EuGH zu Cordoba: Urheber sind doch nicht vogelfrei!

Urheber haben das Recht zu entscheiden, wie mit ihren Werken verfahren werden können. Die Verwertungsrechte ergeben sich aus den §§ 15 ff UrhG. Dazu gehört auch das Recht, ein Werk öffentlich zugänglich zu machen gem. § 19a UrhG, der wohl heute bedeutendsten Nutzungsart durch die Bereitstellung im Internet.

Eine Vielzahl von Entscheidungen hat sich mit dem auseinandersetzen müssen, was durch die heutige Technik alles möglich geworden ist, sich dabei stets fragen müssen: Ist das ein öffentliches Zugänglichmachen? Der EuGH hat dabei eine Vielzahl von Kriterien geschaffen, anhand derer eine Beurteilung stattfindet. Der eigentlich auf den ersten Blick einleuchtende Begriff wurde damit massiv verkompliziert und vielen Wertungsfragen (= Raum für Sonderfälle) verknüpft.
Die bisherigen Erkenntnisse:

  • Das Verlinken auf eine fremde Website ist außer in Ausnahmefällen kein (neues) öffentliches Zugänglichmachen, denn es wird keine neue Öffentlichkeit erreicht. Es war bereits vorher im Netz öffentlich zugänglich (EuGH Beschl. v. 21.10.2014 – C-348/13 – „BestWater“).
  • Das Einbinden fremder Inhalte durch Einbetten (wie z.B. ein iFrame) ist (außer in Sonderfällen der Umgehung von Zugangssperren) kein öffentliches Zugänglichmachen (EuGH Urteil vom 21.10.2014 – C-348/13).

Wie sieht es aber aus, wenn ein irgendwo (!) im Netz frei zugängliches Bild auf einem anderen Server neu hochgeladen wird? Grundlage des Falles war eine Veröffentlichung eines Referates auf einer Schulwebsite. Der Schüler hatte die Fotos aber schlicht im Internet „gemopst“.  Der BGH war sich ob der vorausgehenden Rechtsprechung des EuGH nicht sicher, ob dieser Fall eine Urheberrechtsverletzung darstellt oder nicht und legte dies dem EuGH vor. Grund hierfür war, dass das Foto dem (vermeintlich) gleichen Publikum (Internetnutzer) auf die gleiche technische Art und Weise bereits zugänglich war, nämlich auf der Website des Urhebers.

Hätte der EuGH hier ein öffentliches Zugänglichmachen abgelehnt, wäre das der Anfang vom Ende des Urheberrechtsschutzes gewesen. Es träte quasi mit der ersten Veröffentlichung eines Werkes im Internet die digitale Erschöpfung ein, ohne dass der Urheber – anders als in den Link- und Einbettungsfällen – noch Einfluss auf die Nutzung des Werkes hätte.

Der EuGH hat folglich heute, wie erwartet, hier ein öffentliches Zugänglichmachen mit gewichtigen Argumenten bejaht.

31      Im Ergebnis wäre somit das Werk des Urheberrechtsinhabers, selbst wenn er beschlösse, es nicht mehr auf der Website wiederzugeben, auf der es ursprünglich mit seiner Zustimmung wiedergegeben worden ist, weiterhin auf der Website zugänglich, auf der die neue Einstellung erfolgt ist. Der Gerichtshof hat aber bereits betont, dass der Urheber eines Werks die Möglichkeit haben muss, die Ausübung seiner Rechte zu dessen Nutzung in digitaler Form durch einen Dritten zu beenden und dem Dritten dadurch jede künftige Nutzung dieses Werks in digitaler Form zu untersagen, ohne zuvor andere Förmlichkeiten beachten zu müssen (vgl. entsprechend Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke, C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 51).

32      Zweitens sieht Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 ausdrücklich vor, dass sich das Recht der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht mit den in dieser Vorschrift genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit erschöpft.

33      Ginge man aber davon aus, dass, wenn auf einer Website ein Werk eingestellt wird, das zuvor auf einer anderen Website mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers wiedergegeben worden ist, dieses Werk keinem neuen Publikum zugänglich gemacht wird, liefe dies darauf hinaus, eine Regel über die Erschöpfung des Rechts der Wiedergabe aufzustellen.

34      Eine solche Regel widerspräche nicht nur dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29, sondern nähme dem Urheberrechtsinhaber die im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie genannte Möglichkeit, eine angemessene Vergütung für die Nutzung seines Werkes zu verlangen, obwohl, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, der spezifische Gegenstand des geistigen Eigentums insbesondere den Inhabern der betreffenden Rechte den Schutz der Befugnis gewährleisten soll, das Inverkehrbringen oder die Zugänglichmachung der Schutzgegenstände dadurch kommerziell zu nutzen, dass gegen Zahlung einer Vergütung Lizenzen erteilt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 107 und 108).

35      Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist in Anbetracht der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Einstellung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf eine andere Website als die, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt ist, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als Zugänglichmachung eines solchen Werks für ein neues Publikum einzustufen ist. Denn unter solchen Umständen besteht das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werks auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, nur aus den Nutzern dieser Website und nicht aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers eingestellt worden ist, oder sonstigen Internetnutzern.

Diese Entscheidung entspricht wohl dem gesunden Menschenverstand und – ausweislich der Formulierung des Vorlagebeschlusses des BGH – auch der dortigen Vermutung.

(EuGH Urt. v. 07.08.2018, C‑161/17)

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Um die formellen Mindestanforderungen an den Inhalt eines Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Erkennbarkeit der Berufungsanträge in Zurückweisungsbeschluss
Urteil vom 12. Juni 2018 – II ZR 229/16

Der II. Zivilsenat stellt klar, dass ein mit Rechtsmitteln anfechtbarer Beschluss, mit dem eine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 zurückgewiesen wird, denselben formellen Inhaltsanforderungen unterliegt wie ein Berufungsurteil.

Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der Mehrheitsgesellschafterin der insolventen GmbH und deren ehemaligem Geschäftsführer Ersatz wegen einer Zahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens. Das LG verurteilte die beiden Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 24.750 Euro. Das OLG wies die Berufung der Beklagten nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurück.

Der BGH verweist die Sache aus formellen Gründen an das OLG zurück. Um eine Überprüfung in der Revisionsinstanz zu ermöglichen, muss ein mit Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbares Berufungsurteil erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel begehrt hat. Diese Anforderungen gelten auch für einen mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbaren Beschluss, mit dem die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. Hierbei reicht es aus, wenn der nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erteilende Hinweis die erforderlichen Angaben enthält und das Gericht im Zurückweisungsbeschluss darauf Bezug nimmt. Im Streitfall ließ sich weder dem Zurückweisungs- noch dem Hinweisbeschluss entnehmen, was die Beklagten mit ihrer Berufung anstrebten. Deshalb war der Beschluss ohne Sachprüfung aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. In seiner „Segelanweisung“ führt der BGH ergänzend aus, dass die vom LG angestellten Erwägungen rechtlich nicht tragfähig sind, der geltend gemachte Anspruch nach entsprechender Aufklärung des Sachverhalts unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten aber dennoch begründet sein kann.

Praxistipp: Nach der derzeit bis 31.12.2019 befristeten Regelung in § 26 Nr. 8 EGZPO ist eine Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen statthaft, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

BGH zur Erstattungfähigkeit von anwaltlichen Reisekosten oder: Kennen Sie die Insel Neuwerk?

Kennen Sie die Insel Neuwerk? Ein beschauliches Stückchen Land in der Elbe- und Wesermündung, ca. 12 Kilometer vor der Küste Cuxhavens und auch zu Fuß über das Watt zu erreichen. War sie einst Zufluchtsort für einen großen Viehdieb, was 1535 zu einer Erstürmung der Insel führte (mehr zur Geschichte der Insel), könnte Sie nun ganz anderen Personen Unterschlupf gewähren: Rechtsanwälten im Rahmen der Reisekostenabrechnung oder genauer gesagt: Den von Ihnen vertretenen Parteien.

Grundsätzlich (mit Ausnahmen) gilt: der Gegner muss nur die Reisekosten des eigenen Anwalts im Obsiegensfalle erstatten, wenn dieser entweder am Gerichtsort oder am Wohnsitz der eigenen Partei ansässig ist.  Eine weitere Ausnahme gilt bei Wettbewerbsverbänden. Hier seien Besprechungen zwischen Verband und Rechtsanwalt regelmäßig nicht erforderlich, lediglich ein im Gerichtsbezirk ansässiger Rechtsanwalt sei ersatzfähig.

Neu ist nun, dass fiktiv eine Prüfung erfolgt, welche Reisekosten im Gerichtsbezirk maximal hätten anfallen können, bis zu dieser Höhe könne eine Erstattung verlangt werden:

Tatsächlich angefallene Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts sind insoweit notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO und damit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei eine Rechtsanwältin mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte.

Aus der Hüfte geschossen dürfte eine längere Recherche zur größtmöglichen Entfernung am Amtsgericht Berlin-Mitte eher wenig lohnenswert sein. Eine Spezialität dürfte sich aber für die Gerichte ergeben, die in Hamburg-Mitte angesiedelt sind. Zum Bezirk Hamburg-Mitte gehört nämlich auch die Insel Neuwerk. Je nach Verkehrslage ist die kürzeste Entfernung nach Cuxhaven-Sahlenburg 127 – 220 km, dazu kommen dann noch 10 km Wattweg zur Insel Neuwerk.

Dieses ziemlich schräge Bild passt auch in die ansonsten an der Entscheidung des BGH geübte Kritik z.B. vom Kollegen Christian Franz

Das Landgericht Pinneberg ist übrigens für die Insel Helgoland zuständig, wobei eine Anreise ohne Boot oder Flugzeug schwierig erscheint.

BGH, Beschl. v. 9.5.2018 – I ZB 62/17
Update: Die Lösung ist da! https://gerichtsbezirke.de/

 

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Um grundlegende Anforderungen an die Zulässigkeit einer Berufung geht es in dieser Woche.

Festhalten an erstinstanzlich vertretener Rechtsauffassung
Beschluss vom 7. Juni 2018 – I ZB 57/17

Der I. Zivilsenat sieht eine Berufung, die auf die bloße Wiederholung einer in erster Instanz erfolglos vertretenen Rechtsauffassung gestützt wird, als zulässig an.

Das LG hatte eine auf Unterlassung bestimmter Werbemaßnahmen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Mit ihrer Berufung wiederholte die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen, an der in der Klageschrift benannten Adresse könnten auch an solchen Tagen Zustellungen vorgenommen werden, an denen ihr Geschäftsführer nicht anwesend sei, weil die Mitarbeiter eines anderen, an derselben Adresse ansässigen Unternehmens entsprechend bevollmächtigt seien. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Berufung ist zwar grundsätzlich unzulässig, wenn der Berufungskläger lediglich seinen erstinstanzlichen Tatsachenvortrag wiederholt, ohne sich mit abweichenden Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auseinanderzusetzen. Ist der Berufungskläger in erster Instanz aus rechtlichen Gründen erfolglos geblieben, genügt es aber, wenn er seine bereits in erster Instanz vertretene Rechtsauffassung erneut darlegt. Im Streitfall beruhte die erstinstanzliche Klageabweisung allein auf der rechtlichen Erwägung, die vorgetragene Bevollmächtigung reiche zur Begründung einer ladungsfähigen Anschrift nicht aus. Deshalb durfte die Klägerin ihre Berufungsbegründung auf die Wiederholung ihrer abweichenden Rechtsauffassung beschränken.

Praxistipp: Ungeachtet der relativ großzügigen Mindestanforderungen sollte sich der Berufungskläger in seiner Rechtsmittelbegründung vorsorglich auch mit der rechtlichen Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts auseinandersetzen.

Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands
Beschluss vom 21. Juni 2018 – V ZB 254/17

Der V. Zivilsenat bekräftigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die fristgerechte Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands nicht zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Berufung gehört.

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte beschlossen, die Außenfassade des bisher in grün gehaltenen Gebäudes grau anstreichen zu lassen. Die Anfechtung dieses Beschlusses blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Ein Berufungskläger muss zwar gemäß § 511 Abs. 3 ZPO darlegen und glaubhaft machen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands die für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels maßgebliche Wertgrenze (600 Euro, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt. Anders als bei einer Nichtzulassungsbeschwerde führt ein Verstoß gegen diese Obliegenheit aber nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Vielmehr muss das Berufungsgericht den Wert auch ohne Glaubhaftmachung auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen schätzen. Im Streitfall sah sich der BGH außer Stande, die Schätzung selbst vorzunehmen. Auch wenn es nur um die Farbe geht, kann zwar der auf den Kläger entfallenden Anteil an den Kosten des Neuanstrichs als Anhaltspunkt genommen werden. Aus dem für die Rechtsbeschwerdeinstanz relevanten Tatsachenvorbringen ließ sich aber nicht entnehmen, wie hoch die maßgeblichen Gesamtkosten sind.

Praxistipp: Um eine ihm ungünstige Schätzung zu vermeiden, sollte der Berufungskläger stets bestrebt sein, die Überschreitung der Wertgrenze eingehend vortragen und glaubhaft machen.

 

BGH: Aussetzung eines Rechtsstreites bis zur Zustellung einer Streitverkündung

Der BGH (Urt. v. 22.3.2018 – I ZR 76/17) hatte über eine Klage aufgrund von Geschmacksmusterverletzungen wegen Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz zu entscheiden. Die Beklagte verkündete im Laufe des Prozesses einer Firma mit Sitz in der Volksrepublik China und einer weiteren Firma mit Sitz in Taiwan (Republik China) den Streit. Die Zustellung in Taiwan scheiterte, ein Zustellungsnachweis bezüglich der versuchten Zustellung in der Volksrepublik China ist bisher noch nicht zu der Verfahrensakte gelangt. Die Beklagte verlor den Prozess in den Tatsacheninstanzen.

Die Beklagte hatte allerdings beantragt, das Verfahren bis zur Zustellung der Streitverkündungen auszusetzen. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Der BGH billigt dies. Ein Fall des § 148 ZPO liegt hier nicht vor. Eine Aussetzung ist nur im Hinblick auf einen Prozess oder ein Verfahren möglich, das von dem Ausgangsverfahren verschieden ist. Bei einer Streitverkündung handelt es sich aber nicht um eine anderes Verfahren, sondern um einen innerprozessualen Vorgang im Ausgangsrechtsstreit.

Es könnte daher lediglich erwogen werden, § 148 ZPO analog anzuwenden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine Aussetzung zu einem Verfahrensstillstand führt und damit effektiver Rechtsschutz während der Zeit der Aussetzung nicht erfolgen kann. Die Regelung des § 148 ZPO ist daher aufgrund dieser Umstände als abschließend zu verstehen. Soweit vereinzelt in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine Aussetzung im Hinblick auf eine Streitverkündung für zulässig erachtet worden war, betraf dies Aussetzungen im Hinblick auf Streitverkündungen in anderen Verfahren.

Somit steht fest: Ein Rechtsstreit kann nicht gemäß § 148 ZPO bis zur Zustellung einer Streitverkündung ausgesetzt werden, auch nicht in analoger Anwendung dieser Vorschrift. Trifft das Gericht mithin eine Entscheidung, obwohl die Streitverkündung noch nicht zugestellt wurde, werden durch diese Verfahrensweise die Rechte auf ein faires Verfahren, auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Allerdings wird man sich durchaus die Frage stellen müssen, ob dies auch gilt, wenn eine Zustellung einer Streitverkündung unproblematisch möglich ist (z. B. im Inland) und den Prozess nur geringfügig verzögert. Eine förmliche Aussetzung dürfte dann im Übrigen gar nicht erforderlich sein, weil all dies noch im Rahmen eines „normalen“ Verfahrensablaufes liegt.

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Um das Spannungsverhältnis zwischen Auskunfts- und Geheimhaltungsinteressen unterschiedlicher Mandanten eines Rechtsanwalts geht es in dieser Woche.

Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte
Urteil vom 17. Mai 2018 – IX ZR 243/17

Der IX. Zivilsenat bejaht einen grundsätzlichen Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der gesamten Handakte seines Rechtsanwalts.

Die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft hatte eine später insolvent gewordene Gesellschaft in zwei Verfahren gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klage des Insolvenzverwalters auf Herausgabe der Handakten dieser Verfahren blieb vor dem AG und dem LG erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Nach § 675 und § 667 BGB hat ein Rechtsanwalt an seinen Mandanten grundsätzlich alles herauszugeben, was er aus Anlass der Mandatsausübung erhalten hat. Dazu gehören seine Handakten. Ein Anspruch ist zwar ausgeschlossen, soweit der Anwalt durch die Herausgabe der Akten seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber anderen Mandanten verletzen würde. Persönliche Geheimhaltungsinteressen von dritten Personen, die an Besprechungen beteiligt waren, reichen hierfür aber nicht aus. Der Anwalt darf sich auch nicht auf die Behauptung beschränken, die Handakte enthalte Schriftstücke von Personen, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe. Er muss zumindest aufzeigen, inwiefern das Mandat Berührungspunkte zu anderen Mandaten haben kann. Ferner muss er darlegen, weshalb er entgegen § 50 Abs. 1 BRAO für die unterschiedlichen Mandate nicht gesonderte Handakten geführt hat.

Praxistipp: Schon beim Ablegen eines Schriftstücks in eine Handakte sollte nach Möglichkeit sichergestellt werden, dass darin keine Geheimnisse eines anderen Mandanten enthalten sind.

Frist für Gegenvorstellung bei Anfechtung des Streitwerts

Der BGH hält eine Gegenvorstellung gegen eine Streitwertfestsetzung für grundsätzlich statthaft. Zulässig ist die Gegenvorstellung seiner Auffassung nach aber nur, wenn sie innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingelegt wird (so etwa BGH v. 29.06.2017 – I ZB 90/15). Hierbei wendet der BGH §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG an (so etwa BGH v. 29.06.2017 – I ZB 90/15). Diese Auffassung hat der BGH aktuell noch einmal bestätigt (BGH v. 13.03.2018 – IV ZB 135/16; BGH v. 30.05.2018 – IV ZB 461/15).

Allerdings hätte es wohl näher gelegen, die für die Anhörungsrüge (§ 69a GKG) gesetzlich geregelte Frist von 2 Wochen entsprechend heranzuziehen. Die von dem BGH bevorzugte Auslegung führt dazu, dass die Anhörungsrüge nur binnen einer Frist von 2 Wochen erhoben werden kann, indes für die Einlegung der Gegenvorstellung 6 Monate Zeit bleibt.

 

 

 

 

 

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Um eine immer wieder auftretende Frage geht es in dieser Woche.

Berufung per Fax an die Referendarabteilung
Beschluss vom 6. Juni 2018 – IV ZB 10/17

Der IV. Zivilsenat ergänzt die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer wirksamen Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax.

Der Kläger wendet sich gegen die Abweisung seiner Klage in erster Instanz. Sein Anwalt übermittelte die Berufungsschrift am letzten Tag der Frist kurz vor 17 Uhr per Telefax. Die hierzu verwendete Faxnummer ist der Referendarabteilung des Berufungsgerichts zugewiesen, die in einem anderen Gebäude untergebracht ist als gerichtliche Abteilung. Die Referendarabteilung leitete den Schriftsatz am nächsten Arbeitstag per Telefax an die gemeinsame Briefannahmestelle weiter. Das Berufungsgericht verwarf das Rechtsmittel als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Anders als die Vorinstanz kommt er zu dem Ergebnis, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt wurde, weil die Berufungsschrift bereits durch die Übermittlung an die Referendarabteilung in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt ist. Als Berufungsgericht in diesem Sinne sind grundsätzlich alle zu diesem Gericht gehörenden Organisationsabteilungen anzusehen, unabhängig von ihrer konkreten Aufgabe und dem Ort ihrer Unterbringung. Ob etwas anderes gilt, wenn das Gericht die für die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze zu benutzende(n) Faxnummer(n) bekanntgegeben und die Verwendung anderer Nummern hinreichend deutlich ausgeschlossen hat, lässt der BGH offen. Ein solcher Ausschluss ergibt sich jedenfalls weder daraus, dass das Gericht eine veröffentlichte Faxnummer als solche der Referendarabteilung kennzeichnet, noch aus dem Umstand, dass es eine gemeinsame Briefannahmestelle gibt.

Praxistipp: Um mögliche Probleme zu vermeiden, sollte vor der Verwendung einer Faxnummer sorgfältig geprüft werden, ob das Gericht auf seinen Internetseiten oder in einer sonst üblichen Weise die Verwendung bestimmter Nummern vorgegeben hat.

Referentenentwurf für ein Mietrechtsanpassungsgesetz

Auf der Homepage des Deutschen Mietgerichtstages ist ein Referentenentwurf des BMJV vom 04.06.2018 für Mietrechtsänderungsgesetz ansteuerbar: www.mietgerichtstag.de/2018/06/05/referentenentwurf-eines-mietrechtsänderungsgesetzes/

Der Entwurf sieht eine Verschärfung der Mietpreisbremse, eine Reduzierung der Mieterhöhung nach Modernisierung sowie Regelungen zur Wohnfläche vor.

Bei der Mietpreisbremse sollen Mieter aufgrund einer neuen vorvertraglichen Auskunftsverpflichtung des Vermieters bereits bei Begründung des Mietverhältnisses erfahren können, ob der Vermieter sich auf eine Ausnahme, insbesondere eine höhere Vormiete, beruft bzw. später berufen kann. Eine nach seiner Ansicht zu hohe Miete muss der Mieter dem Vermieter nach dem Entwurf nur noch in einfacher Weise mitteilen („rügen“); Tatsachen, auf denen die Beanstandung der vereinbarten Miete beruht, muss der Mieter dann nicht mehr vortragen.

Weiterhin schlägt der Entwurf vor, wie die Wohnfläche zu berechnen sein soll, wenn die Vertragsparteien diese als Sollbeschaffenheit der Mietsache vereinbaren. Die Vertragsparteien können für die Berechnung der Wohnfläche wählen zwischen den Vorschriften der §§ 42 bis 44 der Zweiten Berechnungsverordnung, der Wohnflächenverordnung und anerkannten Regeln der Technik zur Berechnung der Wohnfläche. Haben die Vertragsparteien keine Vereinbarung über die Berechnung der Wohnfläche getroffen, wird vorgeschlagen, dass die Wohnfläche in Anlehnung an die
Berechnungsvorschriften für preisgebundene Wohnungen zu berechnen ist.

BGH zur Unterzeichnung eines Schriftsatzes mit „i. A.“

Der BGH hat sich in einer Entscheidung (Urt. v. 27.2.2018 – XI ZR 452/16) mit der Unterzeichnung eines Schriftsatzes mit dem Zusatz „i. A.“ befasst.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde: Eine Berufung wurde vor Fristablauf eingelegt. Im Briefkopf des Schriftsatzes hieß es: Rechtanwälte T., Ts., M. und Dr. T. Im Rubrum wurden die Parteivertreter als Rechtsanwälte T. Ts. & Partner bezeichnet. Unterzeichnet war die Berufungsschrift allerdings mit S. Darunter war vermerkt: „i. A. S. Rechtanwältin Freie Mitarbeiterin“. Das Gericht leitete die Berufungsschrift weiter, ohne Bedenken geltend zu machen. Nachdem jedoch der Prozessgegner Bedenken geäußert hatte, wurde vorgetragen, S. sei auch von der Partei mit der Einlegung der Berufung beauftragt worden, der Zusatz „i. A.“ kennzeichne nur das Auftragsverhältnis der S zur Kanzlei. Das Berufungsgericht entschied in der Sache, wohingegen der BGH dieses Urteil aufhebt und die Berufung verwirft.

Klar ist, dass das Revisionsgericht, selbst auf die Revision des Berufungsklägers hin (!), ohne Verstoß gegen die „reformatio in peius“ die Berufung noch als unzulässig verwerfen kann. Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet der Zusatz „i. A.“, dass der Unterzeichner nicht die Verantwortung für den Schriftsatz übernehmen, sondern lediglich als Erklärungsbote auftreten möchte. Dabei ist gleichgültig, ob der Zusatz gedruckt oder handgeschrieben ist. Unschädlich ist der Zusatz lediglich dann, wenn der Unterzeichner Mitglied der Sozietät ist, weil er dann ohnehin selbst beauftragt ist. Dies muss sich aber alles aus der Rechtsmittelschrift ergeben, andere Unterlagen können dafür nicht herangezogen werden. Hier ergab sich daraus jedoch lediglich, dass Rechtsanwältin S. gerade nicht Mitglied der Sozietät war.

Ein Wiedereinsetzungsantrag hätte keinen Erfolg: S hätte all dies wissen müssen. Eine Hinweispflicht des Gerichts auf den fraglichen Umstand nach Eingang der Berufung ginge zu weit.

Damit bleibt es dabei: S. war hier nur als Erklärungsbotin anzusehen. Die Berufung war unzulässig und damit auch in der Revisionsinstanz noch zu verwerfen.

Fazit: Man sieht es hier einmal wieder, dass der Zusatz „i. A.“ „tödlich“ sein kann. Dies hat sich offensichtlich noch immer nicht überall herumgesprochen. Ganz sicher geht, wer als Rechtsanwalt diesen Zusatz immer (betone: immer!) vermeidet. Dasselbe gilt für andere Zusätze, mit denen man sich von dem Schriftsatz distanziert, z. B. „auf ausdrückliche Weisung der Partei“ o. ä. Der Rechtanwalt muss nämlich die Verantwortung für seine Schriftsätze übernehmen.