Anwaltsblog 30/2024: Muss für das arglistige Verschweigen eines Mangels eine moralisch verwerfliche Gesinnung des Verkäufers nachgewiesen werden?

 

Ob ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB voraussetzt, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 212/23):

 

Die Kläger erwarben mit Vertrag vom 8. März 2019 von den Beklagten ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Die Beklagten hatten das Haus im März 2017 erworben und bis zum Verkauf an die Kläger selbst bewohnt. Nach Einholung eines Gutachtens eines Bausachverständigen erklärten die Kläger wegen mangelhafter Kellerabdichtung im August 2019 den Rücktritt vom Kaufvertrag und leiteten ein selbständiges Beweisverfahren ein. Das Landgericht hat die Klage, mit die Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen, abgewiesen; das OLG die Berufung zurückgewiesen. Die Kläger hätten ein arglistiges Verschweigen von Mängeln durch die Beklagten nicht bewiesen. Zwar seien die Kelleraußen- und -innenwände nach dem Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens messbar feucht. Das Landgericht habe aber nicht festgestellt, dass die Beklagten die Feuchtigkeitsbelastung erkennen konnten, während sie das Haus von März 2017 bis März 2019 bewohnten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen ergäben sich aus dem Berufungsvorbringen nicht. Die gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, dass die Frage, ob für die Beklagten Feuchtigkeitserscheinungen wahrnehmbar gewesen seien, nicht mit absoluter Sicherheit zu beantworten sei. Auch das von den Klägern eingeholte Privatgutachten enthalte dazu keine Ausführungen. Soweit die Kläger nunmehr rügten, der Privatsachverständige hätte als Zeuge vernommen werden müssen, sei dies verspätet. Die Rüge hätte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben werden müssen. Sie sei auch in der Sache nicht berechtigt. Der Privatsachverständige sei nicht als Zeuge dafür benannt worden, dass den Beklagten die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung bekannt gewesen sei und sie dies den Klägern arglistig verschwiegen hätten.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit der Verneinung der Sachmängelhaftung der Beklagten für die Feuchtigkeit der Kellerwände den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen tatrichterlichen Beweiswürdigung beruht oder Präklusionsvorschriften in offenkundig unrichtiger Weise angewandt werden. So verhält es sich hier, soweit das Berufungsgericht die auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützte Klage abgewiesen hat, ohne dem Beweisantrag der Kläger auf Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen nachzugehen. Die Kläger haben bereits in erster Instanz den von ihnen beauftragten Privatgutachter als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) dafür benannt, dass die Beklagten von den Feuchtigkeitserscheinungen gewusst und diese arglistig verschwiegen haben, da sie an den betroffenen Stellen unmittelbar vor dem Besichtigungstermin im Juni 2019 Maler- und Putzarbeiten ausgeführt haben. Die unterbliebene Beweisaufnahme haben die Kläger in der Berufungsbegründung und damit rechtzeitig gerügt.

Die Zurückweisung dieses Vorbringens als verspätet beruht auf einer offenkundig unrichtigen Anwendung der Präklusionsvorschriften. Die Kläger haben in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Vorbringen präzisiert und vorgetragen, dass der Privatsachverständige bei seiner Besichtigung am 28. Juni 2019 im Keller Schimmel- und Feuchtigkeitsbildung festgestellt habe, „es somit durch sachverständigen Zeugenbeweis festgestellt sei, dass knapp acht Wochen nach Einzug der Kläger Feuchtigkeit und Schimmelbildung in dem Keller, den die Beklagten vormals als Fitnessraum genutzt hätten“, vorhanden gewesen sei. Zudem habe der als Zeuge benannte Privatgutachter festgestellt, dass die Wände und die Decke neu gestrichen und lokal ausgebessert und die Wandoberflächen lokal ausgebessert und gespachtelt worden seien. Schließlich durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung des Privatsachverständigen als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) auch nicht mit der Begründung absehen, es sei plausibel und nicht zu widerlegen, dass die Beklagten die Immobilie im Frühjahr 2017 ohne erkennbare Feuchtigkeit übernommen hätten, weil die gerichtliche Sachverständige die Erkennbarkeit der Feuchteerscheinungen nicht mit absoluter Sicherheit habe feststellen können. Dies stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Das Berufungsgericht übersieht, dass es keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage ist, ob die Beklagten die Feuchtigkeit erkannt haben. Zu der Kenntnis der Beklagten von der Feuchtigkeit konnte die gerichtliche Sachverständige aus eigener Anschauung keine Feststellungen treffen. Darüber musste sich das Berufungsgericht auf der Grundlage des unter Beweis gestellten Vorbringens der Parteien eine Überzeugung bilden. Der Beweisantrag der Kläger zielt darauf, die Grundlage für eine dahingehende Überzeugungsbildung des Gerichts zu schaffen.

Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich. Nach § 444 BGB darf sich der Verkäufer auf einen in dem Kaufvertrag vereinbarten Haftungsausschluss nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen – zweckmäßigerweise im Beisein der gerichtlichen Sachverständigen – zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Wenn ein sachverständiger Zeuge bereits drei Monate nach Auszug der Beklagten eine erhebliche Feuchtigkeit der Kellerwände und einen Neuanstrich der betroffenen Stellen erkennt, kann dies Rückschlüsse auf eine erhebliche Feuchtigkeit auch in der Vergangenheit sowie eine Kenntnis der Beklagten und gegebenenfalls sogar eine bewusste Vertuschung der Schäden zulassen, zumal bereits die frühere Mieterin Feuchtigkeits- und Schimmelbildung an denselben Stellen bemerkt und diese zum Anlass für eine Mietminderung genommen haben soll.

 

Fazit: Arglist setzt nicht voraus, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt. Ein arglistiges Verschweigen eines Mangels iSv. § 444 BGB ist bereits dann gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGH, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18 -, MDR 2019, 1376).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen in der Berufungsinstanz.

Zustellung eines Versäumnisurteils
BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit dem Anwendungsbereich von § 531 Abs. 2 ZPO.

Die Kläger nehmen den Beklagten nach dem Scheitern der Übernahme einer Gaststätte auf Rückzahlung von 60.000 Euro in Anspruch. Das LG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Dieses wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 14.5.2022 zugestellt. Das LG hat den am 1.6.2022 eingelegten Einspruch des Beklagten wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen. Das OLG hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG durfte den zweitinstanzlichen Vortrag des Beklagten, wonach das Versäumnisurteil entgegen den Angaben in der Zustellungsurkunde nicht in seinen Briefkasten eingeworfen wurde, sondern in den Briefkasten einer in demselben Haus wohnenden Person gleichen Nachnamens, nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt lassen.

Die ordnungsgemäße Zustellung eines Versäumnisurteils ist von Amts wegen zu prüfen. Diesbezügliches Vorbringen darf nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.

Das OLG wird nach Zurückverweisung zu klären haben, ob das Versäumnisurteil an dem in der Zustellungsurkunde angegebenen Tag in den Briefkasten des Beklagten eingeworfen wurde. Hierbei wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die Beweiskraft der Zustellungsurkunde dadurch beeinträchtigt ist, dass der Vorname des Beklagten darin nicht vollständig angegeben ist.

Praxistipp: Eine Postzustellungsurkunde erbringt nach § 415 ZPO vollen Beweis für die darin angegebenen Zustellungshandlungen. Die Beweiskraft einer solchen Urkunde kann aber gemindert sein, wenn die darin enthaltenen Angaben unvollständig, unklar oder unstimmig sind.

BGH: Zulässigkeit des erstmaligen Bestreitens in der Berufungsinstanz

Die Klägerin verlangt von einem Tierarzt Schadensersatz. Er hatte für sie eine Ankaufsuntersuchung für ein Pferd vorgenommen. Zuvor war sie bereits mit einer Klage gegen den Verkäufer des Pferdes gescheitert. Ein Sachverständiger hatte keine Mängel des Pferdes festgestellt. Die Klägerin berief sich nunmehr auf die von dem beklagten Tierarzt vorgenommene röntgenologische Untersuchung anlässlich des geplanten Ankaufs und machte geltend, sie hätte das Pferd nicht gekauft, wenn der Beklagte ihr die dabei ermittelten Ergebnisse in vollem Umfang mitgeteilt hätte. Das LG sah keine Mängel des Pferdes und wies die Klage ab.

Auf die Berufung der Klägerin gab das OLG der Klage überwiegend statt. Es sah eine Pflichtverletzung des Beklagten, da dieser die Ergebnisse seiner Untersuchung der Klägerin nicht vollständig und klar mitgeteilt hatte. Diese Pflichtverletzung seien ursächlich für den Kauf des Pferdes gewesen. Dies habe die Klägerin bereits vor dem LG behauptet und der Beklagte sei dem seinerzeit nicht entgegengetreten. Erst in der zweiten Instanz habe er die Kausalität seines Fehlers für die Ankaufsentscheidung der Klägerin in Frage gestellt. Deswegen sei er mit diesem Vortrag präkludiert. Eine Zulassung nach § 531 Abs. 2 ZPO käme nicht in Betracht.

Der BGH (Beschl. v. 27.9.2023 – VII ZR 113/22) folgt dem nicht. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Diese Vorschrift gilt nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert hat. Ein solcher Umstand liegt beispielsweise vor, wenn ein Gericht durch Prozessleitung bzw. Hinweise die Partei von weiterem Vortrag abgehalten und den Eindruck erweckt hat, der bisherige Vortrag sei ausreichend.

So lagen die Dinge hier. Für das LG war ersichtlich nur relevant, ob das Pferd mangelhaft war. Der neue Vortrag des Beklagten in der Berufungsinstanz zur bestrittenen Kausalität seiner Pflichtverletzung für die Ankaufsentscheidung der Klägerin betraf einen Umstand, den das LG für offensichtlich unerheblich gehalten hat. Damit war er zuzulassen.

Da das OLG somit die Präklusionsvorschrift des § 531 ZPO fehlerhaft angewendet hat, hat es den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Deswegen hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Fazit: Der BGH dehnt den Anwendungsbereich des § 531 ZPO immer weiter aus. Daraus folgt: Bei der Annahme einer Präklusion durch die Berufungsgerichte ist stets besondere Vorsicht geboten.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen nach einer gemäß § 264 ZPO privilegierten Antragsänderung im Berufungsverfahren.

Präklusion von Vorbringen nach privilegierter Antragsänderung
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21

Der I. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 264, § 533 und § 531 Abs. 2 ZPO.

Die ursprüngliche Klägerin nahm das beklagte Logistikunternehmen wegen Beschädigung von zwei nach Russland versandten Maschinen auf Schadensersatz in Höhe von rund 149.000 Euro in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich.

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Rechtsstreit auf und beantragte, die Beklagte zur Zahlung an den Haftpflichtversicherer zu verurteilen. Er machte geltend, der Versicherer habe den Schaden nach Klageerhebung schon in erster Instanz reguliert, weshalb der Klageanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf diesen übergegangen sei. Zudem habe die Klägerin die Forderung im Rahmen der Regulierung an den Versicherer abgetreten. Die Beklagte bestritt den Vortrag zu Regulierung und Abtretung.

Das OLG wies die Klage ab.

Die dagegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters bleibt ohne Erfolg.

Der BGH legt ausführlich dar, dass der Insolvenzverwalter zur Klage befugt ist. Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Klägervortrag blieb die ursprüngliche Klägerin gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Geltendmachung des Anspruchs befugt, weil dieser erst nach Rechtshängigkeit auf den Haftpflichtversicherer übergegangen ist. Der Insolvenzverwalter darf den Prozess um diese Forderung jedenfalls deshalb aufnehmen, weil die Versicherungsnehmerin gemäß § 86 Abs. 2 VVG bei der Durchsetzung einer auf den Versicherer übergegangenen Forderung soweit erforderlich mitwirken muss und die Verletzung dieser Pflicht zu einer Belastung der Masse mit Schadensersatzforderungen führen kann.

Der Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig, weil es sich um eine Anpassung an spätere Veränderungen im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO handelt.

Das OLG hat die Klage aber zu Recht als unbegründet angesehen, weil der der behauptete und bestrittene Anspruchsübergang auf den Haftpflichtversicherer kraft Gesetzes oder Abtretung nicht bewiesen ist und die diesbezüglichen Beweisanträge des Klägers gemäß § 531 Abs. 2 ZPO der Präklusion unterliegen. Diese Vorschrift gilt auch für Angriffsmittel, die der Begründung eines nach § 264 ZPO in zulässiger Weise geänderten Antrags dienen.

Praxistipp: Bestreitet der Beklagte den vom Kläger behaupteten Anspruchsübergang auf einen Dritten, sollte der Kläger zumindest hilfsweise auf Zahlung an sich selbst klagen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz.

Neues Vorbringen im Verfahren nach § 522 Abs. 1 ZPO
Beschluss vom 24. September 2019 – VI ZB 517/18

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht eine Berufung durch Beschluss als unbegründet zurückweisen darf, obwohl es die Begründung der Vorinstanz für unzutreffend hält, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt vom beklagten Insolvenzverwalter, Schadensersatzansprüche aus der Vermittlung einer Kapitalanlage zur Insolvenztabelle festzustellen. Das LG wies die Klage als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an, wies die Berufung aber dennoch gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil es die Klage mangels Kausalitätsnachweis als unbegründet ansah. Ein auf Vernehmung eines Zeugen gerichtetes Beweisangebot der Klägerin zu diesem Thema wies es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO und hilfsweise gemäß § 296 Abs.1 ZPO als verspätet zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Zurückweisung des Beweisangebots nach § 531 Abs. 2 ZPO ist im Streitfall schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin es bereits in der Klageschrift unterbreitet und in der Berufungsinstanz lediglich wiederholt hat. Aus diesem Grund kommt auch eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht den Zeugen auch dann hätte vernehmen müssen, wenn die Klägerin ihn erstmals in der Berufungsinstanz benannt hätte. Das Berufungsgericht war gehalten, die Klägerin auf seine vom Landgericht abweichende Rechtsaufassung hinzuweisen, und ihr Gelegenheit zu geben, zu dem nach Auffassung des LG nicht relevanten Thema der Kausalität ergänzende Angriffsmittel vorzubringen.

Praxistipp: Nach § 522 Abs. 3 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO (ab 1.1.2020: § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Wert der mit dem Rechtsmittel geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Die Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens und das Verhältnis zwischen einem selbständigen Beweisverfahren und dem nachfolgenden Rechtsstreit bilden das Thema von zwei aktuellen Entscheidungen

Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens in der Kaskoversicherung
Urteil vom 19. Dezember 2017 –VI ZR 577/16

Eine grundsätzliche Frage, die bei vielen Verkehrsunfällen auftreten kann, behandelt der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten ersetzte den geltend gemachten Sachschaden zu drei Viertel. Den Ersatz des Schadens, den die Klägerin erlitten hat, weil sie wegen des restlichen Betrags ihre Kaskoversicherung in Anspruch genommen hatte und deshalb höhere Beiträge zahlen musste, lehnte die Versicherung ab. Die Klage auf Feststellung, dass der Beklagte auch diesen Rückstufungsschaden zu ersetzen hat, blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach ein Rückstufungsschaden auch dann (anteilig) ersatzfähig ist, wenn der Geschädigte für den Schaden mitverantwortlich ist. Die Rückstufung und die daraus resultierende Beitragserhöhung treten zwar unabhängig davon ein, in welchem Umfang die Kaskoversicherung in Anspruch genommen wird. Dennoch ist die schädigende Handlung für diesen Vermögensschaden mitursächlich, weshalb der Schaden nach dem allgemeinen Maßstab des § 254 BGB zu verteilen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte die Kaskoversicherung erst in Anspruch nimmt, nachdem der Schädiger den auf ihn entfallenden Teil des Sachschadens bereits ersetzt hat.

Praxistipp: Anwaltskosten, die dem Geschädigten entstanden sind, um den Kaskoversicherer zur Erstattung des auf ihn selbst entfallenden Schadensanteils zu veranlassen, hat der Schädiger generell nicht zu tragen.

Fortgeltung von Anträgen aus dem selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 14.11.2017 – VIII ZR 101/17

Mit dem Verhältnis zwischen einem selbständigen Beweisverfahren und einem nachfolgenden Rechtsstreit befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der spätere Beklagte hatte gegen den Kläger ein selbständiges Beweisverfahren wegen Mängeln an einer Mietwohnung eingeleitet. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass keine bauseitigen Mängel vorlägen. Einen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen wies das AG mit der Begründung zurück, das selbständige Beweisverfahren sei beendet, weil mittlerweile Klage in der Hauptsache erhoben worden sei. In diesem Rechtsstreit begehrte der Kläger in erster Linie Räumung der Wohnung und Zahlung rückständiger Miete. Der Beklagte griff das Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Privatgutachten an. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG beantragte er ergänzend, den im selbständigen Beweisverfahren bestellten Sachverständigen mündlich anzuhören. Das AG wies diesen Antrag als verspätet zurück. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Das AG durfte den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht als verspätet zurückweisen, weil der Beklagte ihn bereits im selbständigen Beweisverfahren gestellt hatte. Dieser Antrag war auch im nachfolgenden Rechtsstreit zu beachten, ohne dass es einer Wiederholung bedurfte. Darin, dass sich der Beklagte zunächst auf ein anderes Gutachten bezog, lag auch kein konkludenter Verzicht auf die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen.

Praxistipp: Wenn das Gericht im selbständigen Beweisverfahren dem Beklagten eine Erklärungsfrist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt hat, kann ein nach Ablauf dieser Frist gestellter Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nach Maßgabe von § 296 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.

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Eigeninteresse des gewillkürten Prozessstandschafters
Urteil vom 10. Juni 2016 – V ZR 125/15

Lehrreiche Ausführungen zur Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft finden sich in einer Entscheidung des V. Zivilsenats.

Die Klägerin, die gewerbliche Altkleidersammlungen durchführt, nahm die Beklagte, eine Wettbewerberin, die auf drei Grundstücken ohne Genehmigung der Eigentümer Altkleidercontainer aufgestellt hatte, auf Unterlassung in Anspruch. Die Eigentümer der betroffenen Grundstücke hatten sie hierzu ermächtigt. Die Klage hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Klage als unzulässig ab. Er nimmt Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die prozessuale Geltendmachung von Rechten Dritter zulässig ist, wenn der Rechtsinhaber zustimmt und der Kläger ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung des Anspruchs hat. Mit den Vorinstanzen hält er eine Prozessstandschaft auch bei Ansprüchen aus § 1004 BGB möglich, obwohl diese untrennbar mit dem dinglichen Recht verbunden und nicht selbständig übertragbar sind. Abweichend von LG und OLG verneint der BGH aber ein schutzwürdiges Eigeninteresse. Das Interesse der Klägerin, Wettbewerbsverstöße von Konkurrenten zu unterbinden, reicht nicht aus, weil es nicht auf die Verwirklichung des geltend gemachten Rechts gerichtet ist. Der Anspruch aus § 1004 BGB schützt das Interesse an der ungestörten Nutzung des Grundstücks. Ein darauf gerichtetes Interesse läge beim Kläger nur dann vor, wenn er mit den Eigentümern der betroffenen Grundstücke einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hätte und durch das beanstandete Verhalten in der Ausübung der daraus resultierenden Rechte gestört würde. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall aber nicht vor.

Praxistipp: Wenn eine Prozessstandschaft mangels hinreichenden Eigeninteresses nicht in Betracht kommt, bleibt in Konstellationen wie denen des Streitfalls nur die Möglichkeit, dass der Rechtsinhaber die Klage im eigenen Namen erhebt und der an der Klage eigentlich interessierte Dritte ihm die Übernahme aller anfallenden Kosten und sonstigen Nachteile zusagt.

Keine Präklusion einer Klageerweiterung
Urteil vom 20. September 2016 – VIII ZR 247/15

Dass auch die strengen Präklusionsvorschriften in §§ 530 ff. ZPO noch Fluchtmöglichkeiten bieten, verdeutlicht eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Zahlung einer Kaufpreisrate für eine Gaststätte in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung durch Versäumnisurteil zurück, weil der Kläger zum Verhandlungstermin nicht erschienen war. Einen Tag vor dem Termin zur Verhandlung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil erweiterte der Kläger sein Begehren auf eine weitere Kaufpreisrate. Zugleich stützte er das gesamte Klagebegehren hilfsweise auf neues tatsächliches Vorbringen. Das Berufungsgericht hielt das Versäumnisurteil aufrecht und wies die Berufung auch hinsichtlich des zusätzlich geltend gemachten Anspruchs zurück. Es hielt die Klageerweiterung zwar für sachdienlich. Das neue tatsächliche Vorbringen ließ es dennoch unberücksichtigt, weil die Klageerweiterung erkennbar nur den Sinn gehabt habe, den Verspätungsfolgen zu entgehen, und deshalb als missbräuchlich anzusehen sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Änderung oder Erweiterung einer Klage nicht als Angriffsmittel im Sinne von § 296, 530, 531 ZPO anzusehen ist, sondern als selbständiger prozessualer Angriff, dessen Zulässigkeit allein nach §§ 263, 264, 533 ZPO zu beurteilen ist. Wenn eine Klageerweiterung danach zulässig ist, dürfen auch die zu ihrer Begründung vorgetragenen Angriffsmittel nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Abweichend vom OLG lehnt der BGH eine Ausnahme von diesem Grundsatz auch für den Fall ab, dass die Klageerweiterung allein dem Zweck dient, solchen Vortrag dem Verspätungseinwand zu entziehen. Er hält allenfalls für möglich, das neue Vorbringen nur in Bezug auf den neu hinzugekommenen Teil des Streitgegenstands zu berücksichtigen und hinsichtlich des bisherigen Streitgegenstands – trotz des grundsätzlichen Verbots einander widersprechender Teilentscheidungen – ausnahmsweise durch Teilurteil zu entscheiden. Mit der Frage, ob diese Möglichkeit nach der Zurückverweisung an das OLG auch im Streitfall in Betracht kommt, befasst sich der BGH nicht.

Praxistipp: Der Beklagte kann eine solche „Flucht in die Klageerweiterung“ nur abwenden, indem er das Gericht davon überzeugt, dass die Klageerweiterung nicht sachdienlich ist oder dass die in der Berufungsinstanz zusätzlich erforderlichen Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Vertragliches Abtretungsverbot und Unternehmensverschmelzung
Urteil vom 22. September 2016 – VI ZR 298/14

Mit der Reichweite von § 399 Fall 2 BGB befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der klagende Insolvenzverwalter machte Ansprüche auf restlichen Werklohn für Bauarbeiten geltend. Der zugrunde liegende Werkvertrag war von einer Gesellschaft geschlossen worden, deren Vermögen später im Wege der Verschmelzung auf die Insolvenzschuldnerin übergegangen war. Der Beklagte berief sich unter anderem auf Werkmängel und auf ein im Vertrag vereinbartes Abtretungsverbot. Die Klage hatte in erster und zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg.

Der BGH weist die Revision des Beklagten zurück. Er tritt der Auffassung des OLG bei, dass ein in einem Bauvertrag vereinbartes Abtretungsverbot dem Übergang der dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber gerichteten Zahlungsansprüche aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung nicht entgegensteht. Die dafür angeführten Gründe dürften auf andere Verträge und andere Formen der unternehmensrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge in gleicher Weise zutreffen.

Praxistipp: In einschlägigen Fällen ist sorgfältig zu prüfen, ob der Übergang des Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden hat oder durch Einzelübertragung der dem übertragenden Rechtsträger gehörenden Vermögensgegenstände. Die vorliegende Entscheidung betrifft nur die zuerst genannte Konstellation.

Neues Vorbringen und Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO
Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15

Mit dem Verhältnis zwischen § 529, § 531 und § 522 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über eine als Kapitalanlage erworbene Wohnung in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß. In der Berufungsinstanz machten die Beklagten unter anderem geltend, bestimmte Mieteinnahmen, die dem Kläger nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zugeflossen seien, müssten anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Das OLG wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück und ließ dabei das neue Vorbringen unberücksichtigt.

Der BGH verweist die Sache, soweit es um die zusätzlich angefallenen Mieteinnahmen geht, an das OLG zurück. Abweichend vom OLG ist er der Auffassung, dass der Umfang, in dem neues Vorbringen in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist, nicht davon abhängt, ob das Berufungsgericht durch Urteil oder durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet. Im Streitfall war das ergänzende Vorbringen schon deshalb zulässig, weil die betreffenden Tatsachen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden waren. Das Berufungsgericht musste diesen Vortrag auch bei einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO berücksichtigen.

Praxistipp: Wenn das neue Vorbringen Geschehen aus der Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrifft, muss die vortragende Partei, um eine Präklusion nach § 531 Abs. 2 ZPO zu vermeiden, stets darlegen, weshalb der Vortrag nicht schon in erster Instanz erfolgt ist.

Beweiswürdigung nach Versterben eines Zeugen
Urteil vom 16. August 2016 – X ZR 96/14

Mit einer nicht alltäglichen Situation befasst sich der X. Zivilsenat – als Berufungsgericht – in einer Patentnichtigkeitssache.

Das in erster Instanz zuständige Bundespatentgericht hatte ein Patent für nichtig erklärt und diese Entscheidung unter anderem auf die Aussage eines Zeugen gestützt, der angegeben hatte, ein Datenblatt, das die Erfindung offenbare, sei der Öffentlichkeit schon vor dem Prioritätstag zugänglich gewesen. Mit der Berufung – über die in Patentnichtigkeitssachen der BGH zu entscheiden hat – griff die Patentinhaberin diese Würdigung an. Eine erneute Vernehmung des Zeugen war nicht möglich, weil dieser in der Zwischenzeit verstorben war.

Der BGH weist die Nichtigkeitsklage ab. Nach seiner Einschätzung ergeben sich aus dem Vernehmungsprotokoll erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage. Nach den insoweit maßgeblichen Regelungen der ZPO darf ein Berufungsgericht eine solche Schlussfolgerung zwar grundsätzlich nicht ziehen, ohne den Zeugen erneut zu vernehmen. Dies gilt aber nicht, wenn der Zeuge nach der erstinstanzlichen Vernehmung verstorben ist.

Praxistipp: Die Partei, zu deren Gunsten der Zeuge ausgesagt hat, sollte nach dessen Versterben alle in Betracht kommenden Anstrengungen unternehmen, um andere Beweismittel an die Hand zu bekommen.