Neuerung in § 309 Nr. 13 BGB: Textform für Erklärungen ausreichend

Fast still und heimlich hat sich eine neue Regelung in die AGB-Regelungen des BGB geschlichen, § 309 Nr. 13 besagt:

§ 309 Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit

Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam

[…]eine Bestimmung, durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, gebunden werden

a) an eine strengere Form als die schriftliche Form in einem Vertrag, für den durch Gesetz notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist oder

b) an eine strengere Form als die Textform in anderen als den in Buchstabe a genannten Verträgen oder

c) an besondere Zugangserfordernisse;

Diese Regelung führt im Rechtsverkehr zu erheblichen Erleichterungen. Immer dann, wenn AGB im Spiel sind (und nicht ausnahmsweise § 309 nicht anwendbar ist, z.B. § 310 BGB) haben Vertragspartner die Möglichkeit, Erklärungen auch in Textform abzugeben. Die Regelung gilt für Verträge, die nach dem 30.09.2016 geschlossen wurden (Art. 229 § 37 EGBGB), wobei der BGH auch für davor geschlossene Verträge ein „Türchen“ gegen Schriftformklauseln geöffnet hatte.

Übrigens: Die Regelung gilt nicht nur für online abgeschlossene Verträge, wenn auch das teilweise in den Medien behauptet wird.

Praxistipp:

Wenn es auf den Zugang einer Erklärung ankommt, kommt man um die Zustellung per Gerichtsvollzieher oder durch einen Boten nicht wirklich herum. Bei weniger gravierenden Erklärungen im Alltag (z.B. Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen) dürfte das Fax oder nunmehr auch die E-Mail genügen. Der Nachweis des Zugangs bei einer E-Mail ist nicht sehr einfach, wenn der Empfänger keine Reaktion hierauf versendet. Bei einer E-Mail kann ein Versand der E-Mail an eine (oder mehrere) Personen „im cc“ dazu führen, dass eine E-Mail als zugegangen gil (LG Hamburg Urteil vom 7.7.2009 – 312 O 142/09 MMR 2010, 654). Ein solches Vorgehen empfiehlt sich also und ist umso aussagekräftiger, je mehr Empfänger die Mail in (B)CC erhalten.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich Hygieneverstößen im Krankenhaus
Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15

Mit Fragen der Beweis- und Darlegungslast befasst sich der VI. Zivilsenat in einer Arzthaftungssache.

Der Kläger ließ sich wegen eines Tennisarms operieren. Nach kurzer Zeit stellten sich erneut anhaltende Schmerzen ein. Bei einer Revisionsoperation wurde eine Wundinfektion mit starker Eiterbildung festgestellt. In der Folgezeit wurden weitere Operationen erforderlich. Dennoch verblieben dauerhafte Schmerzen. Der Kläger nahm deshalb die Krankenhausträgerin auf Schadensersatz in Anspruch, unter anderem mit der Behauptung, zu der Wundinfektion sei es gekommen, weil er nach der ersten Operation in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht gewesen sei, der an einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich gelitten habe. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass die Beweislast für die Ursache der Wundinfektion beim Kläger liegt. Zwar tritt eine Umkehr der Beweislast ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können. Vorgänge im lebenden Organismus und damit Wundinfektionen gehören aber nicht zu dieser Kategorie. Abweichend von der Auffassung des OLG bejaht der BGH aber eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten, weil der Kläger konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen hat. Die Unterbringung zusammen mit einem Patienten, der an einer offenen und infizierten Wunde leidet, stellt zwar nicht per se einen Behandlungsfehler dar. Sie erfordert aber besondere Vorkehrungen, die in einer Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Institutes näher beschrieben sind. Ob diese Anforderungen eingehalten wurden, ist eine Frage der inneren Organisation des Krankenhausbetriebs. Deshalb trifft den Krankenhausträger insoweit eine sekundäre Darlegungslast.

Praxistipp: Um eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten zu begründen, muss der Kläger all das vortragen, was ihm aus eigener Anschauung zugänglich ist.

Stellung des selbstständigen Streithelfers
Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZB 96/15

Mit grundlegenden Fragen zur Stellung eines Streithelfers befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte für Forderungen des Beklagten gegen den Streithelfer aus einem Wohnungsmietvertrag eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Auf Verlangen des Vermieters erbrachte sie Zahlungen auf rückständige Nebenkosten. Später begehrte sie Rückzahlung dieser Beträge, weil die Nebenkostenabrechnungen unzutreffend seien. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Gegen diese Entscheidung legte lediglich der Streithelfer Berufung ein, den die Klägerin in der Zwischenzeit auf Regress in Anspruch genommen hatte. Das LG wies die Berufung als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es aus, die zunächst im eigenen Namen als „selbstständiges“ Rechtsmittel eingelegte Berufung des Streithelfers sei unzulässig, weil ein Fall der selbstständigen Streithilfe (§ 69 ZPO) nicht vorliege. Die später zugunsten der Klägerin geführte („unselbstständige“) Berufung sei unzulässig, weil der Streithelfer sie nicht begründet habe und weil die Klägerin durch die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Streithelfer zu erkennen gegeben habe, dass sie die Abweisung der Klage nicht anfechten wolle.

Der BGH verweist die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. Mit dem LG hält er die Voraussetzungen für eine selbstständige Streithilfe (streitgenössische Nebenintervention) gemäß § 69 ZPO für nicht gegeben, weil ein Urteil im Prozess zwischen Gläubiger und Bürge grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hautschuldner entfaltet. Er stellt aber klar, dass auch ein selbstständiger Streithelfer durch Einlegung eines Rechtsmittels nicht Partei des  Rechtsstreits wird. Ein selbstständiger Streithelfer kann zwar (abweichend von den für einen einfachen Streithelfer in § 67 ZPO vorgesehenen Beschränkungen) auch gegen den Willen der unterstützten Hauptpartei Rechtsmittel einlegen und Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend machen; deshalb ist ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel gegebenenfalls getrennt von einem Rechtsmittel der Hauptpartei zu beurteilen. Dennoch handelt es sich stets um ein zugunsten der Hauptpartei eingelegtes Rechtsmittel. Wenn sich im Laufe des Berufungsverfahrens ergibt, dass die Voraussetzungen des § 69 ZPO entgegen der Einschätzung des Streithelfers nicht vorliegen, hängt die Zulässigkeit der Berufung deshalb – entgegen den komplexen Überlegungen des LG – allein von der Frage ab, ob die unterstütze Hauptpartei dem Rechtsmittel widersprochen hat. Diese Voraussetzung war im Streitfall entgegen der Auffassung des LG nicht erfüllt. Ein Widerspruch kann zwar auch konkludent erklärt werden. Aus dem Umstand, dass die Klägerin Regressansprüche gegen den Streithelfer geltend macht, kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, sie wolle einer weiteren Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche gegen den Beklagten entgegentreten.

Praxistipp: Ein Streithelfer sollte ein Rechtsmittel stets „zur Unterstützung der Hauptpartei“ einlegen und sich nicht auf Erörterungen zu der Frage einlassen, ob es sich um ein „selbstständiges“ oder ein „unselbstständiges“ Rechtsmittel handelt.

TV-Übertragungen aus Gerichtssälen?

Die Beschäftigung mit diesem Thema gewinnt an Fahrt. Der 71. Deutsche Juristentag in Essen hat sich damit befasst, es gibt auch bereits einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Das Gesetz soll im Wesentlichen § 169 GVG ändern und trägt die schöne Abkürzung (EMöGG); Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren.

Vorgesehen ist nunmehr – in Anlehnung an Beschlüsse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – folgendes: Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können, bei erheblichem Medieninteresse sollen an allen Gerichten Arbeitsräume für Medienvertreter mit Tonübertragungen eingerichtet werden, Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sollen audio-visuell dokumentiert werden können. Wenigstens könnten sich mit diesem Entwurf die noch weitergehenden Forderungen erledigen (z.B. Forderungen nach einer Übertragung von Gerichtsverhandlungen direkt im Fernsehen oder im Internet). Derartiges wäre auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte von beteiligten Personen, vor allem solchen, die aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen in ein Verfahren hineingezogen werden, mehr als problematisch.

Der Deutsche Juristentag hat sich wie folgt entschieden: Bei Hauptverhandlungen an den obersten Gerichtshöfen des Bundes sollten – wie derzeit schon beim BVerfG (§ 17a BVerfGG) – Bild- und Tonaufnahmen von dem Beginn der Verhandlung sowie von der Urteilsverkündung nebst Begründung zugelassen werden. Videoübertragungen in andere Säle sollten nicht zulässig sein, dasselbe gilt für Übertragungen in einen Medienraum. Die Entscheidung des Deutschen Juristentages sind alle zu begrüßen.

Der Aufwand, der für die Justiz durch diese Regelungen entsteht, wird allerdings stark unterschätzt. Die technischen Voraussetzungen zu schaffen, ist nicht einfach. Es müsste das dafür erforderlich Personal (was faktisch nicht geschieht) und die Technik zur Verfügung gestellt werden. Verfahren mit großem Medieninteresse führen ohnehin zu einer erheblichen Mehrarbeit zahlreicher Justizorgane, die an kaum einer Stelle in den vorgegebenen Pensen, nach denen sich in der Justiz alles ohne Rücksicht auf die tatsächliche Belastung und die sonstigen Umstände richtet, berücksichtigt wird. Der geschickte Strafverteidiger wird, selbst wenn wie vorgesehen, die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse unanfechtbar sind, sicherlich reichlich Angriffsstoff für Verfahrensrügen finden können.

Von daher werden es sich bestenfalls die obersten Bundesgerichte leisten können, den anvisierten Aufwand zu betreiben. Den Instanzgerichten sollte man dies eher nicht zumuten. Erfahrungsgemäß dürfte jedoch nicht zu erwarten sein, dass sich an dem Gesetzesentwurf noch etwas ändern wird. Vielmehr wird – wie stets – ohne größere Rücksichtnahme auf weitere Sachargumente der Gesetzesentwurf zum Gesetz. Aber immerhin: Es hätte noch viel schlimmer kommen können! Und vielleicht kehrt dann diesbezüglich endlich wieder Ruhe ein.

 

Kostenerstattung: OLG München stellt sich gegen BGH

Nimmt eine mit einer Klage oder einem Rechtsmittel überzogene Partei anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die hierdurch ausgelösten Kosten auch dann erstattungsfähig, wenn der Kläger bzw. Rechtsmittelführer seine Anträge zwischenzeitlich zurückgenommen hat; dies gilt nur dann nicht, wenn die anwaltliche Hilfe suchende Partei oder ihr Vertreter von der Rücknahme weiß oder schuldhaft nicht weiß. Mit dieser im Beschluss vom 30.08.2016 (11 WF 733/16) vertretenen Auffassung stellt sich das OLG München gegen die Entscheidung des BGH vom 25.02.2016 (III ZB 66/15). Die Entscheidung des BGH ist in MDR 2016, 503 ablehnend besprochen worden. Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Nunmehr wird sich der XII. Senat beim BGH mit dieser Fragestellung beschäftigen können.

BGH: Kosten bei Wechsel des Reisenden dürfen „ausarten“

Der BGH hatte sich mit einer interessanten Regelung auseinanderzusetzen, die bei Reiseverträgen Anwendung findet: § 651b BGB. Hiernach darf der Reisende (mit gewissen Beschränkungen) bestimmen, dass ein Dritter für ihn die Reise antritt. Der beteiligte Reiseveranstalter verlangte für eine Änderung des Namens des Reisenden aber die Erstattung der ihm entstehenden Mehrkosten des Fluges. Da der Flug nach den Tarifbedingen keine Namensänderung zuließ, sollte dies zu einer Stornierung mit Neubuchung führen, verbunden mit den Kosten für diesen neuen Flug. Der Reisende trat vom Reisevertrag zurück und verlangte die Erstattung des Reisepreises.

Der BGH ist der Ansicht, dass der Reiseveranstalter die ihm entstehenden Kosten 1:1 weiterleiten kann und auch insbesondere nicht gezwungen ist, nur solche Flugtarife anzubieten, die einen kostenfreien (oder preiswerten) Namenswechsel erlauben.

Diese Entscheidung ist äußerst bedenklich. Das Recht des Reisenden, einen Ersatzpassagier zu bestimmen, wird hierdurch quasi faktisch eingestampft, da erhebliche Zuzahlungen drohen. Wenn auch die EG-Pauschalreiserichtlinie ebenfalls in Art. 4 Abs. 4 lit. a) die Umlage etwaiger Mehrkosten vorsieht, dürfte es zweifelhaft sein, von Veranstaltern nicht zu verlangen, Tarife bei Pauschalreisen zu verhandeln, die die Namensänderung lediglich zu einem angemessenen, den tatsächlichen Aufwand deckenden, Entgelt durchzuführen.

Im Übrigen stellt sich, zumindest bei nationalen Sachverhalten (Deutsche Airline, deutscher Veranstalter, deutscher Reisender) auch die Frage, inwieweit bei einer Stornierung mit darauf folgender Neubuchung auf eine dritte Person tatsächlich Mehrkosten anfallen. Die Instanzrechtsprechung hält § 649 S. 2 BGB, der hier bei Flugbuchungen anwendbar ist, nicht in AGB für abdingbar, wenn es um die Frage des Stellens von Ersatzpassagieren geht. Eine Stornierung mit nachfolgender Neubuchung dürfte dabei dazu führen, dass überhaupt keine Mehrkosten anfallen (exemplarisch zwei vom Autor erwirkte Entscheidungen: AG Charlottenburg Hinweisbeschluss vom 08.09.2016 Az.: 203 C 367/16; AG Köln Urteil vom 24.09.2012 Az.: 114 C 22/12). Sobald jedoch Airlines aus dem Ausland Gegenstand der Pauschalreise sind, dürfte sich dies nicht mehr so pauschal beantworten lassen.

Ein möglicher „Workaround“ wäre es, vom Reiseveranstalter nur die sonstigen Leistungen (Hotel, Mietwagen…) umbuchen zu lassen und dann aufgrund der vorgenannten Entscheidungen direkt gegen die Airline vorzugehen, wobei der Reisende zunächst bezüglich des Ersatzpassagiers in Vorkasse gehen müsste. Hier kommt es auch auf Besonderheiten des Einzelfalls an, was die Risiken des Reisenden angeht.

 

Die Entscheidungen des BGH sind nicht auf reine Flugbuchungen anwendbar, da § 651b eine Gesamtheit von Reiseleistungen, also z.B. eine Bündelung von Hotel und Flug oder Flug und Mietwagen vorsieht.

BGH Urteile vom 27. September 2016 – X ZR 107/15 und X ZR 141/15 Presseinfo 

71. Juristentag zur Digitalen Wirtschaft

Der diesjährige Juristentag in Essen befasste sich im Zivilrecht mit der digitalen Wirtschaft. Da oftmals gesetzgeberische Impulse vom Juristentag ausgehen, können die dort gefassten Beschlüsse einen Ausblick auf mögliche rechtliche Veränderungen geben, hier einige interessante Auszüge aus den Beschlüssen:

  • Die Einführung eines neuen Vertragstyps für digitale Inhalte lehnt der Juristentag ab, es sollen aber Sonderregelungen geschaffen werden, um bisherige Problemfälle bei der Anwendung bestehender Rechtskonstrukte zu lösen.
  • Insbesondere für Dauerschuldverhältnisse bezüglich digitaler Inhalte soll der Gesetzgeber eigene Regelungen schaffen.
  • Für den Fall, dass Nutzer den Anbietern digitale Inhalte zur Verfügung stellen (z.B. Fotos), sollen Rückabwicklungsregeln bei einem Widerruf oder einer sonstigen Beendigung eingeführt werden.
  • Der Schutz von Minderjährigen im Datenschutzrecht soll unverändert fortbestehen.
  • Für unentgeltliche Leistungen im Internet sollen keine besonderen gesetzlichen Regelungen geschaffen werden.
  • In Abweichung zu den Vorgaben der RL zu digitalen Inhalten (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2015/DE/1-2015-634-DE-F1-1.PDF) sollen Aktualitäts- und Aktualisierungsverpflichtungen stark begrenzt werden.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

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Gutachterkosten nach Verkehrsunfall
Urteil vom 19. Juli 2016 – VI ZR 491/15

Einen pragmatischen Ansatz verfolgt der VI. Zivilsenat hinsichtlich einer praktisch häufig auftretenden Frage.

Ein Geschädigter hatte nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen mit der Begutachtung seines Fahrzeugs betraut. Der Sachverständige ließ sich die aus dem Unfall resultierenden Ansprüche auf Ersatz der Gutachterkosten abtreten. Die Haftpflichtversicherung des Geschädigten hielt das Gutachten für unbrauchbar und verweigerte die Zahlung. Die daraufhin erhobene Klage hatte beim AG zum überwiegenden Teil und beim LG in vollem Umfang Erfolg. Das LG hielt das Gutachten für nicht völlig unbrauchbar und die geltend gemachten Kosten für angemessen, weil nicht ersichtlich sei, dass dem Geschädigten ein Auswahlverschulden zur Last falle.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Mit dem LG ist er der Auffassung, dass ein Geschädigter grundsätzlich nicht gehalten ist, vor der Beauftragung eines Sachverständigen den Markt zu erforschen. Deshalb darf der Geschädigte grundsätzlich Ersatz desjenigen Betrags verlangen, den er an den Sachverständigen gezahlt hat. Ein bloßes Bestreiten der Schadenshöhe ist in solchen Fällen irrelevant. Abweichend vom LG beschränkt der BGH diese subjektbezogene Schadensbetrachtung aber auf Konstellationen, in denen der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen selbst beglichen hat. Ein Sachverständiger, der sich stattdessen die Ersatzforderung des Geschädigten abtreten lässt, muss bei Bestreiten der Gegenseite zur Angemessenheit seiner Forderung näher vortragen.

Praxistipp: Ein Geschädigter, der Ersatzansprüche an einen Sachverständigen abtritt, sollte sich vor der Abtretung vom Sachverständigen bestätigen, dass er nur insoweit zur Honorarzahlung verpflichtet ist, als sich die Anspruchshöhe im Verhältnis zum Geschädigten als angemessen erweist.

Doppelter Formmangel eines Schenkungsvertrags
Urteil vom 28. Juni 2016 – X ZR 65/14

Mit einem Fall des Doppelmangels befasst sich der X. Zivilsenat.

Die spätere Erblasserin hatte den Beklagten bevollmächtigt, über alle von ihr gehaltene Fondanteile – die im Wesentlichen ihr gesamtes Vermögen ausmachten – auch zu eigenen Gunsten zu verfügen. Wenige Stunden vor dem Tod der Erblasserin veräußerte der Beklagte aufgrund dieser Vollmacht Fondanteile der Erblasserin und ließ sich den Erlös auf sein eigenes Konto überweisen. Die Rückzahlungsklage der Erben hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies die Klage ab, mit der Begründung, die Erblasserin habe ein Schenkungsversprechen erteilt, das zunächst formnichtig gewesen, mit der Gutschrift des Veräußerungserlöses aber wirksam geworden sei.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er stellt klar, dass der Vollzug der vom OLG festgestellten Schenkung zwar gemäß § 518 Abs. 2 BGB den Mangel der für ein Schenkungsversprechen in § 518 Abs. 1 vorgesehenen Form heilt, nicht aber den Mangel der in § 311b Abs. 3 BGB vorgesehenen Form für einen Vertrag, in dem sich ein Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen.

Praxistipp: Wenn das Schenkungsversprechen nicht unter § 311b Abs. 3 BGB fällt, müssen die Erben darauf bedacht sein, eine erteilte Vollmacht möglichst zeitnah zu widerrufen. In der hier zugrunde liegenden Fallgestaltung wäre es dafür allerdings zu spät gewesen.

Keine Streitwerterhöhung durch Turboklausel

Eine Turboklausel ist die in einem gerichtlichen Vergleich für den Arbeitnehmer vorgesehene Möglichkeit, aus einem Arbeitsverhältnis vor der vereinbarten Beendigung durch einseitige Erklärung – ggf. gegen gleichzeitige Sonderzahlung – auszuscheiden. Eine solche Regelung erhöht den Streitwert bzw. einen Mehrwert des Vergleichs nicht. Streitwertrelevant ist nicht, worauf sich die Parteien geeinigt haben, sondern worüber sie sich gestritten haben. So vertritt es auch das LAG Düsseldorf (Beschl. v. 25.08.2016 – 4 Ta 513/16). Der Umstand, dass eine Partei eine solche Klausel bei Vergleichsverhandlungen gefordert habe, sei nicht mit einem Streit oder einer Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis i.S.v. Nr. 1000 VV RVG gleichzusetzen.

 

Unzulässigkeit eines Befangenheitsantrages wegen nachfolgender Antragstellung?

In einem Zivilverfahren hatte das Amtsgericht in einer Fallkonstellation, die die Anwendung der §§ 816 Abs. 2, 185 BGB nahelegte, auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen, der sich allerdings an Hand des Parteivortrages ohnehin aufgedrängt hatte. Daraufhin wurde der Richter von einer der Parteien wegen angeblicher Befangenheit abgelehnt. Anschließend erklärten sich beide Parteien mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden. Der Richter kündigte allerdings an, es solle zunächst über den Befangenheitsantrag entschieden werden.

Das Amtsgericht wies den Befangenheitsantrag zurück, das Landgericht sah denselben bereits als unzulässig an. Der Antragsteller habe sich schließlich auf die Verhandlung eingelassen, nachdem der Befangenheitsantrag gestellt worden war (§ 43 ZPO).

Der BGH (Beschl. v. 26.04.2016 – VIII ZB 47/15, MDR 2016, 902; siehe auch die Besprechung von Conrad in MDR 2016, 1005) teilt diese Auffassung nicht. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, wie diese Rechtsfrage zu entscheiden ist. Der BGH folgt denjenigen Stimmen, die § 43 ZPO auf diese Konstellation nicht anwenden wollen. Nach seinem Wortlaut regelt § 43 ZPO den Verlust des Ablehnungsrechts nur für den Fall, dass der Ablehnungsgrund anfällt, jedoch von der betroffenen Partei überhaupt nicht geltend gemacht wird. Es besteht aber kein praktisches Bedürfnis, § 43 ZPO auf die hier vorliegende Konstellation ausdehnend anzuwenden. § 43 ZPO fordert lediglich, dass der Ablehnungsgrund zeitnahe geltend gemacht wird, nicht erforderlich ist es, in eine Verweigerungshaltung einzutreten. Zwar ist es richtig, dass durch eine derartige Verfahrensweise richterliche Arbeit überflüssig werden kann, jedoch hat das Gericht es selbst in der Hand, dies zu verhindern. Die Fortsetzung eines Termins ist gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO möglich, jedoch nicht zwingend geboten. Der Befangenheitsantrag war daher – entgegen der Ansicht des LG – zulässig.

In der Sache weist der BGH den Befangenheitsantrag damit nicht als unzulässig, wohl aber als unbegründet zurück. Das hier beanstandete Verhalten des Richters war unter den vorliegenden Umständen ohne weiteres von § 139 ZPO gedeckt.

Fazit: Die Entscheidung ist sachgerecht und praxisgerecht. Es ist nunmehr höchstrichterlich klargestellt, dass das Ablehnungsrecht nicht verlorengeht, wenn sich eine Partei nach der Ablehnung eines Richters auf eine weitere Verhandlung einlässt, insbesondere Anträge stellt oder einem schriftlichen Verfahren zustimmt.

Weiterführende Literatur: Conrad, Ablehnung des Richters – Verfahren und ausgewählte Fallgruppen zur „Besorgnis der Befangenheit“, MDR 2015, 1048.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

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Akzessorietät der Bürgschaft: Verjährung der Hauptforderung
Urteil vom 14. Juni 2016 – XI ZR 242/15

Grundlegende Erörterungen zur Akzessorietät der Bürgenhaftung stellt der IX. Zivilsenat an.

Die klagende Bank hatte der damaligen Ehefrau des Beklagten in den Jahren 1992 und 1993 zwei Darlehen für den Ankauf und die Sanierung einer Wohnanlage gewährt; der Beklagte hatte jeweils eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Zahlungseinstellung und Anordnung der Zwangsverwaltung stellte die Klägerin die Darlehensforderungen im Jahr 2001 fällig. Im Jahr 2004 nahm sie den Beklagten als Bürgen in Anspruch. Die im Jahr 2008 in einem separaten Rechtsstreit in Anspruch genommene Hauptschuldnerin, die sich unter anderem auf Verjährung berief, wurde im Jahr 2009 erstinstanzlich zur Zahlung verurteilt; gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Die Klage gegen den Bürgen blieb zunächst in zwei Instanzen erfolglos. Nach Zurückverweisung in einem ersten Revisionsurteil erklärte das OLG die Klageforderung für dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der BGH weist die Revision des Beklagten gegen das Grundurteil des OLG zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass sich der Beklagte aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung der Hauptschuldnerin nicht mehr auf die Verjährung der Hauptforderung berufen kann. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Bürge nur die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden erheben kann. Anders als bei den von § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Einwendungen gegen den Bestand der Hauptforderung (zB Erfüllung oder Aufrechnung) genügt bei Einreden also nicht, dass ein dafür erforderlicher Tatbestand objektiv erfüllt ist; vielmehr muss der Hauptschuldner (noch) berechtigt sein, die Einrede zu erheben. Im Streitfall kann die Hauptschuldnerin aufgrund ihrer rechtskräftigen Verurteilung die Einrede der Verjährung nicht (mehr) erheben. Deshalb kann auch der Bürge diese Einrede nicht mehr geltend machen. Etwas anderes gilt gemäß § 768 Abs. 2 BGB, wenn die Einrede bereits wirksam entstanden war und durch ein Rechtsgeschäft des Hauptschuldners wieder in Wegfall geraten ist. Der VIII. Zivilsenat hat diese Regelung für den Fall analog angewendet, dass sich der Hauptschuldner gegen eine nach Verjährung erhobene Klage nicht zur Wehr setzt (Urteil vom 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222 = MDR 1980, 664). Den im Streitfall erhobenen Einwand, die Hauptschuldnerin habe den Prozess schlecht geführt, hält der XI. Zivilsenat für eine analoge Anwendung von § 768 Abs. 2 BGB nicht für ausreichend.

Praxistipp: Wenn der Bürge vom Prozess gegen den Hauptschuldner weiß und befürchtet, dass dieser Hauptschuldner die Einrede der Verjährung durch unzureichende Prozessführung verlieren wird, sollte er dem Rechtsstreit als Streithelfer des Hauptschuldners beitreten.

Öffentliche Beschaffenheitsangaben und notarieller Gewährleistungsausschluss
Urteil vom 22. April 2016 – V ZR 23/15

Mit der Reichweite eines Gewährleistungsausschlusses in einem Grundstückskaufvertrag befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger kauften von den Beklagten ein Wohnhaus, an dessen Stelle früher eine Scheune gestanden hatte. In der Verkaufsanzeige in einem Internetprotal hatten die Beklagten angegeben, das Haus sei 1999/2000 errichtet worden. Später stellte sich heraus, dass eine Außenwand aus der Bausubstanz der früheren Scheune übernommen worden war. Die Kläger begehrten deshalb die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagten antragsgemäß, weil das Alter der Außenwand einem Mangel darstelle, dieser im Hinblick auf die höhere Schadensanfälligkeit und Wärmedurchlässigkeit nicht als unbeachtlich angesehen werden könne und der im notariellen Kaufvertrag vereinbarte Gewährleistungsausschluss Abweichungen von den im Internet veröffentlichten Beschaffenheitsangaben nicht erfasse.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt dem Berufungsgericht darin bei, dass öffentliche Äußerungen über Eigenschaften der Kaufsache gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit von Bedeutung sind und das Baujahr eines Gebäudes in aller Regel zu den wertbeeinflussenden Faktoren gehört. Er lässt offen, ob dies auch für die hier in Rede stehende Außenwand gilt, weil das OLG keine Feststellungen zu Art, Größe und Bedeutung dieses Bauteils im Verhältnis zum gesamten Gebäude getroffen hat. Abweichend vom OLG sieht er die Klageansprüche – sofern die Beklagten nicht arglistig gehandelt haben, was nach Zurückverweisung noch aufzuklären ist – als unbegründet an, weil sich der notariell vereinbarte Gewährleistungsausschluss grundsätzlich auch auf öffentliche Äußerungen zur Beschaffenheit erstreckt. Zwar können solche Äußerungen im Einzelfall die begründete Erwartung wecken, dass sich ein allgemeiner Haftungsausschluss nicht auf darin zugesagte Eigenschaften beziehe. Bei einem Grundstückskaufvertrag ist dies in der Regel aber ausgeschlossen, weil eine Einschränkung des im notariellen Vertrag vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschlusses ebenfalls der notariellen Beurkundung bedürfte und grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Parteien keinen formunwirksamen Vertrag schließen wollen.

Praxistipp: Ein Grundstückskäufer, der Wert auf bestimmte Eigenschaften legt, die in öffentlichen Anzeigen oder dergleichen beschrieben sind, muss darauf achten, dass ein vereinbarter Haftungsausschluss ausdrücklich um die Bestimmung ergänzt wird, dass die Gewährleistung für diese – konkret zu benennenden – Eigenschaften unberührt bleibt.