Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs.

Eigenbedarf bei Auszug aus einer eigenen Wohnung
BGH, Urteil vom 24. September 2025 – VIII ZR 289/23

Der VIII. Zivilsenat grenzt die Tatbestände von § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB voneinander ab.

Die Beklagte ist seit dem Jahr 2006 Mieterin einer Zweizimmerwohnung in einem Mehrparteienhaus in Berlin. Der Kläger ist durch Eigentumserwerb in das Mietverhältnis eingetreten. Er bewohnt bislang die ebenfalls ihm gehörende unmittelbar darüber liegende Wohnung, die eine ähnliche Größe und einen ähnlichen Zuschnitt hat. Über dieser Wohnung befindet sich das nicht ausgebaute Dachgeschoss, das ebenfalls dem Kläger gehört.

Mit Schreiben vom 01.11.2021 kündigte der Kläger das Mietverhältnis zum 31.07.2022 wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung führte er an, er wolle das Dachgeschoss ausbauen und mit der von ihm derzeit genutzten Wohnung verbinden. Deshalb wolle er künftig die an die Beklagte vermietete Wohnung nutzen. Die neu entstandene größere Wohnung wolle er nach Fertigstellung verkaufen.

Das AG hat die Beklagte antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück.

Eigenbedarf im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn der Vermieter den ernsthaften Wunsch hat, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, und dieser Wunsch auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch privilegierte Dritte nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten.

Entgegen der Auffassung des LG darf der Nutzungswunsch des Klägers nicht deshalb als missbräuchlich angesehen werden, weil er die derzeit von ihm genutzte Wohnung verkaufen will. Das Nutzungsinteresse des Vermieters ist grundsätzlich auch dann zu respektieren, wenn dieser den Bedarfsgrund willentlich herbeigeführt oder selbst verursacht hat. Der Umstand, dass der Kläger die bisher genutzte Wohnung verkaufen will, führt deshalb nicht dazu, dass die Kündigung als Verwertungskündigung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu bewerten ist.

Eigenbedarf kann auch nicht deshalb verneint werden, weil die beiden Wohnungen hinsichtlich Größe und Zuschnitt ähnlich sind.

Praxistipp: Nach § 573 Abs. 3 BGB müssen die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Mieters im Kündigungsschreiben angegeben werden. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind und wenn die Kündigung bereits im Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war (BGH, U. v. 25.10.2023 – VIII ZR 147/22, MDR 2024, 95 Rn. 39).

Bericht über die 11. Prozessrechtstagung

Vom 5. bis 6. September 2025 fand in Tübingen die 11. Prozessrechtstagung unter dem Generalthema „Gesellschaft im Wandel – Verfahrensrecht im Wandel?!“ statt. Sie wurde von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., Lukas Häberle (beide Universität Tübingen), Annalena Lederer von der Universität Augsburg und Anna Leoni Groteclaes von der Universität Heidelberg organisiert. In der bewährten Tradition der Veranstaltung wurde das Prozessrecht rechtsgebietsübergreifend beleuchtet.

Nach einleitenden Worten des Organisationsteams folgten Begrüßungsworte von Prof. Dr. Dr. h.c. Bernd Heinrich zur Geschichte des Universitätsstandorts Tübingen und dem imposanten denkmalgeschützten Tagungsort, der Alten Aula der Universität, sowie zum rechtshistorischen Umgang mit der Frage der Einheitlichkeit eines Prozessrechts unabhängig von heute fest etablierten Fachsäulen.

Wie bereichernd der Blick auf „das Prozessrecht“ von verschiedenen Positionen aus sein kann, zeigte sich im nachfolgenden Auftakt. Auf einen Impulsvortrag zum Annahmeverfahren des Bundesverfassungsgerichts von Stefan Edenharder und Simon Schlicksupp folgte eine Podiumsdiskussion mit den beiden Referenten und Dr. Stefan Drechsler, Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur. sowie RA Dr. Wolfgang Staudinger. Moderiert von Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe, LL.M., diskutierte die Gruppe verschiedene Facetten der Thematik vom Standpunkt des Zivil,- Straf- und Öffentlichen Rechts mit wertvollen Einblicken aus Wissenschaft und Praxis.

Es folgte ein Vortrag von Dr. Jonas Botta zur Reform der Videoverhandlung im Verwaltungsprozess und den Herausforderungen und Chancen eines digitalisierten Verfahrens. Im Anschluss referierte Dr. Stefan Drechsler zum Verfahren der Unionsgerichte und ihren Entwicklungen im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel des 21. Jahrhunderts.

Erstmals wurde die Tagung um ein Schwerpunktthema ergänzt, das sich in diesem Jahr antidiskriminierungs- und prozessrechtlichen Wechselwirkungen widmete. Dabei befasste sich Carolin Heinzel mit der prozessualen Stellung der Gleichstellungsbeauftragten. Chris Ambrosi, LL.M. untersuchte im Anschluss die Beweislastverteilung des § 22 AGG. Parallel erörterte Philipp Roller die verfahrensrechtlichen Neuerungen durch die Entgelttransparenzrichtlinie, worauf ein Vortrag von Dr. Lisa Hahn zur Rolle der Verfahrenslotsen im Antidiskriminierungsrecht folgte.

Der erste Tagungstag endete mit einer Live-Ausgabe des Podcasts „Grundgesetzlich“ der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., der an das Schwerpunktthema anknüpfte.  Podcast-Host Janina Zillekens-McFadden unterhielt sich mit Maria Seitz über den Grundsatz „Equal Pay“.

Der zweite Tagungstag widmete sich vormittags dem Insolvenzrecht. Nach einer Darstellung der Geschichte der Insolvenzzwecke „von der Zerschlagung zur Sanierung“ von Dr. Ansgar Kalle, folgte ein praxisnaher Blick ins europäische Insolvenzrecht und der Abgrenzung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren von RAin Dr. Inga Hogrefe. Den Abschluss des insolvenzrechtlichen Vormittags bildete der Vortrag von Jannik Heine zu den Parteien des Adhäsionsverfahrens, der besonders anschaulich illustrierte, wie die verschiedenen Verfahrensordnungen rechtsgebietsübergreifend untersucht werden können.

Im Anschluss referierte Dr. Elena Waigel über die Bedeutung der Umweltprüfung im Verwaltungsverfahren.

Darauf folgte eine Darstellung der Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie ins deutsche Prozessrecht von Jun.-Prof. Dr. Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur.

Anschließend wurden in einem zivil- und einem strafprozessualen Panel aktuelle Herausforderungen und Chancen eines potenziellen verfahrensrechtlichen Wandels diskutiert.

Im Strafrecht bildete ein Vortrag von RA Dr. Wolfgang Staudinger zu Digitalisierung und Protokollierung im Strafprozess den Auftakt. Im Anschluss trug Dr. Annina Eckrich zu einer notwendigen Erweiterung der Zeugnisverweigerungsrechte in modernen Familienformen vor. Sodann präsentierte Dr. Nils Hauser den Einspruch gegen den Strafbefehl im elektronischen Rechtsverkehr de lege lata und de lege ferenda.

Das zeitgleich stattfindende zivilprozessuale Panel begann mit einem Vortrag von Jun.-Prof. Dr. Markus Lieberknecht, LL.M. zur europarechtlichen Disclosure. Daraufhin referierte Christine Heidbrink rechtsvergleichend zum Grundsatz der Gewaltenteilung und strategischen Klimaklagen in Deutschland und den USA. Dr. Karin Arnold hielt im Anschluss einen zwangsvollstreckungsrechtlichen Vortrag zur Intransparenz und Flüchtigkeit des Vermögens im 21. Jahrhundert.

Umrahmt wurden die Vorträge von gewinnbringenden Diskussionen. Es zeigte sich, wie fruchtbar ein fachsäulenübergreifender Austausch im Prozessrecht in Anbetracht vielfältiger Herausforderungen des modernen, effizienten Verfahrens und einer „Gesellschaft im Wandel“ ist.  In welcher Form und Intensität das Prozessrecht jenen gesellschaftlichen Wandel wiederum aufnehmen, bewirken oder gar vorantreiben kann und ob es dies überhaupt sollte, lässt sich in den nächsten beiden Ausgaben der GVRZ detailliert nachlesen.

Die 12. Prozessrechtstagung wird in Augsburg stattfinden.

KG: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren

Die Verfügungsklägerin hatte, nachdem das erstinstanzliche Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegt. Neben ausführlichen Darlegungen zum Verfügungsanspruch, auf die hier nicht einzugehen ist, hat das KG (Beschl. v. 30.6.2025 – 7 W 3/25) auch keinen Verfügungsgrund gesehen. Es hat vorliegend die Fallgruppe „Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch dinglichkeitsschädliches Verhalten“ für einschlägig gehalten.

Hierbei können sowohl Verhaltensweisen vor Antragstellung als auch Verhaltensweisen während des Verfahrens herangezogen werden. Nach Antragstellung geht es insbesondere um das zögerliche Betreiben des Verfahrens durch die Verfahrensbevollmächtigten. Dies muss sich der Verfügungskläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Der Verfahrensbevollmächtigte muss die Bearbeitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens vorrangig erledigen. Dabei kann er sich in der Regel weder auf eine anderweitige starke Inanspruchnahme noch auf Urlaub berufen. Daraus folgt wiederum, dass Fristverlängerungs- und Terminsverlegungsanträge regelmäßig als dringlichkeitsschädlich anzusehen sind, wenn sie von einem noch nicht gesicherten Antragsteller gestellt werden. Im konkreten Fall wurde ein Antrag auf Fristverlängerung von vier Tagen schon als Selbstwiderlegung der Dringlichkeit angesehen!

Zwar wird diese Frage in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt, jedoch muss man als Rechtsanwalt dieses Problem immer im Hinterkopf haben, wenn es um den einstweiligen Rechtsschutz geht. Ansonsten besteht ohne weiteres die Gefahr, das man nur wegen einer geringfügigen Verzögerung unterliegt. Auch die vertretene Partei muss von Anfang an darauf hingewiesen werden, dass jegliche Verzögerungen zu einem Unterliegen im Verfahren führen können, weil dadurch die Eilbedürftigkeit entfällt.

Interessant war bei dieser Entscheidung noch folgender Gesichtspunkt: Der Verfügungsbeklagte wurde vor der Entscheidung nicht angehört. Die Entbehrlichkeit der Anhörung folgte daraus, dass er durch die Entscheidung nicht beschwert war. Bereits das LG hatte die Kosten dem Verfügungskläger auferlegt. Die Zurückweisung der Beschwerde durch das OLG bringt dem Verfügungsbeklagten somit keinen Nachteil.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Frage der Gegenseitigkeit der Forderungen bei der Aufrechnung mit einem auf Drittschadensliquidation gestützten Anspruch.

Aufrechnung bei Drittschadensliquidation
BGH, Urteil vom 11. September 2025 – III ZR 274/23

Der III. Zivilsenat bestätigt eine in Literatur und Instanzrechtsprechung etablierte Auffassung.

Die Beklagte betraute den Kläger im Jahr 2010 in einer als Vorvertrag bezeichneten Vereinbarung mit der Unterstützung bei der Einziehung von Forderungen einer insolventen Gesellschaft. Kurz darauf gründete die Beklagte eine GmbH, die die Forderungen der Insolvenzschuldnerin für rund 75 % des Nennbetrags erwarb und eine unter Zwangsverwaltung stehende Wohnung anmietete, in der der Kläger die geschuldete Tätigkeit ausübte. Bis Anfang 2019 zahlte die Beklagte dem Kläger eine monatliche Vergütung von 1.000 Euro. Danach stellte sie die Zahlungen ein und die GmbH kündigte den Mietvertrag über die dem Kläger überlassene Wohnung. Der Kläger nutzte diese rund vier Jahre lang weiter.

Der Kläger verlangt nunmehr Zahlung einer monatlichen Vergütung von 1.000 Euro für den Zeitraum von Februar 2019 bis einschließlich November 2020. Die Beklagte rechnet hilfsweise mit einem Anspruch auf Schadensersatz wegen unbefugter Weiternutzung der Wohnung auf.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der geltend gemachte Vergütungsanspruch begründet ist und dass der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, weil der Kläger die Wohnung unbefugt genutzt hat.

Die Beklagte darf den ihr entstandenen Schaden nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation auf der Grundlage der Nutzungsentschädigung berechnen, die nach der Kündigung des Mietvertrags an den Zwangsverwalter der Wohnung zu entrichten war. Zur Zahlung dieser Entschädigung war zwar nicht die Beklagte verpflichtet, sondern nur die von ihr gegründete GmbH als Mieterin der Wohnung. Die Beklagte darf diesen Schaden aber geltend machen, weil er aus Sicht des zum Ersatz verpflichteten Klägers nur zufällig auf die GmbH verlagert worden ist.

Ebenfalls zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass in dieser Konstellation die für eine Aufrechnung erforderliche Gegenseitigkeit der Forderungen gegeben ist. In den Fällen der Drittschadensliquidation steht der Anspruch nicht derjenigen Partei zu, die den Schaden erlitten hat, sondern derjenigen, die zum Schadensersatz berechtigt ist. Diese Partei darf ihren Anspruch auch zur Aufrechnung gegenüber Forderungen des Schuldners einsetzen.

Das angefochtene Urteil hat (lediglich) deshalb keinen Bestand, weil das OLG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Kläger als freiberuflich Tätiger keinen Pfändungsschutz nach § 850 und § 850c ZPO genießt. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten die genannten Vorschriften auch für freiberuflich Tätige, sofern sie fortlaufend Vergütungen für persönliche Dienste erhalten, die ihre Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen und deshalb ihre Existenzgrundlage bilden (BGH, B. v. 20.5.2014 – VII ZB 50/14, MDR 2015, 1037 Rn. 15). Das OLG wird deshalb nach der Zurückverweisung zu prüfen haben, ob der Kläger im relevanten Zeitraum weitere Einkünfte hatte.

Praxistipp: Wenn nicht klar ist, ob ein eigener Anspruch des Beklagten aus Drittschadensliquidation oder (nur) ein Ersatzanspruch des Dritten besteht, sollte der Dritte seine Forderung vorsorglich an den Beklagten abtreten.

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Diese Woche geht es um die zwangsweise Durchsetzung eines Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB.

Vollstreckung eines Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung
BGH, Urteil vom 18. Juli 2025 – V ZR 76/24

Der VII. Zivilsenat entscheidet eine umstrittene Frage zur Auslegung von § 887 Abs. 2 ZPO.

Die Schuldnerin ist durch rechtskräftiges Versäumnisurteil zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung in Höhe von rund 225.000 Euro verurteilt worden. Die Gläubigerin hat beantragt, sie gemäß § 887 Abs. 1 ZPO zur Hinterlegung des genannten Betrags beim zuständigen Amtsgericht zu ermächtigen und die Schuldnerin gemäß § 887 Abs. 2 ZPO zu verurteilen, an die Gläubigerin einen Vorschuss in der genannten Höhe zu zahlen.

Das LG hat antragsgemäß entschieden. Das OLG hat die Verurteilung zur Zahlung dahin eingeschränkt, dass diese zugunsten der Gläubigerin an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts zu erfolgen hat.

Der BGH stellt die Entscheidung des Landgerichts wieder her.

Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass die Stellung einer Bauhandwerkersicherung eine vertretbare Handlung darstellt und ein darauf gerichteter Anspruch nach § 887 ZPO zu vollstrecken ist und dass der Gläubiger gemäß § 264 Abs. 1 BGB auswählen kann, auf welche Art der Sicherung er seinen Vollstreckungsantrag richtet, sofern der Schuldner vor dem Beginn der Zwangsvollstreckung keine Wahl vorgenommen hat.

Entgegen der Auffassung des OLG hat der Schuldner den ihm nach § 887 Abs. 2 ZPO obliegenden Vorschuss auch im Falle einer Hinterlegungspflicht nicht an die Hinterlegungsstelle zu zahlen, sondern an den Gläubiger. Die genannte Vorschrift sieht eine Zahlung an den Gläubiger vor, ohne zwischen dem Inhalt des zu vollstreckenden Anspruchs zu differenzieren. Die Gefahr, dass der Gläubiger den Vorschuss zweckwidrig verwendet, besteht auch bei anderen Ansprüchen. Der Schuldner kann diese Gefahr dadurch abwenden, dass er die geschuldete Leistung erbringt.

Praxistipp: Hat der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht schon vor der Vollstreckung durch Erklärung (§ 263 BGB) ausgeübt, darf die Vollstreckung nur auf die ausgewählte Leistung gerichtet werden. Auch ein Anspruch auf Stellung einer Bankbürgschaft kann aber nach § 887 ZPO vollstreckt werden (OLG Frankfurt a.M., B. v. 17.12.2007 – 24 W 61/07, OLGR Frankfurt 2008, 602).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beauftragung von Rechtsanwälten und Sachverständigen durch eine Gemeinschaft von Wohnungseigentümern und um die nachträgliche Zustimmung zu entsprechenden Handlungen des Verwalters durch die Gemeinschaft.

Beauftragung von Rechtsanwälten und Sachverständigen durch einen WEG-Verwalter
BGH, Urteil vom 18. Juli 2025 – V ZR 76/24

Der V. Zivilsenat entscheidet einige bislang umstrittene Fragen.

Die Klägerin hat als Bauträgerin eine Wohnungseigentumsanlage errichtet. Sie ist weiterhin Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.

Die Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum drohte im Oktober 2021 abzulaufen. Die Verwalterin beauftragte deshalb im Frühjahr 2021 im Namen der Gemeinschaft drei Sachverständige mit der Begutachtung der Anlage. Ferner mandatierte sie eine Rechtsanwaltskanzlei Die Sachverständigen stellten Mängel fest, bezifferten den Beseitigungsaufwand mit rund 470.000 Euro und stellten Honorare in Höhe von insgesamt rund 50.000 Euro in Rechnung.

In einer Eigentümerversammlung im Juli 2021 genehmigte die Beklagte die Einschaltung und Vergütung der Sachverständigen und der Rechtsanwaltskanzlei. Ferner beschloss sie, die Kanzlei mit der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs auf Kostenvorschuss zur Beseitigung der festgestellten Mängel zu beauftragen, und ermächtigte die Verwalterin, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen, deren Stundensätze 300 Euro je Anwaltsstunde und 150 Euro je Sekretariatsstunde nicht überschreitet.

Die von der Klägerin gegen diese Beschlüsse erhobene Anfechtungsklage hatte vor dem AG keinen Erfolg. Das LG erklärte die Beschlüsse für ungültig.

Der BGH stellt das Urteil des AG wieder her.

Entgegen der Auffassung des LG war die Einholung von Vergleichsangeboten vor der Beschlussfassung über die Beauftragung der Rechtsanwaltskanzlei oder der Sachverständigen nicht erforderlich.

Die Einholung von Alternativangeboten dient dem Zweck, den Wohnungseigentümern die Stärken und Schwächen der Leistungsangebote aufzuzeigen. Angebote von Rechtsanwälten und Sachverständigen können diesen Zweck nicht in hinreichendem Maße erfüllen. Die Höhe eines angebotenen Stundenhonorars ist nicht aussagekräftig, weil nicht vorhersehbar ist, wie viele Stunden anfallen werden. Die Qualität der angebotenen Leistung ist ebenfalls nur schwer zu beurteilen.

Die Beauftragung der Anwaltskanzlei entspricht auch im Übrigen einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Die Höhe der Stundensätze ist angesichts der Schwierigkeit der Rechtsmaterie und der Höhe des geltend zu machenden Anspruchs nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung des LG ist die Genehmigung der ohne Eigentümerbeschluss erfolgten Auftragserteilungen nicht schon dann unzulässig, wenn mögliche Ersatzansprüche gegen den Verwalter nicht auszuschließen sind. Vielmehr entspricht die Genehmigung einer Maßnahme jedenfalls dann ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn die Eigentümer diese Maßnahmen vor ihrer Durchführung hätten beschließen dürfen.

Im Streitfall ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen, dass die Beauftragung der Sachverständigen und der Rechtsanwaltskanzlei einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprach. Die Eigentümer hätten diese Maßnahmen mithin im Vorhinein beschließen dürfen und waren deshalb befugt, sie im Nachhinein zu genehmigen.

Praxistipp: Nach der seit 01.12.2020 geltenden Rechtslage kann der Verwalter die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Außenverhältnis grundsätzlich auch ohne vorherige Beschlussfassung wirksam vertreten.

KG: Beendigung und zur Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren

Mit einem etwas merkwürdig gelaufenen selbständigen Beweisverfahren musste sich das KG (Beschl. v. 11.7.2025 – 7 W 11/25) beschäftigen. Das erste Gutachten wurde teurer als gedacht, auch hatte das LG keinen ausreichenden Vorschuss angefordert. Alsdann sollte ein weiteres Gutachten eingeholt werden. Dafür wurde der angeforderte Vorschuss hingegen gezahlt. Dieser Vorschuss wurde jedoch auf die offenen Kosten für das erste Gutachten verrechnet. Ein weiterer Vorschuss wurde von dem LG angefordert, jedoch nicht gezahlt. Dann geschah erst einmal nichts mehr. Das LG stellte die Beendigung des Verfahrens fest. Schließlich beantragte die Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens analog § 269 ZPO aufzuerlegen. Dem kam das LG nach. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die Erfolg hatte.

§ 269 ZPO ist in einem selbständigen Beweisverfahren nur dann anzuwenden, wenn der Antrag zurückgenommen wird oder wenn der Antragsteller erkennen lässt, dass er das Verfahren tatsächlich für beendet hält. Daran fehlt es hier. Der Vorschuss für das zweite Gutachten wurde gezahlt. In einem solchen Fall muss es dann auch eingeholt werden. Es besteht keine Rechtsgrundlage dafür, die Einholung des Ergänzungsgutachtens davon abhängig zu machen, dass die Restkosten für ein erstes Gutachten gezahlt werden. Der Vorschuss für das Ergänzungsgutachten wurde gezahlt, mithin ist es einzuholen. Das selbständige Beweisverfahren ist mitnichten beendet, vielmehr ist es fortzusetzen. Demgemäß gibt es auch keine Grundlage dafür, § 269 ZPO hier analog anzuwenden. Außerhalb des § 494a ZPO ist eine Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren ohnehin nur in besonderen Fällen zu treffen, für deren Vorliegen hier eben nichts ersichtlich ist. Somit war der Kostenbeschluss des LG aufzuheben. Das Verfahren ist fortzusetzen. Die Feststellung der Beendigung hat lediglich eine deklaratorische Wirkung und bedarf keiner gesonderten Aufhebung.

Das KG lässt ausdrücklich offen, ob eine Kostenentscheidung analog § 269 ZPO dann möglich ist, wenn der Vorschuss für ein Gutachten von vornherein gar nicht gezahlt wird. Man sieht daher: Die Frage, wann ein selbständiges Beweisverfahren beendet ist, ist nicht immer leicht zu beantworten. Es bedarf stets einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Rahmen einer Rechtsbeschwerde.

Grundsatz der materiellen Subsidiarität
BGH, Beschluss vom 29. Juli 2025 – VI ZB 31/24

Der VI. Zivilsenat bekräftigt seine ständige Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer auf das Grundgesetz gestützten Verfahrensrüge in dritter Instanz.

Die Klägerin hat den Beklagten in einem Vorprozess wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung in Anspruch genommen. Ihre Klage ist erfolglos geblieben.

Nunmehr verlangt die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz wegen Verfälschung der Behandlungsdokumentation. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil der Streitgegenstand mit demjenigen des Vorprozesses identisch sei. Ergänzend hat es ausgeführt, die unzulässige Klage wäre auch unbegründet.

Nach Eingang der Berufungsbegründung hat das OLG die Klägerin darauf hingewiesen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Begründung des Rechtsmittels, weil die Klägerin sich nur gegen die Erwägungen des Landgerichts zur Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess wende, nicht aber gegen die Ausführungen zur Begründetheit der neuen Klage. Die Klägerin hat daraufhin geltend gemacht, ihre Berufung sei zulässig, und ihre Ausführungen zur Rechtskraft des früheren Urteils weiter vertieft. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt schon aus formellen Gründen ohne Erfolg.

Der vom Bundesverfassungsgericht für Verfassungsbeschwerden entwickelte Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Der BGH wendet diesen Grundsatz seit längerem auch in Verfahren über Revisionen, Nichtzulassungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden an.

In Anwendung dieses Grundsatzes lässt der BGH im Streitfall offen, ob die in dem Hinweis des OLG geäußerte Einschätzung zur Zulässigkeit der Berufung zutrifft. Die Klägerin darf eine aus einer diesbezüglichen Fehleinschätzung resultierende Verletzung ihrer Ansprüche auf rechtliches Gehör und wirkungsvollen Rechtsschutz schon deshalb nicht mehr geltend machen, weil sie in ihrer Stellungnahme zu dem Hinweis nicht auf die nach Auffassung des OLG ausschlaggebende Frage eingegangen ist, ob das Landgericht seine Entscheidung auf zwei selbständige Erwägungen gestützt hat.

Praxistipp: Die Entscheidung führt nochmals deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, einem nach § 522 Abs. 1 oder 2 ZPO erteilten Hinweis des Berufungsgerichts hinsichtlich aller relevanten Aspekte entgegenzutreten, wenn die zu erwartende Entscheidung in dritter Instanz angefochten werden soll.

Streitwertreform – ein kleiner Wurf, der in der Praxis groß knirschen wird

Die geplante Anhebung der Streitwertgrenze auf 10.000 € (§ 23 Nr. 1 GVG im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen) ist überfällig. Sie trägt der Inflation Rechnung und soll die Landgerichte entlasten. Gleichzeitig werden neue ausschließliche sachliche Zuständigkeiten beim Landgericht geschaffen. Aber wer meint, damit sei die Ziviljustiz schon auf Kurs gebracht, greift zu kurz. Aus der Praxis nur einige Punkte – nicht abschließend:

  1. Geringfügige Forderungen bis 5.000 €

Die EU hat es vorgemacht: Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen (VO [EU] 861/2007 in der Fassung VO (EU) 2015/2421) gilt inzwischen für Streitwerte bis 5.000 €. Auch national wäre eine solche Grenze folgerichtig und überlegenswert.

Zudem: Nicht alle Heilbehandlungssachen, die künftig streitwertunabhängig beim Landgericht anfallen sollen, sind komplex oder schwierig. Es gibt zweifellos Arzthaftungsprozesse, die beim Landgericht gut aufgehoben sind. Daneben gibt es zahlenmäßig eine ganze Reihe von Klein- und Kleinstforderungen – etwa Laborrechnungen oder Streitigkeiten um den Ansatz einzelner GOÄ-/GOZ-Ziffern. Solche Verfahren betreffen Selbstzahler, die überhöhte oder gar nicht erbrachte Rechnungspositionen entdecken, oder Versicherte, denen die Kosten von den Krankenversicherern nicht erstattet wurden. Die blinde Zuweisung aller dieser Prozesse an das Landgericht (mit Anwaltszwang) bläht den Aufwand für die Parteien auf, ohne dass dies der Spezialisierung nutzen dürfte.

Bei einer allgemeinen Zuweisung von geringfügigen Forderungen („Bagatellgrenze“) an das Amtsgericht, die auch alle „Spezialsachen“ bei diesem belässt, geht es nicht um eine „Massenvermehrung“ kleiner Verfahren, sondern um Gleichlauf mit Europa: Wenn europaweit bis 5.000 € vereinfachte Verfahrensregeln gelten, könnte das auch innerhalb der deutschen Ziviljustiz so sein. Auch für die Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit (RegE), die bei den Amtsgerichten erfolgen soll, erscheint es hilfreich, einen möglichst weiten thematischen Bereich von Zivilsachen abzudecken.

  1. Kleinstverfahren bis 1.000 €

Nach § 495a ZPO wird das Verfahren bei Streitverfahren bis 600 € nach billigem Ermessen geführt. Der Gedanke einer Inflationsbereinigung legt nahe, diese Grenze auf 1.000 € zu erhöhen, was dann auch für den Berufungsstreitwert gelten sollte. Zu überlegen wäre weiter, ob der Anspruch auf eine mündliche Verhandlung nur noch dann gegeben ist, wenn auch dies sachdienlich ist. Die Amtsgerichte werden dieses Kriterium mit Augenmaß handhaben, wenn Naturalparteien „gehört“ werden wollen und dies einen Erkenntnismehrwert verspricht. Im gleichzeitig unterbreiteten Vorschlag eines künftigen § 1127 ZPO-E (Regierungsentwurf zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit) wird dies für Onlineverfahren schon vorgeschlagen, sollte aber allgemein gelten.

  1. Spezialisierung nutzen – aber mit Maß

Der Entwurf verlagert sämtliche Heilbehandlungs-, Vergabe- und Veröffentlichungssachen streitwertunabhängig ans Landgericht. Daneben verbleibt es bei den überkommenen ausschließlichen Zuständigkeiten in § 72 GVG. Gleichzeitig entzieht der Entwurf den Landgerichten die in § 72a GVG streitwertabhängigen Spezialsachen, indem die Streitwertgrenze mit 10.000 € deutlich erhöht wird (z.B. bei Insolvenzsachen, Bausachen). Das passt nicht zusammen.

Verlagert man streitwertunabhängig Verfahren ans Landgericht, steigen für diese Aufwand und Kosten: Kein § 495a, Anwaltszwang nach § 78 ZPO, regelmäßige mündliche Verhandlung vor der Kammer. Für Parteien bedeutet das: häufig zahlen, auch wenn sie im Recht sind – weil für Kleinstbeträge kaum ein Anwalt zu finden ist und das Kostenrisiko abschreckt. Bürgernähe sieht anders aus.

Die Lösung: Die bestehenden ausschließlichen Zuständigkeiten des Landgerichts nach § 72 Abs. 2 ZPO sollten überprüft und nach Möglichkeit in die Bestimmung des § 72a GVG überführt werden; neue ausschließliche sachliche Zuständigkeiten beim Landgericht sind zu unterlassen. Für die Verfahren, die in eine Spezialzuständigkeit nach § 72a GVG fallen, sollte es bei geringfügigen Streitigkeiten (also bis 5.000 €) bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts verbleiben. Kleine Heilbehandlungs-, Bau- und Insolvenzsachen (usw.) verbleiben damit beim Amtsgericht sowie alle sonstigen Verfahren bis 10.000 €, für die keine Spezialzuständigkeit nach § 72a GVG vorgesehen ist. Die Landgerichte behalten „ihre“ Verfahren im Anwendungsbereich ihrer Spezialisierung (was ein stetiges Fallaufkommen auch bei kleineren Landgerichten sicherstellt), gleichzeitig werden sie von allgemeinen Eingängen merklich entlastet. Daneben bedarf es keines Pflasters in Form der ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts für nachbarrechtliche Ansprüche. Für diese gilt schlicht der Wert der Sache.

  1. Naturalparteien und die richterliche Fürsorgepflicht

Mit der Anhebung der Streitwertgrenze auf 10.000 € dürfte die Zahl der Naturalparteien steigen. Das klingt bürgerfreundlich – bedeutet in der Praxis aber mehr Aufgaben für das Gericht.

Denn nach § 139 ZPO trifft den Richter eine Hinweis- und Fürsorgepflicht: Sachvortrag ordnen, rechtliche Lücken aufzeigen, auf sachdienliche Anträge hinwirken. Wo Anwälte diese Filter- und Strukturarbeit nicht mehr übernehmen, muss am Amtsgericht der Richter diese Tätigkeit wohl vermehrt leisten, will man die rechtsschutzsuchenden Bürger nicht vor den Kopf stoßen.

Gerade deshalb braucht es Puffer: Entweder durch vereinfachte Verfahren mit geringeren Regeln (§ 495a ZPO reloaded) oder – als Alternative – durch einen Anwaltszwang ab 5.000 € auch vor dem Amtsgericht (was aber sehr gut überlegt sein sollte).

  1. Digitalisierung hilft – ersetzt aber nichts

Die eAkte ist vielerorts Realität, der elektronische Rechtsverkehr etabliert. Digitalisierung beschleunigt und erleichtert manche Abläufe – aber sie ersetzt nicht die Unmittelbarkeit der mündlichen Verhandlung.

Im Saal zeigt sich regelmäßig ein anderes Bild als in der Akte: Naturalparteien, die Struktur brauchen; Anwälte, die im Rechtsgespräch überzeugen, das Schaffen einer befriedigenden Lösung, die erst im persönlichen Austausch gelingt. Eine Videoverhandlung nach § 128a ZPO entfaltet nicht zuverlässig denselben Effekt, sie steht bei Lichte betrachtet dem schriftlichen Verfahren näher als der mündlichen Verhandlung. Die Vorstellung, die Digitalisierung würde den Zivilprozess retten, erscheint naiv.

Fazit:

Die 10.000-€-Grenze ist ein Schritt – aber kein großer Wurf. Ohne eine Bagatellgrenze (5.000 €), ohne Korrektur bei echten Kleinstverfahren (1.000 €) und ohne ehrliche Nutzung einer Spezialisierung wird die anstehende Reform mehr Lasten schaffen als sie beseitigt.

Bürgernähe heißt: einfach, wo es geht; spezialisiert, wo es nötig ist; unmittelbar, wo es zählt.

OLG Frankfurt a. M.: Entstehung einer Terminsgebühr

Das OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.5.2025 – 30 W 47/25 hat über die Entstehung der Terminsgebühr nach VV RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 bei Verweisung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren entschieden.

Der Kläger verklagte die Beklagte vor dem AG. Dieses ordnete im Einverständnis mit den Parteien das schriftliche Verfahren an (§ 128 Abs. 2 ZPO). Im Verkündungstermin verkündete das AG einen Verweisungsbeschluss an das LG. Dort wurde die Klage später zurückgenommen. Nachdem ein Kostenbeschluss ergangen war, beantragte die Beklagte die Terminsgebühr festzusetzen. Das LG lehnte dies ab. Dagegen wurde sofortige Beschwerde eingelegt.

Das OLG  setzte die Terminsgebühr fest! Voraussetzung für das Entstehen einer anwaltlichen Terminsgebühr ist gemäß Nr. 3104 I Nr. 1 VV RVG u. a., dass eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist und im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Der Rechtsstreit fiel nicht unter § 495a ZPO. Auf eine mündliche Verhandlung konnte daher grundsätzlich nicht verzichtet werden. Damit war die mündliche Verhandlung vorgeschrieben. Beide Parteien hatten sich gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. In dieser Sache wurde eine Entscheidung getroffen, nämlich ein Verweisungsbeschluss erlassen. Damit liegen die Voraussetzungen für das Entstehen einer Terminsgebühr vor.

Das Gericht hätte den Verweisungsbeschluss zwar auch ohne mündliche Verhandlung erlassen können (§ 128 Abs. 4 ZPO). Darauf kommt es jedoch nicht an. Das Gericht hat nach seinem Ermessen den Weg des schriftlichen Verfahrens gewählt. Die Parteien waren damit einverstanden. Anderenfalls hätten sie eine mündliche Verhandlung erzwingen können. Wird dieser Weg gegangen, fällt die Terminsgebühr eben an. Zwar hätte das AG das schriftliche Verfahren ohne weiteres wieder aufheben und den Beschluss gleichwohl erlassen können. Dann wäre die Terminsgebühr nicht angefallen. Derart ist das AG jedoch nicht verfahren. Maßgeblich ist nicht, was hätte geschehen können, sondern was geschehen ist. Es bleibt daher dabei: Die Terminsgebühr ist entstanden und damit nach Klagerücknahme gegen den Kläger festzusetzen.

Fazit: Die Terminsgebühr nach VV RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 entsteht auch dann, wenn das Gericht im schriftlichen Verfahren die Entscheidung trifft, den Rechtsstreit an ein anderes Gericht zu verweisen.