OLG Zweibrücken: Eilrechtsschutz bei einem laufenden Schiedsgerichtsverfahren

Ein ausländisches Unternehmen (Mieterin) stritt mit einer inländischen Maschinenvermieterin um Ansprüche aus einem Mietvertrag. Die Vermieterin hatte den Vertrag gekündigt und verlangte die Herausgabe der Maschinen, die Mieterin berief sich demgegenüber auf eine Kaufoption. Seit September 2023 führen die Parteien ein Verfahren vor einem Schiedsgericht. Gleichwohl beantragte die Mieterin während des laufenden Schiedsgerichtsverfahrens, gegen die Vermieterin eine einstweilige Verfügung zu erlassen.

Das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 1.10.2024 – 4 U 74/24) wies im Einvernehmen mit dem LG Frankenthal den Antrag zurück, und zwar weil der Mieter mit dem Antrag fünf Monate gewartet habe. Deswegen fehle es an der Dringlichkeit. Im Übrigen hatte der Mieter selbst ausgeführt, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts abzuwarten sei.

In diesem Rahmen führt das OLG Zweibrücken jedoch aus, dass es das Schiedsgerichtsverfahren nicht ausschließt, vor einem staatlichen Gericht Eilrechtsschutz zu suchen, selbst wenn die ergehende Entscheidung Einfluss auf das Schiedsgerichtsverfahren hat, obwohl nur eine vorläufige Regelung getroffen wird. Es besteht in einem solchen Fall vielmehr eine konkurrierende Zuständigkeit. Nur von staatlichen Gerichten erlassene Beschlüsse bzw. Urteile sind im Übrigen direkt vollstreckbar.

Fazit: Grundsätzlich ist es möglich, staatlichen Eilrechtsschutz zu suchen, auch wenn bereits ein Schiedsgerichtsverfahren läuft. Dasselbe gilt vor dem Beginn eines Schiedsgerichtsverfahrens. Wer einstweiligen Rechtsschutz begehrt, darf sich jedoch nicht zu lange Zeit lassen, sonst wird durch den Zeitablauf die Dringlichkeit widerlegt. Die letztere Erkenntnis ist natürlich allgemeingültig  und nicht auf einstweilige Verfügungen im Rahmen von Schiedsgerichtsverfahren beschränkt.

Blog powered by Zöller: Erstes Leitentscheidungsverfahren schon wieder beendet

Am 31. Oktober 2024 ist das Gesetz in Kraft getreten, welches dem BGH die Möglichkeit gibt, ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren zu erklären – mit der Wirkung, dass er eine in dieser Sache zu erwartende, für eine Vielzahl anderer Verfahren bedeutsame Entscheidung auch dann erlassen kann, wenn die Revision zurückgenommen werden sollte. Noch am selben Tag hat der VI. Senat des BGH von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und einen Rechtsstreit, in dem es um die Entschädigung für eine von Facebook verursachte Verbreitung persönlicher Daten (Daten-Scraping) geht, durch Beschluss nach § 552b ZPO zum Leitentscheidungsverfahren bestimmt (BGH v. 31.10.2024 – VI ZR 10/24; s. Blog v. 7.11.2024).

Nicht einmal drei Wochen später ist dieses Verfahren schon wieder beendet, denn am 18. November hat der Senat bereits durch Urteil über die Revision entschieden. Was auf den ersten Blick als wenig planvolle Verfahrensleitung erscheinen mag, ergibt durchaus Sinn, denn die Erklärung zum Leitentscheidungsverfahren verhinderte, dass die Revision bis zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen und dadurch eine Grundsatzentscheidung verhindert werden konnte (wie in Parallelverfahren bereits praktiziert). Die Bedeutung des neuen § 552b ZPO könnte demnach vor allem in dieser Präventivwirkung, gar nicht so sehr in seiner Durchführung liegen.

Infolge des schnellen Endes des Leitentscheidungsverfahrens konnte auch die neue Vorschrift des § 148 IV ZPO keine Wirkung entfalten. Sie hätte es den vielen mit solchen Fällen befassten Instanzgerichten ermöglicht, ihre Verfahren bis zur Entscheidung des BGH auszusetzen (s. hierzu und zu den neuen §§ 552b und 565 ZPO die aktuelle Kommentierung in der Online-Version des Zöller sowie den Aufsatz von Feskorn in MDR 2024, 1413 ff.).

Dafür können sich die Gerichte aber jetzt schon an dem im streitigen Verfahren ergangenen Urteil orientieren. Diesem zufolge kann schon der kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung begründen und auch Ansprüche auf Unterlassung, Ersatz künftiger Schäden sowie Erstattung von Anwaltskosten rechtfertigen. Des Weiteren gibt der BGH Hinweise zur Bemessung des immateriellen Schadens, den er unter den gegebenen Umständen bei 100 Euro verortet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nach einer Entscheidung des EuGH v. 4.10.2024 – C‑507/23, ZIP 2024, 2692, sogar eine Entschuldigung als ausreichenden Schadensersatz nach Art. 82 I DSGVO angesehen werden kann, falls das nationale Recht (hier: Lettlands) diese Form der Wiedergutmachung vorsieht (anders als der deutsche § 253 BGB).

Anwaltsblog 45/2024: Gehen Verzögerungen im Zustellverfahren immer zu Lasten des Klägers?

Soll durch eine Klage die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Erhebung der Klage ein, wenn deren Zustellung „demnächst erfolgt“ (§ 167 ZPO). Ob eine Zustellung „demnächst“ auch dann vorliegt, wenn infolge einer nicht mehr zutreffenden Beklagtenanschrift durch das Zustellorgan Verzögerungen verursacht werden, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2024 – VII ZR 240/23):

 

Die Werklohnforderung der Klägerin in Höhe von 197.946,46 € verjährte mit Ablauf des 31. Dezember 2018. Die am 29. November 2018 beim Landgericht eingegangene Klage weist als Zustelladresse die frühere Anschrift der Beklagten aus. Das Gericht hat mit Kostenrechnung vom 27. Dezember 2018 den Vorschuss für die Gerichtskosten angefordert. Der von der Klägerin am 10. Januar 2019 angewiesene Vorschuss ist am Folgetag bei Gericht eingegangen. Die Klage ist am 23. Januar 2019 von dem Zusteller an der früheren Anschrift der Beklagten in den Briefkasten eines Dritten eingelegt worden. Dieser hat mit einem am 4. Februar 2019 bei Gericht eingegangen Schreiben die Klage mit dem Vermerk zurückgesandt, eine Firma mit dem Namen der Beklagten sei dort nicht ansässig. Das Landgericht hat am 5. Februar 2019 anhand des Handelsregisterauszugs die aktuelle Anschrift der Beklagten ermittelt und die Zustellung der Klage verfügt. Die Klage ist der Beklagten am 12. Februar 2019 zugestellt worden. Das Kammergericht hat die Klage auf die Verjährungseinrede der Beklagten abgewiesen. Die Zustellung der Klage am 12. Februar 2019 wirke nicht auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit am 29. November 2018 zurück. Gemäß § 167 ZPO trete die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bereits mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolge. Eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen werde regelmäßig hingenommen. Die der Klägerin zuzurechnenden Verzögerungen überschritten die Grenze von 14 Tagen.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Zustellung der am 29. November 2018 beim Landgericht eingegangenen Klageschrift am 12. Februar 2019 ist noch demnächst iSv. § 167 ZPO erfolgt. Gemäß § 167 ZPO tritt die verjährungshemmende Wirkung der Klageerhebung mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn ihre Zustellung demnächst erfolgt. Die Zustellung einer Klage ist jedenfalls dann noch demnächst erfolgt, wenn die durch den Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung den Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet. Bei der Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert. Dabei wird der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts oder der Post zurückzuführende Zeitraum nicht angerechnet. Solche Verzögerungen im Zustellungsverfahren sind der klagenden Partei auch dann nicht zuzurechnen, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist. Nach diesen Maßstäben überschreitet die der Klägerin infolge einer etwaigen Nachlässigkeit zuzurechnende Zustellungsverzögerung den hinnehmbaren Rahmen von bis zu 14 Tagen nicht. Eine der Klägerin zuzurechnende erhebliche Verzögerung der Klagezustellung ist nicht dadurch eingetreten, dass die Klägerin den Gerichtskostenvorschuss am 10. Januar 2019 angewiesen hat und dieser am 11. Januar 2019 bei Gericht eingegangen ist. Dabei ist zugunsten der Klägerin ihre Behauptung als richtig zu unterstellen, dass ihr die Gerichtskostenrechnung – wie sich auch aus dem Datum des Eingangsstempels ergibt – erst am 7. Januar 2019 zugegangen ist. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass die Verzögerung von 20 Tagen, die den Zeitraum vom gescheiterten Zustellungsversuch am 23. Januar 2019 bis zur erfolgreichen Zustellung am 12. Februar 2019 betrifft, der Klägerin in vollem Umfang zuzurechnen sei. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verzögerung, die dadurch entstanden ist, dass der Zusteller die Klage in den Briefkasten eines Dritten eingelegt hat, anstatt sie an das Gericht zurückzusenden, nicht der Klägerin zuzurechnen, weil es sich um eine Verzögerung im Geschäftsablauf des Gerichts handelt. Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind. Denn die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Beauftragung des Zustellorgans mit der Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gehört zum Geschäftsbetrieb des Gerichts, das die Klage von Amts wegen zuzustellen hat. Bei ordnungsgemäßer Zustellung hätte das Zustellorgan die Klage mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit unverzüglich an das Gericht zurückleiten müssen. Infolge der Angabe der falschen Anschrift der Beklagten ist die Zustellung der Klage allenfalls in der Zeit vom 23. Januar 2019 bis zum 4. Februar 2019 und damit für einen Zeitraum von lediglich zwölf Tagen verzögert worden. Die der Klägerin wegen der Angabe einer falschen Zustellanschrift zuzurechnende Verzögerung ist nach dem hypothetischen Verlauf der Zustellung ab dem Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Erstzustellung zu ermitteln. Dabei ist darauf abzustellen, wie die Zustellung ohne die dem Gericht zuzurechnende Verzögerung verlaufen wäre. Für die Ermittlung des hypothetischen Verlaufs der Zustellung ist auf die unerlässlichen Gerichts- und Postlaufzeiten abzustellen, die für den Zeitraum vom ersten Zustellungsversuch bis zum Zeitpunkt der erfolgten Zustellung angefallen wären. Ausgehend hiervon beträgt die auf der Angabe der falschen Zustellanschrift der Beklagten beruhende Verzögerung weniger als 14 Tage. Die Zustellung der Klage ist daher noch demnächst iSd. § 167 ZPO erfolgt. Denn der Zusteller hätte bei ordnungsgemäßem Vorgehen die zuzustellende Klageschrift mit dem Vermerk „Unzustellbar“ unverzüglich zurückgesandt, so dass sie spätestens am übernächsten Tag, Freitag, den 25. Januar 2019, dem Landgericht wieder vorgelegen hätte. Die erneute Zustellung wäre am Montag, den 28. Januar 2019, veranlasst worden. Unter Zugrundelegung der tatsächlich – zwischen der Veranlassung der Zustellung am 5. Februar 2019 und der Zustellung am 12. Februar 2019 – angefallenen Postlaufzeit von 7 Tagen wäre die Klage der Beklagten spätestens am 4. Februar 2019, also 12 Tage nach dem gescheiterten Zustellungsversuch am 23. Januar 2019, zugestellt worden.

 

Fazit: Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen. Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind (BGH, Urteil vom 21. Juli 2023 – V ZR 215/21 –, MDR 2023, 1372).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirkungen der nachträglichen Zahlung von rückständiger Miete.

Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung trotz Zahlung innerhalb der Schonfrist
BGH, Urteil vom 23. Oktober 2024 – VIII ZR 106/23

Der VIII. Zivilsenat bekräftigt seine Rechtsprechung zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB.

Die Beklagten sind seit November 1994 Mieter einer Wohnung der Klägerin. Sie zahlten die Miete für Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht. Nach mehrfacher Zahlungserinnerung erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 8.6.2021 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 30.6.2021 glichen die Beklagten die Mietrückstände vollständig aus.

Das AG hat die Beklagten aufgrund der ordentlichen Kündigung antragsgemäß zur Räumung verurteilt. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück.

Der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Regelung in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, wonach die Kündigung unwirksam wird, wenn die fällige Miete spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs gezahlt wird, nur für eine fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gilt, nicht aber für eine ordentliche Kündigung wegen Verletzung vertraglicher Pflichten gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Die abweichende Auffassung der für den Streitfall zuständigen Kammer des LG hat der BGH in zwei Urteilen aus dem Jahre 2021 und 2022 mit ausführlicher Begründung abgelehnt (BGH, U. v. 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, Tz. 27 ff. – MDR 2022, 300; U. v. 5.10.2022 – VIII ZR 307/21, Tz. 12 ff – MDR 2023, 284).

Der BGH hält auch im Streitfall an seiner Auffassung fest. Aus seiner Sicht hat das LG keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt.

Die nunmehr zuständige Kammer wird zu prüfen haben, ob die Nichtzahlung der Miete eine nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr.1 BGB darstellt. Hierzu ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der insbesondere Dauer und Höhe des Zahlungsverzugs zu berücksichtigen sind.

Ferner wird das LG gegebenenfalls zu prüfen haben, ob die Berufung auf die ordentliche Kündigung aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen dem Zugang der Kündigung und dem Ausgleich der Rückstände ausnahmsweise als treuwidrig im Sinne von § 242 BGB anzusehen ist.

Praxistipp: Nach § 573 Abs. 3 BGB müssen die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben angegeben werden. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind. Letzteres ist auf Fälle beschränkt, in denen ein zunächst gegebener, möglicherweise aber später weggefallener Kündigungsgrund nachträglich durch einen anderen ersetzt oder ergänzt wird (BGH., U. v. 25.10.2023 – VIII ZR 147/22, Tz. 39 – MDR 2024, 95).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zuständigkeit des so genannten Großen Familiengerichts. Der Bundesgerichtshof hat hierzu am 18. September 2024 gleich zwei Entscheidungen getroffen.

Gläubigeranfechtung als sonstige Familiensache
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZB 25/24

In der ersten Entscheidung geht es (erneut) um die Zuständigkeit nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte zu 1, seine geschiedene Ehefrau, titulierte Forderungen auf Zahlung von Unterhalt und Erstattung von Prozesskosten zu. Die Beklagte zu 1 hat nach der Scheidung Vermögenswerte auf den Beklagten zu 2 , ihren Vater, übertragen. Dieser ist zudem als Inhaber eines von ihr betriebenen Gewerbes angemeldet.

Der Kläger macht geltend, diese Vorgänge dienten der Vereitelung der Zwangsvollstreckung. Mit seiner Ende 2019 erhobenen Stufenklage begehrt er Auskunft über das Ergebnis der Geschäftstätigkeit und über weitere Zahlungen an den Beklagten zu 2 sowie Zahlung von noch zu bezifferndem Wertersatz.

Das vom Kläger angerufene LG hat den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist das Familiengericht zuständig für Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe. Grund hierfür ist die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Der dafür erforderliche Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe liegt vor, wenn der Rechtsstreit durch die familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist.

Im Streitfall liegt der erforderliche Zusammenhang vor, weil es um die Durchsetzung titulierter Forderungen geht, die aus der geschiedenen Ehe resultieren. Dem Umstand, dass die nach Auffassung des Klägers zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung dienenden Handlungen erst nach Scheidung stattgefunden haben, kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.

Der BGH lässt allerdings offen, ob nach der seit 2020 geltenden, im Streitfall noch nicht anwendbaren Rechtslage die Landgerichte zuständig sind. Hintergrund sind ein mit Wirkung vom 1.1.2020 in § 348 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingefügter Verweis auf § 72a GVG, der unter anderem die Einrichtung von Spezialkammern für Anfechtungssachen bei den Landgerichten vorsieht und eine in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorgesehene Ausnahme für Verfahren nach § 348 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis k ZPO. Anfechtungssachen fallen nicht unter die Auflistung in den Buchstaben a bis k, wohl aber unter § 72a GVG.

Berufungszuständigkeit für sonstige Familiensachen
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZR 116/23

In der zweiten Entscheidung befasst sich der XII. Zivilsenat mit der Frage, welcher OLG-Senat für die Berufung zuständig und welche Verfahrensordnung maßgeblich ist, wenn in erster Instanz ein Landgericht über eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 FamFG entschieden hat.

Die Parteien waren verheiratet und sind seit Mai 2017 geschieden. Im Rahmen der Scheidung trafen sie eine Vereinbarung über die Aufteilung ihres gemeinsamen Immobilienbesitzes. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, die Beklagte im Innenverhältnis von bestimmten Kreditverbindlichkeiten freizustellen. Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung räumte er der Beklagten ein Rücktrittsrecht eing. Nach Tilgung der Kredite verlangte der Kläger die Löschung der zur Sicherung des Rücktrittsrechts eingetragenen Auflassungsvormerkung. Die Beklagte machte ein Zurückbehaltungsrecht wegen anderweitiger Ansprüche aus dem Vertrag geltend.

Der Kläger hat die Beklagte vor dem Familiengericht auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat das Verfahren an das LG verwiesen. Dieses hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, aber einer in zweiter Instanz erhobenen Widerklage stattgegeben.

Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Das Rechtsmittel war allerdings zulässig, obwohl es sich um eine Familiensache im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt.

Der nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erforderliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben, weil der Vertrag, aus dem die Parteien ihre Ansprüche herleiten, im Zusammenhang mit der Scheidung geschlossen wurde und ehemals gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten betrifft.

Das Familiengericht hätte die Sache also nicht an das LG verweisen dürfen. Die erfolgte Verweisung war aber gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das LG bindend. Ob diese Bindungswirkung sich nur auf die Zuständigkeit bezieht oder auch auf das einzuhaltende Verfahren, war umstritten. Der BGH bejaht eine umfassende Bindungswirkung. Aufgrund der Verweisung war das LG also nicht nur gehalten, die Sache zu entscheiden, sondern auch, das Verfahren nach den für Zivilsachen geltenden Vorschriften zu führen. Dasselbe gilt für die nachfolgenden Instanzen. Da der Wert der Beschwer mehr als 20.000 Euro beträgt, war deshalb gemäß § 544 ZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde statthaft.

Der BGH stellt jedoch klar, dass diese Rechtsfolgen nur im Falle einer bindenden Verweisung nach § 17a GVG eintreten. Ist die Klage beim Landgericht erhoben worden und hat dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht, muss das Berufungsgericht nach den Regeln des FamFG verfahren. Anders als nach der bis Ende 2001 geltenden Rechtslage ist in solchen Fällen zwar ein Zivilsenat des OLG zuständig, weil ein Rechtsmittel nicht darauf gestützt werden darf, dass die erste Instanz sich zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Nach Auffassung des BGH hat dies aber – anders als ein Verweisungsbeschluss – keine Auswirkungen auf die anzuwendende Verfahrensordnung. Der zuständige Zivilsenat des OLG muss in solchen Fällen mithin über die Berufung gemäß den Regeln des FamFG durch Beschluss entscheiden. Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur statthaft, wenn das OLG sie zulässt. Letzteres gilt auch dann, wenn das OLG fehlerhaft die Regeln der ZPO angewendet und durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entschieden hat.

In der Sache bleibt die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg. Der BGH hält sie für unbegründet und sieht insoweit von einer näheren Begründung ab.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollten bei Klagen gegen geschiedene Ehegatten oder deren Eltern beide Parteien frühzeitig darauf hinwirken, dass das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 3 GVG vorab über seine Zuständigkeit entscheidet. Verweist das Gericht die Sache an ein anderes Gericht, steht das einzuhaltende Verfahren für alle Instanzen bindend fest. Erklärt es sich für zuständig, besteht immerhin für die erste Instanz Klarheit.

Anwaltsblog 44/2024: Bauvertrag – Wann liegt eine Anordnung nach § 2 Abs. 5 VOB/B vor?

Der BGH hatte zu entscheiden, ob bei einer Verzögerung der Bauausführung die Mitteilung des Auftraggebers an den Auftragnehmer von der dadurch bedingten Störung des Vertrags als Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B mit der Rechtsfolge der Vereinbarung eines neuen Preises unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten gewertet werden kann (BGH, Urteil vom 19. September 2024 – VII ZR 10/24):

 

Der Beklagte hatte die Klägerin nach öffentlicher Ausschreibung unter Einbeziehung der VOB/B mit Leistungen des Gewerks „Starkstromanlagen an dem Bauvorhaben Umsetzung museale Neukonzeption“ beauftragt. In den Besonderen Vertragsbedingungen des Beklagten waren ein Ausführungsbeginn am 19. Juni 2018 und eine abnahmereife Fertigstellung der Arbeiten der Klägerin am 10. Januar 2019 vorgesehen. Am 23. August 2018 übergab der Beklagte der Klägerin einen Bauablaufplan, der den Bauablauf ab dem 28. August 2018 abbilden und Grundlage für die weitere Bauausführung der beteiligten Gewerke sein sollte. Wesentliche Leistungen der Klägerin waren danach erst im Jahr 2019 zu erbringen, wobei die Abnahme für den 17. September 2019 geplant war. Am 31. Januar 2019 übermittelte der Beklagte der Klägerin einen korrigierten Bauablaufplan für die weitere Bauausführung; dieser sah nunmehr eine Verschiebung der Abnahme auf den 29. Oktober 2019 vor. Nach Abnahme ihrer Arbeiten im November 2019 machte die Klägerin Mehrkosten von insgesamt 56.729,59 € für Personal und Baucontainer wegen Verlängerung der Bauzeit und wegen gestiegener Tariflöhne ab dem Jahr 2019 geltend. Der Beklagte beglich diesen Betrag nicht. LG wie OLG haben die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat einen Mehrvergütungsanspruch der Klägerin gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B wegen Verlängerung der Bauzeit zu Recht verneint. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Übermittlung der Bauablaufpläne am 23. August 2018 und am 31. Januar 2019 an die Klägerin keine Anordnung des Beklagten im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B darstellt. Gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B ist für den Fall, dass durch Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung geändert werden, ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, kann der Auftragnehmer den sich aus § 2 Abs. 5 VOB/B ergebenden Vergütungsanspruch im Wege der Klage geltend machen. Voraussetzung für einen Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B ist danach eine Anordnung des Auftraggebers zur Änderung des Bauentwurfs oder eine andere Anordnung. § 2 Abs. 5 VOB/B ist dahin auszulegen, dass eine solche Anordnung eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Auftraggebers erfordert, mit der einseitig eine Änderung der Vertragspflichten des Auftragnehmers herbeigeführt werden soll. Für die Änderung des Bauentwurfs, die der Auftraggeber gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B anordnen darf, liegt dies auf der Hand. Mit ihr sollen im Vertrag vereinbarte Leistungspflichten des Auftragnehmers betreffend den „Bauentwurf“ geändert werden. Diese Befugnis des Auftraggebers begründet im Gegenzug den Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B, wenn hierdurch die Grundlagen des Preises geändert werden. Für die „andere Anordnung“ im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B kann insoweit nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung nichts anderes gelten. Von der Anordnung iSd. § 2 Abs. 5 VOB/B sind nach der Systematik der VOB/B Störungen des Vertrags aufgrund von Behinderungen abzugrenzen, die faktisch zu Bauzeitverzögerungen führen. Derartige Störungen können nicht als Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B gewertet werden. Störungen aufgrund von Behinderungen führen nach der Systematik der VOB/B daher nicht zu einem Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B, sondern zu Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen, wenn der Auftraggeber vertragliche Verpflichtungen oder ihm obliegende Mitwirkungshandlungen nicht erfüllt.

 

Fazit: Eine Anordnung iSd. § 2 Abs. 5 VOB/B erfordert eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Auftraggebers, mit der einseitig eine Änderung der Vertragspflichten des Auftragnehmers herbeigeführt werden soll. Liegt eine Störung des Vertrags aufgrund einer Behinderung vor, die faktisch zu einer Bauzeitverzögerung führt, und teilt der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Behinderungstatbestand und die hieraus resultierende Konsequenz mit, dass die Leistungen derzeit nicht erbracht werden können, liegt keine Anordnung iSd. § 2 Abs. 5 VOB/B vor.

OLG Hamm: Mahnung per SMS

In der Sache ging es um einen Prozess nach dem UKlaG. Der Kläger war ein qualifizierter Verbraucherverband und die Beklagte ein Inkassounternehmen. In diesem Rahmen hat das OLG Hamm in einer erst vor Kurzem zugänglich veröffentlichten Entscheidung (Urt. v. 7.5.2024 – 4 U 252/22, MDR 2024, 1394) recht interessante Ausführungen zu der Frage vorgelegt, ob grundsätzlich per SMS gemahnt werden darf!

Das OLG Hamm beschäftigte sich zunächst mit § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG (Belästigung). Grundsätzlich kommt eine solche auch bei der Durchsetzung von bestehenden Ansprüchen in Betracht. Eine bloße Mahnung unter Zuhilfenahme von Fernkommunikationsmitteln stellt jedoch noch keine Belästigung dar. Es müssen für die Belästigung weitere Umstände hinzukommen (z. B. beständige Anrufe oder solche zur Nachtzeit). Da eine solche Ausnahme im konkreten Fall nicht vorlag, stellte sich die Frage, ob allein die „Mahn-SMS“ als solche schon eine Belästigung darstellt. In diesem Zusammenhang stelle das OLG Hamm auf die „aktuelle gesellschaftliche Informationswirklichkeit“ ab und verneint angesichts der Üblichkeit dieser Kommunikation sowie der Möglichkeit des Selbstschutzes durch Einstellungen im Mobilfunkgerät eine Belästigung, zumal der Gemahnte in aller Regel auch seine Mobilfunknummer aus eigenem Antrieb dem Mahnenden zur Verfügung gestellt haben wird.

Auch eine unzumutbare Belästigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG liegt nicht vor, denn die Beklagte hatte zunächst zwei Mahnungen per Brief versandt. Darauf hatte der Gemahnte nicht reagiert. Ein unzumutbarer Eingriff in die Privatsphäre liegt nicht vor.

Im konkreten Fall wurde jedoch – teilweise – ein Unterlassungsanspruch bejaht. Dies geschah allerdings lediglich deswegen, weil eine nicht bestehende Forderung geltend gemacht wurde. Letztlich will das OLG Hamm die SMS damit genauso behandeln wie eine E-Mail.

Aus dieser Entscheidung wird man insgesamt den Schluss ziehen können, dass grundsätzlich per SMS gemahnt werden darf. Allerdings sind verschiedene Einschränkungen zu beachten: U. a. muss der Mahnende die Mobilfunknummer des Gemahnten rechtmäßig erhalten haben, die Mahnung darf nicht zur „Unzeit“ eingehen und auch nicht ständig wiederholt werden. Im Einzelfall können auch noch weitere Anforderungen hinzukommen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Mahnung per SMS in geeigneten Fällen durchaus sinnvoll sein kann und – insbesondere für das Inkasso – weitere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Hinweis: Die vorstehenden Ausführungen dürften auf andere Mitteilungssysteme, wie z. B. WhatsApp, Signal etc. zu übertragen sein.

Blog powered by Zöller: BGH nutzt neues Leitentscheidungsverfahren gleich am ersten Tag

Am 31.10.2024 ist das Gesetz über das sog. Leitentscheidungsverfahren in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 328). Dieses gibt dem BGH die Möglichkeit, über Rechtsfragen, die in einer Vielzahl von Verfahren relevant sind, auch dann zu entscheiden, wenn es nicht zu einem Revisionsurteil kommt, z.B., weil das Rechtsmittel zurückgenommen wird. Von dieser Möglichkeit hat der BGH bereits am ersten Tag Gebrauch gemacht, und zwar in einem Fall, in dem es um die Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung im sog. Scraping-Komplex geht (BGH v. 31.10.2024 – VI ZR 10/24, Pressemitteilung), und in dem die Revision in zwei Parallelverfahren kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden war. Einer auf die Verhinderung höchstrichterlicher Entscheidung gerichteten Prozesstaktik ist damit der Boden entzogen. Und Instanzgerichte können jetzt Verfahren aussetzen, deren Entscheidung von den Rechtsfragen abhängt, die der BGH dem Leitentscheidungsverfahren zugeführt hat.

Die neuen Vorschriften (§§ 148 IV, 552b, 555, 565 ZPO) sind in der Online-Aktualisierung des ZÖLLER, die jeder Bezieher des gedruckten Kommentars kostenfrei nutzen kann, bereits kommentiert.


In der nächsten Ausgabe der MDR (Ausgabe 22) finden Sie zudem von Herrn Christian Feskorn einen Aufsatz zum neuen Leitentscheidungsverfahren beim BGH. Sie finden den Aufsatz online bereits vorab in unserer Datenbank.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

Anwaltsblog 43/2024: Darf das Gericht dem Sachverständigen das Diktat des Protokolls überlassen?

Dass es verfahrensrechtlich unbedenklich ist, wenn der Richter einem mündlich angehörten Sachverständigen zum Zwecke der vorläufigen Protokollaufzeichnung vorübergehend das Diktiergerät übergibt, hat das OLG Nürnberg entschieden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Oktober 2024 – 8 U 2323/23 –, juris):

 

Es ist üblich und wird als praktikabel empfunden, dass bei mündlichen Anhörungen von Sachverständigen der Vorsitzende Richter dem Sachverständigen das Diktat seiner Ausführungen für das Protokoll überlässt (Jäckel, MDR 2024, 688 Rn. 21). Das hat im vergangenen Jahr das OLG Hamm für verfahrensrechtlich unzulässig erklärt. Die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst sei in § 159 ZPO nicht vorgesehen, daher verfahrensfehlerhaft, und könne keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein, so dass entweder die Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu wiederholen oder das erstinstanzliche Urteil auf Antrag aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen sei (OLG Hamm, Urteil vom 19. Dezember 2023 – I-7 U 73/23 –, juris).

Dem ist jetzt das OLG Nürnberg entgegengetreten: Die vom OLG Hamm formulierten Bedenken gegen die „Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst“ überzeugen weder in der Begründung noch im Ergebnis. Soweit für den erkennenden Senat derzeit ersichtlich, ist dies eine vereinzelt gebliebene obergerichtliche Meinung zu einem konkreten Einzelfall. Der Inhalt der Aussagen der Parteien, Zeugen und Sachverständigen kann auf zwei Wegen vorläufig aufgezeichnet werden:

a) Bei Tonaufnahme durch Diktat oder Eingabe in ein Textverarbeitungssystem sollte tunlichst der Vorsitzende den Inhalt bestimmen und dies nicht dem Urkundsbeamten übertragen. Überlässt der Vorsitzende einem Sachverständigen das Diktat seiner Aussage, ändert dies nichts an seiner Verantwortlichkeit für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Protokollierung; gegebenenfalls muss er eingreifen.

b) Zulässig ist auch eine vollständige Aufzeichnung durch ununterbrochene Ton- oder Videoaufnahme des Vernommenen und der Fragenden. Sie bedarf keiner Zustimmung der Beteiligten und bietet einige Vorteile, ist aber nicht zwingend.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass – entgegen der vom OLG Hamm vertretenen Auffassung – auch dann ein richterliches Protokoll im Sinne der §§ 159, 160 ZPO vorliegt, wenn der Sachverständige den Wortlaut seiner Aussagen – zu Zwecken der vorläufigen Aufzeichnung – unmittelbar dem Tonträger zuführt und der dabei anwesende Richter dann später das gemäß § 160a Abs. 2 ZPO „unverzüglich“ hergestellte Protokoll ordnungsgemäß unterschreibt (vgl. § 163 Abs. 1 ZPO). Damit übernimmt der Richter die uneingeschränkte Verantwortung für den Inhalt der „Reinschrift“ des gesamten Protokolls und dies rechtfertigt dann auch dessen weitreichende Beweiskraft gemäß § 165 ZPO. Schon diese Differenzierung zwischen „vorläufiger Aufzeichnung“ und abschließender „Erstellung“ des Protokolls lässt die angeführte Entscheidung des OLG Hamm vermissen.

Es kann keinen prozessrechtlich relevanten Unterschied machen, ob der Richter Teile der vorläufigen Aufzeichnung des Sitzungsprotokolls (hier: mündliche Angaben des Sachverständigen) unmittelbar selbst in das Mikrofon des Aufzeichnungsgeräts spricht, ob er das Gerät dem Aussagenden entgegenhält und dessen Sprache unmittelbar ganz oder teilweise aufzeichnet oder ob der Richter dem Sachverständigen das Gerät übergibt mit der Bitte, selbst direkt in das Mikrofon zu sprechen. Denn in all diesen Fällen ist der Aufzeichnungsgegenstand für die im Sitzungssaal anwesenden Beteiligten unmittelbar wahrnehmbar und damit kontrollierbar. Unstimmigkeiten oder Missverständnisse über Wortlaut oder Inhalt des Aufgezeichneten können an Ort und Stelle direkt kommuniziert und geklärt werden. Die Gefahr von – entscheidungserheblichen – Unklarheiten oder Lückenhaftigkeiten wird durch diese Handhabung weder geschaffen noch vergrößert.

 

Fazit: Es ist verfahrensrechtlich unbedenklich, einem mündlich angehörten Sachverständigen zum Zwecke der vorläufigen Protokollaufzeichnung vorübergehend das Diktiergerät zu übergeben, wenn gewährleistet ist, dass Unstimmigkeiten oder Missverständnisse über Wortlaut und Inhalt der Aufzeichnung unmittelbar geklärt werden können.