Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Zuweisungsgehalt eines Wohnungsrechts.

Kein Wertersatz für Nutzung einer Wohnung unter Verletzung eines Wohnungsrechts
BGH, Urteil vom 23. März 2023 – V ZR 113/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber eines Wohnungsrechts und dem Grundstückseigentümer.

Die Parteien sind Geschwister. Ihre im Jahr 2003 verstorbene Mutter hatte dem Beklagten im Jahr 1976 ein Grundstück übertragen und sich an der Wohnung im Untergeschoss ein im Grundbuch eingetragenes Wohnungsrecht zugunsten ihrer selbst und der Klägerin vorbehalten. Die Klägerin und ihre Mutter haben dieses Recht nie ausgeübt. Ab den 90er Jahren vermietete der Beklagte die Wohnung an Dritte. Im Jahr 2011 bezog er sie selbst. Im Jahr 2020 wurde er auf Antrag der Klägerin zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt. Nunmehr verlangt die Klägerin Nutzungsersatz für den Zeitraum von Januar 2017 bis zum Auszug. Die Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Das OLG wies sie in vollem Umfang ab.

Die Revision der Klägerin bleibt erfolglos.

Der Beklagte war und ist zur Nutzung der Wohnung allerdings nicht berechtigt. Aus dem Grundbuch geht zwar nicht hervor, dass das eingetragene Recht zur Nutzung unter Ausschluss des Eigentümers berechtigt, wie dies § 1093 BGB für ein Wohnungsrecht vorsieht. Aus der Bezeichnung als Wohnungsrecht ergibt sich im Zweifel aber auch ohne ausdrückliche Bestimmung, dass nur der Inhaber des Rechts zur Nutzung berechtigt ist. Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall abweichend hiervon nur ein Recht zur Mitnutzung (ein so genanntes Wohnnutzungsrecht als besondere Ausprägung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit) bestellt worden ist, sind nicht ersichtlich.

Dennoch stehen der Klägerin wegen der Nutzung der Wohnung durch den Beklagten keine Bereicherungsansprüche zu. Der Beklagte hat die Wohnung zwar ohne rechtlichen Grund genutzt. Er hat diesen Vorteil aber nicht auf Kosten der Klägerin erlangt. Der der Inhaber eines Wohnungsrechts ist nicht berechtigt, die Wohnung zur Nutzung an Dritte zu überlassen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Eigentümer, der die Wohnung unbefugt vermietet, aus diesem Grund nicht zur Herausgabe der erlangten Miete verpflichtet. Aus demselben Grund scheidet auch ein Anspruch auf Herausgabe erlangter Vorteile durch eigene Nutzung aus.

Ein Herausgabeanspruch kann auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 987 ff. BGB hergeleitet werden. Diese Vorschriften sind auf das Verhältnis zwischen dem Inhaber eines Wohnungsrecht und dem Eigentümer des Grundstücks nicht anwendbar, weil dem Wohnungsberechtigten die Nutzung der Wohnung nicht uneingeschränkt zusteht.

Praxistipp: Die unbefugte Nutzung begründet einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB. Ein ersatzfähiger Schaden kann insbesondere vorliegen, wenn der Wohnungsberechtigte aufgrund des schädigenden Verhaltens Mehraufwendungen tätigen musste, um seinen Wohnbedarf zu decken.

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Diese Woche geht es um eine seit langem etablierte Rechtsfigur des Straßenverkehrsrechts.

Verhalten eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn
BGH, Urteil vom 4. April 2023 – VI ZR 11/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes.

Der Kläger wurde als Fußgänger bei einem Verkehrsunfall mit einem vom Beklagten zu 1 gefahrenen und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug verletzt. Als sich der Beklagte zu 1 der späteren Unfallstelle näherte, wollte der Kläger die zweispurige Fahrbahn aus Sicht des Beklagten zu 1 von links kommend überqueren. Die auf Ersatz der Hälfte der entstandenen Schäden gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Schadensersatz auch gegenüber der unabhängig von Verschulden haftenden Beklagten zu 2 vollständig ausgeschlossen sein kann, wenn der Unfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Klägers verursacht worden ist. Für diese Abwägung ist von Bedeutung, ob dem Beklagten zu 1 ein für den Unfall ursächliches Verschulden zur Last fällt. Letzteres hat das OLG mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Nach dem Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. Ein Kraftfahrer muss danach grundsätzlich nicht damit rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten. Er muss auch nicht darauf gefasst sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen wird.

Der BGH lässt offen, ob ein Kraftfahrer auch darauf vertrauen darf, dass ein Fußgänger, der sich auf der gegenüberliegenden Fahrbahn bewegt, in der Straßenmitte stehen bleiben wird. Ein solches Vertrauen ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn der Fußgänger über die Fahrbahn rennt und nicht in die Richtung des auf der anderen Fahrbahn herannahenden Fahrzeugs blickt. Einen solchen Sachverhalt hat das OLG im Streitfall aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt.

Nach der Zurückverweisung wird das OLG unter anderem noch zu klären haben, ob die Sicht des Beklagten zu 1 durch ein entgegenkommendes Fahrzeug oder die A-Säule seines Fahrzeugs eingeschränkt war und er den Kläger deshalb nicht sehen konnte.

Praxistipp: Generell ist das Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten nicht gerechtfertigt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, am verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln.

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Diese Woche geht es um die Reichweite der objektiven Rechtskraft.

Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags und Löschung einer Vormerkung
BGH, Urteil vom 17. Februar 2023 – V ZR 22/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Rechtskraftwirkung in einer besonderen Verfahrenslage.

Die Parteien schlossen im Februar 2014 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein dem Kläger gehörendes Grundstück zum Kaufpreis von 200.000 Euro. Zugunsten des Beklagten wurde eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Eine vom Kläger im Jahr 2016 erhobene Klage auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung wurde rechtskräftig abgewiesen. In einem weiteren Rechtsstreit wurde der Kläger rechtskräftig verurteilt, eine Anzahlung in Höhe von 50.000 Euro an den Beklagten zurückzuzahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr, die Nichtigkeit des Kaufvertrags festzustellen. Er macht geltend, die Parteien hätten sich formlos auf einen Kaufpreis von 350.000 Euro verständigt. Ergänzend begehrt er erneut die Bewilligung der Löschung der Vormerkung.

Das LG hat die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Die Berufungen beider Parteien blieben erfolglos.

Der BGH bestätigt, dass der Kaufvertrag nichtig ist, und verurteilt den Beklagten ergänzend dazu, die Löschung der Vormerkung zu bewilligen.

Über die Nichtigkeit des Kaufvertrags ist bislang nicht rechtskräftig entschieden worden. In beiden vorangegangenen Prozesse war dies zwar eine entscheidungserhebliche Vorfrage. Die Rechtskraft der dort ergangenen Entscheidungen bezieht sich aber nur auf die dort geltend gemachten Ansprüche auf Abgabe einer Löschungsbewilligung und Rückzahlung von 50.000 Euro. Diese Entscheidungen führen auch nicht dazu, dass der Kläger mit seinem Nichtigkeitseinwand präkludiert ist.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der beurkundete Kaufvertrag den tatsächlich vereinbarten Kaufpreis nicht wiedergibt, und seine daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass der Vertrag gemäß § 117 Abs. 2, § 311b Abs. 1 Satz 1 und § 125 Satz 1 BGB nichtig ist, sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Aufgrund der nunmehr festgestellten Nichtigkeit des Kaufvertrags steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung zu. Dieser Anspruch ist zwar im ersten Vorprozess rechtskräftig aberkannt worden. Aufgrund der Akzessorietät zwischen der Vormerkung und dem gesicherten Anspruch muss es dem Kläger aber möglich sein, den Löschungsanspruch erneut geltend zu machen, wenn rechtskräftig feststeht, dass der Kaufvertrag nichtig ist. Die Feststellung der Nichtigkeit steht einer nachträglichen Änderung der für den Löschungsanspruch maßgeblichen Tatsachen gleich.

Aus Gründen der Prozessökonomie darf der Kläger das erneute Löschungsbegehren zusammen mit dem Feststellungsantrag geltend machen – allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Bewilligung der Löschung nur für den Fall verlangt wird, dass der Feststellungsantrag Erfolg hat. Diese Bedingung kann auch noch in der Revisionsinstanz hinzugefügt werden.

Praxistipp: Eine weitergehende Rechtskraftwirkung kann mittels einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO herbeigeführt werden.

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Diese Woche geht es um die Bezugsberechtigung aus einer gekündigten, aber beim Versterben des Versicherten noch nicht beendeten Lebensversicherung.

Kündigung einer Lebensversicherung und Widerruf der Bezugsberechtigung
BGH, Urteil vom 22. März 2023 – IV ZR 95/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob es Erfahrungssätze für die Auslegung einer Erklärung gibt, mit der eine Lebensversicherung gekündigt wird.

Die Mutter der Beklagten (nachfolgend: Erblasserin) hatte bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung von 20.000 Euro abgeschlossen, aus der sie ab September 2012 eine vierteljährliche Rente von rund 180 Euro erhielt. Bei Abschluss der Versicherung bestimmte die Erblasserin ihren Lebensgefährten widerruflich zum Bezugsberechtigten im Todesfall. Im Februar 2019 erklärte die Erblasserin die Kündigung der Versicherung zum 1. April. Im Kündigungsschreiben bat sie um Überweisung des Restbetrags auf ihr Konto. Die Klägerin zahlte bereits im März rund 16.000 Euro an die Erblasserin aus. Einen Tag nach Gutschrift dieses Betrags verstarb die Erblasserin. Ihre Alleinerbin ist die Beklagte. Von dieser verlangt die Klägerin die Rückzahlung des ausgezahlten Betrags.

Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage bis auf einen Restbetrag von rund 950 Euro ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Wie die Vorinstanzen qualifiziert der BGH den Versicherungsvertrag als Lebensversicherung, weil er eine Auszahlung für den Todesfall vorsieht. Da die Erblasserin vor Beendigung des Vertrags verstorben ist, steht der im Todesfall zu zahlende Betrag dem Bezugsberechtigten zu. Dies war ursprünglich nicht die Erblasserin, sondern deren Lebensgefährte. Entgegen der Auffassung des OLG hat die Erblasserin dieses Bezugsrecht nicht konkludent widerrufen.

Das OLG hatte angenommen, eine Kündigungserklärung sei im Regelfall dahin auszulegen, dass der Versicherungsnehmer konkludent auch ein zu Gunsten eines Dritten bestehendes Bezugsrecht widerrufe. Dies entspreche der regelmäßigen Interessenlage. Ähnlich hat mehrfach der IX. Zivilsenat des BGH für den Fall entschieden, dass ein Insolvenzverwalter die weitere Erfüllung eines Lebensversicherungsvertrags ablehnt.

Der IV. Zivilsenat tritt dieser Auffassung für die Konstellation des Streitfalls nicht bei.

Sofern aus dem Kündigungsschreiben nicht hervorgeht, aus welchen Gründen die Kündigung erfolgt, ist für den Versicherer nicht erkennbar, welche Dispositionen der Versicherungsnehmer für den Fall seines Todes treffen möchte. Ein konkludenter Widerruf der Bezugsberechtigung kann bei dieser Ausgangslage nur dann angenommen werden, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben selbst oder aus sonstigen für den Versicherer erkennbaren Umständen konkrete Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Willen ergeben. Solche Anhaltspunkte gab es – anders als bei der Erfüllungsverweigerung durch einen Insolvenzverwalter – im Streitfall nicht. Deshalb steht die für den Todesfall vorgesehene Zahlung dem früheren Lebensgefährten der Erblasserin zu.

Praxistipp: Für den Widerruf eines Bezugsrechts sehen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Regel eine besondere Form vor. Im hier entschiedenen Fall war Schriftform vorgeschrieben. Nach neueren Verträgen reicht oft Textform.

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Diese Woche geht es um die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Verwertung eines Wohnungsrechts.

Pfändbarkeit eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück
BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – V ZB 64/21

Der V. Zivilsenat stellt klar, dass ein zugunsten des Insolvenzschuldners eingetragenes Wohnungsrecht am eigenen Grundstück stets in die Insolvenzmasse fällt.

Der spätere Insolvenzschuldner übertrug im Jahr 2006 ein ihm gehörendes Grundstück an eine GbR, die er zusammen mit einer weiteren Gesellschafterin gegründet hatte. Vor der Übertragung bewilligte er zu seinen Gunsten ein Wohnungsrecht. Dieses wurde zusammen mit der Eigentumsumschreibung im Grundbuch eingetragen.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2009 nahm der Insolvenzverwalter die GbR im Wege der Insolvenzanfechtung erfolgreich auf Rückgewähr des Grundstücks in Anspruch. Auf seinen Antrag wurde der Insolvenzschuldner wieder als Eigentümer eingetragen und das Wohnungsrecht gelöscht. Die gegen die Löschung des Wohnungsrechts gerichtete Beschwerde des Insolvenzschuldners blieb ohne Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde des Insolvenzschuldners hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der BGH bestätigt alte Rechtsprechung, dass die Bestellung eines Wohnungsrechts zugunsten des Eigentümers des betroffenen Grundstücks zulässig ist, obwohl dies nicht dem gesetzlichen Leitbild entspricht, und dass die Wirksamkeit der Bestellung nicht davon abhängt, ob im Einzelfall ein berechtigtes Interesse an einer solchen Gestaltung besteht.

Die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild hat allerdings zur Folge, dass der Eigentümer die Pfändbarkeit des Wohnungsrechts nicht ausschließen kann. Ein Wohnungsrecht ist wie jede persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht übertragbar. Gemäß § 857 Abs. 3 ZPO sind solche Rechte nur insoweit pfändbar, als ihre Ausübung einem anderen überlassen werden kann. Letzteres ist bei Dienstbarkeiten gemäß § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB nur zulässig, wenn der Eigentümer dies gestattet. Dieses Gestattungserfordernis dient dem Schutz des Eigentümers bei einer Dienstbarkeit zugunsten eines anderen. Wenn der Eigentümer selbst der Berechtigte der Dienstbarkeit ist, muss er sich stets so behandeln lassen, als habe er die Gestattung erteilt – selbst dann, wenn er die Überlassung der Ausübung an Dritte in der Bestellungsurkunde ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Folge der Pfändbarkeit ist, dass das Wohnungsrecht gemäß § 35 Abs. 1 InsO zu Insolvenzmasse gehört und vom Insolvenzverwalter verwertet werden darf. Die Verwertung darf zwar nicht durch Veräußerung des Rechts erfolgen, wohl aber durch dessen Löschung, etwa zu dem Zweck, das von der Belastung frei gewordene Grundstück zu veräußern.

Die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters besteht unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Vereinigung von Eigentum und Wohnungsrecht in einer Person eingetreten ist. Deshalb steht der Verwertungsbefugnis im Streitfall nicht entgegen, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch keine Personenidentität bestanden hat.

Praxistipp: Ein Insolvenzverwalter, der die Übertragung eines Grundstücks erfolgreich im Wege der Insolvenzanfechtung angreift, kann vom Gegner die Rückübertragung des Grundstücks an den Schuldner verlangen und das Grundstück sodann als Teil der Insolvenzmasse verwerten (BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 153/15, MDR 2016, 1230 Rn. 24; Urteil vom 22. März 1982 – VIII ZR 42/81, WM 1982, 674, juris Rn. 8).

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Diese Woche geht es um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach dem missglückten Versuch einer beA-Einreichung in letzter Minute.

Wiedereinsetzung nach vorübergehendem Funktionsausfall eines Computers
BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, wann ein Verschulden des Anwenders bei einem kurzfristig aufgetretenen Computerfehler mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Der Antragsgegner wurde in erster Instanz zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die von seinem Prozessbevollmächtigten über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichte Beschwerdebegründung ging drei Minuten nach Fristablauf bei Gericht ein. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg.

Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags geht nicht hinreichend deutlich hervor, dass ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten als Ursache für die verspätete Einreichung ausgeschlossen werden kann. Das Vorbringen, bei dem für den beA-Versand eingesetzten Computer sei es um 23:50 Uhr zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Problem gekommen, das erst durch Neustart habe behoben werden können, lässt die Möglichkeit offen, dass das Problem durch einen Bedienungsfehler verursacht worden ist. Dass der Prozessbevollmächtigte mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen beim beA-Versand vertraut war, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Angesichts des im Streitfall bestehenden Zeitdrucks ist nicht auszuschließen, dass auch einem erfahrenen Benutzer ein Fehler passiert.

Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass es an einer Darlegung fehle, weshalb der Schriftsatz nicht innerhalb der Frist im Wege der Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 ZPO übermittelt worden sei.

Praxistipp: Beim Versand per beA sollte stets eine Karenzfrist eingeplant werden, um auf „unerklärliche“ technische Probleme rechtzeitig reagieren zu können. Wer weniger als 30 Minuten vor Fristablauf mit dem Versand beginnt, kann im Falle eines zur Fristversäumung führenden Fehlers kaum auf Wiedereinsetzung hoffen.

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Diese Woche geht es um die Beweislast für die Ursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung für den Eintritt eines Schadens.

Schadensursächlichkeit einer notariellen Amtspflichtverletzung
BGH, Urteil vom 16. Februar 2023 – III ZR 210/21

Der III. Zivilsenat befasst sich mit der Beweislast hinsichtlich der Frage, wie sich ein Dritter bei pflichtgemäßem Verhalten des in Anspruch genommenen Notars verhalten hätte.

Die als Leasinggeberin tätige Klägerin erhielt die Anfrage einer GmbH zur Finanzierung einer Digitaldruckmaschine für 129.000 Euro. Die Klägerin genehmigte die Finanzierung unter der Auflage, dass der Geschäftsführer der GmbH als Bürge eintritt und dass eine Grundschuld in Höhe von 100.000 Euro bestellt wird. Die GmbH schloss daraufhin den Kaufvertrag mit der Verkäuferin ab und reichte bei der Klägerin ein Formular ein, in dem sie den Abschluss eines Leasingvertrags anbot. Nach Lieferung der Maschine erklärte die Klägerin die Übernahme des Kaufvertrags und die Annahme des Leasingvertrags.

Eigentümer des betroffenen Grundstücks war der Sohn des Geschäftsführers. Dieser ließ kurz nach dem Abschluss der Verträge beim Beklagten seine Unterschrift auf einer von der Klägerin vorbereiteten Zweckerklärung beglaubigen. Der Beklagte sandte eine Kopie dieser Erklärung sowie eines Eintragungsersuchens an das Grundbuchamt an die Klägerin. Im Begleitschreiben teilte er mit, er habe die „beiliegende Grundschuldbestellungsurkunde“ beim Amtsgericht eingereicht. Nach dieser Mitteilung zahlte die Klägerin den Kaufpreis an die Verkäuferin der Druckmaschine.

In der Folgezeit wies das Amtsgericht den Eintragungsantrag zurück, weil lediglich die Zweckerklärung vorliege, nicht aber eine Eintragungsbewilligung. Der Beklagte entwarf daraufhin eine Grundschuldbestellungsurkunde und bat den Grundstückseigentümer, diese zu unterschreiben. Dieser lehnte ab.

Wenige Monate später starb der Geschäftsführer der Leasingnehmerin. Im weiteren Verlauf fiel die Leasingnehmerin in Insolvenz. Eine auf die Zweckerklärung gestützte Klage gegen den Sohn blieb erfolglos. Nunmehr begehrt die Klägerin vom beklagten Notar Ersatz von 100.000 Euro, weil dieser es versäumt habe, schon bei der Beglaubigung der Zweckerklärung eine Grundschuldbestellungsurkunde zu erstellen und ebenfalls zu beglaubigen, und weil er die Klägerin durch die unzutreffende Auskunft zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst habe.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Beklagte hat allerdings seine Amtspflichten verletzt, weil er bei der Beglaubigung der Zweckerklärung nicht geprüft hat, ob alle für die Bestellung der Grundschuld erforderlichen Unterlagen vorliegen.

Entgegen der Auffassung des OLG liegt die Beweislast hinsichtlich der Frage, ob der Grundstückseigentümer die Grundschuldbestellungsurkunde bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten unterschrieben hätte, nicht beim Beklagten, sondern bei der Klägerin.

Ein Notar trägt allerdings die Beweislast für eine zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führende hypothetische andere Schadensursache, wenn er schon durch die pflichtwidrige Beurkundung eines Vertrags einen Schaden verursacht hat. Im Streitfall ist der geltend gemachte Schaden nach dem Vortrag der Klägerin aber nicht durch eine Beurkundung oder Beglaubigung entstanden, sondern dadurch, dass der Beklagte pflichtwidrig von einer Beglaubigung abgesehen hat. In dieser Konstellation betrifft die Frage, ob es bei pflichtgemäßem Verhalten zu der Beglaubigung gekommen wäre, den haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang. Die Beweislast dafür liegt beim Anspruchsteller.

Ein Ersatzanspruch lässt sich auch nicht auf die unzutreffende Mitteilung des Beklagten in dem an die Klägerin übersandten Begleitschreiben stützen. Die Klägerin hat den Kaufpreis zwar im Vertrauen auf die darin enthaltene Mitteilung bezahlt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung der Grundschuld vorliegen. Sie wäre aber ohnehin zur Zahlung verpflichtet gewesen, weil sie den Leasingvertrag bereits abgeschlossen hatte, ohne dessen Wirksamkeit von der Bestellung der Grundschuld abhängig zu machen.

Praxistipp: Um die Beweislage zu verbessern, sollte der Ersatzanspruch möglichst auf Pflichtverletzungen gestützt werden, die ohne weiteres zum Eintritt des Schadens geführt haben. Der Streitfall zeigt indes, dass dies nicht immer möglich ist.

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Diese Woche geht es um die Darlegungslast zu der Frage, ob ein Unfallgeschädigter erwerbsunfähig ist.

Zumutbare Erwerbstätigkeit nach Verkehrsunfall
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 152/21

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Verteilung der Darlegungslast, wenn ein Unfallgeschädigter Ersatz für Verdienstausfall begehrt.

Bei einem Verkehrsunfall im August 2001, für dessen Folgen der beklagte Haftpflichtversicherer voll einzustehen hat, ist die damals 48 Jahre alte Geschädigte schwer verletzt worden. Sie verlor deshalb ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau. Mehrere Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass die Geschädigte ab 2006 wieder erwerbsfähig sein werde. Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie nach Begutachtung durch einen Arzt als nicht mehr vermittlungsfähig erachtet wurde. Der klagende Rentenversicherungsträger trug die Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen und zahlte bis 2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er verlangt von der Beklagten Erstattung der erbrachten Zahlungen in Höhe von rund 185.000 Euro.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Klage bis auf einen Betrag von rund 1.300 Euro abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass der auf den Kläger übergegangene Ersatzanspruch gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu kürzen ist, wenn sich die Geschädigte nicht hinreichend um die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit bemüht hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt beim Schädiger. Den Geschädigten trifft aber eine sekundäre Darlegungslast. Er muss vortragen, welche Bemühungen er unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden.

Entgegen der Auffassung des OLG können von einem Geschädigten, den das Arbeitsamt als nicht vermittlungsfähig ansieht, grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und keine weiteren Bemühungen um Rehabilitationsmaßnahmen erwartet werden.

Darüber hinaus hätte das Berufungsgericht einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht zum Anlass nehmen dürfen, den Ersatzanspruch um eine Quote zu kürzen oder durch Ansetzen eines Mitverschuldensanteils von 100 % auf Null zu reduzieren. Vielmehr wären gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen, welche Einkünfte die Geschädigte bei hinreichenden Bemühungen hätte erzielen können, und der zu ersetzende Betrag um diese Beträge zu verringern. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit ebenfalls beim Schädiger. Den Geschädigten kann aber eine sekundäre Beweislast treffen, wenn der Schädiger eine Verdienstmöglichkeit hinreichend substantiiert vorträgt.

Praxistipp: Eine sekundäre Darlegungslast führt nicht zu einem Übergang der Beweislast. Kommt der Gegner seiner sekundären Darlegungslast nach, liegt es an der beweisbelasteten Partei, dieses Vorbringen zu widerlegen.

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Diese Woche geht es um die Folgen eines lange zurück liegenden Verstoßes gegen ein im Grundbuch eingetragenes Bauverbot.

Erlöschen einer Grunddienstbarkeit durch Verjährung des Beseitigungsanspruchs
BGH, Urteil vom 20. Januar 2023 – V ZR 65/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite des § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beklagten ist im Grundbuch des Grundstücks der Klägerin seit über hundert Jahren ein Bauverbot als Grunddienstbarkeit eingetragen. Auf dem Grundstück der Klägerin wurde 1963 ein als Autohaus errichteter Gebäudekomplex mit Erd- und Obergeschoss errichtet. Die Klägerin ließ das Gebäude im Jahr 2019 abreißen. Sie möchte auf dem Grundstück ein Wohnhaus mit Keller, Erdgeschoss und fünf Obergeschossen errichten.

Das LG hat die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, die Löschung der Grunddienstbarkeit zu bewilligen, soweit diese einer Bebauung mit der Grundfläche und Höhe des inzwischen abgerissenen Gebäudes entgegensteht. Das OLG hat die Beklagten verurteilt, die vollständige Löschung der Grunddienstbarkeit zu bewilligen.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die Grunddienstbarkeit nicht vollständig erloschen.

Der Anspruch auf Beseitigung des im Jahr 1963 errichteten Gebäudes unterlag allerdings gemäß § 1028 Abs. 1 Satz 1 BGB der Verjährung. Die Verjährungsfrist von dreißig Jahren ist vor dem Abriss des Gebäudes abgelaufen. Dies hatte gemäß § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Folge, dass die Grunddienstbarkeit erloschen ist, soweit der Bestand der Anlage mit ihr in Widerspruch stand. Hieran hat sich durch den Abriss des Gebäudes nichts geändert.

Die Grunddienstbarkeit ist aber nur in dem Umfang erloschen, in dem sie beeinträchtigt war. Im Streitfall können die Beklagten mithin eine Bebauung mit der Grundfläche und Höhe des im Jahr 1963 errichteten Gebäudes nicht mehr verbieten. Eine weitergehende Bebauung ist der Klägerin aber weiterhin verwehrt.

Praxistipp: Wenn das herrschende Grundstück in Wohnungseigentum aufgeteilt ist, steht das Eigentum daran und damit auch eine Grunddienstbarkeit nicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu, sondern den einzelnen Wohnungseigentümern als Mitberechtigten. Die Löschungsklage ist mithin gegen die einzelnen Eigentümer zu richten.

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Diese Woche geht es um die Voraussetzungen der Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs.

Explosion der ausgebauten Batterie eines Elektrorollers
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 1234/20

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Grenzen der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG.

Ein Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung brachte seinen Elektroroller zur Inspektion in Werkstatträume, die bei der klagenden Gebäudeversicherung versichert waren. Ein Mitarbeiter der Werkstatt entnahm die Batterie des Rollers und begann sie aufzuladen. Als er bemerkte, dass sie sich stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.

Die Klage auf Ersatz des Brandschadens blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die vom BGH zugelassene Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an dem für die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zusammenhang zu der vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr allerdings nicht schon deshalb, weil der Roller zur Inspektion in einer Werkstatt war. Ein Schaden, der durch eine Betriebseinrichtung des Fahrzeugs verursacht wird, geht auch dann auf die Betriebsgefahr zurück, wenn er unabhängig vom Fahrbetrieb eingetreten ist.

Die Berufungsentscheidung erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend, weil die Batterie im Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht mehr in das Fahrzeug eingebaut war. Nach dem Ausbau ist die Batterie nicht anders zu beurteilen als ein anderes Bauteil, das erstmals in das Fahrzeug eingebaut werden soll. Der Umstand, dass die Batterie sich zuvor im Elektroroller befand und sich dort entladen hatte, begründet noch keinen hinreichenden Zusammenhang zum Fahrbetrieb.

Praxistipp: Der Zurechnungszusammenhang kann trotz vorherigen Ausbaus zu bejahen sein, wenn der Schaden in nahem örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang steht. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn die Batterie aufgrund starker Belastung im Fahrbetrieb schon bei der Ankunft in der Werkstatt überhitzt war und dieser Umstand für den Schaden ursächlich geworden ist.