Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer einseitigen Erledigungserklärung.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Urteil vom 7. November 2019 – III ZR 16/18

Ein sich abzeichnender Konflikt zwischen dem III. und dem XII. Zivilsenat ist beigelegt.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Nach Begleichung des Klagebetrags und der Nebenforderungen hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Die Revision der Beklagten bleibt hinsichtlich der Nebenforderungen erfolglos. Hinsichtlich der Hauptforderung verweist der BGH die Sache hingegen an das OLG zurück.

Der für die Entscheidung zuständige III. Zivilsenat hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass die Erledigung der Hauptsache auch dann auszusprechen ist, wenn die Klage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bei einem nicht zuständigen Gericht anhängig ist. Dies hätte einer Entscheidung des XII. Zivilsenats widersprochen. Dieser teilte auf eine Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG (Beschluss vom 28. Februar 2019, dazu Montagsblog Nr. 127) mit, er halte an seiner Auffassung fest (Beschluss vom 22. Mai 2019, MDR 2019, 1012).

Der III. Zivilsenat sieht von einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen ab und tritt nunmehr der Auffassung des XII. Zivilsenats bei. Er greift aber einen Hinweis in der Mitteilung vom 22. Mai 2019 auf und hält eine einseitige Erledigungserklärung für begründet, wenn der Kläger im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bereits die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht beantragt hat. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall hinsichtlich der Nebenforderungen zweifelsfrei vor. Zu der Frage, ob die Hauptforderung ebenfalls erst nach Stellung des Verweisungsantrags erfüllt wurde, fehlt es hingegen an tatrichterlichen Feststellungen. Diese muss das OLG in der wieder eröffneten Berufungsinstanz nachholen.

Praxistipp:  Maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der Erledigungserklärung, sondern der Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Der Kläger kann eine ihm ungünstige Kostenentscheidung in solchen Fällen deshalb nicht dadurch verhindern, dass er zunächst einen Verweisungsantrag stellt und erst danach den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

OLG Hamm zur Haftung für Unfall im Baustellenverkehr

Bei einem tragischen Unfall wurde der Kläger, der auf einer Baustelle als „Fernsteuerungskranbediener“ tätig war, von einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen angefahren und bedauerlicherweise dabei so schwer verletzt, dass er aus dem Berufsleben ausscheiden musste. Die Klage des Klägers vor den Sozialgerichten, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, wurde durch alle Instanzen abgewiesen, da der Kläger selbständiger Unternehmer gewesen sei und sich nicht freiwillig versichert habe. Im sich anschließenden Zivilprozess gegen die für den Lieferwagen Verantwortlichen, insbesondere die Haftpflichtversicherung, hatte der Kläger Erfolg.

In der sehr lesenswerten Entscheidung des OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2019 – I-9 U 56/18 widerlegt das Gericht ausführlich die zahlreichen Einwände der Beklagten gegen ihre Haftung. Die Feststellungsklage des Klägers wird zunächst als zulässig angesehen, obwohl der Kläger teilweise beziffern konnte. Es ist jedoch ausreichend für eine Feststellungsklage, dass noch weitere Schäden drohen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, vor allem § 7 StVG, sind einschlägig, da diese nicht an einen Betrieb im öffentlichen Verkehr anknüpften, sondern auch auf privaten Verkehrsflächen maßgeblich sind. Die Beklagten hatten weiterhin eingewandt, der gesamte Fall sei konstruiert worden, um dem Kläger, der keine Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft durchsetzen konnte, nunmehr Ansprüche gegen eine private Versicherung zu verschaffen. Tatsächlich sei der Kläger von einem Gerüst gefallen, ohne dass der Lieferwagen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Diesen Einwand wiederlegt das OLG mit einer ausführlichen Beweiswürdigung aufgrund von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Da danach feststeht, dass der Lieferwagen rückwärtsgefahren ist und dabei den Kläger angefahren hat, spricht der Anscheinsbeweis gegen die Beklagten. Ein Mitverschulden wurde nicht nachgewiesen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers als „Fernsteuerungskranführer“ höchste Konzentration und Präzision erfordert, habe der Kläger nicht auf andere Verkehrsteilnehmer achten müssen. Zwar hatte der Kläger keinen Helm getragen, es steht aber nicht fest, dass dies auf den eingetretenen Schaden überhaupt eine Auswirkung gehabt hat.

Schließlich scheidet auch eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII aus. Die Sozialgerichte haben bindend entschieden, (§ 108 SBG VII), dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegt. Darüber hinaus hat sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte. Hier habe es keine Verbindung zwischen dem Kläger und den Beklagten gegeben, sondern ein beziehungsloses Nebeneinander.

Festzuhalten ist daher: An die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach einem Unfall sind keine hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere steht eine teilweise Bezifferbarkeit der Ansprüche der Klage nicht entgegen. Die Vorschriften des StVG gelten letztlich praktisch überall dort, wo sich das Fahrzeug befindet, vor allem auch auf privaten Verkehrsflächen. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gilt nur, wenn tatsächlich eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt und nicht nur ein beziehungsloses Nebeneinander.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer langfristigen Vertragsbindung in einem Mietvertrag über eine Flüchtlingsunterkunft.

Mietvertrag über Räume zur Unterbringung von Flüchtlingen
Urteil vom 23. Oktober 2019 – XII ZR 125/18

Mit einer Frage, die derzeit für viele Kommunen von Interesse sein könnte, befasst sich der XII. Zivilsenat.

Die Kläger haben der beklagten Stadt Anfang 2016 ein Wohnhaus vermietet, in dem bis zu 14 Flüchtlinge Unterkunft finden sollten. Die monatliche Miete beträgt 2.645 Euro. Das Recht zur ordentlichen Kündigung ist im Vertrag für fünf Jahre ausgeschlossen. Wegen Rückgangs der Flüchtlingszahlen kam es nicht zu einer Belegung der Unterkunft. Die Beklagte kündigte den Vertrag zum 30.4.2017. Die Kläger traten dem entgegen. Ihre Klage auf Zahlung der Miete für Mai bis Dezember 2017 hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Die Revision der Beklagten bleibt erfolglos. Der BGH tritt dem Berufungsgericht darin bei, dass die Parteien das Recht zur ordentlichen Kündigung für die ersten fünf Jahre wirksam ausgeschlossen haben und die Kündigung der Beklagten deshalb unwirksam ist. Er lässt offen, ob es sich bei der maßgeblichen Vertragsbestimmung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt. In AGB kann die Kündigung bei Wohnungsmietverträgen zwar für nicht mehr als vier Jahre ausgeschlossen werden. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist aber kein Vertrag über Wohnraummiete, weil die Beklagte die Räume nicht zur Nutzung für eigene Wohnzwecke erhalten hat, sondern zur Überlassung an Dritte. Die Beklagte ist auch nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Ein Mieter hat grundsätzlich das Risiko zu tragen, dass er die mangelfreie Mietsache nicht wie vorgesehen nutzen kann.

Praxistipp:  Mietverträge über Räume, die der Vermieter Dritten zu Wohnzwecken überlassen will, sind grundsätzlich nicht als Wohnraummietverträge zu qualifizieren. Wenn die Überlassung im Wege der Untermiete erfolgt, greifen die Vorschriften zum Schutz des Wohnungsnutzers in der Regel aber auch gegenüber dem Hauptvermieter. Bei gewerblicher Weitervermietung folgt dies aus § 565 BGB, bei Überlassung durch eine öffentliche Stelle aus der seit 1.1.2019 geltenden Sonderregelung in § 578 Abs. 3 BGB.

Professor Udo Hintzen im Interview zu den Möglichkeiten der Beitreibung einer titulierten Forderung trotz vielfältigem Schuldnerschutz und Restschuldbefreiung

Ziel der Zwangsvollstreckung ist die Befriedigung des Gläubigers als Rechtserfolg. Die Wirklichkeit zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. Für eine effektive und zielgerichtete Vollstreckung sind vertiefte Kenntnisse in diversen Rechtsgebieten vonnöten, will man sich nicht nur auf die Pfändung von Arbeitseinkommen und Girokonten beschränken. Hierüber habe ich mit dem Autor des gerade in neuer Auflage erschienenen Buchs „Musteranträge für Pfändung und Überweisung“ Professor Udo Hintzen[1] gesprochen.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Was ist für einen Gläubiger die größte Herausforderung, will er seinen titulierten Anspruch zwangsweise durchsetzen?

Hintzen: Den Überblick zu gewinnen, welche Möglichkeiten es außer den in den amtlichen Formularen vorgesehenen „Klassikern“ wie Arbeitseinkommen, Arbeitslosengeld, Steuererstattungsanspruch, Lebensversicherung und Bausparvertrag noch gibt. Aber selbst bei diesen vorformulierten Ansprüchen kann es im Einzelfall Abweichungen geben, die dann extra im Anwendungsformular korrigiert werden sollten.

Forner: Muss ein Gläubiger denn die amtlichen Formulare benutzen, auch wenn er andere als die von Ihnen gerade genannten Ansprüche pfänden will?

Hintzen: Ja, muss er. Das Formular enthält einen „offenen“ Baustein; der Gläubiger muss dann – wie früher generell – den zu pfändenden Anspruch selbst formulieren. Allerdings würde der allgemeine Justizgewährungsanspruch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, wenn der gesetzlich geregelte Formularzwang so zu verstehen wäre, dass die Formulare ohne Einschränkung zu verwenden wären. Mit dem Formularzwang wird insbesondere eine Entlastung der Vollstreckungsgerichte bezweckt. Durch die Vereinheitlichung der Antragsformulare soll die Effizienz bei der Bearbeitung der Anträge bei Gericht gesteigert werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Umsetzung dieses in Anbetracht der Vielschichtigkeit der Forderungspfändung anspruchsvollen gesetzgeberischen Anliegens durch die verbindliche Vorgabe des Formulars den Anspruch des Rechtsuchenden auf effektiven Rechtsschutz unverhältnismäßig einschränkt. Daher gibt es trotz Formularzwangs immer die Möglichkeit, von den Vorgaben abzuweichen.

Forner: Wo können denn in einem Formular, das ja immerhin vom Gesetzgeber gesetzlich vorgeschrieben ist, Korrektur- bzw. Anpassungsmöglichkeiten überhaupt auftreten?

Hintzen: Die Ausfüllprobleme haben den BGH bereits kurz nach Einführung der Formulare beschäftigt. Mit seinem ersten Beschluss v. 13.2.2014  – VII ZB 39/13, MDR 2014, 495 hat der BGH das Formular in mehreren Punkten kritisiert und entschieden, dass ein Gläubiger vom Formularzwang entbunden ist, soweit das Formular unvollständig, unzutreffend, fehlerhaft oder missverständlich ist. In diesen Fällen kann der Gläubiger auch Streichungen, Berichtigungen oder Ergänzungen vornehmen oder das Formular insoweit nicht nutzen, sondern auf beigefügte Anlagen verweisen. Nicht zuletzt diese Entscheidung führte dann zur Änderungsverordnung vom 16.6.2014. Leider brachte diese VO außer der „SEPA-Umstellung“ keine Verbesserung, die Kernprobleme sind geblieben.

Forner: Wann benötigt ein Gläubiger neben den amtlichen Formularen, die ja textlich bereits die zu pfändenden Ansprüche genau bezeichnen, noch weitere Unterstützung, z.B. in Form eines Formularbuchs?

Hintzen: Ein Gläubiger sollte sich grundsätzlich nie auf vorgefertigte Texte verlassen. Insbesondere Rechtsanwälte sind ihren Mandanten gegenüber verpflichtet. Ob ein zu pfändender Anspruch im Einzelfall hinreichend bezeichnet und auch alle möglichen Nebenrechte mitgepfändet sind, entscheidet nicht der Gesetzgeber mit Textbausteinen, sondern der Gläubiger selbst ist gefragt und das Vollstreckungsgericht muss dann entscheiden, ob dem Pfändungsantrag stattgegeben wird oder nicht. Bei der Vielfalt der Pfändungsmöglichkeiten wird ein Gläubiger ohne ein Nachschlagewerk kaum auskommen können.

Forner: Ihr soeben erschienenes Buch mit mehr als 200 Musteranträgen zur Pfändung und Überweisung ist so ein Nachschlagewerk. Was erwartet den Nutzer hier an inhaltlichen Neuerungen?

Hintzen: Viele einzelne Gesetzesänderungen haben dazu geführt, dass man bei den einzelnen Anträgen genau hinsehen muss. Es fängt mit der neuen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung an, die zu beachten ist. In den individuellen Anträgen werden unterschiedliche Änderungen relevant, z.B. durch die Reform des Bauvertragsrechts, durch das Gesetz „Ehe für alle“ oder durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Grenzüberschreitend ist auch das neue EU-KontenpfändungsVO-Durchführungsgesetz und das Gesetz zum Internationalen Erbschein zu achten. Daneben gibt es viele kleine Details, die für den Antrag wichtig sind; beispielhaft erwähnt werden kann hier die Verschmelzung der PostbankAG mit der DB Privat- und Firmenkunden. Für den Vollstreckungsgläubiger ist es ja enorm wichtig, wer der richtige Drittschuldner ist.

Forner: Wichtig ist für den Vollstreckungsgläubiger auch, dass er alle Möglichkeiten ausschöpft. Können Sie einmal kurz ein Beispiel außerhalb der eingangs genannten Pfändungsmöglichkeiten nennen?

Hintzen: Viele Schuldner verfügen über Grundbesitz, sei es in Form eines Grundstücks oder einer Eigentumswohnung. Die Zwangsvollstreckung in Vermögensrechte, die sich aus dem Grundbuch ergeben bzw. sich auf das Grundstück beziehen, wird nur selten in Anspruch genommen. Der Grund liegt möglicherweise in den praktischen und rechtlichen Problemen, die aus der Verzahnung des allgemeinen Zwangsvollstreckungsrechts mit Fragen des materiellen und formellen Grundbuchrechts und nicht zuletzt mit dem Recht der Zwangsversteigerung resultieren. Diese äußerst komplexen Fragen sind nicht immer einfach und eindeutig zu beantworten. Die Rechtspfändung und mögliche Sicherung im Grundbuch bietet aber durchaus vielversprechende Realisierungschancen, die der Gläubiger nicht ungenutzt lassen sollte.

Ein weiteres Beispiel sind Pfändungsmöglichkeiten im Rahmen einer Erbfolge. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurde 2017 in Deutschland ein Vermögen von insgesamt etwa 97 Milliarden Euro vererbt und verschenkt. Der Betrag dürfte von Jahr zu Jahr steigen. Hinter diesem Betrag verbergen sich Häuser, Wohnungen, Wertpapiere und Bargeld. Pfändungsmöglichkeiten, die man nicht außer Acht lassen sollte.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

[1] Professor Udo Hintzen ist durch langjährige Tätigkeit als Rechtspfleger ausgewiesener Experte im Umgang mit Forderungspfändungen. Er lehrt an der HWR Berlin (u.a. mit Schwerpunkt Zwangsvollstreckungsrecht) und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Rpfleger“.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz.

Neues Vorbringen im Verfahren nach § 522 Abs. 1 ZPO
Beschluss vom 24. September 2019 – VI ZB 517/18

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht eine Berufung durch Beschluss als unbegründet zurückweisen darf, obwohl es die Begründung der Vorinstanz für unzutreffend hält, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt vom beklagten Insolvenzverwalter, Schadensersatzansprüche aus der Vermittlung einer Kapitalanlage zur Insolvenztabelle festzustellen. Das LG wies die Klage als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an, wies die Berufung aber dennoch gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil es die Klage mangels Kausalitätsnachweis als unbegründet ansah. Ein auf Vernehmung eines Zeugen gerichtetes Beweisangebot der Klägerin zu diesem Thema wies es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO und hilfsweise gemäß § 296 Abs.1 ZPO als verspätet zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Zurückweisung des Beweisangebots nach § 531 Abs. 2 ZPO ist im Streitfall schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin es bereits in der Klageschrift unterbreitet und in der Berufungsinstanz lediglich wiederholt hat. Aus diesem Grund kommt auch eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht den Zeugen auch dann hätte vernehmen müssen, wenn die Klägerin ihn erstmals in der Berufungsinstanz benannt hätte. Das Berufungsgericht war gehalten, die Klägerin auf seine vom Landgericht abweichende Rechtsaufassung hinzuweisen, und ihr Gelegenheit zu geben, zu dem nach Auffassung des LG nicht relevanten Thema der Kausalität ergänzende Angriffsmittel vorzubringen.

Praxistipp: Nach § 522 Abs. 3 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO (ab 1.1.2020: § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Wert der mit dem Rechtsmittel geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen Prozesskostenhilfe und Ehegattenunterhalt.

Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehegatten
Beschluss vom 27. August 2019 – VI ZB 8//18

Mit der Frage, wann eine persönliche Angelegenheit im Sinne von § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB vorliegt, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Das OLG bewilligte dem Beklagten für die Berufungsinstanz antragsgemäß Prozesskostenhilfe, allerdings mit der Maßgabe, dass er monatliche Raten von 1.000 Euro zu zahlen hat.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten, der Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung begehrt, bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der Beklagte gegen seine Ehefrau gemäß § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss hat und diesen für die Finanzierung des Rechtsstreits einsetzen muss. Die dafür erforderliche Voraussetzung, dass der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit des Beklagten betrifft, ist gegeben, obwohl die Klageforderung auf die berufliche Tätigkeit des Beklagten gestützt ist. Ausschlaggebend ist, dass der Kläger dem Beklagten auch strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorwirft. Dieser Vorwurf trifft den Beklagten in seiner persönlichen Sphäre. Die daraus resultierende Pflicht der Ehefrau zur Zahlung eines Vorschusses entfällt nicht deshalb, weil dem Beklagten ähnliche Klagen von Seiten anderer Anleger sowie ein Strafprozess drohen. Die anderen Verfahren könnten die (vom Beklagten grundsätzlich nicht in Abrede gestellte) Leistungsfähigkeit der Ehefrau allenfalls dann mindern, wenn sie dafür bereits Vorschusszahlungen erbringen würde.

Praxistipp: Für die Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren hat ein finanziell leistungsfähiger Ehegatte gemäß § 1360a Abs. 4 Satz 2 BGB ebenfalls einen Vorschuss zu leisten.

Bundestag beschließt Änderungen der ZPO und des GVG

Der Bundestag hat am 14.11.2019 in 2. und 3. Lesung eine dauerhafte Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, Regelungen zur Schaffung von Spezialkammern und -senaten sowie einige weitere Änderungen der Zivilprozessordnung beschlossen (BT-Drs. 19/15167). Anlass war das drohende Auslaufen der bereits mehrfach verlängerten Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO zum 31.12.2019, wonach die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € übersteigt.

Bei einem ersatzlosen Auslaufen der Wertgrenze wäre es zu einer Vervielfachung der schon bisher den BGH stark belastenden Nichtzulassungsbeschwerden gekommen.  Da sowohl zweckmäßige wie auch praktisch umsetzbare Alternativen zu der Wertgrenze seit deren erstmaligen Inkrafttreten am 1.1.2002 nicht gefunden werden konnten, entschloss sich der Gesetzgeber nunmehr, mit Wirkung vom 1.1.2020 an, die Wertgrenze von 20.000 € dauerhaft in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festzuschreiben.

Ebenfalls ab 1.1.2020 werden vornehmlich klarstellende Änderungen der Zivilprozessordnung gelten. So sollen die Parteien Ablehnungsgesuche, bei denen der Ablehnungsgrund erst später bekannt wird, unverzüglich anbringen müssen (§ 44 Abs. 4 S. 2 ZPO). Das Gericht soll zukünftig auch den Nebenintervenienten zur Parteianhörung laden können (§ 67 S. 2 ZPO). Ebenso wird ihm nunmehr ausdrücklich gestattet, durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren zu strukturieren und den Streitstoff abzuschichten (§ 139 Abs. 1 S. 2 ZPO) sowie einen Sachverständigen als Berater hinzuzuziehen (§ 144 ZPO). Weitere Änderungen sollen Probleme beim elektronischen Rechtsverkehr lösen (§ 130a, § 169 Abs. 4 S. 1, § 174 Abs. 4 ZPO). Eine praktische Erleichterung stellt die Vereinfachung des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO dar: Die Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlags kann nun bereits durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erfolgen.

Erst ab 1.1.2021 sollen die Änderungen des GVG gelten, mit denen den Landgerichten und Oberlandesgerichten in §§ 72a, 119a GVG auch die Einrichtung von Spruchkörpern für Pressesachen, erbrechtliche Streitigkeiten und Insolvenzsachen vorgeschrieben wird. Die weitere Spezialisierung der Richter ist im Hinblick auf die immer weiter steigende Komplexität des Rechts als qualitätssicherndes Element sicher zu begrüßen, wird aber gerade in kleineren Gerichten nicht voll zum Tragen kommen können. Aus diesem Grund sieht das Gesetz weitgehende Konzentrationsmöglichkeiten durch Landesrecht vor.

Hinweis: Ein umfassender Beitrag, in dem die Neuregelungen und ihre praktische Bedeutung vorgestellt werden, ist für MDR Heft 1/2020 vorgesehen. Auch sind die Regelungen in der 33. Aufl. des Zöller bereits berücksichtigt; unter www.otto-schmidt.de/zoeller finden Sie auch zeitnah nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens eine Erstkommentierung. Online wird der Zöller an Ort und Stelle aktualisiert.

Neuer Online-Leitfaden zum Güterichterverfahren

Vor sieben Jahren hat der Gesetzgeber das zuvor in Modellprojekten erfolgreich erprobte Güterichterverfahren in den Prozessordnungen sämtlicher Gerichtsbarkeiten verankert. Seither kann das Prozessgericht die Parteien vor einen nicht entscheidungsbefugten, speziell ausgebildeten Richter verweisen, der den Parteien die Möglichkeit bietet, unter Einsatz von Methoden der alternativen Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation eine eigenverantwortliche Lösung ihres Konflikts zu finden, die sich u.U. völlig vom Gegenstand des Prozesses und den dort vertretenen Positionen löst.

Dieses Verfahren führt aber in der gerichtlichen Praxis noch immer ein Schattendasein. Während es an einigen Gerichten reichlich und mit ausgezeichneten Ergebnissen genutzt wird, findet es an den meisten in äußerst geringem Umfang, zum großen Teil überhaupt nicht statt (vgl. die statistischen Auswertungen unter www.gueterichter-forum.de). Noch immer werden die von ihm gebotenen Möglichkeiten nur unzulänglich ausgeschöpft, was auch auf Unklarheiten zu rechtlichen Fragen und zum methodischen Vorgehen zurückzuführen ist, wie z.B.:

Wann ist eine Verweisung vor den Güterichter angezeigt – und wie ist sie vorzunehmen? Was ist bei der Vorbereitung der Güterichterverhandlung zu beachten? Wie geht man mit Blockaden oder Störungen der Verhandlung um? Wie kann die Vertraulichkeit des Gesprächs gesichert werden? Wie lassen sich Dritte einbeziehen? Müssen Anwälte im Mediationsgespräch dabei sein und welche Rolle spielen sie dort? Welche Möglichkeiten bieten sich beim Abschluss des Verfahrens? Was ist bei der Einbeziehung weiterer Regelungen in den Vergleich zu beachten? Welche Kosten- und Gebührenregelungen greifen ein, z.B. bei Mehrvergleich oder PKH-Berechtigung?

Aus jahrelanger wissenschaftlicher Begleitung der Praxis sind mir diese Fragestellungen bestens bekannt, aber auch die großen Chancen bewusst, die das Güterichterverfahren für eine rasche, belastungsarme, interessengerechte und nachhaltige Konfliktlösung bietet. Gemeinsam mit der erfahrenen Güterichterin und Mediatorin Harriet Weber habe ich daher die 2018 als MDR-Sonderheft erschienene „Arbeitshilfe für Richter, Rechtsanwälte und Gerichtsverwaltung“ in aktualisierter und stark erweiterter Fassung neu aufgelegt, und zwar in Form eines im Internet abrufbaren Online-Leitfadens. Diese Publikationsform bietet neben der ständigen Verfügbarkeit den unmittelbaren Zugang zu Gerichtsentscheidungen und anderen Quellen sowie zu aktuellen Meldungen auf meiner Website www.gueterichter-forum.de.

Hinweis: Der Leitfaden ist als reiner Online-Beitrag über das Beratermodul Otto Schmidt Zivil- und Zivilverfahrensrecht abrufbar (auch im Rahmen eines kostenlosen Probeabos oder Datenbank-Tests. Ebenso enthalten im juris PartnerModul Zivil- und Zivilprozessrecht und juris PartnerModul Notare.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen gegen Notare.

Verjährung des notariellen Amtshaftungsanspruchs
Urteil vom 10. Oktober 2019 – III ZR 227/18

Mit der Frage, wann ein Laie die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis von einer notariellen Pflichtverletzung hat, befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger hatte Ende 2006 eine Eigentumswohnung erworben. Im notariellen Vertrag, den der Beklagte als Notarvertreter beurkundet hat, ist vermerkt, der Käufer habe den Vertragsentwurf mehr als zwei Wochen zuvor erhalten und ausreichend Gelegenheit gehabt, ihn zu prüfen oder überprüfen zu lassen. Später betrieb der Kläger die Rückabwicklung der Verträge, weil er den Kaufpreis als überteuert ansah. Sein Versuch, die an dem Geschäft Beteiligten in Anspruch zu nehmen, schlug fehl, unter anderem wegen Insolvenz der als Schuldner in Frage kommenden Gesellschaften. Daraufhin nahm der Kläger Ende 2016 den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil ihm der Vertragsentwurf entgegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG und abweichend von den Angaben im Vertrag erst kurz vor dem Beurkundungstermin zur Verfügung gestellt worden sei. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH tritt den Vorinstanzen darin bei, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt sind. Er knüpft an seine schon zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. ergangene Rechtsprechung an, wonach die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs bereits dann vorliegt, wenn dem Gläubiger Tatsachen bekannt oder infolge von grober Fahrlässigkeit unbekannt sind, die aus seiner Sicht auf eine Pflichtverletzung hinweisen. Abweichend von der Auffassung der Revision sieht der erkennende Senat insoweit keine Unterschiede zwischen der Rechtsprechung für Notar-, Anwalt- und Arzthaftungssachen. Im Streitfall ergaben sich für den Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung des Beklagten schon aus dem Umstand, dass die im beurkundeten Vertrag enthaltenen Angaben zur Überlassung des Vertragsentwurfs nach seinem eigenen Vortrag objektiv unzutreffend waren und damit gegebenenfalls auch für einen Laien ohne weiteres erkennbar war, dass der Beklagte möglicherweise gegen rechtliche Vorgaben verstieß. Die Verjährung begann deshalb, sobald der Kläger zusätzlich Kenntnis davon erhielt, dass keine anderweitigen Ersatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Letzteres war spätestens im Jahr 2012 der Fall. Die im Jahr 2016 erhobene Klage konnte die Verjährung deshalb nicht mehr hemmen.

Praxistipp: Etwas anderes kann gelten, wenn der Notar den Geschädigten über den Inhalt oder Umfang der ihn treffenden Pflichten unzutreffend belehrt hat und für den Geschädigten nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Belehrung fehlerhaft ist.

OLG Frankfurt: „Ende“ des selbständigen Beweisverfahrens

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 21.08.2019 – 13 W 40/19) hatte der Sachverständige nach Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens ein Ergänzungsgutachten vorgelegt. Dieses ging den Parteien am 14.3.2019 zu. Mit Schriftsatz vom 13.5.2019 beantragte der Antragsgegner, dem Antragsteller eine Frist zur Klageerhebung zu setzen und den Streitwert festzusetzen. Der Antragsteller erhielt diesen Schriftsatz mit der Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen. Mit Schriftsatz vom 29.5.2019 (also innerhalb der eingeräumten Frist) beantragte der Antragsteller jedoch, dem Sachverständigen weitere Fragen zur Beantwortung vorzulegen. Das Landgericht wies diesen Antrag zurück. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

Diese sofortige Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig, da das Landgericht ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen hatte. Die entscheidende Frage war, ob das selbständige Beweisverfahren bereits beendet war oder nicht. Eine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO hatte das Landgericht nicht gesetzt. Demgemäß kam es darauf an, ob hier der in § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO maßgebliche angemessene Zeitraum, um Einwendungen gegen das Gutachten mitzuteilen, schon abgelaufen war. Zur Bestimmung dieses Zeitraums kann keine verbindliche Frist herangezogen werden. Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wie z. B. den Umfang und die Schwierigkeit der Sache sowie die Verständlichkeit des Gutachtens oder auch die bisherige Dauer des Verfahrens. Für den angemessenen Zeitraum sind Fristen von ein bis sechs Monaten in der Diskussion, jedoch in der Regel nicht mehr als drei Monate. Hier waren seit der Mitteilung des Gutachtens elf Wochen vergangen, mithin weniger als drei Monate. Außerdem ging der Antrag innerhalb der eingeräumten Stellungnahmefrist zu dem Antrag des Antragsgegners ein. Das Landgericht hatte seinerseits zuvor auf eine Fristsetzung verzichtet. Vor diesem Gesamthintergrund war der angemessene Zeitraum hier gerade noch nicht abgelaufen, als der Antrag des Antragstellers einging.

Somit hob das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts auf und gab dem Landgericht die Gelegenheit, einen sachgerechten weiteren Beschluss zu treffen.

Fazit: Ein selbständiges Beweisverfahren kann von alleine zu Ende gehen. Es empfiehlt sich daher – falls das Gericht keine Fristen setzt – eventuelle Ergänzungsfragen an den Sachverständigen zeitnah anzubringen. Höchstvorsorglich ist nach Eingang des Gutachtens eine Dreimonatsfrist zu notieren.