Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Befugnis zur Geltendmachung von Abwehransprüchen gegen Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums in einer Wohnungseigentumsanlage

Geltendmachung von Abwehransprüchen bei Wohnungseigentum
Urteil vom 28. Januar 2022 – V ZR 106/21

Mit der Abgrenzung der Befugnisse einzelner Eigentümer und der Gemeinschaft sowie mit den Übergangsregeln für Altfälle befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung im Dachgeschoss des Hinterhauses einer Wohnungseigentumsanlage. Die Beklagte betreibt im Erdgeschoss des Vorderhauses als Mieterin einen Supermarkt. Im Jahr 2008 erlaubte die Wohnungseigentümergemeinschaft der Beklagten durch einstimmigen Beschluss, die Durchfahrt zum Hinterhaus täglich für einige Stunden zum Abstellen von Lieferfahrzeugen zu benutzen. Die Wohnung der Klägerin ist diesen Zeiträumen nur über einen Fußweg mit Treppenstufen zu erreichen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verbot der Beklagten antragsgemäß das Abstellen von Fahrzeugen in der Durchfahrt.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, weil sie ihre Klage vor Inkrafttreten von § 9a WEG (d.h. vor dem 01.12.2020) erhoben und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer der weiteren Geltendmachung des Anspruchs nicht widersprochen hat.

Nach § 9a Abs. 2 WEG ist die Klägerin nur dann zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen befugt, wenn das beanstandete Verhalten zumindest auch ihr Sondereigentum beeinträchtigt. Diese Voraussetzung wäre im Streitfall nur dann erfüllt, wenn die Wohnung der Klägerin in den betroffenen Zeiträumen nicht mehr zugänglich wäre. Im Streitfall bleibt der Zugang über den Fußweg möglich. Dass dieser nicht barrierefrei ist, führt jedenfalls deshalb nicht zu einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung des Sondereigentums, weil die Wohnung ohnehin nur über das Treppenhaus erreichbar ist.

Nach altem Recht konnte ein einzelner Eigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum geltend machen, solange die Gemeinschaft diese Befugnis nicht durch Beschluss an sich gezogen hat.

Diese Befugnis des einzelnen Eigentümers bleibt nach den vom BGH entwickelten Übergangsregeln bei Klagen, die vor dem 01.12.2020 erhoben sind, grundsätzlich bestehen. Sie fällt aber weg, wenn die Gemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, der weiteren Geltendmachung im Hinblick auf die eingetretene Rechtsänderung widerspricht. Ob ein solcher Widerspruch auf einem wirksamen Beschluss beruht, ist unerheblich. Im Streitfall hat die Verwalterin lediglich auf den Beschluss aus dem Jahr 2008 verwiesen. Darin liegt kein auf das neue Recht gestützter Widerspruch.

Mit dem Beschluss aus dem Jahr 2008 hat die Gemeinschaft die Geltendmachung der Ansprüche schon auf der Grundlage des alten Rechts an sich gezogen. Dieser Beschluss steht der Klage – anders als ein auf das neue Recht gestützter Widerspruch – aber nur dann entgegen, wenn er wirksam ist. Hieran fehlt es im Streitfall, weil die Durchfahrt zugleich als Feuerwehrzufahrt dient und deshalb nach den einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung ständig freigehalten werden muss. Ein Eigentümerbeschluss, der gegen diese Vorschriften verstößt, ist nichtig, weil die verletzte Norm der Gefahrenabwehr und dem Brandschutz dient und ein Verstoß zugleich den Versicherungsschutz im Brandfall gefährden kann.

Wegen der Nichtigkeit des im Jahr 2008 gefassten Beschlusses ist die Klage nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Ohne Zustimmung der Eigentümer darf die Beklagte die Durchfahrt nicht zum Abstellen von Fahrzeugen nutzen.

Praxistipp: Auf der Grundlage des neuen Rechts ist ein einzelner Eigentümer in solchen Fällen auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Gemeinschaft beschränkt. Lehnt diese ein Vorgehen gegen den Dritten rechtswidrig ab, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.

KG zur Prozesskostenhilfe: Corona-Soforthilfe und Vermögensreserve

Eine interessante Entscheidung zu verschiedenen Fragen der Prozesskostenhilfe hat das KG (Beschl. v. 9.1.2021 – 16 W 154/21) getroffen. Der Antragstellerin stand ein Bankkonto mit einem recht hohen Guthaben zur Verfügung. Grundsätzlich sind Bankguthaben als Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzusetzen. Die Antragstellerin machte aber geltend, dennoch sei ihr Guthaben aus verschiedenen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Zunächst berieft sich die Antragstellerin darauf, 5.000 Euro für die Teilrückzahlung einer Corona-Soforthilfe seien kein einsatzpflichtiges Vermögen. Dem folgte das KG. Unpfändbares Vermögen ist auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht einzusetzen. Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Corona-Soforthilfe nicht pfändbar ist (BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – VII ZB 24/20, MDR 2021, 642 = MDR 2021, 661 [Meller-Hannich]). Was für die Hilfe selbst gilt, muss auch für einen erforderlichen Rückzahlungsbetrag gelten.

Einen weiteren Betrag hat das KG gleichfalls akzeptiert. Dieser Betrag betraf eine Umsatzsteuervorauszahlung, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens schließlich sogar fällig wurde.

Einen zusätzlichen Betrag, den die Antragstellerin noch berücksichtigt haben wollte, erkannte ihr das KG hingegen nicht zu. Diesen Betrag wollte die Antragstellerin für die innerhalb der nächsten fünf Wochen nach der Entscheidung fällige Einkommensteuervorauszahlung zurückhalten. In diesem Zusammenhang merkt das KG an, dass das Recht der Prozesskostenhilfe keine Vermögensreserve kennt. Die bloße Absicht eines Antragstellers, einen bestimmten Betrag für einen zukünftigen Zweck benutzen zu wollen, führt noch nicht dazu, dass dieser Betrag nicht als einsatzfähiges Vermögen angesetzt werden könnte. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die selbständige Antragstellerin bis zur Fälligkeit der Vorauszahlung weitere Einnahmen erzielen könnte.

Damit blieb abschließend nur noch der Freibetrag übrig. Dies sind 5.000 Euro für die Antragstellerin und weitere 500 Euro für jedes ihrer Kinder. Da jedoch nach Abzug der als Vermögen nicht zu berücksichtigenden Beträge immer noch ein recht hoher Betrag verblieb, wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da der Antragstellerin ein ausreichendes Vermögen zur Finanzierung des Prozesses zur Verfügung stand.

Fazit: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bezüglich der Corona-Soforthilfe ist dies sicherlich kaum angreifbar. Hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlung kann man sich natürlich auch der anderen Auffassung anschließen. Aber: Stichtag ist der Tag der Bewilligung oder eben der Ablehnung. Alles, was bis dahin seriös weg ist, ist eben weg. Und was noch da ist, ist eben noch da. Im Zweifel kann man auch, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, noch einen erneuten Antrag stellen. Eine ablehnende Entscheidung erwächst nicht in Rechtskraft und wenn sich die Verhältnisse geändert haben, ist er auch nicht mutwillig.

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Diese Woche geht es um die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Signatur eines fristgebundenen Schriftsatzes

Überprüfung eines zu signierenden Schriftsatzes
Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21

Mit den Anforderungen an die Überprüfung eines Dokuments vor dessen elektronischer Signatur befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte gegen ein Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Begründungsfrist ging ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandtes und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument seines Prozessbevollmächtigten ein, das mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das OLG hat die Versäumung der Begründungsfrist zu Recht als schuldhaft angesehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte den Schriftsatz vor der Signatur auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen müssen. Er durfte diese Aufgabe nicht an sein Büropersonal delegieren. Eine Überprüfung war auch deshalb nicht entbehrlich, weil ihm das vollständige Dokument kurz zuvor bereits vorgelegt worden war und er dieses nur zur Korrektur eines Tippfehlers auf der ersten Seite zurückgegeben hatte. Vielmehr musste er auch das korrigierte Dokument darauf überprüfen, ob es den richtigen Inhalt hat und alle Seiten umfasst.

Praxistipp: Der im Streitfall aufgetretene Fehler ist besonders tückisch, weil er bei der Unterschrift eines Papierdokuments wohl ohne weiteres auffallen würde. Um ihn zu vermeiden, sollte ein Signaturprogramm eingesetzt werden, das ein vollständiges Durchblättern des Dokuments ermöglicht.

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Diese Woche geht es um die prozessualen Konsequenzen einer erfolglosen Aufrechnung mit einer Fremdwährungsschuld

Konkludente Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts
Urteil vom 26. Januar 2022 – XII ZR 79/20

Mit den Anforderungen an die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB befasst sich der XII. Zivilsenat.

Der Kläger hatte an den Beklagten eine Gaststätte vermietet. Ein Jahr nach Vertragsbeginn stellte der Beklagte die Mietzahlungen ein. Der Kläger kündigte den Vertrag fristlos. Der Kläger klagte auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von rund 114.000 Euro. Der Beklagte erklärte die Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus einer behaupteten Sicherheitsleistung in Höhe von sieben Milliarden iranischen Rial (umgerechnet 190.000 Euro) und verlangte widerklagend rund 76.000 Euro. Das LG wies die Klage im Wesentlichen ab und gab der Widerklage im Wesentlichen statt. Das OLG verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Klagesumme und den Kläger auf einen entsprechenden Hilfsantrag des Beklagten zur Zahlung von sieben Milliarden iranischen Rial.

Der BGH schränkt die Verurteilung des Beklagten dahin ein, dass er die Klagesumme nur Zug um Zug gegen Zahlung des mit der Widerklage geltend gemachten Betrags erbringen muss.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die vom Beklagten erklärte Aufrechnung unwirksam ist. Der Anspruch auf Rückzahlung der Sicherheitsleistung besteht zwar. Er ist aber auf Zahlung in iranischen Rial gerichtet. Deshalb fehlt es an der Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen.

Entgegen der Auffassung des OLG ergibt sich indes schon aus den vom Beklagten gestellten Anträgen, dass er aufgrund seines Gegenanspruchs hilfsweise auch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend machen will. Einer ausdrücklichen Erklärung dieses Inhalts bedarf es in dieser Situation nicht.

Praxistipp: Sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, kann eine Fremdwährungsschuld gemäß § 244 Abs. 1 BGB durch Zahlung in Euro erfüllt werden. Dann der Schuldner der Fremdwährungsschuld (hier: der Kläger) auch gegen eine Euro-Forderung aufrechnen, nicht aber der Gläubiger.

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Diese Woche geht es um den Anspruch des Veranstalters auf Entschädigung nach Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn

Darlegungs- und Beweislast des Reiseveranstalters für Angemessenheit der Entschädigung
Urteile vom 18. Januar 2022 – X ZR 88/20, X ZR 109/20, X ZR 125/20

Mit den Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 651j BGB aF bzw. § 651h BGB nF sowie diesbezüglichen Auskunftsansprüchen des Reisenden befasst sich der X. Zivilsenat.

In den zugrunde liegenden Fällen waren Reisende von einem Pauschalreisevertrag vor Antritt der Reise zurückgetreten. Der Reiseveranstalter erstattete nur einen geringen Teil des bereits gezahlten Reisepreises und behielt den Rest als pauschale Entschädigung ein. Die Reisenden erhielten insoweit Leistungen aus einer Reiserücktrittskostenversicherung. Der Versicherer bzw. ein von diesem beauftragtes Inkassounternehmen nahmen den Reiseveranstalter auf Zahlung des einbehaltenen Betrags in Anspruch. In zwei der Fälle begehrten sie im Wege der Stufenklage vorab Auskunft und Rechnungslegung über die Höhe der ersparten Aufwendungen und der durch anderweite Verwendung der Reiseleistungen erzielten Erlöse sowie Vorlage der Verträge mit Leistungsträgern.

Die erstinstanzlichen Gerichte wiesen die Klage mangels Aktivlegitimation ab. Die zweitinstanzlichen Gerichte kamen zu drei unterschiedlichen Ergebnissen.

Der BGH weist die Klagen auf Auskunft, Rechnungslegung und Vorlage von Verträgen ab; in diesen Fällen muss das LG nunmehr über die Höhe des Zahlungsanspruchs entscheiden. Im dritten Fall bestätigt der BGH die zweitinstanzliche Verurteilung zur Zahlung des einbehaltenen Betrags.

Hinsichtlich der Frage der Aktivlegitimation schließt sich der X. Zivilsenat einer vor kurzem ergangenen Entscheidung des für Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats an, der einen gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 VVG bejaht hat.

Hinsichtlich der reiserechtlichen Fragen knüpft der BGH an seine Rechtsprechung an, wonach der Reiseveranstalter die Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der geforderten Entschädigung trägt. Bei individueller Berechnung muss der Veranstalter darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Aufwendungen er erspart hat und welche Reiseleistungen er anderweit verwenden konnte. Bei Pauschalierung in AGB muss er darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Möglichkeiten zur Ersparnis von Aufwendungen oder zur anderweiten Verwendung von Leistungen gewöhnlicherweise bestehen. Soweit sein Vortrag diesen Anforderungen nicht genügt, ist der Veranstalter zur Rückzahlung der einbehaltenen Entschädigung verpflichtet.

Vor diesem Hintergrund verneint der BGH einen einklagbaren Anspruch des Reisenden auf Auskunft und Rechnungslegung. Nach dem bis 30.6.2018 geltenden Recht kann sich ein solcher Anspruch nur aus § 242 BGB ergeben. Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil der Reisende die in Rede stehenden Informationen nicht benötigt, um seinen Erstattungsanspruch zu berechnen oder durchzusetzen. Nach der seit 1.7.2018 geltenden Regelung in § 651h Abs. 2 Satz 3 BGB ist der Reiseveranstalter zwar auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen. Auch diese Regelung betrifft aber nur die Darlegungs- und Beweislast und schafft keinen einklagbaren Auskunftsanspruch.

Praxistipp: Um mögliche Kostennachteile zu vermeiden, sollte der Reisende den Veranstalter schon vor Klageerhebung auffordern, die Höhe der Entschädigung zu begründen.

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Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Überprüfungspflicht des Anwalts nach mehrfachen Fehlern einer Kanzleiangestellten
Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21

Mit den Folgen von mehreren zutage getretenen Fehlern einer Kanzleiangestellten bei der Eintragung von Fristen befasst sich der IV. Zivilsenat.

Die Klägerin wendet sich gegen die Neuberechnung ihrer Startgutschrift in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. In mehreren Parallelverfahren hatten andere Versicherte entsprechende Ansprüche geltend gemacht. Einige davon hatten denselben Prozessbevollmächtigten wie die Klägerin.

Das LG wies die Klage ab. Hiergegen legte die Klägerin rechtzeitig Berufung ein, die innerhalb der Frist aber nicht begründet wurde. Die Klägerin begehrte Wiedereinsetzung, weil die mit der Fristenkontrolle betraute Kanzleiangestellte ihres Prozessbevollmächtigten die Frist trotz entsprechender Verfahrensanweisung nicht in den elektronischen Kalender eingetragen habe. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt erfolglos.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war zu einer persönlichen Überprüfung des Fristenkalenders verpflichtet. Die in Rede stehende Kanzleiangestellte hatte in vier Parallelverfahren die Begründungsfrist ebenfalls nicht in den Kalender eingetragen. Der Prozessbevollmächtigte hatte hiervon rund drei Wochen vor dem Ende der im Streitfall laufenden Frist Kenntnis erlangt. Von diesem Zeitpunkt an war der Prozessbevollmächtigte verpflichtet, die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in allen in Betracht kommenden Parallelverfahren zu überprüfen. Er durfte von einer vollständigen Überprüfung nicht deshalb absehen, weil in den zwei Wochen nach Bekanntwerden der vier Fehler keine weiteren Fehler zutage getreten waren.

Praxistipp: Nach Bekanntwerden eines Fehlers reicht die abstrakte Weisung, alles Erforderliche zu dessen Korrektur zu veranlassen, nicht aus. Erforderlich sind eine konkrete Benennung der zu ergreifenden Maßnahmen und die Überprüfung, ob diese ausgeführt worden sind.

Ergänzung des Vorbringens zu einem bereits aus dem Wiedereinsetzungsgesuch ersichtlichen Fehler einer Kanzleiangestellten
Beschluss vom 16. Dezember 2021 – V ZB 34/21

Mit der Abgrenzung zwischen einem unzulässigen Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen und der zulässigen Ergänzung rechtzeitigen Vorbringens befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger haben gegen ein ihnen ungünstiges Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt, diese aber nicht rechtzeitig begründet. Mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand machten sie geltend, die mit dem Versand betraute Kanzleiangestellte ihres Prozessbevollmächtigten habe die Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist vorab per Telefax versandt und entsprechend der Dienstanweisung auf Seitenzahl, Faxnummer des Empfangsgerichts und OK-Vermerk geprüft. Für den fehlenden rechtzeitigen Zugang müsse ein technischer Fehler des Empfangsgeräts ursächlich sein.

Das OLG wies darauf hin, aus dem vorgelegten Sendeprotokoll ergebe sich, dass die verwendete Telefax-Nummer hinsichtlich einer Ziffer von der Nummer des OLG abweiche, was darauf schließen lasse, dass die Angestellte keinen Abgleich mit einer zuverlässigen Quelle vorgenommen habe. Die Klägerin trug hierauf ergänzend vor, es bestehe die Anweisung, die verwendete Telefaxnummer vor dem Versand mit einem Originalschreiben des Empfängers oder einer anderen sicheren Quelle abzugleichen; der Fehler in der verwendeten Telefaxnummer beruhe auf einem Versehen der Angestellten im Einzelfall. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH gewährt den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das OLG durfte das ergänzende Vorbringen nach dem gerichtlichen Hinweis nicht unberücksichtigt lassen. Dass eine unzutreffende Faxnummer verwendet wurde, ergab sich – wie das OLG in seinem Hinweis mitgeteilt hat – schon aus dem Sendebericht, der fristgerecht mit dem Wiedereinsetzungsgesuch vorgelegt wurde. Aus diesem Gesuch ergab sich auch, dass der Prozessbevollmächtigte Anweisungen zur Überprüfung der Telefaxnummer erteilt hatte. Bei dieser Ausgangslage sind seine Angaben zum konkreten Inhalt dieser Anweisungen trotz Ablaufs der Wiedereinsetzungsfrist noch zulässig, weil sie der Ergänzung von fristgerechtem Vorbringen dienen, das erkennbar ergänzungsbedürftig und ergänzungsfähig ist.

Praxistipp: Als zuverlässige Quelle für den Abgleich der Telefaxnummer kommt auch ein aktuelles Verzeichnis in Betracht, nicht aber ein beliebiges, nicht vom Adressaten stammendes Schreiben in der Handakte. Ein Abgleich vor dem Versand genügt. Ein erneuter Abgleich nach dem Versand ist grundsätzlich nicht erforderlich.

OLG Hamm: Anfechtung einer gemischten Kostenentscheidung und zur Prüffrist der Kfz-Haftpflichtversicherung

Mit einigen interessanten und alltäglichen Fragen hat sich das OLG Hamm (Beschl. v. 19.10.2021 – I-7 W 11/21) befasst. Im Rahmen eines Verkehrsunfalls war darüber zu befinden, ob der Geschädigte zu früh geklagt hatte. Das LG hat eine verfrühte Klage bejaht und dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt. Die Kostenentscheidung beruhte überwiegend auf § 91a ZPO (soweit die Beklagte zu 1), dies war die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 2) bezahlt hatte). Durch den streitigen Teil der Entscheidung war der Kläger allerdings nur mit 350 Euro beschwert. Der Kläger legte gleichwohl Berufung und sofortige Beschwerde ein.

Die Berufung ist offensichtlich unzulässig, da es an der erforderlichen Mindestbeschwer von mehr als 600 Euro fehlt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Wunsch des Klägers, die Kostenentscheidung des LG auch insoweit zu Fall zu bringen, ändert daran nichts. Denn gemäß § 99 Abs. 1 ZPO ist eine Kostenentscheidung nicht anfechtbar, wenn über die Hauptsache durch Urteil entschieden wurde, dieses Urteil aber nicht anfechtbar ist. Der Anteil der Kosten, über den streitig entschieden wurde, verbleibt daher bei dem Kläger. Anders sieht es mit dem Teil der Kosten aus, über den das LG nach § 91a ZPO entschieden hat. Dieser Teil kann gemäß § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die sofortige Beschwerde (die erforderliche Beschwer war hier gegeben) angefochten werden.

Im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde konnte unproblematisch festgestellt werden, dass sich die Beklagte in Verzug befunden hat, denn der Rechtsanwalt des Klägers hatte mehrfach gemahnt. Allerdings muss einer Haftpflichtversicherung eine angemessene Prüfungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche zugestanden werden. Diese Frist kann nicht allgemein festgelegt werden, sondern ist vom Einzelfall abhängig. Hier war das geparkte Fahrzeug des Klägers durch ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug beschädigt worden. Es handelte sich damit um einen einfach gelagerten Sachverhalt mit einer klaren Haftungslage. Der Klägervertreter hatte bei der Geltendmachung der Ansprüche bereits den Polizeibericht mitgeschickt. Unter diesen Umständen hält das OLG eine Frist von vier Wochen, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen war, für angemessen und ausreichend. Die Inverzugsetzung der Beklagten zu 1) (der Versicherung) wirkt hier – entgegen § 425 Abs. 2 BGB –auch gegen den Beklagten zu 2), und zwar aufgrund der in den AKB eingeräumten Regulierungsvollmacht.

Demgemäß ändert das OLG die Kostenentscheidung des LG ab und legt den Beklagten als Gesamtschuldner den überwiegenden Kostenanteil auf. Lediglich der rechtkräftig gewordene Anteil verbleibt bei dem Kläger.

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Diese Woche geht es um die Rechtsscheinhaftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Verwendung des Zusatzes „UG (haftungsbeschränkt)“

Vertreterhaftung bei Vertragsschluss ohne haftungsbeschränkenden Zusatz
Urteil vom 13. Januar 2022 – III ZR 210/20

Mit den Konsequenzen eines Verstoßes gegen § 5a Abs. 1 GmbHG befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger zeichnete im Jahr 2013 auf Empfehlung des als Prokurist einer Unternehmergesellschaft (UG) tätigen Beklagten eine Kapitalanlage. Bei der Liquidation des Fonds im Jahr 2017 verlor der Kläger das zu diesem Zeitpunkt eingelegte Kapital in Höhe von 41.000 Euro. Ferner musste er eine weitere Einlage in Höhe von 9.500 Euro erbringen. Diese Beträge verlangt er vom Beklagten wegen fehlerhafter Beratung ersetzt. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haftet der Beklagte für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch persönlich. Er hat den Anlageberatungsvertrag mit dem Kläger zwar im Namen der UG geschlossen. Weil er bei der Korrespondenz nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Haftungszusatz „UG (haftungsbeschränkt)“ verwendet hat, haftet er gemäß § 311 Abs. 2 und 3 sowie entsprechend § 179 BGB aber persönlich. Er hat durch dieses Verhalten den Eindruck erweckt, für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte mindestens eine natürliche Person.

Praxistipp: Die Haftung trifft jeden Vertreter, der einen Vertrag im Namen der Gesellschaft schließt, ohne den vorgeschriebenen Zusatz zu verwenden, nicht aber weitere, nicht am Vertragsschluss beteiligte Repräsentanten der Gesellschaft (BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593). Die volle persönliche Haftung tritt auch dann ein, wenn eine UG den Zusatz „GmbH“ verwendet (BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, MDR 2012, 1178).

BGH: Prozesskostensicherheit im Vollstreckbarkeitsverfahren sowie im Aufhebungsverfahren bezüglich eines Schiedsspruchs

Die in der Republik China ansässige Antragsgegnerin war durch ein Schiedsgericht der ICC durch inländischen Schiedsspruch u. a. verurteilt worden, an die Antragstellerin, die in der Republik Österreich ansässig ist, hohe Beträge zu zahlen. Im Vollstreckbarkeitsverfahren hatte das OLG Frankfurt a. M. den Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt und den Aufhebungsantrag der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin legt Rechtsbeschwerde ein. Die Antragstellerin beantragte daraufhin in der Rechtsbeschwerdeinstanz, der Antragsgegnerin die Erbringung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben. Der BGH wies mit Beschl. v. 23.9.2021 – I ZB 21/21, MDR 2022, 191 diesen Antrag zurück.

Erst am Ende der Entscheidung weist der BGH daraufhin, dass der Antrag ohnehin verspätet war. Die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten ist eine verzichtbare Zulässigkeitsrüge und muss daher für alle Rechtszüge vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache erhoben werden. Eine Entscheidung über die Sicherheitsleistung ergeht einheitlich für alle Rechtszüge. Entsprechend § 296 Abs. 3 ZPO ist eine spätere Erhebung der Einrede nur zulässig, wenn entweder die Voraussetzungen der Erhebung der Einrede erst später eingetreten sind oder die Einrede ohne Verschulden nicht erhoben wurde. Dabei gilt § 85 Abs. 2 ZPO, d. h. ein Verschulden des Anwalts wird der Partei zugerechnet. Ein solches Verschulden liegt hier vor, da der Bevollmächtigte der Antragstellerin dies hätte wissen müssen.

Der BGH nutzt jedoch tatsächlich diese Gelegenheit, um sich auch in der Sache mit der Zulässigkeit dieser prozessualen Einrede zu befassen. Im Vollstreckbarkeitsverfahren kann die Einrede nicht erhoben werden. Dies hat der BGH bereits zum alten Schiedsverfahrensrecht entschieden. Stellt der Antragsgegner im Rahmen des Vollstreckbarkeitsverfahrens einen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruches gegen den Antragsteller, kann die Einrede gleichfalls nicht erhoben werden. Dies ergibt sich bereits aus der formalisierten Betrachtungsweise: Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO betrifft die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nur den Kläger, gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht den Widerkläger. Nichts anderes gilt vorliegend.

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Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen einer Schiedsgutachtenabrede und einem selbständigen Beweisverfahren

Kein selbständiges Beweisverfahren bei Schiedsgutachtenabrede
Urteil vom 26. Januar 2022 – VII ZR 19/21

Mit den Anforderungen aus § 485 Abs. 2 ZPO befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Antragstellerin beauftragte die Antragsgegnerin im Jahr 2017 mit der Neuerrichtung einer Autobahnbrücke. In der Folgezeit erhob sie zahlreiche Rügen in Bezug auf Stahlbauteile und den Fertigungsprozess. Im April 2020 verlangte die Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 18 Abs. 4 VOB/B eine Schiedsuntersuchung durch eine staatliche anerkannte Prüfstelle. Elf Tage später begehrte die Antragstellerin die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens. Die Antragstellerin hält das Begehren wegen der Schiedsgutachtenvereinbarung für unzulässig.

Der Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Das OLG ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen von § 485 Abs. 1 ZPO schon deshalb nicht vorliegen, weil ein Verlust von Beweismitteln nicht zu besorgen ist. Der Antrag wäre deshalb nur dann zulässig, wenn die Antragstellerin ein rechtliches Interesse an der Beweiserhebung im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO hätte.

Ein solches Interesse hat das OLG wegen der in § 18 Abs. 4 VOB/B enthaltenen Schiedsgutachtenvereinbarung zu Recht verneint. Mit einer solchen Vereinbarung bringen die Vertragsparteien zum Ausdruck, dass die für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblichen Feststellungen gerade nicht auf gerichtlichem Wege getroffen werden sollen. Hieran muss sich eine Vertragspartei jedenfalls dann festhalten lassen, wenn sich die andere auf die Abrede beruft.

Praxistipp: Der Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens führt gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB zur Hemmung der Verjährung. Anders als nach § 203 BGB ist hierbei unerheblich, ob sich der Gegner auf das Verfahren einlässt.