Zukunftsfinanzierungsgesetz: die zweite Runde

Ungefähr neun Monate nach dem Inkrafttreten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG I) hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den Referentenentwurf eines Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG II) veröffentlicht. Das Gesetzespaket setzt die am 17.7.2024 vom Bundeskabinett beschlossene Wachstumsinitiative um und verfolgt auch dieses Mal das Ziel, private Investitionen anzukurbeln sowie den Finanzstandort Deutschland zu stärken. Im Folgenden soll eine erste Einordnung des Entwurfs erfolgen, deren Fokus sich auf das Delisting, die Penny Stocks, die Mehrstimmrechtsaktie und die emittentenfinanzierten Analysen richtet.

Kleine Reform des Delistings

Der Paukenschlag für die Unternehmensrechtler kommt gleich im Art. 1 ZuFinG II-RefE, in dem Änderungen des Spruchverfahrensgesetzes (SpruchG) vorgesehen sind. Nach § 1 Nr. 8 SpruchG-E sollen Streitigkeiten über die „Höhe der Gegenleistung beim Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum Handel auf Antrag des Emittenten“ – also beim Delisting – im Spruchverfahren ausgetragen werden (S. 7 des Entwurfs). Diese partielle Rückkehr zu den Macrotron-Grundsätzen (zur Statthaftigkeit des Spruchverfahrens in Delisting-Altfällen s. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 57 f. = AG 2003, 273) wird flankiert durch Änderungen der §§ 3, 4, 5, 14 SpruchG und des § 39 BörsG (vgl. S. 120 f., 147 ff. des Entwurfs; zur Delisting-Reform etwa Mohamed, ZIP 2023, 1975; Redenius-Hövermann, ZIP 2021, 485, 488 ff.).

Mit einem kleinen Eingriff in § 39 Abs. 2 Satz 1 BörsG – die Börsengeschäftsführung hat (und nicht kann) die Zulassung der Wertpapiere zum Handel im regulierten Markt auf Antrag des Emittenten zu widerrufen (vgl. S. 49 des Entwurfs) – will der Gesetzgeber deutlich machen, dass die Börsengeschäftsführung eine gebundene Delisting-Entscheidung trifft (vgl. S. 147 des Entwurfs; für eine solche dogmatische Einordnung bereits Habersack in Habersack/​Mülbert/​Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 40.31; Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 775 f.; für eine Ermessensentscheidung Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.12, 63.56). Aus der Emittentenperspektive gesprochen: Der Emittent hat einen Anspruch auf den Widerruf der Börsenzulassung, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2-3 BörsG vorliegen (Groß, AG 2015, 812, 815). Gestrichen werden soll die Vorgabe des § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG, wonach der Widerruf der Börsenzulassung nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf. Der Wegfall dieser Generalklausel führt nicht zur Absenkung des Anlegerschutzniveaus, weil sich die Delisting-Voraussetzungen ohnehin aus den detaillierten Regelungen des § 39 Abs. 2-6 BörsG ergeben.

In konzeptioneller Hinsicht hält der Gesetzgeber daran fest, dass ein Delisting ein Erwerbsangebot nach WpÜG-Vorschriften voraussetzt (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BörsG-E) und dass ein partielles Delisting ohne ein solches Angebot möglich ist (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BörsG-E). Es kommen aber zwei weitere Ausnahmen vom angebotspflichtigen Delisting hinzu (zum teleologischen Hintergrund vgl. S. 147 des Entwurfs): Wenn die Wertpapiere weiterhin zum Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt einbezogen sind (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BörsG-E) und wenn über das Vermögen des Emittenten ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BörsG-E; s. hierzu einerseits Häller, ZIP 2016, 1903; Korch, BKR 2020, 285, andererseits Heidel, BKR 2021, 530; vgl. ferner Schulz, ZIP 2024, 1110). Die KMU-Wachstumsmarkt-Ausnahme wird flankiert durch § 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 WpHG-E, § 48a Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BörsG-E, die die Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten für den Fall, dass der Emittent die Einbeziehung von Wertpapieren zum Handel an dem KMU-Wachstumsmarkt kündigt, dazu verpflichten, § 39 Abs. 2-6 BörsG entsprechende Vorschriften vorzusehen. Damit soll das Anlegerschutzniveau des § 39 BörsG auch auf „privaten“ Märkten gewährleistet werden.

Mit § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG-E will der Gesetzgeber die Geltung des § 11 WpÜG dahingehend einschränken, dass eine Delisting-Angebotsunterlage nicht alle Angaben enthalten muss, die in sonstigen Übernahmesituationen erforderlich sind (vgl. S. 147 des Entwurfs). Mit § 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG-E bestimmt sich die Angebotshöhe im Ausgangspunkt weiterhin nach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor der Delisting-Ankündigung. Allerdings macht der Gesetzgeber in § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG-E deutlich, dass eine Ausnahme vom Börsenkurs-Grundsatz – und damit eine Bemessung der Angebotshöhe nach dem inneren Unternehmenswert – nicht nur in drei enumerativ aufgezählten Fällen in Betracht kommt, sondern schon dann veranlasst ist, wenn „besondere Umstände den Börsenkurs dieses Zeitraums derart beeinflusst, dass dieser zur Bestimmung einer angemessenen Gegenleistung ungeeignet ist.“ (vgl. S. 147 f. des Entwurfs; dafür de lege ferenda bereits Koch/Harnos, NZG 2015, 729, 732 f.; für eine solche Deutung des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG de lege lata Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.41; Koch, AG 2021, 249 Rz. 9 ff.; dagegen Habersack in Habersack/​Mülbert/​Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 40.24; Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 771 f.). Die besonderen Umstände sind als Regelbeispiele in § 39 Abs. 3 Satz 5 BörsG-E aufgezählt:

  • Verletzung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht nach Art. 17 MAR (Nr. 1);
  • Marktmanipulation seitens des Emittenten oder des Bieters (Nr. 2);

Zudem gilt § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG-E bei Marktenge i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 6 BörsG-E entsprechend, d.h. bei Marktenge ist – wie bereits nach geltender Rechtslage (s. § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG und Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 770 f.) – eine Unternehmensbewertung durchzuführen. § 39 Abs. 3 Satz 7 BörsG-E eröffnet den Weg in das Spruchverfahren, korrespondiert also mit § 1 Nr. 8 SpruchG-E. § 39 Abs. 3 Satz 8 BörsG-E stellt sicher, dass Anleger, die das Abfindungsangebot wegen einer zu niedrigen Gegenleistung nicht annehmen, nicht von einer späteren gerichtlichen Erhöhung profitieren (vgl. S. 148 des Entwurfs). Schließlich folgt aus einer unscheinbaren Änderung des § 39 Abs. 5 Satz 3 BörsG-E, dass die Börsenordnungen nähere Bestimmungen über das Widerrufsverfahren (und nicht den Widerruf als solchen) treffen (vgl. S. 148 des Entwurfs).

Zu Recht hält das BMF davon Abstand, die Delisting-Entscheidung in die Hände der Aktionäre zu legen; sie bleibt nach wie vor eine Ermessensentscheidung des Vorstands (dazu Wieneke/Schulz, AG 2016, 809, 814 ff.). Allerdings hätte der Gesetzgeber in den Materialien andeuten können, ob Aktionäre trotz § 23 Abs. 5 AktG eine Hauptversammlungszuständigkeit für das Delisting qua Satzung begründen können (dafür Eckhold in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 63.61; Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 96; Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 119 AktG Rz. 151; sympathisierend Harnos, ZHR 182 [2018], 363, 370; dagegen die h.M., s. nur Bayer, NZG 2015, 1169, 1178; Groß, AG 2015, 812, 814; Koch, 18. Aufl. 2024, § 119 AktG Rz. 45; von der Linden, NZG 2015, 176; Scholz, BB 2015, 2248, 2249 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 119 AktG Rz. 52).

Außerdem sollte der Gesetzgeber § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG, wonach die Streitigkeiten über die Angebotshöhe in Delisting-Fällen KapMuG-fähig sind, im Lichte der § 39 Abs. 3 Satz 7 BörsG-E, § 1 Nr. 8 SpruchG-E anpassen. Anderenfalls entsteht der Eindruck, dass die Aktionäre unabhängig von den Fristen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SpruchG-E, § 39 Abs. 3 Satz 8 BörsG-E eine Klage auf Erhöhung der Gegenleistung vor dem Landgericht erheben und ein KapMuG-Verfahren anstrengen können. Eine solche Klage ist derzeit im Rahmen der üblichen Verjährungsfristen möglich (s. Harnos, ZHR 179 [2015], 750, 779 f.).

Schließlich sollte der Gesetzgeber überlegen, ob er den (im Zuge des ZuFinG I geschaffenen) § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG anpasst (Einzelheiten zu dieser Vorschrift bei Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 47 ff.). Das Regelungsvorbild für § 255 Abs. 5 Satz 3 AktG war die bisherige Delisting-Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG (s. nur Harnos, AG 2024, 348 Rz. 28). Wenn die Vorschriften über die Angebotshöhe in § 39 Abs. 3 BörsG-E geändert werden sollen, sollte dies konsequent auch im Rahmen des aktienrechtlichen Wertverwässerungsschutzes beim Bezugsrechtsausschluss berücksichtigt werden. Bei dieser Gelegenheit sollte der Gesetzgeber das Redaktionsversehen in § 255 Abs. 5 Satz 2 AktG beheben: „Absatz 4 Satz 2“ gibt es nicht (s. dazu Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 42 Fn. 183). Anspruchsvoller als die Korrektur des Redaktionsversehens, aber im Hinblick auf den Aktionärsschutz dringlicher wäre die Schließung der Rechtsschutzlücke, die in Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses droht (zu Problem und Lösungsvorschlägen s. etwa Bayer in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 54 ff.; Heidel, AG 2024, 310 Rz. 26 ff.; Koch, 18. Aufl. 2024, § 255 AktG Rz. 9 ff.).

Ceterum censeo: Die Vorgaben zur (marktorientierten) Unternehmensbewertung sollten anlassübergreifend – also auch im Vertragskonzern, beim Squeeze-out und bei Umwandlungen – in ein stimmiges gesetzliches Gesamtsystem überführt werden (s. bereits Harnos, AG 2024, 348 Rz. 32).

Weitere Änderungen des Börsenrechts

Im Börsenrecht will das BMF zum einen das BörsG, zum anderen die Börsenzulassungs-Verordnung (BörsZulV) ändern. Die Vorschläge zum BörsG haben zum Gegenstand:

  • Die Prüfungsbefugnisse der Börsenaufsichtsbehörde nach § 3 Abs. 4 BörsG-E (vgl. S. 44 f., 143 f. des Entwurfs).
  • Die Pflichten des Börsenträgers, etwa im Zusammenhang mit der Auslagerung von Bereichen, die für die Durchführung des Börsenbetriebs wesentlich sind (s. § 5 Abs. 3 Satz 3 BörsG-E), oder hinsichtlich der Organisationsanforderungen (s. § 5 Abs. 4b BörsG-E und S. 45, 144 des Entwurfs). In diesem Kontext ist auch die Einführung einer neuen Nr. 14 im Katalog der Pflichten der MTF- und OTF-Betreiber in § 72 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu beachten (vgl. S. 14, 127 des Entwurfs).
  • Die Pflichten des Börsenträgers gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde hinsichtlich der Beteiligungspublizität nach § 6 Abs. 6 BörsG, der wegen MiFID II-Änderungen umformuliert werden soll (vgl. S. 53, 149 des Entwurfs).
  • Die Synchronisierung von im Geschäftsverkehr verwendeten Uhren: § 22a BörsG wird aufgehoben, weil sich die Vorgaben aus Art. 22c MiFIR ergeben (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Vorschrift über den Börsenpreis (§ 24 BörsG), die redaktionell an MiFID II-Änderungen angepasst wird (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Informationspflichten der Börsengeschäftsführung gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde und der Bundesanstalt nach § 25 Abs. 1b BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 54, 145 des Entwurfs).
  • Die Mindestpreisänderungsgröße nach § 26b BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 46, 145 des Entwurfs).
  • Die Positionsmanagementkontrollen nach § 26f BörsG, der an die geänderten MiFID II-Vorgaben angepasst werden soll (vgl. S. 46, 146 des Entwurfs); in diesem Zusammenhang sind auch die Änderungen der § 54 Abs. 6, § 57 WpHG zu beachten (vgl. S. 13 f., 126 f. des Entwurfs).
  • Die Übermittlung von Daten nach § 26g BörsG, der sprachlich an Art. 25 Abs. 2 MiFIR angeglichen werden soll (vgl. S. 46, 146 des Entwurfs).
  • Die Einführung von Wertpapieren (Börsennotierung): Die Neufassung des § 38 Abs. 1 BörsG („Der Emittent teilt den beabsichtigten Zeitpunkt und die Merkmale für die Aufnahme der Notierung von zum regulierten Markt zugelassener Wertpapiere (Einführung) der Geschäftsführung mit. Das Nähere regelt die Börsenordnung.“) soll zur Folge haben, dass die Börsengeschäftsführung nicht mehr durch Verwaltungsakt über die Aufnahme der Notierung zugelassener Wertpapiere im regulierten Markt entscheidet (vgl. S. 48 f., 147 des Entwurfs); damit geht wohltuende Entbürokratisierung einher.
  • Die Pflichten der Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten, die ein Segment eines Freiverkehrs (s. § 48a Abs. 1a BörsG-E und S. 51, 148 f. des Entwurfs) bzw. eines multilateralen Handelssystems (MTF) sind (§ 76 Abs. 1a WpHG-E und S. 21, 132 des Entwurfs).
  • Die Bußgeldvorschriften in § 50 BörsG (vgl. S. 46 ff., 146 des Entwurfs).

Die Vorschläge hinsichtlich der BörsZulV gehen auf die Änderungen der unionsrechtlichen Grundlagen, insb. des Art. 51a MiFID II, zurück. Sie betreffen:

  • Die Aufhebung des § 2 Abs. 4 BörsZulV, wonach die Börsengeschäftsführung geringere Beträge als in 2 Abs. 1-3 BörsZulV vorgeschrieben zulassen kann, wenn sie überzeugt ist, dass sich für die zuzulassenden Wertpapiere ein ausreichender Markt bilden wird (vgl. S. 11, 123 des Entwurfs).
  • Die Aufhebung des § 3 BörsZulV, der bislang die Dauer des Bestehens des Emittenten geregelt hat (vgl. S. 11, 123 des Entwurfs).
  • Die Vorgaben zur Streuung von Aktien in § 9 BörsZulV (vgl. S. 11 f., 124 des Entwurfs).
  • Die Veröffentlichung der Börsenzulassung, die nach § 51 BörsZulV-E nicht mehr im Bundesanzeiger, sondern von der Börsengeschäftsführung unverzüglich auf der Internetseite der Börse oder des Börsenträgers veröffentlicht werden soll (vgl. S. 12, 124 des Entwurfs).

Wenn schon das Börsenrecht angefasst wird, wäre die Beseitigung von Unklarheiten in §§ 44 ff. BörsG wünschenswert, die die Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) betreffen (s. dazu Harnos, Blog-Beitrag v. 3.10.2023 [GESRBLOG0001593] und Harnos, AG 2024, S53).

Zulässigkeit von Penny Stocks

Im Aktienrecht will der Gesetzgeber – den Rufen aus dem Schrifttum folgend (s. DAV-HRA, NZG 2023, 738 Rz. 81 ff.; Lieder/Singhof in VGR, Reformbedarf im Aktienrecht, 2024, Rz. 14.25 f.; kritisch aber Beneke/Heidel/Lochner, AG 2024, 528 Rz. 42) – mit der Einführung des § 8 Abs. 7 AktG-E die sog. „Penny Stocks“ ermöglichen (vgl. S. 55, 151 des Entwurfs): Nach § 8 Abs. 7 Satz 1 AktG-E kann die Satzung vorsehen, dass Nennbetragsaktien einen geringeren Nennwert haben dürfen. In diesem Fall müssen sie gem. § 8 Abs. 7 Satz 2 AktG-E auf mindestens einen Eurocent lauten. Für Stückaktien kann die Satzung gem. § 8 Abs. 7 Satz 3 AktG-E vorsehen, dass der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals einen Eurocent betragen darf. Im Übrigen findet § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG gem. § 8 Abs. 7 Satz 4 AktG-E entsprechende Anwendung. Das bedeutet, dass Aktien über einen geringeren Nennbetrag als ein Eurocent nichtig sind und dass für den Schaden aus der Ausgabe die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich sind.

Der Vorschlag des BMF, der die Unternehmensfinanzierung erleichtern dürfte, ist generell zu begrüßen. Es leuchtet aber nicht ein, warum die Zulässigkeit von „Penny Stocks“ in der Satzung vorgesehen sein muss. Die Materialien führen insoweit aus, dass durch eine ausdrückliche Satzungsregelung, die zur Ausgabe entsprechender Aktien mit geringeren Nennbeträgen ermächtigt, der potenziellen Gefahr der Irreführung der Anleger vorgebeugt werden soll (vgl. S. 151 des Entwurfs). Wieso ausgerechnet eine Satzungsklausel die Irreführungsgefahr verringern soll, ist indes nicht ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass die Standardisierung der Satzung, die in § 23 Abs. 5 AktG vorgeschrieben ist, die Verkehrsfähigkeit der Aktie sicherstellen und die Transaktionskosten senken soll (s. nur Seibt in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 23 AktG Rz. 53). Vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 5 AktG erscheint es zweifelhaft, ob Anleger – die durch den Zwang zur Satzungsregelung geschützt werden sollen – die Satzungen nach einer Klausel zur Zulässigkeit von „Penny Stocks“ durchsuchen werden. Es drängt sich nicht auf, wieso sie es tun sollten, wenn sie generell davon ausgehen dürfen, dass die Satzung ein Standarddokument ist. Mit § 8 Abs. 7 AktG-E setzt das BMF für die Aktionäre einen Anreiz, die Satzungen zu studieren und damit die Transaktionskosten zu erhöhen. Dies läuft dem Zweck des § 23 Abs. 5 AktG zuwider.

Insoweit erscheint es überzeugender, § 8 Abs. 7 AktG-E zu streichen und im Anschluss an die Vorschläge aus dem Schrifttum § 8 Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 3 Satz 3 AktG dergestalt zu ändern, dass Nennbetragsaktien mindestens auf einen Eurocent und höhere Aktiennennbeträge auf volle Eurocent lauten müssen bzw. dass der anteilige Betrag des Grundkapitals einen Eurocent nicht überschreiten darf (dafür DAV-HRA, NZG 2023, 738 Rz. 81; Lieder/Singhof in VGR, Reformbedarf im Aktienrecht, 2024, Rz. 14.25).

Kapitalmarktrechtliche Regelungen zur Mehrstimmrechtsaktie

Einige Regelungsvorschläge haben die Mehrstimmrechtsaktie zum Gegenstand, wobei das BMF den § 135a AktG nicht ändern will. Vielmehr fokussiert sich das Ministerium auf kapitalmarktrechtliche Vorschriften, die u.a. der Umsetzung der Mehrstimmrechtsaktien-RL dienen:

  • Mit § 76a WpHG-E, § 48b BörsG-E will der Gesetzgeber die Transparenz hinsichtlich der Mehrstimmrechtsaktienstrukturen bei Gesellschaften erhöhen, deren Aktien in multilateralen Handelssystemen (MTF) und KMU-Wachstumsmärkten gehandelt werden (vgl. S. 22 f., 132 und S. 51 f. des Entwurfs).
  • In § 74 Abs. 6 WpHG-E soll geregelt werden, dass Betreiber eines multilateralen Handelssystems die Zulassung der Aktien eines Emittenten zum Handel nicht mit der Begründung verhindern dürfen, dass die AG eine Struktur mit Mehrstimmrechtsaktien nach § 135a AktG eingeführt hat (vgl. S. 20, 131 des Entwurfs). Eine Parallelregelung soll für Börsenträger, die einen Freiverkehr betreiben, in § 48 Abs. 6 BörsG-E eingeführt werden (vgl. S. 50, 148 des Entwurfs). Diese Vorschläge überzeugen, weil sie die partielle Satzungsautonomie, die § 135a AktG schafft, vor mittelbaren börsenrechtlichen Einschränkungen schützen. Die Materialien sprechen treffend von einem Diskriminierungsverbot (vgl. S. 131 und 148 des Entwurfs).
  • Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 EGAktG-E soll § 135a Abs. 1 Satz 2 AktG – der die Beschränkung des maximalen Stimmgewichts einer Mehrstimmrechtsaktie auf das Zehnfache des Stimmrechts einer Stammaktie regelt (s. nur Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 12 ff.) – auch dann gelten, wenn die Aktien einer Altgesellschaft i.S.d. § 5 Abs. 2 EGAktG nach dem Inkrafttreten des ZuFinG II in den Handel an einem multilateralen Handelssystem nach § 2 Abs. 6 BörsG einbezogen werden, das kein Freiverkehr ist, und die Altgesellschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht börsennotiert ist und noch keine Aktien in den Handel an einem multilateralen Handelssystem einbezogen hatte (vgl. S. 56 des Entwurfs). Damit will der Gesetzgeber Art. 4 Abs. 1 lit. b) Ziff. i) Mehrstimmrechtsaktien-RL umsetzen, der auch für Gesellschaften gilt, deren Aktien in sonstigen MTF als dem Freiverkehr handelbar sind (vgl. S. 153 des Entwurfs).

Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sollten das Kabinett und das Parlament prüfen, ob kleinere Ausbesserungen des § 135a AktG vorgenommen werden sollten:

  • Die Verfallsklauseln des § 135a Abs. 2 AktG gelten auch dann, wenn die Aktien des Emittenten ohne einen Antrag in den Freiverkehr einbezogen wurden. Dies ist nicht sachgerecht. Vorzugswürdig wäre es, wenn § 135a Abs. 2 AktG nur auf Gesellschaften anwendbar wäre, deren Aktien mit Zustimmung des Emittenten in den Handel im Freiverkehr einbezogen wurden (so der begrüßenswerte Vorschlag von Ceesay, AG 2024, S2 Rz. 42 ff.; s. ferner zum Problem und zu Lösungsvorschlägen Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 34 f.).
  • Die übertragungsbezogene Verfallsklausel des § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG ist einerseits zu weit, weil sie auch Umstrukturierungsfälle erfasst, in denen der Inhaber der Mehrstimmrechtsaktie sich formell geändert hat, in wirtschaftlicher Hinsicht aber gleich geblieben ist (hierzu etwa Denninger/von Bülow, AG 2023, 417 Rz. 33; Gebhard/Herzog, ZIP 2023, 1161, 1166; Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 37). Andererseits ist sie zu eng, weil sie dem Wortlaut nach nicht eingreift, wenn eine rechtsfähige Personenvereinigung die Mehrstimmrechtsaktien hält und die Mitglieder jener Personenvereinigung wechseln (vgl. dazu Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 40 ff. m.w.N. zu Lösungsvorschlägen). Diese Konstellationen könnte der Gesetzgeber im Wortlaut des § 135a Abs. 2 Satz 1 AktG abbilden.
  • Die Position der Mehrstimmrechtsaktionäre kann infolge von Kapitalmaßnahmen verwässern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf § 135a Abs. 1 Satz 3 AktG, der auch die (nachträgliche) Emission von Mehrstimmrechtsaktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung von der Zustimmung sämtlicher betroffenen Gesellschafter abhängig macht (zum Problem Ceesay, AG 2024, S2 Rz. 57 f.; Florstedt, ZGR 2024, 321, 343 f.; Harnos in K. Schmidt/Lutter, 5. Aufl. 2024, § 135a AktG Rz. 70 ff.). Der Gesetzgeber könnte sich auch  dieses Problems (ergebnisoffen) annehmen.

Emittentenfinanzierte Analysen

Mit § 63a WpHG-E will der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 24 Abs. 3a-3d MiFID II, der ein Bestandteil des Listing Acts ist, die Vorschriften über die Analysen (Research), die bislang in § 70 Abs. 2 Satz 2-5, Abs. 3, Abs. 6a WpHG verortet waren, um weitere Vorgaben ergänzen (vgl. S. 19, 131 des Entwurfs). So wird in § 63a Abs. 1 Satz 1 WpHG-E angeordnet, dass Analysen redlich eindeutig sein müssen und nicht irreführend sein dürfen. Außerdem müssen Analysen nach § 63a Abs. 1 Satz 2 WpHG-E eindeutig als solche erkennbar sein, es sei denn, sie sind aufgrund von WpHG oder VO (EU) 2017/565 als Marketingmitteilungen zu kennzeichnen.

§ 63a Abs. 2 und 3 WpHG-E enthält Vorschriften über Analysen, die ganz oder teilweise durch Emittenten finanziert wurden (emittentenfinanzierte Analysen). In § 63a Abs. 2 WpHG-E geht es im Wesentlichen um die Kennzeichnungspflichten und die Einhaltung eines EU-Verhaltenskodex für emittentenfinanzierte Analysen, der nach Art. 24 Abs. 3d MiFID II erlassen werden kann. § 63a Abs. 3 WpHG-E statuiert Organisationspflichten, deren Erfüllung gewährleisten soll, dass die emittentenfinanzierten Analysen den Vorgaben des § 63a Abs. 1 und 2 WpHG-E entsprechen und unter Einhaltung des EU-Verhaltenskodex für emittentenfinanzierte Analysen erstellt wurden.

Zudem will das BMF § 70 Abs. 6a WpHG, der bislang die Analysen über Unternehmen mit geringer oder mittlerer Kapitalausstattung regelt (dazu Beule in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 8. Aufl. 2023, § 70 WpHG Rz. 26a), neu fassen (vgl. S. 20 des Entwurfs). Die Änderungen führen dazu, dass § 70 Abs. 6a WpHG den Charakter einer Sondervorschrift für Unternehmen mit geringer oder mittlerer Kapitalausstattung verliert: Nach § 70 Abs. 6a Satz 1 Nr. 3 WpHG-E soll es nicht mehr darauf ankommen, ob die Analysen „Emittenten betreffen, die in den 36 Monaten vor der Bereitstellung der Analysen eine Marktkapitalisierung von 1 Milliarde Euro nicht überschritten haben“. Neu eingefügt wird zudem § 70 Abs. 6b WpHG-E, in dem geregelt werden soll, wann die Bereitstellung von Analysen keine Zuwendung darstellt (zum unionsrechtlichen Hintergrund der Änderungen vgl. S. 131 des Entwurfs).

Schließlich soll die BaFin nach § 6 Abs. 2h WpHG-E die Befugnis haben, die Öffentlichkeit zu warnen oder die Verbreitung von emittentenfinanzierten Analysen durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen auszusetzen, wenn emittentengesponserte Analysen nicht im Einklang mit dem nach Art. 24 Abs. 3d MiFID erlassenen EU-Verhaltenskodex für emittentengesponserte Analysen erstellt wurden (vgl. S. 18, 130 des Entwurfs).

Weitere Änderungen des Wertpapierhandelsrechts

Weitere Regelungsvorschläge, die das Wertpapierhandelsrecht zum Gegenstand haben, betreffen:

  • Die Anpassung der Kataloge der §§ 2, 3 WpHG an die Änderungen der MiFID II und MiFIR (vgl. S. 12 ff., 125 des Entwurfs).
  • Die Befugnisse der BaFin nach § 6 WpHG (vgl. S. 13, 18 f., 125 f., 130 des Entwurfs).
  • Die Anpassung der §§ 40, 41, 46, 49-51, 114-116 WpHG an die geänderte Transparenz-RL (vgl. S. 24 f., 133 f. des Entwurfs); diese Änderungen stehen im Zusammenhang mit dem European Single Access Point (s. dazu noch unter Varia).
  • Die Selbstauskunft bei der Vermittlung des Vertragsschlusses über Wertpapiere i.S.d. § 6 WpPG: § 65a WpHG und § 6 WpPG sollen aufgehoben werden (S. 19, 43, 131, 142 des Entwurfs; aufschlussreich und mit Anpassungsvorschlägen zu § 6 WpPG, § 65a WpHG Schmoll, WM 2024, 631).
  • Die Aufhebung einer Reihe von Vorschriften über den Einsatz von Mitarbeitern der Wertpapierdienstleistungsunternehmen in § 87 WpHG (vgl. dazu S. 15, 128 des Entwurfs). Außerdem sollen Vorschriften, die bislang in §§ 1 bis 6 WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung (WpHGMaAnzV) verortet waren und die die Sachkunde der Mitarbeiter der Wertpapierdienstleistungsunternehmen betreffen, in §§ 14-21 WpDVerOV-E überführt werden, die (vgl. S. 29 ff., 136 f. des Entwurfs)
  • Die Erleichterung des Zugangs zu Drittstaatenhandelsplätzen: Die §§ 102-105 WpHG sollen ersatzlos gestrichen werden (zum teleologischen Hintergrund vgl. S. 129 des Entwurfs).
  • Die Bußgeldtatbestände des § 120 WpHG sollen an die materiell-rechtlichen WpHG-Änderungen angepasst werden (vgl. S. 16 ff., 23 f. des Entwurfs). Bei dieser Gelegenheit könnte der Gesetzgeber die Unklarheiten beseitigen, die mit § 120 Abs. 2 Nr. 14 WpHG einhergehen (Sanktionierung der Verstöße gegen § 86 Abs. 1 WpHG; zum Problem Harnos in BeckOK/WpHR, Ed. 12 Stand: 1.4.2024, § 86 WpHG Rz. 23.1).

Investitionsfreundliches Einkommensteuerrecht

In den Ministerialentwürfen zum ZuFinG I war eine Erhöhung des Freibetrags in § 3 Nr. 39 EStG von 1.440 € auf 5.000 € vorgesehen (vgl. RefE ZuFinG I, S. 27, 109, RegE ZuFinG I, BT-Drucks. 20/8292, 33, 129). Der Bundestag hat auf Beschlussempfehlung des Finanzausschusses hin die Freibetragsgrenze auf 2.000 € im Hinblick auf die haushalterischen Auswirkungen herabgesetzt (vgl. BeschlussE FinanzA ZuFinG I, BT-Drucks. 20/9363, 56; krit. dazu Harnos, AG 2023, 873 Rz. 24).

Nunmehr schlägt das BMF abermals eine Erhöhung des Freibetrags in § 3 Nr. 39 EStG auf 5.000 € vor, die durch Änderungen der §§ 17, 20, 43a EStG flankiert werden soll (vgl. S. 62, 174 ff. des Entwurfs). Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß diesmal das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren überlebt. Zudem wäre es zweckmäßig, wenn die Konzernklausel, die noch in § 19a Abs. 1 Satz 3 AktG-RegE ZuFinG I vorgesehen war (vgl. RefE ZuFinG I, S. 28, 110, RegE ZuFinG I, BT-Drucks. 20/8292, 34, 130), wieder Eingang in das Gesetzgebungsverfahren fände (zur Streichung s. BeschlussE FinanzA ZuFinG I, BT-Drucks. 20/9363, 57; krit. dazu Harnos, AG 2023, 873 Rz. 24).

Energiewende im Investmentrecht

Außerdem sieht der Entwurf einige Änderungen des Investmentsteuergesetzes (InvStG) vor, die namentlich das Ziel verfolgen, die Fondsverwalter durch steuerliche Erleichterungen für die Energiewende zu begeistern (vgl. S. 57 ff., 156 ff. des Entwurfs). Die Vorschläge entsprechen im Wesentlichen dem Diskussionsentwurf, den das BMF im Mai 2024 präsentiert hat (hierzu Dahmen/Schneider-Deters, AG 2024, R188, R189 f.).

Auch die Anpassungen des KAGB betreffen die Energiewende (zur Streichung des grünen Investmentrechts im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zum ZuFinG I s. Harnos, AG 2023, 873 Rz. 26 f.). So soll § 1 Abs. 19 KAGB im Gleichlauf mit dem InvStG um eine neue Definition in Nr. 6a erweitert werden. Nach § 1 Abs. 19 Nr. 6a KAGB-E soll die Bewirtschaftung von erneuerbaren Energien i.S.d. KAGB erfassen: die Erzeugung, die Umwandlung, den Transport oder die Speicherung von Energie oder Energieträgern aus erneuerbaren Energien nach § 3 Nr. 21 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und nach § 3 Abs. 1 Nr. 15 des Wärmeplanungsgesetzes (WPG) sowie den Transport oder die Speicherung von Abwärme nach § 3 Nr. 21 des Energieeffizienzgesetzes (EnEfG). Darauf aufbauend sollen die materiell-rechtlichen Vorschriften in §§ 231, 261 KAGB im Sinne der Energiewende angepasst werden (vgl. S. 81 ff., 195 ff. des Entwurfs; hierzu auch bereits Dahmen/Schneider-Deters, AG 2024, R188 f.).

Varia

Ansonsten betreffen die Vorschläge:

  • Das zentrale europäische Zugangsportal (European Single Access Point – ESAP), das mit der ESAP-VO (EU) 2023/2859 eingerichtet wird und dessen registerrechtliche Grundlage in Deutschland in § 9d HGB-E verankert werden soll (vgl. S. 8 f., 121 f. des Entwurfs). Weitere Regelungen sollen die ESAP-VO (EU) 2023/2859 und den § 9d HGB-E ergänzen (s. etwa §§ 325, 328b HGB, §§ 24b, 76 Abs. 1a, § 124 Abs. 5, § 125 Abs. 5 WpHG-E, §§ 9a, 14, 27 WpÜG-E, § 23 WpPG-E, §§ 10a, 48a Abs. 1b, § 50a BörsG-E, §§ 120a, 130, 134b-134d AktG-E, §§ 11a, 35, 38, 42, 51, 66a, 77, 140, 174 SAG-E, §§ 37, 69 WPO-E, § 34d Abs. 11 GewO-E, § 7c KWG-E, § 8a WpIG-E, § 3b PfandBG-E, § 330a VAG-E).
  • Das Wertpapierprospektgesetz (WpPG), das insbesondere an die Regelungen des Listing Acts angepasst werden soll (zum Hintergrund vgl. S. 139 ff. des Entwurfs).
  • Die prospektfreie Schwarmfinanzierung durch Ausgabe von Genossenschaftsanteilen, die Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG sind (s. die Ergänzung des § 2a Abs. 1 VermAnlG und S. 54 f., 150 des Entwurfs).
  • Das REIT-Gesetz, das für die Zwecke der Energiewende eingespannt werden soll (vgl. S. 56, 153 ff. des Entwurfs).
  • Die elektronischen Wertpapiere: § 20 eWpG, der diverse Veröffentlichungen im Bundesanzeiger vorsieht (dazu etwa Gleske/​Klingenbrunn in Hopt/​Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2. Aufl. 2023, § 20 eWpG Rz. 1 ff.), soll komplett gestrichen werden (vgl. S. 57, 155 des Entwurfs). Flankiert wird die Streichung durch Art. 55 ZuFinG II-E, der das ZuFinG I hinsichtlich des § 20 eWpG ändern soll (vgl. S. 95, 208 f. des Entwurfs).
  • Die Änderungen des KWG (vgl. S. 66 ff., 179 ff. des Entwurfs) und die damit verbundene Anpassung des Millionenkreditmeldeverfahrens (s. § 15 Abs. 1a Großkredit- und Millionenkredit-VO-E sowie S. 71, 185 des Entwurfs); auch das WpIG soll angepasst werden (vgl. S. 78 ff., 192 ff. des Entwurfs).
  • Das Zahlungsdiensterecht: Einige ZAG-Vorschriften sollen geändert werden (vgl. S. 73 ff., 187 ff. des Entwurfs).

Baustellen im SPACs-Regime nach dem Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

Im Blog-Beitrag v. 24.8.2023 hat Niklas Joser die Grundzüge der Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) nach §§ 44 ff. BörsG-E erläutert und zugleich dargestellt, an welchen Stellen der Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes die Regelungsvorschläge aus dem Referentenentwurf nachgebessert hat. Auch wenn der Vorstoß der Bundesregierung, die deutsche AG durch punktuelle Modifikationen des Aktienrechts SPACs-fähig zu machen, generell zu begrüßen ist und die Nachbesserungen im Regierungsentwurf ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben doch einige Baustellen offen, die im Gesetzgebungsverfahren geschlossen werden sollten.

Baustelle 1: Konkretisierung des Vollständigkeitsbegriffs in § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E

Der Gegenstand einer BMAG erstreckt sich gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E auf die Vorbereitung und den Abschluss einer Zieltransaktion. Nach § 44 Abs. 2 BörsG-E umfasst die Zieltransaktion sämtliche Erwerbsvorgänge einschließlich Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz, bei denen die BMAG mindestens drei Viertel der Anteile der Zielgesellschaft erwirbt (share deal) oder das Vermögen der Zielgesellschaft vollständig auf die Gesellschaft übergeht (asset deal). Für den letztgenannten Fall sollte der Gesetzgeber im Regelungswortlaut oder zumindest in den Materialien klarstellen, wann ein vollständiger Übergang des Vermögens der Zielgesellschaft auf die BMAG zu bejahen ist: Ist die Vollständigkeit wörtlich zu verstehen oder ist der Begriff in Anlehnung an die – durchaus umstrittenen – Grundsätze auszulegen, die im Kontext des § 179a Abs. 1 AktG entwickelt wurden (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179a AktG Rz. 8)?

Baustelle 2: Konkretisierung des Durchführungsbegriffs in § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E

Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E ist der Bestand der BMAG von der Durchführung der Zieltransaktion innerhalb der in der Satzung festgelegten Frist abhängig. Der Durchführungsbegriff ist konkretisierungsbedürftig, weil sich aus dem Gesetz nicht ergibt, wann die Zieltransaktion durchgeführt wurde. Vielmehr kann an mehrere Ereignisse angeknüpft werden, etwa den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts (signing), den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion oder den „dinglichen“ Vollzug der Zieltransaktion (closing). Der Gesetzgeber sollte eindeutig im Gesetz regeln oder zumindest in den Materialien Auslegungshinweise darauf geben, was unter der Durchführung i.S.d. § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E zu verstehen ist.

Zudem sollte § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E nicht den irreführenden Eindruck erwecken, dass die BMAG nach dem Verstreichen der Durchführungsfrist als Rechtsträger erlischt. Anders als im Gesetzeswortlaut angedeutet, hängt der Bestand der Gesellschaft nicht von der Durchführung der Zieltransaktion ab. Vielmehr ist der erfolglose Fristablauf gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E lediglich ein Auflösungsgrund (hierzu mit gelungenem Formulierungsvorschlag Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 15).

Baustelle 3: terminologische Ungereimtheiten

Wie bereits an einer anderen Stelle moniert, bedient sich das Gesetz einer uneinheitlichen Terminologie (s. Harnos, AG 2023, 348 Rz. 35 Fn. 165): In § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG-E ist vom „Gegenstand der Gesellschaft“, in § 44 Abs. 4 Nr. 1 BörsG-E vom „Geschäftsgegenstand“ die Rede. Vorzugswürdig erscheint es, in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG auch in § 44 BörsG-E einheitlich vom Unternehmensgegenstand zu sprechen.

Baustelle 4: Börsenzulassung der Wertpapiere

Nach § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E gelten die Sonderregelungen in §§ 44 ff. BörsG-E, wenn die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel am regulierten Markt zugelassen sind. Zumindest in den Gesetzesmaterialien sollte klargestellt werden, dass die Wertpapiere der Initiatoren (§ 44 Abs. 6 BörsG-E) – wie in der internationalen Transaktionspraxis üblich – nicht zum Börsenhandel zugelassen werden müssen (vgl. hierzu auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Baustelle 5: Zeitpunkt für den Rechtsformzusatz

Nicht ganz klar geregelt ist der Zeitpunkt, ab dem die Gesellschaft den Rechtsformzusatz „Börsenmantelaktiengesellschaft“ führen muss (zu dieser Vorgabe s. § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E). Da die Wertpapiere der Gesellschaft bei ihrer Gründung nicht automatisch zum Börsenhandel zugelassen sind, ist § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E nicht erfüllt, so dass § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E im Zeitpunkt der Gründung nicht einschlägig ist. Dies spricht dafür, dass die Gesellschaft zunächst als eine „reguläre“ AG firmieren muss; den besonderen Rechtsformzusatz kann und muss sie erst nach dem Börsengang annehmen. Folgt man dem, muss nach dem Börsengang eine Hauptversammlung einberufen werden, um den Rechtsformzusatz in der Satzung zu ändern. Um diesen umständlichen Weg zu vermeiden, sollte § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E der Gesellschaft gestatten, schon in der Gründungsphase und bis zum Börsengang den Rechtsformzusatz „BMAG i. Gr.“ zu führen (dafür DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740). Alternativ könnte der Aufsichtsrat in § 44 Abs. 5 Satz 3 BörsG-E – in Anlehnung an § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179 AktG Rz. 23 ff.) – zu einer Fassungsberichtigung nach dem Börsengang gesetzlich ermächtigt werden.

Baustelle 6: generelle Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen

Es ist zu begrüßen, dass § 47a BörsG-E die Emission selbständiger Optionsscheine (naked warrants) durch die BMAG gestattet. Dabei vermeidet der Regierungsentwurfs eine Formulierung, die noch im Referentenentwurf enthalten war („… abweichend von § 221 des Aktiengesetzes …“) und die nahelegen würde, dass selbständige Aktienoptionen im allgemeinen Aktienrecht unzulässig seien (zur unglücklichen Formulierung des Referentenentwurfs s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 3. und Joser, ZIP 2023, 1006, 1008 f.). Vorzugswürdig wäre es, wenn der Gesetzgeber einen Schritt weiter gehen und die Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen – im Einklang mit der ganz herrschenden Auffassung (s. nur Fest in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 238 ff.; Koch, 17. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 75) – in §§ 187, 192, 221 AktG bestätigen würde; § 47a Abs. 1 BörsG-E wäre dann zu streichen (dafür und die Anhebung der Höchstgrenze in § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG erwägend DAV-HRA, NZG 2023, 738, 742). Die Ausnahme für Vorstands- und Mitarbeiteroptionen, die in § 47a Abs. 2 BörsG-E vorgesehen ist (keine Frist nach § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG), sollte hingegen im Gesetz verbleiben.

Baustelle 7: Verzinsung beim Andienungsrecht

Erklärt ein Aktionär der BMAG gegen den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion (s. § 46 BörsG-E) Widerspruch zur Niederschrift, kann er gem. § 47 Abs. 1 BörsG-E ein Andienungsrecht geltend machen. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass der Anspruch des Aktionärs auf Rückzahlung der Bareinlage nebst Aufgeld zu verzinsen ist. Die Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs steht systematisch im Einklang mit § 45 Abs. 2 Satz 2 BörsG-E, wonach das Treuhandkonto für Einlagen der BMAG-Aktionäre angemessen zu verzinsen ist.

Baustelle 8: Ungereimtheiten bei Vermeidung unbedeutender Zieltransaktionen

Wird die Zieltransaktion nicht während der statutarischen Frist durchgeführt, so wird die BMAG gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E grundsätzlich aufgelöst (s. dazu bereits Baustelle 2). Dies gilt nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E nicht, wenn die Zieltransaktion einschließlich der Bedienung des Andienungsrechts erfolgreich durchgeführt wurde, soweit der Wert der im Zuge der Zieltransaktion durch die BMAG erworbenen Vermögenswerte nicht um mehr als 20 Prozent hinter dem Wert der Einlagen einschließlich Aufgeld zurückbleibt. Mit der Einführung der 20-Prozent-Grenze will der Gesetzgeber vermeiden, dass die BMAG-Initiatoren eine unbedeutende Zieltransaktion durchführen, um einen Ansehensverlust zu vermeiden und ihre Vergütung – die über BMAG-Aktien und selbständige Optionen auf BMAG-Aktien erfolgt – zu realisieren (zum teleologischen Hintergrund des § 47b Abs. 1 Satz 2 BörsG-E s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 4.; für die Einführung einer solchen Regelung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Dieses Ziel ist im Ausgangspunkt zu begrüßen. Allerdings erscheint das eingesetzte Instrument problematisch: Wird die 20-Prozent-Grenze überschritten, folgt aus dem Wortlaut des § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E, dass die BMAG aufgelöst wird. Gilt dies auch in Fällen, in denen die Zieltransaktion inklusive ggf. nötiger Registereintragungen durchgeführt wurde, weil die in § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E geregelte Grenzüberschreitung niemandem aufgefallen ist? Wenn man bedenkt, dass die Anwendung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E die Bewertung einer nicht börsennotierten Zielgesellschaft erfordert und die Unternehmensbewertung mit Unsicherheiten behaftet ist, erscheint ein solches Szenario – also eine „versehentliche“ Registereintragung einer unbedeutenden Transaktion – nicht völlig ausgeschlossen. Wird in einem solchen Fall die Auflösung nach § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E wegen der Bestandskraft der Zieltransaktion nach der Registereintragung verdrängt, um die Transaktionssicherheit zu erhöhen? Dieses Problem sollte der Gesetzgeber umschiffen, indem er die Regelung über die Vermeidung unbedeutender Transaktionen von den Auflösungsvorschriften trennt und sie als eine Vorstandsvorgabe formuliert. Als Regelungsstandort bietet sich etwa ein (neuer) § 44 Abs. 3 Satz 2 BörsG-E an.

Baustelle 9: share deal im Zieltransaktionsbericht

Die Zieltransaktion bedarf der Zustimmung der Hauptversammlung der BMAG. Für Umwandlungsmaßnahmen folgt dies aus dem Umwandlungsgesetz, für sonstige Zieltransaktionen aus § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E. Im letztgenannten Fall muss der Vorstand der BMAG gem. § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E einen Zieltransaktionsbericht erstellen und dabei u.a. „die Angemessenheit der der Zielgesellschaft versprochenen Gegenleistung im Verhältnis zum Wert der Zielgesellschaft“ erläutern und begründen. Diese Formulierung ist allein auf den asset deal zugeschnitten. Bei einem share deal erhält nicht die Zielgesellschaft eine Gegenleistung, sondern deren Gesellschafter. Diesen Fall sollte der Gesetzgeber in § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E ebenfalls erfassen.

Baustelle 10: Unklarheiten in § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E

Unklar ist der Regelungsgehalt des § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E, wonach sich die Bekanntmachungspflicht nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG auch auf den Zieltransaktionsbericht erstreckt (krit. auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741). Es leuchtet nicht ein, wieso der Zieltransaktionsbericht Gegenstand des Beschlussvorschlags der Verwaltungsorgane sein soll. Wenn sich der Beschlussvorschlag der Verwaltungsorgane auf die Zieltransaktion selbst beziehen soll (was selbstverständlich erscheint und deshalb nicht speziell für die BMAG geregelt werden muss), ist § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E entsprechend anzupassen.

Baustelle 11: Anfechtungsrelevanz fehlerhafter Zieltransaktionsberichte

Ein Fehler des Zieltransaktionsberichts kann unter Umständen ein Anfechtungsgrund i.S.d. § 243 Abs. 1, Abs. 4 AktG sein. In einem solchen Fall sind nach § 245 Nr. 1 AktG diejenigen BMAG-Aktionäre anfechtungsbefugt, die gegen den Zustimmungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben. Zugleich können diese Aktionäre nach § 47 Abs. 1 AktG das Andienungsrecht geltend machen. Dieses Nebeneinander ist bedenklich. Es leuchtet nicht unmittelbar ein, wieso die Aktionäre wegen etwaiger Berichtsfehler gegen die gesamte Zieltransaktion vorgehen können, wenn sie sich durch die Ausübung des Andienungsrechts schützen können. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sollte deshalb ein genereller Anfechtungsausschluss erwogen werden (vorsichtig in diese Richtung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 12: Freigabeverfahren für begleitende Beschlüsse

Hinzu kommt, dass die Aktionäre unter Berufung auf einen Berichtsfehler die Zieltransaktion ausbremsen könnten: Wird aus der BMAG eine „reguläre“ AG mit operativem Geschäftsbetrieb, muss deren Satzung zum einen wegen des Unternehmensgegenstandes, zum anderen wegen des Rechtsformzusatzes geändert werden. Weil der Satzungsänderungsbeschluss kein Gegenstand des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG sein kann, könnte er ein Ziel etwaiger Beschlussmängelklagen sein, die sich auf (womöglich nur behauptete) Fehler des Zieltransaktionsberichts stützen. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber erwägen, das Freigabeverfahren auf registerpflichtige (Satzungsänderungs-)Beschlüsse im Umfeld der Zieltransaktion zu erstrecken (dafür auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 13: kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts

Während die Baustellen 11 und 12 die gesellschaftsrechtlichen Folgen des Zieltransaktionsberichts betreffen, hat die Baustelle 13 die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts zum Gegenstand: Wenn Anleger im Rahmen eines Börsengangs Wertpapiere eines operativ tätigen Unternehmens erwerben, können sie sich anhand des (Börsenzulassungs-)Prospekts u.a. über das Geschäftsmodell, die Finanzzahlen und weitere investitionsrelevante Umstände informieren. Der Prospekt einer BMAG ist weniger aussagekräftig. Er erstreckt sich wegen des Mantelcharakters der BMAG in erster Linie auf die Umschreibung potenzieller Zielgesellschaften (etwa nach Branchenzugehörigkeit oder Region) und der Erwerbsstrategie (dazu etwa Hell, BKR 2021, 26, 29). Detaillierte Informationen über die unternehmerische Ausrichtung der BMAG enthält der Prospekt nicht, weil die BMAG keinen eigenen operativen Geschäftsbetrieb hat. Die Anleger erhalten Informationen zum (künftigen) operativen Geschäftsbetrieb erst mit dem Zieltransaktionsbericht. Insoweit kann der Bericht als eine Verlängerung des Prospekts und damit als eine Kapitalmarktinformation angesehen werden.

Folgt man der Einordnung des Zieltransaktionsberichts als eine besondere Art der Kapitalmarktinformation, könnten diejenigen Aktionäre, die das Andienungsrecht aus § 47 Abs. 1 BörsG-E nicht ausgeübt haben, wegen etwaiger Berichtsfehler analog §§ 9 ff. WpPG Ansprüche geltend machen, die auf Rückabwicklung der Investition in die BMAG gerichtet sind. Für die Praxis hilfreich wäre ein Hinweis des Gesetzgebers darauf, ob ein fehlerhafter Zieltransaktionsbericht solche kapitalmarktrechtlichen Folgen nach sich ziehen kann. Bleibt ein gesetzgeberischer Hinweis aus, dürften Praxis und Wissenschaft die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts dogmatisch vermessen.

Baustelle 14: Vorstandshaftung

Praxis und Wissenschaft werden zudem die Aufgabe meistern müssen, die Grundsätze der Vorstandshaftung wegen einer ungünstigen Zieltransaktion und eines fehlerhaften Zieltransaktionsberichts herauszuarbeiten (erste Ansätze bei Fuhrmann, AG 2022, R91, R92). So bleibt etwa zu klären, inwieweit der Zustimmungsbeschluss gem. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG eine Enthaftungswirkung erzeugt und ob sich die Vorstandsmitglieder trotz etwaiger Interessenkonflikte auf die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) berufen können.

Baustelle 15: Regelungsstandort

Schließlich sollte der Standort des deutschen SPACs-Regimes im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren überdacht werden. Aus systematischen Gründen spricht viel dafür, die BMAG-Großbaustelle vom Börsengesetz ins Aktiengesetz zu verlegen (dafür etwa Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 10 f.; Herzog/Gebhard, NZG 2023, 1055, 1056; Kuthe, BB 2023, 1603, 1606 f.; s. auch bereits Harnos, AG 2023, 348 Rz. 40 f.).

Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

Am 12.4.2023 haben das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium der Justiz den Referenzenentwurf eines Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG) veröffentlicht, dessen Eckpunkte bereits am 29.6.2022 präsentiert wurden (dazu etwa Kuthe, AG 2022, R208). Das Gesetz verfolgt das Ziel, den Kapitalmarkt moderner und leistungsfähiger werden zu lassen, um mehr privates Kapital für Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren und den privaten Vermögensaufbau zu unterstützen (s. RefE ZuFunG, S. 1, 53 ff.). Im Folgenden finden Sie einen ersten Überblick über die Inhalte des Gesetzes.

Aktienrecht

Zahlreiche Vorschläge im Entwurf haben das Aktienrecht zum Gegenstand (s. dazu ausführlich Harnos, AG0054414):

  • Wie im Koalitionsvertrag der „Ampel“ angekündigt, soll die elektronische Aktie eingeführt werden. Dabei soll nicht nur der Anwendungsbereich des eWpG erweitert werden (s. § 1 eWpG-E und RefE ZuFinG, S. 106 ff., auch zu weiteren Änderungen des eWpG). Vielmehr sollen die Neuregelungen im eWpG durch Änderungen des Aktiengesetzes und des Depotgesetzes flankiert werden (s. § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Abs. 6 AktG-E, § 13 Satz 4 AktG-E, § 67 Abs. 1 AktG-E und RefE ZuFinG, S. 91 ff.; zum Depotrecht Art. 14 ZuFinG-E und RefE ZuFinG, S. 106).
  • Ebenfalls im Koalitionsvertrag wurzeln die Regelungen zur Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktie (hierzu aus neuerer Zeit etwa Casper, ZHR 187 [2023], 5, 17 ff.; Nicolussi, AG 2022, 753 ff.): Einerseits soll § 12 Abs. 2 AktG gestrichen werden. Andererseits sollen im neuen § 134 Abs. 2 AktG-E die Rahmenbedingungen für die Emission von Mehrstimmrechtsaktien geschaffen werden. Ergänzt werden die Vorschläge, die im Kontext des Entwurfs einer Mehrstimmrechtsaktien-RL zu lesen sind (dazu etwa Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; Harnos, Blog-Beitrag vom 1.3.2023; Kuthe, AG 2023, R28, R29), durch Anpassungen des § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG (Angaben im HV-Teilnehmerverzeichnis), § 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG (Feststellung über die Beschlussfassung in börsennotierten Gesellschaften) und § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG (Transparenz in Bezug auf Mehrstimmrechtsaktien). Schließlich sollen Mehrstimmrechtsaktien auch ins eWpG Eingang finden (vgl. RefE ZuFinG, S. 107).
  • Im Kapitalerhöhungsrecht sollen zum einen die Regelungen über den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss und das genehmigte Kapital liberalisiert werden: Die in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vorgesehene Kapitalgrenze und die Höchstbeträge in § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG sollen angehoben werden (im Einzelnen RefE ZuFinG, S. 100 ff.). Zum anderen schlägt der Entwurf eine Neukonzeption des Wertverwässerungsschutzes in § 255 AktG vor. Die derzeit geltende Anfechtungslösung in § 255 Abs. 2 AktG soll durch eine Ausgleichslösung ersetzt und durch eine Erweiterung des SpruchG flankiert werden (s. § 255 Abs. 2–6 AktG-E und RefE ZuFinG, S. 103 ff.). Dabei soll der Unternehmenswert bei börsennotierten Gesellschaften anhand des durchschnittlichen Börsenkurses bemessen werden (s. § 255 Abs. 4 AktG-E, der sich an die Delisting-Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG anlehnt; vgl. dazu RefE ZuFinG, S. 104 f.).
  • Im neuen Abschnitt 4a des Börsengesetzes sollen Regelungen über Börsenmantelgesellschaften (SPACs) geschaffen werden (s. §§ 44 ff. BörsG und RefE ZuFinG, S. 85 ff.), die das – nach § 44 Abs. 7 BörsG-E BörsG subsidiär geltende – Aktienrecht in vielerlei Hinsicht modifizieren.
  • Schließlich soll die Regelung zum Nachweisstichtag in § 123 AktG präzisiert werden (s. RefE ZuFinG, S. 96).

Kapitalmarktrecht

Auch das Kapitalmarktrecht soll an einigen Stellen angepasst werden:

  • Die Voraussetzungen für die Börsenzulassung sollen durch eine Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BörsZulVO moderat erleichtert werden: Der voraussichtliche Kurswert der zuzulassenden Aktien soll von mindestens 1,25 Mio. € auf mindestens 1 Mio. € herabgesetzt werden (s. RefE ZuFinG, S. 78).
  • Um die Senkung der Zulassungskosten für die Emittenten zu ermöglichen, soll der neue § 32 Abs. 2a BörsG den Börsen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Zulassungsvoraussetzungen in Teilbereichen des regulierten Marktes gewähren (s. RefE ZuFinG, S. 85); flankiert wird diese Änderung durch eine Anpassung des § 8 Satz 3 WpPG (s. RefE ZuFinG, S. 84).
  • Die Haftungsvorschriften für Schwarmfinanzierungsdienstleister in §§ 32c, 32d, 32e WpHG sollen an die Parallelregelungen in §§ 11, 13 WpPG, § 22 VermAnlG angeglichen werden (s. RefE ZuFinG, S. 80).
  • Sicherlich zur Freude des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sollen die Möglichkeiten der offenen Immobilienfonds, Infrastrukturfonds und Spezialfonds mit festen Anlagebedingungen, im Bereich des Grundstückserwerbs und des Betriebs von Energieanlagen zu investieren, erweitert werden, um die Energiewende mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu flankieren (s. die Änderungen der §§ 231, 260b KAGB und RefE ZuFinG, S. 56, 137 ff.).
  • Im Blickfeld des Referentenentwurfs liegt auch WpÜG, das an einigen Stellen geändert werden soll (s. RefE ZuFinG, S. 80 ff.). Insbesondere soll die Kommunikation mit der BaFin künftig ausschließlich elektronisch erfolgen (s. §§ 36, 37, 45 WpÜG-E).

Recht der Finanzmarktaufsicht

  • Elektronische Behördenkommunikation ist ferner Gegenstand der § 16m FinDAG-E, § 5 KWG-E, § 310a VAG-E, §§ 7b, 53, 223 KAGB-E, §§ 4a, 10, 11, 19, 25, 26, 34, 38, 39, 60, 61 ZAG-E und § 42a SAG-E.
  • Die Kommunikation mit der BaFin soll künftig auch in englischer Sprache geführt werden dürfen (s. § 4j FinDAG-E, § 19 Abs. 5a KAGB-E, § 10 Markzugangsangaben-VO-E, § 41 Abs. 1a SAG-E, § 2 Abs. 3 Inhaberkontroll-VO-E).
  • Im KWG sollen Vorgaben zur Kryptoverwahrung (schon mit Blick auf die MiCAR, s. RefE ZuFinG, S. 55 und 119 f.) und Regelungen zur DLT-Pilotregelung nach der Verordnung (EU) 2022/858 eingeführt werden (s. RefE ZuFinG, S. 121 f.). Die DLT-Pilotenregelung ist auch Gegenstand der §§ 78a ff. WpIG (s. RefE ZuFinG, S. 135 f.).

Zahlungsdiensterecht

  • Um die Vorgaben des Art. 106 PSD II eindeutig umzusetzen, soll der neue § 62a ZAG die Regelungen über die kollektive Verbraucherinformation gesetzlich verankern (s. RefE ZuFinG, S. 135).
  • Die Vorschriften über den Betrieb von Vergleichswebsites für Zahlungskonten in §§ 16 ff. ZKG sollen ergänzt werden (s. RefE ZuFinG, S. 128 ff.).

Steuerrecht

  • Die Änderungen des Einkommensteuerrechts und des Vermögensbildungsgesetzes sollen Anreize für die Investition in Aktien verbessert werden (s. RefE ZuFinG, S. 109 ff. und S. 142).
  • Um eine Wettbewerbsgleichheit mit anderen EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sollen die deutsche Kreditwirtschaft und die Investmentfonds durch Anpassungen des Umsatzsteuergesetzes entlastet werden (s. RefE ZuFinG, S. 113 f.).

AGB-Recht

Last but not least: Ein neuer § 310 Abs. 1a BGB soll die AGB-Inhaltskontrolle der Geschäfte im bank- und kapitalmarktrechtlichen Bereich einschränken (s. dazu RefE ZuFinG, S. 76 ff.; im Vorfeld des Entwurfs etwa Casper, ZHR 187 [2023], 5, 8 ff.).

Ausblick

Für die diskussionsfreudige unternehmensrechtliche Community ist der Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes ein verspätetes Ostergeschenk. Die „Aktiengesellschaft“ wird die Debatte um das Zukunftsfinanzierungsgesetz aktiv begleiten.

Sustainable Finance – EU Green Bond Standard auf der Zielgraden!

Die Sustainable Finance Strategy des Green Deal der Europäischen Kommission setzt sich aus einer Vielzahl von Mosaiksteinen zusammen, die im Zusammenwirken den Marktteilnehmern am Eigen- wie Fremdkapitalmarkt mehr als nur einen leichten Stups (nudge) geben sollen, bei Finanzierungsentscheidungen Nachhaltigkeitsaspekte, insbesondere Umweltaspekte stärker zu gewichten. Im Vordergrund stand diesbezüglich bisher der Eigenkapitalmarkt, für den durch die zusammen mit CSRD und Taxonomie-VO zu lesende Offenlegungs-VO (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) einerseits umfassende Offenlegungspflichten für verschiedene Vertriebsstufen und andererseits im Bereich der Produkt-Governance drei Klassen unterschiedlich nachhaltiger Fondsprodukte geschaffen worden sind (sog. Art. 8-Fonds, Art. 9-Fonds und sonstige Fonds; Überblick bei Harnos, ÖBA 2022, 882; Reich, Blog Gesellschaftsrecht v. 22.2.2022, GESRBLOG0001030).

Fremdkapitalfinanzierung als Mosaikstein der Sustainable Finance

Demgegenüber adressiert das europäische Sustainable Finance-Regime den – u.a. in der Bundesrepublik gesamtwirtschaftlich deutlich größeren – Fremdkapitalmarkt zumindest im Bereich der Product Governance bisher nur mittelbar über den Umweg des Aufsichtsrechts (zu diesem blind spot Gözlügöl/Ringe, Private Companies: The Missing Link on the Path to Net Zero, ECGI Law Working Paper No. 635/2022). Anforderungen, an denen sich nachhaltige Fremdkapitalinstrumente messen lassen müssen, ergeben sich im Übrigen allenfalls aus allgemeinen Regeln, wobei insbesondere an das Lauterkeitsrecht (UWG) zu denken ist (vgl. etwa Ekkenga/Roth, WM 2021, 1161, 1162), und sind ansonsten den Selbststeuerungskräften des Marktes überlassen. Zu nennen sind insoweit insbesondere die Green Bond Principles der International Capital Market Association (ICMA) und – mit sichtbarer Fokussierung auf den Themenausschnitt Klimawandel/CO2-Emissionen – der mit den Principles verknüpfte Climate Bond Standard der Climate Bond Initiative (CBI). Diese tatsächliche oder gefühlte Lücke will die Europäische Union durch den Europäischen Green Bond Standard schließen, den die Kommission bereits am 6.7.2021 im Entwurf vorgestellt hatte (dazu etwa Harnos, ÖBA 2022, 882, 894 f.; Reich, AG 2021, R296) und über den im Trilog-Verfahren unter Vermittlung der schwedischen Ratspräsidentschaft am 28.2.2023 nunmehr zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament eine Einigung erzielt worden ist.

In Konkurrenz zu den bereits bestehenden privaten Standards soll mit dem European Green Bond Standard ein weiteres freiwilliges Qualitätssiegel für grüne Anleihen geschaffen werden, dem seine Schöpfer aufgrund seiner supranationalen Verbürgung sowie Verknüpfung mit der strengen und nicht im Verdacht des greenwashing stehenden Taxonomie-VO die Rolle als zukünftiger „Gold Standard“ mit globaler Strahlkraft zutrauen (vgl. auch Renner, ZBB 2023, 23). Der EUBGS ist nicht anders als seine privaten Konkurrenten optional ausgestaltet. Emittenten, die das Gütesiegel „European Green Bond“ oder „EuGB“ verwenden wollen, haben die in der EUGBS-VO aufgeführten Anforderungen zu erfüllen (Art. 3 EUGBS-VO-E); ein dahingehender Zwang besteht nicht.

Kriterien für das Premium-Siegel

Nach dem Ergebnis der Trilog-Verhandlungen verlangt das Führen des Premium-Siegels für Green Bonds im Wesentlichen die Erfüllung der folgenden vier Kriterien:

  1. Vereinbarkeit der Verwendung der Emissionserlöse mit der Taxonomie-VO (taxonomy aligned use of proceeds)

Nach Art. 4 ff. EUGBS-VO-E wird die Einhaltung des mittlerweile geläufigen Voraussetzungsquartetts ökologischer Nachhaltigkeit i.S.d. Art. 3 Taxonomie-VO verlangt: Die Emissionserlöse sind für eine Wirtschaftstätigkeit zu verwenden, die (1) einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der grundsätzlich sechs Umweltziele gem. Art. 9 Taxonomie-VO leistet, (2) gleichzeitig nicht mit einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer dieser Umweltziele einhergeht (no significant harm-Prinzip), (3) unter Einhaltung des in Art. 18 Taxonomie-VO umrissenen sozialen Mindestschutzes ausgeübt wird; und (4) den weitergehenden, durch die Kommission entwickelten technischen Bewertungskriterien entspricht. In Abweichung zum ursprünglichen Kommissionsentwurf wird die strenge Einhaltung dieser Kriterien nicht mehr für 100% der Emissionserlöse verlangt, sondern vorübergehend für bis zu 15% derselben gewisse Erleichterungen gewährt (sog. Flexibilitätsrahmen).

  1. Transparenz

Emittenten müssen zudem umfassende Transparenz über die nachhaltige Mittelverwendung über den Lebenszyklus des Green Bond herstellen. Verlangt werden Emissionspublizität mittels eines European Green Bond Factsheet, jährliche Verwendungsberichte (Allocation Reports), einmalig ein Auswirkungsbericht (Impact Report) und als Neuerung des Trilog-Kompromisses zusätzlich Auskunft darüber, wie sich der Green Bond in die allgemeine Transformationsstrategie des Emittenten einpasst.

  1. Prüfung

Dritte Säule, auf der der zukünftige Premium-Standard ruht, ist die Gewährleistung tatsächlicher Nachhaltigkeit und zweckkonformer Mittelwendung durch belastbare externe und unabhängige Prüfung von Bond und zweckgebundener Mittelverwendung.

  1. Registrierung und Überwachung

Die Prüfung soll durch eine Registrierungspflicht externer Green-Bond-Prüfer bei ESMA und sich anschließende laufende Überwachung durch dieselbe abgesichert werden. Damit setzt der Verordnungsgeber im Einzelnen umfassende, aus verwandten Regulierungsfeldern bekannte Instrumente ein.

Mittelbare Wirkungen auf weitere „grüne“ Fremdkapitalinstrumente

Als neue Option für Emittenten grüner Finanzinstrumente sieht die jüngste Einigung vor, dass die standardisierten Berichtsformate auch für sonstige nachhaltigkeitsorientierte Fremdkapitalinstrumente zur Verfügung stehen, die nicht für die Klassifizierung als EU Green Bond qualifizieren, aber gleichfalls den grünen Charakter der Kapitalaufnahme herausarbeiten wollen (z.B. sustainability-linked bonds). Ziel dürfte sein, ein intersubjektiv nachvollziehbares Reporting über Nachhaltigkeitsfaktoren in Anlehnung an den EUGBS für den gesamten grünen Fremdkapitalmarkt zu schaffen. Auch insoweit gilt (erst recht), dass Emittenten entsprechender grüner Finanzinstrumente die Reporting Templates verwenden können, aber nicht müssen.

Weiteres Verfahren und Inkrafttreten

Ungeachtet der grundsätzlichen Einigung im Trilog-Verfahren vom 28.2.2023 steht diese noch unter dem Vorbehalt der förmlichen Zustimmung von Rat und Europäischen Parlament. Nach dem Kommissionsentwurf sollte die EUGBS-VO in großen Teilen am 20. Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten (Art. 64 EUGBS-VO-E). Allerdings stellt die offizielle Kommunikation des Trilog-Ergebnisses nunmehr in Aussicht, dass die EUGBS-VO zwölf Monate nach ihrem Inkrafttreten Anwendung finden soll.

Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses zum Entwurf der Mehrstimmrechtsaktien-RL

Die Diskussion über die Einführung der Mehrstimmrechtsaktien im Zuge des Listing Acts ist im vollen Gange (zum Entwurf der Mehrstimmrechtsaktien-RL s. etwa Casper, ZHR 187 (2023), 5, 29 f.; Gumpp, BKR 2023, 82, 88 f.; Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; Kuthe, AG 2023, R28, R29; von der Linden/Wilk, NZG 2023, 193; Schlitt/Ries, NZG 2023, 145). Am 27.2.2023 hat der Ausschuss Handelsrecht des Deutschen Anwaltvereins eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er den Vorstoß der Europäischen Kommission zwar grundsätzlich begrüßt, aber eine Reihe von Änderungsvorschlägen unterbreitet. Zahlreiche Anregungen des Ausschusses sind durchaus erwägenswert: eine ausdrückliche Regelung zur KGaA und SE, eine Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit von Sonderbeschlüssen benachteiligter Aktionäre, eine weitere Klarstellung, dass die Schaffung der Mehrstimmrechtsaktien durch Ausübung genehmigten Kapitals unzulässig ist, und die Konkretisierung der Obergrenzen für die Stimmrechtsmacht in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. b Mehrstimmrechtsaktien-RL-E. Überzeugend sind zudem die Überlegungen zur Ausgestaltung der sunset clauses, zur Erweiterung der gegenständlichen Beschränkungen in Art. 5 Abs. 2 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E sowie zu den Transparenzvorgaben in Art. 6 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E.

Zwei Vorschläge des DAV-Handelsausschusses sind dagegen bedenklich: die erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Mehrstimmrechtsaktien-RL und die Streichung der „Klimaschutz-Regelung“ in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E.

Anwendungsbereich der Mehrstimmrechtsaktien-RL zwischen Mindest- oder Vollharmonisierung

Nach dem bisherigen Konzept der EU-Kommission soll die Mehrstimmrechtsaktien-RL nur insoweit einen Harmonisierungsdruck erzeugen, als Mehrstimmrechtsaktienstrukturen lediglich für Aktiengesellschaften geöffnet werden sollen, die eine Notierung auf einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben (vgl. Art. 4 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E). Werden die Aktien bereits auf einem KMU-Wachstumsmarkt oder einem anderen Handelsplatz gehandelt oder will der (künftige) Emittent die Aktien von vornherein in einem anderen Marktsegment als KMU-Wachstumsmarkt – etwa im geregelten Markt – platzieren, können die Mitgliedstaaten die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen gem. Art. 3 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E zulassen, müssen es aber nicht. Kein Zwang zur Zulassung der Mehrstimmrechtsaktien gilt ferner für geschlossene Aktiengesellschaften; auch insoweit folgt der Richtlinienentwurf dem Konzept der Mindestharmonisierung (vgl. auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 30: große Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten).

Dagegen schwebt dem DAV-Handelsrechtsausschuss eine Vollharmonisierung dahingehend vor, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für alle Aktiengesellschaften zu öffnen – und zwar unabhängig davon, ob die Aktien bereits auf einem geregelten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem (MTF), das kein KMU-Wachstumsmarkt ist, gehandelt werden oder ob die Eigentümer der Gesellschaft überhaupt den das Börsenparkett betreten möchten (vgl. S. 9 ff. der Stellungnahme; für Erstreckung auf alle MTF Gumpp, BKR 2023, 82, 89). Dabei vermisst der Ausschuss eine tragfähige Begründung für die Ausklammerung der Gesellschaften, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrstimmrechtsaktien-RL fallen.

Mehrstimmrechtsaktienstrukturen in allen Kapitalmarktsegmenten

Der Vorschlag des DAV-Handelsrechtsausschusses, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für Gesellschaften in allen Kapitalmarktsegmenten zu öffnen, klingt bei unbefangener Betrachtung verlockend, weil er einer weiteren Fragmentierung des – ohnehin unübersichtlichen – Aktien- und Kapitalmarktrechts in der Europäischen Union entgegenwirkt. Zudem will der Ausschuss offenbar erreichen, dass die Kapitalmarktteilnehmer mit den Füßen darüber abstimmen, ob sie Unternehmen mit einer „one share, one vote“-Kultur oder mit einer Mehrstimmrechtsaktienstruktur für vorzugswürdig halten (zur Einstellung der Investoren und Stimmrechtsberater vgl. Denninger, DB 2022, 2329, 2334; Kuthe, AG 2023, R28, R29; Nicolussi, AG 2022, 753 Rz. 43; von der Linden/Wilk, NZG 2023, 193). In Zeiten eines übergreifenden Paternalismus wirkt die damit verbundene Liberalisierungsbrise erfrischend.

Dennoch geht die Kritik an der Harmonisierungskonzeption der EU-Kommission zu weit. Die Kommission versteht die Zulassung von Mehrstimmrechtsaktienstrukturen augenscheinlich als ein Instrument, um kleine und mittlere Unternehmen an den öffentlichen Kapitalmarkt zu locken und damit ihre Finanzierungsbasis zu stärken: Die Investoren der ersten Stunde können einerseits den externen Anlegern die Beteiligung am Unternehmen ermöglichen, müssen aber andererseits keinen Machtverlust befürchten, wenn sie sich ausreichend Mehrstimmrechtsaktien sichern. Ist ein KMU bereits auf einem Handelsplatz notiert, bedarf es der Mehrstimmrechtsaktien als Lockmittel nicht mehr; insoweit ist das Konzept der EU-Kommission durchaus in sich schlüssig.

Will die Gesellschaft von vornherein ins kalte Wasser springen und eine Notierung auf einem „höherwertigen“ Marktsegment anstreben, kann die Zurückhaltung der EU-Kommission mit einem Verweis auf die kritischen Stimmen begründet werden, die vor einer allzu breiten Öffnung des Gesellschaftsrechts für Mehrstimmrechtsaktienstrukturen warnen: Die Mehrstimmrechtsaktien schaffen das Risiko, die Kontrollfunktion der Kapitalmärkte auszuhebeln und die Governance-Strukturen zu schwächen (s. nur Casper, ZHR 187 (2023), 5, 24 ff.; Denninger, DB 2022, 2329, 2331 ff.; Herzog/Gebhard, ZIP 2022, 1893, 1899 f.). Dies relativiert die Zwangsläufigkeit, die der DAV-Handelsrechtsausschuss im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Marktsegmente vorspiegelt.

Namentlich ist die Schaffung eines level playing field, auf das der DAV-Handelsrechtsausschuss mehrfach Bezug nimmt, bei Lichte besehen nicht zwingend. Wieso sollte der Richtliniengeber den Wettbewerb zwischen den nationalen Aktienrechtsordnungen durch eine zwingende Vorgabe unterbinden, deren Daseinsberechtigung nicht unumstritten ist? Das bisherige Konzept der EU-Kommission hat – auch im Lichte des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) – den Charme, im Zeitalter der Mobilitäts-RL die Bedingungen für einen Systemwettbewerb zu schaffen, in dem beobachtet werden kann, welche Anziehungskraft Mehrstimmrechtsaktien für notierungswillige Gründer haben (s. dazu bereits Nicolussi, AG 2022, 753 Rz. 17; zur Competition of Policy Makers jüngst auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 27 ff.). Erweisen sich Rechtsordnungen, die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen generell zulassen, als überlegen, kann die EU-Kommission diesen Umstand im Rahmen der ohnehin vorgeschriebenen Überprüfung berücksichtigen und den Anwendungsbereich der Richtlinie erweitern (vgl. Gumpp, BKR 2023, 82, 89: Test; trial and error).

Nebenbei: Entscheidet sich der Richtliniengeber dafür, von der ursprünglichen Konzeption der EU-Kommission abzurücken und die Vorschläge des DAV-Handelsrechtsausschusses umzusetzen, sollte er über den Standort der Regelung nachdenken, die die Mehrstimmrechtsaktienstrukturen für Gesellschaften aller Kapitalmarktsegmente öffnet. Jedenfalls für börsennotierte Aktiengesellschaften spricht viel dafür, insoweit die Aktionärsrechte-RL zu ändern, statt die Zulässigkeit der Mehrstimmrechtsaktien in einer separaten Richtlinie zu regeln.

Mehrstimmrechtsaktienstrukturen in geschlossenen Gesellschaften

In der Sache überzeugend sind die Ausführungen des DAV-Handelsrechtsausschusses zu Mehrstimmrechtsaktiensystemen in geschlossenen Gesellschaften. Es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, solchen Unternehmen die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien zu verbieten (s. bereits Harnos, Blog-Beitrag vom 13.12.2022; s. auch Casper, ZHR 187 (2023), 5, 30). Nur: Ist eine EU-Richtlinie der richtige Ort, um die Governance-Vorgaben für Unternehmen jenseits des Kapitalmarkts zu lockern?

Die EU-Kommission stützt ihren Vorschlag auf Art. 50 AEUV und Art. 114 AEUV. Wieso das Verbot der Mehrstimmrechtsaktien in kapitalmarktfernen Gesellschaften die Niederlassungsfreiheit einschränkt und deshalb qua Richtlinie abgeschafft werden muss, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Auch ein Binnenmarktmarktbezug drängt sich bei geschlossenen Unternehmen nicht auf. Insoweit sollte der Richtliniengeber – ggf. mit Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip – an der bisherigen Konzeption festhalten und die Entscheidung den Mitgliedstaaten überlassen.

Streichung des „ESG-Artikels“

Auf S. 20 f. der Stellungnahme beschäftigt sich der DAV-Handelsrechtsausschuss mit Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E. Diese Vorschrift enthält eine Regelung für Fälle, in denen die Mehrstimmrechte ausgeübt werden, um Hauptversammlungsbeschlüsse zu blockieren, die darauf abzielen, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Dass der „ESG-Artikel“ überrascht, wurde bereits im Blog-Beitrag v. 13.12.2022 näher erläutert – eine Streichung erscheint aber dennoch vorschnell.

Insbesondere verstößt Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E nicht zwingend gegen das aktienrechtliche Kompetenzsystem. Wenn der DAV-Handelsrechtsausschuss auf § 119 AktG verweist, blendet er aus, dass die deutsche Organisationsverfassung nicht alternativlos ist und die EU-Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung flexibel sind. Hinzu kommt, dass Deutschland nicht verpflichtet wäre, Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. d Mehrstimmrechtsaktien-RL-E umzusetzen. Vielmehr enthält Art. 5 Abs. 2 Mehrstimmrechtsaktien-RL-E lediglich eine Liste mit optionalen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten (ggf. in modifizierter Form) erlassen können. Im Hinblick darauf und die derzeitige Diskussion um „Say on ESG“ wirkt der Vorschlag des Ausschusses wie ein (nicht zeitgemäßer) Versuch, jeglichen Gedanken an eine Erweiterung der HV-Kompetenzen im Keim zu ersticken.