OLG München zum Arrestgrund bei „Wirecard“

Offensichtlich wird die Justiz in München derzeit mit zahlreichen Arrestanträgen gegen den Vorstandsvorsitzenden der Firma Wirecard befasst. Es scheint teilweise widersprechende Entscheidungen zu geben. Nunmehr hat ein Fall das OLG München (Urt. v. 27.9.2021 – 3 U 3242/21) erreicht.

In diesem Fall wurde hauptsächlich um den Arrestgrund gestritten. Das OLG München ging davon aus, dass ein vorsätzliches und strafbares Verhalten des Vorstandsvorsitzenden glaubhaft gemacht war und weitergehend, dass ein solches Verhalten einen Arrestgrund indiziert (ebenso schon: Frank O. Fischer, Straftaten und Vertragsverletzungen als Arrestgrund nach § 917 ZPO, MDR 1995, 988). Diese Indizwirkung entfällt nicht schon deshalb, weil sich der Vorstandsvorsitzende derzeit in Untersuchungshaft befindet. Auch in diesem Rahmen besteht durchaus die Möglichkeit, über beauftragte Personen weitere Vermögensverschiebungen durchzuführen. Weiterhin hatte der Vorstandsvorsitzende noch vorgetragen, sein gesamtes Vermögen sei durch die Staatsanwaltschaft ohnehin bereits arrestiert worden. Dann könnte es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Dem hält das OLG München entgegen: Von den zahlreichen Arrestverfahren hatte der Vorstandsvorsitzende durchaus einige gewonnen! Die Kostenerstattungsansprüche aus diesen Verfahren stellen Vermögen dar, das gepfändet werden könnte.

Man sollte daher hinfort folgende Grundsätze aufstellen: Begehen Schuldner vorsätzlich „konnexe“ Straftaten zum Nachteil des Gläubigers indiziert dies regelmäßig einen Arrestgrund. Konnex meint hier: Es muss ein Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Arrestgrund bestehen, wie z. B. bei Vermögensdelikten. Wegen eines aufgrund einer Körperverletzung entstandenen Schmerzensgeldanspruchs wird regelmäßig kein Arrestgrund in das Vermögen des Schuldners bestehen.

Corona-Pandemie keine Na­tur­ka­ta­stro­phe

Dem Urteil des AG München (275 C 23753/20), das bereits am 20.5.2021 erging, ist zuzustimmen. Eine Rei­se­ab­bruch­ver­si­che­rung haf­tet bei co­ro­na­be­ding­ter An­nul­lie­rung eines Rückflu­ges nicht für die Kos­ten des Er­satz­flu­ges, da zwar nach den Versicherungsbedingungen eine Naturkatastrophe ein versichertes Ereignis ist, die Corona-Pandemie jedoch nicht als Naturkatastrophe angesehen werden kann. Der Reiseabbruch des Klägers am 27.3.2020 erfolgte während der ersten Welle der Corona-Pandemie für eine Reise, die er bereits vor der Pandemie am 27.1.2020 für die Mehrkosten einer eventuellen vorzeitigen Rückreise versicherte. Nach den abschließend im Versicherungsvertrag genannten Ereignissen bestand Versicherungsschutz zwar bei einer Na­tur­ka­ta­stro­phe, nicht aber bei einer Pandemie. 

Zutreffend ist das Gericht davon ausgegangen, dass die weltweite Corona-Pandemie seit ihrer Ausrufung am 11.3.2020 durch die WTO bis zum heutigen Tage keine Naturkatastrophe ist. Dass die Corona-Pandemie als Risiko für die menschliche Gesundheit ein unvermeidbarer außergewöhnliche Umstand im Sinne  des einheitlichen Begriffskonzeptes der EU-Passagierrechte-VO insbesondere des Art. 5 III der Fluggastrechte-VO 261/2004 darstellt, haben die Gerichte und das Schrifttum einzelfallbezogen in den Jahren 2020 und 2021 für Reisen, die vor dem Ausbruch gebucht wurden, für die Fälle des entschädigungslosen Rücktritts vom Pauschalreisevertrag weitgehend bejaht. Die Corona-Pandemie als Gesundheitsgefahr kann in den beiden Jahren nach ihrem Ausbruch sicherlich als außergewöhnlicher Umstand bzw. als höhere Gewalt angesehen werden, da sie bis heute nicht der Kontrolle der Vertragsparteien unterliegt. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für das Reiseziel stellt ein starkes Indiz für das Vorliegen dieses außergewöhnlichen Umstandes dar. 

Davon zu unterscheiden sind die Beeinträchtigungen z. B. des Luftverkehrs durch die Pandemie aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsgefahr. Diese politischen Maßnahmen sind eine Folge der Pandemie! Die dadurch verursachten Einschränkungen und behördlichen Maßnahmen wie Flugverbote sind keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, sondern zählen als Folge der Pandemie zur den mehr oder weniger starken Beeinträchtigen einer Reise iSd. § 651h III BGB. 

Dem Gericht ist zu folgen, dass es sich bei der Co­ro­na-Pan­de­mie wegen des Fehlens un­mit­tel­ba­rer phy­si­scher Aus­wir­kun­gen, lo­ka­lem Auf­tre­ten und zeit­li­cher Ein­gren­zung um keine ty­pi­sche Na­tur­ka­ta­stro­phe handelt. Von einer Naturkatastrophe kann doch nur ausgegangen werden bei geophysikalischen (Erdbeben, Vulkanausbrüche), meteorologischen (z. B. Stürme), hydrologischen (z. B. Überschwemmungen) und klimatologischen (z. B. Waldbrände, Dürre, Temperaturextreme) gewaltigen plötzlichen Naturereignissen. Staatliche Eingriffe auf die Um­welt, ins­be­son­de­re auf das öf­fent­li­che Leben, treten erst als Folge der staat­li­chen Schutz­maß­nah­men ein­. So ist auch die kürzlich durch das Auswärtige Amt erfolgte Hochstufung Südafrikas als Virusvariantengebiet auf Grund der Variante Omicron ein po­li­ti­scher Er­mes­sens­ak­t zur Eindämmung der Infektionsgefahr, aber für sich genommen noch kein außergewöhnlicher Umstand bzw. höhere Gewalt. 

Das Gericht weist zutreffend auch darauf hin, dass auch in zeit­li­cher Hin­sicht sich die Co­ro­na-Pan­de­mie von einer Na­tur­ka­ta­stro­phe unterscheidet. Bei eine Naturkatastrophe be­steht die Ge­fah­ren­quel­le ty­pi­scher­wei­se für einen nur be­grenz­ten Zeit­raum. Die Ge­fahr durch das Co­ro­na­vi­rus be­steht aber be­reits seit fast zwei Jahren mit verschiedenen Wellen und wird auch noch im nächsten Jahr die Welt und die Gerichte in Atem halten. 

OLG Frankfurt/M. zum rechtzeitigen Erheben der Hauptsacheklage

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt/M. (Beschl. v. 17.9.2021 – 6 W 79/21) hatte das Landgericht eine einstweilige Verfügung erlassen. Alsdann wurde dem Antragsteller aufgegeben, innerhalb einer Frist von drei Wochen die Hauptsacheklage zu erheben (§ 926 Abs. 1 ZPO). Diese Klage ging fristgemäß am 21. August beim LG ein, am 30. August wurde der erforderliche Vorschuss angefordert. Dieser wurde nicht gezahlt. Am 8. Oktober bestimmte das Landgericht gleichwohl Termin zur mündlichen Verhandlung. Dieser Termin wurde jedoch wegen eines Zustellungsversehens (es wurde an die Partei anstatt an den bestellten Rechtsanwalt zugestellt) wieder aufgehoben. Alsdann beantragte die Antragsgegnerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach § 926 Abs. 2 ZPO.

Daraufhin erklärte die Antragstellerin das einstweilige Verfügungsverfahren für erledigt. Die Antragsgegnerin widersprach dieser Erledigungserklärung, gleichwohl erließ das Landgericht einen Beschluss nach § 91a ZPO und legte die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens der Antragsgegnerin auf. Gegen diesen Beschluss richtete sich die sofortige Beschwerde, worüber das OLG Frankfurt/M. entscheiden musste.

Das OLG hat – völlig zu Recht – den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgerichts zurückverwiesen. Nachdem hier keine übereinstimmende, sondern eine einseitige Erledigungserklärung vorlag, hätte nicht durch Beschluss, sondern durch Urteil entschieden werden müssen. Insoweit liegt ein Verfahrensfehler vor. Dem OLG ist es auch verwehrt, in einer solchen Konstellation selbst zu entscheiden.

Am interessantesten sind jedoch die Erwägungen, die das OLG dem Landgericht obiter dicta mitgibt: Im Urteilsverfahren wird das Landgericht zu beachten haben, dass die Antragstellerin die Hauptsacheklage nicht rechtzeitig erhoben hat. Auch in dieser Fallgestaltung dürfen zwischen Vorschussanforderung und Zahlung desselben nur höchstens zwei Wochen vergehen. Die Antragstellerin hat damit nicht alles Erforderliche getan, um die rechtzeitige Klageerhebung sicherzustellen (§ 167 ZPO). Da die Zweiwochenfrist zu diesem Zeitpunkt abgelaufen war, vermag auch die Terminsbestimmung des Landgericht an diesem Umstand nichts mehr zu ändern.

Das Verfahren wird daher letztlich zum Nachteil der Antragstellerin ausgehen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von nicht vertretbaren Handlungen gegen einen prozessunfähigen Schuldner

Zwangsvollstreckung wegen vertretbarer Handlungen gegen Prozessunfähige
Beschluss vom 23. September 2021 – I ZB 20/21

Mit den Voraussetzungen des § 888 ZPO befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Gläubigerinnen betreiben aus einem erstinstanzlichen Urteil die Zwangsvollstreckung wegen der Erteilung von Auskunft über den Bestand eines Nachlasses. Die Schuldnerin ist an Demenz erkrankt und deshalb nicht in der Lage, die Auskunft selbst zu erteilen. Sie hat ihrer Tochter und einem Dritten eine Generalvollmacht erteilt. Während des Vollstreckungsverfahrens hat das OLG änderte die Verurteilung in einzelnen Details zugunsten der Schuldnerin abgeändert. Das LG wies den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsmittels ab. Das OLG setzte gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 Euro fest.

Die Rechtbeschwerde der Schuldnerin hat aus formalen Gründen Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das OLG.

Der Zwangsvollstreckungsantrag ist allerdings zulässig. Die Schuldnerin ist zwar prozessunfähig. Sie wird aber aufgrund der erteilten Generalvollmacht gemäß § 51 Abs. 3 ZPO wirksam von den beiden Bevollmächtigten vertreten.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch schon deshalb begründet, weil die Zwangsvollstreckung nicht mehr auf der Grundlage des erstinstanzlichen Urteils erfolgen darf, sondern nur noch auf der Grundlage des (in einzelnen Details weniger weit reichenden) zweitinstanzlichen Titels.

Auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Urteils kommt (nur) die Festsetzung eines Zwangsgelds gegen die Schuldnerin in Betracht. Hierüber wird das OLG nach der Zurückverweisung entscheiden müssen.

Ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO ist auch bei Prozessunfähigkeit des Schuldners stets gegen diesen festzusetzen, nicht gegen seinen Bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreter. Dass der Schuldner persönlich nicht in der Lage ist, die Verpflichtung zu erfüllen, macht die Erfüllung nicht unmöglich, wenn die zu erwirkende Handlung durch Hilfspersonen vorgenommen werden kann. Eine Auskunft, die ein Geschäftsunfähiger zu erteilen hat, kann von dessen Bevollmächtigten erteilt werden. Nur wenn dies nicht in Betracht kommt, muss ein Betreuer bestellt werden. Sowohl bei Vertretung als auch bei Betreuung kann ein Zwangsgeld gegen den Schuldner festgesetzt werden. Dieser kann die Hilfsperson gegebenenfalls in Regress nehmen. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen einen Bevollmächtigten oder Betreuer ist nicht zulässig.

Ersatzzwangshaft und Zwangshaft können demgegenüber jedenfalls dann nicht gegen den Schuldner festgesetzt werden, wenn dieser nicht hinreichend einsichtig und steuerungsfähig ist, um die geschuldete Handlung vorzunehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann Ersatzzwangshaft und Zwangshaft zwar gegen einen gesetzlichen Vertreter festgesetzt werden, nicht aber gegen einen Bevollmächtigten. Anders als die Bestellung zum Betreuer begründet eine Vollmacht grundsätzlich keine Pflicht, zugunsten des Vertretenen tätig zu werden.

Praxistipp: Sollte die Festsetzung von Zwangsgeld in der in Rede stehenden Konstellation nicht zum Erfolg führen, dürfte ein Betreuer zu bestellen sein, um die Möglichkeit zur Festsetzung weiterer Zwangsmittel zu schaffen und um eventuelle Regressansprüche gegen die Bevollmächtigten geltend zu machen.

Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? – Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky

Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Bereich des Zivilprozessrechts?

Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. Hervorzuheben ist zunächst die „kleine ZPO-Reform“ aus dem Dezember 2019, die anlässlich des Auslaufens der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH auf den Weg gebracht wurde, aber inhaltlich ganz verschiedene Einzelfragen neu regelt.

In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments – und zwar nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert.

Neben diesen eher allgemeinen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021, das die Gerichtsvollziehertätigkeit betrifft, betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich noch eine ganze Zeit fortsetzen.

Peters: Sie haben darauf hingewiesen, dass es auch viele Rechtsänderungen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Zivilprozess gibt. Können Sie uns relevante Beispiele nennen?

Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 werden sich auch auf den Zivilprozess massiv auswirken. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht, dass diese über ein Kanzleipostfach kommunizieren. Hier sind etwa im Bereich der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts neue Antworten zu geben.

Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG völlig umgestaltet. Ab dem 1.1.2024 wird es eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts geben. Zwar werden dadurch einige Probleme bei der Parteibezeichnung der GbR im Zivilprozess gelöst, es stellen sich aber auch Folgefragen, z.B. hinsichtlich des Gerichtsstandes und im Vollstreckungsrecht.

Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts mit der Schaffung einer vollrechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zahlreiche neue prozessuale Probleme auf.

Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller alle zwei Jahre kurz vor dem Ende des jeweiligen Jahres erscheint. Dieser feste Rhythmus hat dazu geführt, dass die 34. Auflage Ende 2021 und damit nur wenige Monate nach dem Ende der 19. Wahlperiode des Bundestags in den Buchhandel kommt. Online gestellt wurde sie bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich darin einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzesbeschlüssen des Bundestags erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Beispielsweise hat das bereits erwähnte Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs erst am 17.9.2021 den Bundesrat passiert und wurde im Bundesgesetzblatt vom 11.10.2021 verkündet.

Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng mit begleitet haben, oftmals bereits seit den ersten Diskussionsentwürfen. Wir konnten so für unsere endgültigen Kommentierungen bereits auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen.

 Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller ganz konkret um?

Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. § 53 ZPO oder § 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte – natürlich übersichtlich angeordnet – im Werk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist immer besonders hervorgehoben, so dass sich der Leser leicht orientieren kann. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Dem Praktiker soll so eine fundierte Hilfestellung beim Umgang mit den Neuregelungen gegeben werden. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten.

Peters: Neben den vielen Gesetzesänderungen – wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist neben der Auswertung der Fachliteratur ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der Prozesskostenhilfe habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal ganz erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Sie sind bereits seit 2002 im § 128a ZPO geregelt, wurden aber bis zum Beginn der Pandemie nur selten durchgeführt. Die Nachfrage ist dann 2020 sprunghaft gestiegen. Damit sind auch neue Rechtsfragen virulent geworden. Welche Anforderungen sind an die Übertragung zu stellen? Was ist zur Wahrung der Öffentlichkeit erforderlich? Wie ist mit einem fehlenden Einverständnis der Parteien umzugehen? Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden.

Die Pandemie hat auch viele andere Aktualisierungen an unterschiedlichsten Stellen nötig gemacht. Sie hat Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Gerichtsorganisation, z.B. wie die Öffentlichkeit der Verhandlungen mit den AHA-Regeln in Einklang gebracht werden kann.

Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst?

Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Bereits in der letzten Auflage sind daher bei den ABC-Aufzählungen von Stichworten Randnummern eingefügt worden, die die Auffindbarkeit erleichtern. Durch noch einmal verbesserte Gliederungen in den Überschriften haben wir in der 34. Auflage versucht, die Lesbarkeit am Bildschirm weiter zu optimieren. Zudem enthält die elektronische Ausgabe flächendeckend bei allen Kommentierungen Inhaltsübersichten – in der Printauflage müssen wir aus Platzgründen darauf leider verzichten. Wir haben bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten.

Peters: Ich danke Ihnen sehr für diese informativen Ausführungen. Online ist der neue Zöller bereits verfügbar, im Print erscheint er am 1.12.2021. Weitere Informationen und eine Leseprobe mit Beispielen für die herausragende Aktualität finden Sie unter otto-schmidt.de/zpo34.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Umfang des Schadensersatzanspruchs nach erfolgreicher Anfechtung eines Grundstückskaufvertrags wegen arglistiger Täuschung

Ersatz von Maklerkosten und Grunderwerbsteuer nach Arglistanfechtung
Urteil vom 24. September 2021 – V ZR 272/19

Mit dem Verhältnis zwischen dem Schadensersatzanspruch gegen den Verkäufer und Erstattungsansprüchen gegen Dritte befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte vom Beklagten ein Grundstück gekauft. Später focht sie den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und nahm den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung aller im Zusammenhang mit dem Erwerb getätigten Aufwendungen in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte den Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises und zur Erstattung der Notar- und Gerichtskosten. Hinsichtlich der Maklerkosten und der Grunderwerbsteuer wies es die Berufung zurück.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung bzw. zur Feststellung der Erledigung, soweit der Beklagte einen Teil der Forderung bereits beglichen hat.

Die vom Beklagten verübte arglistige Täuschung stellt eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten dar. Zu dem deshalb gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Vertrauensschaden gehören grundsätzlich alle Aufwendungen, die die Klägerin im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertragsschlusses getätigt hat. Darunter fallen auch die Maklerprovision und die Grunderwerbsteuer.

Dass der Klägerin aufgrund der erfolgreichen Anfechtung des Kaufvertrags ein Erstattungsanspruch gegen die Maklerin bzw. die Finanzkasse zusteht, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Der Geschädigte muss sich entsprechend dem Rechtsgedanken des § 255 BGB nicht auf die Geltendmachung solcher Ansprüche und die damit verbundenen Risiken verweisen lassen. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist der Schädiger allerdings nur Zug um Zug gegen Abtretung der Erstattungsansprüche zum Schadensersatz verpflichtet.

Praxistipp: Um eine Verjährung der Erstattungsansprüche zu vermeiden, kann der Schädiger den Schuldnern dieser Ansprüche den Streit verkünden.

BGH zum Umfang des Berufungsvorbringens und zum fallengelassenen Vortrag

Zu einer nicht seltenen Fallkonstellation hat der BGH (Beschl. v. 8.9.2021 – VIII ZR 258/20) eine interessante Entscheidung getroffen, die in der Praxis nicht auf große Zustimmung stoßen wird.

Die Beklagte war in den Tatsacheninstanzen verurteilt worden, einen Gebrauchtwagen zurückzunehmen. Bezüglich eines benannten Zeugen hatte das Berufungsgericht von einer Vernehmung abgesehen und dies doppelt begründet: Zum einen habe die Beklagte entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz fallen gelassen, zum anderen sei der Vortrag der Beklagten widersprüchlich. Beides akzeptiert der BGH nicht.

Der BGH betont erneut seine Auffassung, wonach der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff in der Berufungsinstanz anfällt, und zwar ohne Erneuerung und ohne Bezugnahme. Diese Sichtweise ist mit dem Wortlaut des § 529 ZPO kaum zu vereinbaren und bedeutet praktisch: Das Berufungsgericht muss die gesamte Akte lesen und prüfen, ob nicht das erstinstanzliche Gericht etwas übersehen hat. Dies macht es dem Berufungsgericht in umfangreichen Verfahren nicht gerade einfach und entlastet die Parteien in nicht zu rechtfertigender Weise. Grundsätzlich muss sich das Berufungsgericht darauf beschränken können, das erstinstanzliche Urteil sowie die Berufungsbegründung zu lesen, um die Sache beurteilen zu können.

In konsequenter Weiterentwicklung dieser Sichtweise geht der BGH jedoch davon aus, dass ein Vorbringen nur dann als fallen gelassen angesehen werden kann, wenn die Partei dies eindeutig erklärt hat. Dies war im konkreten Fall nicht gegeben. Bezüglich des (angeblich) widersprüchlichen Vorbringens weist der BGH darauf hin, dass eine Partei grundsätzlich ihr Vorbringen jederzeit berichtigen und ändern darf. Auch ein möglicherweise widersprüchlicher Vortrag erlaube dem Gericht nicht, von einer Beweisaufnahme abzusehen. Vielmehr könne ein solcher Vortrag nur nach einer Beweisaufnahme bei der Beweiswürdigung Beachtung finden.

Auch dies geht aus der Sicht der Praxis zu weit. Wenn eine Partei nicht dazu in der Lage ist, klar und präzise vorzutragen und man nicht weiß, was sie will, sollte ein derartiger Vortrag als widersprüchlich außer Betracht bleiben. Der BGH privilegiert einmal mehr unsachlichen Vortrag und Revisionsfallen“ und verhilft damit „Tricksern“ zu ungerechtfertigten (Zwischen)Erfolgen sowie Verfahrensverzögerungen und Pyrrhussiegen. Hier würde man sich von dem BGH wirklich eine praxisgerechtere Herangehensweise wünschen, und zwar in Gestalt von folgenden potentiellen Leitsätzen:

1) Das Berufungsgericht braucht nicht die erstinstanzliche Akte daraufhin durchzuforsten, ob sich möglicherweise an irgendeiner Stelle noch ein vielleicht relevanter Informationsfetzen befindet, der bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Es ist vielmehr die Aufgabe des Berufungsklägers, derartiges in der Berufungsbegründung vorzutragen.

2) Trägt eine Partei widersprüchlich vor, so darf ein solches Vorbringen unberücksichtigt bleiben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es erneut um eine prozessuale Frage, die anlässlich eines so genannten Diesel-Falls zu entscheiden war

Beschwer bei Abweisung einer Klage auf Zahlung Zug um Zug gegen Erfüllung einer ebenfalls auf Zahlung gerichteten Gegenforderung
Beschluss vom 12. Oktober 2021 – VIII ZR 255/20

Mit der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Wertgrenze für die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde befasst sich der VIII. Zivilsenat in einem so genannten Diesel-Fall.

Der Kläger kaufte bei der Beklagten im Jahr 2016 einen neuen VW Caddy zum Preis von rund 18.500 Euro. Im Jahr 2018 trat der Kläger wegen der zum Motor gehörenden Steuerungssoftware vom Vertrag zurück. Er klagt auf Rückzahlung einer angeblichen Kaufpreisforderung von rund 20.500 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß und setzte die Höhe der Zug um Zug zu zahlenden Nutzungsentschädigung auf rund 3.000 Euro fest. Die auf Herabsetzung dieses Betrags gerichtete Berufung des Klägers blieb erfolglos. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.

Der BGH verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig, weil die gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Wertgrenze von 20.000 Euro nicht überschritten ist.

Bei der Abweisung einer Klage auf Leistung Zug um Zug ist für die Beschwer des Klägers grundsätzlich nur der Wert des mit der Klage begehrten Gegenstands maßgeblich. Deshalb ist im Streitfall der Wert der Klageforderung nicht um den Restwert des Fahrzeugs zu verringern. Wertmindernd anzusetzen ist jedoch der Wert der Zug um Zug angebotenen Nutzungsentschädigung. Ein solchermaßen formulierter Klageantrag ist für die Berechnung des Beschwerdewerts nicht anders zu behandeln als eine Aufrechnung.

Im Streitfall hat der Kläger die Höhe der Nutzungsentschädigung, die er zu zahlen bereit ist, zwar nicht beziffert. Bei der Wertberechnung ist aber derjenige Betrag anzusetzen, den der Kläger auf der Grundlage seines Vorbringens auf jeden Fall zu zahlen hat. Dies sind im Streitfall etwas mehr als 10 % des Kaufpreises, weil das Fahrzeug eine Laufleistung von rund 51.000 km hat und der Kläger in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat, die Nutzungsentschädigung sei auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km zu berechnen. Der Wert des Beschwerdegegenstand beträgt deshalb nur rund 18.600 Euro.

Praxistipp: Bei unbezifferten Anträgen müssen die Parteien die für die Wertbemessung maßgeblichen Umstände spätestens in der Berufungsinstanz vortragen. Die erstmalige Geltendmachung solcher Umstände in der dritten Instanz vermag die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu begründen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs

Feststellungsinteresse bei mehreren Methoden zur Schadensberechnung
Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20

Mit den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat in einem sogenannten Dieselfall.

Der Kläger kaufte im Jahr 2011 bei einem Vertragshändler der Beklagten einen neuen VW Touran mit einem Dieselmotor des Typs EA189. Im Jahr 2015 gab das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten auf, die in der Software zur Steuerung des Motors enthaltene Abschalteinrichtung zu entfernen, und drohte anderenfalls den Widerruf der Typgenehmigung an. Der Kläger hat das hierfür erforderliche Softwareupdate bislang nicht vornehmen lassen. Im Jahr 2018 forderte er die Beklagte vergeblich zur Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs auf. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren. Hilfsweise verlangt er unter anderem Zahlung von 34.000 Euro Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Das LG wies die Klage ab. Das OLG sprach die begehrte Feststellung aus.

Der BGH weist die Feststellungsklage als unzulässig ab und verweist den Rechtsstreit (nur) zur Entscheidung über die Hilfsanträge an das OLG zurück.

Der BGH verneint das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil es dem Kläger zumutbar ist, sofort Leistungsklage zu erheben.

Das Interesse des Klägers, sich weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen kleinem und großem Schadensersatz offenzuhalten, also hinsichtlich der Frage, ob er das Fahrzeug behält und lediglich eine Wertdifferenz ersetzt verlangt oder es zurückgibt und den Kaufpreis abzüglich der erlangten Nutzungsvorteile fordert, ist nach Auffassung des BGH nicht schutzwürdig. Dem Kläger ist zuzumuten, diese Entscheidung bereits bei Erhebung der Klage zu treffen.

Dem Kläger ist es ferner möglich, den Schaden zu beziffern. Die Ermittlung der Wertdifferenz und die Ermittlung der Nutzungsvorteile sind zwar mit Unsicherheiten verbunden. Diese kann der Kläger aber jedenfalls dadurch überwinden, dass er die Bemessung dieser Beträge in das Ermessen des Gerichts stellt.

Ein hinreichendes Feststellungsinteresse ergibt sich nach Auffassung des BGH schließlich auch nicht daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Zwar besteht die Möglichkeit, dass weitere Schäden entstehen, etwa in Gestalt von Steuernachforderungen oder Stilllegungskosten. Diese sind aber nur für den großen Schadensersatz relevant. Diesbezügliche Unsicherheiten rühren demnach entscheidend daher, dass sich der Kläger bewusst nicht für eine der beiden Berechnungsarten entschieden hat.

Praxistipp: Zulässig sein dürfte nach dieser Entscheidung jedenfalls die Kombination einer Leistungsklage auf großen Schadensersatz verbunden mit einem Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller weiteren Schäden.

BGH zum ergänzungsbedürftigen Wiedereinsetzungsvortrag

Zwei interessante Entscheidungen des BGH von zwei verschiedenen Senaten (Beschl. v. 11.5.2021 – VIII ZB 65/20, MDR 2021, 1085) und Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) beschäftigen sich mit der Frage, wann ein Wiedereinsetzungsvorbringen ausreichend, aber ergänzungsbedürftig ist oder eben nicht ausreichend und dann auch nicht mehr ergänzungsfähig ist.

In beiden Fällen ging es um den Verlust einer Sendung auf dem Postweg. Insoweit entspricht folgende Sicht der Dinge der ständigen Rechtsprechung des BGH: Die Partei, die wegen Verlusts eines fristgebundenen Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten auf dem Postweg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer Fristversäumung begehrt, muss auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft machen, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist.

In ersten Fall (VIII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages eine Schilderung des Ablaufes vorgenommen worden, jedoch nicht vorgetragen worden, dass der Schriftsatz ausreichend frankiert wurde. Der entsprechende Wiedereinsetzungsantrag wurde vom Berufungsgericht deswegen zurückgewiesen. Der BGH beanstandet dies. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei der Frankierung bei ansonsten vollständiger Darstellung des Sachverhaltes lediglich um eine ergänzungsbedürftige Angabe, die auf gerichtlichen Hinweis hin noch nachgeholt werden kann, und zwar auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz.

Im zweiten Fall (XII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages nur vorgetragen worden, dass der Schriftsatz an einem bestimmten Tag bei der Post aufgegeben wurde. Die Zurückweisung dieses Wiedereinsetzungsantrages hatte in diesem Fall auch beim BGH Bestand. Nachdem hier nicht nur die Angaben zur Frankierung des Umschlages fehlten, sondern überhaupt alle Angaben zu den Fragen, wann und wie der Schriftsatz fertiggestellt, ausgefertigt und (wo?) abgegeben war, geht der BGH davon aus, dass die Angaben zur Wiedereinsetzung nicht ausreichend waren. Auf eine denkbare Hinweispflicht kam es nicht mehr an, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Damit konnten die fehlenden Angaben auch nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden. Dieser Prozess war verbindlich zu Ende.

Fazit: Die Fälle zeigen, dass man bei Wiedereinsetzungsanträgen, wenn schon zuvor die Frist versäumt wurde, wirklich sorgfältig vorgehen sollte.