Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine Frage der Gefahrtragung.

Verlustgefahr bei Geldüberweisung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2025 – IV ZR 161/24

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer ungewöhnlichen Fallkonstellation.

Die drei Beklagten habe sich in einem außergerichtlichen Vergleich verpflichtet, an die Klägerin – ihre Schwester – zur Abgeltung eines Pflichtteilsanspruchs 30.000 Euro zu zahlen.

Beide Seiten waren durch Anwälte vertreten. Der Anwalt der Beklagten übermittelte der Anwältin der Klägerin eine schriftliche Fassung des ausgehandelten Vertragstextes per beA. Dieser sah vor, dass der vereinbarte Betrag auf ein Anderkonto des Anwalts der Klägerin zu überweisen ist. Die IBAN dieses Kontos war im Vertragstext angegeben.

Die Anwältin der Klägerin druckte das Dokument aus, unterschrieb es und sandte diese Fassung auf dem Postweg an den Anwalt der Beklagten. Nach der Unterzeichnung durch die Anwältin der Klägerin und vor dem Eingang beim Anwalt der Beklagten ersetzte eine unbekannt gebliebene Person die im Vertragstext angegebene IBAN durch die IBAN eines Kontos, dessen Inhaber unbekannt ist.

Der Anwalt der Beklagten unterzeichnete das Dokument in Unkenntnis dieser Fälschung und sandte es an die Anwältin der Klägerin zurück. Wenige Tage darauf überwies jeder Beklagte jeweils 10.000 Euro auf das angegebene Konto. Versuche, das Geld zurückzuerlangen, blieben erfolglos.

Das LG hat die auf Zahlung von 30.000 Euro nebst Zinsen und Ersatz von Verzugsschäden gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat die Beklagten zur Zahlung von 30.000 Euro nebst Zinsen verurteilt.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass die der Klägerin aus dem Vergleich zustehende Forderung nicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen ist.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Vertrag trotz der nach der ersten Unterschrift erfolgten Änderung wirksam ist. Selbst wenn die Angabe der IBAN nach dem Willen der Parteien zum Vertragsinhalt gehören sollte, hat ein versteckter Einigungsmangel bezüglich dieses Punktes gemäß § 155 BGB nicht die Unwirksamkeit des Vertrags im Übrigen zur Folge, weil nach dem hypothetischen Parteiwillen der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen worden wäre.

Die Zahlung auf das im gefälschten Vertragsdokument angegebene Konto war zur Erfüllung nicht ausreichend. Schuldner und Gläubiger können zwar vereinbaren, dass eine Geldschuld durch Überweisung auf das Konto eines Dritten erfüllt werden kann. Im Streitfall ist der Angabe einer IBAN im Vertragstext aber nicht zu entnehmen, dass eine Zahlung auf dieses Konto unabhängig von der Person des Kontoinhabers schuldbefreiende Wirkung haben soll. Der im Vertrag enthaltenen Angabe, es handle sich um ein Anderkonto die Anwältin der Klägerin, ist vielmehr zu entnehmen, dass nur eine Zahlung an diesen befreiende Wirkung hat.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin und deren Anwältin nach Rücksendung des gegengezeichneten Vertragsdokuments die Angaben zum Empfängerkonto nicht korrigiert haben, keine stillschweigende Ermächtigung oder Genehmigung (§ 185 BGB), den geschuldeten Betrag auf das angegebene Konto zu überweisen.

Die Beklagten sind auch nicht nach den Regeln über die Gefahrtragung von der Leistungspflicht freigeworden.

Nach § 270 Abs. 1 BGB trägt bei Geldschulden im Zweifel der Schuldner das Übermittlungsrisiko. Dies gilt auch bei einer Überweisung.

Das Verlustrisiko ist nicht in entsprechender Anwendung von § 270 Abs. 3 BGB auf die Klägerin übergegangen. Nach einer in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Auffassung steht es allerdings einer – zum Gefahrübergang auf den Gläubiger führenden – Risikoerhöhung im Sinne dieser Vorschrift gleich, wenn der Verlust auf dem Eintritt einer Gefahr beruht, die der Gläubiger durch ein allein seiner Sphäre zuzurechnendes Verhalten geschaffen hat. Ein solcher Sachverhalt ist im Streitfall jedoch nicht vorgetragen.

Der Sphäre der Klägerin wäre allenfalls eine Verfälschung des Dokuments in der Kanzlei ihrer Anwältin zuzurechnen, nicht aber eine Änderung auf dem Postweg. Dass die Klägerin die Angabe nicht überprüft hat, reicht für eine Zurechnung nicht aus, weil keine Anhaltspunkte für eine Fälschung bestanden haben. Dass die Anwältin der Klägerin das unterschriebene Dokument auf dem Postweg statt per beA übermittelt hat, führt ebenfalls nicht zum Übergang der Gefahr, weil es im außergerichtlichen Verkehr keine beA-Pflicht gibt.

242 BGB führt ebenfalls nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Die Anwendung dieser Vorschrift auf die Konstellation des Streitfalls widerspräche der gesetzlichen Verteilung der Verlustgefahr.

Praxistipp: Die Entscheidung belegt, dass die Nutzung von beA auch im außergerichtlichen Verkehr ein erhöhtes Maß an Sicherheit bieten kann. Unabhängig davon kann die seit 9. Oktober 2025 vorgeschriebene Empfängerüberprüfung bei Überweisungen helfen, einen Verlust dieser Art zu vermeiden. Für die Beklagten des Streitfalls ist all dies ein schwacher Trost.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um drei prozessuale Fragen.

Klageerweiterung in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 24. Juni 2025 – VI ZR 204/23

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit § 253 Abs. 2, mit § 264 und mit § 256 ZPO.

Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz von Unterhaltsschaden (§ 844 Abs. 2 BGB) in Anspruch. Der Beklagte ist rechtkräftig wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil der Ehefrau bzw. Mutter der beiden Kläger sowie weiterer Opfer verurteilt. In einem früheren Rechtsstreit haben die Kläger den Beklagten erfolgreich auf Zahlung von Hinterbliebenengeld und Ersatz der Beerdigungskosten in Anspruch genommen.

Im vorliegenden Rechtsstreit haben die Kläger erstinstanzlich die Feststellungen begehrt, dass der Beklagte ihnen zur Zahlung einer Geldrente verpflichtet ist und dass diese Verpflichtung ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat. Das LG hat nur die erste Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Seiten Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren haben die Kläger die Zahlung einer Unterhaltsrente begehrt. Deren Höhe haben sie in das Ermessen des Gerichts gestellt, jedoch mit mindestens 500 bzw. 400 Euro pro Monat angegeben. Das OLG hat die Zahlungsklage als unzulässig abgewiesen, aber die Feststellung ausgesprochen, dass die Verpflichtung des Beklagten ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat. Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom BGH zugelassenen Revision und der Beklagte mit der Anschlussrevision.

Der BGH hebt das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG ist der Klageantrag hinreichend bestimmt. Ein Kläger darf die Höhe des ihm zuzusprechenden Geldbetrags auch dann in das Ermessen des Gerichts stellen, wenn es um den Ersatz materieller Schäden geht. Erforderlich und ausreichend ist insoweit, dass dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 ZPO ein weites Ermessen zusteht.

Dem gemäß § 264 Nr. 2 ZPO grundsätzlich zulässigen Übergang von einem Feststellungs- zu einem Zahlungsantrag steht im Streitfall nicht entgegen, dass das LG dem erstinstanzlichen Begehren der Kläger insoweit stattgegeben hatte. Auch eine nach § 264 ZPO zulässige Änderung setzt in zweiter Instanz allerdings voraus, dass der Kläger einen zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat. Wenn ein Kläger in erster Instanz vollständig obsiegt hat, ist diese Voraussetzung nur dann erfüllt, wenn der Kläger sich einer vom Beklagten eingelegten Berufung frist- und formgerecht angeschlossen hat. Im Streitfall sind die Kläger jedoch in erster Instanz mit ihrem zweiten Feststellungsantrag erfolglos geblieben. Ihre hiergegen frist- und formgerecht eingelegte Berufung durften sie unabhängig von den Voraussetzungen einer Anschlussberufung mit einer Erweiterung ihres in erster Instanz erfolgreichen Begehrens verbinden.

Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Feststellung, dass die Verpflichtung des Beklagten ihren Rechtsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat, ist in der derzeitigen Verfahrenslage hingegen unzulässig. Eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge gehört zwar zu den Delikten, bei denen eine solche Feststellung gegebenenfalls auszusprechen ist und die Kläger haben im Hinblick auf § 850f Abs. 2 ZPO auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Feststellung darf aber nur dann ergehen, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die zugrunde liegende Forderung begründet ist. Sie ist mithin nicht zulässig, wenn das Gericht das zugrunde liegende Begehren als unzulässig oder unbegründet abweist.

Praxistipp: Zur Darlegung eines Unterhaltsschadens im Sinne von § 844 Abs. 2 BGB sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchem Grund der Kläger unterhaltsberechtigt war und in welcher Höhe ihm Unterhaltsleistungen zugestanden haben. Für die Schätzung eines Haushaltsführungsschadens kann auf das Werk von Pardey (Der Haushaltsführungsschaden, 10. Auflage 2021) und die zugehörigen Tabellen (Schulz-Borck/Pardey, Entgelttabellen, zuletzt mit Stand Juni 2025) zurückgegriffen werden.

OLG Frankfurt a. M.: Gebührenfreiheit von Streitwertbeschwerden

Das OLG Frankfurt a. M. hat sich in einem Verfahren (Beschl. v. 2.6.2025 – 3W 12/25) mit der Gerichtsgebührenfreiheit einer zwar statthafter, aber im Einzelfall unzulässigen Streitwertbeschwerde befasst. Dem ging eine Entscheidung des LG Frankfurt voraus, mit der ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und gleichzeitig der Streitwert festgesetzt wurde. Der Antragsteller legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und begehrte eine Reduzierung des Streitwertes.

Gemäß § 68 Abs. 1 GKG ist ein Streitwertbeschluss beschwerdefähig. Allerdings muss die Beschwer 200 Euro übersteigen. Die Beschwer wird durch den Unterschied der Gebührenlast zwischen den beiden Alternativen (Vorstellung des Antragstellers und Festsetzung durch das Gericht) ermittelt. Im konkreten Fall ergab sich eine Differenz von unter 200 Euro. Demgemäß wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Frage war nun, ob für diesen Beschluss des OLG Gebühren anfallen. Dies richtet sich nach § 68 Abs. 8 S. 1 GKG. Danach ist das Verfahren grundsätzlich gebührenfrei. Gleichzeitig besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Gebührenfreiheit nur dann eingreift, wenn die Beschwerde statthaft ist. Insoweit ist zu beachten, dass „statthaft“ nicht „zulässig“ bedeutet. Auch eine unzulässige Beschwerde kann statthaft sein, wenn gegen die angefochtene Entscheidung grundsätzlich die Beschwerde zulässig ist. So liegen die Dinge hier: Gegen eine erstinstanzliche Wertfestsetzung ist stets eine Beschwerde möglich (§ 68 Abs. 1 GKG). Hier ist die Beschwerde damit statthaft, da grundsätzlich gegeben, jedoch nicht zulässig, weil es an der erforderlichen Beschwer von 200 Euro fehlt. Damit greift § 68 Abs. 8 S. 1 GKG: Das Beschwerdeverfahren ist kostenfrei. Entsprechend § 68 Abs. 9 S. 2 GKG werden darüber hinaus keine Kosten erstattet.

Fazit: Die Kostenfreiheit für das Beschwerdeverfahren gegen erstinstanzliche Wertfestsetzungen ist auch dann gegeben, wenn die Beschwerde grundsätzlich statthaft, jedoch im konkreten Fall unzulässig ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Einreichung von Schriftsätzen über ein Kanzlei-beA.

Nicht qualifiziert signierter Schriftsatz einer Berufsausübungsgesellschaft
BGH, Beschluss vom 16. September 2025 – VIII ZB 25/25

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit dem Zusammenspiel von § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO und § 31b BRAO.

Die Klägerin begehrt Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung. Das AG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte, eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Vor Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist beim LG eine aus dem besonderen elektronischen Postfach der prozessbevollmächtigten Gesellschaft übersandte Berufungsbegründung eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem Namen eines zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten und als Rechtsanwalt zugelassenen Partners ab, ist aber nicht qualifiziert signiert. Das LG hat die Berufung nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG kann ein Schriftsatz, der nur eine einfache Signatur – also die schriftliche Wiedergabe des den Schriftsatz verantwortenden Anwalts am Ende des Textes – enthält, auch über ein Kanzleipostfach im Sinne von § 31b BRAO wirksam eingereicht werden.

Ein nicht qualifiziert signierter Schriftsatze genügt beim Versand aus einem für einen Einzelanwalt eingerichteten beA allerdings nur dann den Anforderungen des § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO, wenn der Versand durch desjenigen Anwalt erfolgt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist. Beim Versand aus einem gemäß § 31b BRAO eingerichteten Kanzleipostfach – der aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf diese Vorschrift in § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO ebenfalls einen sicheren Übermittlungsweg darstellt – kann diese Anforderung jedoch schon deshalb nicht eingehalten werden, weil eine Berufsausübungsgesellschaft nur durch ihre zur Vertretung berufenen Anwälte handeln kann.

Vor diesem Hintergrund sind die Anforderungen von § 130b Abs. 4 Nr. 2 ZPO jedenfalls dann erfüllt, wenn die Nachricht einen Nachweis der vertrauenswürdigen Herkunft (VHN) enthält und aus einem beim Versender erstellten Nachrichtenjournal hervorgeht, dass der Rechtsanwalt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist, derjenige war, der den Schriftsatz über das Kanzleipostfach versandt hat.

Ob es – wie dies für das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) bereits bejaht worden ist (BGH, Urteil vom 6. April 2023 – I ZB84/22, NJW-RR 2023, 906 Rn. 28 ff. [insoweit nicht in MDR 2023, 933]) – ausreicht, dass am Ende des Schriftsatzes der Name eines zur Vertretung berechtigten Rechtsanwalts angegeben ist und ein anderer, ebenfalls zur Vertretung berechtigter Rechtsanwalt den Versand über das Kanzleipostfach vornimmt, lässt der BGH offen.

Praxistipp: Auch wenn der VIII. Zivilsenat – aus Sicht des Bloggers zu Recht – große Sympathie für die Auffassung erkennen lässt, dass für das Kanzlei-beA nichts anderes gelten kann als für das beBPo, entspricht es weiterhin anwaltlicher Vorsicht, wenn derjenige Anwalt den Versand übernimmt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist. Der Versand durch eine Kanzleikraft oder einen zwar zur Vertretung berechtigten, aber nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Gesellschafter reicht nicht aus. Der sicherste Weg besteht darin, dass der Rechtsanwalt, dessen Name am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist, diesen zusätzlich mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versieht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um Ansprüche auf Entschädigung wegen Nutzungsausfall bei Beschädigung eines Leasingfahrzeugs.

Entschädigung für Nutzungsausfall bei Leasingfahrzeugen
BGH, Urteil vom 7. Oktober 2025 – VI ZR 246/24

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Anrechnung von Vorteilen, die einem Geschädigten von dritter Seite zufließen.

Die klagende GmbH verlangt Entschädigung für Nutzungsausfall nach der Beschädigung eines Fahrzeugs bei einem Unfall, für dessen Folgen die Beklagte vollständig einzustehen hat. Die Klägerin hatte das beschädigte Fahrzeug – einen Porsche 911 – geleast und ihrem Geschäftsführer zur dienstlichen und privaten Nutzung überlassen. Bei dem Unfall entstand wirtschaftlicher Totalschaden. Die Leasinggeberin stellte der Klägerin bis zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs für 30 Tage einen Citroen DS3 Cross zur Verfügung. Die für die Miete dieses Fahrzeugs entstandenen Kosten hat die Leasinggeberin der Beklagten in Rechnung gestellt. Diese erkannte eine Mietzeit von 15 Tagen an und zahlte dafür 286,66 Euro. Die Klägerin machte zunächst weitere Mietwagenkosten geltend, verlangte dann aber eine Nutzungsausfallentschädigung für 23 Tage in Höhe von 175 Euro pro Tag, abzüglich der gezahlten Betrags. Sowohl die Leasinggeberin als auch der Geschäftsführer der Klägerin haben ihnen zustehende Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten.

Das AG hat die auf Zahlung von 3.738,34 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Der BGH stellt das Urteil des AG wieder her.

Der BGH stellt klar, dass die Klage lediglich auf abgetretene Ansprüche des Geschäftsführers gestützt ist. Das LG durfte die Verurteilung deshalb nicht auf abgetretene Ansprüche der Leasinggeberin stützen. Eine entsprechende Erweiterung der Klage in der Revisionsinstanz ist schon deshalb unzulässig, weil die Klägerin keine Anschlussrevision eingelegt hat.

Dem Geschäftsführer, auf dessen Ansprüche die Klage gestützt ist, steht als Nutzungsberechtigtem ein eigener Anspruch gegen die Beklagte wegen Beschädigung des Fahrzeugs zu. Dieser Anspruch umfasst grundsätzlich auch eine Entschädigung wegen Nutzungsausfall.

Ein Anspruch auf Entschädigung für Nutzungsausfall kann auch dann bestehen, wenn ein Dritter dem Geschädigten im betreffenden Zeitraum ein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestellt hat und der daraus entstandene Vorteil nach dem Sinn der schadensrechtlichen Vorschriften den Schädiger nicht entlasten soll. An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es, wenn der Dritte wegen der Beschaffung des Ersatzfahrzeugs einen eigenen Anspruch gegen den Schädiger hat.

Im Streitfall stand der Leasinggeberin ein eigener Anspruch gegen die Beklagte zu, weil sie Eigentümerin des beschädigten Fahrzeugs war. Damit sind Entschädigungsansprüche des zur Nutzung berechtigten Geschäftsführers ausgeschlossen. Die Nutzung eines verfügbaren Ersatzfahrzeugs war dem Geschäftsführer nicht deshalb unzumutbar, weil er diesem Fahrzeug ein geringeres Prestige oder ein anderes Fahrgefühl beimaß (dazu BGH, Urteil vom 11.10.2022 – VI ZR 35/22, MDR 2023, 31 Rn. 13).

Praxistipp: Wenn Ansprüche alternativ auf abgetretenes Recht verschiedener Personen gestützt werden sollen, muss dies aus dem Klagevorbringen hinreichend deutlich hervorgehen. Ferner muss die Reihenfolge angegeben werden, in der das Gericht die Ansprüche beurteilen soll.

BGH: Rechtliches Gehör vor der Verwerfung eines Rechtsmittels

Der entschiedene Fall (BGH, Beschl. v. 23.7.2025 – XII ZB 156/25) betraf eine Betreuungssache, die Entscheidung ist jedoch für alle Rechtsgebiete maßgeblich. Ein Amtsgericht hatte die Unterbringung eines Betroffenen genehmigt. Das Landgericht hatte die sofortige Beschwerde des Beklagten verworfen. Begründung: Ein Schreiben des Betroffenen könne bereits deswegen nicht als Beschwerde ausgelegt werden, da es vor Erlass des entsprechenden Beschlusses eingegangen sei. Bei einer rechtzeitig nach Erlass des Beschlusses eingegangenen E-Mail mit einer angehängten Bilddatei habe die Unterschrift des Betroffenen gefehlt. Auf ein weiteres Schreiben des Betroffenen, das sich in der Akte befand, war das Landgericht nicht eingegangen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügte der Betroffene die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Damit hatte die Rechtsbeschwerde Erfolg! Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Rechtsmittelführer nämlich vor der Verwerfung des Rechtsmittels rechtliches Gehör zu gewähren. Dies steht zwar nicht ausdrücklich in der ZPO, die nur in manchen Spezialfällen eine Verpflichtung zum rechtlichen Gehör anordnet, z. B. in § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO. Die Verpflichtung hierzu ergibt sich jedoch direkt aus Art. 103 Abs. 1 GG. Da der BGH zur Auffassung gelangt, ein weiteres Schreiben des Betroffenen könne unter Umständen als rechtzeitige Beschwerde angesehen werden, ist es auch – was ausreichend ist – möglich, dass das Beschwerdegericht bei einer erneuten Würdigung aller Umstände zu einer anderen Entscheidung gelangt. Der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts wurde daher aufgehoben und die Sache wieder dorthin zurückverwiesen.

Wird vor einer Verwerfung eines Rechtsmittels somit kein rechtliches Gehör gewährt, kann eine Rechtsbeschwerde gegen den entsprechenden Beschluss mit einer Verfahrensrüge daher durchaus Erfolg haben! Dementsprechend sollten Gerichte nicht versäumen, in derartigen Fällen stets – nachweisbar – rechtliches Gehör zu gewähren.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Postulationsbefugnis bei Ansprüchen aus der Datenschutz-Grundverordnung

Anwaltszwang bei Ansprüchen wegen Datenschutzverstößen
BGH, Beschluss vom 15. September 2025 – I ZB 36/25

Der I. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 78 ZPO und Art. 80 DSGVO.

Die Klägerin wendet sich gegen die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zur Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens, das der Beklagte im Auftrag des Gerichts in einem anderen Verfahren erstellt hat, an dem die hiesige Klägerin als Beklagte beteiligt ist.

Die im vorliegenden Verfahren erhobene, auf Art. 79 DSGVO gestützte Klage ist vor dem AG ohne Erfolg geblieben. Dagegen hat die Klägerin, vertreten durch einen Verein, dessen Tätigkeit auf den Schutz personenbezogener Daten gerichtet ist, Berufung eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil es nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden ist.

Der BGH lehnt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Rechtsbeschwerdeverfahren ab.

Das LG hat die Berufung zu Recht verworfen, weil die Klägerin entgegen § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Berufungsverfahren nicht anwaltlich vertreten war.

Aus Art. 80 Abs. 1 DSGVO ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Nach dieser Vorschrift hat eine betroffene Person das Recht, eine gemeinnützige Einrichtung, die zum Schutz von personenbezogenen Daten tätig ist, mit der Einreichung von Beschwerden und der Wahrnehmung von Rechten aus Art. 77, 78, 79 und 82 DSGVO zu beauftragen. Daraus ergibt sich nicht, dass eine solche Einrichtung Rechtsbehelfe selbst einlegen kann. Die Anforderungen an die Postulationsfähigkeit ergeben sich auch im Anwendungsbereich von Art. 80 Abs. 1 DSGVO aus § 78 ZPO.

Praxistipp: Nach § 522 Abs. 1 Satz 4 und § 544 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Verwerfung einer Berufung als unzulässig unabhängig vom Streitwert mit der Rechtsbeschwerde (gegen einen verwerfenden Beschluss) bzw. der Nichtzulassungsbeschwerde (gegen ein verwerfendes Urteil) angefochten werden. Das Rechtsmittel muss gemäß § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt und begründet werden.

Online-Dossier: Digitalisierung im Prozessrecht – Videokonferenztechnik, Elektronischer Rechtsverkehr, Online-Verfahren

Neue Gesetze im deutschen Prozessrecht – das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeiten, aber auch das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz – befördern den modernen und überfälligen Digitalisierungsprozess in den Gerichten. Einen noch größeren Schritt in die Zukunft unternimmt das BMJ mit der Entwicklung und Erprobung eines vereinfachten, digital unterstützten Verfahren für Zahlungsklagen bis zu 5.000 € an bestimmten Amtsgerichten. Alle Neuregelungen sorgen einerseits für zeitgemäße Verfahrensweisen; andererseits stellen sich neue Fragen bzw. bleiben Probleme ungeklärt. Die Gerichte stehen vor erheblichen Veränderungen und die Anwaltschaft vor neuen Herausforderungen. In unserem stetig anwachsenden Online-Dossier finden Sie zahlreiche Aufsätze und wertvolle Kommentierungen zu den neuen Vorschriften sowie praxisnahe Hilfestellungen und bleiben bei allen Entwicklungen auf den neuesten Stand.

 

1. Aufsätze

  • Otte/Richter, Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“, MDR 2025, 553
  • Greger, Neue Regeln für elektronische Schriftsätze – Wie persönliche und rechtsgeschäftliche Erklärungen zu übermitteln sind, MDR 2024, 1013
  • Bacher, Gerichtsverhandlung per Videokonferenz — Neuregelungen durch das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik, MDR 2024, 945
  • Beck, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit, MDR 2024, R161
  • Odrig, Der zivilprozessuale Öffentlichkeitsgrundsatz im Zeitalter digitaler Kommunikation, MDR 2024, 877
  • Dötsch, Das digitale Präsidium, MDR 2024, 11
  • Vanetta/Vogt, Künstliche Intelligenz in der Zivilgerichtsbarkeit – Perspektiven und Herausforderungen, DB 2025, 2148
  • Grothaus/Schmitt/Bär, Rechtsentwicklungen 2024: Rechtsentwicklungen im Verfahrensrecht 2024, DB 2024, 66
  • Schläfke/Hustede, Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit, DB 2024, 3016
  • Huneke/Hörner, Digitalisierung: Anpassung des Prozessrechts, DB 2024, M4
  • Bayreuther, Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz (§ 46h ArbGG, § 130e ZPO): Renaissance der Schriftsatzkündigung?, DB 2024, 1820
  • vom Stein, Die Strukturierung des Prozessstoffs in der digitalen Prozesswelt, GVRZ 2025, 15
  • Beck, Die virtuelle Verhandlung, GVRZ 2023, 6

 

2. Literatur

 

Zöller, Zivilprozessordnung ZPO
Kommentar

— Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Zu den anderen zahlreichen geänderten Normen finden Sie den neuen Gesetzestext unter dem bisherigen Normtext und Annotationen an Ort und Stelle in den Kommentierungen selbst:

 

— Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Annotationen:

 

Hinzu kommt eine Reihe von regelmäßigen Annotationen, vor allem zu wichtiger neuer Rechtsprechung, u.a. auch zum elektronischen Rechtsverkehr:

 

3. Aktuelle Rechtsprechung

  • BVerfG, Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23: Videoverhandlung: Verwendung nur einer Kamera ohne Zoomfunktion, MDR 2024, 320,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1131,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1570 (Greger),

 

4. Blog-Beiträge

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs.

Eigenbedarf bei Auszug aus einer eigenen Wohnung
BGH, Urteil vom 24. September 2025 – VIII ZR 289/23

Der VIII. Zivilsenat grenzt die Tatbestände von § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB voneinander ab.

Die Beklagte ist seit dem Jahr 2006 Mieterin einer Zweizimmerwohnung in einem Mehrparteienhaus in Berlin. Der Kläger ist durch Eigentumserwerb in das Mietverhältnis eingetreten. Er bewohnt bislang die ebenfalls ihm gehörende unmittelbar darüber liegende Wohnung, die eine ähnliche Größe und einen ähnlichen Zuschnitt hat. Über dieser Wohnung befindet sich das nicht ausgebaute Dachgeschoss, das ebenfalls dem Kläger gehört.

Mit Schreiben vom 01.11.2021 kündigte der Kläger das Mietverhältnis zum 31.07.2022 wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung führte er an, er wolle das Dachgeschoss ausbauen und mit der von ihm derzeit genutzten Wohnung verbinden. Deshalb wolle er künftig die an die Beklagte vermietete Wohnung nutzen. Die neu entstandene größere Wohnung wolle er nach Fertigstellung verkaufen.

Das AG hat die Beklagte antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück.

Eigenbedarf im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn der Vermieter den ernsthaften Wunsch hat, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, und dieser Wunsch auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch privilegierte Dritte nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten.

Entgegen der Auffassung des LG darf der Nutzungswunsch des Klägers nicht deshalb als missbräuchlich angesehen werden, weil er die derzeit von ihm genutzte Wohnung verkaufen will. Das Nutzungsinteresse des Vermieters ist grundsätzlich auch dann zu respektieren, wenn dieser den Bedarfsgrund willentlich herbeigeführt oder selbst verursacht hat. Der Umstand, dass der Kläger die bisher genutzte Wohnung verkaufen will, führt deshalb nicht dazu, dass die Kündigung als Verwertungskündigung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu bewerten ist.

Eigenbedarf kann auch nicht deshalb verneint werden, weil die beiden Wohnungen hinsichtlich Größe und Zuschnitt ähnlich sind.

Praxistipp: Nach § 573 Abs. 3 BGB müssen die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Mieters im Kündigungsschreiben angegeben werden. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind und wenn die Kündigung bereits im Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war (BGH, U. v. 25.10.2023 – VIII ZR 147/22, MDR 2024, 95 Rn. 39).

Bericht über die 11. Prozessrechtstagung

Vom 5. bis 6. September 2025 fand in Tübingen die 11. Prozessrechtstagung unter dem Generalthema „Gesellschaft im Wandel – Verfahrensrecht im Wandel?!“ statt. Sie wurde von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., Lukas Häberle (beide Universität Tübingen), Annalena Lederer von der Universität Augsburg und Anna Leoni Groteclaes von der Universität Heidelberg organisiert. In der bewährten Tradition der Veranstaltung wurde das Prozessrecht rechtsgebietsübergreifend beleuchtet.

Nach einleitenden Worten des Organisationsteams folgten Begrüßungsworte von Prof. Dr. Dr. h.c. Bernd Heinrich zur Geschichte des Universitätsstandorts Tübingen und dem imposanten denkmalgeschützten Tagungsort, der Alten Aula der Universität, sowie zum rechtshistorischen Umgang mit der Frage der Einheitlichkeit eines Prozessrechts unabhängig von heute fest etablierten Fachsäulen.

Wie bereichernd der Blick auf „das Prozessrecht“ von verschiedenen Positionen aus sein kann, zeigte sich im nachfolgenden Auftakt. Auf einen Impulsvortrag zum Annahmeverfahren des Bundesverfassungsgerichts von Stefan Edenharder und Simon Schlicksupp folgte eine Podiumsdiskussion mit den beiden Referenten und Dr. Stefan Drechsler, Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur. sowie RA Dr. Wolfgang Staudinger. Moderiert von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., diskutierte die Gruppe verschiedene Facetten der Thematik vom Standpunkt des Zivil,- Straf- und Öffentlichen Rechts mit wertvollen Einblicken aus Wissenschaft und Praxis.

Es folgte ein Vortrag von Dr. Jonas Botta zur Reform der Videoverhandlung im Verwaltungsprozess und den Herausforderungen und Chancen eines digitalisierten Verfahrens. Im Anschluss referierte Dr. Stefan Drechsler zum Verfahren der Unionsgerichte und ihren Entwicklungen im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel des 21. Jahrhunderts.

Erstmals wurde die Tagung um ein Schwerpunktthema ergänzt, das sich in diesem Jahr antidiskriminierungs- und prozessrechtlichen Wechselwirkungen widmete. Dabei befasste sich Carolin Heinzel mit der prozessualen Stellung der Gleichstellungsbeauftragten. Chris Ambrosi, LL.M. untersuchte im Anschluss die Beweislastverteilung des § 22 AGG. Parallel erörterte Philipp Roller die verfahrensrechtlichen Neuerungen durch die Entgelttransparenzrichtlinie, worauf ein Vortrag von Dr. Lisa Hahn zur Rolle der Verfahrenslotsen im Antidiskriminierungsrecht folgte.

Der erste Tagungstag endete mit einer Live-Ausgabe des Podcasts „Grundgesetzlich“ der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., der an das Schwerpunktthema anknüpfte.  Podcast-Host Janina Zillekens-McFadden unterhielt sich mit Maria Seitz über den Grundsatz „Equal Pay“.

Der zweite Tagungstag widmete sich vormittags dem Insolvenzrecht. Nach einer Darstellung der Geschichte der Insolvenzzwecke „von der Zerschlagung zur Sanierung“ von Dr. Ansgar Kalle, folgte ein praxisnaher Blick ins europäische Insolvenzrecht und der Abgrenzung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren von RAin Dr. Inga Hogrefe. Den Abschluss des insolvenzrechtlichen Vormittags bildete der Vortrag von Jannik Heine zu den Parteien des Adhäsionsverfahrens, der besonders anschaulich illustrierte, wie die verschiedenen Verfahrensordnungen rechtsgebietsübergreifend untersucht werden können.

Im Anschluss referierte Dr. Elena Waigel über die Bedeutung der Umweltprüfung im Verwaltungsverfahren.

Darauf folgte eine Darstellung der Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie ins deutsche Prozessrecht von Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur.

Anschließend wurden in einem zivil- und einem strafprozessualen Panel aktuelle Herausforderungen und Chancen eines potenziellen verfahrensrechtlichen Wandels diskutiert.

Im Strafrecht bildete ein Vortrag von RA Dr. Wolfgang Staudinger zu Digitalisierung und Protokollierung im Strafprozess den Auftakt. Im Anschluss trug Dr. Annina Eckrich zu einer notwendigen Erweiterung der Zeugnisverweigerungsrechte in modernen Familienformen vor. Sodann präsentierte Dr. Nils Hauser den Einspruch gegen den Strafbefehl im elektronischen Rechtsverkehr de lege lata und de lege ferenda.

Das zeitgleich stattfindende zivilprozessuale Panel begann mit einem Vortrag von Jun.-Prof. Dr. Markus Lieberknecht, LL.M. zur europarechtlichen Disclosure. Daraufhin referierte Christine Heidbrink rechtsvergleichend zum Grundsatz der Gewaltenteilung und strategischen Klimaklagen in Deutschland und den USA. Dr. Karin Arnold hielt im Anschluss einen zwangsvollstreckungsrechtlichen Vortrag zur Intransparenz und Flüchtigkeit des Vermögens im 21. Jahrhundert.

Umrahmt wurden die Vorträge von gewinnbringenden Diskussionen. Es zeigte sich, wie fruchtbar ein fachsäulenübergreifender Austausch im Prozessrecht in Anbetracht vielfältiger Herausforderungen des modernen, effizienten Verfahrens und einer „Gesellschaft im Wandel“ ist.  In welcher Form und Intensität das Prozessrecht jenen gesellschaftlichen Wandel wiederum aufnehmen, bewirken oder gar vorantreiben kann und ob es dies überhaupt sollte, lässt sich in den nächsten beiden Ausgaben der GVRZ detailliert nachlesen.

Die 12. Prozessrechtstagung wird in Augsburg stattfinden.