewässer sowie Immissions- und Lärmschutz beitragen will.

Sodann erklärt Alzchem, den Ausstoß der Scope 1-Emissionen – also solcher, die an sämtlichen Unternehmensstandorten freigesetzt werden – bis zum Jahr 2030 um 75 % reduzieren zu wollen. Die vollständige Klimaneutralität will das Unternehmen 2033 erreichen und stellt vier Maßnahmenpakete dar, mit denen es das Ziel verwirklichen will:

  1. CO2-Verflüssigung und Nutzung von CO2 als Rohstoff
  2. Nachhaltiges Rohstoffmanagement
  3. Wärmerückgewinnung
  4. Effizienzsteigerungen

Abschließend geht Alzchem auf Maßnahmen zur Reduzierung der Scope 2- bis 4-Emissionen ein. Diese Emissionsarten erfassen die indirekte Freisetzung klimaschädlicher Emissionen durch Energie von Dritten (Scope 2), die indirekte Freisetzung klimaschädlicher Emissionen in den bezogenen Roh- und Einsatzstoffen in der gesamten Wertschöpfungskette (Scope 3) sowie die klimapositive Wirkung der Produkte eines Unternehmens bei seinen Kunden (Scope 4).

Es bleibt zu beobachten, wie sich die Aktionäre der Alzchem Group AG in der Hauptversammlung am 11.5.2023 positionieren und ob sich andere deutsche Unternehmen trauen, dem Vorreiter aus Bayern zu folgen und mit ihren Anteilseignern über die Klimapolitik auf offener HV-Bühne anlässlich eines separaten Tagesordnungspunkts und nicht nur in Hinterzimmern zu diskutieren.

ESG-Aktivismus – gekommen, um zu bleiben?

Die USA und allen voran der Bundesstaat Delaware sind schon seit vielen Jahren Exportweltmeister gesellschaftsrechtlicher Rechtsfiguren. Etliche dieser legal transplants (Watson, Legal Transplants, 1974; Fleischer, NZG 2004, 1129) wurden bereits in die „Anatomie“ des deutschen Aktienrechts (angelehnt an Kraakman et al., The Anatomy of Corporate Law) eingepflanzt. Eine maßgebliche Triebfeder dieser Entwicklungen ist die US-amerikanische Finanzbranche: Trends der Wall Street finden früher oder später ihren Weg zum deutschen Kapitalmarkt; ein Paradebeispiel sind die seit kurzem wieder populären SPACs (dazu Fuhrmann, ZBB 2021, 390 und Fuhrmann, AG 2022, R91).

Der jüngste US-Exportschlager lautet: ESG-Aktivismus. Dabei handelt es sich um eine Spielart des shareholder activism. Bei diesem versucht ein Minderheitsaktionär, auf die Strategie eines börsennotierten Unternehmens Einfluss zu nehmen. Sein Ziel ist in der Regel die Steigerung des Börsenkurses und damit des Wertes seiner Beteiligung. Ansatzpunkt für die Hebung von Wertschöpfungspotentialen sind beim ESG-Aktivismus an den ESG-Kriterien (environmental, social, governance) ausgerichtete Maßnahmen.

Seinen großen Durchbruch erlebte der ESG-Aktivismus in den USA mit der erfolgreichen Kampagne von Engine No. 1 bei Exxon Mobil. Mit der Unterstützung zahlreicher institutioneller Investoren konnte der mit nur 0,02 % beteiligte Hedgefonds drei board-Sitze auf der Hauptversammlung 2021 erringen. In den letzten Monaten sind nun – wie bereits zuvor vom Schrifttum prognostiziert (Döding, AG 2021, R249, R250; Jaspers, AG 2022, 145, 149 ff.) – auch deutsche Aktiengesellschaften zum Ziel von ESG-Kampagnen geworden. Besondere Aufmerksamkeit haben zuletzt zwei ESG-Kampagnen „grüner“ Aktivisten erregt.

(Keine) Transparenz der klimabezogenen Lobbytätigkeiten bei VW

Eine der beiden ESG-Kampagnen nahm Volkswagen ins Visier. Die vom Church of England Pension Board (CEPB) angeführte Investorengruppe forderte, dass das Unternehmen zukünftig die Berichterstattung auf die Aktivitäten des Konzerns zur klimabezogenen politischen Interessenvertretung ausweitet. Nachdem entsprechende Gespräche mit dem Vorstand ergebnislos verlaufen waren, stellten die Investoren im Vorfeld der Jahreshauptversammlung 2022 ein Ergänzungsverlangen (§ 122 Abs. 2 Satz 1 AktG). Danach sollte eine entsprechende Berichtspflicht in der VW-Satzung verankert werden. Diese sollte u.a. die Darstellung sämtlicher Lobbyaktivitäten umfassen, die die Konzerngesellschaften direkt oder indirekt in Bezug auf den Klimawandel verfolgen oder unterstützen, sowie deren Auswirkungen auf die Risikoexposition des VW-Konzerns in Bezug auf den Klimawandel. Diese Transparenzforderungen der Investoren verwundern wenig: Mit ihrem Global Standard on Corporate Climate Lobbying haben AP7, BNP Paribas Asset Management und CEPB jüngst ein deutliches Zeichen gesetzt. Dem spürbar gewachsenen Bewusstsein von Aktionären für ESG-Anliegen zum Trotz machte Volkswagen das Ergänzungsverlangen allerdings nicht bekannt. Die vorgeschlagene Satzungsänderung sei gesetzlich nicht vorgesehen und greife in unzulässiger Weise in die Leitungsautonomie des Vorstands aus § 76 Abs. 1 AktG ein (dazu ausführlich Fuhrmann/Röseler, AG 2022, R153). In der Hauptversammlung am 12.5.2022 haben die Aktionäre somit nicht über die Transparenzpflicht hinsichtlich klimabezogener Lobbytätigkeiten des Unternehmens abgestimmt.

(Kein) Brownspinning bei RWE

Im letzten Jahr erhob Enkraft Capital gegenüber RWE die Forderung, die Braunkohlesparte abzuspalten und sich auf erneuerbare Energien zu konzentrieren. Eine solche Abtrennung von emissionsintensiven Geschäftsbereichen und Vermögensgegenständen wird als Brownspinning bezeichnet. Die Kampagnenthese des Aktivisten war, das Brownspinning senke den Bewertungsabschlag gegenüber den ausschließlich auf erneuerbare Energien fokussierten Energieversorgern und steigere so den Börsenkurs der RWE-Aktie. Da bilaterale Gespräche mit dem Vorstand aus Sicht von Enkraft ohne konkrete Fortschritte verliefen, stellte der mit lediglich 0,03 % beteiligte aktivistische Aktionär am 18.3.2022 ein Ergänzungsverlangen. Danach sollte der Vorstand nach § 83 Abs. 1 Satz 1 AktG angewiesen werden, einen konkreten Plan für die Abspaltung auszuarbeiten und die Vorbereitung der Umsetzungsmaßnahmen auf der Hauptversammlung 2023 zu präsentieren. Anders als im Fall von VW schaffte es der Antrag auf die Tagesordnung. Gleichwohl blieb dem ESG-Aktivismus erneut kein Erfolg vergönnt: Der Brownspinning-Vorschlag wurde auf der Hauptversammlung am 28.4.2022 mit einer überwältigenden Mehrheit von 97,56 % der Stimmen abgelehnt. Insbesondere die kommunalen Aktionäre von RWE hatten sich bereits im Vorfeld gegen die aktivistische Kampagne positioniert. Als Ursache des vorläufigen Scheiterns des Brownspinning-Vorschlags fallen drei Erklärungsansätze ins Auge: (1) Die mangelnde Unterstützung der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater, (2) die positive Bewertung der bisherigen Unternehmensstrategie durch den Kapitalmarkt sowie (3) der Zielkonflikt aus den zahlreichen widerstreitenden stakeholder-Interessen im Rahmen des Kohleausstiegs (zur ausführlichen Analyse dieser ESG-Kampagne demnächst Fuhrmann/Döding im AG-Report 12/2022).

Nur die Spitze des Eisbergs

Ist der ESG-Aktivismus damit in Deutschland gescheitert? Wohl kaum – die Bedeutung einer nachhaltigen Unternehmensführung für die Kapitalmarktbewertung wird mit Blick auf die anstehende europäische Transparenzregulierung in den kommenden Jahren immer stärker und schneller zunehmen. Vor allem aber sind die beiden ESG-Kampagnen nur die Spitze des Eisbergs: Aktivistische Aktionäre suchen typischerweise zunächst den vertraulichen Dialog mit dem Vorstand. Nur im Ausnahmefall erwächst daraus eine öffentliche Kampagne. Die praktische Bedeutung des ESG-Aktivismus dürfte damit weit über die beiden publik gewordenen Fälle hinausreichen.

In rechtspolitischer Hinsicht bleibt es mit Spannung zu erwarten, ob zukünftig ein höherer Mitwirkungsgrad der Aktionäre bei Nachhaltigkeitsfragen (Say on Climate) seinen Weg ins Aktienrecht finden wird (de lege lata ablehnend Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856 ff.; de lege ferenda kritisch Jaspers, AG 2022, 145, 151; zumindest eine Anregung im Corporate Governance Kodex befürwortend VGR, AG 2022, 239, 243). Mit Blick auf den „Gestaltungseifer der europäischen Institutionen“ (Jaspers, AG 2022, 145, 151) wird die EU dieses Mal wohl kaum die Etablierung eines US-amerikanischen Vorbilds abwarten wollen, um dieses anschließend als legal transplant zu übernehmen.

Ausführlichere Report-Beiträge zu beiden ESG-Kampagnen erscheinen in der AG (vgl. Fuhrmann/Röseler, AG 2022, R153).

Say on Climate

ESG als globaler Trend

Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).

All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?

Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen

Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.

Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen

Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.

A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.

Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage,  inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.