Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine häufig auftretende Frage, deren Beurteilung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, geht es in dieser Woche.

Prozessuale Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten
Beschluss vom 12. September 2018 – VII ZB 56/15

Der VII. Zivilsenat hält an den vom BGH entwickelten Grundsätzen zur Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten fest.

Die Klägerin hatte gegen den beklagten Wasserverband Ansprüche auf restlichen Werklohn aus einem Bauvorhaben in Höhe von über 460.000 Euro geltend gemacht. Zur Begründung ihrer Ansprüche hatte die Klägerin vorgerichtlich ein von ihr eingeholtes Privatgutachten und einen darauf gestützten Klageentwurf übersandt. Zur Vorbereitung eine Stellungnahme gab die Beklagte ihrerseits zwei Privatgutachten in Auftrag. Hierfür fielen Kosten in Höhe von rund 65.000 Euro an. Die später erhobene Klage blieb zum weitaus überwiegenden Teil erfolglos. Im Kostenfestsetzungsverfahren erkannte das LG die Gutachterkosten zuletzt als notwendig an. Die dagegen erhobene Beschwerde der Klägerin blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH verweist auf seine über Jahrzehnte hinweg entwickelte Rechtsprechung, wonach die Kosten eines vorprozessual eingeholten Privatgutachtens ausnahmsweise als notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind und eine wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Maßnahmen, die die Kosten ausgelöst haben, als sachdienlich ansehen durfte. Der vom OLG angedeuteten Kritik, das Kostenfestsetzungsverfahren sei als schematisiertes Massenverfahren für die Beurteilung dieser Fragen nicht ohne weiteres geeignet, tritt der BGH entgegen. Er hält die maßgeblichen Kriterien für hinreichend konkret und stellt klar, dass nur die Situation im Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen maßgeblich ist, nicht aber das Ergebnis oder die Qualität der Begutachtung oder der nachfolgende Prozessverlauf. Im Streitfall waren die Maßnahmen unmittelbar prozessbezogen, weil die Klägerin durch Übersendung eines Klageentwurfs ihre Klageabsicht hinreichend deutlich zu erkennen gegeben hatte. Die Beklagte durfte die Einholung eines Privatgutachtens als sachdienlich ansehen, weil eine Stellungnahme zu dem von der Klägerin eingeholten Gutachten Fachkenntnisse erforderte, über die die Beklagte nicht verfügte.

Praxistipp: Um den unmittelbaren Zusammenhang mit dem bevorstehenden Rechtsstreit belegen zu können, sollten die Umstände und der Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtenauftrags möglichst umfassend schriftlich dokumentiert werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine selten beachtete, potentiell aber äußerst bedeutsame Frage geht es in dieser Woche.

Anschrift des Klägers bei juristischen Personen
Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16

Mit einer stets einzuhaltenden, aber selten problematisierten Anforderung an die ordnungsgemäße Klageerhebung befasst sich der I. Zivilsenat.

Die klagende GmbH nahm die Beklagte wegen irreführender Werbung für Matratzen in Anspruch. Das LG wies die Klage als unzulässig ab, weil in der Klageschrift nur die Anschrift eines Dienstleisters angegeben war, der Post für die Klägerin entgegennimmt, nicht aber der tatsächliche Geschäftssitz der Klägerin. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen muss zur Bezeichnung einer klagenden Gesellschaft nicht zwingend deren tatsächlicher Geschäftssitz angegeben werden. Es genügt, wenn die Gesellschaft durch die angegebene Anschrift eindeutig identifiziert wird und unter dieser Anschrift wirksam Zustellungen vorgenommen werden können. Diese Voraussetzungen sind in der Regel bei der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn an dieser Anschrift nur ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter der Gesellschaft anzutreffen ist, sofern dieser zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigt ist.

Praxistipp: Die Anschriften von Klägern und Beklagten müssen in der Klageschrift auch dann angegeben werden, wenn die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten sind.

BGH: Stellungnahmefrist zu einem Sachverständigengutachten

In einem Prozess ging es um komplexe Fragen der Schadensverursachung durch ein Bauvorhaben der Beklagten an einem anderen Bauwerk, dessen Eigentümer die Kläger sind. Die Beklagte hatte fristgemäß gegen ein zuvor von dem OLG eingeholtes Ergänzungsgutachten Bedenken geltend gemacht. Um diese Einwände näher geltend zu machen, hatte die Beklagte eine mehrmonatige Fristverlängerung beantragt. Sie wollte einen Privatgutachter mit der Ausformulierung von Einwänden gegen das Gutachten des Gerichtssachverständigen beauftragen. Diese Fristverlängerung lehnt das OLG ab, da die Beklagte ein sachkundiges Bauunternehmen sei und eine so lange Frist mit der Prozessförderungspflicht nicht zu vereinbaren sei. Weiterhin zahlte die Beklagte den von dem OLG geforderten Vorschuss für die von ihr beantragte Anhörung des Sachverständigen nicht ein. Die Beklagte verlor dann den Prozess, da das OLG einen bereits bestimmten Termin nicht aufhob, sondern abhielt und entschied.

Die Revision der Beklagten hatte wieder einmal mit einer Gehörsrüge Erfolg. Betrifft ein Sachverständigengutachten schwierige Fragen, muss den Parteien natürlich die erforderliche Gelegenheit gegeben werden, um zu dem Gutachten Stellung nehmen zu können. Dies ist selbstverständlich. Die Länge der hierfür zu gewährenden Frist hängt auch davon ab, ob die Partei ihrerseits einer sachverständigen Beratung bedarf, um ihre Stellungnahme abzugeben. Hier führt die Tatsache, dass es sich bei der Beklagten um ein Bauunternehmen handelt, nicht dazu, dass sich die Beklagte auch mit den hier maßgeblichen konkreten und schwierigen Bodenkundefragen auskennen müsste. Der Beklagten hätte daher eine längere Frist eingeräumt werden müssen, damit diese sich sachverständig hätte beraten lassen können. Auch ein Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht durch die Beklagte ist nicht erkennbar. Zwar hatte die Beklagte bestimmte Unterlagen erst eher spät vorgelegt, jedoch war die Beklagte nicht gemäß § 282 Abs. 1 ZPO zur Vorlage dieser Unterlagen verpflichtet und eine gerichtliche Anordnung, diese Unterlagen vorzulegen, ist nicht rechtzeitig erfolgt. Nicht relevant ist auch die Nichtzahlung des Vorschusses für die beantragte Anhörung des Sachverständigen, weil der ursprünglich bestimmte Termin auch bei rechtzeitiger Zahlung des Vorschusses nicht hätte durchgeführt werden dürfen, da die Beklagte ja noch innerhalb der zu verlängernden Frist hätte Stellung nehmen können.

Fazit: Diese Entscheidung ist nicht ganz unproblematisch. Sie gibt den Parteien, vor allem den wirtschaftlich stärkeren Parteien, die Möglichkeit, einen Prozess erheblich zu verschleppen. Wenn man genug schreibt, hat man immer die Möglichkeit, triviale Fragen zu wissenschaftlich hochkomplexen Fragestellung hoch zu stilisieren. Der Prozessgegner ist in derartigen Fällen dann oftmals machtlos. Vor lauter Gewährung von rechtlichem Gehör darf man nicht vergessen, dass ein Prozess auch einmal eines Endes bedarf. Mindestens eine der Parteien hat daran in aller Regel ein wirklich großes Interesse. Dieses Interesse droht die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der beständigen Ausdehnung des rechtlichen Gehörs in alle nur denkbaren Richtungen aus dem Auge zu verlieren. Die immer wieder neue und ständig erweiterte Gewährung des rechtlichen Gehörs sollte daher nicht unbedingt zum Maß aller Dinge werden.

BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZR 153/17

Montagsblog: Neues vom BGH

Um einen seit langem etablierten, in neuerer Zeit aber zunehmend in die Kritik geratenen Grundsatz geht es in dieser Woche.

Formlose Änderung eines Grundstückskaufvertrags nach bindender Auflassung
Urteil vom 14. September 2018 – V ZR 213/17

Mit den Grenzen des Formerfordernisses aus § 311b BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte von der klagenden Bauträgerin drei noch zu sanierende Eigentumswohnungen gekauft. Der notarielle Kaufvertrag enthielt zugleich die Auflassungserklärung beider Parteien und den Umschreibungsantrag der Beklagten. Der Notar war angewiesen, eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der Auflassungserklärung nur nach Nachweis der vollständigen Zahlung des Kaufpreises zu erteilen. Die Beklagte behielt in der Folgezeit rund 9 % des Kaufpreises ein. Die auf Zahlung dieses Betrags gerichtete Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Das OLG sprach dem Kläger hingegen rund die Hälfte der Klagesumme zu.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision der Beklagten an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bedurfte die von der Beklagten behauptete Vereinbarung über eine Minderung des Kaufpreises nicht der notariellen Beurkundung. Nach § 311b BGB bedarf zwar auch die Änderung eines Grundstückskaufvertrags grundsätzlich der notariellen Form. Dies gilt nach etablierter, schon auf das Reichsgericht zurückgehender Rechtsprechung aber nicht, wenn die Auflassung bereits erklärt ist. Die in der Literatur geäußerte Kritik, dass diese Rechtsprechung den modernen Gegebenheiten eines Bauträgervertrags nicht gerecht werde, hält der BGH für unbegründet. Er hält es für einen Wegfall des Formerfordernisses weiterhin für ausreichend, dass die Vertragsparteien die zur Übertragung des Eigentums erforderlichen Leistungshandlungen vorgenommen haben; auf den Eintritt des Leistungserfolgs – also den Übergang des Eigentums – komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

Praxistipp: Angesichts der Ungewissheit, die aus der Möglichkeit einer formfreien Änderung resultieren kann, dürfte es in der Regel vorzugswürdig sein, von einer sofortigen Auflassung abzusehen, wenn nicht absehbar ist, wann die Voraussetzungen für die Eigentumsumschreibung erfüllt sein werden. Dafür anfallende Mehrkosten könnten sich als gute Investition erweisen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung trotz der dafür geltenden hohen Anforderungen durchaus Erfolg haben kann, zeigt die aktuelle Entscheidung aus dieser Woche.

Eintragung einer Vorfrist bei Fristverlängerungsantrag
Beschluss vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17

Mit den Anforderungen an die Fristensicherung bei einem Fristverlängerungsantrag befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin legte fristgerecht Berufung ein. Auf ihren Antrag verlängerte des LG die Frist zur Begründung des Rechtsmittels. Bis zum Ablauf der verlängerten Frist ging eine Begründung nicht ein. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die mit der Führung des Fristenbuchs beauftragte, ausgesprochen zuverlässige und gewissenhafte Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten habe nach Eingang des Beschlusses über die Fristverlängerung weder die verlängerte Frist (damals noch rund vier Wochen) noch die vom Prozessbevollmächtigten verfügte Wiedervorlagefrist von zwei Wochen in das Fristenbuch eingetragen, weil sie aufgrund vorhandener Einträge im Fristenbuch davon ausgegangen sei, die Verfügung sei bereits erledigt. Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gewährt der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anwalt, der sich bei der Überwachung von Fristen der Hilfe von Mitarbeitern bedient, diese grundsätzlich durch allgemeine Organisationsanweisung anhalten muss, im Fristenbuch bei oder alsbald nach Stellung eines Antrags auf Fristverlängerung sowohl das (als solches gekennzeichnete) hypothetische Ende der beantragten verlängerten Frist als auch eine Vorfrist einzutragen. Die Vorfrist soll es dem Anwalt ermöglichen, den bevorstehenden Ablauf der Frist zu überprüfen und den innerhalb der Frist einzureichenden Schriftsatz zu fertigen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat seinen Kanzleibetrieb nicht in dieser Weise organisiert. Dies ist ihm aber nicht anzulasten, weil er andere Weisungen erteilt hat, bei deren ordnungsgemäßer Ausführung die Wahrung der Frist in gleichem Maße sichergestellt gewesen wäre. Diese Maßnahmen bestanden zum einen in der allgemeinen Weisung, vom Anwalt bestimmte Wiedervorlagefristen zu notieren und die betreffenden Akten innerhalb der Frist dem Anwalt vorzulegen, zum anderen in der Anordnung einer Wiedervorlagefrist von zwei Wochen. Bei ordnungsgemäßer Ausführung dieser beiden Weisungen hätte der Anwalt noch zwei Wochen Zeit gehabt, um die Berufungsbegründung anzufertigen und einzureichen.

Praxistipp: Der Antragsteller muss alle Maßnahmen, die der Anwalt zur Wahrung der Frist veranlasst hat, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vortragen und glaubhaft machen.

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Um die Zulässigkeit eines Beitritts als Streithelfers geht es in der Jubiläums-Ausgabe des Blogs.

Beitritt zum Rechtsstreit einer Personengesellschaft
Beschluss vom 3. Juli 2018 – II ZB 28/16

Mit den Voraussetzungen für einen Beitritt als Streithelfer befasst sich der II. Zivilsenat.

Die Antragstellerin ist an einem Immobilienfonds beteiligt, der die Rechtsform einer Personengesellschaft nach französischem Recht hat. Gemeinsam mit mehreren anderen Fonds nimmt die Gesellschaft die Beklagten wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten auf Schadensersatz in Anspruch. Die Antragstellerin hat den Beitritt zum Rechtsstreit als Streithelferin „ihrer“ Gesellschaft erklärt. Sowohl die Klägerinnen als auch die Beklagten sind dem entgegengetreten. Das LG ließ die Nebenintervention zu, das OLG wies sie auf Beschwerde der Parteien zurück.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt erfolglos. Als Gesellschafterin eines der klagenden Fonds hat die Antragstellerin zwar ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits, weil ein Erfolg der Klage den Wert ihres Geschäftsanteils erhöhen kann. Es fehlt aber an dem nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderlichen rechtlichen Interesse, weil der Ausgang des Rechtsstreits keine Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Antragstellerin zur Gesellschaft oder zu Dritten hat. Dass die Beklagten zu einem späteren Zeitpunkt im Wege der Widerklage ihrerseits Schadensersatzansprüche gegen die klagenden Gesellschaften geltend gemacht haben und die Antragstellerin für diese Verbindlichkeiten gegebenenfalls persönlich haftet, vermag der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dieser Umstand kann zwar ein rechtliches Interesse an einem Beitritt auf Seiten der Widerbeklagten begründen. Bei einem Rechtsstreit mit mehreren unterschiedlichen Streitgegenständen ist die Zulässigkeit des Beitritts aber für jeden Streitgegenstand gesondert zu beurteilen.

Praxistipp: Über die Zulässigkeit einer Nebenintervention entscheidet das Gericht gemäß § 71 ZPO nur dann, wenn eine Partei deren Zurückweisung beantragt.

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Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer äußerst sorgfältigen Begründung bedarf, belegt die in dieser Woche vorgestellte Entscheidung.

Eintrag im Fristenkalender und Erledigungsvermerk in der Handakte
Beschluss vom 12. Juni 2018 – II ZB 23/17

Mit den Sorgfaltspflichten des Anwalts bei Anweisung und Überwachung seiner mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Mitarbeiter befasst sich der II. Zivilsenat.

Der in erster Instanz erfolglos gebliebene Kläger ließ durch seinen – erstmals für die zweite Instanz mandatierten – Prozessbevollmächtigten fristgerecht Berufung einlegen. Eine Berufungsbegründung ging innerhalb der dafür maßgeblichen Frist nicht ein. Auf Hinweis des OLG machte der Kläger geltend, sein Prozessbevollmächtigter habe seine erfahrene und ansonsten zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte angewiesen, eine Akte anzulegen und die (jeweils konkret bezeichneten) Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung zu notieren. Die Angestellte habe beide Fristen auf dem Urteilsausdruck notiert, jedoch nur die Frist für die Einlegung in das Fristenbuch eingetragen. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt erfolglos. Ein Rechtsanwalt muss seine mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Mitarbeiter anweisen, eine Frist zunächst in den Kalender einzutragen und erst danach einen Erledigungsvermerk oder eine damit vergleichbare Notiz in der Handakte anzufertigen. Im Streitfall hat der Kläger im Wiedereinsetzungsgesuch nicht vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter eine solche Weisung erteilt hat. Dies wäre zwar unschädlich, wenn der Prozessbevollmächtigte eine ordnungsgemäße Einzelweisung erteilt hätte. Hierzu hätte er seiner Mitarbeiterin aber ebenfalls aufgeben müssen, die Frist zuerst im Kalender und erst danach auf dem Urteilsausdruck zu vermerken. Dass die im Streitfall erteilte Weisung diesen Inhalt hatte, ergab sich aus dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht. Eine Ergänzung nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ist nicht zulässig.

Praxistipp: Ein Wiedereinsetzungsgesuch hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn darin alle Maßnahmen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die nach der Rechtsprechung zur Einhaltung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten erforderlich sind. Dies betrifft auch vermeintlich selbstverständliche Punkte.

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Um die verfahrensrechtlichen Konsequenzen eines abgelehnten Befangenheitsgesuchs geht es im (urlaubsbedingt etwas verspäteten) Montagsblog in dieser Woche

Säumnis trotz anhängiger Verfassungsbeschwerde gegen Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs
Urteil vom 5. Juli 2018 – IX ZR 264/17

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit den Wirkungen einer anhängigen Verfassungsbeschwerde für ein laufendes Zivilverfahren.

Der klagende Rechtsanwalt und die Beklagte machten wechselseitig Forderungen aus einem beendeten Mandatsverhältnis geltend. In zweiter Instanz verpflichtete sich der Kläger in einem gerichtlichen Vergleich zur Zahlung von 16.000 Euro. Kurz danach focht er den Vergleich an. Nach Terminsbestimmung lehnte er die Mitglieder des Berufungssenats wegen Befangenheit ab. Dieses Gesuch wies das OLG in anderer Besetzung zurück. Dagegen legte der Kläger Verfassungsbeschwerde ein. Zu dem vom OLG anberaumten Verhandlungstermin erschien er nicht. Das OLG stellte durch erstes Versäumnisurteil fest, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist. Den Einspruch des Klägers, der wiederum nicht zur Verhandlung erschien, verwarf das OLG als unzulässig.

Die Revision des Klägers bleibt erfolglos. Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, dass das OLG mit einer Entscheidung in der Sache zuwarten würde, bis das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde entschieden hat. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs war nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar. Deshalb waren die abgelehnten Richter dazu berufen, der Sache Fortgang zu geben. Eine Aussetzung analog § 148 ZPO kam nicht in Betracht.

Praxistipp: Ein Befangenheitsgesuch gegen einen erstinstanzlichen Richter ist nach der Rechtsprechung des BGH erst mit Ablauf der Beschwerdefrist oder mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts endgültig erledigt.

OLG Düsseldorf: Niederschlagung entstandener Gerichtskosten wegen unrichtiger Sachbehandlung

Ein Einzelrichter des LG hatte sich einer Mindermeinung angeschlossen. Dies führte dazu, dass eine Partei mehr Gerichtskosten zahlen musste als es nach der absolut herrschenden Meinung der Fall gewesen wäre. Das Anfallen des Gebührentatbestandes war offenbar nicht mehr rückgängig zu machen (leider war hierzu im veröffentlichten Teil der Entscheidung nichts Näheres dazu lesen).

Demgemäß stellte die betroffene Partei (der Kostenschuldner) den Antrag, die entstandenen Gerichtskosten wegen unrichtiger Sachbehandlung niederzuschlagen. § 21 GKG spricht allerdings nicht von „Niederschlagung“ der Kosten, sondern von einer Nichterhebung derselben. In der Praxis wird jedoch überwiegend von einer Niederschlagung gesprochen. Das Verfahren diesbezüglich richtet sich – wie die Erinnerung und Beschwerde gegen eine Kostenrechnung – nach § 66 GKG. Nachdem dann das LG die Nichterhebung abgelehnt hatte, gelangte die Frage über die Beschwerde nach § 66 Abs. 2 GKG zum OLG.

Das OLG (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.2.2018 – I-10 W 26/18) lehnt eine Nichterhebung gleichfalls ab. Eine unrichtige Sachbehandlung liegt vor, wenn offensichtliche schwere Verfahrensfehler oder eine offensichtliche, eindeutige Verkennung des Rechts vorliegen. Wenn sich aber ein Richter aufgrund seiner persönlichen Überzeugung dazu entschließt, von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen, ist dies jedenfalls dann keine unrichtige Sachbehandlung, wenn der eingenommene Standpunkt juristisch als noch vertretbar erscheint. Lediglich wenn Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die den breiten richterlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum eindeutig überschreiten, kommt eine Nichterhebung wegen unrichtiger Sachbehandlung in Betracht. Diese Voraussetzungen lagen im konkreten Fall jedoch nicht vor.

Gemäß § 66 Abs. 8 GKG werden in diesem Verfahren keine Kosten erstattet, Gebühren fallen gleichfalls keine an.

Nachdem doch mitunter herrschende Meinungen als Mindermeinungen anfangen, bevor sie zur herrschenden Meinung mutieren, kann man dies schwerlich anders sehen. Beim Kostenschuldner wird allerdings eine gewisse Verärgerung wohl zurückbleiben.

Der „New Deal for Consumers“. Genügt die Musterfeststellungsklage den Anforderungen?

Am 1. 11. 2018 tritt in Deutschland das Gesetz über die Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft (BGBl. vom 17. Juli 2018, S. 1151). Am 11. April 2018 legte die Europäische Kommission im Rahmen des „New Deal for Consumers“ einen Richtlinienvorschlag für eine Verbandsklage zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen vor (COM(2018) 184 final).

 

Falls die Richtlinie erlassen wird – hält die Musterfeststellungsklage ihren Vorgaben stand oder sind Revision und Erweiterung des deutschen Gesetzes notwendig?

 

  1. Feststellung und Leistung

 

Der Richtlinienentwurf sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbandsklagen zur Erwirkung eines Abhilfebeschlusseserhoben werden können; dieser soll Unternehmer unter anderem zu Entschädigungs-, Reparatur- oder Ersatzleistungen, Preisminderungen oder Kaufpreiserstattungen verpflichten.

 

Die Richtlinie gibt also ausdrücklich vor, dass Klagen auf Leistung des Unternehmers gerichtet werden können. Insoweit besteht für die Mitgliedstaaten keine andersgeartete Option: Sie müssen sicherstellen, dass verpflichtende Abhilfebeschlüsse möglich sind.

 

Nur ausnahmsweise („Abweichend von Absatz 1…“) und in hinreichend begründeten Fällen kann statt eines Abhilfebeschlusses ein reiner Feststellungsbeschluss ergehen. Hierzu verlangt Art. 6 Abs. 2, dass sich die Quantifizierung individueller Ansprüche aufgrund der Natur des individuellen Schadens komplex gestaltet. Im Falle eines Feststellungsbeschlusses müssen für die Rechtsschutzklagen einzelner Verbraucher beschleunigte und vereinfachte Verfahren zur Verfügung stehen (Art. 10 Abs. 3).

 

Es gibt es außerdem eine Gegenausnahme („…Absatz 2 gilt nicht…“) in Art. 6 Abs. 3, und zwar für den Fall identifizierbarer vergleichbar geschädigter Verbraucher (lit. a) und im Falle geringfügiger Verluste (lit. b). Hier genügt ein reiner Feststellungsbeschluss auch dann nicht, wenn es sich um komplexe Schäden handelt. In den beiden Fällen des Abs.3 ist zudem vorgesehen, dass eine Klage nicht am fehlenden Mandat der betroffenen Verbraucher scheitern darf (dazu sogleich 2.)

 

Da die deutsche Musterfeststellungsklage nicht auf Leistung gerichtet ist (§ 606 ZPOneu) und sich an sie auch keine geregelte Entschädigungsphase anschließt, entspricht sie den Vorgaben des Richtlinienvorschlags nicht. Ihr fehlt die als Grundsatz im Richtlinienentwurf vorgesehene, auf Verpflichtung eines Unternehmers gerichtete klageweise Abhilfe. Der europäische Entwurf geht hier deutlich über die deutsche Musterfeststellungsklage hinaus.

 

  1. Opt in vs. Opt out

 

Die Richtlinie sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 vor, dass die Mitgliedstaaten das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucher vor Erlass eines Feststellungs- oder Abhilfebeschlusses verlangen können. Das bedeutet zum einen, dass das Opt in-Modell nicht zwingend ist; die Mitgliedstaaten können auch auf das Erfordernis eines individuellen Mandats verzichten. Zum anderen bedeutet es, dass der Zeitpunkt des Opt in flexibel gehandhabt werden kann: Es muss nicht vor Verfahrenseinleitung bzw. innerhalb einer bestimmten Frist danach mandatiert werden. Ein Mandat bis zum Zeitpunkt vor Erlass des Beschlusses genügt.

 

Ein Opt in-Modell, wie es die deutsche Musterfeststellungsklage mit einer Kombination aus Quoren für Betroffene (§ 606 Abs. 2 Nr. 2 ZPOneu) und Anmelder (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPOneu) sowie Fristen zur Anmeldung (§ 608 Abs. 1 ZPOneu) und Rücknahme der Anmeldung (608 Abs. 3 ZPOneu) vorsieht, entspricht also grundsätzlich den Ansätzen des Richtlinienentwurfs.

 

Zu beachten ist freilich, dass der Richtlinienvorschlag in einigen Fällen ausdrücklich vorsieht, dass die Klage am fehlenden Mandat der individuell Betroffenen nicht scheitern darf. Hierbei handelt es sich um den bereits erwähnten Fall des vergleichbaren Schadens, verursacht durch eine gleiche Praktik und ein bestimmtes Ereignis (Zeitraum oder Kauf), Art. 6 Abs. 3 lit a. In diesem Fall ist das Mandat des einzelnen betroffenen Verbrauchers keine Bedingung für die Klageerhebung. Eine reine Feststellungsklage ist, wie erwähnt (oben 1.), ausgeschlossen. Die Abhilfe muss dem einzelnen Betroffenen zu Gute kommen.

 

Zudem handelt es sich um den ebenfalls erwähnten Fall des geringfügigen Verlusts, bei dem die Entschädigung im Übrigen einem öffentlichen Zweck zugute kommen muss, der den Kollektivinteressen der Verbraucher dient, Art. 6 Abs. 3 lit.b. Auch hier darf, wie erwähnt (oben 1.), die Klage nicht nur auf Feststellung gerichtet sein.

 

In beiden Fällen ist die Vorgabe eines zwingenden Mandats der betroffenen Verbraucher vor Klageerhebung (Art. 6 Abs. 3 lit. a) bzw. im gesamten Verfahren (Art. 6 Abs. 3 lit. b) nicht gestattet. Im Fall von lit. a darf das Mandat insofern zumindest keine Voraussetzung für die Klageerhebung sein. Ein spätes Opt in zu verlangen, wäre also möglich (ErwGr 20). Eine Klageerhebung muss jedenfalls auch ohne ein solches Opt inzulässig sein.

 

Letzterer Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. b – geringfügiger Verlust und Zuführung der Entschädigung an einen öffentlichen Zweck) dürfte cum grano salis die deutsche Gewinn-/Vorteilsabschöpfung nach § 10 UWG bzw. § 34a GWB entsprechen. Sie ist in der Tat eine sinnvolle Möglichkeit des Umgangs mit Streuschäden, zumindest wenn ihre Voraussetzungen nicht zu hoch angesetzt werden.

 

Erstere Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. a – vergleichbarer Schaden und identifizierbare Verbraucher) bietet die deutsche Musterfeststellungsklage nicht an. Auch in einem solchen Fall kann bei ihr nicht auf das notwendige Quorum der betroffenen Verbraucher verzichtet werden. Auch hier genügt die deutsche Musterfeststellungsklage also den Grundsätzen des Richtlinienentwurfs nicht.

 

  1. Verjährungshemmung und Breitenwirkung

 

Art. 11 des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass es zur Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung im Hinblick auf alle betroffenen Verbraucher kommt. Rechtskräftig festgestellte Verstöße gelten außerdem als unwiderlegbar nachgewiesen, sodass eine generelle Bindungswirkung für Folgeklagen vorgesehen ist (Art. 10). Die deutsche Musterfeststellungsklage beschränkt die Verjährungshemmung (§ 204 Nr. 1a BGBneu) und die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils (§ 613 Abs. 1 ZPOneu) auf die angemeldeten Verbraucher. Auch hier fehlt es also an Konformität zum Richtlinienentwurf.

 

  1. Klagebefugnis

 

Der Richtlinienentwurf lässt ein durch jedwede qualifizierte Einrichtung eingeleitetes Verfahren zu. In Deutschland wird die Klagebefugnis im Hinblick auf Mitgliederanzahl, Eintragungszeitraum, Zwecksetzung der Klage sowie Finanzierung des Verbandes deutlich eingeschränkt (§ 606 Abs. 1 Nr. 1-5 ZPOneu).  Ausweislich ErwGr 10 sollen die Mitgliedstaaten solche Kriterien im Rahmen der Voraussetzung „nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet“ tatsächlich festlegen können. Nach Art. 4 Abs. 4 können die Mitgliedstaaten zudem festlegen, dass qualifizierte Einrichtungen nur eine oder mehrere Maßnahmen erwirken können. Insoweit dürfte die Klagebefugnis der Musterfeststellungsklage damit konform sein.

 

  1. Ergebnis

 

Die deutsche Musterfeststellungsklage entspricht in ihrem Ausschluss von Leistungsverpflichtungen und ihrer Beschränkung auf ein reines Opt in-Modell sowie in der begrenzten verjährungshemmenden Wirkung und Wirkung des Entscheids nicht den Vorgaben des Richtlinienentwufs. Zumindest Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Beschränkung der klagebefugten Einrichtungen.

Caroline Meller-Hannich und Elisabeth Krausbeck